VERBRECHEN AM FUSSBALL

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Kapitel 3

DIE SONDERKOMMISSION FLANKENGOTT

Mein dienstlicher Standort ist Bochum. Über diese Großstadt mit rund 370.000 Einwohnern mitten im Ruhrgebiet kursieren viele Klischees; alles in allem kann man sagen, dass die Liebeshymne »Bochum« des Schauspielers und Musikers Herbert Grönemeyer, der hier aufgewachsen ist, dem Ambiente der Stadt ziemlich nahe kommt: »Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau …«

Doch Bochum ist mitnichten nur Tristesse. Und im Ruhrstadion mitten in der Stadt spielt der landesweit bekannte VfL Bochum, von dem Grönemeyer 1984 sang: »Machst mit ’nem Doppelpass jeden Gegner nass.« Das waren noch Zeiten …

Heutzutage sind die 27.599 Plätze nur selten ausgelastet. Die Fans sagen oft, dass das daher kommt, dass Bochum geografisch zwischen Dortmund und Gelsenkirchen, also Schalke, liegt. Die Vereinsfarben des VfL sind Blau und Weiß, wie die von Schalke. Fußballerisch betrachtet haben die Bochumer nicht das Niveau von Schalke, dafür hat der VfL etwas anderes, irgendwie Familiäres. Ich komme ja aus Dortmund, trotzdem habe ich mir früher mit meinem Vater nicht die Spiele des BVB angeschaut, nein, wir sind immer zur Castroper Straße gefahren, eine Vereinsfahne für zehn Mark in der Hand. Ja, auch als HSV-Fan sympathisierte ich mit dem VfL und drückte den Malochern – so nennt man die Arbeiter im Ruhrgebiet – in kurzen Hosen die Daumen. Profis wie Dieter Bast, Heinz Knüwe, Jupp Tenhagen, Jochen Abel, später Christian Schreier, die haben mir gefallen. Das waren Spieler, die standen stellvertretend für diesen »Malocher-Fußball«.

Mir hat ihr unbedingter Wille, gewinnen zu wollen, immer imponiert. Obwohl Bochum quasi in jedem Spiel Außenseiter war, kämpften diese Typen im Ruhrstadion um jeden Grashalm. Ich kann mich noch daran erinnern, wie in der Halbzeit immer Plastikbälle ins Publikum geschossen wurden. Auch ich kam nicht selten mit so einem Ball nach Hause.

Hinter dem Bochumer Polizeipräsidium erhebt sich der imposante Förderturm des Bergbau-Museums. Dabei handelt es sich um ein echtes Industriedenkmal, 1973 kam der Turm nach Bochum, zuvor stand er in Dortmund-Marten in der Zeche Germania, wo mein Opa als Bergmann gearbeitet hat. Er ist wie Tausende seiner Kollegen Tag für Tag über 1.000 Meter tief unter die Erde eingefahren, um das schwarze Gold ans Tageslicht zu bringen: die Kohle. Er hat damit zum Wohlstand unseres Landes beigetragen. Kohle ist auch deshalb im Ruhrgebiet ein Synonym für Geld. Wenn ich also aus meinem Büro auf den grünen Zechenriesen des Bergbau-Museums schaue, blicke ich auch auf meine Familiengeschichte – und bin gedanklich mit meinem verstorbenen Großvater verbunden.

Seit 2001 bin ich Mitglied des Kriminalkommissariats 21 in Bochum. Unsere Aufgabe: Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. In unserem Polizeipräsidium arbeiten insgesamt 1.923 Beschäftigte. Davon 1.343 Männer und 580 Frauen. (Stand Herbst 2019). In ganz Nordrhein-Westfalen gibt es insgesamt 47 Kreispolizeibehörden und drei Landesbehörden mit ca. 50.000 Beschäftigten und mehr als 42.000 Polizeibeamten.4

Die Aufgaben unserer Organisationseinheit sind Ermittlungen von Strukturen in kriminellen Netzwerken. Im Gegensatz zu anderen Kommissariaten, die einen konkreten Straftäter ermitteln, versuchen wir das gesamte Netzwerk hinter einer Tat zu erhellen und letztendlich natürlich auch zu zerschlagen. Deshalb dauern Verfahren, die der Organisierten Kriminalität zugeschrieben werden, auch entsprechend lange, bis sie schließlich beendet werden. In fast jedem OK-Ermittlungsverfahren gibt es Bezüge ins Ausland, manchmal »nur« ins europäische Ausland, mitunter aber auch weltweite Bezüge der zu ermittelnden Täterstrukturen.

Im Vergleich zur herkömmlichen Polizeiarbeit besteht unsere Arbeit darin, dass diese von einer vielköpfigen Ermittlungseinheit durchgeführt wird, also nicht durch einen einzigen Polizisten. Schließlich sind die Aufgabenbereiche so umfangreich und anspruchsvoll, dass man am Anfang einer Ermittlung womöglich selbst noch Laie in der Bewältigung des aktuellen kriminalistischen Phänomens ist.

Vor jedem Verfahren muss sich die Dienststelle für einen Namen des Verfahrens entscheiden. Sonderkommission »Flankengott« klingt natürlich nach Fußball. Die Herkunft des Namens hatte aber rein gar nichts mit Fußball zu tun. Der damalige Staatsanwalt Andreas Bachmann ist begeisterter Pferdeliebhaber. Und eines seiner Pferde hieß eben Flankengott. Wenn das kein passender Name für ein Fußballverfahren ist, dann weiß ich auch nicht.

Die Welt der Sportwetten war für mich persönlich, bis zum Verfahren, komplett unbekannt. In meiner Kindheit hatte ich höchstens mal um eine imaginäre Kiste Apfelsinen beim Elfmeterschießen gewettet. Aber auf einmal war dieses Thema präsent. Plötzlich ging es um Matchfixing! Um was? Um Spielmanipulationen und Wettbetrug im Fußball!

Doch der Reihe nach. Es begann im November 2008 mit einem normalen Ermittlungsverfahren im Drogen- und Rotlichtmilieu im Ruhrgebiet.

Herr eines Ermittlungsverfahrens ist die Staatsanwaltschaft, sie ist quasi der Boss. Der damalige Dienststellenleiter des Kriminalkommissariats 21 und Erster Hauptkommissar war Friedhelm Althans. Obwohl jedes Verfahren irgendwo seine Besonderheiten aufweist, deutete zunächst nichts auf etwas Ungewöhnliches bei der Bearbeitung hin. Tatverdächtige, Absprachen am Telefon und dieselben Vorgehensweisen bei der Begehung der Delikte wie in den meisten Ermittlungen auch. Die strukturelle Arbeitsaufteilung im Kommissariat war bei uns wie immer: Es gab einen Verfahrensführer, der für die Koordination der Ermittlungen verantwortlich war, dann mindestens einen Aktenführer, der sich um die Struktur der Ermittlungsakten kümmerte, und parallel die Ermittler, von denen jeder eigentlich in jedem Bereich eingesetzt werden sollte: Bearbeitung von Telefonüberwachungen, Observationen, Recherchen, Auswertungen und Zusammentragen der Ermittlungsergebnisse, Schreiben von Ermittlungsberichten, später dann die Durchführung von Durchsuchungen und Festnahmen, Vernehmungen. Und zuletzt sollte man auch in der Lage sein, als Zeuge die kompletten und komplexen Ermittlungsergebnisse vor Gericht zu präsentieren.

Bei einem zeitlich lang angelegten Verfahren erlebt man als Ermittler eine Besonderheit: Man taucht immer tiefer in die kriminellen Strukturen ein. Man lebt quasi in so einem Verfahren. Es ist wie eine Geschichte, wie ein virtuelles Buch, das man liest. Nur kann man sich davon nicht passiv berieseln lassen, sondern greift ständig in irgendeiner Form in die Handlung ein. Man steuert sogar zum Teil die Handlung, indem man bestimmte polizeiliche Maßnahmen ergreift, die den Täter zu einer bestimmten Handlung bewegen sollen.

Ich war einer von 20 Ermittlern. Meine Aufgabe war es, die gerade beschriebenen Ermittlungstätigkeiten durchzuführen. Bei der Soko Flankengott gab es keine festen Arbeitszeiten. Der normale Dienst beginnt um 6.30 Uhr und endet um 15.30 Uhr. Allerdings ist es in einem laufenden OK-Verfahren anders: Wir mussten uns nach den Tätern richten. So mussten zum Beispiel die Telefonüberwachungen dauerhaft betreut werden, um wichtige Informationen zu kriminellen Aktivitäten zu erhalten. Wir waren quasi ständig im Einsatz. Natürlich nicht immer mit der kompletten Dienststelle, doch Teile des Teams waren jederzeit präsent, stets mit dem Ziel, die Tatverdächtigen irgendwann dingfest zu machen.

Wir hatten es mit einer Tätergruppierung zu tun, die wir dem Rotlicht- und Drogenbereich zuordnen konnten. Doch anders als sonst stellten wir fest, dass die Verdächtigen ungewöhnlich hohe Geldsummen, teilweise sechs- und sogar siebenstellige Beträge, auf Fußballspiele wetteten. Auch ihre Gesprächspartner unterschieden sich zum Teil von den bislang gewohnten Tatverdächtigen, wie wir bei unserer Telefonüberwachung feststellten. Es tauchten plötzlich professionelle und zum Teil sehr bekannte Fußballspieler, Trainer und Verantwortliche von Fußballvereinen auf. Das war außergewöhnlich. In den ersten Wochen der Ermittlungen konnten wir uns das überhaupt nicht erklären. Ich dachte mir: Was passiert denn da? Meinen die jetzt das, was wir hören? Das kann doch nicht wahr sein! Wir waren schockiert, entsetzt – aber irgendwie auch neugierig, ob das, was wir da hörten, wirklich real war. Zumal das Täternetzwerk offenbar persönliche Beziehungen zu in Deutschland bekannten Fußballspielern bis hin zur 2. Bundesliga, pflegte. Selbst ehemalige Bundesligaspieler waren Kontaktleute der Kriminellen.

Die abgehörten Verdächtigen besprachen gemeinsame Wettsetzungen, unterhielten sich über Treffpunkte und besprachen etliche Fußballspiele, die bewettet werden sollten. Obwohl wir in unserem ursprünglichen Deliktsbereich (Drogen- und Rotlichtmilieu) schon genug Informationen gesammelt hatten, um Straftaten nachweisen zu können, entschieden wir uns, diese ungewöhnliche Spur im Auge zu behalten und weiter zu verfolgen. Es gab Bankkonten und Geldbewegungen in Deutschland, Österreich, Kroatien, England, Hongkong, Shanghai und auf Malta. Irgendetwas war faul an der Sache. Das spürte man. Ich darf behaupten, dass wir von diesem Zeitpunkt an gearbeitet haben wie die Irren. Mit dem jetzigen Wissen und nach über zehn Jahren kann ich sagen, dass im Nachhinein unsere Hartnäckigkeit und Neugier zu den späteren Ermittlungserfolgen geführt haben. In diesem Deliktsbereich war alles neu – und rückblickend hatten wir das nötige Quäntchen Glück, dass wir genau die Personen aus dem Drogen- und Rotlichtbereich überwacht hatten, die Kontakte zu den Führungsleuten des kriminellen Netzwerks im Bereich Wettbetrug pflegten.

Organisierte Kriminalität setzt ein bestimmtes Niveau an handelnden Tätern voraus. Es gibt klare Merkmale wie zum Beispiel Machtstreben, planmäßige Begehung der Tat, Anwendung von Gewalt zur Einschüchterung, und die Taten müssen von erheblicher Bedeutung sein. Dabei spielt aber auch ein gut verzweigtes Netzwerk mit Kontakten, die oft bis in die höchsten gesellschaftlichen Schichten reichen, eine wichtige Rolle und ist Merkmal der OK. Es geht dabei um die Einflussnahme und Ausnutzung bestehender Kontakte in die Politik, in die Wirtschaft, in die Medien und auch bis hin zu Ermittlungsbehörden. Somit ist es in einem OK-Verfahren immer schwierig, Informationen zu steuern oder zu erlangen, denn man muss sehr bedacht sein, mit wem man die gewonnenen Erkenntnisse teilt oder wer die Quelle einer Information ist.

 

Wir stellten nach mehreren Wochen der Ermittlungsarbeit fest, dass »unser« kriminelles Netzwerk intensive Kontakte zu Fußballspielern pflegte. Zunächst war es so, dass sich die Kontakte zu Spielern und Trainern auf Deutschland beschränkten. Die Täter und die Sportler benutzten oft Wortschöpfungen, die für uns erst völlig unverständlich waren. Dabei fielen Begriffe wie »Asien over«, »under 2«, »over 3« oder »Handicap«. Es mussten Fachbegriffe aus der Welt der Sportwetten sein, so viel war klar. Gewettet wurde bei Anbietern wie HappyBet, Ambassador, Pegasus, Topsport, Tipico, bet-at-home oder Bet3000. Über den in London ansässigen Wettvermittler Samvo wurden Wetten auf dem asiatischen Wettmarkt platziert.

Die Geldsummen, die gesetzt wurden, waren unglaublich. Es wurde mit Geld in dieser Szene nur so um sich geschmissen. Man nannte beispielsweise drei Fußballbegegnungen mit dem Hinweis, das letzte Spiel als »Bank« zu nehmen und zugleich eine »Asia-Wette« zu platzieren. Dafür wollte einer der Tatverdächtigen 120.000 Euro investieren. Ein Spiel als »Bank« zu nehmen, bedeutet, dass man zusätzlich zu den manipulierten Spielen auch auf nicht manipulierte Spiele wettet. »Bank«-Spiele sind Partien, wo ein hoher Favorit gegen einen Außenseiter spielt und man von einem Sieg des Favoriten ausgehen kann. Der Vorteil bei diesen sogenannten Kombinationswetten ist, dass die Wettquoten addiert werden und damit der Wettgewinn höher ist.

Für die jeweiligen Gesprächspartner waren sowohl die Summen als auch die Begrifflichkeiten völlig normal. Das wurde wie selbstverständlich abgehandelt. Wir hatten es allerdings mit Typen zu tun, die vom Werdegang und vom sozialen Status nicht mal über 1.000 Euro verfügen durften. Es war also klar, da musste etwas im Verborgenen dahinterstecken: Geldgeber, eine Geldquelle, lukrative kriminelle Aktivitäten.

Das Platzieren von Wetten mit einem hohen monetären Volumen war quasi an der Tagesordnung. Hier wurden mal 5.000 Euro gesetzt, da noch mal 30.000 Euro. Wenn ein Mafiaboss solche Wetten abschließt, kann man das nachvollziehen. Wenn aber ein Hartz IV-Empfänger 35.000 Euro setzt, ist das eigentlich unvorstellbar. Zwar hatten wir es mit Kriminellen zu tun – auch mit OK-Tätern –, aber bezogen auf die Wettsetzungen beziehungsweise die Übergabe von Geldern für das Platzieren einer Wette waren diese hohen Summen für uns neu und somit außergewöhnlich.

»Ich bekomme noch 175.000 Euro von dir!« – »Ja, aber du kannst 80.000 auf einen Deckel schreiben, 30.000 bekomme ich noch für den Torwart und den Rest verrechnen wir mit den kommenden zwei Spielen.« – »Alles klar!«

Alles klar?

Gar nichts war klar. Wo, zum Teufel, kam das Geld her? Wie konnte man so viel Geld auf Fußballspiele platzieren und dabei sicher sein, dass man gewinnt? Wie minimierten die ihr Risiko? Denn Risikominimierung wird von jedem Tätertyp angestrebt, selbst vom Kleinganoven.

Die bewetteten Fußballspiele waren nicht alles Top-Begegnungen aus den höchsten Fußball-Ligen Europas. Ganz im Gegenteil. Offenbar mussten die Ganoven einen solchen Fußballsachverstand haben, dass es für sie kein Problem war, auf unterklassige Partien in diversen Ländern zu wetten. Die 2. Bundesliga, die 3. Liga, die Regionalliga in Deutschland. 1. Liga Österreich, Schweiz, Ungarn, diverse Ligen in Belgien, Finnland, Schweden, Norwegen, später auch Dänemark. Auf ein Spiel der zweiten italienischen Liga (Serie B) wurden beispielsweise im Dezember 2010 6,7 Millionen Euro gewettet. Da sieht man die Dimension. Für uns stellte sich der Sachverhalt dar, als sei es Monopoly: Spielgeld, das da jeden Tag über den Tisch ging.

Dass »unsere Kunden« dann doch nicht so gut Bescheid wussten, offenbarten einige Kleinigkeiten der Telefonüberwachung. Beispielsweise wollte ein Ganove dem anderen mitteilen, dass er 100.000 Euro auf eine Partie der ersten dänischen Liga platzieren sollte. Der Empfänger der Nachricht hatte die Vereinsnamen noch nie zuvor gehört. Das Gespräch endete schließlich damit, dass der Anrufer nach unzähligen vergeblichen Versuchen seinem Gesprächspartner sagte: »Besorg’ dir jetzt endlich die Wettzeitschrift und ruf’ wieder an.« Es musste also etwas anderes dahinterstecken, zumindest kein außergewöhnlicher (Fußball-)Sachverstand.

Irgendwann wurden nicht mehr die Vereinsnamen durchgegeben, sondern nur noch die Nummern der Begegnungen: »Dänemark, Spiel 1, Finnland, Spiel 4.« Manchmal reichten auch die geografischen Kenntnisse der Gesprächspartner nicht aus, um zu wissen, dass beispielsweise Vestsjælland in Dänemark und Stabæk in Norwegen liegt. Es waren also keine hochkompetenten Fußballexperten am Werk, es ging um lukrative kriminelle Geschäfte. Die Täter setzten solche Summen, weil sie sich sicher waren, dass ihre Wetten Erfolg haben würden. Weil sie Einfluss auf die Protagonisten auf dem Fußballplatz genommen hatten.

Das kriminelle System war brillant durchstrukturiert, und die handelnden Personen waren die, die sich bisher in der Drogenkriminalität aufgehalten hatten. Und jetzt also auch Glücksspiel. Sie hatten ihr kriminelles Handeln letztendlich erweitert. Während einige dafür zuständig waren, mit den »manipulationswilligen« Fußballprofis Kontakt aufzunehmen und die Bestechungssummen zu bezahlen, setzten andere die Wetten beziehungsweise gaben Tipps an Mittäter weiter, damit diese erfolgreich Wetten platzieren konnten. Andere wiederum eröffneten unter ihrem Namen Wett- oder Girokonten zur Verschleierung der Finanzgeschäfte der wahren Hintermänner. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung Ende Dezember 2009 richteten sich unsere Ermittlungen gegen 516 betroffene Personen und 312 manipulationsverdächtige Fußballspiele.

Die Kriminellen wetteten aber nicht nur auf manipulierte Spiele, sondern bewetteten auch nicht-manipulierte Spiele als »Bank«. Das erschwerte unsere Arbeit erheblich. Welches Spiel war nun also manipuliert und welches nicht? Zusätzlich wurde unsere Ermittlungsarbeit noch komplizierter, weil sich die Täter auch untereinander betrogen. Sie spielten sich gegenseitig vermeintlich manipulierte Spiele zu, von denen eine Seite aber wusste, dass sie gar nicht manipuliert waren. Sie nannten ihrem Mittäter einen angeblich manipulationswilligen Spieler, obwohl sie wussten, dass dieser Spieler überhaupt nichts mit Manipulationen zu tun hatte. Warum? Weil sie geldgierig waren! Sie suggerierten ihrem Kompagnon, dass er sich an den Bestechungskosten einer Manipulation, die gar nicht vorlag, beteiligen müsse. Und das tat dieser dann auch, ohne groß nachzufragen. Denn die Aussicht auf illegale Wettgewinne verblendet irgendwann. Und somit hatten die Täter wieder Geld zur Verfügung für andere Wetten und Manipulationen, ohne dafür eine Gegenleistung liefern zu müssen. Weil eine Manipulation nicht immer von »Erfolg« gekrönt ist, gab es im Anschluss keinen Sachbeweis für denjenigen, der sich »blind« an den Zahlungen beteiligt hatte. Es war leicht verdientes Geld unter Ganoven.

Ich schildere diese Betrügereien unter Betrügern, um aufzuzeigen, welchen Problemen wir als Ermittler gegenüberstanden. Wir mussten quasi jedes Wort überprüfen, ob es der Wahrheit entsprach oder nicht. Denn es stand eine Menge auf dem Spiel. Bewerteten wir einen Fußballspieler falsch oder eine Mannschaft, die in diesem kriminellen Netzwerk auftauchte, und wurde dann dieser Spieler oder Verein mit Betrug in Verbindung gebracht, obwohl überhaupt keine strafbare Handlung vorlag, konnten wir eine Karriere und vielleicht sogar ein Leben(-swerk) zerstören. Denn leider kommt es immer wieder vor, dass unsere Akten beziehungsweise Ermittlungsergebnisse in die Hände Dritter und schließlich an die Öffentlichkeit gelangen, doch darauf werde ich später noch zurückkommen.

Für die Ermittlungsarbeit war besonders schwierig zu beurteilen, ob Spieler, deren Namen zum Beispiel in den Abhörprotokollen auftauchen, in Manipulationen verwickelt waren oder nicht. Und wie geht man dann weiter vor? Müssen möglicherweise Unschuldige plötzlich polizeiliche Maßnahmen über sich ergehen lassen, nur weil irgendwelche Kriminellen ihre Namen einfach wegen ihres Bekanntheitsgrades für sich ausnutzen? Um sich vor ihren Mittätern damit zu brüsten, dass sie Kontakte zu bekannten Fußballprofis haben? Und leider kam es so, wie es kommen musste: Ich erlebte durch die Telefonüberwachung, wie ein ehemaliger Bundesligatorhüter vom kriminellen Netzwerk als »manipulationswillig« bezeichnet wurde. Angeblich sollte der Torwart 50.000 Euro vom kriminellen Netzwerk für eine Manipulation erhalten. Die Geschichte wurde so glaubwürdig am Telefon erzählt, dass wir tatsächlich davon ausgehen mussten, dass dieser Torhüter in den Fängen der Betrüger steckte beziehungsweise mit ihnen gemeinsame Sache machte. Später vernahm ich den Fußballspieler zu diesen Vorwürfen und ich spielte ihm die Telefonüberwachungsgespräche vor. Er war fassungslos, fiel aus allen Wolken und stritt jede Tatbeteiligung völlig zu Recht ab. Aber auch für ihn waren die Schilderungen der Kriminellen glaubhaft, und er selbst konnte daher absolut nachvollziehen, dass er im polizeilichen Fokus stand.

Das Problem an so einem Fall ist nicht nur die Tatsache, dass die Polizei aufgrund eines Anfangsverdachts gegen jemanden ermitteln muss, der überhaupt keine Straftat begangen hat. Sollte darüber hinaus die Presse davon erfahren und darüber auch berichten, hat der Sportler so gut wie keine Chance. Er wird in den Medien mit Bestechung und Wettskandal in Verbindung gebracht, doch später liest niemand mehr, dass die Vorwürfe nicht haltbar waren oder sogar gänzlich unbegründet.

Natürlich darf und werde ich an dieser Stelle nicht über polizeitaktische Maßnahmen berichten. Aber ich kann durchaus erwähnen, dass dieser schmale Grat zwischen Schutz und Geheimhaltung des verdeckten Verfahrens und der Brisanz, dass Dinge an die Öffentlichkeit gelangen könnten, weil der »große Fußball« im Mittelpunkt der Ermittlungen stand und deshalb an irgendeiner Stelle Dinge nach außen getragen werden könnten, eine extreme Belastung für unsere Dienststelle war. Wir mussten wirklich akribisch darauf achten: Mit wem redet man? Wie kann man sich so diskret wie möglich von außerhalb seriöse Informationen beschaffen? Und wer ist überhaupt vertrauenswürdig?

Es ist die Sensationsgier, die mehr oder weniger in jedem von uns steckt. Ein Problem, das es natürlich auch bei der Polizei gibt. Ermittlungen gegen einen bekannten Bundesligatrainer können auch bei Ermittlungsbehörden verbotenerweise weitergetragen werden. Man selbst wertet sich auf, weil man über Insiderwissen verfügt. So gelangen solche Informationen schnell an Dritte, die davon nichts wissen sollten und erst recht nichts wissen dürfen.

Natürlich ist jedem Polizisten bewusst, was er tun darf und was nicht. Jeder Polizist weiß auch, dass solche Informationen nicht weitergegeben werden dürfen. Aber Polizisten sind nicht unfehlbar, deshalb bedeutet das für OK-Ermittlungen: Hier ist eine besondere Geheimhaltung zwingend erforderlich, also sucht man sich die Gesprächspartner vorher sehr gut aus.

Nach einem halben Jahr Ermittlungsarbeit hatte sich das kriminelle Netzwerk der Wettbetrüger über die deutsche Landesgrenze hinaus ausgeweitet: Belgien, Österreich, Schweiz, Großbritannien, Finnland, Schweden, Norwegen, Ungarn. Jeden Tag ergaben sich neue verdächtige Spiele. Jeden Tag neue verdächtige Fußballspieler, Trainer, Schiedsrichter, Funktionäre. Wohin sollte das führen? Ich hatte das Gefühl, dass der gesamte Fußball verseucht war. Nach wie vor schaute ich mir privat als Fußballfan die Übertragungen im TV oder im Stadion an. Aber ich muss zugeben, dass ich dabei zwangsläufig gleichzeitig an die überwachten Telefongespräche der Kriminellen und an den Sachstand unserer Ermittlungen denken musste. Eine groteske Situation. Waren die Spiele, die ich mir jetzt privat anschaute, auch manipuliert? Warum eigentlich nicht? Jede Fehlentscheidung des Schiedsrichters auf dem Platz brachte mich ins Grübeln. Ich begann, meinen geliebten Fußball mit ganz anderen Augen wahrzunehmen. Nach der Übertragung eines Spiels ging ich ins Bett, um am nächsten Morgen auf der Dienststelle wieder die Kopfhörer aufzusetzen und in die Welt der Wettbetrüger einzutauchen. Es schien alles so einfach zu sein, ein Kinderspiel. Spieler A bekommt 10.000 Euro, um im nächsten Spiel einen Elfmeter zu verursachen. Spieler B traf sich mit Täter C auf dem Rastplatz, bekam Bestechungsgeld und versprach dafür zu sorgen, dass sein Verein im nächsten Spiel mindestens zwei Gegentore kassiert.

 

Polizei in Budapest In diesem Gebäude fanden mehrere Vernehmungen durch mich mit einem der weltweit größten bekannten Matchfixer statt. Unterstützt wurden wir bei den Arbeiten in Ungarn durch Europol.

Was für mich Monate zuvor noch undenkbar gewesen wäre, war plötzlich krimineller Alltag. Und die Dimensionen nahmen zu. Wir waren jetzt so weit vorgedrungen, dass wir mitbekamen, dass ganze Fußballvereine von Kriminellen infiltriert und gesteuert wurden. Fußballprofis, der Trainer und sogar der Vereinspräsident eines damaligen UEFA-Cup- (heute Europa League-) Teilnehmers nahmen Gelder für Manipulationen an. Sportlicher Ehrgeiz? Fehlanzeige! Die Geldgier war mehr wert als ein sauberer 1:0-Sieg. Nein, das waren keine Thekenmannschaften aus einem Großstadtvorort, die es nicht so genau nahmen und ein bisschen aus Spaß an der Freude schummelten, damit alle etwas davon haben. Die Wettpaten fanden in professionellen Fußballklubs Gehör an oberster Stelle.

Innerhalb der Soko Flankengott wurde jeden Tag geschuftet, sieben Tage in der Woche. Wir waren jeden Tag im Einsatz, jedes Wochenende war verplant. Das ist in einer großen Sonderkommission grundsätzlich so. Allerdings kamen in diesem speziellen Fall noch rechtliche Entscheidungen auf uns zu, mit denen eine Ermittlungsbehörde nicht täglich konfrontiert ist. Weil das Ausmaß dieser Kriminalität inzwischen auch viele andere Länder berührte, mussten wir mit verschiedenen ausländischen Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten: in Österreich, Kroatien oder Griechenland, um nur einige zu nennen. Wenn beispielsweise ein Drogenkurier Betäubungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland schmuggelt und dabei erwischt wird, arbeitet man so gut es geht mit niederländischen Behörden zusammen. Das ist für uns Alltag. Aber was macht man, wenn zehn Länder gleichzeitig betroffen sind und in jedem dieser Länder andere Gesetze gelten? Es ging also um eine internationale Zusammenarbeit, die sehr oft der Rechtshilfe bedurfte. Rechtshilfe bedeutet, vereinfacht gesagt, die Unterstützung in Strafsachen auf internationaler Ebene. In der Realität ist es ein langatmiger Prozess, der mitunter schon mal mehrere Wochen dauern kann.

Wenn ich also ermittlungsrelevante Informationen aus einem anderen Land benötige, schreibe ich ein entsprechendes Ersuchen an die Staatsanwaltschaft in Deutschland – für mich ist es die Staatsanwaltschaft Bochum –, und von dort wird die Staatsanwaltschaft in dem entsprechenden Land informiert und um die benötigten Informationen gebeten. Zusätzlich zur Rechtshilfe gibt es den Weg des internationalen polizeilichen Informationsaustausches. Über diesen Weg kann ich sogar schnell und einfach an die benötigten Informationen kommen, allerdings mit einem Haken: Ich darf sie erst in meinem Ermittlungsverfahren offiziell verwenden, wenn mir die ausländische Justiz über den oben beschriebenen Weg von Staatsanwaltschaft zu Staatsanwaltschaft die Erlaubnis zur Verwertung der Informationen gegeben hat.

Aber was sollten wir tun, als wir in der Soko Flankengott permanent Informationen erhielten, die auch alle ins Ausland führten? Da war es quasi unmöglich, für jede Information ein neues Rechtshilfeersuchen zu stellen. Bis die jeweiligen bewilligten Antworten aus dem Ausland bei uns eingetroffen wären, hätte sich schon die Hälfte der Soko in Pension befunden. Also ein völlig untauglicher Versuch, mit dem Ausland zusammenzuarbeiten. Eine weitere Hürde sind die unterschiedlichen Gesetze in Europa. Wenn das deutsche Gesetz für eine bestimmte Straftat als polizeiliche Maßnahme die Telefonüberwachung erlaubt, was in einem anderen europäischen Land jedoch rechtlich nicht bewilligt wird, dann ist es natürlich sehr schwer, an die benötigten Informationen zu kommen. Das Gleiche gilt auch für alle anderen polizeilichen Maßnahmen. Beispiel: Ich bitte die Polizei in Norwegen oder Griechenland, für die Erhellung unseres (deutschen) Sachverhaltes Observationsmaßnahmen zu ergreifen. Doch das norwegische oder griechische Recht sieht überhaupt keine Möglichkeit vor, in einem solchen Fall zu observieren. Was dann? Dann muss ich auf diese Informationen verzichten und somit möglicherweise auf die Aufklärung eines Verbrechens. Oder man findet andere rechtliche Wege, um dennoch an die benötigten Hinweise zu kommen.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass wir, was die internationale Strafverfolgung angeht, Lichtjahre von einem vereinten Europa entfernt sind. Viele Entscheidungen im polizeilichen Bereich sind nicht an Recht und Gesetz geknüpft, sondern hängen auch immer von der Motivation derjenigen ab, die diese Vorgänge auf dem Schreibtisch haben. Wenn der Staatsanwalt in Italien oder Großbritannien zunächst mal andere Dinge erledigt, aus welchen Gründen auch immer, dann müssen wir eben warten. Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass der Grund für eine träge europäische Zusammenarbeit nicht nur an der Masse der eingehenden Rechtshilfeersuchen scheitert, sondern auch schlicht und einfach an der Faulheit der Sachbearbeiter. Das heißt: Die Kriminellen machen lustig weiter – und uns sind die Hände gebunden.

Ein Beispiel: Seit etwa zehn Jahren warte ich auf die Antwort einer europäischen Polizeidienststelle, die ich um Informationen zu einem Sachverhalt im Rahmen der Ermittlungen der Soko Flankengott angeschrieben hatte. Bis zum heutigen Tag gibt es keine Antwort auf mein Ersuchen. Wie haben wir also trotz aller (europäischen) Widrigkeiten die Hindernisse überwunden? Unsere täglichen Dienstbesprechungen befassten sich auch immer mit der Lösung von rechtlichen Problemen. Zudem informierten wir uns bei Fachleuten wie zum Beispiel Eurojust. Dabei handelt es sich um eine Justizbehörde der Europäischen Union.

Was ist Eurojust?

Die Behörde unterstützt die justizielle Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden bei der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer organisierter Kriminalität, die mehr als ein EU-Land betrifft, durch folgende Maßnahmen:

• Koordinierung von Ermittlungen und Verfolgungen, an denen mindestens zwei Länder beteiligt sind.

• Unterstützung bei Kompetenzkonflikten.

• Festlegung und Umsetzung EU-weiter Rechtsmittel, zum Beispiel durch europäische Haftbefehle oder Beschlagnahmung und Entscheidung über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen.

Zu diesem Zweck organisiert Eurojust Koordinierungssitzungen, finanziert und liefert Fachkenntnisse für gemeinsame Ermittlungsgruppen und richtet Koordinierungszentren ein.

Die Struktur: Das politische Gremium von Eurojust (»Kollegium«) setzt sich aus je einem hochrangigen Staatsanwalt oder Richter aus jedem EU-Land zusammen. Jeder dieser Vertreter ist für sein nationales Verbindungsbüro zuständig.

www.eurojust.europa.eu

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