Staatshaftungsrecht

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c) Drittbezogenheit der Amtspflicht

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Die Amtshaftung ergänzt den (primären) verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Dieser Rechtsschutz ist individualrechtlich ausgeprägt. Deutlich wird dies in der Kernvorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO (Klagebefugnis bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen). Daher ist auch das das primäre Rechtsschutzsystem ergänzende Amtshaftungsrecht darauf beschränkt, Kompensation (nur) dann zu gewähren, wenn nicht nur überhaupt (objektiv) amtspflichtwidrig gehandelt worden ist. Die verletzte Amtspflicht muss gerade auch – wenn auch nicht nur – dem Schutz der Rechte des Verletzten („Dritten“) dienen. Alle Amtspflichten bestehen zunächst im Interesse des Staates und der Allgemeinheit. Darüber hinaus muss das im Einzelfall berührte individuelle, private Interesse nach dem Zweck des Amtsgeschäftes geschützt werden. Der Zweck ergibt sich aus den rechtlichen Bestimmungen, die die Amtspflicht begründen und umreißen, sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäftes.

Geschützter Dritter kann auch eine (andere) juristische Person des öffentlichen Rechts sein, wenn sie durch das Amtsgeschäft wie ein Staatsbürger im Verhältnis zur handelnden Behörde betroffen ist[89] oder wenn eine Amtspflicht gerade im Verhältnis zur geschädigten juristischen Person des öffentlichen Rechts besteht[90].

Die Amtspflicht kann zum einen unmittelbar dem Schutz des berührten Interesses dienen.

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Beispiel:

Die Streupflicht dient unmittelbar dem Interesse des Dritten, nicht an Leib und Leben und sonstigen Schutzgütern verletzt zu werden.

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Das geschützte Interesse wird häufig aber auch erst darin sichtbar, dass der Dritte auf die (amtspflichtgemäße) Handlung vertrauen darf.

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Beispiel:

Die Pflicht zur rechtmäßigen Erteilung von Baugenehmigungen dient dem Interesse des Bauherrn (Dritten), im Vertrauen auf die Baugenehmigung ein Gebäude zu errichten, dem von der Baugenehmigungsbehörde geprüfte öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht mehr entgegengehalten werden können[91].

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In diesen Fällen ergibt sich der Schaden des Dritten, im Beispiel: des Bauherrn, nicht unmittelbar aus der hoheitlichen Handlung. Vielmehr entsteht der Schaden erst daraus, dass der Dritte im schutzwürdigen Vertrauen auf das amtspflichtgemäße Verhalten der Behörde selbst Handlungen in Gang gesetzt hat. Im Beispiel hat der Bauherr im Vertrauen auf die erteilte Baugenehmigung etwa Aufwendungen für die Planung oder den Bau selbst getätigt.

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Der (Dritt-)Schutz kann jedoch auch im Amtshaftungsrecht nur so weit gehen, wie der Adressat auch nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen Vertrauensschutz genießt. Daher findet der amtshaftungsrechtliche Vertrauensschutz seine Grenzen in den Fällen, die § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG umschreibt[92]. Dieser Rechtsgedanke ist auch auf die Fälle anwendbar, in denen das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht unmittelbar anwendbar ist[93]. Dies gilt selbst dann, wenn der mit einem Makel im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG behaftete begünstigende Verwaltungsakt von der Behörde oder vom Gericht mit der Anordnung des Sofortvollzugs versehen worden ist[94]. Das bedeutet, dass sich der Begünstigte (und im amtshaftungsrechtlichen Sinne Dritte) nicht auf einen für ihn selbst erkennbar auf unzutreffenden Grundlagen beruhenden Verwaltungsakt berufen kann, auch nicht darauf, dass dies von Behörde und/oder Gericht nicht erkannt wurde.

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In zeitlicher Hinsicht kann die Vertrauensschutz begründende Wirkung eines Verwaltungsaktes auch nach Ablauf seiner (befristeten) Gültigkeit bestehen bleiben, wenn sich die für die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts maßgeblichen tatsächlichen Umstände nachträglich nicht ändern[95].

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Für einen Verwaltungsakt, der nicht mit dem beschriebenen Makel belastet ist, entfällt der Vertrauensschutz grundsätzlich nicht schon dann, wenn er von Dritten angegriffen wird. In dieser Konstellation darf der Begünstigte jedenfalls dann und solange auf seine Rechtmäßigkeit und damit auf amtspflichtgemäßes Verwaltungshandeln vertrauen, wie der Verwaltungsakt sofort vollziehbar ist. Eine Risikoabwälzung auf den Genehmigungsinhaber kann nach der Rechtsprechung nur im Rahmen von § 254 BGB (Mitverschulden) erfolgen[96]. Damit folgt die Rechtsprechung ausdrücklich nicht der in der Literatur häufig vertretenen Auffassung, der Vertrauensschutz müsse nach den Grundsätzen des § 50 VwVfG, der die Regelung über die Erleichterung des Widerrufs oder der Rücknahme eines begünstigten Verwaltungsaktes in diesen Fällen regelt, ausgeschlossen sein und der Verwaltungsakt könne dann auch im amtshaftungsrechtlichen Sinne keine Grundlage mehr darstellen.

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Da hinsichtlich der Grenzen des amtshaftungsrechtlich relevanten Vertrauensschutzes auf die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts abzustellen ist, kann auch auf den Inhalt eines Bescheides nicht bereits aufgrund von Aussagen eines Sachbearbeiters der Behörde vertraut werden[97]. Schutzwürdiges und damit für einen möglichen Amtshaftungsanspruch relevantes Vertrauen entsteht erst mit der Erteilung des Bescheides selbst. Dasselbe gilt für den Inhalt von Satzungen. Hier kann ebenfalls nur das Vertrauen auf den Inhalt der tatsächlich verabschiedeten und bekannt gemachten Satzung geschützt sein[98].

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Um nun im Einzelfall Inhalt und Umfang des Drittschutzes von Amtspflichten zu ermitteln, sind folgende Prüfungsschritte erforderlich:


Ist die verletzte Amtspflicht überhaupt drittschützend?
Dient sie dem Schutz gerade auch der Interessen des Geschädigten (Drittschutz in personeller Hinsicht)?
Dient sie dem Schutz der geltend gemachten Interessen (Drittschutz in sachlicher Hinsicht)?

aa) Drittschützende Norm

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Zunächst ist also festzustellen, ob die verletzte Amtspflicht überhaupt drittschützende Wirkung hat. Das ist dann anzunehmen, wenn durch die Amtspflicht eine „Sonderbeziehung“ zwischen dem Amtswalter und dem Geschädigten begründet wird. Das ist der Fall, wenn der Geschädigte mit Blick auf die in Frage stehende Amtshandlung klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO wäre. Eine Sonderbeziehung besteht hingegen nicht zwischen dem Bauherren und der im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens gemäß § 36 Abs. 2 BauGB beteiligten Gemeinde, die ihr Einvernehmen rechtswidrig verweigert. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Landesrecht der von der Gemeinde personenverschiedenen Baugenehmigungsbehörde die Möglichkeit einräumt, das rechtswidrige Einvernehmen zu ersetzen[99].

Die im allgemeinen Deliktsrecht begründeten Pflichten sind grundsätzliche drittschützend. Dasselbe gilt für Amtspflichten aus solchen Sonderbeziehungen, die sich aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses, Amts- oder Benutzungsverhältnisses ergeben. Im Übrigen ist der Drittschutz durch Auslegung der die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen zu ermitteln. Dabei kann auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden, die zur Ermittlung der drittschützenden Wirkung von Normen entwickelt worden sind[100].

bb) Drittschutz in personeller Hinsicht

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In personeller Hinsicht dient die Amtspflicht dem Schutz des Dritten, wenn sich aus den sie begründenden und umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäftes ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäftes geschützt und gefördert werden sollen. Die sich aus derselben Vorschrift ergebende Amtspflicht kann zugleich gegenüber mehreren Personengruppen Drittschutz entfalten[101]. Anderen Personen gegenüber wird eine Ersatzpflicht nach § 839 BGB selbst dann nicht begründet, wenn eine Amtspflichtverletzung sich ihnen gegenüber mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat. Für die Frage, ob der Geschädigte zu dem Personenkreis zu rechnen ist, dessen Interessen durch die Amtspflicht (mit) geschützt werden sollen, oder ob er lediglich reflexartig durch die Wahrnehmung der im öffentlichen Interesse liegenden Amtspflichten begünstigt wird, kommt es wesentlich darauf an, welche Wertungen und Zielvorstellungen dem betreffenden Gesetz mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden zu entnehmen sind.

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Beispiel:

 

Der Gesetzgeber hat in § 24 Abs. 2 SGB VIII jedem Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres einen Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege eingeräumt. Die Eltern E des Kindes K machen bei der zuständigen Gemeinde rechtzeitig vor dem ersten Geburtstag von K dessen Anspruch auf einen Betreuungsplatz geltend. Die Gemeinde gelingt es mangels Kapazitäten erste drei Monate nach dem ersten Geburtstag von K diesem einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Bemühungen der E, zwischenzeitlich anderweitig einen Betreuungsplatz für K zu finden, waren erfolglos geblieben. Die E machen geltend, dass wegen der fehlenden Möglichkeit zur Kinderbetreuung ein Elternteil in den drei Monaten seiner Erwerbstätigkeit nicht nachgehen konnte. Dadurch sei ihnen ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 4500 € entstanden. Diesen verlangen sie von der Gemeinde ersetzt. Obwohl sich der im Gesetz geregelte Anspruch ausdrücklich nur an das Kind richtet, besteht eine mit diesem korrespondierende Amtspflicht, die auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern bezweckt. Mit dem Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII ist neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zugunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit beabsichtigt, wie auch in den im Gesetz enthaltenen Grundsätzen der Förderung ausdrücklich erwähnt wird. Die Einbeziehung der Eltern in den Schutzbereich der Amtspflicht genügt den Erfordernissen der hinreichenden Individualisierbarkeit, Überschaubarkeit und Abgrenzbarkeit des geschützten Personenkreises, da sie allein die Personensorgeberechtigten betrifft. Die Amtspflicht erstreckt sich auf das Erwerbsinteresse der Eltern, da es die im Gesetz zum Ausdruck kommende Absicht ist, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu verbessern und Anreize für die Erfüllung von Kinderwünschen zu schaffen. Den Eltern soll eine Erwerbstätigkeit leichter ermöglicht werden, so dass der Verdienstausfallschaden, den ein Elternteil infolge der Nichtbereitstellung eines Betreuungsplatzes erleidet, grundsätzlich vom Schutzbereich der verletzten Amtspflicht mitumfasst wird.[102]

139

Beispiel:

Die Aufklärungspflicht einer Impfärztin über die Gefahren, die bei einer Impfung mit Lebendviren für Kontaktpersonen bestehen, dient nicht nur dem Interesse der Allgemeinheit daran, dass besonders gefährdete Personen vor einer Ansteckung geschützt werden. Vielmehr gehören auch die Kontaktpersonen selbst zu den geschützten Dritten. Denn sie gehören zu einer abgegrenzten Personengruppe, die sich aus Angehörigen und nahen Bekannten der Familie des Impflings zusammensetzt und durch das erhöhte Ansteckungsrisiko aus dem Kreis der Allgemeinheit herausgehoben wird[103].

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Beispiel:

Die Verpflichtung der Behörde, bei der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gemäß § 6 Abs. 1 BImSchG nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch die Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch die zu genehmigende Anlage zu schützen, stellt sich auch gegenüber dem vom Anlagenbetreiber personenverschiedenen Eigentümer des Anlagengrundstücks als drittschützende Amtspflicht dar. Denn das Eigentum am Anlagengrundstück weist ebenso wie das Eigentum an einem der Anlage benachbarten Grundstück eine besondere Beziehung zur Anlage und ihrem Betrieb auf. Daher kann auch dieses Eigentumsrecht in von § 5 Abs. 1 Nr 1 BImSchG missbilligter Weise betroffen sein und es ist nicht gerechtfertigt, insoweit eine andere Wertung vorzunehmen[104].

141

Beispiel:

Bei der Übernahme einer Vielzahl von Lehrern vom Angestellten- ins Beamtenverhältnis hat sich die zuständige Stelle des Landes L allein an einer entsprechenden Vorschlagsliste des Schulleiters orientiert. Bewerberin B war auf dieser Liste nicht genannt. Sie wurde nicht ins Beamtenverhältnis übernommen[105]. Die Bediensteten des L sind verpflichtet, die Beamtenernennung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei zu treffen. Von dem ihnen eingeräumten Ermessen haben sie verfahrensfehlerhaft von vorneherein gar keinen Gebrauch gemacht. Die Amtspflicht zum fehlerfreien Ermessensgebrauch besteht nicht nur gegenüber der Allgemeinheit, sondern gerade auch gegenüber der B als geschützter „Dritter“. Das ergibt sich daraus, dass diese Amtspflicht auch ihren unmittelbaren Individualinteressen dient, nämlich ihrer Förderung entsprechend ihrer Eignung und Leistung.

142

Der Dritte fällt dann in den Schutzbereich der verletzten Amtspflicht, wenn er sich von der Allgemeinheit unterscheidet, zu deren Schutz die Norm gerade auch besteht. Da der Erlass von Gesetzen durch das Parlament schon von Verfassungs wegen der Allgemeinheit und nicht dem Schutz Einzelner dient (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG), sind die dem Parlament im Rahmen der Gesetzgebung obliegenden Amtspflichten grundsätzlich in personeller Hinsicht nicht drittschützend. Dies wird im Ergebnis mit dem Schlagwort umschrieben: „Keine Haftung für legislatives Unrecht“.

143

Beispiel:

Die Grundentscheidungen des Haushaltsgesetzgebers über die Zuweisung von Personal und die Bewilligung von Sachmitteln entfalten dementsprechend keinen Drittbezug, auch wenn sich aus diesen Entscheidungen mittelbar die Arbeitsüberlastung eines einzelnen Beamten ergibt, den deswegen kein Verschulden für eine zu langsame Bearbeitung eines Antrags trifft. Es kommt jedoch eine Haftung der jeweiligen Behörde aus Organisationsverschulden in Betracht, wenn sie ihr mögliche und zumutbare Maßnahmen nicht getroffen hat. Der Drittbezug der Amtspflicht zur zügigen Bearbeitung hängt nach der neueren Rechtsprechung also nicht (mehr) davon ab, ob die Zuweisung von Personal- oder Sachmitteln zum Aufgabenbereich der in Anspruch genommenen unteren oder einer übergeordneten Behörde gehört. Er besteht in beiden Fällen[106].

144

Der Schutzbereich der jeweiligen Norm ist durch die Ermittlung ihres Schutzzwecks zu bestimmen. Die Schutzzweckbestimmung wird auch sonst im allgemeinen Deliktsrecht angewandt; hierauf kann zurückgegriffen werden.

145

Beispiel:

Die sich aus § 1 Abs. 6 Nr 1 BauGB ergebende Amtspflicht, bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu beachten, dient nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit. Sie bezweckt zugleich den Schutz gerade der Personen, die in dem konkreten von der jeweiligen Bauleitplanung betroffenen Plangebiet wohnen und arbeiten. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen zumindest aus der Beschaffenheit des Grund und Bodens keine Gefahren für Leben und Gesundheit drohen.

146

Dabei müssen zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplanes noch nicht die Personen selbst bekannt sein, die im Plangebiet wohnen werden. Die möglichen Adressaten der Amtspflicht werden durch ihre Beziehung zu dem beplanten Grundstück ausreichend individualisiert und so aus der Allgemeinheit herausgehoben. Der Adressatenkreis kann daher bei der planerischen Ausweisung eines Geländes objektbezogen bestimmt werden; ein konkreter Personenbezug ist dann nicht erforderlich[107]. Adressat der Amtspflicht ist damit in jedem Fall der „Ersterwerber“ eines Baugrundstückes. In selber Weise gehört derjenige dazu, der die Grundstücke erwirbt und zu Wohnzwecken bebauen will, wenn die Bebauung aufgrund der gesundheitlichen Risiken nicht möglich ist. Denn insoweit kann es haftungsrechtlich keinen Unterschied machen, ob sich die Gesundheitsgefahr bereits vor dem „Ersterwerb“ realisiert oder erst danach. Zum Kreis der geschützten Personen gehören jedoch nicht mehr die Eigentümer, die überhaupt nicht die Absicht haben, die Grundstücke zu bebauen. Ebenso scheiden die Personen aus, die zwar an der Verwirklichung einer den Festsetzungen des Plans entsprechenden Bebauung wirtschaftlich beteiligt sind, dabei jedoch reine Vermögensinteressen verfolgen, wie etwa die Kreditgeber der Bauträger, die sich durch Grundpfandrechte am Bauland absichern lassen. Sie können zwar dadurch geschädigt werden, dass sich aufgrund der Bodenkontamination das Grundstück als nicht werthaltig erweist. Diese Schädigung weist jedoch keine besondere Beziehung zu der auf die Abwehr von Gesundheitsgefahren gerichteten Amtspflicht auf[108]. Diese besondere Beziehung besteht hingegen bei der Planung eines Gewerbegebietes auch gegenüber den Gewerbetreibenden, wenn diese ihr Gewerbe aufgrund der Gesundheitsgefährdung für Mitarbeiter und Besucher dort nicht ausüben können[109].

147

Das Gebot des § 1 Abs. 7 BauGB, die betroffenen öffentlichen und privaten Interessen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen, ist hinsichtlich einzelner privater Belange erst dann hinreichend konkretisiert und individualisiert, wenn diese Belange dem Betroffenen subjektive Rechte verleihen. Dies gilt grundsätzlich für das Abwägungsgebot und die Ermessensspielräume der Verwaltung. Zur Bestimmung subjektiver (öffentlicher) Rechte kann wiederum auf die allgemein hierzu entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden[110].

148

Beispiel:

Der außerhalb des Plangebietes belegene Landwirt ist vom personellen Schutzzweck des § 1 Abs. 7 BauGB umfasst, wenn ihm aufgrund des baulichen Rücksichtnahmegebotes ein Abwehranspruch gegen die geplante Bebauung zukommt[111].

149

Die Erteilung einer Baugenehmigung begründet für den Bauherrn grundsätzlich einen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass er sein Bauvorhaben nunmehr verwirklichen kann, ohne mit öffentlich-rechtlichen Hindernissen rechnen zu müssen. Gibt die Behörde einem Antrag auf eine Baugenehmigung zu Unrecht statt, bringt sie den Bauherrn in die Gefahr, dass er einen vorschriftswidrigen Bau ausführt, der keinen Bestand haben kann und unter Umständen wieder beseitigt werden muss. Insoweit soll ihm aber durch die Baugenehmigung gerade eine verlässliche Grundlage für seine wirtschaftlichen Dispositionen verschafft werden. Der Schutzzweck der im Baugenehmigungsverfahren wahrzunehmenden Pflicht geht zwar nicht so weit, den Bauherrn vor allen denkbaren wirtschaftlichen Nachteilen zu bewahren, die ihm bei der Verwirklichung eines Bauvorhabens erwachsen können. Es soll jedoch ein Vertrauenstatbestand gerade dahingehend begründet werden, dass das Bauvorhaben überhaupt ausgeführt werden kann.

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Daher ist die erteilte Baugenehmigung nicht an die Person des Antragstellers gebunden, sondern auf das Grundstück und das Bauvorhaben bezogen. Der durch diesen geschaffenen Vertrauenstatbestand in hinreichender Weise individualisierte und qualifizierte Personenkreis umfasst all diejenigen, die im berechtigten, schutzwürdigen Vertrauen auf den Bescheid unmittelbar die Verwirklichung des konkreten Bauvorhabens in Angriff nehmen wollen und zu diesem Zweck konkrete Aufwendungen für die Planung und Durchführung des Vorhabens tätigen. Dies gilt jedenfalls in den Grenzen eines überschaubaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs[112].

151

Beispiel:

Im Fluglotsenstreikfall[113] ergibt sich aus den die Tätigkeit der Fluglotsen regelnden Vorschriften, dass diese dazu dienen, den Luftverkehr möglichst schnell und flüssig abzuwickeln, und damit der Schnelligkeit, Wirtschaftlichkeit und Regelmäßigkeit des Luftverkehrs dienen sollen. Vom Schutz ist daher nicht nur die Allgemeinheit umfasst. Ihr Schutz ergibt sich aus der öffentlich-rechtlichen Zwecksetzung der Gefahrenabwehr. Vielmehr zählen zu dem durch diesen Zweck hinreichend konkretisierten und individualisierten Personenkreis, dessen Belange nach diesem Zweck geschützt und gefördert werden sollen, gerade auch solche Personen, die durch ihre Teilnahme an einem organisierten Flugreisedienst auf die regelmäßige und wirtschaftliche Abwicklung des Flugverkehrs angewiesen sind[114].

152

Beispiel:

 

Wenn der TÜV-Sachverständige zur Ausfertigung eines Fahrzeugbriefs ein Gutachten erstellt zu der Feststellung, ob das Fahrzeug den geltenden Vorschriften entspreche, dieses feststellt und die Feststellung falsch ist, kann sich darauf ein späterer Erwerber des Fahrzeuges nicht berufen. Die Prüfpflicht des Sachverständigen dient nicht dazu, generell die Benutzbarkeit eines Fahrzeuges zu bescheinigen und im allgemeinen rechtsgeschäftlichen Verkehr das Vertrauen auf die Richtigkeit der Beschreibung im Fahrzeugbrief zu schützen und damit dem potenziellen Erwerber eine eigene Prüfung des fahrtechnischen Zustandes abzunehmen[115].