Staatshaftungsrecht

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3. Anspruchsvoraussetzungen

101

Ein Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung setzt voraus,


dass jemand in Ausübung eines öffentlichen Amtes
eine ihm obliegende Amtspflicht,
die nicht nur, aber auch dem Schutz der Belange eines (des geschädigten) Dritten dient,
schuldhaft verletzt.

Der daraus entstandene, kausal verursachte Schaden ist von der staatlichen Stelle zu ersetzen, die dem handelnden Amtswalter die Aufgabe anvertraut hat, wenn es keine anderweitige Ersatzmöglichkeit gibt.

Die Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen:

a) In Ausübung eines öffentlichen Amtes handelnd

aa) Der handelnde Amtswalter

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Zunächst ist der Handelnde selbst zu bestimmen. Zugrunde zu legen ist entgegen dem Wortlaut des § 839 Abs. 1 BGB und seiner ursprünglichen Zielrichtung nicht der Beamtenbegriff im statusrechtlichen Sinne. Danach ist Beamter nur derjenige, der aufgrund der entsprechenden schriftlichen Ernennung in einem öffentlich-rechtlichen Treueverhältnis zum Staat steht. Aufgrund der weiteren Fassung des Art. 34 GG ist der Handelnde derjenige, der seiner Funktion nach eine hoheitliche Aufgabe wahrnimmt. Diese erweiterte Definition des Handelnden wird mit dem Begriff des Beamten im haftungsrechtlichen Sinne umschrieben. Hierzu gehören zunächst all diejenigen, die in einem öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Dienstverhältnis zu einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen. In derselben Weise gehören hierzu diejenigen, die ein Amt im Bereich der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, sei es auch ein Ehrenamt. Häufig handelt es sich hier um Gemeinderatsmitglieder[52]; ebenso zählt hierzu der ehrenamtliche Bürgermeister, selbst dann, wenn er nicht im Rahmen konkret übertragener Aufgaben gehandelt, sondern „im Namen der Gemeinde“ Angaben über gemeindliche Grundstücke gemacht hat[53].

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Als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne gelten auch die Privaten, die von der öffentlichen Hand zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingeschaltet werden.

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Dazu zählen die Beliehenen, also diejenigen Personen des Privatrechts, denen durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes durch Verwaltungsakt oder durch verwaltungsrechtlichen Vertrag bestimmte hoheitliche Kompetenzen zur Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen worden sind[54]. Hierzu zählen etwa der Prüfingenieur für Baustatik[55], der Impfarzt[56] oder die TÜV-Sachverständigen[57].

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Für den Verwaltungshelfer[58] im engeren Sinne wird sich in der Regel schon gar nicht die Frage stellen, ob er selbst als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne gelten kann. Aufgrund seiner engen Weisungsgebundenheit wird er als bloßes Werkzeug der öffentlichen Verwaltung tätig und sein Handeln wird unmittelbar dem ihn einschaltenden Hoheitsträger zuzurechnen sein. Nach außen und insbesondere gegenüber dem Geschädigten stellen sich in diesen Fällen die hoheitliche Maßnahme selbst und ihre (teilweise) Ausführung durch einen Verwaltungshelfer als einheitlicher Vorgang und Lebenssachverhalt dar, so dass sie einheitlich als Maßnahme des Hoheitsträgers erscheint. In einem solchen Fall kann die (Haftungs-)Zurechnung zur öffentlichen Hand nicht davon abhängen, ob der „Erfüllungsgehilfe“ aufgrund hoheitlichen Handelns oder privatrechtlichen Vertrags mit dem Hoheitsträger tätig wird. Hierauf hat der Geschädigte weder Einfluss noch ist dies in der ihn schädigenden Handlung sichtbar. Entsprechend stellt die Rechtsprechung insgesamt bei der auf privatrechtlicher Grundlage beruhenden Heranziehung privater Unternehmer zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben – also auch bei „Verwaltungshelfern im weiteren Sinne“ – nicht auf formale Zuordnungen, sondern wertende Kriterien ab, um zu entscheiden, ob der Private im Einzelfall als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen ist und seine Handlung dem ihn beauftragenden Hoheitsträger zugerechnet wird.

Ein Kriterium kann etwa der Charakter der jeweils wahrgenommenen Aufgabe sein. So liegt eine Zurechnung bei der Einschaltung im Bereich der Eingriffsverwaltung, der Gefahrenabwehr oder Gesundheitsvorsorge sehr nahe. Ein weiterer Wertungsaspekt kann die Sachnähe der von dem Privaten wahrgenommenen Tätigkeit zu der hoheitlichen Aufgabe sein. Schließlich kommt dem Grad der Einbindung des Unternehmers in den behördlichen Pflichtenkreis besondere Bedeutung zu. Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen[59]. Zur Verdeutlichung dieser Kriterien seien folgende Beispiele aus der Rechtsprechung angeführt:

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Beispiel:

Polizeibeamter P beauftragt das private Abschleppunternehmen V im Rahmen des mit V bestehenden Rahmenvertrages mit der Bergung eines in den Graben gerutschten Pkw. Bei der sorgfaltswidrig durchgeführten Maßnahme verunglückte die am ursprünglichen Unfall unbeteiligte Autofahrerin A[60].

Hier hat der BGH entschieden, dass V als „Erfüllungsgehilfe“ der Polizei und damit als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne gehandelt hat. Denn sowohl für den Eigentümer des abzuschleppenden Pkw als auch für die geschädigte Verkehrsteilnehmerin A macht es keinen Unterschied, ob P die Ersatzvornahme selbst oder „mittels“ V durchführt. Weiter wird darauf abgestellt, dass der Entscheidungsspielraum des V begrenzt war.

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Beispiel:

Die kreisfreie Stadt S beauftragt als zuständige Untere Verwaltungsbehörde im Rahmen der ihr nach dem Fleischhygienegesetz übertragenen Aufgaben das private Labor L mit der Durchführung von BSE-Tests. Diesen Tests unterliegt das zum Genuss von Menschen bestimmte Fleisch über 24 Monate alter Rinder. Das Fleisch darf erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn der betreffende BSE-Test negativ ausgefallen ist und eine darauf beruhende Tauglichkeitserklärung durch S erteilt worden ist. Bei einer Überprüfung des L durch das hierfür zuständige Regierungspräsidium wurde festgestellt, dass die Tests nicht ordnungsgemäß entsprechend der Verfahrensanweisungen durchgeführt und dokumentiert worden sind. Daher bestanden erhebliche Zweifel an der Validität der vorangegangenen Testergebnisse. Daraufhin wurden die der K-GmbH, einem privaten Schlachthof, bereits erteilten Tauglichkeitserklärungen zurückgenommen und die entsprechenden Partien Rindfleisch durften nicht in den Verkehr gebracht werden. K entstanden dadurch erhebliche Schäden (Nichteinhaltung von Lieferverpflichtungen), die sie gegenüber S geltend macht[61].

Anknüpfend an den zuvor zitierten Abschleppfall hat der BGH auch hier festgestellt, dass die Bediensteten des L „Beamte“ im haftungsrechtlichen Sinne sind. Sie waren als (selbstständige) Verwaltungshelfer in die hoheitliche Aufgabe der S eingebunden. Die Tätigkeit der Bediensteten des L sind ein unverzichtbarer Teil der S obliegenden Überwachungsaufgaben und von diesen nicht zu trennen. Den Bediensteten des L kommt auch kein eigener Entscheidungsspielraum zu. Ihre Tätigkeit stellt sich als Bestandteil der staatlichen Verwaltung dar.

108

Beispiel:

Soldat S wird durch die Ärzte des Gesundheitsdienstes der Bundeswehr zur Untersuchung und Behandlung in das Allgemeine Krankenhaus H überwiesen und dort durch den Zivilarzt A behandelt. Der ärztliche Heileingriff misslang. Soldat S wurde geschädigt[62].

109

Wie eng bzw weit der Entscheidungsspielraum des Verwaltungshelfers im weiteren Sinne sein kann, hängt vom Einzelfall ab. So kann auch der zur Untersuchung eines Soldaten herangezogene private Arzt „Erfüllungsgehilfe“ in diesem weiten Sinne sein. Zwar ergibt sich aus der Art seiner Tätigkeit als Arzt, dass er insoweit nicht weisungsgebunden sein kann und es auch nicht ist. Dennoch ist seine Tätigkeit Bestandteil der gegenüber dem Soldaten wahrgenommenen hoheitlichen Aufgabe der Gesundheitsfürsorge, zu deren Erfüllung die Ärzte des Gesundheitsdienstes der Bundeswehr das zivile Krankenhaus hinzugezogen haben[63].

110

Beispiel:

Der Säugling K wurde durch die Mitarbeiter des Jugendamtes J auf der Grundlage der §§ 42, 43 SGB VIII vorläufig in einer Pflegefamilie untergebracht. Während der Betreuung in der Pflegefamilie erlitt K schwere gesundheitliche Schäden durch das Verschulden der Pflegemutter; K ist seither 100% schwerbehindert. Die Krankenkasse des K macht Schadensersatzansprüche und die Feststellung der weiteren Ersatzpflicht gegenüber dem Träger des Jugendamtes J geltend[64].

 

In diesem Fall hat der BGH festgestellt, dass der Träger des Jugendamtes nicht für ein Verschulden der Pflegemutter während der Betreuung haftet. Die Pflegemutter werde nicht als Beamtin in haftungsrechtlichem Sinne tätig, denn weder werden ihr hoheitliche Befugnisse verliehen noch wird sie als Verwaltungshelferin in ein Verwaltungsverfahren eingeschaltet. Die auf die Betreuung und Versorgung des Kindes ausgerichtete Tätigkeit der Pflegemutter unterscheidet sich nicht von der Tätigkeit, die sonst von den leiblichen Eltern wahrgenommen wird. Die Pflegemutter nimmt ihre Tätigkeit ohne besondere Weisungen des Jugendamtes wahr. Auch wenn es sich um einen Bereich handelt, der zwar weiterhin der Aufsicht des Jugendamtes unterliegt, ist er jedoch prinzipiell in die Verantwortung der Pflegemutter gegeben[65].

bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes

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„In Ausübung“ geschehen die Handlungen, die nicht nur „bei Gelegenheit“ der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erfolgen. Die Konstruktion ist hier vergleichbar derjenigen des Verrichtungsgehilfen in § 831 Abs. 1 BGB.

112

Beispiel:

Die Bundesrepublik Deutschland unterhält einen Flugsicherungsdienst (Fluglotsen), der zur Überwachung und zur Sicherung des Flugverkehrs dient; neben der Gefahrenabwehr dienen die von den Fluglotsen zu erteilenden Flugverkehrsfreigaben der Schnelligkeit, Wirtschaftlichkeit und Regelmäßigkeit des Luftverkehrs. Die Fluglotsen sind unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und ihrer Besoldung. Über mehrere Monate melden sich verabredungsgemäß viele Kollegen krank und die Arbeitsleistung wird herabgesetzt. In der Folge kommt es zu erheblichen Störungen des Luftverkehrs. Schließlich muss der Flughafen Hannover vorübergehend ganz schließen. Hiervon betroffen ist auch das Reiseunternehmen R, das Pauschalreisen einschließlich Flugreisen anbietet. Es macht Schadensersatz insbesondere für die durch die Stilllegung entstandenen zusätzlichen Transport-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten seiner Kunden sowie Personalkosten geltend[66].

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Die öffentliche Hand haftet bei der Wahrnehmung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten, also der Pflicht, bei der Schaffung einer Gefahrenquelle die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz Dritter zu treffen, auch nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen. Sie soll insoweit nicht privilegiert werden. Wird jedoch eine Verkehrssicherungspflicht gleichzeitig durch öffentliche Vorschriften übertragen, dann handelt die öffentliche Hand bei der Wahrnehmung dieser Verkehrssicherungspflicht auch in Ausübung eines öffentlichen Amtes. Dies gilt insbesondere für die Straßenverkehrssicherungspflichten aufgrund der jeweiligen Landesstraßengesetze oder die Straßenverkehrsregelungspflichten, die im Rahmen von § 45 StVO den Straßenverkehrsbehörden zugewiesen sind.

114

Bestimmt sich die Tätigkeit nicht ausdrücklich nach Vorschriften des öffentlichen Rechts, so ist zur Bestimmung, ob es sich um die Ausübung eines öffentlichen Amtes, also um Hoheitstätigkeit handelt, oder ob die Handlung dem Privatrecht zuzuordnen ist, gegebenenfalls auf die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung zwischen dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht[67] zurückzugreifen.

115

Die Flugsicherung bestimmt sich nach Normen des öffentlichen Rechts, insbesondere nach den Vorschriften des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG). Diese Tätigkeit ist damit dem öffentlichen Recht zugeordnet und die Tätigkeit der Fluglotsen stellt sich grundsätzlich als Ausübung eines öffentlichen Amtes dar.

116

Die streikähnlichen Aktionen der Fluglotsen stehen in einem derart engen Zusammenhang mit der Dienstausübung selbst, dass sie als ihr zugehörig angesehen werden müssen. Die eine Tätigkeit ist von der anderen schon rein tatsächlich nicht zu trennen und stellt sich als einheitlicher Lebenssachverhalt dar. Daher erfolgten diese Maßnahmen nicht „bei Gelegenheit“ der dienstlichen Verrichtung, sondern „in Ausübung“ des öffentlichen Amtes[68]. Denn obwohl die Maßnahme im Innenverhältnis zwischen Dienstherrn und Fluglotsen rechtswidrig war, hebt dies den beschriebenen inneren Zusammenhang noch nicht auf. Die Maßnahmen gingen nicht so weit, dass die handelnden Flutlotsen dem Staat als Dienstherrn allgemein und grundsätzlich den Gehorsam verweigerten und so die Bindung zum Dienstherrn schlechthin gelöst werden sollte. Nur bei einer solchen Sachlage, die durch die einseitige Aufkündigung der übertragenen Stellung als Organ des Staates gekennzeichnet wäre, könnte die Haftung des Staates eingeschränkt oder ausgeschlossen sein. Andernfalls kann sich der Staat gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber den Geschädigten nicht zu seiner Entlastung darauf berufen, dass sich die von ihm eingesetzten Amtswalter pflichtwidrig verhalten haben. Denn es muss auch bedacht werden, dass dem Dienstherrn rechtliche Mittel des Dienstrechts zu Gebote gestanden hätten, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Amtspflichten sicherzustellen.

b) Verletzung einer Amtspflicht

117

Der Amtsträger ist grundsätzlich zum rechtmäßigen Verhalten verpflichtet. Dies ergibt sich bereits aus Art. 20 Abs. 3 GG. Er hat daher entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu handeln. So sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Vorgaben des BauGB zu beachten, zum Beispiel die städtebaulichen Abwägungskriterien des § 1 BauGB[69]. Die höchstrichterliche, ständige Rechtsprechung ist sowohl bei der Auslegung von Rechtsvorschriften als auch hinsichtlich der Ausprägung der Haftungsinstitute zu berücksichtigen. Dies gilt etwa für den Inhalt der Streupflichten einer Gemeinde während des Winters[70]. Auch allein richterrechtlich statuierte Haftungsinstitute, wie etwa der Folgenbeseitigungsanspruch, begründen Amtspflichten. So besteht die Verpflichtung, nach Ablauf der Einweisung von Obdachlosen das Haus dem Nutzungsberechtigten geräumt und gesäubert zu übergeben[71].

118

Der Verwaltung obliegt es, Entscheidungen entsprechend den gesetzlich geregelten Zuständigkeiten zu treffen[72]. Von gesetzlich eingeräumten Ermessens- und Beurteilungsspielräumen ist fehlerfrei Gebrauch zu machen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu wahren. Im Zusammenhang mit Warnungen durch die öffentliche Hand bedeutet dies zum Beispiel, dass der Sachverhalt vollständig und umfassend ermittelt sein muss; es sind gegebenenfalls mildere Mittel als die hoheitliche Warnung in Betracht zu ziehen, zum Beispiel Selbstwarnungen durch das betroffene Unternehmen, und schließlich ist gegebenenfalls und rechtzeitig genug über eine „Entwarnung“ ebenfalls von offizieller Seite nachzudenken.

119

Das Verwaltungsverfahren ist zügig zu gestalten und jedenfalls die gesetzlich geregelten Fristen sind einzuhalten. Dem entspricht für gerichtliche Verfahren der Anspruch auf Justizgewährung und eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist[73]. So besteht etwa die Amtspflicht, einen Bauvorbescheidsantrag innerhalb von drei Monaten zu bescheiden (§ 75 VwGO: Frist der Untätigkeitsklage), auch wenn bereits während dieser Dreimonatsfrist bekannt ist, dass anschließend eine entgegenstehende Planung der Gemeinde in Kraft treten wird[74]. Die Gemeinde hätte innerhalb dieser Frist von ihren Plansicherungsmöglichkeiten Gebrauch machen müssen. Die zukünftigen Planungsabsichten ändern nichts an der Pflichtwidrigkeit einer verzögerten Antragsbearbeitung; sie können sie auch nicht rechtfertigen. Ist die zügige Bearbeitung aufgrund personeller Engpässe und einer Überlastung des zuständigen Beamten nicht gewährleistet, so kommt als amtspflichtwidriges Verhalten insoweit auch ein Organisationsverschulden der übergeordneten Stellen in Betracht[75].

120

Der Amtswalter muss sich konsequent verhalten. Sein Verhalten soll nicht im Widerspruch zum früheren stehen, wenn die Rücksichtnahme auf die Interessen des Betroffenen es gebietet, das vom Betroffenen in den Bestand der Maßnahme gesetzte Vertrauen zu schützen; geplante und begonnene Maßnahmen sind entsprechend durchzuführen[76]. Auskünfte und Belehrungen sind richtig, klar, unmissverständlich, eindeutig und vollständig zu erteilen und müssen auf dem aktuellen Erkenntnisstand beruhen; auch „innere Tatsachen“, wie etwa die bereits vorhandene Absicht, etwas zu tun, gehören dazu[77]. Der um sie nachsuchende Bürger muss als Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren können[78]. Dabei bestimmen die vom Bürger gestellten Fragen Inhalt und Umfang der Auskunft mit. Hinweispflichten bestehen jedoch nur dann und insoweit, als der Beamte nicht „sehenden Auges“ zulassen darf, dass dem Bürger ein Schaden entsteht.[79]

121

Beispiel:

Der Kläger K erhielt am 11. Dezember 1996 von der beklagten Bauaufsichtsbehörde B eine Baugenehmigung für ein Wohn- und Bürohaus. Im Februar 1997 legte ein Nachbar hiergegen Widerspruch ein. Darüber unterrichtete B den K nicht. Am 7. März 1997 schloss K zur Finanzierung der Baukosten einen Darlehensvertrag über 570 000 DM ab. Am 17. April 1997 begann K mit den Bauarbeiten, nachdem er diese zuvor der B angezeigt hatte. Bereits Anfang April hatte der Nachbar beim VG die Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches beantragt. Mit Schreiben vom 29. April 1997, eingegangen bei K am 5. Mai 1997, teilte B dem K mit, dass der Nachbar Widerspruch eingelegt und Eilanträge gestellt hätte. Die Eilanträge des Nachbarn waren im Ergebnis erfolgreich; die Fortführung der Bauarbeiten wurde untersagt. Auch Änderungen des Bauvorhabens, die durch entsprechende Nachtragsbaugenehmigungen genehmigt wurden, wurden im Ergebnis erfolgreich durch den Nachbarn angegriffen. Das Bauvorhaben musste im Ergebnis aufgegeben werden. K macht gegenüber B im Wesentlichen die Finanzierungsaufwendungen für die von ihm abgeschlossenen Darlehensverträge geltend[80].

122

Der BGH hat hier festgestellt, dass K zwar nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften formell durch B in das Widerspruchsverfahren des Nachbarn hätte eingebunden werden müssen. Die Bediensteten der B hatten jedoch eine allgemeine, sich zur Amtspflicht verdichtende Fürsorgepflicht, durch eine rechtzeitige Unterrichtung mögliche Schädigungen des K zu verhindern. Für die Bediensteten der B musste klar sein, dass auf die am 11. Dezember 1996 erteilte Baugenehmigung erhebliche Vermögensdispositionen zur Durchführung des Vorhabens gestützt würden. Für die Bediensteten der B war erkennbar, dass aufgrund der Widersprüche jedenfalls ein Risiko begründet wurde, dass die Baugenehmigung als Verlässlichkeitsgrundlage für diese Dispositionen entfallen könnte. Daher durften sich die Bediensteten der B nicht auf bloßes Untätigbleiben beschränken, zumal schon eine einfache formlose Mitteilung dem berechtigten Informationsinteresse des K genügt hätte. Die Mitteilung hätte auch unverzüglich nach Eingang der Widersprüche erfolgen müssen, da die Mitarbeiter der B hier keine rechtlichen Erwägungen anstellen mussten[81].

Die rechtskräftige Feststellung einer Amtspflichtverletzung begründet jedoch nicht unmittelbar einen Amtshaftungsanspruch[82]. Die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen müssen ebenfalls erfüllt sein und Haftungsausschlüsse und -begrenzungen dürfen nicht greifen. Wäre etwa der Schaden bei rechtmäßigem Alternativverhalten nicht eingetreten, ist der Amtshaftungsanspruch trotz rechtskräftiger Feststellung der Amtspflichtverletzung unbegründet[83].

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Den Amtswalter trifft weiter die Pflicht, den Vorgaben des Verwaltungsinnenrechts zu folgen, wie zum Beispiel Verwaltungsvorschriften und Weisungen. Probleme können in diesem Zusammenhang auftreten, wenn die internen Vorgaben objektiv (außen-)rechtswidrig sind. Es ist auf das Verhalten abzustellen, das nach außen in Erscheinung tritt. Ist dieses (objektiv) amtspflichtwidrig, so kann dadurch ein Amtshaftungsanspruch begründet werden. In dem Fall, dass derjenige, der die Verwaltungsvorschriften erlassen bzw die Anweisung getroffen hat, einem anderen Hoheitsträger untersteht als der handelnde Beamte, ist im Innenverhältnis festzustellen, welchem Hoheitsträger das amtspflichtwidrige Verhalten zuzurechnen ist. In der Regel wird dies derjenige sein, in dessen Hoheitsbereich das rechtswidrige Innenrecht veranlasst worden ist.

 

124

Die Pflicht zum rechtmäßigen Verhalten besteht auch dem Bürger gegenüber, der hinsichtlich des konkreten Sachverhaltes und seiner rechtlichen Würdigung im Verhältnis zum Amtswalter über dasselbe oder sogar „überlegenes“ Wissen verfügt. So entfällt die Amtspflicht, eine rechtmäßige atomrechtliche Genehmigung zu erteilen, nicht deshalb, weil auf der Antragstellerseite energiewirtschaftliche Unternehmen stehen, die über umfangreiche atomrechtliche Kenntnisse und größere Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügen[84], oder weil der Bauherr Architekt ist[85].

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Hinsichtlich der Feststellung, ob ein bestimmtes Verhalten objektiv amtspflichtwidrig gewesen ist, sind die über den Amtshaftungsanspruch entscheidenden Zivilgerichte an die Feststellungen der Verwaltungsgerichte in einem vorrangegangenen Verfahren gebunden. Die Bindung umfasst jedoch nur den Entscheidungstenor einer rechtskräftigen Entscheidung, nicht die die Entscheidung tragenden Gründe[86]. Dies ist aber nicht zu verwechseln mit der verwaltungsgerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit einer behördlichen Maßnahme, gegen die sich die Behörde mit einer Vollstreckungsabwehrklage richten kann, wenn sich die Rechtslage, zB durch einen veränderten Flächennutzungsplan, ändert. Hier entfaltet der titulierte Anspruch nicht die gleiche Wirkung, als wäre die Behörde dem Urteil durch Verwaltungsakt nachgekommen[87]. Eine Bindung besteht auch nicht, wenn sich eine gerichtliche Entscheidung zB über strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen auf einen späteren Ermittlungsstand bezieht[88].