Systemische Beratung jenseits von Tools und Methoden

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5. Mensch und Organisation


Bisher standen der Mensch und die Profession im Vordergrund. Das Verhältnis des Menschen zu seinem Beruf wird jedoch auch durch seine Zugehörigkeit zu Organisationen beeinflusst und umgekehrt. Deshalb wollen wir im Folgenden noch einmal unseren magischen Würfel drehen und die Seite der Organisation im Vordergrund betrachten. Und wie üblich bei diesem Knobelspiel müssen wir uns entscheiden, nach welchen Farben, aus welcher Perspektive heraus, wir sortieren wollen. In diesem Falle entscheiden wir uns dafür, Organisationen aus der Perspektive des Menschen bzw. Menschen aus der Perspektive von Organisationen zu beschreiben. Hierzu gehören Beweggründe und Steuerungsprinzipien der Menschen in Organisationsfunktionen, aber auch die prägende Organisationskultur und die Vorstellungen vom Wirtschaften aller Beteiligten (Schmid 2002). Denn alle Organisationen haben mit Beweggründen von Menschen und ökonomischen Prinzipien zu tun, auch wenn sie keine sogenannten Profit-Organisationen sind. Auch eine Wirtschaftsorganisation ist mehr als eine »money making machine«.

Lassen Sie sich durch einen kurzen Erfahrungsbericht einstimmen:

»Ich arbeitete in einem riesigen Dienstleistungsunternehmen. Ca. 1000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen betreuten fast ebenso viele Klienten. Auch als später die soziale Kälte der Institution zunehmend durch ihre hässlichen Betonwände drang, hätte ich nicht in eine kleine Praxis wechseln wollen. Die Fülle informeller und formeller Angebote stand in keinem Verhältnis zu den Nachteilen eines solchen Organisationsgiganten.

Wenn man gewollt hätte, hätte man kein zweites Leben außerhalb der Einrichtung führen müssen – man konnte alles lernen, was man auch sonst hätte lernen müssen. Nur gab es dies alles auf einem kleineren, überschaubareren Raum als draußen: den Klatsch, die ›Daily Soaps‹, den Heirats- und Stellenmarkt. Was immer einem fehlte, ob an Ratschlag, Ersatzteilen, Erfahrung, Know-how – in der Rieseneinrichtung gab es immer einen, der einen kannte, der … Es gab betriebliche Freizeitmöglichkeiten für Mitarbeiter und genauso viele inoffizielle Angebote für Mitarbeiter von Mitarbeitern im sportlichen und kulturellen Bereich.

Der Hauptmarkt- und Handelsplatz für all diese wichtigen Informationen war die Cafeteria und hier vor allem die Mittagspause. Wer jemals eine Halbtagsbeschäftigung in einem solchen Betrieb innehatte und mittags nach Hause fuhr, weiß, was und wie viel er verpasst hat.

Aber nicht nur der informelle Markt sorgte für tägliche Anregungen und Belebung. Auch beruflich öffneten sich Aufstiegs-, Fortbildungs-und Reflexionsmöglichkeiten, für die man sonst hätte viel Geld, Energie und Zeit ausgeben müssen. Wir waren zum Beispiel 13 kompetente Kollegen und Kolleginnen, die zum Teil aus verschiedenen Schulrichtungen kamen, in recht verschiedenen Abteilungen und Bereichen der Institution arbeiteten, die aber damals noch durch ein gemeinsames Büro, durch das Benutzen gemeinsamer Räume und Fachmaterial, ein gemeinsames Budget und eine ähnliche Klientel viel Verbindung miteinander hatten. Auf diese Weise tauschten wir unser Wissen aus, konnten uns gegenseitig fortbilden und supervidieren neben all den externen Angeboten, die uns ebenfalls zur Verfügung standen und deren Ergebnisse wir weiter multiplizierten. So stand uns kollegiale Unterstützung immer sofort zur Verfügung und gab uns zusätzliche Rückendeckung und Sicherheit, v. a. in Krisenzeiten.

Ergänzt wurde die Arbeit durch die jeweiligen fachübergreifenden Teams in den eigenen Abteilungen, die uns lehrten, über unseren Tellerrand hinweg die Welt wahrzunehmen und unsere Sicht der Wirklichkeiten zu erweitern.

Heute, wo ich in Rente bin, fehlt mir weniger die Arbeit selbst, sondern genau diese menschlichen Züge einer Organisation, die ich vorher nicht so bewusst wahrgenommen habe:

– die Anregungen durch eine Vielfalt an Menschen und Reizen,

– das Echo, das man auslöst in einem sozialen Kontext,

– vielleicht auch ein Stück Wirksamkeit,

– die tägliche Struktur,

– und vor allem das tägliche »Guten Morgen« und »Tschüss«, das vielfache Wahrgenommenwerden der eigenen Existenz.«

(Gérard, unver. Erfahrungsbericht)

5.1 Zentrale menschliche Motive

Was motiviert eigentlich Menschen neben äußerlich wirtschaftlichen Gründen, Organisationen zu gründen, ihre Lebenskraft Organisationen zur Verfügung zu stellen, sich an Organisationen zumindest zeitweilig zu binden und für sie einzustehen?

Dabei kann man sich leicht an der Bedeutung des Wortes Motivation orientieren. Das aus dem Lateinischen stammende Wort »movere« heißt bekanntlich bewegen, sich bewegen. Menschen wollen etwas bewegen. Und sie wollen bewegt werden. Sie wollen sich bewegen. Organisationen sind dafür geeignete Orte und bieten den Menschen einen Rahmen, vielleicht sogar Möglichkeiten, die sie als Individuen so nicht zur Verfügung hätten.

5.1.1 Etwas bewegen

Zu den Grundbedürfnissen des Menschen gehört, etwas bewirken zu können. Sich bezogen auf die eigene Welt wirksam zu fühlen, gehört auch zu den wichtigsten Gesundheitsfaktoren (Antonovsky 1997).

Unsere Wahrnehmung und unser Verständnis der Welt haben mit unserem Wirksamkeitserleben beim Versuch, sie zu gestalten, zu tun. Und das Gleiche gilt für unser Selbsterleben, für unser Selbstverständnis und unsere Selbstachtung.

Jeder weiß aus eigener Erfahrung, was geschieht, wenn gewohnte Wirkungen aus einem unerklärlichen Grunde ausbleiben. Sogar dann, wenn der Effekt positiv ist, sind wir verunsichert, denn man will sich auskennen. Seine Wirksamkeit kennen heißt auch, seine Einflussmöglichkeiten voraussagen zu können und Kontrolle zu haben.

Organisationen sind Orte, an denen Menschen gebahnte Wirkungszusammenhänge und Wirkungsmöglichkeiten geboten werden, in die der Einzelne eintreten kann. Es gibt Gestaltungsmittel, Ziele, Bewährungskriterien und Regeln. Man kennt sich aus und fühlt sich im kompetenten Umgang mit einer mächtigen Instanz erhoben und sicher. Durch Übernahme einer Funktion in solchen Organisationen können sich die Horizonte und Hebel eines Menschen erheblich vergrößern. Inwieweit dies der Fall ist, hängt allerdings von der Funktion und dem Bewusstsein ab. Man kann sich einen Chauffeur des Chefs vorstellen, dem seine Funktion Größe verleiht und daneben einen Manager, der klein und fehlplaziert wirkt.

Auch gibt es im Guten wie im Schlechten eine Organisationskultur, das heißt ein System von formellen Regeln und informellen Gepflogenheiten, die das Zusammenspiel der Beteiligten vorzeichnen. Lernt man, sich in dieser Kultur zu bewegen, dann kann man ein eingespieltes System nutzen. Viele Mitspieler nehmen zueinander komplementäre Rollen ein und gestalten Prozesse mit. Man kann auf Wirkungen rechnen, ohne die einzelnen Situationen oder die persönlichen Eigenarten der Akteure neu einschätzen zu müssen. Wer mit einem gedeckten Barscheck eine Bank betritt, kann mit dem baldigen Besitz von Bargeld rechnen, auch wenn er mit Bankwesen und den Eigenarten dieser Belegschaft wenig vertraut ist.

Vom Stegreif-Straßen-Theater bis zur routinierten Aufführung eines klassischen Programmtheaters ist es ein weiter Weg. Dazwischen liegt alles, was Organisation bietet. Nicht jedem ist es gegeben, spontan auf der Straße zu spielen oder sein eigenes Theater aufzubauen. Vorhandene Organisationen bieten also vielen Menschen nicht nur eine Struktur, über die sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, sondern auch Orte des Wirksamkeitserlebens.

5.1.2 Bewegt sein

Menschen wollen bewegt sein, engagiert für etwas, ergriffen von etwas oder wenigstens doch spürbar dabei sein. Menschen kann man je nach Persönlichkeitsorientierung (Schmid 2004a, Kap. 2) danach unterscheiden, was jemand gerne bewegt und wodurch er eher bewegt wird, nämlich mehr von Dingen oder von anderen Menschen. Es gibt die verbreitete Einteilung: Managing Tasks versus Managing People.

Entsprechend kann man Leute aus der passiven Sichtweise in die Kategorien moved by tasks oder moved by people einteilen.

Tasks (= Aufgaben) stehen für Inhalte, sachliche Herausforderungen, für Strukturen, Prozesse und Abläufe von Projekten etc. Es gibt Menschen, für die diese Dimensionen im Vordergrund stehen und denen dann, wenn es hier stimmt, der zwischenmenschliche Bereich nachrangig ist. Sie suchen eher als Fachleute und Strategen ihre Befriedigung. Es ist für sie etwas Großes, bei einem spannenden Unternehmen dabei gewesen zu sein. Sie fühlen sich von der Aussage Viktor Frankls angesprochen: »Was der Mensch ist, ist er auch durch die Sache, die er sich zu eigen macht.« (1979)

Andere wollen eher in Beziehungen engagiert sein. Für sie ist – metaphorisch gesprochen – die Beziehung zu den Mitwirkenden wichtiger als der Fortgang der Aufführung. Wenn sie die anderen Mitwirkenden Zugehörigkeit erleben lassen, sie begeistern oder auch sie durch Reibung binden, dann sind sie berührt. Sie suchen eher als Teamplayer und Führungskräfte ihre Befriedigung. Für sie geschieht Großes, wenn sie sich mit ihnen bedeutenden Menschen in Beziehung erleben. Für sie könnte als attraktives Motto analog formuliert werden: Was der Mensch ist, ist er auch durch die Menschen, mit denen er sich verbindet.

Wie wichtig es ist, bei der Besetzung von Stellen auch diese Dimension mit einzubeziehen, zeigt ein uns bekanntes Beispiel eines Krankenhauses:

 

Nachdem der bisherige langjährige Chefarzt vorzeitig in den Ruhestand eingetreten war, erwiesen sich die nachfolgenden Chefärzte als Fehlbesetzungen, und die Patientenzahlen gingen bedrohlich zurück. Endlich jedoch fand sich ein Arzt, der mit charismatischem Elan Mitarbeiter motivierte, Patienten rekrutierte, die Betten füllte und notwendige Veränderungen erfolgreich durchführte. Es herrschte eine bis dahin schon lange nicht mehr gekannte Aufbruchstimmung. Mitarbeiter erlebten, dass sie etwas bewirken konnten, entwickelten neues Selbstbewusstsein, und all dieses wirkte natürlich auch positiv nach außen.

Der ebenfalls neue Geschäftsführer war ein dynamischer junger Mann, der ebenso gerne die Hemdsärmel aufkrempelte und diese Entwicklung begrüßte. Unglücklicherweise gehörte er zu den Typen, für die Sachthemen mehr von Bedeutung sind als Beziehungen – ganz im Gegensatz zu dem Chefarzt. Je mehr also der Chefarzt erreichte, desto mehr fehlte ihm als Gegenwert die Beziehung zu dem Geschäftsführer. Daraus entwickelte sich eine immer schwierigere Fehlkommunikation zwischen den beiden, die sich über ihre sehr unterschiedlichen Grundorientierungen nicht bewusst waren und sich darüber nicht verständigen konnten. Es begann mit leisen Überlegungen zu Kündigung auf Seiten des Chefarztes und endete schließlich mit dem verletzten Ausscheiden dieser sehr begabten Führungskraft. Und mit ihm verlor auch das Unternehmen wieder seine Gewinne.

Von Größerem berührt zu sein, gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Darauf verweist schon das Wort Religion, das sich von dem Wort relio = Rückbindung ableitet. Nach Karl Barth ist Religion das Ergriffensein von etwas, was uns unbedingt angeht (Barth 2005). Auch Organisationen bieten Möglichkeiten, ergriffen zu sein. Wer Haltungen und Rituale in Organisationen beobachtet, kann leicht bemerken, dass Menschen quasireligiöse Bedürfnisse dort leben. Menschen, die solche Sehnsüchte ansprechen, nennt man charismatisch. Erscheinungen in Organisationen kann man mit denen in Glaubensgemeinschaften bis hin zu Amtskirchen vergleichen. Das muss weder befremden noch verwundern, weil Organisationen eben nicht nur die sachlichen Konstruktionen sind, als die sie oft propagiert werden, sondern auch eine Lebensform für ihre Mitglieder darstellen. Wenn man das akzeptiert, stellt sich die Frage, wie man beide Anliegen sinnvoll in einer Kultur integriert.

5.1.3 Sich bewegen

Zu allem Lebendigen gehört Entwicklung. Auch wenn es manchmal so aussieht, als würden sich Menschen keinen Aufbruch mehr zutrauen oder nur Erreichtes zu bewahren suchen, so sind dies Rückzugsvarianten aufgrund von Entmutigung und Erschöpfung. Doch die meisten haben im Stillen noch immer die Sehnsucht, etwas zu werden, was ihnen erstrebenswert erscheint – sei das ein pfiffiger Erfinder, ein sympathischer Kollege, ein Theaterkenner, Manager des Jahres oder was auch immer.

Man kann meist nach kurzer Zeit genauen Zuhörens sagen, was der Mensch gegenüber zu sein oder wer er zu werden sucht. Wenn er dafür dann Resonanz bekommt oder gar zu Neuem inspiriert wird, wächst sein Interesse. Vorhaben oder Beziehungen sind neben allen anderen Bedeutungen dann interessant, wenn sie Aussicht bieten, die Menschen dorthin zu befördern, wo sie sich hinbewegen wollen. Dann kann man sie leicht motivieren und Bindung aufbauen bzw. erhalten.

So hatte es der oben geschilderte Chefarzt zum Beispiel hervorragend verstanden, die Sehnsüchte des therapeutischen Personals, ihren Bereich mehr zu gestalten und ihre Fähigkeiten mehr einzubringen, anzusprechen.

Organisationen sind für Menschen auch deshalb interessant, weil sie viele Ideen bereitstellen, was man werden könnte, Gelegenheiten dazu bieten und Wege dahin aufzeigen. Sie bieten Bühnen für Inszenierungen und Bestätigung des Erreichten sowie Arenen für das Ringen um Wünschenswertes.

»Wenn Aufgaben zur Routine wurden, wurde mir langweilig. In einer großen Einrichtung wie der meinen gab es aber ständig neue Herausforderungen und Verlockungen, Zusatzaufgaben zu übernehmen und sich in ihnen zu üben. So wurde ich neben der Psychotherapeutin zur Leiterin einer Mitarbeiterfrauengruppe, zu einer Suchtbeauftragten, einer Fortbildungsbeauftragten und zur Marketingbeauftragten. Ich veröffentlichte zusammen mit dem Chefarzt und Schulleiter ein heute viel gelesenes Fachbuch. Ich, die bis dahin öffentliche Auftritte und Rampenlicht gescheut hatte, organisierte und veranstaltete hauptverantwortlich ein großes Fest für 400 Leute und am Ende meiner Laufbahn passierte es mir, dass ich mit einem Kollegen zusammen ein großes Benefizkonzert für ca. 600 Leute organisieren durfte – eine Aufgabe, die ich mir vorher nie zugetraut hätte und auf deren Erfolg ich heute stolz zurückblicke.

Wäre mir so etwas im stillen Kämmerlein einer Psychotherapiepraxis zugestoßen?« (Gérard, unver. Erfahrungsbericht)

5.1.4 Organisation und Ich

Aus psychologischer Sicht kann man Organisationen als Erweiterungen des Ichs betrachten. Sie verkörpern, was das Ich zu werden und zu bewirken sucht bzw. worin es aufgehoben sein möchte und sich bewegen kann. Die mechanistische Variante davon war in einem Science-Fiction-Roman folgendermaßen dargestellt: Auf einem fremden Planeten hatten menschliche Protagonisten Riesenroboter gebaut, um ihre eigenen Funktionen auf Größenordnungen auszudehnen, mit denen sie der für sie überdimensionierten Welt entgegentreten konnten. Diese Maschinen waren dadurch zu steuern, dass sich die Menschen in der Steuerzentrale in einem elektronischen Anzug entsprechend bewegten. So wurde ihre persönliche Bewegung auf den Roboter übertragen. Dass man maschinelle Hilfsfunktionen als eigen erleben kann, kennt jeder, beispielsweise aus dem eigenen Verhältnis zum Handy oder zum Auto. Dass Menschen sich durch Maschinerien nicht unbedingt vergrößert und in der Schaltzentrale erleben, sondern auch als eher abhängiges Rädchen, wurde im Film Moderne Zeiten durch Charlie Chaplin eindrucksvoll dargestellt.

Solche Bilder können seelische Dimensionen spürbar machen, die in der Beziehung zwischen Mensch und Organisation mitschwingen. Wer möchte nicht das Gefühl haben, ein irgendwie für das Ganze wichtiges Organ zu sein? Und wie fühlt es sich hingegen an, wenn man sich nur als Kostenfaktor oder zu entfernende Belastung eingeordnet sieht?

Mit diesem Beispiel sollen Organisationen jedoch nicht mit mechanischen Gebilden gleichgesetzt werden. Treffender, wenn auch komplexer, wären Metaphern von lebendigen Organismen. Je mehr der Zug der Zeit Richtung Wissensgesellschaft geht, desto eher eignen sich vielleicht Parallelen zwischen Gehirn und Organisation. Entsprechende Dialoge sind im Gange, vergleiche etwa die forum humanum Dialogtagungen »Gehirn und Organisation – Betrachtungen im Dialog« unter: http://www.forum-humanum.eu/fh/content/view/52/72/.

5.2 Kernfragen der Ökonomie

Alle Menschen und Organisationen wirtschaften. Fragen zum Verhältnis zwischen Mensch und Professionalität und Mensch und Organisation haben daher mit Wirtschaften zu tun. (Dasselbe gilt für die Gesellschaft. Die grundlegenden Vorstellungen von und Einstellungen zur Gesellschaft beeinflussen maßgebend das Verständnis von Professionalität und Organisation).

Hier können selbstverständlich Kernfragen der Ökonomie nicht umfassend dargestellt werden. Es soll lediglich der Versuch gemacht werden, einige Dimensionen menschenbezogenen Wirtschaftens und Organisierens zu skizzieren. Damit soll der Blick auf Organisationen so gerichtet werden, dass das Schicksal von Menschen und das der Organisation leicht in Zusammenhang gebracht werden kann.

5.2.1 Wirtschaften

»Geld ist kein Wertgegenstand, sondern ein Gestaltungsmittel.«

(Schmid 1998a)

Prägend für Bernd Schmids lebenslanges Verständnis von Wirtschaft war die Aussage eines Professors in einer der ersten Vorlesungen seines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums: »Wirtschaft ist die intelligente Kombination von Produktionsfaktoren zur Erzeugung eines Mehrwerts.«

Auch in diesem Text geht es um intelligentes Zusammenfügen von Wirtschaftsfaktoren als Hauptfunktion des Wirtschaftens. Dies gilt eben nicht nur in Produktionen, sondern allgemein. Durch intelligentes Zusammenfügen entsteht Mehrwert. Davon zu unterscheiden ist die Bereicherung durch Ausbeutung. Ressourcen und Positionen lediglich irgendwie zu nutzen, um sich damit zu bereichern, ist in diesem Sinne kein Wirtschaften. Sich Dinge verfügbar zu machen, die andere erwirtschaftet haben, ist es auch nicht. Es sollte schon eine wirkliche Wirtschaftsleistung dazukommen. Was dabei als Wirtschaftsleistung anzusehen ist, etwa bei der Bewertung von Handel als Wirtschaftszweig, muss dann jeweils im Wertediskurs betrachtet werden.

Geld ist ein wichtiges Medium im Wirtschaftsprozess. Nur mit Geld umzugehen bedeutet allein noch nicht wirtschaften und schon gar nicht menschliche Wohlfahrt. Die Rolle, die Geld im Wirtschaftprozess spielt, entscheidet darüber, ob der Umgang mit Geld wirtschaften in unserem Sinne bedeutet.

Wirtschaften ist in dem Sinne ein schöpferischer Akt, da es etwas entstehen lässt, was es vorher so nicht gab. Der Wirtschaftsprozess kann schon zur Gewohnheit geworden sein, sodass die ursprüngliche Schöpfung darin nicht mehr leicht zu erkennen sein mag. In jedem Fall wird durch Wirtschaften ein Mehrwert erzeugt. Was als Mehrwert gelten kann, ist eine Sache der Bewertung. Es geht dabei nicht nur darum, welche Produkte am Ende herauskommen, sondern auch darum, wie produziert wird und welchen Mehrwert für ihr Leben Menschen bei der Arbeit empfinden. Unabhängig davon, zu welchen Bewertungen man kommt, können sich wohl die meisten einer Vorstellung von Wirtschaftkompetenz anschließen, die als Kompetenz zum effizienten und effektiven Zusammenfügen vieler Faktoren verstanden wird.

Ob man sich dem hier vertretenen humanistischen Menschen- und Weltbild anschließt und wie die Begriffe zu füllen sind, muss letztlich in einer Wertediskussion bestimmt werden. Hier wird vertreten, sich am Mehrwert für menschliche Wohlfahrt zu orientieren. Was das jeweils ist, kann ohne Klärung eines Menschenbildes nicht entschieden werden. Der Mensch wird hier als Individuum und Mitglied einer Gemeinschaft gesehen. Einzelne Individuen können vielleicht auf Kosten anderer Wohlstand erlangen, viele Individuen hingegen nur, wenn Wohlergehen auch Wohlfahrt der Gemeinschaft bedeutet. Bei den Überlegungen, wer oder was zu einer (Lebens-)Gemeinschaft gehört, müssen in einer globalen Welt die Horizonte weit gespannt werden. Die ökonomischen Betrachtungen überlappen sich mit den ökologischen, ja werden auf lange Sicht mit ihnen identisch.

Halten wir fest: Wirtschaftlicher Mehrwert entsteht durch die Steuerung von Wirtschaftsprozessen und von Organisationen, in denen und durch die gewirtschaftet wird. Dabei kommt es auf die intelligente Kombination dieser Wirtschaftsprozesse und der damit verbundenen Organisationen an. Die Frage des Mehrwerts bezieht sich auf die Produkte, aber auch auf alle mit der Wirtschaftstätigkeit verbundenen Prozesse, auch auf menschenorientierte Wirtschafts-und Organisationskultur.

Der entscheidende Mehrwert ist die Erhöhung der Wohlfahrt von Menschen. Dies muss für direkt und indirekt Betroffene gelten. Um darüber Rechenschaft ablegen zu können, muss das Ausweisen von »Fußabdrücken« aller Wirtschaftsergebnisse umfassend entwickelt werden. Humane Wirtschafts-und Organisationskultur sollte als Teil der Gesellschaftskultur der Wohlfahrt der darin tätigen und davon betroffenen Menschen dienen.

Substanzielle und nicht nur buchhalterische Wertschöpfung entsteht durch das Erschließen von Ressourcen und durch intelligente Ressourcenkombination. Diese entsteht z. B. durch Vielfachnutzung, Miniaturisierung, Verdichtungen aller Art, Recycelbarkeit, qualitatives Wachstum bei quantitativer Reduktion von Ressourcenverbrauch, aber auch durch Teamwork, konstruktive Zusammenarbeit, durch gute Strategien und wirksame Führung.

Wirtschaften verträgt sich mit sorgsamem Umgang mit Ressourcen, auch mit der Ressource Mensch, wobei der Mensch eben nicht nur als Ressource, sondern auch als ein sich verwirklichendes Wesen betrachtet wird. Zum Wirtschaften gehören Pflege der Ressourcen und Verantwortung für den in Verteilungskämpfen erlangten Ressourcenzugriff.

 

5.2.2 Wettbewerb

Das Prinzip des Wettbewerbs und der Leistungsfähigkeit von Organisationen wird von uns bejaht, auch wenn derzeit bestimmte Formen des Wettbewerbs und der Steigerung von Konkurrenzfähigkeit als schädlich betrachtet werden.

Denn Wettbewerb dient der Verbesserung evolutionären Strebens und der Ressourcen-Allokation. Sinnvollerweise sollten Ressourcen dorthin fließen, wo sie optimal und verantwortlich genutzt werden. Dies gilt, wenn Wettbewerb über intelligentere Ressourcenkombination und verantwortlicheren Ressourcenverbrauch ausgetragen wird. Der Markt allein leistet dies nicht, weil fairer Wettbewerb immer wieder ausgehebelt wird. Es ist Aufgabe der Politik, für den Wettbewerb Regeln zu definieren und für deren Einhaltung zu sorgen. Wettbewerb sollte nicht durch Kolonialismus und Imperialismus eingeschränkt werden können, sondern als Evolutionsferment von allen gepflegt werden.

5.2.3 Wachstum

Maßvolles Wachstum macht das Wirtschaften und das Entwickeln von Organisationen leichter, wie das Auffrischen des Windes das Segeln erleichtert. Zu stürmische Winde können Schiffe gefährlich aus dem Gleichgewicht bringen. Anhaltende Flauten bereiten unter Umständen nicht weniger Herausforderungen. Nur wer mit allen Wetterlagen zurechtkommt, kann sich als erfahrener Segler betrachten.

Wachstum ist dann als sinnvoll zu betrachten, wenn es der Erhöhung menschlicher Wohlfahrt dient. Prinzipiell sollte auch ein stationäres Wirtschaften, ja sinnvoller Umgang mit Rückbau und Schrumpfung, gelernt werden. Letzteres gilt nicht als besonders unternehmerisch und wird als Teil des Lebenszyklus von Organisationen oft so stiefmütterlich behandelt wie das Altern und das Lebensende von Menschen. Zumindest sollte man Wachstumsideologien kritisch begegnen, da sie oft einen Eigenwert bekommen oder für Machtausdehnung und Kompensation von Misswirtschaft herhalten sollen.

Weltweit wird erkennbar, dass das quantitative Wachstum an seine Grenzen stößt. Im Wettbewerb hat sich eine für alle belastende und bedrohliche Effektivitätsspirale entwickelt. Der Konkurrenzdruck führt jeweils dazu, dass Folgelasten angehäuft werden und der Abbau von bewahrenden und integrativen Leistungen in den Gesellschaften notwendig und gerechtfertigt scheint. Das weltweite Öffnen der Scheren (zum Beispiel von Armen und Reichen, von Gebildeten und Ungebildeten) scheint als Folge unumgänglich. Gleichzeitig wird erkennbar, dass Reichtum in einer verarmten Welt und Bildung in einer sinnentleerten und bedrohten Welt langfristig nicht einmal den Privilegierten von Nutzen sein kann.

5.2.4 Leistung

Selbstverständlich sind Menschen in Organisationen zu wirtschaftlicher Leistung im hier vertretenen Sinne angehalten. Sie müssen mehr zur Wertschöpfung beitragen, als sie Ressourcen in Anspruch nehmen. Die Beurteilung, was als Leistung gilt und wie sie zu bewerten ist, sollte in einer Organisation und in einer pluralistischen Gesellschaft letztlich in einer Wertediskussion vorgenommen werden. Denn manches wird als wirtschaftliche Leistung verkauft, was aus anderer Sicht als Raubbau, Wegelagerei und als Ergebnis imperialistischer und ausbeuterischer Beziehungen angesehen wird. Hier werden Fragen des ökologischen und nachhaltigen Wirtschaftens aufgeworfen.

Auch Fragen der Entgeltgerechtigkeit gehören in die Leistungsdiskussion. Unabhängig von der Beurteilung einzelner Leistungsbeiträge wird von Volkswirtschaftlern auf Leitplanken hingewiesen, innerhalb derer man sich zum Wohle aller bewegen sollte. So haben soziologische Untersuchungen ergeben, dass ein Einkommen der Topverdiener in der Organisation bis zum ca. 80-Fachen der untersten Einkommensgruppen toleriert wird. Mehr scheint kulturschädlich zu sein. Franz Josef Radermacher legt dar, dass Gesellschaften dann insgesamt am ehesten wohlhabend sind, wenn zwanzig Prozent der Privilegiertesten über circa vierzig Prozent der Ressourcen verfügen. Weniger motiviert nicht genug, mehr bringt den wirtschaftlichen Austausch zum Erliegen. Zwar werden die Reichen bei aufgehenden Scheren relativ schnell reicher, doch sinkt der Gesamtreichtum und die Ärmeren verarmen schneller, was die Gesamtwirtschaft und die gesellschaftlichen Verhältnisse nachhaltig schädigt. Augenmaß, Selbstbeschränkung und gesellschaftlicher Ausgleich auch zwischen den Generationen sind also harte wirtschaftliche Dimensionen. Sie werden nur oft nicht richtig erkannt und politisch durchgesetzt.

Der Friedensnobelpreisträger 2006 Muhammad Yunus hat weitergehend darauf hingewiesen, dass die Fixierung der Unternehmen auf zahlungskräftige Kunden in den von Angeboten überladenen Märkten kaum Sinn macht, wohingegen die Armen dieser Welt ein riesiges Marktpotenzial bedeuten, bringt man nur erst ihr eigenes Wirtschaften in Schwung. Die bessere Versorgung von Grundbedürfnissen stellt eine interessantere und humanere Reserve für Wirtschaftswachstum dar als alle fragwürdigen Luxusgüter zusammen.

5.3 Einige Organisationsperspektiven

Nach einem Blick auf Mensch und Wirtschaft kehren wir nun zu Organisationen und den Perspektiven der dazugehörigen Menschen zurück. Hierzu wurden an anderer Stelle (Schmid/Messmer 2005) schon viele Ausführungen zu Verantwortungskultur, Phasen der Krisenentwicklung in Organisationen etc. gemacht. Diese sollen hier lediglich anklingen, wohingegen auf einige zusätzliche Aspekte aufmerksam gemacht wird.

5.3.1 Unternehmertum

Unter einem Unternehmer konnte man sich noch vor wenigen Jahrzehnten jemanden vorstellen, der an der Spitze eines Unternehmens die Geschicke lenkt. Wie ein Feldherr hatte er den Überblick übers Ganze, entwickelte seine Strategien und gab Anweisungen an die nachfolgenden Instanzen. Solche Bilder gründen vermutlich in früheren Modellen von Militärmaschinerien. Die Ideen des Militärs sind vielleicht verblasst, weniger die der Organisation als große Maschine. Die Grundidee des Taylorismus, der Organisationen nach der Top-down-Methode mit vielen ineinander greifenden Teilfunktionen konzipiert, ist bis heute im impliziten Selbstverständnis der meisten Organisationen lebendig geblieben.

Diese Idee wird nun ergänzt und zunehmend abgelöst durch die Idee der Organisation als lebendigem Organismus (Schmid/Meyer 2010). Zwar werden zentrale Strategien verfolgt, Steuerungsmaximen entwickelt und als Orientierungen vorgegeben, doch findet die tägliche und konkrete Wirklichkeit organisiert in vielschichtigen Subsystemen mit Eigenleben statt. Die Prozesse sind so komplex geworden, dass die Maxime Vorgabe und Umsetzungskontrolle nur noch begrenzt zur Steuerung beitragen können. Ob eine Organisation lebt und koordiniert werden kann, hängt eher von den transparenten und geteilten Kulturvorstellungen der darin relativ autonom wirtschaftenden Menschen und Gruppierungen ab.

Wenn sich die Unternehmenslenker nicht an diese ankoppeln, dann tritt eine Art Aquaplaning-Effekt auf. Die Lenkungsbewegungen oben führen zu geringen oder unerwarteten Effekten in der Organisation. Die Lenkung oben muss sich an die realen Lebensprozesse ankoppeln und die Interessen der Mitarbeiter als Mitunternehmer einbinden, wenn eine organische Steuerung erreicht werden soll. Die hohen Prozessanforderungen machen es notwendig, dass die einzelnen Teile und Beteiligten der Organisation nicht mehr lediglich Teilperspektiven versorgen, im Vertrauen darauf, dass die Konstruktion schon für die Schlüssigkeit des Ganzen sorgen werde.

Es braucht heute auch aus der Teilperspektive den Blick für das Ganze, die Fähigkeit, Teilprozesse so zu gestalten, dass sie auch auf den Gesamtprozess bezogen Sinn machen. Worin unterscheidet sich diese von einer unternehmerischen Haltung? Die Entwicklung einer unternehmerischen Haltung und Kultur auf allen Ebenen und in allen Teilen der Organisation ist vonnöten, um selbst gesteuert und doch an den Unternehmenszielen orientiert zur Gestaltung der komplexen Prozesse beizutragen. Je mehr sich diese Haltung in den Perspektiven des Wirtschaftens und der Organisationsgestaltung ausdehnt, umso wertvoller ist dies für das Unternehmen als Gesamtorganismus.

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