New Order, Joy Division und ich

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Ein paar Jahre später legte sich auch Peter Hook einen Motorroller zu und wir hingen mit anderen Gleichgesinnten ab. Wir flitzten durch Salford und Umgebung. Der geringste Vorwand genügte der Polizei, um uns anzuhalten. Sie versuchten dann, Informationen über hiesige Kriminelle aus uns herauszuquetschen, aber selbst wenn wir etwas wussten, verpfiffen wir nie wen.

Ungefähr zu dieser Zeit begannen wir, zu Konzerten zu gehen. Die treibende Kraft dahinter war in erster Linie Terry Mason, ein weiterer Freund aus der letzten Bankreihe in der Schule, der sowohl in der Story von Joy Division als auch in jener von New Order eine gewisse Rolle spielen sollte. Terry war wie wir alle ein Sonderling. Er war in Ordnung, ein ziemlich harmloser Charakter und in nichts besonders herausragend. Deshalb versuchten wir stets, ihn auf irgendeine Weise einzubinden, in der Hoffnung, vielleicht auf etwas zu stoßen, in dem er vielleicht doch einigermaßen gut war. Wir versuchten es etwa in den ganz frühen Tagen von Joy Division mit ihm als Schlagzeuger. Seine Mum hatte ihm ein Schlagzeug gekauft, aber leider war es so ziemlich das schlechteste auf dem ganzen Planeten – die Stützen waren so dünn wie Stricknadeln und das Ding bewegte sich von ihm weg, während er darauf spielte. Als er sich da so auf seinem Hocker nach vorn streckte, um die Trommeln zu erreichen, wirkte er mehr wie ein Wasserskifahrer als wie ein Drummer. Es war der Sache natürlich auch nicht besonders zuträglich, dass er ein richtig schlechter Schlagzeuger war – sogar im Kontext einer Punkband. Er hatte überhaupt kein Rhythmusgefühl und machte einfach nur einen fürchterlichen Radau. Terry sah wie eine Mischung aus dem Gestapo-Typen aus Jäger des verlorenen Schatzes und Alan Carr, dem Comedian, aus. Ich hielt ihn für einen witzigen Kerl. Obwohl seine Scherze ziemlich abstoßend waren, musste man einfach lachen. Damals war er jedoch in Bezug auf Konzerte ziemlich gut informiert, hauptsächlich weil er im Gegensatz zu uns die Musikpresse verfolgte. Er merkte sich Shows vor, die wir uns seiner Meinung nach nicht entgehen lassen sollten, und üblicherweise lag er damit goldrichtig.

Mitunter stellten sich die Konzert-Locations als Örtlichkeiten heraus, in die man ohne Studentenausweis nicht eingelassen wurde. Dann durften wir oft auch nicht rein, weil wir für Skinheads gehalten wurden – obwohl wir ja eigentlich Suedeheads waren. Die Studentenvertretung in der Oxford Street wies uns ab, weil wir nicht wie Hippies aussahen. Mit der Zeit frustrierte uns das, weil Bands damals nur an Unis und Colleges auftraten. Anscheinend wurden wir als Abschaum eingestuft und, nun ja, das waren wir wohl auch.

Eine Location, die uns reinließ, war die Lesser Free Trade Hall. Einer der ersten Gigs, an die ich mich erinnere, war ein Konzert von Lou Reed, der 1974 dort spielte. Ich war ein großer Fan von ihm und liebte seine Solo-Sachen. Ich war schon auf Transformer, seine Live-LP, Rock and Roll Animal und Berlin gestanden, bevor ich von Velvet Underground gehört hatte. Ich denke, dass es die Tour zu Sally Can’t Dance war, und ich hatte mich schon sehr darauf gefreut, ihn live sehen zu können. Seine Band kam auf die Bühne und begann mit „Sweet Jane“. Ich dachte mir in diesem Moment, wie toll es erst sein würde, wenn Lou gleich selbst auf die Bühne käme. Dann fing plötzlich dieser Zwerg mit blond gefärbten Haaren zu singen an. Das konnte doch nicht Lou Reed sein? Aber er war es.

Er war total von Sinnen – außer Rand und Band. Er zerschlug ein Mikrophon nach dem anderen. Aber es war ein fantastisches Konzert und das Publikum hatte auch so richtig Bock. Ich glaube, dass das auf eine gewisse Weise mein erster Punk-Gig war, nur wusste ich das da noch nicht. Die Band beendete ihr Set mit einer stürmischen Version von „Goodnight Ladies“ und machte sich dann vom Acker. Jeder erwartete noch eine Zugabe, aber die Bühne blieb leer und das Publikum wurde langsam unruhig. Ich stand neben einem Kerl, der wie ein Klon von Rod Stewart aussah. Er traf und durchschlug mit einer Bierflasche aus fast 500 Metern und unglaublicher Genauigkeit die Basstrommel auf der Bühne. Das war es dann. Pandämonium. Leute stürmten die Bühne und prügelten sich mit Roadies und Sicherheitskräften. Lou Reed sollte nie mehr nach Manchester zurückkehren – und alles nur wegen eines Typen mit zwielichtiger Haarpracht und unfassbarer Wurfgenauigkeit.

Hooky fuhr auf Deep Purple ab. Ich war nicht so überzeugt von ihnen, aber letztlich besorgten wir uns Konzertkarten, um eines ihrer Konzerte zu besuchen. Ich hatte einen schlimmen Zahnabszess und musste erst überredet werden. Es ist nie eine gute Idee, mit einem Zahnabszess auf ein Konzert zu gehen, aber noch schlimmer ist es, wenn eine Band spielt, die einem nichts gibt. Bei einem Song steigerte sich der Sänger in immer noch höhere Tonlagen – es war wohl „Child In Time“ – und mein Zahn pulsierte vor sich hin, als würde seine Stimme mir buchstäblich auf die Nerven gehen. Agonie. Im Publikum befanden sich zudem ziemlich viele Schwachköpfe. Ein nerviges Erlebnis.

Schließlich, als der Keyboarder gerade in einem schier endlosen Prog-Rock-Solo schwelgte und mein Zahn mich umzubringen drohte, kam ich zu dem Schluss, dass es hier echt beschissen und viel zu laut war. Als der Keyboarder inmitten seines nicht enden wollenden Solos schließlich begann, „I Do Like To Be Beside The Seaside“ einzubauen, als sei es eine witzige Randnotiz, konnte ich nicht mehr anders, als mich ordentlich selbst zu bemitleiden. Zuerst dachte ich mir noch, dass er eben einen Gag einbauen hatte wollen. Dann, wieder zehn Minuten später, spielte er noch die Titelmelodie von Coronation Street an. An diesem Punkt dachte ich mir: „Der will uns wohl verarschen, dieses Weichei aus dem Süden – ist bestimmt aus London!“ Es reichte. Ich ging hinaus. Schlussendlich spielten wir vor ein paar Jahren mit Deep Purple in Frankreich. Sie hatten ihre Solos mittlerweile stark eingeschränkt.

Santana in der Hardrock Hall in Stretford war ein weiteres denkwürdiges Konzert. Es fand im November 1972 statt und ich hatte noch nie zuvor so einen großen amerikanischen Act live gesehen. Ich liebte den Sound von Carlos Santanas Gitarre und hatte eine große Schwäche für seinen Spielstil, weshalb ich mich schon sehr auf diese Show gefreut hatte. Aber zu dieser Zeit war er schon in seiner jazzigen, metaphysischen Phase angelangt. Sein Album Caravanserai war gerade erst veröffentlicht worden. Er kam auf die Bühne und sprach: „Ich möchte gerne mit ein paar Augenblicken der Meditation beginnen.“ Meditation. Ausgerechnet in Stretford, südlich von Manchester. Er faltete seine Hände, senkte sein Haupt und stand einfach nur stumm da. Das kam selbstverständlich beim lokalen Publikum, das schon ein paar Pints Bier intus hatte, nicht sonderlich gut an. „Komm verdammt noch mal in die Gänge“ war noch der höflichste Zwischenruf, der die meditative Stille durchbrach.

Das Buxton Festival in den Hügeln von Derbyshire war auch so ein Event, das in Erinnerung blieb. Hooky, ich und ein paar andere Motorroller-Enthusiasten trafen vor Ort nämlich auf eine Horde Hells Angels. Wir waren uns sicher, in der Tinte zu stecken – schließlich war hier ein Haufen Kurzhaariger auf einer offensichtlichen Langhaarigen-Veranstaltung. Allerdings verlief dann alles reibungslos. Family spielten gerade, als wir eintrudelten, und ich war echt beeindruckt von ihnen, weil sie so wirkten, als ob sie völlig zugedröhnt wären. Ich dachte mir: „Das ist der absolute Hammer, die scheißen einfach drauf.“ Wishbone Ash – diese Architekten meines Dilemmas mit der Zulassungsplakette – standen auch auf dem Programm. Sie wurden sogar zu Headlinern befördert, weil Curved Air sich geweigert hatten auf die Bühne zu gehen, da es ihnen schlicht und ergreifend zu kalt war. Das Album, das mir nicht gefallen hatte, Argos, hatte sich als großer Erfolg für Wishbone Ash erwiesen, weshalb ich beschlossen hatte, ihnen noch eine Chance zu geben. Jedoch konnten sie mich auch diesmal nicht überzeugen.

Von dieser Nacht ist mir am meisten der spektakuläre Meteoritenschauer in Erinnerung geblieben. Da draußen in den Hügeln gab es keine Lichtverschmutzung und so hatten wir vielleicht den besten Ausblick im ganzen Land. Wir standen unter einem mit Sternen überflutetem Nachthimmel, über den ununterbrochen kleine Lichtflecken huschten und umgehend wieder verschwanden. Über das Soundsystem lief die Titelmelodie von Doctor Who, was das ganze Szenario ein bisschen schrullig wirken ließ. Ich war trotzdem schwer beeindruckt. Ich saß da, starrte mit offenem Mund nach oben und war komplett verzaubert. Vielleicht hört sich das ja ein wenig naiv an, aber ich war zuvor noch nie bei einem Festival gewesen, geschweige denn hatte ich jemals einen Meteoritenschauer miterlebt. Ich fand es einfach nur fantastisch.

Trotz all dieser kosmischen Feuerwerke, schlecht durchdachten Massenmeditations-Workshops und präzisen Flaschenwürfe gab es jedoch ein Konzerterlebnis, das alle anderen in den Schatten stellte. Es handelte sich um eine Show, die wahrscheinlich intensiver analysiert und verklärt wurde als irgendein anderes Konzert in der Musikgeschichte. Viele behaupten, dass dieser Auftritt in weiterer Folge alles veränderte.

Und ich war mit dabei.


An einem Tag im Frühsommer 1976 zeigte uns Terry Mason eine Ausgabe des New Musical Express und begann über eine Band, über die er darin gelesen hatte und die Sex Pistols hieß, zu schwärmen: „Sie prügeln sich ständig und sind andauernd dicht.“ Er ergänzte: „Sie klingen großartig, genau so, wie es uns gefällt.“ Er hatte auch in Erfahrung gebracht, dass sie am 4. Juni in der Lesser Free Trade Hall in Manchester spielen würden – Hooky, Terry, noch ein paar andere und ich wollten uns das nicht entgehen lassen. Es war nicht gerade gut besucht. Ich habe gehört, dass vielleicht 40 Leute da waren. Das Konzert sollte jedenfalls ein Meilenstein in der musikalischen Historie von Manchester werden, aber falls wirklich alle, die später behaupteten, dort gewesen zu sein, es tatsächlich gewesen wären, hätte womöglich sogar das Old-Trafford-Stadion noch zu wenig Fassungsvermögen für den Gig geboten.

 

Die Pistols befanden sich noch in ihren Anfangstagen. Ihr Durchbruch stand noch bevor und niemand in Manchester hatte wirklich eine Ahnung, wer sie überhaupt waren. Der Name allein klang allerdings schon verheißungsvoll und so drückten wir Malcolm McLaren, der an der Kasse saß, 50 Pence in die Hand und spazierten hinein, ohne wirklich zu wissen, was uns erwarten würde.

Es war ein Ereignis, das in die Geschichte eingehen sollte – nicht nur wegen des Konzerts an sich, sondern auch wegen all der Leute, die im Publikum standen: Mark E. Smith war da, Morrissey ebenso, Tony Wilson und Paul Morley auch. Organisiert hatten den Auftritt Pete Shelley und Howard Devoto von den Buzzcocks. Aber allzu sehr kümmerte es mich nicht, wer sonst noch da war, denn sobald die Band erst losgelegt hatte, war alles andere nebensächlich. Von dem Moment an, als sie auf die Bühne stolzierten, sich ihre Instrumente schnappten und „Did You No Wrong“ vom Stapel ließen, wusste ich, dass das hier anders war. Es war ihre Attitüde, die mich beeindruckte. Ihre Performance strotzte nur so vor lauter Boshaftigkeit. Es war pure Aggression kombiniert mit einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum, die fast schon an Verachtung grenzte. Es war wie nichts, das ich jemals zuvor gesehen hatte – vielleicht erinnerte es vage an Lou Reeds anarchischen Auftritt, mit Santanas Aufruf zur Meditation hatte dies hier allerdings nicht das Geringste gemeinsam. Das hier war etwas Besonderes.

Zum ersten Mal hatte ich bei einem Live-Konzert das Gefühl, mich wirklich mit den Leuten auf der Bühne identifizieren zu können. Wir hatten bereits seit Schulzeiten dieselbe Einstellung, dieses „Scheiß auf die Obrigkeit“, diese grundlegende Ablehnung gegenüber dem, was einem die ganze verdammte Zeit eingetrichtert wurde und wie man sich zu benehmen hätte. In der Schule waren es die Lehrer und nach der Schule war es die Anforderung, einem vorbestimmten Rollenbild in einer Gesellschaft, der ich mich nicht zugehörig fühlte, gerecht werden zu müssen. An jeder Straßenecke schienen ältere Menschen zu stehen, die uns daran erinnern wollten, wie beschissen wir doch seien. Dann kamen die Sex Pistols und gaben uns das Gefühl, dass wir es waren, die richtig lagen. Sie zeigten uns nicht nur das, sondern auch, dass wir überhaupt schon die ganze Zeit lang Recht gehabt hatten. Punk verlieh uns zum ersten Mal eine Stimme – und diese Stimme schrie dort direkt vor mir und aus voller Lunge. Es war eine Rechtfertigung für unsere Haltung und vermittelte uns gleichzeitig, dass wir doch etwas wert waren.

Um diese Nacht hat sich im Verlauf von über 30 Jahren, die seither vergangen sind, eine eigene Mythologie entwickelt. Rock’n’Roll hatte einst als etwas Rohes und Simples begonnen, aber zur Mitte der Siebzigerjahre war er vorrangig von Angebern geprägt. Bevor die Pistols und andere Punkbands auftauchten, schien Musik ein privater Club zu sein, zu dem in zunehmendem Maße nur mehr Virtuosen Zutritt erhielten. Ein großer Teil der damaligen Musik – wenn auch nicht alles – war abgehobener, selbstverliebter, aufgeblasener Blödsinn. Der Hauptschuldige hieß Prog-Rock – er schien die Musik gelähmt und unter einer dicken Schicht von Konzepten erstickt zu haben.

In den Sixties war ich noch sehr jung und hörte Bands wie die Stones, die Beatles, die Animals, die Kinks und viele andere mehr. Das waren Bands mit großartigen Songs und tollen Gitarrensounds. Für diese Bands war das große Ganze stets wichtiger gewesen als das Individuum, aber gegen Mitte der Siebzigerjahre hatte sich die Musik zu großen Teilen dem Pompösen zugewandt. Raffinesse wurde zum Kult überhöht: Bands wie etwa Emerson, Lake and Palmer und Yes produzierten unüberschaubare Konzeptalben, die so ziemlich das Gegenteil von dem waren, was mir an Musik gefiel. Punk und die Pistols schlugen höhnisch grinsend eine Schneise durch all die aufgeblasene Pompösität. Sie kreuzten genau zur richtigen Zeit auf und hatten die exakt richtige Gesinnung. Als wir da auf dem klebrigen Boden der Lesser Free Trade Hall standen und ein paar Jungs, die ein wenig wie wir selbst wirkten, aber eine wahre Flutwelle von Attitüde entfesselten, zusahen, erhielten wir die Bestätigung, dass wir nicht alleine waren. Es gab noch andere, die so fühlten, wie wir das taten. Ich muss es irgendwie geahnt haben, dass dies nicht bloß einfach ein Konzert wie jedes andere werden würde, denn ich hatte einen Kassettenrekorder bei mir, um es mitzuschneiden. Leider war die Aufnahme, als ich sie zuhause anhörte, völlig verzerrt, was an meinem beschissenen Rekorder gelegen haben könnte – oder daran, dass die Pistols nun mal so klangen. Egal, irgendetwas an dem Erlebnis fand Widerhall bei uns. Ob es nun eine völlig neue Offenbarung war oder einfach eine Saat, die schon zuvor in uns geschlummert hatte, zum Keimen gebracht wurde, lässt sich nur schwer sagen. Allerdings lässt sich nicht von der Hand weisen, dass in diesem Sommer etwas in der Luft lag – wir hatten die Witterung aufgenommen und folgten diesem feurigen, verschwitzten Aroma.

Manchmal habe ich trotzdem das Gefühl, dass die Leute ein bisschen mehr aus diesem Abend machen, als er tatsächlich war. Ich sehe das so: Zu dieser Zeit kam eine Bewegung namens Punk auf, die bei vielen Leuten einen Nerv traf – ganz so, wie das später auch auf Acid House zutreffen sollte. Wir gingen auf Punk-Gigs, weil sie eben gerade stattfanden. Später war es dasselbe mit Acid-House-Events. Es war eine tolle Erfahrung, gar keine Frage, und die Pistols sollten sich ja auch wirklich als einflussreich herausstellen. Der Umstand, dass gewisse Leute an diesem Abend im Publikum waren, die später selbst gewisse Dinge vollbrachten, macht natürlich eine gute Story daraus. Doch ist in späteren Jahren nicht der Bogen in puncto Reichweite dieses Konzerts von Leuten, die gar nicht dabei waren, ein wenig überspannt worden? Für mich war es jetzt nicht so, als hätte ein göttlicher Lichtstrahl direkt aus dem Himmel uns gestreift. Es war zweifellos sehr inspirierend – aber darin liegt ein subtiler Unterschied. Ich glaube, dass der Mythos, der sich um diesen Gig herum entwickelt hat, ein wenig geradegerückt werden muss. Punk war eine interessante, aufregende neue Bewegung, von der nur wenige Leute in Manchester durch die Musikpresse erfahren hatten, weshalb sich eben nur ein bestimmtes Publikum beim Konzert einfand. Ich hatte die Buzzcocks vor den Sex Pistols gesehen. Sie hatten ein paar tolle Lieder und waren ebenfalls einer unserer Einflüsse – und bloß weil um dieses eine Konzert der Pistols so ein Kult entstanden ist, sollte das nicht unerwähnt bleiben.

Meiner Meinung nach gelingt es manchen Leuten, einen gewissen Zeitgeist aufzuschnappen, den sie dann als Ventil für ihre eigene Kreativität oder Ausdrucksform zu nutzen wissen. Ich glaube nicht, dass dies bewusst geschieht. Es ist kein erlerntes Verhalten, sondern etwas anderes, eine Art Instinkt. Eine Person kann, um sich Wissen anzueignen, auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen. Zur Schule zu gehen, den Lehrern zuzuhören, alles mitzuschreiben, auswendig zu lernen, wäre etwa ein traditionelles Modell. Doch gibt es auch einen anderen Ansatz, der voraussetzt, dass man die Welt beobachtet und seine eigenen Schlüsse, basierend auf den eigenen Erfahrungen, zieht. Dabei absorbierst du die Dinge, die dir richtig erscheinen, und interpretierst sie, filterst sie durch deine eigene Wahrnehmung und lernst, wann und wie du deinen Instinkten vertrauen kannst. Genau so entdeckte und erforschte ich die Musik und suchte mir meine Einflüsse so aus, damit ich schließlich selbst Musik erschaffen konnte.

Punk rückte während des Sommers 1976 ins Zentrum unseres kulturellen Lebens. Uns behagte sein antiautoritärer Aspekt, aber was viele Leute oft vergessen, ist, dass eine der wichtigsten Botschaften von Punk war, sich nicht übermäßig ernst zu nehmen. Klar, kämpft gegen das System, aber habt auch euren Spaß dabei. Ihr seid jung, ihr solltet das Leben genießen, ganz unabhängig von all dem Scheiß, mit dem ihr euch sonst abquälen müsst. Die Musik strotzte nur so vor unglaublicher Energie. Sie war mit nichts, das ich je gehört hatte, vergleichbar. In diesem Alter, wenn man ein Teenager oder in seinen frühen Zwanzigern ist, ist man selbst randvoll mit Energie, und braucht ein Ventil dafür. Punk-Gigs waren dafür perfekt. Man konnte dort einfach durchdrehen. Es war gleichzeitig ein Konzert und eine Party. Es war ähnlich wie mit Acid House – nur ohne Drogen. Nun ja, zumindest anderen Drogen.

Nach einer Kindheit, in der Musik nur eine minimale Rolle gespielt hatte, erhielt ich nun während meiner Flegeljahre einen hochintensiven Crashkurs. Es war, als ob ich mich rasch durch die verschiedenen Gänge eines musikalischen Getriebes nach oben arbeitete – und mit Punk schaltete ich dabei in den fünften. Eine der Nachwirkungen des Pistols-Gigs war, dass ich nun die E-Gitarre, die mir meine Mum Jahre zuvor gekauft hatte, in einem völlig neuen Licht betrachtete. Nachdem ich nun Punk kennengelernt hatte, sollte sie plötzlich mehr sein als ein Staubfänger oder Kleiderhaken. So verschloss ich eines Abends die Türe meines Schlafzimmers, setzte mich aufs Bett, blies den Staub fort, öffnete das Gitarrenbuch, das ich gekauft hatte, und fing an, das Instrument zu erlernen. Der Beginn war nicht gerade vielversprechend: Die ersten paar Seiten des Buches befassten sich damit, wie man die Klampfe stimmte, aber ich wusste nicht, in welche Richtung man die Wirbel drehen musste, um die Saiten hoch oder tief zu stimmen. Ich hatte damals nicht gerade das feinste Gehör, weshalb sich die Geräusche, die ich fabrizierte, wohl ziemlich abscheulich angehört haben müssen. Aber ich klemmte mich dahinter, weil Musik zur wichtigsten Sache in meinem Leben geworden war. Zuerst hatte ich sie mir angehört, dann hatte ich sie käuflich erworben, dann anderen dabei zugesehen, wie sie sie spielten – und nun war ich entschlossen, dasselbe zu tun.

Nach dem Konzert der Pistols war Hooky nach Manchester gefahren und hatte sich eine Bassgitarre und ein Buch wie meines gekauft, um drauf spielen zu lernen. Ich glaube, er zahlte dafür 35 Pfund, was damals ein schöner Batzen Geld war. Das Problem mit unseren Büchern lag darin, dass sie auf dem 12-Takt-Schema, der Grundlage beinahe aller Blues- und Rock’n’Roll-Kompositionen, aufbauten. Alle Songbeispiele stammten aus den Fünfzigern und waren Schnee von gestern. Dafür fehlte uns das Interesse. Ich konnte mich weder für Blues noch für altbackenen Rock’n’Roll besonders erwärmen – was ich spielen können wollte, war Punk. Komischerweise gab es aber kein Buch, das mir das beibringen hätte können.

Trotzdem ließ ich mich nicht davon abbringen, weiter vor mich hin zu schrammeln. Ich übte bis spät in die Nacht Akkorde, bis sich auf meinen Fingerkuppen Hornhaut bildete, wodurch der Schmerz, den man als Gitarrenanfänger spürt, endlich nachließ. Ich brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass man, sobald man erst einmal ein paar simple Dur- und Moll-Akkorde gemeistert hat, im Prinzip schon 90 Prozent von allem spielen konnte. Für den Rest benötigte man noch seine Vorstellungskraft –

und die konnte man definitiv nicht aus Büchern lernen. Hat man erst einmal die grundlegenden Bausteine angehäuft, kann man anfangen, daraus etwas zu bauen. Man muss weder „Rock Around The Clock“ noch „Heartbreak Hotel“ spielen können, um eigene Musik zu machen. Du suchst dir stattdessen einfach ein paar Akkorde zusammen, erstellst ein paar eigene Tonleitern – und ab geht die Post! Alles, was zählt, ist, dass es sich für das eigene Ohr gut anhört.

Musik begann, den Großteil meiner Freizeit für sich in Anspruch zu nehmen. Während Hooky und ich früher bei meiner Großmutter abgehangen hatten, mit Hypnose experimentiert, uns gegenseitig verarscht und über Motorroller und Zündkerzen diskutiert hatten, begannen wir nun im Sommer 1976, jeden Sonntagabend ebendort in der Alfred Street zusammen Musik zu machen. Unsere eigene Musik. Meine Großmutter hatte ein Grammophon, auf dem sie ihre alten Schellacks abspielte, aber in meinen Augen war das nicht bloß ein Grammophon, sondern das, was in ihrem Haushalt einem Gitarrenverstärker am nächsten kam – und so machte ich mich daran, den Apparat in einen solchen zu verwandeln. Ich entfernte die Nadel und lötete stattdessen zwei Klinkenstecker fest, damit Hooky seinen Bass und ich meine Gitarre gleichzeitig über das Soundsystem spielen konnten. Es war vielleicht nicht die tollste Anlage, über die wir da spielten, aber das, was aus dem Lautsprecher kam, hatte ohne Zweifel Ähnlichkeit mit Musik. Es war auch nicht besonders laut, aber Teile von dem Ding glühten, wenn wir reinhauten!

 

Wir waren alles andere als Virtuosen, aber unsere eigene Musik zu komponieren, während wir gleichzeitig lernten zu spielen, erwies sich als ideale Methode, um unseren eigenen Ansatz und Sound zu entwickeln. Wir hatten keine vorgefertigten Meinungen zu Akkordabfolgen oder Tonleitern, weshalb wir in der Lage waren, so lange einfach herumzuprobieren, bis wir auf etwas stießen, das uns zusagte. Ich sagte etwa: „Oh, der Akkord klingt aber gut an der Stelle. Wie wäre es, wenn du zwar noch länger die Note spielst, ich aber schon auf diesen Akkord umgreife?“ Wir experimentierten einfach herum wie zwei Schulkinder, die erst ihren Weg durchs erste Schuljahr finden müssen. Wir wussten nicht wirklich, was wir da taten, aber letzten Endes und nach viel Herumprobieren brachten wir doch mehr und mehr auf die Reihe.

So ging das eine ganze Weile dahin. Wir verbrachten jedes Wochenende damit, fleißig zu üben, bis wir realisierten, dass der nächste logische Schritt wäre, eine Band zu gründen – und so begannen wir, uns nach einem Sänger umzusehen.

Anfangs dachten wir darüber nach, ob es in unserem Bekanntenkreis eventuell geeignete Kandidaten gebe. Wenn wir eine Liste aufgestellt hätten, wäre sie eher kurz gewesen. Ich weiß zwar nicht mehr genau, wer da draufgestanden hätte, aber vor ein paar Monaten lief mir ein alter Freund aus dieser Zeit namens David Wroe über den Weg und sagte: „Ich wäre ja als Sänger bei euch eingestiegen, aber meine Mum ließ mich nicht.“ Ich bin mir sicher, dass wir den einen oder anderen Namen diskutiert haben, aber letztlich gab es keine ernsthaften Anwärter aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis. Grundsätzlich wollten wir jemanden, der auf dieselbe Szene und Musik wie wir abfuhr, jemanden, der ein netter Kerl und kein Arschloch war. Jemand, mit dem wir gut auskommen konnten.

Letzten Endes schrieben wir unser Anliegen auf ein Blatt Papier und hängten es in die Auslage des alten Plattenladens von Virgin Records in der Lever Street in Manchester. Das schien der richtige Ort zu sein, weil dort alle hingingen, um ihre Punk-Platten zu kaufen. Der Virgin-Laden war auch zu einem der Treffpunkte für Leute in Bands beziehungsweise für Leute, die Bands gründeten (oder es zumindest vorhatten), geworden. Quasi ein Knotenpunkt und Hauptumschlagplatz für Möchtegern-Musiker. In der Wohnung in Greengate hatte ich einen Telefonanschluss und so schrieb ich meine Nummer auf den Zettel, klebte ihn an die Fensterscheibe, ging heim und wartete auf einen Anruf.

Ein paar Leute meldeten sich daraufhin tatsächlich – größtenteils totale Psychos. Ich erinnere mich noch an ein Treffen mit einem dieser Typen, der sich am Telefon noch wie ein einigermaßen aussichtsreicher Kandidat präsentiert hatte und in Didsbury wohnte. Ich nahm Terry mit und als wir an die Haustüre dieses Kerls klopften, erschien vor uns ein Hippie mit praktisch hüftlangen Haaren. Er trug ein massives Paar Schlaghosen und ein Oberteil, das aussah wie ein Kissenbezug, in den er Löcher geschnitten hatte, um seine Arme und seinen Kopf durchstecken zu können. Ich warf einen Blick auf ihn und dachte mir, dass er wohl nicht der richtige Sänger für uns sein würde. Er tat in weiterer Folge wenig, um meinen ersten Eindruck zu entkräften, nein, vielmehr warf er ein paar Kissen auf den Boden und lud uns ein, uns zu ihm zu setzen. Terry und ich warfen uns verstohlene Blicke zu, als er schließlich ankündigte, ein paar seiner Gedichte hervorzukramen und sie uns vorzusingen. Gedichte? Das klang nicht gerade nach dem, was mir vorschwebte. Bevor wir uns jedoch versahen, hatte der Typ ein paar zerknitterte Blätter Papier vor uns auf dem Fußboden ausgebreitet. Dann griff er hinter sich aufs Sofa, um sich eine Balalaika zu schnappen. Umgehend begann er darauf herumzuschlagen und uns seine wehleidig-poetischen Ergüsse vorzusingen. Was die Situation sogar noch unbehaglicher machte, war, dass er uns dabei aus einer Entfernung von nicht einmal einem Meter direkt in die Augen starrte. Ich wagte es nicht, erneut Augenkontakt mit Terry aufzunehmen, aber ich konnte ihn leise kichern hören. Ich tat alles, was in meiner Macht stand, um nicht selbst vor Lachen explodieren zu müssen, als Terry plötzlich schnauben musste. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und wir fingen beide an, uns schlapp zu lachen. Schlussendlich sagten wir zu unserem Gastgeber, dass es uns Leid täte, aber wir eigentlich nur gekommen seien, um ihm mitzuteilen, dass der Job schon vergeben sei, und wir uns dennoch bei ihm bedanken wollten. Anschließend sahen wir zu, dass wir schnell bei der Tür hinauskamen. Auf dem Weg zurück nach Salford krümmten wir uns dann vor lauter Lachen.

Dieses Erlebnis schien den Ton für die nächsten paar Wochen vorzugeben. Ich erhielt all diese abgefahrenen Anrufe von Durchgeknallten, die etwa so mit mir sprachen: „Du bist also ein Punk? Biste? Du bist ein Punk, oder? Na, dann fick dich ins Knie!“

Und dann waren da noch andere Spinner. Das ging so weit, dass ich schon fast anfing, das Klingeln des Telefons zu verabscheuen.

Eines Abends klingelte es um ungefähr acht Uhr. Ich seufzte und hob ab. „Ja, hallo?“, sagte ich. Eine Stimme am anderen Ende der Leitung meldete sich: „Ich rufe an wegen des Jobs als Sänger, der im Fenster von Virgin angeboten wird.“ Ich verdrehte die Augen und fragte, wer er denn sei. Er sagte, sein Name sei Ian – und sofort dachte ich mir, dass er sich gar nicht so bekloppt anhörte. Nein, dieser Typ hörte sich okay an. Ich wollte wissen, auf was für Musik er denn so stehe, und er meinte, dass er Punk, Iggy and The Stooges, Velvet Underground und solche Sachen mochte. In diesem Moment kam es mir so vor, als würde ich seine Stimme wiedererkennen. Ich sagte, dass wir uns vielleicht schon mal getroffen hätten und dass ich mit diesen Typen – Hooky und Terry – abhänge. Besitze er nicht etwa eine Donkeyjacke mit der Aufschrift „HATE“ am Rücken? „Ja, das tue ich“, sagte er. „Das bin ich.“ Ich sagte ihm, dass wir uns in der Woche zuvor bei einem Gig im Electric Circus getroffen hätten. Er war einer von den zwei Ians – er hatte noch einen Kumpel namens Ian, mit dem er abhing, und gemeinsam nannte man sie originellerweise „die zwei Ians“.

„Klar, stimmt“, sagte er. „Ich bin Ian Curtis.“

„Oh, okay“, sagte ich darauf. „Nun, dann hast du den Job.“

Ich war so was von erleichtert, endlich einen Anruf von jemandem zu bekommen, der kein Spinner oder irrwitziger Hippie war, ganz abgesehen davon, dass dies jemand war, den ich bereits gekannt hatte – das waren auch schon die beiden Kriterien, die ich in Betracht zog, als ich Ian Curtis zusagte.

„Na, gut“, meinte er. „Und was passiert jetzt?“

Wir vereinbarten eine Probe in einem Raum über einem Pub in Weaste, dem Grey Mare, der außerdem als Hauptquartier einer Organisation mit dem Namen Royal Antediluvian Order of Buffaloes fungierte. Das waren so eine Art Freimaurer für Angehörige der Arbeiter- und Mittelklasse. Am einen Ende des Raums stand eine große Truhe mit Büffelhäuten, die sie sich bei ihren Zeremonien umlegten. Trotzdem war es ein ziemlich guter Proberaum – und er wurde sogar noch besser, als sich herausstellte, dass Ian seine eigene Lautsprecheranlage hatte.