Dürnsteiner Puppentanz

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Freitag, 16. April 19 Uhr 30

In Gföhl war sie so lange wie möglich an der Seite des Landeshauptmanns gestanden und hatte mit den Leuten geredet. Sie fand, dass sie ihn gut ergänzt hatte. Und umgekehrt. Von ihm konnte sie viel lernen. Ganz besonders mochte sie es, wenn er seine große Hand väterlich auf ihre Schulter legte und sie vorstellte: Katharina Krenn, unsere Sicherheitssprecherin. Das kam bei den Leuten gut an.

Von Gföhl war sie direkt nach Weißenkirchen gefahren. Als sie den Bahnübergang kurz vor der Ortseinfahrt überquerte, warf sie einen Blick auf die Uhr über dem Tachometer. Sie war zu früh dran. Der Beginn der Veranstaltung war für 19 Uhr 30 angesetzt. Jetzt war es 19 Uhr 30. So etwas war ihr zu Beginn ihrer politischen Karriere fast immer passiert. In letzter Zeit immer seltener. Bei der richtigen Inszenierung eines Auftritts war die Zeit ein entscheidender Faktor. Sie hatte vom Landeshauptmann gelernt, dass ein Politiker nie pünktlich sein durfte. Erstens würden die Leute sonst glauben, dass Politiker nichts zu tun hätten. Zweitens müsse unter den Wartenden eine gewisse Ungeduld oder sogar Unruhe geschürt werden, um schon das Erscheinen der Hauptperson zu einem wesentlichen Teil des nachfolgenden Erlösungsrituals zu machen. Sie wusste allerdings auch, dass es für ihn als Spitzenpolitiker eine deutlich höhere Verspätungstoleranz gab als für sie als einfache Landtagsabgeordnete. Sie beschloss daher, nur fünfzehn Minuten an der Ortseinfahrt zu parken.

Heute Abend hatte die Weißenkirchener ÖVP zu einer Veranstaltung geladen. Die Schwarzen waren in der traditionsreichen Weinbaugemeinde immer die Platzhirsche gewesen. Sie waren die einzige Partei, die es sich leisten konnte, außerhalb von Wahlzeiten Parteiveranstaltungen abzuhalten. Ursprünglich hatte der Ortsparteiobmann den Landeshauptmann höchstpersönlich wegen des politischen Referats angefragt. War aber von dessen Büro abschlägig beschieden worden. Terminkollision. Daher war sie zum Zug gekommen.

Pünktlich, mit der ihr angemessenen Verspätung, startete sie ihren Wagen und fuhr zum »Holzer«. Dieses Gasthaus war in Weißenkirchen eine Institution. Seit neun Generationen im Besitz der Familie. Sie war seit drei Jahren im Landtag und kannte daher fast alle Ortsparteiobmänner und -obfrauen ihres Wahlkreises. Auch den vor dem Lokal wartenden Weißenkirchener Obmann Hans Wiesner.

Mit einem deutlichen Handzeichen signalisierte er ihr, ihren Wagen in die geöffnete Hofeinfahrt zu lenken. Ein kleines Schild aus Stuck, ursprünglich weiß, aber nie gereinigt, prangte über der Hofeinfahrt. Mit einer in abgeblättertem Gold eingravierten Jahreszahl: 1738. Die Holzers waren nicht nur Wirtsleute, sondern auch Weinbauern. Im zweiten Beruf nicht ganz so bekannt wie im ersten. Ihre Veltliner und Rieslinge waren durchaus gut zu trinken, aber in den großen nationalen oder gar internationalen Wein-Führern waren sie nicht zu finden.

Nach einer kurzen Begrüßung mit einem zaghaften Kuss auf beide Wangen führte der Obmann sie hinein. Das Gasthaus hatte neben der Schankstube einen großen Saal. Dessen Decke war gemessen an der Größe zu niedrig, sodass der Raum etwas Bedrückendes ausstrahlte. Bis zu 120 Leute fanden hier Platz. Normalerweise wurde so viel Platz in Weißenkirchen nur in der Faschingszeit gebraucht. Beim Feuerwehrball etwa, oder beim Pfarrball. Da musste allerdings ein großer Teil der Ballbesucher in der Schankstube Platz nehmen, weil der Saal für die Kapelle und die Tanzfläche reserviert war. Den Pfarrball gab es schon lang nicht mehr. Ebenso wenig wie das Kindergschnas. Früher ein Fixpunkt im Weißenkirchener Veranstaltungskalender. Jetzt wurde der Saal in erster Linie für Hochzeiten verwendet. Bei geschickter Anordnung der Tische sah der Saal auch mit deutlich weniger Gästen ziemlich voll aus. So auch an diesem Abend.

Katharina hatte sich schon früh angewöhnt, bei ihren Auftritten die Zahl der Besucher zu schätzen. Weil sie daraus auf die organisatorische Schlagkraft der örtlichen Parteileitung schließen konnte. Aber natürlich auch, weil die Besucherzahl ein höchst brauchbares Indiz für ihre eigene Zugkraft darstellte. Zirka sechzig Personen. Gar nicht schlecht.

Dass der Publikumsandrang auch ihr zu verdanken war, bemerkte sie am deutlichen Überhang der männlichen Besucher, die auch einen stärkeren Beitrag zum insgesamt sehr freundlichen Begrüßungsapplaus leisteten als die anwesenden Damen. Das kannte sie schon von anderen Veranstaltungen. Bei der Wahl ihrer Garderobe legte sie stets Wert darauf, Frauen, die von der Natur nicht mit denselben Vorzügen ausgestattet worden waren wie sie selbst, nicht vor den Kopf zu stoßen. Deshalb schminkte sie sich bei solchen Gelegenheiten auch ausgesucht dezent. Trotzdem wusste sie, dass viele ihrer Geschlechtsgenossinnen mit ihr bei der ersten Begegnung ein Problem hatten. Sie hatte aber auch die Erfahrung gemacht, dass sie solche Vorbehalte mit ihrer Rede nach wenigen Minuten zum Schwinden bringen konnte.

Ortsparteiobmann Wiesner, der die Anwesenden offensichtlich alle persönlich kannte, gab in seiner kurzen Begrüßungsansprache seiner Freude über das zahlreiche Erscheinen Ausdruck. Auf eine recht sympathische Art. Schwerer tat er sich mit der Vorstellung ihrer Person. Etwas linkisch, wie sie fand. Sie hatte sich vorgenommen, in ihrer Rede, die sie völlig frei halten wollte, auf die Bedeutung des Weinbaus nicht nur für die Region sondern für das gesamte Bundesland einzugehen. In Weißenkirchen natürlich ein Selbstläufer.

Etwas schwieriger war es für sie schon, beim Thema Tourismus die richtige Balance zu finden. Die Wachau lebte zwar vom Tourismus, aber es gab viele Bewohner, für die der Fremdenverkehr mehr Fluch als Segen bedeutete. Weil sie seit drei Monaten Sicherheitssprecherin ihrer Partei im Landtag war, wollte sie sich im bundespolitischen Teil ihrer Rede auf die neue Parteilinie in Sachen Sexualstrafrecht konzentrieren. Aber auch deswegen, weil sie wusste, dass sie damit den meisten Frauen im Saal aus der Seele sprechen würde. Dem Beifall am Ende ihrer Rede nach zu schließen hatte sie ihr Ziel voll erreicht. Einige Damen hatten sich dabei sogar von ihren Sesseln erhoben.

Nachdem der Applaus endlich verklungen war, lud der Ortsparteiobmann die Zuhörer ein, Fragen an die Referentin zu stellen. Ein übliches Ritual bei Parteiveranstaltungen. Ebenso wie es üblich war, dass sich alle Anwesenden zunächst gegenseitig ansahen, und niemand den Mut hatte, die erste Frage zu stellen. Bis der Parteiobmann die schön langsam peinlich werdende Stille mit einer eigenen Frage durchbrach. Kannte sie auch zur Genüge.

»Liebe Frau Abgeordnete! Man munkelt ja schon seit einiger Zeit, dass du der nächsten Landesregierung angehören wirst. Ich bin sicher, dass alle hier im Raum wissen wollen, welches Ressort du denn gern hättest?« Ziemlich die blödeste Frage, die er ihr stellen konnte. Abwiegeln, rundweg bestreiten oder gar bejahen? Jede Antwort war möglich, aber keine wirklich befriedigend. Als Frage zum Aufwärmen absolut nicht zu gebrauchen. Dem Gesichtsausdruck des Obmanns konnte sie aber die Überzeugung ansehen, ihr eine besonders intelligente Frage gestellt zu haben. Vollkoffer.

Samstag, 17. April 8 Uhr 20

Die Luft war an diesem sonnigen Morgen noch frisch. Sie fröstelte, als sie auf die Veranda hinaustrat. Von der Donau stiegen zarte Dunstschleier auf. Morgenmantel allein war zu wenig. Gestern in Weißenkirchen war es ziemlich spät geworden. Lange Abende war sie gewohnt. Vielleicht war es dennoch auch Restmüdigkeit, die sie frösteln ließ. Mit ihren einundvierzig Jahren war sie eben nicht mehr die Jüngste. Immerhin eine der jüngeren Landtagsabgeordneten.

Jedenfalls musste sie sich vor einer Verkühlung hüten. Angesichts ihres Terminkalenders war eine Erkrankung so ziemlich das Letzte, was sie brauchen konnte. Also zurück ins Haus. Ein Paar dicke Socken und unter dem Morgenmantel noch eine warme Trainingshose, das würde reichen. Jedenfalls wollte sie es sich nicht nehmen lassen, mit Martin auf der Veranda zu frühstücken. Sie hörte ihn schon in der Küche. Für das samstägliche Frühstück gab es im Hause Krenn seit Jahren und zu allen Jahreszeiten eine fixe Arbeitsteilung. Sie deckte nur den Tisch. Alles andere war allein seine Sache. Es war sein Ritual, um sich auf das Wochenende einzustimmen. Er holte beim Bäcker, den es in Rossatz noch gab, frisches Gebäck. Früher war er um Wurst und Käse auch noch in die örtliche Gemischtwarenhandlung gepilgert. Die hatte jedoch vor zwei Jahren zugesperrt. Einen Feinkostladen hatte es in dem kleinen Dorf nie gegeben. Also kaufte er die übrigen Zutaten je nach Zeit schon am Donnerstag oder Freitag in einem Supermarkt in Mautern. Den Kaffee hingegen bezog er via Internet aus Vietnam. Kein anderer Kaffee hatte diese cremige Schokoladennote.

Sie wollte ihn in der Küche nicht stören. Also nahm sie alles aus der Anrichte neben der Verandatür. Zunächst ein frisches, blassgrünes Tischtuch. Darauf drapierte sie das Gmundner Porzellan und das alte Silberbesteck.

Sie deckte nur für zwei Personen. Allzu selten gesellte sich zum Frühstück ihre sechzehnjährige Tochter Emma dazu. Am Wochenende war sie in der Regel nicht vor zehn Uhr aus dem Bett zu kriegen. Der vierzehnjährige Philipp tauchte überhaupt nie auf. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, gar nicht zu frühstücken. Um dann beim Mittagessen umso kräftiger zuzulangen.

Das Tischdecken war schnell erledigt. Die dicken grünen Polsterauflagen holte sie noch und legte sie auf die Sessel. Dann ließ sie sich in ebendiese grüne Polsterung fallen. Sie zwang sich, das Handy noch liegen zu lassen. Stattdessen ließ sie den gestrigen Abend Revue passieren. Von ihrer Rückfahrt von Weißenkirchen nach Rossatz musste sie Martin unbedingt erzählen. Gerne hätte sie die Rollfähre über die Donau genommen. Aber die war ja so spät abends längst nicht mehr in Betrieb. Sie musste donauabwärts bis Stein, dann über die Donaubrücke nach Mautern und schließlich noch ein paar Kilometer wieder stromauf nach Rossatz fahren. Rund 17 Kilometer, um ihr Haus zu erreichen, das am gegenüberliegenden Ufer fast in Sichtweite lag. Beim Wegfahren hatte sie wegen dieses Umweges zu später Stunde noch geseufzt. Aber schon bei der Ausfahrt aus Weißenkirchen war ihr die Pracht der Frühlingsnacht aufgefallen. Ein echter Genuss. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals blühende Marillenbäume im Mondlicht bewusst wahrgenommen zu haben. Gestern zum ersten Mal. Fast noch schöner als bei Sonnenschein.

 

Ihr Wohnort rühmte sich in seinen Werbebroschüren, das größte Marillenanbaugebiet der ganzen Wachau zu beherbergen. Dennoch konnte sie von ihrer Veranda aus nur in der Ferne vereinzelt ein paar Bäume in weißer Blütenpracht sehen. In ihrem Garten standen nur Apfelbäume. Die würden sich mit ihrer Blüte noch einige Wochen Zeit lassen. Vielleicht ging es sich bis zum nächsten Vollmond aus. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass es das Rosa der Apfelblüten locker mit dem Weiß eines blühenden Marillenbaums aufnehmen konnte. Aber ob das Rosa bei Vollmond auch so strahlen würde? Würde sich Martin, der honorige Herr Notar und umsorgende Familienvater, zu einem späten Spaziergang mit dem gewissen Extra verführen lassen?

Seit siebzehn Jahren war sie verheiratet. Sie fragte sich manchmal, ob sie nicht erst später hätte heiraten und ihre Ungebundenheit noch länger hätte genießen sollen. Auf diese Frage fand sie allerdings nie eine eindeutige Antwort.

Klar war ihr jedenfalls, dass sie es mit ihrem Martin recht gut getroffen hatte. Respektabel, verständnisvoll, ihre Karriere fördernd, witzig und durchaus zum Herzeigen. Auch ein Vorzug, der für sie, die sich oft auch bei gesellschaftlichen Anlässen zeigen musste, nicht zu unterschätzen war. Ihr Mann machte sowohl im Niederösterreicher-Anzug als auch im Smoking eine ausgezeichnete Figur. Nach ihrem Einzug in den Landtag hatte Martin ihr empfohlen, dafür zu sorgen, dass sich alle das Kürzel »KK« einprägten. Würde ihr bei ihrem weiteren Aufstieg nützlich sein. Hatte bis jetzt auch prächtig funktioniert. Im Grunde war er es gewesen, der ihr Interesse an der Politik geweckt hatte. Ihr Vater hatte das nie vermocht, obwohl er Kremser Bezirkshauptmann gewesen war, und Politik bei ihm immer an erster Stelle stand.

Ja, Martin war ein guter Griff. Aber sehr schön war auch die Freiheit gewesen, die sie in ihrer Jugend weidlich genutzt hatte. So weidlich, dass sie im Interesse ihres weiteren Aufstiegs auf die Diskretion all derer hoffen musste, die einst in den Genuss dieser Freiheit gekommen waren. Bisher kein Problem. Schließlich war das alles schon recht lang her. Als ÖVP-Abgeordnete musste sie sich jedenfalls davor hüten, mit solcher Freiheit assoziiert zu werden. Daher war sie dieser Tage eine mustergültige Ehefrau. Aber von Vollmondnächten unter blühenden Bäumen träumte sie trotzdem.

Da ihr der Sinn so nach Blüten stand, holte sie ein kleines scharfes Messer aus der Anrichte, schlüpfte in die Pantoffel, die auf der Veranda stets bereit standen, ging hinunter in den Garten und schnitt ein paar Blumen aus der Wiese. Ein paar große Gänseblümchen, die Namen der anderen, der kleinen roten und blauen, kannte sie nicht. Wiesenblumen eben. Das hübsche kleine Sträußchen stellte sie in einer Vase auf den Frühstückstisch. Ein wenig dufteten sie sogar.

Allerdings wurde der Duft überlagert vom Aroma des Kaffees, das durch die Verandatür herausströmte. Ein untrügliches Zeichen, dass Martin gleich mit dem großen Tablett aus der Küche kommen würde.

Sie blieb mit dem Rücken zur Tür sitzen. Denn sie wusste, dass es ihm Spaß machte, sich lautlos anzuschleichen. Obwohl sie das wusste, schaffte er es manchmal tatsächlich, sie zu überraschen, wenn sie in Gedanken versunken war. Heute jedoch hörte sie ein leises Klimpern hinter sich.

»Für einen Mann gibt es in der Früh nichts Schöneres«, hauchte er ihr ins Ohr, »als den Geruch von frischem starkem Kaffee.«

»Nicht gerade ein Kompliment für mich«, konterte sie mit einem Lächeln. »So etwas darfst du erst sagen, wenn wir die goldene Hochzeit hinter uns haben.«

Grinsend stellte er das Tablett ab und ließ sich ebenfalls in den Sessel sinken. »Aahh«, seufzte er wohlig, griff zum Kaffee und schenkte ihr zuerst ein. Dann nahm er eine der vier goldbraunen Semmeln aus dem aus Stroh geflochtenen Brotkorb, schnitt sie entzwei und bestrich die eine Hälfte mit feinen Scheiben der Bauernbutter, die er bedächtig von einem großen, etwas unförmigen Stück abschnitt.

Sie beobachtete ihn gerne beim Genießen. Es war ein heimeliges Gefühl, jemanden so gut zu kennen. Seine Abfolge kleiner Rituale funktionierte wie ein Uhrwerk. Nach den ersten zwei Bissen würde er das Gespräch eröffnen.

»Ich habe dich gestern zwar noch gehört, wie du nach Hause gekommen bist. Aber ich bin zu müde gewesen, um dich zu fragen, wie es in Weißenkirchen gelaufen ist.«

»Ich habe den Landeshauptmann sicher bestens vertreten.« Sie lachte und nahm einen Schluck Kaffee.

»Gut besucht?«

»Zirka sechzig Leute.«

Er pfiff durch seine Zähne. »Sechzig Leute? Donnerwetter. Also viel mehr wären beim LH auch nicht gekommen.«

»Ja, gut organisiert, aber der Parteiobmann von Weißenkirchen ist trotzdem nicht der Hellste. Am Ende fragt er mich glatt vor Publikum, ob ich in die Landesregierung einziehen werde.« Er zuckte die Achseln. »Ich nehme an, du hast souverän pariert. Glaubst du, dass der Landeshauptmann einen Spion dagehabt hat?«

Sie zog ihre Stirn hoch und wiegte ihren Kopf hin und her. »Ehrlich gesagt wäre ich enttäuscht, wenn nicht. Dann würde ich nämlich noch nicht zu den potentiellen Erben zählen. Gestern in Gföhl hat er mich jedenfalls präsentiert wie eine Königin. Also nehme ich an, dass er auch mich mit seinem ganz besonderen Überwachungssystem kontrolliert.«

»Du darfst jetzt nur nicht keck werden. Immer schön brav zu ihm aufschauen. Das lieben Leute wie er. Ist ja in Wahrheit ein extrem unsicherer Mensch. Und deshalb ein Angstbeißer.«

Warnend erhob sie das Buttermesser. »Kein falsches Wort über den LH. Womöglich nehmen seine Spione auch dich unter die Lupe. Zumindest stichprobenartig.« Sie bohrte das Messer durch die Luft zwischen ihnen und grinste. »Für mich ist nur wichtig, dass ich nach der nächsten Wahl Landesrätin werde. Da muss ich voll und ganz auf ihn setzen.« Sie nahm sich ebenfalls eine Semmel, bestrich sie mit Butter und legte eine Scheibe Bauernschinken drauf. »Daher bin ich eine brave Soldatin und habe nur das Wohl der Partei im Auge. Apropos: Heute Nachmittag steht mir ein besonderer Leckerbissen ins Haus. Wanderung mit den Melker ÖVP-Frauen auf die Ruine Aggstein.«

»Klingt nach Strafverschärfung.«

»Kannst du laut sagen. Aber ich werde so freundlich und süß sein, wie ich es nicht einmal bei dir bin. Wenn ich mir den Hatscher schon antue, dann möchte ich wenigstens keine schlechte Nachrede haben. Du weißt ja, wie bösartig Frauen sein können. ÖVP-Frauen ganz besonders.«

Martin setzte ein schiefes Lächeln auf. »Ein Glück, dass dich deine Parteifreunde nicht hören können.«

»Irgendwo muss ich mich ja abreagieren.« Sie blinzelte ihm verschwörerisch zu und biss herzhaft in ihre Schinkensemmel.

Samstag, 17. April 9 Uhr 05

In den letzten Wochen hatte Erich Lenhart stundenlang alle möglichen Internetportale konsultiert und Homepages studiert, um den richtigen Kochkurs für seine Frau und sich zu finden. Im Internet hatte er fast alles gefunden: Wie man Sushi-Variationen oder Pralinen herstellt, wie man salzige Hauptgerichte mit Schokolade oder einen Bachsaibling mit Zitronenschaum verfeinert, eine Einführung in spezielle Serviettenfalttechniken und Tipps für schonendes Garen. Aber nichts, was ihn vom Sitz gerissen hätte. Er hätte aber auch gar nicht sagen können, wonach er wirklich suchte. Klar war ihm von vornherein nur, dass es ein Kurs bei einem Meisterkoch sein musste. Weil er sich von einem großen Namen die größte Inspiration erwartete. Er suchte nichts weniger als ein Gesamtkunstwerk.

Während des Sichtens der Angebote hatte er mehrmals an seine Mutter denken müssen. Vor mehr als dreißig Jahren hatte sie sich von ihrem Mann ebenfalls einen Kochkurs schenken lassen. Damals mussten die Teilnehmer noch Messer und Schürze selbst mitbringen. Jetzt bekam man nach Absolvierung des Kurses nicht nur die Schürze als Präsent, sondern ein Kochbuch des jeweiligen Meisters noch dazu. Plus einer Urkunde über den erfolgreichen Abschluss des Kurses, die den gezeigten Fotos nach zu schließen aufwändiger gestaltet war als seine Promotionsurkunde.

Ihm wäre ja am liebsten ein Kurs für italienische Küche gewesen. Weil er sie besonders gern mochte. Aber ein solcher Kurs war in ganz Österreich nicht zu finden. Außerdem hatte seine Doris protestiert. Sie würde es nie wagen, Gästen italienische Küche zu servieren. Die würde in Italien doch am besten schmecken. Oder zur Not auch bei einem Italiener, den es nach Österreich verschlagen hatte.

Letztlich war die Entscheidung nach Rücksprache mit Doris auf das Angebot eines jungen Wachauer Spitzengastronomen gefallen. Dieser versprach den Kursteilnehmern, bei ihnen ein untrügliches Gespür für die ideale Harmonie von Zutaten zu wecken. Das würde für die Kochkünste seiner Frau und vor allem für seine eigenen den meisten Mehrwert bringen. Heute war der große Tag. Er saß startklar am Sofa im Wohnzimmer.

Doris hingegen hatte er vorhin noch unter der Dusche singen gehört. Haare waschen gehörte zu ihrer samstäglichen Routine. Er mochte ihre halbnassen Haare, die sie noch jünger aussehen ließen, als sie ohnehin war. Was er allerdings nicht mochte, war Verspätung. Er sah auf die Uhr. Kurz nach neun. Noch war keine Eile geboten. Der Kochkurs startete erst um zehn Uhr. Aber viel Spielraum gab es nicht mehr. Für die Fahrt von St. Pölten nach Joching mussten sie vierzig Minuten rechnen. Wo blieb sie denn nur?

Da hörte er, dass sie im Arbeitszimmer telefonierte. Ihrer Tonlage nach zu schließen musste es ein ziemlich heftiges Gespräch sein. Soweit er seine Frau verstehen konnte, schien es um die Schaufensterpuppe zu gehen, die gestern Nachmittag von der Strompolizei in Krems geborgen worden war.

Die Geschichte mit der Puppe kannte er wegen des Anrufs, den sie gestern Abend von ihrem Stellvertreter erhalten hatte. Der gute Spencer. Wirklich nicht zum Anschauen. Aber seine Doris schwor auf ihn. Und er mochte Spencer auch.

Sie riss die Tür zum Esszimmer auf. »So eine blöde Kuh! Da bin ich so nett, rufe sie extra an. Sage ihr, dass da doch keine Leiche in der Donau war. Nur eine Schaufensterpuppe. Da fängt sie an zu schimpfen. Dass ich unfähig bin, wenn ich mich auf Idioten verlasse. Dass die Strompolizei bekanntermaßen das polizeiinterne Abstellgleis für alle Idioten ist. Ich hab natürlich dagegengehalten. Hab sie ruhig gefragt, wie sie zu der Meinung kommt, dass dort alle unfähig sind. Da sagt sie mir mit einem Unterton, der an Süffisanz nicht zu überbieten ist: Inspektor Felix Frisch ist zur Strompolizei versetzt und mit offenen Armen aufgenommen worden.«

»Sie scheint sich bei der Kremser Polizei gut auszukennen«, kommentierte er.

»Weiß der Himmel, woher sie diese Information mit dem Frisch hat. Habe nicht einmal ich gewusst, dass sie den zur Strompolizei versetzt haben.«

»Ist dieser Inspektor Frisch wirklich ein Idiot?« fragte er.

Sie nickte. »Kann man wohl sagen. Aber eine Schaufensterpuppe wird er ja doch von einer Leiche unterscheiden können.«

Er zuckte mit den Achseln. »Lass’ dir von der Machherndl den Tag nicht versauen. Es gibt halt Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als im Mist anderer Leute zu stierln. Solltest du am besten wissen.«

»Du hast ja Recht. Aus. Schluss. Ich werde das ganze Wochenende nicht mehr an sie denken.« Sie ließ sich zu ihm aufs Sofa fallen. »Wie würdest du mich denn heute am liebsten sehen?«

»Am liebsten natürlich nackt.«

Doris spitzte ihre Lippen, beugte sich zu ihm und gab ihm einen leichten Kuss auf die Nasenspitze. »Erich Lenhart, du alter Schleimer. Ich meine, was ich anziehen soll?«

»Auf alle Fälle ganz leger. Ich würde sagen, bequeme Hose und ein leichter Pullover. Und ganz flache Schuhe. Du wirst dir nämlich dort die Füße in den Bauch stehen.«

Erich merkte an der Miene seiner Frau, dass sie mit seiner Empfehlung nicht recht zufrieden war.

 

»Du wärst auch in Sack und Asche die strahlende Königin jeder Küche.«

»Also gut. Schlabberlook. Auf deine Verantwortung.«