Handbuch des Strafrechts

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2. Beweglichkeit der Sache

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Sachen sind beweglich,[47] wenn sie nicht fest mit einem Grundstück verbunden sind, sondern tatsächlich fortbewegt werden können.[48] Der strafrechtliche Begriff der Beweglichkeit ist aber in einem natürlichen Sinne zu verstehen (und z.B. nicht von der zivilrechtlichen Einordnung als Zubehör o.Ä. abhängig).[49] Bestandteile unbeweglicher Sachen werden somit auch erfasst, wenn diese erst zum Zweck der Wegnahme beweglich gemacht werden, wie z.B. abgefressenes Gras,[50] gemähtes Getreide,[51] gestochener Torf o.Ä.[52] Es handelt sich hierbei um taugliche Diebstahlsobjekte, da die Bestandteile durch die Trennung Sachqualität i.S.v. § 94 Abs. 1 S. 1 BGB erlangen.[53] Cum grano salis kann man sagen: Wenn etwas weggenommen wird, dann ist das in aller Regel ein sehr starkes Indiz für seine Beweglichkeit. An diesem Merkmal kann daher im Einzelfall einmal die Unterschlagung, praktisch aber nie der Diebstahl scheitern.

3. Fremdheit

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a) Eine Sache ist fremd,[54] wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist,[55] oder anders formuliert: wenn ein anderer zumindest Miteigentum an ihr hat.[56] Für die Bestimmung der Fremdheit ist der maßgebliche Zeitpunkt die Tathandlung,[57] wobei die Fremdheit als solche nicht während der gesamten Tatausführung vorliegen muss. Es führt daher nicht zu einer Verneinung der Fremdheit, wenn der Täter durch die Wegnahme zugleich das Eigentum an der Sache erlangt, da die Sache zumindest zu Beginn der Wegnahme noch fremd war.[58]

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Grundsätzlich richtet sich die Fremdheit der Sache nach den zivilrechtlichen Eigentumsverhältnissen,[59] weshalb die Regeln des dinglichen Eigentumserwerbs nach den §§ 929 ff. BGB einschließlich des Abstraktionsprinzips ausschlaggebend sind.[60] Der Eigentumsübergang findet daher losgelöst von der Tatsache statt, ob z.B. das Verpflichtungsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, soweit das Verfügungsgeschäft hiervon unberührt bleibt.[61] Hingegen wird bei einem Eigentumserwerb durch einen Stellvertreter der Vertretene nur dann Eigentümer, wenn es sich entweder um eine offene Stellvertretung handelt und der Vertreter Besitzdiener des Vertretenen ist[62] oder wenn es sich (bei der verdeckten Stellvertretung) um ein „Geschäft für den, den es angeht“, handelt.[63]

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Eine Ausnahme von der Zivilrechtsakzessorietät bei der Bestimmung der Fremdheit besteht nach h.M. bei den zivilrechtlichen Rückwirkungsfunktionen.[64] Zum Beispiel haben diese im Fall einer Anfechtung der Übereignung nach der Wegnahme durch den Anfechtungsberechtigten keinen Einfluss auf die strafrechtliche Fremdheit der Sache zum Tatzeitpunkt, mit der Folge, dass die Sache weiterhin als fremd anzusehen ist.[65] In diesen Konstellationen ist jedoch diskutabel, ob dann die Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung verneint werden muss oder ob ein Strafaufhebungsgrund vorliegt.[66]

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b) Ebenso sind Sachen, die im Miteigentum (§§ 1008 ff. BGB) des Täters stehen, taugliche Diebstahlsobjekte.[67] Das Gleiche gilt für Gesamthandseigentum[68] und solche Sachen, an denen der Täter erst Vorbehaltseigentum erworben bzw. Sicherungseigentum bei einem anderen begründet hat. Eine Änderung dieser formalen Eigentumsposition erfolgt auch nicht durch (schuldrechtliche) Eigentumsverschaffungsansprüche bzw. Sicherungsabreden. Für den Alleingesellschafter einer (Ein-Mann-)GmbH sind im Eigentum der Gesellschaft stehende Sachen aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Selbstständigkeit juristischer Personen fremd, auch wenn die Gesellschaft und ihr Eigentum rein wirtschaftlich betrachtet dem Gesellschafter gehören.[69] Jedoch besteht in diesen Fällen grundsätzlich keine Strafbarkeit, wenn der Täter zugleich Alleingeschäftsführer ist,[70] da er konkludent sein Einverständnis in die Wegnahme erklärt oder weil es an der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung fehlt.[71]

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c) Herrenlose Sachen sind keine tauglichen Diebstahlsobjekte, da sie in niemandes Eigentum stehen.[72] Hiervon erfasst sind Sachen, die von Natur aus als herrenlos gelten, wie z.B. wilde Tiere, unabhängig davon, ob sie sich schon immer in Freiheit bewegt haben oder die Freiheit nach § 960 Abs. 3 BGB wiedererlangt haben.[73] Ebenso sind jagdbare wilde Tiere herrenlos. Der Jagdberechtigte hat aber ein Aneignungsrecht nach § 1 Abs. 1 BJagdG, § 958 Abs. 2 BGB, außerdem wird der Fall von den §§ 292 ff. StGB erfasst. Wie sich auch aus § 960 Abs. 1 BGB ergibt, sind Fische in Teichen oder anderen geschlossenen Privatgewässern sowie Zootiere nicht herrenlos.

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Daneben können auch Sachen, die ursprünglich im Eigentum einer Person standen, herrenlos werden, wenn die Voraussetzungen der Dereliktion (Eigentumsaufgabe) nach § 959 BGB vorliegen und der Verzichtswille in der Außenwelt auf irgendeine Art und Weise in Erscheinung getreten sind.[74] Denkbare praktische Anwendungsfälle einer solchen Dereliktion sind etwa Sperrmüll und Altpapier,[75] das an den Straßenrand gestellt wurde, oder Speisereste in der Mülltonne.[76] Die Dereliktion ist hingegen zu verneinen, wenn der Eigentümer sein Eigentum nicht aufgeben, sondern übertragen möchte bzw. der Eigentümer nicht den unmittelbaren Besitz an der Sache aufgeben will.[77] Eine Herrenlosigkeit liegt daher nicht bei Sachen, die für (z.B. soziale) Sammelzwecke zur Abholung an der Straße abgelegt wurden[78] oder die nach dem Willen des Berechtigten einer bestimmten Entsorgung zugeführt werden sollen.[79] Gleiches gilt für Blumen auf einem Grab.[80] Im Gegensatz hierzu bleiben verloren gegangene Sachen fremd – unabhängig davon, ob sie verlegt oder vergessen wurden.[81] Hier ist jedoch dann zu untersuchen, ob sie nicht gewahrsamslos geworden sind (vgl. unten Rn. 31, 34).

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Der menschliche Leichnam ist zwar grundsätzlich eine herrenlose Sache, so dass die Wegnahme nur von § 168 StGB erfasst wird. Nach h.M. kann jedoch dann Eigentum am Leichnam oder einzelnen Körperteilen begründet werden, wenn, z.B. bei einer Organspende (zu Lebzeiten oder nach dem Tod durch Angehörige nach §§ 3 f. TPG), die Organe aus dem körperlichen Zusammenhang gelöst werden[82] oder durch die Überlassung an ein anatomisches Institut, wodurch dieses Eigentum am Leichnam erwirbt.[83] Im Falle der bloßen Bestimmung zur Bestattung dürfte die Eigentumsfähigkeit des Leichnams aber ausgeschlossen sein.[84]

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d) Fremd sind grundsätzlich nur verkehrsfähige Sachen, die überhaupt im Eigentum eines anderen stehen können. Daher handelt es sich bei verkehrsunfähigen Sachen (sog. res extra commercium), wie etwa der lebende Körper (zur fehlenden Sachqualität vgl. auch bereits oben Rn. 18), um keine tauglichen Diebstahlsobjekte. Auch atmosphärische Luft, frei fließendes Wasser in Flüssen oder Seen sind nicht verkehrsfähig, sofern sie einen natürlichen Zu- und Abfluss haben.[85] Dagegen können Personalausweise taugliches Objekt eines Diebstahls (und insbesondere auch einer beabsichtigten Zueignung) sein, obgleich sie nach § 4 Abs. 2 PAuswG im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland stehen.[86]

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Fraglich ist der Eigentumsschutz für illegale Betäubungsmittel. Die ganz überwiegende Rechtsprechung und auch große Teile der Literatur sehen in ihnen keine res extra commercium,[87] obwohl ihr Erwerb regelmäßig strafbar und das Erwerbsgeschäft daher nach §§ 134, 138 BGB nichtig ist. Denn jedenfalls ihre Erzeuger werden i.d.R. gesetzlich Eigentum erwerben (vgl. §§ 950, 953 BGB) und dann bei unwirksamen Übereignungsvorgängen Eigentümer bleiben (oder eben das Eigentum durch neue gesetzliche Eigentumserwerbsvorgänge verlieren).[88] Demgegenüber hatte der 2. Strafsenat in einem Anfragebeschluss die Frage aufgeworfen,[89] ob der (etwa nötigungs- oder täuschungsbedingte) Verlust von Betäubungsmitteln einen Vermögensschaden im strafrechtlichen Sinne bedeuten kann, und in diesem Zusammenhang auch auf die Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts verwiesen, wonach mangels Verkehrsfähigkeit kein fremdes Eigentum i.S. des Diebstahlstatbestandes bestehen soll (BGE 122 IV, 179, 183 f.).

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Zu einer Entscheidung des Großen Strafsenats ist es (auf Grund einer Rücknahme der Vorlage) bislang noch nicht gekommen. Für die tradierte Auffassung spricht freilich, dass auch sonst bei einem Diebstahl Eigentümer und Gewahrsamsinhaber nicht übereinstimmen müssen und ein weitgehend (vermögensstraf-)rechtsfreier Raum im Drogenmilieu droht. Andererseits mag man mit guten Gründen fragen, ob es Aufgabe der staatlichen Strafjustiz ist, in diesem Feld für „Rechtsgüterschutz“ zu sorgen und dass es eben doch einen Unterschied macht, ob Eigentümer und Gewahrsamsinhaber zufällig auseinanderfallen oder ob in bestimmten Lebensbereichen der Diebstahl strukturell immer allein zum Gewahrsamsschutz degeneriert. Soweit man dem Standpunkt der tradierten Rechtsprechung folgt, ist es freilich wenig konsequent, wenn der 4. Strafsenat gegen die unbefugte Entziehung von Betäubungsmitteln die zivilrechtlichen Besitzschutzrechte (§ 859 Abs. 2 BGB) nicht als Rechtfertigungsgründe zulassen will, weil eine im Anschluss an eine Besitzentziehung geübte Besitzkehr erneut zu einer strafrechtswidrigen Besitzlage führen würde.[90] Denn wenn § 242 StGB in solchen Fällen auch allein den Bruch eines strafrechtswidrigen Gewahrsams (ohne ernsthaften Eigentumsschutz) unter Strafe stellt, ist es nur konsequent, gegen die Störung dieses Besitzes auch die Besitzschutzrechte anzuerkennen.

 

II. Die Tathandlung beim Diebstahl: Wegnahme

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Tathandlung des § 242 StGB ist die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache,[91] d.h. der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.[92] Der Tatbestand wird bereits durch die Wegnahme vollendet. Durch das Erfordernis der Wegnahme lässt sich der Diebstahl von einer Zueignung durch bloßes Nehmen und damit der Unterschlagung[93] sowie vom betrügerischen bzw. erpresserischen Sichgebenlassen, also von Betrug und Erpressung abgrenzen. Der Diebstahl entfaltet eine doppelte Schutzwirkung sowohl gegen Eigentums- als auch gegen Gewahrsamsverletzungen, sodass auch der Gewahrsamsinhaber Verletzter sein kann.[94]

1. Gewahrsamsbegriff

a) Allgemeines

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aa) Inhaber des Gewahrsams ist nicht notwendig der Eigentümer, denn Gewahrsam ist die tatsächliche Sachherrschaft einer natürlichen Person, die vom natürlichen Herrschaftswillen getragen ist. Das bedeutet, dass der Gewahrsam einer Person notwendig mit ihrem Tod endet, weshalb der Täter, der das Opfer irrig für tot hält, keinen Vorsatz zum Gewahrsamsbruch hat.[95] Der Gewahrsam ist demnach durch ein objektiv-physisches und ein subjektiv-psychisches Element gekennzeichnet, die nach der allgemeinen Verkehrsanschauung, also den Anschauungen des täglichen Lebens, bestimmt werden.[96] Soweit das BGB Besitz auch ohne tatsächliche Herrschaft kennt, entfalten diese Regelungen beim (autonomen) strafrechtlichen Gewahrsamsbegriff keine Geltung.[97] Zwar hat der Besitzdiener nach § 855 BGB keinen Besitz, dennoch liegt aber strafrechtlicher Mitgewahrsam vor.[98] Der Erbe hat daher vor der tatsächlichen Inbesitznahme zwar nach § 857 BGB Besitz an der Erbschaft, strafrechtlich betrachtet hingegen keinen Gewahrsam. Dies gilt ebenso beim mittelbaren Besitzer nach § 868 BGB.[99]

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bb) Das objektiv-physische Element des Gewahrsams zeichnet sich durch ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über die Sache aus, und bedarf einer faktischen Verfügungsmöglichkeit über die Sache i.S. einer räumlichen Einwirkungsmöglichkeit ohne Hindernisse.[100] Ob der Gewahrsamsinhaber hierbei auch (zivil-)rechtlich über die Sache verfügen darf, ist insoweit nicht relevant;[101] auch der Dieb kann bestohlen werden.[102] Eine nur vorübergehende Lockerung des Gewahrsams ist nicht gleichbedeutend mit einer Aufhebung desselben, da sich das tatsächliche Herrschaftsverhältnis nach der Verkehrsauffassung im Einzelfall bestimmt („faktisch-normativer Gewahrsamsbegriff“[103]).[104] Gewahrsam kann daher auch bei Schlafenden und Bewusstlosen angenommen werden, sowie bei vom Bauern auf dem Feld zurück gelassenen Geräten[105] und dem vom Autofahrer an der Straße geparkten Wagen.[106] An frei herumlaufenden Haustieren besteht Gewahrsam, sofern diese weiterhin die Gewohnheit haben, in ihre alte Umgebung zurück zu kehren.[107] Auch der Ladeninhaber hat an seinen im Außenbereich aufgestellten Waren ebenso Gewahrsam[108] wie der Inhaber einer Wohnung – selbst bei längerer Abwesenheit – an den darin befindlichen Sachen.[109]

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cc) Gewahrsam setzt aber voraus, dass der Gewahrsamsinhaber neben der tatsächlichen Sachherrschaft auch Gewahrsamswillen (subjektiv-psychisches Element) hat.[110] Dieser Wille zur Sachherrschaft setzt zwar kein permanentes Bewusstsein davon voraus, aber zumindest auch die Kenntnis von ihrem Entstandensein.[111] Auch behalten Schlafende,[112] Bewusstlose oder Betrunkene[113] (nach h.M. losgelöst von der Frage, ob sie wieder erwachen und ihren Herrschaftswillen aktualisieren können[114]) ein ausreichendes potentielles Herrschaftsbewusstsein, und auch Kinder oder Geisteskranke können diesen Herrschaftswillen bilden.[115] Eine Konkretisierung des Herrschaftswillens auf jede einzelne Sache ist nicht nötig, es genügt vielmehr ein – nach der Verkehrsanschauung zu bestimmender – genereller Herrschaftswille bzw. antizipierter Herrschaftswille, der sich auf sämtliche Gegenstände in einem räumlichen Bereich erstreckt wie z.B. an allen Postsendungen im eigenen Briefkasten oder an Sachen in eigenen Geschäftsräumen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an auf Bahnsteigen liegen gelassenen Sachen.[116]

b) Einzelfragen zur Reichweite des Gewahrsams

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aa) Die Reichweite des Gewahrsams ist im Einzelfall schwierig zu bestimmen.[117] So hängt etwa beim Verlust einer Sache das Fortbestehen des Gewahrsams davon ab, ob die Sache außer- oder innerhalb der generellen Herrschaftssphäre abhandengekommen ist.[118] Ist die Sache noch im Herrschaftsbereich des Gewahrsamsinhabers, wie beispielsweise bei innerhalb der eigenen Wohnung verlegten oder versteckten Sachen, so besteht weiterhin Gewahrsam.[119] Erfolgt hingegen der Verlust der Sache außerhalb des räumlich begrenzten Herrschaftsbereichs, etwa auf der Straße oder im Wald, so ist grundsätzlich von einem aufgehobenen Gewahrsam auszugehen. Bei lediglich vergessenen Sachen besteht hingegen der Gewahrsam fort, wenn der Gewahrsamsinhaber noch weiß, wo er die Sache vergessen hat.[120] Maßgebliches Kriterium für den Fortbestand des Gewahrsams ist also grundsätzlich die Kenntnis über den Aufenthaltsort der Sache.[121] Eine Gewahrsamsbegründung darüber hinaus kann erfolgen, wenn die Sache in einem fremden Herrschaftsbereich vergessen oder verloren wurde, wie z.B. an Bahnsteigen, in Gaststätten, im Kino oder Museen. Hier erlangt der jeweilige Inhaber der Räume aufgrund seines generellen Gewahrsamswillens hinsichtlich aller in seiner Herrschaftssphäre befindlichen Gegenstände Gewahrsam.[122]

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bb) Haben mehrere Personen Mitgewahrsam, so ist zwischen gleichrangigem Mitgewahrsam und einem gestuften Über-, Unterordnungsverhältnis zu unterscheiden. Bei gleichrangigem Mitgewahrsam an einer Sache wird jeder Gewahrsamsinhaber gegenüber den übrigen Mitgewahrsamsinhabern geschützt.[123] Daher ist ein Gewahrsamsbruch auch unter den Mitgewahrsamsinhabern untereinander möglich.[124] Gleichrangiger Mitgewahrsam liegt dann vor, wenn mehrere Personen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen gemeinsam über eine Sache verfügen können bzw. nur die gemeinsame Verfügung zulässig ist.[125] Typischer Fall sind Ehegatten hinsichtlich den Sachen in der gemeinsamen Wohnung, sofern keine gesonderten Vereinbarungen bestehen. Auch bei einer gemeinschaftlichen Geschäftsführung innerhalb einer Gesamthands- oder Bruchteilsgemeinschaft entsteht Mitgewahrsam.[126] Ein Alleingewahrsam der Kassenperson liegt hingegen vor, wenn diese allein hierfür verantwortlich ist und auch für Fehlbeträge aufkommen muss bzw. die einzige Person ist, die Zugang zur Kasse hat unabhängig von einem Kontroll- und Weisungsrecht des Dienstherrn. Dieses begründet noch keinen Mitgewahrsam.[127] Auch der Mieter hat grundsätzlich Alleingewahrsam an den in der Wohnung befindlichen Sachen.[128]

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Bei gestuftem (Mit-)Gewahrsam gibt es keinen Gewahrsamsbruch durch den Gewahrsamsinhaber mit den stärkeren Rechten gegenüber dem untergeordneten Gewahrsamsinhaber. Umgekehrt aber schon.[129] Ein Fall derartiger Über-/Unterordnungsverhältnisse ist etwa im Rahmen sozialer Abhängigkeitsverhältnisse gegeben. Hierunter fällt z.B. das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Haus- oder Ladenangestellten bzw. zugunsten des Ladeninhabers gegenüber seinen Angestellten jedenfalls dann, wenn er mehrmals in der Woche in seinem Ladengeschäft erscheint und auch zur Kasse Zugang hat.[130] Zwar wird dem Arbeitnehmer unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache während der Arbeitszeit eingeräumt, es handelt sich aber hierbei nur um einen dem Arbeitgeber gegenüber nachrangigen (Mit-)Gewahrsam.[131] Im Gegensatz hierzu haben Kunden im Rahmen der Anprobe von Kleidung oder Schmuck in einem Geschäft nach h.M. noch keinen Gewahrsam.[132] Sofern ein Verwahrungsvertrag besteht oder etwa Unterlagen an einen Steuerberater oder Anwalt abgegeben werden, haben diese grundsätzlich Alleingewahrsam.[133] Auch die teilweise Verneinung der Figur eines gestuften Mitgewahrsams und damit verbundene Annahme eines Alleingewahrsams beim übergeordneten Gewahrsamsinhaber,[134] führt für die hier diskutierten Fälle zu keinen anderen Ergebnissen.

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cc) Besondere Probleme bringt die Abgrenzung zwischen Allein- und Mitgewahrsam bei verschlossenen Behältnissen und Transporten mit sich. Bei verschlossenen Behältnissen wird man hinsichtlich des Schlüsselinhabers nur dann alleinigen Gewahrsam am Inhalt annehmen können, wenn er nicht nur mit Zustimmung des Verwahrers des Behältnisses auf dieses zugreifen kann (und darf) und der Verwahrer das Behältnis nicht fortschaffen kann. Andernfalls liegt Mitgewahrsam zwischen Schlüsselinhaber und Inhaber des Behältnisses vor.[135] Maßgeblich für den Gewahrsam beim Transport von Gütern ist das Verhältnis des Geschäftsherrn zum Fahrer, genauer ob der Geschäftsherr nach den Umständen des Einzelfalls weiterhin eine Einwirkungsmöglichkeit auf die transportierte Sache hat.[136] Bei Fernfahrten ist daher regelmäßig der Fahrer Alleingewahrsamsinhaber,[137] bei kurzen Fahrten innerhalb desselben Ortes ist dies bereits diskutabel.[138]

2. Gewahrsamsbruch

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a) Fremden Gewahrsam bricht der Täter,[139] wenn er diesen gegen bzw. wenigstens ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufhebt.[140] Dies stellt den maßgeblichen Unterschied zur Unterschlagung nach § 246 StGB dar, die gerade diesen Gewahrsamsbruch nicht voraussetzt. Nicht relevant ist hierbei, ob der Täter den Gewahrsamsbruch selbst unmittelbar herbeiführt oder sich hierzu eines Dritten bedient (solange dieses Dritthandeln dem Täter nach allgemeinen Grundsätzen zugerechnet werden kann).[141]

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b) Ist der Gewahrsamsinhaber mit dem Gewahrsamswechsel (explizit oder auch nur konkludent) einverstanden, so fehlt es an der Wegnahme, und der Tatbestand des § 242 StGB ist bereits nicht erfüllt.[142] Denn diese kann schon begriffsnotwendig nur gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers erfolgen. Der Gewahrsamsbruch gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers dient nicht nur der Abgrenzung zur Unterschlagung gemäß § 246 StGB, sondern auch der Abgrenzung insbesondere zum Betrug.[143] Für das Einverständnis reicht der natürliche Wille aus, es bedarf gerade keiner rechtsgeschäftlich wirksamen Zustimmung, so dass auch Kinder, Betrunkene und Geisteskranke ohne weiteres ihr Einverständnis in den Gewahrsamsbruch erklären können.[144] Ein Einverständnis ist hingegen bei einer Zwangslage nicht gegeben, da diese Zwangslage einen das Einverständnis ausschließenden Willensmangel darstellt.[145]

 

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Bei gleichrangigem Mitgewahrsam ist ein Einverständnis aller Gewahrsamsinhaber nötig, damit eine Wegnahme ausscheidet. Hierbei ist jedoch ohne Einfluss, ob ein Dritter oder ein Mitgewahrsamsinhaber selbst Täter ist.[146] Dieses Einverständnis muss darüber hinaus grundsätzlich bereits vor oder jedenfalls bei der Wegnahme erteilt werden. Eine nachträgliche Genehmigung lässt den Gewahrsamsbruch nicht entfallen. Jedoch kommt in dieser Konstellation eine mutmaßliche Einwilligung in Betracht mit der Folge einer Rechtfertigung des Täters, wenn im Einzelfall zu vermuten steht, dass der Gewahrsamsinhaber sein Einverständnis erteilt hätte.[147]

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Dies gilt auch bei den sog. Diebesfallen, in denen der Gewahrsamsinhaber Sachen dem Täter eigens zu dessen Überführung zugänglich macht. Hier liegt ein Einverständnis vor, so dass lediglich eine Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht kommt.[148] Im Einzelfall kann es hier aber auch bereits an einer Gewahrsamsverschiebung fehlen.[149] Der Umstand, dass der Täter bei der Wegnahmehandlung beobachtet wird, ist hingegen unschädlich, da der Diebstahl kein heimliches Delikt ist. Vorkehrungen zur Beobachtung möglicher Diebstähle oder das Beobachten durch einen Kaufhausdetektiv alleine führen daher noch nicht zu einem tatbestandsausschließenden Einverständnis.[150]

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c) Grundsätzlich kann auch ein bedingtes Einverständnis in den Gewahrsamsbruch erteilt werden.[151] Hierzu müssen aber die Voraussetzungen für diese Bedingung äußerlich erkennbar sein.[152] Diese Bedingung ist z.B. nicht bei der Bedienung von Warenautomaten erfüllt, wenn der Täter Falschgeld oder Geld der falschen Währung einwirft.[153] Hingegen liegt beim systematischen Leerspielen von Automaten mit Sonderkenntnissen über den Programmablauf kein Diebstahl vor, da der Automat hier nach außen völlig ordnungsgemäß bedient wird.[154] Umstritten ist dagegen der Fall, in dem ein Geldautomat mit einer gefälschten Codekarte bedient wird. Der BGH bejaht hier ein tatbestandsausschließendes Einverständnis (bzw. sogar einen „Übergabeakt“),[155] wohingegen die Literatur dies z.T. abgelehnt.[156] Dies hat jedoch im Ergebnis keinen Unterschied zur Folge, soweit man in § 263a StGB eine lex specialis sieht.[157] Die unberechtigte Entnahme von Geld aus dem Ausnahmefach, nachdem der Berechtigte den Ausgabevorgang durch Eingabe der Bankkarte mit zugehöriger PIN in Gang gesetzt hatte, beurteilen der 2. und der 3. Strafsenat in jüngerer Zeit unterschiedlich.[158]

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Fährt der Täter an Selbstbedienungstankstellen davon, ohne zu zahlen, stellt sich ebenfalls die Frage, ob hier eine Wegnahme aufgrund eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses ausscheidet. Nach h.M. steht das Einverständnis lediglich unter der Bedingung, dass der Täter die Zapfsäule korrekt bedient,[159] und zwar unabhängig davon, ob er von Anfang an nicht zahlen wollte,[160] weshalb nur eine Unterschlagung vorliegen kann.[161] Die Gegenansicht sieht ein Einverständnis als auch durch das Bezahlen bedingt an, was jedoch abzulehnen ist, da der Gewahrsamsübergang bereits mit dem Einfüllen stattfindet, die Bedingung hingegen aber lediglich für den Eigentumsübergang am Benzin maßgeblich ist (Eigentumsvorbehalt). Teilweise wird eine Abgrenzung zwischen Unterschlagung und Betrug anhand des Kriteriums vorgenommen, ob sich der Täter beim Tanken beobachtet fühlt oder nicht.[162] Richtigerweise hat die (vermeintliche) Beobachtung bei einem Täter, der von Anfang an nicht zum Zahlen bereit ist, Auswirkung auf die Vollendungsstrafbarkeit, denn fühlt er sich beobachtet, liegt nach h.M. ein Betrug bzw. bei tatsächlich fehlender Beobachtung versuchter Betrug vor, da der Täter den Anschein eines zahlenden Kunden (Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft) zu erwecken versucht.[163]

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d) Zu Abgrenzungsproblemen zwischen Wegnahme und Verfügung, also Weggabe, führen sowohl die sog. Trickdiebstahlsfälle[164] als auch die Fälle, in denen der Gewahrsamsinhaber lediglich bedingt durch einen Irrtum sein Einverständnis erteilt. Bewirkt der Täter durch Täuschung die Weggabe der Sache, dann liegt grundsätzlich eine Verfügung vor, so dass nur ein Betrug nach § 263 StGB in Betracht kommt. Die Verfügung setzt jedoch voraus, dass sich der Gewahrsamsinhaber des Gewahrsamswechsels bewusst ist. Dies ist gerade nicht der Fall, wenn z.B. der Verkäufer Kunden Sachen zur Anprobe im Laden zur Verfügung stellt, denn der Verkäufer geht nicht von einem Gewahrsamsverlust aus. Verschwindet der Kunde mit den Sachen, liegt ein Gewahrsamsbruch vor.[165] Versteckt der Täter eine Sache in der Verpackung einer anderen Sache oder im Wagen hinter oder unter anderen Waren und durchquert er damit den Kassenbereich, so liegt beim Kassenpersonal kein Verfügungsbewusstsein bezogen auf die versteckten Sachen vor, weshalb ein Bruch und damit auch hier eine Wegnahme nach § 242 StGB vorliegt.[166]