Handbuch des Strafrechts

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8. Abschnitt: Schutz des Vermögens

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens

Inhaltsverzeichnis

§ 28 Der Schutz des Vermögens im deutschen Strafrecht

§ 29 Diebstahl und Unterschlagung

§ 30 Raub

§ 31 Raubähnliche Delikte

§ 32 Erpressung und räuberische Erpressung

§ 33 Betrug

§ 34 Betrugsähnliche Delikte

§ 35 Untreue

§ 36 Untreueähnliche Delikte

§ 37 Hehlerei

§ 38 Sachbeschädigung

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 28 Der Schutz des Vermögens im deutschen Strafrecht

Elisa Hoven

§ 28 Der Schutz des Vermögens im deutschen Strafrecht

A.Grundlagen des strafrechtlichen Vermögensschutzes1 – 5

I.Die Entwicklung des strafrechtlichen Vermögensschutzes1 – 3

II.Die Bedeutung des strafrechtlichen Vermögensschutzes4, 5

B.Der Begriff des Vermögens6 – 14

I.Geschützte Vermögenspositionen6 – 10

1.Das Eigentum8

2.Der Besitz9, 10

II.Der Streit um den strafrechtlichen Vermögensbegriff11 – 14

C.Vermögensschützende Tatbestände15 – 24

I.Indirekt paternalistischer Vermögensschutz17

II.Kumulative Schutzzwecke18 – 20

III.Vermögensschützende Delikte außerhalb der Abschnitte 19 bis 2721 – 24

D.Systematik und Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes25 – 42

I.Kategorien strafrechtlichen Vermögensschutzes25 – 29

II.Unterschiedliche Angriffsformen bei Vermögens- und Eigentumsdelikten30, 31

III.Strafbare Beeinträchtigungen des Vermögens32 – 42

1.Vermögensschaden und Dispositionsfreiheit32 – 36

2.Gefährdungen des Vermögens37 – 42

a)Gefährdung als Schaden37 – 39

b)Strafbarkeit abstrakter Vermögensgefährdungen40 – 42

E.Fazit: Zur Struktur des Vermögensstrafrechts43 – 45

Ausgewählte Literatur

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 28 Der Schutz des Vermögens im deutschen Strafrecht › A. Grundlagen des strafrechtlichen Vermögensschutzes

A. Grundlagen des strafrechtlichen Vermögensschutzes

I. Die Entwicklung des strafrechtlichen Vermögensschutzes

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Das deutsche Strafrecht schützt das Vermögen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen vor ganz verschiedenen Angriffsformen. Wenngleich auch das Römische Recht, die Constitutio Criminalis Carolina (1532) und das Preußische Allgemeine Landrecht (1794) vermögensschützende Straftatbestände kannten, ist die heutige Konzeption des Vermögensschutzes im deutschen Strafgesetzbuch von diesen Vorläufern weitgehend unbeeinflusst.[1] Das Römische Recht bestrafte das „furtum“, womit jedes „unredliche Antasten in gewinnsüchtiger Absicht, sei es der Sache selbst oder sei es auch des Gebrauches oder des Besitzes“[2] gemeint war. In diesem Generaltatbestand wurden, ohne Differenzierung nach Handlungsweise oder Sanktionsandrohung, neben dem Diebstahl auch heutige Formen der Unterschlagung, des Raubes und des Betruges erfasst. Darüber hinaus unterfielen dem Delikt des „furtum“ heute nicht strafbare Angriffe gegen das Vermögen, wie die rechtswidrige Besitzstörung oder der vertragswidrige Gebrauch. Eine differenziertere Regelung sah die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) zumindest für den Bereich des Diebstahls vor. In den Art. 157–175 wurde eine Vielzahl von Diebstahlsformen normiert, die sich etwa nach dem Wert des Gestohlenen oder der Art des Gewahrsamsbruchs unterschieden. Eine Strafbarkeit des Betruges kannte die CCC hingegen nicht.[3] Demgegenüber sah das Preußische Allgemeine Landrecht (PrALR) bereits verschiedene Kategorien der Vermögensbeeinträchtigung vor. In seinem 2. Teil, 20. Titel finden sich die folgenden, insbesondere nach der Motivlage des Täters gegliederten Abschnitte: „Von der Beschädigung des Vermögens überhaupt und von der Entwendung inbesonderheit“ (14. Abschnitt), „Von Beschädigungen des Vermögens durch strafbaren Eigennutz und Betrug“ (15. Abschnitt), „Von Beschädigungen des Vermögens aus Rache, Bosheit und Muthwillen“ (16. Abschnitt) sowie „Von Beschädigungen mit gemeiner Gefahr“ (17. Abschnitt). Bis Anfang des 19. Jahrhunderts boten Regelung und Dogmatik der Vermögensdelikte jedoch „ein Bild jämmerlicher Verworrenheit“[4], das als Vorbild für die Gestaltung des Strafgesetzbuches wenig Nutzen versprach.[5] In den 1820er Jahren begann ein Reformprozess, in dessen Zuge Struktur und Inhalt des strafrechtlichen Vermögensschutzes grundlegend neu gestaltet wurden.[6] Bereits der zweite von insgesamt zehn Entwürfen zum Preußischen Strafgesetzbuch[7] vollzog eine Abkehr von der motivbezogenen Einteilung der Vermögensdelikte und orientierte den strafgesetzlichen Aufbau an den Handlungsformen und der Natur des Schadens. Die Regelungen des im Jahr 1851 in Kraft getretenen Preußischen Strafgesetzbuchs bilden die historisch wichtigste Grundlage des heutigen Vermögensstrafrechts. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund von 1870 und später das Reichsstrafgesetzbuch aus dem Jahr 1871 übernahmen die Bestimmungen beinahe wortgleich.

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Im 20. Jahrhundert änderten sich die Vorzeichen des strafrechtlichen Vermögensschutzes: Waren einst „Haus und Hof, Pferd, Kuh, Hühner und Kaninchen“[8] Gegenstand der Vermögensdelikte, so kam nun zunehmend Aktien, Anwartschaften oder dem geistigen Eigentum wirtschaftliche Bedeutung zu. Mit den wachsenden Möglichkeiten der Informationstechnologie wurde das Vermögen durch Hacker-Angriffe oder Datenmanipulationen bedroht. Der Handel mit Vermögenswerten erfolgte zunehmend transnational und mit der Europäischen Union entstand ein neuer Akteur mit eigenen Vermögensinteressen. Infolge der technischen Entwicklungen und internationaler Einflüsse hat der Vermögensschutz des Strafgesetzbuchs (StGB) eine Vielzahl von Änderungen erfahren. So wurden mit dem 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (WiKG) von 1976[9] die Tatbestände des Subventions- und des Kreditbetruges eingeführt; das 2. WiKG[10] ergänzte das StGB um Vorschriften zum Schutz des bargeldlosen Zahlungsverkehrs (§§ 152a, 266b StGB), von Kapitalanlegern (§ 264a StGB) und vor Computerkriminalität (§ 263a StGB). Weitere Neuerungen folgten insbesondere durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität von 1992[11] (§ 261 StGB), das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption von 1997 (§§ 298, 299 StGB) sowie zahlreicher Regelungen im Nebenstrafrecht (etwa die Stärkung des Schutzes geistigen Eigentums im Patent-, Urheber- oder Geschmacksmustergesetz).[12]

 

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Auch in Zukunft wird sich das Vermögensstrafrecht wandeln müssen, um den Herausforderungen der Digitalisierung und dem Einsatz moderner Technologien gerecht zu werden. In Anbetracht neuer Erscheinungsformen von Vermögen (etwa virtuelle Währungen oder digitale Gegenstände) und bislang wenig bekannter Kriminalitätsräume (wie das Darknet) stehen Strafrechtswissenschaft und -politik vor der Aufgabe, die traditionellen Vermögensdelikte im Lichte des technischen Fortschrittes fortzudenken und neu zu gestalten.[13]

II. Die Bedeutung des strafrechtlichen Vermögensschutzes

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Es entspricht einer verbreiteten Ansicht, dass Straftaten gegen das Vermögen weniger schwer wiegen als Delikte gegen Persönlichkeitswerte.[14] Bedeutung erlangt diese Abstufung etwa im Rahmen der Rechtsgüterabwägung beim rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB).[15] Freilich lässt sich eine solche Hierarchie kaum mit allgemeiner Gültigkeit formulieren, hängt die Bewertung der Deliktsschwere doch maßgeblich von Intensität und Folgen des Rechtsgutsangriffs ab: So wiegt die Zerstörung eines wertvollen Kunstgegenstandes offenkundig schwerer als eine einfache Ohrfeige. Hinter einer niedrigen Bewertung von Vermögensinteressen steht meist ihre Reduktion auf eine rein materielle Position. Diese Sicht blendet jedoch die Bedeutung des Vermögens für den Einzelnen, seine Lebensgestaltung und Persönlichkeitsentfaltung aus.[16] Vermögen kann das Ergebnis langjähriger Arbeit sein, es ist wirtschaftliche Basis für Freiheit[17] und Selbstverwirklichung sowie Gegenstand individueller Vorsorge für Alter oder Krankheit. Eine Sache kann Verkörperung eigenen, kreativen Schaffens sein oder für den Einzelnen erheblichen Affektionswert haben; die Tötung eines Haustiers oder die Wegnahme eines Erinnerungsstücks werden aufgrund ihrer immateriellen Bedeutung nicht allein und nicht maßgeblich als finanzielle Verluste erlebt. Eine Rangfolge zwischen Persönlichkeits- und Vermögenswerten bildet sich auch im StGB nicht ab. So entsprechen sich etwa die Strafrahmen des einfachen Diebstahls und der einfachen Körperverletzung; sie erlauben eine angemessene Sanktionierung jeweils leichter und schwerer Verletzungen der Rechtsgüter.

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In der Praxis der Justiz kommt dem Vermögensstrafrecht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Während Vermögensdelikte in ihren Bagatellformen (etwa der einfache Ladendiebstahl oder die Leistungserschleichung) die Strafverfolgungsbehörden durch die Häufigkeit ihres Vorkommens belasten, stellen komplexe wirtschaftskriminelle Taten die Justiz vor erhebliche Ermittlungs- und Nachweisschwierigkeiten. Der besonderen Komplexität vermögensrelevanter Delikte (hierzu zählen freilich auch Wirtschaftsstraftaten, die nicht unmittelbar dem Vermögensschutz dienen) wird durch die Zuständigkeit spezieller Wirtschaftsstrafkammern (§ 74c GVG) und die Einsetzung von mittlerweile 45 Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Korruption und Wirtschaftsstrafsachen Rechnung getragen.

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 28 Der Schutz des Vermögens im deutschen Strafrecht › B. Der Begriff des Vermögens

B. Der Begriff des Vermögens

I. Geschützte Vermögenspositionen

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Das StGB schützt verschiedene Facetten des Vermögens durch unterschiedliche Tatbestände. Während einige Strafnormen das Vermögen als Ganzes erfassen (etwa §§ 253, 263, 266 StGB), sanktionieren andere nur Eingriffe in bestimmte Bestandteile und Positionen, wie das Eigentum (§§ 242, 303 StGB) oder Nutzungs- und Aneignungsrechte (§§ 248b, 292 StGB). Obwohl die Einteilung in Straftaten gegen das Eigentum und gegen das Vermögen insgesamt zu den grundlegenden Kategorien des Vermögensstrafrechts gehört,[18] wird sie in der Systematik des StGB nicht abgebildet. Eine strikte Trennung zwischen Straftaten gegen das Sacheigentum und gegen das Vermögen findet sich nicht; so werden etwa Raub (Sacheigentum) und Erpressung (Vermögen) in ein und demselben Abschnitt behandelt.[19]

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Zum Vermögen gehören grundsätzlich alle Güter, die einen wirtschaftlichen Wert haben. Dazu zählen werthaltige Rechte wie Eigentum, unmittelbarer und mittelbarer Besitz, Aneignungsrechte, schuldrechtliche und dingliche Forderungen, Nutzungs-, Pfand- und Sicherungsrechte, Anwartschaften, bestimmte Exspektanzen[20] sowie die üblicherweise gegen Entgelt erbrachte Arbeitsleistung.[21] Auch der Verfügungsbefugnis über Daten kann ein Vermögenswert zukommen; § 303a StGB schützt daher nach richtiger Ansicht (auch) das Vermögen desjenigen, dessen Daten beeinträchtigt werden.[22] Zwei Positionen sind für das Verständnis des strafrechtlichen Vermögensschutzes von besonderem Interesse: das Eigentum und der Besitz.

1. Das Eigentum

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Als Eigentumsdelikte werden gemeinhin die folgenden Tatbestände verstanden: Diebstahl, Unterschlagung, Raub, räuberischer Diebstahl sowie Sachbeschädigung.[23] Diese Einordnung bedarf jedoch der Präzisierung: Die Zueignungsdelikte setzen das Eigentum einer anderen Person an dem entzogenen Gegenstand voraus, schützen jedoch nicht das Eigentum in seinem rechtlichen Bestand.[24] Schließlich verliert der Betroffene durch die Entziehung der Sache sein Eigentum in aller Regel nicht (§ 935 BGB), sondern bleibt weiterhin als Eigentümer herausgabeberechtigt.[25] Der Angriff richtet sich in den §§ 242, 246, 249, 252, 303 StGB also gegen die uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers (§ 903 BGB) und nicht gegen seine sachenrechtliche Position.[26] Auch die Sachbeschädigung (§ 303 StGB) verletzt nicht die rechtliche Eigentümerstellung,[27] sondern das Interesse des Eigentümers an Erhalt und Nutzung des Gegenstandes. Eine Ausnahme bildet § 297 StGB (Gefährdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen durch Bannware): Hier riskiert der Täter durch die Beförderung der Bannware tatsächlich den Verlust fremden Eigentums durch die staatliche Einziehung des Transportfahrzeugs.[28]

2. Der Besitz

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Zivilrechtlich wird der – mittelbare und unmittelbare – Besitz an einer Sache durch §§ 823, 1007 BGB sowie die Vorschriften über Besitzstörung in §§ 859 ff. BGB gewährleistet. Der strafrechtliche Besitzschutz ist hingegen fragmentarisch und uneinheitlich. Die Eigentumsdelikte des StGB schützen den Besitz als solchen nicht. Wenngleich der Gewahrsam vereinzelt als geschütztes Rechtsgut des § 242 StGB angesehen wird,[29] so bleibt sein Schutz doch unvollkommen. Die bloße Sachentziehung genügt für eine Strafbarkeit des Täters wegen Diebstahls nicht; die Wegnahme muss vielmehr mit dem Vorsatz erfolgen, den Berechtigten dauerhaft zu „enteignen“, ihm den Besitz an der Sache also nicht nur vorübergehend zu entziehen.[30] Eine Ausnahme bildet § 248b StGB, der die Gebrauchsanmaßung bei Kraftfahrzeugen und Fahrrädern unter Strafe stellt. Außerhalb dieser eng umgrenzten Spezialregelung ist der temporäre Besitzentzug, das „furtum usus“, jedoch nicht strafbar.[31] Mit der sogenannten „Sachwerttheorie“ wird der Versuch unternommen, Strafbarkeitslücken in Fällen der vorübergehenden Besitzanmaßung zu schließen. Hiernach soll eine Zueignungsabsicht im Sinne von § 242 StGB auch dann vorliegen, wenn der Täter dem Berechtigten den spezifischen Wert der Sache, das „lucrum ex re“, entziehen möchte.[32] Ein weiteres Korrektiv[33] soll der Umfang der Nutzung der weggenommenen Sache darstellen: Ist der Sachwert um mehr als 50 % vermindert oder wird eine Teilfunktion der Sache vollständig entzogen (etwa die Eigenschaft eines Buchs als neuwertig)[34], so erhalte der Eigentümer letztlich eine andere als die ursprüngliche Sache zurück und sei daher „enteignet“.[35] Beide Ansätze heben die Unterscheidung zwischen strafloser Besitzanmaßung und strafbarer Zueignung nicht auf, sondern verschieben lediglich ihre Trennlinie. So bleibt es bei einem nur fragmentarischen Schutz des Besitzentzugs – es wird weiterhin nicht bestraft, wer etwa einem Geiger unmittelbar vor dessen Konzert die Violine entzieht, um sie ihm am nächsten Morgen zurückzugeben –, während gleichzeitig neue Abgrenzungsschwierigkeiten (wann liegt eine hinreichende Wertminderung vor?) und Widersprüche (der vorübergehende Entzug eines neuwertigen Buches soll § 242 StGB erfüllen, der eines gebrauchten hingegen nicht) entstehen. Darüber hinaus überdehnen beide Korrektive den Begriff der Zueignung und lassen sich mit dem Wesen des Eigentumsschutzes nicht sinnvoll in Einklang bringen. Die Gleichsetzung einer Sache mit dem in ihr verkörperten Wert ist weder mit der zivilrechtlichen Eigentumsdogmatik zu vereinbaren noch wird sie den Wertungen des § 242 StGB gerecht. Da die Strafnorm die uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit des Eigentümers über eine Sache unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Wert schützt, kann die tatbestandlich vorausgesetzte Zueignung nicht ohne Systembruch auf eben diesen wirtschaftlichen Sachwert bezogen werden.[36] Ähnlichen Bedenken begegnet die Annahme von Zueignungsabsicht in Fällen der Sachwertminderung. Hier wird das Unrecht der Sachbeschädigung zu einem Diebstahlsunrecht hochgestuft. Wer die Sache des Eigentümers durch intensive Nutzung in ihrem Wert mindert, der fügt ihm einen Schaden zu, „enteignet“ ihn aber nicht.

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Anders gestaltet sich der Schutz des Besitzes in Straftatbeständen, die das Vermögen als Ganzes erfassen. Wird dem Berechtigten der Besitz nicht durch Wegnahme, sondern durch Täuschung oder Drohung entzogen, so hängt die Strafbarkeit davon ab, ob durch das Handeln des Täters ein Vermögensschaden eingetreten ist. Grundsätzlich gehört jedenfalls der berechtigte mittelbare oder unmittelbare Besitz zum Vermögen und wird damit von §§ 263, 253 StGB geschützt.[37] Während der dauerhafte Besitzverlust einer werthaltigen Sache ohne weiteres einen Schaden darstellt, ist dies bei nur zeitweiliger Entziehung der Sache zweifelhaft. Ein Schaden liegt trotz späterer Rückgabe der Sache dann vor, wenn sie durch die vorübergehende Nutzung in ihrem Wert gemindert, verbraucht oder beschädigt wurde.[38] Ebenso ist von einem Vermögensschaden auszugehen, wenn die Überlassung des Besitzes an dem Gegenstand üblicherweise nur gegen Entgelt erfolgt. Wird der Besitzer etwa um die Mietzahlung gebracht, so ist er durch die nicht kompensierte Hingabe der Sache geschädigt.[39] Damit ergibt sich folgendes Bild: Hat die Sache einen kommerzialisierbaren Nutzungswert, so ist der temporäre Besitzentzug durch Täuschung oder Drohung strafbar, durch Wegnahme (außerhalb von § 248b StGB) hingegen straflos. Diese wenig schlüssige Differenzierung im Schutz des Besitzes offenbart Mängel in Konsistenz und Systematik des Vermögensstrafrechts:[40] Die unterschiedliche (und bislang nicht harmonisierte) Konzeption von Eigentumsdelikten und Vermögensdelikten im engeren Sinne führt dazu, dass der gleiche Vermögenswert vor einer Angriffsform (Täuschung) geschützt wird, vor einer anderen (Wegnahme) hingegen nicht. Trotz dieses Befundes wird über die Einführung eines allgemeinen Straftatbestandes des unerlaubten Besitzentzuges bislang nicht ernsthaft diskutiert.

 

II. Der Streit um den strafrechtlichen Vermögensbegriff

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Bei der Definition des Vermögensbegriffs handelt es sich um eines der wohl umstrittensten Probleme des Strafrechts; im Schrifttum existiert eine fast unüberschaubare Meinungsvielfalt und auch die Rechtsprechung ist bislang zu keiner vollständig konsistenten Auslegung gelangt. Neben dem traditionellen juristischen, dem rein wirtschaftlichen und dem gemischt „juristisch-ökonomischen“ Vermögensbegriff werden in der Literatur personale Vermögenslehren sowie funktionale Ansätze zur Beschreibung strafrechtsrelevanten Vermögens vertreten (ausführlich hierzu → BT Bd. 5: Urs Kindhäuser/Kay H. Schumann, Betrug, § 33 Rn. 42–65).[41]

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Für die Rechtspraxis von besonderer Relevanz ist das Verhältnis zwischen wirtschaftlichen und normativen Aspekten bei der Bewertung einer Position als Vermögen. Kann es ein strafrechtlich geschütztes Vermögen außerhalb der (Zivil-)Rechtsordnung geben oder ist das Vermögen „geronnenes Recht“[42], dessen Definition sich nicht in Widerspruch zu den Wertungen des Rechts setzen darf? Die Frage nach der Normativierung ökonomisch werthaltiger Positionen wurde im Jahre 2016 durch einen Anfragebeschluss des 2. Strafsenats neu aufgeworfen,[43] der die grundsätzlichen Divergenzen zwischen dem ökonomischen und dem juristischen Begriffsverständnis deutlich macht.[44] Gegenstand der Anfrage war die Entscheidung des Senats, den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln nicht dem Vermögen im strafrechtlichen Sinne zuzurechnen. Damit widersprach der 2. Strafsenat der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Reichsgerichts;[45] beide gingen seit der Entscheidung der Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts vom 14. Dezember 1910[46] von einem wirtschaftlichen Verständnis des Vermögens aus. Begründet wird die ökonomische Betrachtungsweise in erster Linie kriminalpolitisch: Ein „von vornherein schutzunwürdiges Vermögen“ dürfe im Strafrecht nicht existieren, da anderenfalls rechtsfreie Räume (etwa im „Ganovenumfeld“) geschaffen würden und es der Justiz versagt bliebe, angemessen auf die „Gefährlichkeit“ der Täter zu reagieren.[47] Daher sei auch der strafbare Besitz dem Vermögen zuzuordnen, wenn ihm ein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden kann; bei illegalen, auf dem Schwarzmarkt gehandelten Betäubungsmitteln sei dies der Fall.[48] Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise hält der Bundesgerichtshof allerdings nicht konsequent durch. Arbeits- und Dienstleistungen, die aufgrund eines verbotenen oder sittenwidrigen Vertrages erbracht werden, sollen dem strafrechtlichen Vermögensbegriff nicht unterfallen; ihnen komme kein anerkannter Marktwert zu.[49] So blieb etwa bis zum Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes straffrei, wer eine Prostituierte durch Vorspiegelung von Zahlungsbereitschaft um ihren Arbeitslohn betrog.[50] Die Begründung des Bundesgerichtshofs liest sich hier wie eine Abkehr vom wirtschaftlichen Vermögensbegriff: „Das Strafrecht würde sich in Widerspruch zur übrigen Rechtsordnung setzen, wenn es im Rahmen des Betrugstatbestandes nichtigen Ansprüchen Schutz gewährte, die aus verbotenen oder unsittlichen Rechtsgeschäften hergeleitet werden.“[51] Nach dieser Argumentation kann auch der Verlust des strafbaren Besitzes von Drogen keinen Vermögensschaden begründen. Anderenfalls würde die Rechtsordnung den Besitz gleichzeitig bestrafen (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG) und als Vermögenswert schützen.[52] Den strafbaren Besitz zum geschützten Rechtsgut zu erheben, erscheint nicht nur rechtssystematisch widersinnig, sondern stellt auch eine „faktische Anerkennung des Unrechtsverkehrs“[53] dar.[54] Ein „rechtsfreier Raum“ entsteht durch eine normative Begrenzung des Vermögensschutzes nicht: Wird der illegale Besitz durch Gewalt oder Drohungen entzogen, so macht sich der Täter wegen Freiheits- oder Körperverletzungsdelikten strafbar; in anderen Fällen (wie der bloßen Täuschung) muss das Strafrecht als „ultima ratio“ hingegen nicht zum Schutz einer rechtswidrigen Position eingreifen.[55]

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Diese Konsequenz wurde von den übrigen Senaten des Bundesgerichtshofs[56] sowie einer anderen Sitzgruppe des zweiten Strafsenats[57] indes nicht geteilt. Sie halten an der bisherigen Rechtsprechung insbesondere mit der Begründung fest, dass die Versagung des vermögensstrafrechtlichen Schutzes Diskrepanzen im Verhältnis zu den Eigentumsdelikten auslöse.[58] Werden illegale Betäubungsmittel mit der herrschenden Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung als „fremde Sachen“ und damit als taugliche Tatobjekte der Eigentumsdelikte bewertet,[59] so ist ihre gewaltsame Wegnahme als Raub zu bestrafen, während ihre erzwungene Herausgabe nach der Auffassung des 2. Strafsenats nicht unter §§ 253, 255 StGB (sondern lediglich unter § 240 StGB) fiele.[60] Die hiermit verbundene erhebliche Abweichung im Strafmaß ist mit dem zufälligen äußeren Erscheinungsbild, das der Abgrenzung zwischen § 249 StGB und §§ 253, 255 StGB zugrunde liegt, allerdings nicht sinnvoll erklärbar.

14

An dieser Stelle zeigt sich erneut eine Schwäche des strafrechtlichen Vermögensschutzes, der Eigentums- und Vermögensdelikte im engeren Sinne nicht parallel ausgestaltet (Rn. 10). Die Eigentumsdelikte schützen den Eigentümer einer „beweglichen Sache“ vor Wegnahme, nicht aber vor Täuschung oder Bedrohung, die zum Besitzverlust führen. Diese Lücke wird regelmäßig durch die Vermögensdelikte im engeren Sinne geschlossen, die eben diese Angriffsformen unter Strafe stellen. Ein Schutzvakuum entsteht jedoch dann, wenn die Sache keinen Vermögenswert hat[61] (wie Gegenstände mit rein immateriellem Affektionswert[62]) und damit nicht von §§ 253, 263 StGB erfasst wird. Divergenzen in der Bestrafung von Wegnahme und Weggabe sind jedoch in der Inkongruenz von Eigentums- und Vermögensbegriff angelegt[63] und unvermeidbare Folge ihrer unterschiedlichen Schutzkonzepte.[64] Eine mögliche Lösung hat der 2. Strafsenat aufgezeigt: Die Diskrepanz ließe sich durch eine restriktive Auslegung der Eigentumsdelikte überwinden, derzufolge das Eigentum an illegalen Betäubungsmitteln nicht als vollwertige Eigentumsposition anerkannt und vom strafrechtlichen Schutz teleologisch ausgenommen wird.[65] Eine solche Reduktion des Eigentumsbegriffs wäre zwar ein Novum im strafrechtlichen Eigentumsschutz. Die teleologische Einschränkung wäre jedoch sinnvoll: Das Verständnis von Eigentum würde von der geltenden, strengen Zivilrechtsakzessorietät entkoppelt[66] und stattdessen im Lichte zivilrechtlicher Wertungen (hier: die zentralen zivilrechtlichen Eigentumsrechte nach §§ 903, 985 ff. BGB stehen dem Drogenhersteller wegen § 29 BtMG nicht zu[67]) einer eigenständigen strafrechtlichen Bewertung unterzogen.

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 28 Der Schutz des Vermögens im deutschen Strafrecht › C. Vermögensschützende Tatbestände