Dürnsteiner Himmelfahrt

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Donnerstag, 23. Juni 14 Uhr 11

Auf der Fahrt in ihr Büro gratulierte sie sich, bei ihrer Zusage an den Landeshauptmann, mit der Witwe zu reden, immer in der Wir-Form und nie in der Ich-Form gesprochen zu haben. Sie hatte nämlich wenig Lust, das Gespräch selbst zu führen. Das war ein klarer Fall für Spencer. Ihr Stellvertreter legte zwar manchmal einen erstaunlichen Mangel an Taktgefühl an den Tag, aber wenn es darauf ankam, konnte er sehr feinfühlig sein. Dass es diesmal darauf ankam, das würde sie ihm schon klarmachen. In den letzten Tagen war er irgendwie anders gewesen. Nicht nur, dass sein Hemd immer akkurat zugeknöpft gewesen war. Er schien es jetzt auch öfter zu wechseln. Die Krägen wirkten sauberer als bisher üblich. Wahrscheinlich hätte sie heute bei der täglichen Vormittagsbesprechung sogar eine entsprechende Bemerkung gemacht, wäre sie in der Früh wegen dieser völlig deplatzierten badezimmerlichen Gemeinheit ihres Mannes nicht in so schlechter Stimmung gewesen.

Sie stutzte. Hätte es in St. Pölten den um diese Zeit bereits heftigen Nachmittagsverkehr nicht gegeben, dann hätte sie eine Hand vom Lenkrad genommen und sich damit auf die Stirn geschlagen. Wieso war sie nicht schon früher draufgekommen? Wo war nur ihr kriminalistischer Instinkt geblieben? Diese für den jahrelangen Malzacher-Standard geradezu erstaunliche Reinlichkeit – allerdings noch immer auf bescheidenem Niveau – konnte nur eines bedeuten: Er musste eine Flamme haben. War ja auch höchste Zeit. Ihr fiel die kleine Episode von vorgestern mit ihren Blumen wieder ein. Die wollte er sich offensichtlich unter den Nagel reißen, um sie jemandem zu schenken. Konnte das bedeuten, dass die Dame aus dem Büro stammte? Sie ging schnell alle Frauen in ihrer Abteilung durch. Da war niemand, dem sie zugetraut hätte, auf ihren treuen Stellvertreter ein wohlgefälliges Auge geworfen zu haben. Eine aus einer anderen Abteilung? Schwer zu sagen, weil sie die Mitarbeiterinnen vom Einbruch oder gar vom Verkehr nicht wirklich kannte. Und was, wenn die Zuneigung ihres Stellvertreters gar nicht erwidert wurde? Armer Spencer. Hätte er nicht verdient. Aber sie würde es ja bald herausfinden. Sie musste ohnehin mit ihm reden.

Donnerstag, 23. Juni 14 Uhr 32

Den Besuch eines teuren Haubenrestaurants hatte sie sich verbeten. Stattdessen hatte sie sich gewünscht, zu einem netten Heurigen in der Wachau ausgeführt zu werden. Nach ein paar Telefonaten auf der Suche nach einem echten Geheimtipp hatte er den gestrigen Abend damit zugebracht, die glänzendsten Stellen seiner schönsten Hose mit einer Haarbürste aus Draht etwas aufzurauen. An den Oberschenkeln war ihm das für seinen Geschmack recht gut gelungen, an der Sitzfläche leider nicht. Er hatte sich auch an den alten Trick aus Jugendtagen erinnert, die Hose über Nacht unter das Leintuch zu legen, um am nächsten Tag eine messerscharfe Bügelfalte zu haben. Die hatte seine Hose heute zwar, aber nicht genau an der Stelle, an der sie eigentlich hingehört hätte.

Jetzt aber waren all diese Kalamitäten vergessen. Jetzt stand er mit ihr in der Schlange vor dem kleinen Buffet, das ihm ein Schiedsrichterkollege gestern so genau beschrieben hatte, dass ihm dabei schon das Wasser im Mund zusammengelaufen war. An dem Paar vor ihnen vorbei deutete er auf den Schopfbraten in der Vitrine und flüsterte Walpurga ins Ohr: »Den machen sie hier nicht mit Kümmel, sondern mit zerstoßenem Koriander. Die Kruste knirscht, wenn du reinbeißt, dann schmilzt sie in deinem Mund.«

Sie kicherte und bekam rote Wangen.

Was für ein Glück, dass sein Schiedsrichterkollege gestern so ins Schwärmen gekommen war. Nun konnte er so tun, als sei er hier Stammgast. »Ganz rechts, der Erdbeerkuchen«, flüsterte er weiter, »den gibt es nur im Juni und auch nicht jeden Tag. Sie ernten die Erdbeeren von ihrem eigenen Feld. Eine alte Sorte. Schmecken so intensiv wie Walderdbeeren, wenn sie am richtigen Tag geerntet werden. Angeblich ein gut gehütetes Familiengeheimnis.«

Nun waren sie an der Reihe. Er drückte ihr ein Tablett in die Hand, nahm sich auch eines und ließ die Wirtin aufladen, bis sich die Köstlichkeiten beinahe stapelten. Sein Schiedsrichterkollege hatte ihm erklärt, dass ein Profi beim Heurigenbuffet mit den kalten Speisen, also mit dem Gebäck, den Salaten, dem obligaten Liptauer, aber auch Ei- und Krenaufstrich begann und erst am Ende die warmen Speisen orderte. So blieben die warmen Speisen länger warm.

Der reservierte kleine Tisch stand etwas wackelig auf dem Schotter. Walpurga – patent, wie sie war – sorgte mit ein paar Bierdeckeln für einen festeren Stand. Hier in diesem Innenhof gab es keinen schönen Ausblick auf die Donau. Draußen ragte ein zerzauster staubiger Buschen auf einem derben Stock auf die Gasse. Sonst ließ von außen nichts erkennen, welches Kleinod sich hinter dem schweren Tor verbarg. Der Gastgarten hatte wahrscheinlich vor einem halben Jahrhundert schon genauso ausgesehen. Weiß gekalkte Steinmauern, dunkelgrüne Fensterläden, altes, fast schwarzes Holz und knorriges Weinlaub, das sich an Stangen über den Hof rankte und an diesem sonnigen Nachmittag angenehmen Schatten spendete. Sogar der Schotter am Boden wirkte alt, rundgewetzt und stellenweise in die dunkle Erde getreten. Es gab keinen einzigen leeren Tisch in diesem kleinen Gastgarten. Dennoch herrschte eine eigentümliche Ruhe, als seien die Menschen darum bemüht, kein Aufsehen zu erregen und diesen Ort geheim zu halten.

Walpurgas Wangen glühten immer noch. Sie deutete auf die beiden Tabletts zwischen ihnen. »Ist das nicht viel zu viel?«

Er schüttelte nur den Kopf. »Komm, sonst wird das Fleisch kalt.« Schnell drückte er ihr ein Besteck in die Hand. »Du beginnst mit dem Schopfbraten, ich mit dem Kräuterbackhendel. Dann tauschen wir.« Mit diesen Worten senkte er seinen Blick in Richtung der Köstlichkeiten vor ihm und sog vernehmbar den Bratenduft ein. Er ließ sich nicht einmal von der Kellnerin stören, die den vorhin bestellten Grünen Veltliner und eine Karaffe mit Wasser zwischen die Tabletts zwängte. Dass er seine Aufmerksamkeit so demonstrativ dem Essen zuwandte, war Absicht. Er wollte, dass Walpurga sich unbeobachtet fühlte. Er brauchte sie gar nicht direkt anzuschauen. Es genügte vollauf, das Geschehen auf ihrem Teller zu beobachten, zu sehen, wie sie zögerlich ein Stück von der Kruste vom Fettrand abschnitt und zum Mund führte. Er konnte hören, wie sie auf die Kruste des Bratens biss, und hörte auch ihren leisen Ausruf des Entzückens. Er kannte Walpurga nun schon seit fast drei Wochen, als er ihrem alten VW kurzerhand mit dem Kabel, das er immer dabeihatte, Starthilfe geleistet hatte. Da sie als Hebamme gerade zu einer Geburt gerufen worden war, konnte sie nicht auf den Pannendienst warten. Zum Dank hatte sie es sich nicht nehmen lassen, ihn zum Essen einzuladen. Schon damals und seither jedes Mal, wenn sie sich getroffen hatten, hatte sie gegessen wie ein Spatz, dabei jedoch sehnsüchtig auf die Portionen geschaut, die er verdrückt hatte. Es brauchte keinen Kriminalisten, um zu erkennen, dass sie mit ihrer leicht molligen Figur haderte. Dass sie sich in seiner Gegenwart nicht wohl in ihrer Haut fühlte, musste er ihr austreiben. Beim zweiten Bissen nahm sie noch mal Kruste, dazu das magerste Stück Fleisch aus dem durchzogenen Braten und ein kleines Stück Waldviertler Knödel. Diesmal war ihr Entzücken noch deutlicher zu hören. Es musste die reinste Folter für sie sein, sich zurückzuhalten. Davon musste er sie jetzt erlösen. »Findest du mich zu dick?«, fragte er und schaute ihr unvermittelt in die Augen.

Im ersten Moment schaute sie nur verdutzt.

»Du siehst, ich esse gerne«, legte er nach. »Aber vielleicht findest du meinen Appetit ja ungesund.«

Sie lachte auf und schüttelte energisch den Kopf. »Du bist ein stattliches Mannsbild, genau richtig für meinen Geschmack.« Sie errötete.

Nun kam es drauf an. »Du hingegen«, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hob er mahnend die gebackene Hühnerkeule, »bist für meinen Geschmack zu schlank.«

Sie war so verblüfft über diese Ansage, dass ihr der Mund offenstand.

Er schaute ihr noch immer geradewegs in die Augen und zuckte mit keiner Wimper. »Das ist mein Ernst. Zu mir passt nur eine Frau, die genauso gerne isst wie ich.« Er nahm einen Bissen Huhn, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden.

Einige Sekunden lang saß sie nur da und erwiderte prüfend seinen Blick. Schließlich lächelte sie, steckte sich ein ordentliches Stück Schweinsbraten samt Knödel auf die Gabel und hob sie mahnend wie er vorhin die Hühnerkeule. »Du bist ein kluger Mann, Herr Chefinspektor. Okay, ich esse auch gerne. Und gerne zu zweit. Nur eines musst du mir versprechen.« Sie schob sich den Braten in den Mund und ließ ihn warten, bis sie genüsslich gekaut und runtergeschluckt hatte. Währenddessen füllte sie die Gläser mit Wein und reichte ihm eines. »Du musst mir hoch und heilig versprechen, dass du den Mut haben wirst, mir ganz ehrlich zu sagen, wenn du mich zu dick findest.«

Er zuckte lässig mit den Achseln. »Wenn’s weiter nichts ist. Das verspreche ich dir.« Zur Bekräftigung hob er das Glas und stieß mit ihr an.

In diesem Moment läutete sein Handy. Seine Chefin.

»Schönen Nachmittag! Gibt es etwas, was nicht bis morgen warten könnte? Ich bin nämlich gerade dabei, Überstunden abzubauen.«

»Seit wann kümmerst du dich um Überstunden?«, fragte Doris. »Wo bist du überhaupt?«

»Beim Heurigen. Die haben hier ein mit Wiesenkräutern gespicktes Backhendel. Halleluja.«

»Bist du allein?«

»Wo denkst du hin? Der Heurige ist bummvoll.«

»Na dann viel Vergnügen beim Überstundenabbau. Ich komme gerade vom Landeshauptmann. Fürchte, es kommt Ärger auf uns zu. Wir sehen uns morgen früh. Einen schönen Gruß auch an deine Begleitung.«

 

Donnerstag, 23. Juni 14 Uhr 40

Am Vormittag war Josefa Machherndl ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgegangen. In der Stiftskirche. Unter den gütigen Augen der goldenen Heiligen. Heute mit besonderer Hingabe. Stand doch bald wieder einmal eine Halbjahresbilanz an. Noch sieben Tage. Da sie es nicht erwarten konnte, hatte sie gestern Abend eine Vor-Halbjahresbilanz gezogen. Bisher von Jänner bis Juni 440 Beichten in der Dürnsteiner Stiftskirche, 49 weniger als im Vorjahr. Das war in der letzten Woche bestimmt nicht aufzuholen. Das Volk wurde immer ungläubiger. Gleichzeitig, und das war noch wesentlich bedenklicher, um 24 mehr Beichten, die über sechs Minuten dauerten, und die sie immer in der Alarmfarbe Rot protokollierte. Beichten dieser Länge konnten nur das Bekennen von besonders verabscheuungswürdigen Todsünden bedeuten, deretwegen einem der Beichtvater lang ins Gewissen reden musste. Auch wenn Josefa Machherndl die absolute Genauigkeit ihrer Aufzeichnungen nicht beschwören mochte, weil sie Zahl und Dauer der Beichten ja nur im Geheimen und während ihrer Arbeit am Blumenschmuck der Kirche notieren konnte, so war der Trend doch deutlich und ein Beweis dafür, dass die Dürnsteinerinnen und Dürnsteiner immer mehr zum willigen Opfer des Satans wurden. Ihre Zahlen logen nicht.

Sie erstellte diese Aufzeichnungen jetzt seit mehr als vier Jahren. Seit sie als Gemeindesekretärin vom Dürnsteiner Bürgermeister gegen ihren Willen in Pension geschickt worden war. Wenn sie schon nicht mehr im Dienst der Gemeinde tätig sein durfte, dann wollte sie im Dienst einer höheren Instanz arbeiten. Für den Herrn und Erlöser. Eine ungemein befriedigende Aufgabe. Ärgerlich nur, dass daran niemand in der ganzen kirchlichen Hierarchie ein Interesse zu haben schien. Offensichtlich stand der Kirche das Wasser noch immer nicht bis zum Hals.

Nach dem Ende der Beichtzeiten in der Stiftskirche war sie mit ihrem Fahrrad von Dürnstein heim nach Oberloiben gefahren und hatte sich zur Feier des Tages zwei Stamperln von ihrem heiß geliebten Marillenschnaps gegönnt. In den Tiefen ihrer Kühltruhe entdeckte sie eine große Portion Rostbraten mit Serviettenknödeln. Nach diesem ausgiebigen Mittagessen gönnte sie sich noch einmal zwei Stamperln. Zur Verdauung.

Jetzt saß sie am Fenster ihres von den Eltern gemeinsam mit ihrem Bruder geerbten Hauses und blickte auf die Straße. Wenig los um diese Zeit. Kein Wunder bei der Affenhitze. Eigentlich wäre ja jetzt ein kleines Mittagsschläfchen ideal. Aber dafür spürte sie einfach eine zu große Rastlosigkeit in sich. Sie fand auch bald den Grund dafür. Ihr machte die Aufführung von ›Hanneles Himmelfahrt‹ große Sorgen. Sie hatte in den letzten Wochen neben dem Feilen an ihrem Regie-Konzept viel Energie darauf verwendet, die Medien für ihr Projekt zu interessieren. Aber weder Briefe an die Redaktionen noch Telefonate mit lokalen Journalisten, die sie aus ihrer Zeit als Gemeindesekretärin kannte, hatten bis jetzt ein brauchbares Resultat gebracht. Sogar den Propst von Herzogenburg hatte sie einzuschalten versucht. Aber der wollte sich auch nicht vor ihren Karren spannen lassen. Diese Damen und Herren Redakteure, die sich alle für weiß Gott wie bedeutend hielten, obwohl sie nur für Provinzblätter arbeiteten, waren halt alle das gleiche Pack. Mussten mit mehr oder weniger prickelnden Informationen gefüttert werden, bevor sie sich herbeiließen, über das wirklich Wahre und Schöne zu schreiben. Sie überlegte. Mit prickelnden Informationen, und wie man sich ihrer für eigene Zwecke bediente, kannte sie sich an sich aus. Allerdings bestand die einzige halbwegs prickelnde Information, die sie im Ärmel hatte, aus ihrer gestrigen Begegnung mit dem Chauffeur eines großen Wagens, den sie gestern um diese Zeit auf einer Fahrt nach Weißenkirchen am Rand der Wachaustraße bemerkt hatte. Laut Auskunft des Fahrers, den sie in ein Gespräch verwickelt hatte, war es der Dienstwagen des Landespolizeidirektors. Mehr war aus ihm nicht herauszukriegen. Aber so leicht abwimmeln ließ sich eine Josefa Machherndl nicht. Sie war ein Stück weitergeradelt und hatte sich hinter einem dicht belaubten Weinstock auf die Lauer gelegt. Sie hatte nicht lange warten müssen.

Bald war der ihr aus dem Fernsehen bekannte hohe Herr aufgetaucht, und zwar nicht etwa vom Donauufer oder über den Radweg, sondern von oberhalb des Bahndamms kommend. Mit diesem unmöglichen dicken Kremser Polizisten im Schlepptau. Diese Information war nicht besonders prickelnd, solange sie nicht herausfinden konnte, was die beiden da oben in den Weingärten zu suchen hatten. Seit gestern hatte sie sich darüber den Kopf zerbrochen. Sie hielt sich ja immer auf dem Laufenden über alles, was in ihrer Gemeinde geschah. Sie kannte die Gegend wie ihre Westentasche. Wenn dort oben etwas vorgefallen wäre, das einen Landespolizeidirektor interessieren konnte, dann hätte sie das eigentlich wissen müssen. Das Einzige, was ihr einfiel, war, dass in diesen Weingärten erst vor ein paar Tagen ein Kremser Antiquitätenhändler verunglückt war. Aber was kümmerte das den obersten Polizisten des Landes? Zu blöd, dass sich der Chauffeur von ihrer Überredungskunst nicht hatte bezirzen lassen. Sie musste sich eingestehen, in den letzten Tagen vom Glück nicht gerade begünstigt gewesen zu sein. Aber sie wollte unter keinen Umständen Trübsal blasen. Das Glück würde schon noch zu ihr zurückkommen. Vielleicht war der Tod des Antiquitätenhändlers doch die richtige Fährte. Jedenfalls hatte ihr das Schicksal etwas in die Hände gespielt: einen wirklich guten Ansatzpunkt. Dieser Ansatzpunkt war übergewichtig und nicht der Hellste im Kopf. Sie musste Felix Frisch nur finden und in ein Gespräch verwickeln. Aus ihrer Zeit als Gemeindesekretärin von Dürnstein kannte sie in Krems genügend ältere Herrschaften, die zum Wohl ihrer Gemeinde die Augen offenhielten. Ein öffentliches Ärgernis wie dieser Inspektor stand sicher unter strenger Beobachtung. Sie griff zum Telefon. Es würde nicht so schwer sein, herauszufinden, wie sie an diesen unsäglichen Frisch herankommen konnte.

Donnerstag, 23. Juni 16 Uhr 16

Felix Frisch war bester Laune. Der gestrige gemeinsame Nachmittag mit dem obersten Polizeibeamten des Bundeslandes hatte für ihn geradezu traumhaft geendet.

Im Wachzimmer war er natürlich mit Fragen bombardiert worden. Aber er hatte sich wohlweislich zurückgehalten. Er hatte gerade nur so viel erzählt, dass den Kollegen der Mund offenblieb.

Dafür erzählte er am Abend seiner Elfriede alles umso ausführlicher. Wie es ihm gelungen war, den hohen Herrn von seiner Selbstmordtheorie zu überzeugen. Wie alle seine Kritiker ganz kleinlaut geworden waren. Welch ein Triumph! Schade nur, dass er seiner Frau nicht auch den Bericht des Landespolizeidirektors an den Herrn Landeshauptmann zeigen können würde, in dem der Name Felix Frisch besonders lobend erwähnt war. Da er aber sicher war, bald ein allerhöchstes Dankschreiben in Händen zu halten, nicht weiter schlimm. Ein paar Tage würde sich seine Elfriede halt noch gedulden müssen.

Heute war sein freier Tag. Da war der Tagesablauf streng geregelt. Den Vormittag verbrachte er nach wohlverdient spätem Aufstehen auf der Couch vor dem Fernseher in Erwartung des Schweinsbratens, den er sich zur Feier des Tages von Elfriede gewünscht hatte. Außerdem kredenzte sie ihm zum Nachtisch als Überraschung einen Apfelstrudel. Sie war eine Meisterin darin, dem Boden des Apfelstrudels genau die richtige knusprige Festigkeit zu geben, wenn sie sich bemühte. Diesmal hatte sie sich bemüht. Beim Test der Konsistenz konnte er den Boden des Apfelstrudels unter dem Druck seiner Gabel knistern hören. Offenbar war sie diesmal wirklich stolz auf ihn.

Nach der Mittagsruhe fuhr er dann wie immer zur Autowäsche am öffentlichen Waschplatz in der Kremser Au. Sein Skoda Octavia, der jetzt schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, glänzte noch immer wie neu. Das verdankte das Auto der vorbildhaften wöchentlichen Pflege durch seinen Besitzer, die sich unter anderem dadurch auszeichnete, dass er dabei nur ausgesuchte Markenprodukte verwendete. Obwohl ihm seine Elfriede ständig in den Ohren lag, auf billigeren Schaum und preiswerteres Wachs umzusteigen. Natürlich ließ er am Waschplatz die ein oder andere Bemerkung über seine Rolle bei der Entdeckung der wahren Todesursache des Kunsthändlers fallen. Aber selbstverständlich so diskret, dass ihm nur bösartige und neidische Zeitgenossen den Vorwurf der Übertreibung hätten machen können. Was ohnehin nie seine Sache gewesen war.

Als er gerade seine Kühlerhaube polierte, sah er eine Person daher radeln, mit der er schon seine Erfahrungen gemacht hatte. Jedenfalls war er keinesfalls erpicht darauf, mit der Dame ins Gespräch zu kommen.

Was Josefa Machherndl, die ihn offensichtlich ebenfalls erspäht hatte, nicht daran hinderte, auf ihn zuzusteuern.

»Herr Gruppeninspektor, welche Freude, Sie zu sehen. Meine Spione haben mir berichtet, dass Sie gestern in ganz geheimer Mission in einem Weingarten auf meinem Gemeindegebiet unterwegs gewesen sind. Darf man fragen, was der Gegenstand dieser Geheimmission gewesen ist?«

Felix Frisch konnte nicht umhin, höchst angetan zu sein. Eigentlich gegen seinen Willen. Aber erstens hatte ihn die pensionierte Gemeindesekretärin ganz korrekt als Gruppeninspektor angesprochen, was leider allzu selten vorkam. Zweitens merkte er, dass sich die anderen Autobesitzer, die hier eine eingeschworene Gemeinschaft bildeten, neugierig nach ihm umdrehten. Und drittens war er angetan, weil die Formulierung ›geheime Mission‹ fast nach James Bond klang. Daher wollte er gegenüber Frau Machherndl nicht unhöflich sein. Aber er würde ihr nicht so viel verraten wie seinen Freunden hier vorhin. Denen zwinkerte er jetzt zu, bevor er sich an die ehemalige Gemeindesekretärin wandte: »Sie sind ja erstaunlich gut informiert. Allerdings bin ich wirklich in geheimer Mission unterwegs gewesen. Daher sind meine Lippen verschlossen wie ein Grab.« Ein paar Momente ließ er Frau Machherndl zappeln und genoss das wissende Grinsen seiner Freunde. Dann beugte er sich zu ihrem Ohr und flüsterte: »Ich sage nur … Selbstmord.« Mit dieser Information würde sie ohnehin nichts anfangen können.

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