Dürnsteiner Puppentanz

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Sonntag, 18. April 8 Uhr 45

Die Kremser Großbäckerei hatte zweihundert Stück Gebäck pünktlich an Bord gebracht. Aber der Fleischhauer war mit der Lieferung der täglichen hundertfünfzig Paar Frankfurter zehn Minuten später als vertraglich vereinbart dran gewesen. Kapitän Leutgeb notierte zwar die Verspätung in seinem Bordbuch. Da der Lieferant aber seit dem Beginn der Zusammenarbeit mit der DDSG immer pünktlich gewesen war, wollte er daraus keine große Sache machen. Er würde die verspätete Lieferung nicht nach Wien melden.

Ein Ablegen ohne die Würstel wäre für das Schiff freilich eine kleine Katastrophe gewesen. Stimmungsmäßig und finanziell. Frankfurter waren die bei Weitem beliebteste Speise auf einem Wachau-Schiff. An einem guten Tag verzehrten die Passagiere mehr als zweihundert Paar. Besonders gern zusammen mit einem Wachauer Laberl. Viele Passagiere kamen von weit her mit dem Auto nach Krems, um den Schiffsausflug in die Wachau zu machen. Darunter war stets eine erkleckliche Anzahl von Personen, die ohne zu frühstücken in ihre Autos gestiegen waren. Die stürmten gleich nach dem Ablegen des Schiffs das Bordrestaurant. Um ihren ersten Kaffee des Tages zu trinken oder sich ein Paar Frankfurter zu gönnen.

Heute gab es kaum Wellengang. Der Wasserstand der Donau war seit Monaten ausgesprochen niedrig. Der Winter war zwar recht lang und überraschend kalt, aber niederschlagsarm gewesen. Auch in den letzten Wochen hatte es wenig geregnet. Und die Schneeschmelze in den Bergen hatte gar noch nicht richtig begonnen.

Bei niedrigem Wasserstand war das Ablegemanöver für die gesamte Mannschaft eine tausendfach durchexerzierte Routineangelegenheit. Dennoch war der Kapitän wie immer aufmerksam und überwachte die Einhaltung der für das Manöver geltenden Vorschriften sehr penibel. Immerhin hatte es auch auf der Donau schon Schiffsunglücke mit mehreren Toten gegeben. Er wusste, dass sich das eine oder andere Crew-Mitglied von ihm manchmal einen etwas laxeren Umgang mit den Regeln gewünscht hätte. Davon ließ er sich jedoch nicht beeindrucken. Auf seinen Schultern lag ja die ganze Verantwortung.

Als das Manöver beendet war, lehnte er sich an die Fensterfront des Kapitänsstandes und gönnte sich bewusst eine Pause. Bewusste Pausen förderten die Konzentrationsfähigkeit. Außerdem würden sie gleich an Stein vorbeifahren. Die ufernahe Häuserfront von Stein war für ihn eines der Highlights der Fahrt. Die weißen und grauen Fassaden hinter der Reihe alter Bäume, die breite, fast unbefahrene Straße parallel zur Uferstraße, die beiden kleinen Plätze, die sich wie Buchten zur Donau hin öffneten, das alles vermittelte ein Gefühl von Gemütlichkeit und Lebensfreude, irgendwie ein mediterranes Flair. Immer wieder war er überrascht, dass offenbar nur wenige Passagiere seine Begeisterung für Stein teilten. Allenfalls zückten die Passagiere ihre Handys und Fotoapparate, wenn sie die Pfarrkirche und die gleich dahinter am Hügel stehende Frauenbergkirche sahen. Beide Kirchen lagen hinter der jahrhundertealten Häuserzeile. Er hatte schon mehrmals mit seiner Frau Führungen durch Stein mitgemacht. Da gab es traumhafte barocke Innenhöfe mit Arkaden und Balustraden, die mit Weinlaub verwachsen waren. Außerdem reich verzierte Bürgerhäuser, die vom bis ins Mittelalter zurückreichenden Reichtum dieses alten Handelsplatzes zeugten. Die beiden zur Donau hin offenen Plätze hätten seiner Meinung nach auch gut in eine alte italienische Stadt gepasst. Die Kremser Plätze waren zwar bei den Touristen beliebter. Aber an Schönheit konnten es die Plätze in Stein locker mit denen in Krems aufnehmen.

Kurz vor der Mauterner Brücke wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

Der Steuermann rief ihm zu: »Da schwimmt schon wieder eine Vogelscheuche! Backbord.«

»Du meinst eine Schaufensterpuppe«, berichtigte er. Gab es entlang der Donau jemanden, der sich einen Spaß daraus machte, mannsgroße Puppen ins Wasser zu schmeißen? Er blickte hinunter auf die Wellen. Dieser erste Blick machte ihn stutzig. Schnell griff er nach dem Fernglas, das hinter ihm an der Wand hing und verließ hastig seinen Steuerstand. Keine zehn Sekunden später war er sicher, dass diesmal keine Puppe in der Donau schwamm. Noch an der Reling stehend nahm er sein Handy aus der Tasche und wählte den Polizeinotruf.

Sonntag, 18. April 8 Uhr 55

»Gehet hin in Frieden!«

»Dank sei Gott dem Herrn!« Josefa Machherndl antwortete so laut, dass es in der ganzen Kirche zu hören sein musste. Trotz dieser Inbrunst musste sie sich eingestehen, dass sie in der heutigen Messe nicht bei der Sache gewesen war. Auch über deren Ende war sie froh. Ihr war klar, dass sie damit eine Sünde beging. Am kommenden Donnerstag, ihrem wöchentlichen Beichttag, würde sie dafür die Absolution erbitten müssen. So unauffällig wie möglich befühlte sie den Schorf auf ihren beiden Warzen. Noch zu früh, um ihn schon herunterzukratzen. Sie blieb noch in der Bank sitzen, wartete darauf, dass die anderen Messbesucher die Kirche verließen. Gedränge am Ausgang vom Haus Gottes konnte sie nicht leiden.

Ihre langjährige Sitznachbarin erhob sich und nickte ihr zu. Josefa verabschiedete sie mit einem huldvollen und, wie sie innerlich hoffte, durchaus nachsichtigen Lächeln. Wie immer hatte die Gute die Messlieder mit einer Hingabe gesungen, die in einem krassen Gegensatz zu ihrer Fähigkeit stand, die richtigen Töne zu treffen. Josefa hatte sie deswegen auch schon mehr als ein dutzendmal angesprochen und ihr dringend empfohlen, entweder nicht mitzusingen oder sich in eine der hinteren Bankreihen, die bei der Frühmesse ohnehin alle leer waren, zu bequemen. Aber da hätte sie auch gegen eine Wand reden können. Die Sängerin war Gemeinderätin in Dürnstein. Aber, dem Herrn sei Dank, keine schwarze. Die fehlenden Sangeskünste waren für Josefa Machherndl ein weiterer Beweis für die bemitleidenswert dünne Personaldecke der Roten. Sie ermahnte sich aber immer, nicht zu streng zu sein. Wenigstens ging die Frau in die Kirche, was bei dieser Gottesleugner-Partei ein Wunder war. Ihr Religionslehrer hatte den Schülern seinerzeit erzählt, dass die Evangelischen nur einen Stehplatz im Himmel bekommen würden. Die Sozialisten sicher ebenso. Aber auch nur dann, wenn sie regelmäßig in die Kirche gingen.

Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie immer die sonntägliche Frühmesse in Dürnstein besucht. Als Kind gemeinsam mit ihren Eltern. Damals hatte es ja einen guten Grund dafür gegeben. Weil man vor dem Empfang der heiligen Kommunion, was bei den Machherndls zum sonntäglichen Pflichtprogramm gehörte, nüchtern sein musste.

Diese sonntägliche Routine hatte sie bis heute beibehalten. Sowohl die Frühmesse als auch die Nüchternheit. Obwohl es heutzutage erlaubt war, vor der Kommunion zu frühstücken. Die Menschen taten das ohne die geringsten Gewissensbisse. Ihrer Meinung nach war das einer der Gründe, warum es mit der Kirche bergab ging. »Ein Glaube ohne Selbstdisziplin ist nichts wert.« Das hatte ihr und ihren Mitschülern vor mehr als fünfzig Jahren ihr damaliger Religionslehrer immer wieder gesagt. Nicht nur gesagt hatte es der Herr Monsignore, sondern richtig eingebläut hatte er es ihnen. Wenn es sein musste, mit einer Ohrfeige. Je älter sie wurde, umso überzeugter war sie von der Richtigkeit seines Grundsatzes. Für seine strenge Hand würde sie ewig dankbar sein.

In Erinnerung an den hochverehrten Herrn Monsignore hatte sie vor dem heutigen Kirchgang nicht nur auf ein Frühstück, sondern auch auf das morgendliche Gläschen Schnaps verzichtet. Den Gusto auf den Schnaps Sonntag Früh niederzuringen, fiel ihr immer schwerer. Aber Gott, der Herr, liebte eben seine Kinder nicht nur, er prüfte sie auch.

Ihre heutige Unaufmerksamkeit in der Messe hatte allerdings nichts mit ihrem Gusto zu tun. Daran war einzig und allein das gestrige Telefonat mit der Chefin der Mordkommission schuld. Diese kurze Auseinandersetzung hatte ihr schon die Nacht versaut. Zum zweiten Mal hintereinander kaum Schlaf. Eine Schaufensterpuppe. Lächerlich. Ja, die Strompolizei hatte wohl zufällig eine Schaufensterpuppe in der Donau entdeckt. Aber deswegen die Suche abzubrechen, das war schon ein starkes Stück. Von Frau Lenhart hatte sie bis gestern recht viel gehalten. Wahrscheinlich stand Frau Lenhart unter dem unheilvollen Einfluss ihres Stellvertreters, diesem ungepflegten Ungetüm, den sie selbst längst und ohne falsche Sentimentalitäten in die Pension verabschiedet hätte. Naja, mit der Polizei ging es eben auch bergab. Zuerst die Kirche und jetzt auch die Polizei. Wo würde das alles noch hinführen? Irgendwie musste es doch möglich sein gegenzusteuern.

Da nun fast alle Menschen die Kirche verlassen hatten, stand sie ebenfalls auf. Beim Ausgang der Kirche gab sie dem Pfarrer, der zu den weichen Vertretern seiner Zunft zählte und somit Teil des Problems war, nur schweigend die Hand. Sie war nicht in der Stimmung, gute Miene zu machen, mit ihm wie sonst üblich ein paar Worte zu wechseln und seine Predigt zu loben. Sie musste etwas anderes tun, etwas wirklich Effektives, um einem Sitzplatz im Himmel näher zu kommen. In der ersten Reihe selbstverständlich.

Der barocke Innenhof des Stifts begann sich bereits mit staunenden Touristen zu füllen. Warum gingen diese Leute nicht in die Messe? Stattdessen warteten sie hier und konnten es offensichtlich kaum noch erwarten, die Kirche zu stürmen. Auch an Tagen, an denen ihre Stimmung besser war, hatte sie für diese Leute nur einen abfälligen Blick übrig. Sie war wirklich in schlechter Stimmung und wollte nur ganz schnell weg von hier. Zu ihrem Rad, das sie beim Rathaus vorschriftsmäßig an einen offiziellen Fahrradständer angekettet hatte.

Als sie den steilen, mit jahrhundertealten Kopfsteinen gepflasterten Weg von der Kirche zum Rathaus hinaufging, kam ihr ein Mann entgegen. Den kannte sie doch. In Weißenkirchen zuhause, wenn sie sich richtig erinnerte. Der war doch Redakteur beim Niederösterreichischen Tagblatt. In diesem Augenblick durchfuhr sie die Eingebung wie ein Blitz. »Dank sei Gott dem Herrn!« entfuhr es ihr laut. Diese Begegnung konnte nur der Allmächtige höchstpersönlich eingefädelt haben. Die Polizei würde sich noch wundern.

 

Sonntag, 18. April 9 Uhr 03

Felix Frisch war in seinem Element. Eine Leiche. Und das an einem Sonntag, an dem es normalerweise für einen Strompolizisten noch weniger Höhepunkte gab als an Wochentagen. Wahrscheinlich, weil die Leute an einem Sonntag doch friedlicher waren. Nicht so eine lächerliche Schaufensterpuppe, sondern eine richtige Leiche. Obwohl er sie noch gar nicht gesehen hatte, war er sich seiner Sache sicher. Ein Kapitän eines Schiffs war ja quasi ein Kollege. Ein Mann in Uniform. Der würde eine Schaufensterpuppe sehr wohl von einem toten Menschen unterscheiden können. Gestern schon ein Glückstag für ihn und heute schon wieder. Er hoffte natürlich, dass es kein Selbstmord war. Einen Selbstmörder oder gar eine Selbstmörderin aus dem Strom fischen zu müssen, würde nur lästigen Bürokratiekram bedeuten. Ohne Aussicht darauf, weiter oben in der Polizeihierarchie positiv aufzufallen.

Er bedauerte nur, dass er seinen heutigen Kollegen nicht wieder nach Hause schicken konnte. Einen Revierinspektor, der wohl noch lange auf seinen dritten Stern würde warten müssen. So faul und uninteressiert wie er war. Und ihm gegenüber ohne den geringsten Respekt. War ihm wohl den Rang neidig.

Beim Einsteigen in das Polizeiboot beschloss er, dem Kollegen das Steuer zu überlassen. Wenn der das Boot steuern musste, würde es ihm schwererfallen, gleichzeitig die Donau abzusuchen. Denn die Leiche zu entdecken, war sein Vorrecht als Ranghöherer. Würde sich im Bericht sicher gut machen. Eine furchtbar zugerichtete und übel verstümmelte Leiche, entdeckt von Gruppeninspektor Felix Frisch. Hoffentlich eine Frauenleiche. Machte einfach mehr her, wie er mit seinen mehr als fünfundzwanzig Jahren Polizeierfahrung wusste. Vielleicht würde er damit sogar in die Zeitung kommen.

Kaum hatten sein Kollege und er den Behörden-Hafen verlassen, brachte er auch schon sein Fernglas in Anschlag. Der Kapitän hatte die Leiche knapp vor der Mauterner Brücke gesichtet. Zeitpunkt des Anrufs: 8 Uhr 54. Vor zehn Minuten. Blitzschnell schätzte er die Strömungsgeschwindigkeit ein. Die Leiche musste schon hier vorbeigetrieben sein. Also flussabwärts. »Richtung Hollenburg. Volle Kraft voraus!« dröhnte er wie der Kapitän eines großen Kriegsschiffs im Fernsehen. Ob ein solches Kommando auch auf der Donau auf einem doch ziemlich kleinen Boot üblich war?

Sein Kollege ließ sich den Befehl jedenfalls nicht zweimal sagen. Daher war er sicher, instinktiv das Richtige getan zu haben. Was ihn auch gar nicht verblüffte. Der richtige Riecher hatte ihn ja bis jetzt immer begleitet. Musste sogar seine Elfriede zugeben. Und die war schließlich seine schärfste Kritikerin.

Wie ein Falke suchte er die Wasseroberfläche mit dem Fernglas ab. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er etwas treiben sah, das seinen Verdacht erregte. Ungefähr hundert Meter vom linken Ufer entfernt. Das hätte sein Kollege sicher übersehen, weil der nur stur geradeaus in Fahrtrichtung blickte. Nicht einmal sein Fernglas hatte der vor seinen Augen. Dem fehlte es eindeutig an Motivation.

Wenigstens gehorchte der Kollege seinem Befehl und schwenkte mit einem Manöver scharf nach links. So scharf, dass Felix Frisch fast den Halt verloren hätte. Der Gruppeninspektor war überzeugt, dass jeder andere Polizist an seiner Stelle kopfüber in die Donau gestürzt wäre. Dafür hätte er den rangniedrigeren Steuermann gleich zur Rede stellen müssen. Er wollte aber noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Schließlich gab es jetzt Wichtigeres zu tun.

Nachdem sein Kollege das Manöver vollendet hatte, reduzierte er die Geschwindigkeit. Offensichtlich sah er jetzt auch, was Felix Frisch schon vor einer Ewigkeit erspäht hatte. »Eindeutig ein Mann!« rief ihm der Kollege zu.

Felix Frisch hoffte bis zuletzt. Aber das Fernglas ließ dann doch keinen Zweifel mehr. Doch keine Frauenleiche. Enttäuschend.

Der Kollege stellte den Motor ab und ließ das Boot auf die Leiche zugleiten. Geschmeidig, wie Felix zugeben musste.

»Vollständig bekleidet. Das deutet auf einen Selbstmörder hin«, meinte der Kollege.

Eine weitere Enttäuschung. Felix verlor schlagartig jegliches Interesse an der Leiche. Mehr noch. Seit gestern wusste er, wie schwer es war, etwas Menschengroßes an Bord zu heben. Und eine echte Leiche war womöglich noch schwerer als eine Holzpuppe. Wozu sollten sie sich die Mühe machen, wenn sie nicht einmal zuständig waren. Der skeptische Blick des Kollegen verriet, dass der sich dasselbe dachte. Also nickte Felix ihm zu: »Da werden wir wohl die Feuerwehr verständigen müssen. Wir kriegen die Leiche sowieso nie ins Boot.« Er nahm sein Handy.

Da beugte sich sein Kollege nach vorne. »Du, wart einmal. Schau. Der Kopf.«

»Uuuuh«, entfuhr es Felix. Instinktiv zog er den Kopf ein, als er den eingeschlagenen Schädel sah.

Die Leiche trieb jetzt längsseits.

Um ein Haar hätte er sein Handy fallen lassen. So elektrisiert war er. Waschechter, astreiner Mord. Das sah er aufgrund seiner Erfahrung sofort. Was er da vor sich hatte, war ein Fall wie maßgeschneidert für ihn. Aber noch etwas hatte er da vor sich: einen schönen dunkelblauen Adidas-Trainingsanzug.

»Verstehe gar nicht, wieso der Tote nicht untergegangen ist«, murmelte der Kollege, griff zur Hakenstange und hängte sie beim Trainingsanzug über der Brust ein.

So ein grobschlächtiger Kerl. Der Anzug war hin.

»Heben wir ihn rauf oder ziehen wir ihn am Haken in den Hafen?«

Felix erfasste die Situation sofort und ging zum Steuer. »Heben ist chancenlos. Wir ziehen ihn.« Genauer gesagt würde der Kollege den Haken halten und beim Ziehen der Leiche schwitzen. Er hingegen würde das Boot steuern. Geschmeidig natürlich. Schließlich sollte der Kollege nicht ins Wasser fallen. Beim Anfahren verlor er dennoch beinahe den Halt. Felix grinste in sich hinein. Rache war süß.

Aber jetzt musste er nachdenken. Die Sache mit dem Trainingsanzug war doch irgendwie eigenartig. Die Holzpuppe gestern hatte haargenau den gleichen Anzug angehabt. Jeder normale Polizeibeamte würde das sicher für reinen Zufall halten. Aber er war ja kein normaler Polizist.

Heute beim Frühstück hatte er den Anzug schon getragen. Seine Elfriede hätte beinahe durch die Zähne gepfiffen, als er damit ins Esszimmer getreten war. Im nächsten Moment hatte sie allerdings die Stirn gerunzelt, die Arme in die Hüften gestemmt und gefragt, was der Anzug gekostet hatte.

Da hatte er gelacht und gesagt: »So wenig, dass du es nicht glauben würdest.« Mehr hatte er ihr nicht verraten. Allerdings hatte sie ihn erst in Ruhe gelassen, als er ihr geschworen hatte, dass dieser Luxusanzug kein Loch in ihr knappes Haushaltsbudget reißen würde.

Nun stellte sich die Frage: Sollte er seinen neuen Trainingsanzug als mögliches Beweismittel der Mordkommission überlassen? Auch wenn es möglicherweise reiner Zufall war und er die Kollegen damit auf eine falsche Fährte brachte? Auch wenn niemand dabeigewesen war, als er den Anzug genommen hatte? Auch wenn die Puppe genauso gut zwischen der Sichtung vor Dürnstein und seinem Eingreifen vor Mautern irgendwo hätte angespült werden können, sodass jemand anderer den Anzug hätte nehmen können? Auch wenn der Anzug von ihm und vom Donauwasser gründlich gewaschen worden war, sodass sich sicher keine Spuren mehr darauf fanden? Nein, nein und nochmal nein. Der Anzug war viel zu kostbar. Als unnützes Beweisstück würde er ja doch nur irgendwo in einem Keller der Polizeidirektion in St. Pölten verrotten. Er musste den Anzug unbedingt vor einem solchen Schicksal bewahren. Allerdings würde dabei die ganze Cleverness eines Felix Frisch gefragt sein.

Sonntag, 18. April 9 Uhr 40

Wie oft und wie lange sie wachgelegen war, konnte Doris nicht genau sagen. Ihr unruhiger Schlaf war dem selig neben ihr schlummernden Erich Gottseidank entgangen. Nach dieser Nacht wollte sie zunächst eine Migräne vorschützen, um sich die Fortsetzung des Kochkurses zu ersparen. Allerdings verwarf sie die Idee gleich wieder. Hätte sie diese Unpässlichkeit schon gestern Früh heimgesucht, wäre Erich bestimmt bei ihr zuhause geblieben. Kochkurs um sechshundert Euro hin oder her. Aber heute? Da würde er ihr ein paar Tabletten ans Bett bringen und ihr gute Besserung wünschen. Er würde sich mit dem Versprechen Richtung Wachau verabschieden, beim Kochkurs ganz genau aufzupassen und alles haargenau mitzuschreiben, um die Gerichte bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit ihr gemeinsam nachkochen zu können. Sein Zuhausebleiben würde ja den Gesundungsprozess weniger beschleunigen als ein gutes Buch, das er ihr selbstverständlich vor seiner Abfahrt ebenfalls ans Bett bringen würde. Außerdem wäre dann das Geld auch nicht hinausgeschmissen, was ihr ja bestimmt ein noch größeres Anliegen wäre als ihm.

Nein. Krankheit schied als Lösung aus. Blieb nur noch eine andere: Sich heute ebenfalls ordentlich herzurichten. Nicht als Femme fatale, aber doch so, dass ihre eigene Attraktivität zum Unterschied von gestern nicht zu übersehen sein würde. Dazu noch ein kleiner Flirt mit dem Meisterkoch und ihr Mann würde keinen einzigen Blick mehr für die Zwergin übrighaben.

Zum Frühstück erschien sie wieder nur in Pyjama und Schlafrock. Sie wollte ihn im Glauben lassen, dass sie heute wiederum in weiter Hose, Schlabberpullover und bequemen Latschen zum Kochkurs fahren würde. Sie hatte sich schon in der Nacht vorgenommen, ihre Eifersucht unter keinen Umständen zu zeigen. Wobei sie sich nicht darüber im Klaren war, ob Stolz oder Kalkül der entscheidende Antrieb dafür war. Wahrscheinlich beides.

Sie hatte schon im Bett lang darüber nachgedacht, was sie heute anziehen würde. War dabei aber zu keiner Entscheidung gekommen. Klar war nur, dass ihr Dirndl angesichts der kostspieligen Konkurrenz nicht in Frage kam. Obwohl es ihr ausgezeichnet stand. Beim nächtlichen Grübeln war sie draufgekommen, warum sie ihr Dirndl selten trug. Weil Erich der Meinung war, dass ein Dirndl und pechschwarzes Haar nicht zusammenpassten.

Dirndlträgerinnen müssten seiner Meinung nach blond sein. Das hatte er irgendwann tatsächlich von sich gegeben. Und nun tauchte da diese blonde Zwergin im Dirndl auf.

Erich schien an diesem Morgen bestens gelaunt. Keine Spur von schlechtem Gewissen. Er umsorgte sie, als ob sie mit ihm auf Hochzeitsreise wäre. Ganz Kavalier. Beim Frühstück nahm er demonstrativ jene Semmel aus dem Brotkorb, die beim Aufbähen deutlich zu dunkel geraten war, und legte die lichtere Semmel auf ihren Teller. Tat er sonst nie. Da war doch was faul. Normalerweise ließ er die angebrannten Semmeln liegen. Woher auf einmal diese auffällige Verhaltensänderung?

Während des Frühstücks gab sie sich ganz locker. Sie wollte völlige Harmonie vortäuschen. Gestern hatte sie ihm nach dem Frühstück einen Kuss auf die Nasenspitze gegeben. Tat sie also wieder. Aber diesmal mit innerem Widerwillen. »Räumst du bitte den Tisch ab, während ich mich anziehe?«, bat sie ihn mit einem huldvollen Augenaufschlag.

»Klar.« Er schaute auf die Uhr. »Du hast noch zehn Minuten.«

Von wegen zehn Minuten. Jetzt wollte sie sich alle Zeit der Welt nehmen. Sie ging ihren Kleiderschrank durch. Legte einige schöne Stücke aufs Bett, um besser gustieren zu können. Aber nichts erschien ihr wirklich passend. Dann ein Griff zu einem Rock, den sie seit drei Jahren nicht mehr getragen hatte. Schwarz. Sie schlüpfte rasch hinein und war erleichtert, dass er ihr noch passte. Zwar knapp, aber das war auch vor drei Jahren so gewesen. Dann suchte sie in ihrer Kommode nach einer weißen, ganz engen Bluse mit Stehkragen. Hatte sie vor einem halben Jahr gekauft, weil sie den Kontrast, den der hohe Kragen zum breiten Ausschnitt der Bluse bildete, überaus reizvoll fand. Hohe Pumps dazu. Perfekt. Jetzt noch ein ordentliches Make-up. Und die Haare so zurechtgemacht, dass sie ein wenig unfrisiert aussahen, in Aktion durcheinandergeraten, schlicht frivol.

Als sie zwanzig Minuten später wieder ins Wohnzimmer trat, frohlockte sie.

Erich sah sie mit offenem Mund an.

Teil eins ihres Plans schien aufzugehen.

»Wow. Ähm.« Er suchte offenbar nach den richtigen Worten. »Findest du deine Aufmachung für einen Kochkurs nicht etwas übertrieben?«

 

Sie setzte ihren süßesten Schmollmund auf. »Gefall ich dir nicht?«

Sein hilflos schmachtender Gesichtsausdruck war schon Antwort genug.

Beinahe hätte sie angesichts seines verliebten Blickes vergessen, was er gestern getan hatte. Sie zeigte ihm ein gefährliches Lächeln. »Wegen dir bin ich gestern als Aschenputtel aufgetreten. Die anderen waren alle herausgeputzt. Heute dreh ich den Spieß um.«

Erich grinste fröhlich. »Und ich darf zuschauen.«

Ihm eine Show zu liefern, war eigentlich gar nicht ihre Absicht gewesen.

»Aber im Ernst«, meinte er. »Möchtest du dir nicht wenigstens etwas flachere Schuhe anziehen? Sonst kannst du heute Abend nicht mehr stehen. Und gehen schon gar nicht.«

»Wenn du mich provozierst, zieh ich Stilettos an.«

»Brauchst du gar nicht«, meinte er. »Du bist auch ohne Stilettos groß genug.«

Doris zuckte innerlich zusammen. War sie ihm etwa zu groß? »Stimmt«, antwortete sie spitz. »Wenn ich Stilettos trage, kannst du mir nicht mehr so leicht über die Schulter ins Dekolletee schauen.«

»Dann schau ich eben von vorne«, konterte er und lächelte verschmitzt.

Ihre auf die blonde Zwergin gemünzte Spitze schien er gar nicht zu registrieren. Oder er war ein perfekter Schauspieler und steckte sie ohne sichtbare Reaktion weg. Sie mochte sein verschmitztes Lächeln. Deshalb musste sie sich auch zur Ordnung rufen. Schließlich war es das Lächeln eines Halunken. Sie würde die Konkurrenz ausstechen und ihn dann eine ganze Weile schmachten lassen. Das hatte er verdient. Sie zwang sich zu einem koketten Augenaufschlag und winkte zum Aufbruch in Richtung Tür.

Dabei merkte sie, dass ihr linkes Auge zu jucken begann. Hatte sie doch zu viel von der neuen Wimperntusche erwischt? Dabei hatte doch der Beipackzettel hundertprozentige Verträglichkeit versprochen.

Sie waren heute später dran als gestern. Deshalb drückte Erich aufs Tempo, sobald sie die Schnellstraße Richtung Krems erreichten. Je schneller er fuhr, umso weniger gesprächig war er. Seit jeher bei ihm so üblich.

Ihr war es heute besonders recht. Jetzt begann auch ihr rechtes Auge zu jucken. Verdammtes Make-up! Eigentlich müsste sie den Hersteller klagen. Aus diesen Überlegungen riss sie auf der Höhe Traismauer ihr läutendes Handy. Höchste Zeit, einmal den Klingelton zu wechseln. Radetzkymarsch. Klang beim Neujahrskonzert viel weniger penetrant. Sie blickte auf das Display. »Der hat mir zu meinem Glück gerade noch gefehlt.«

Erich blickte zu ihr hinüber. »Kann also nur dein Chef sein.«

Sie antwortete ihm indirekt, indem sie ins Telefon sprach. »Einen schönen Sonntagmorgen, Chef!« Mit abgewinkeltem Zeigefinger ribbelte sie ihr rechtes Auge. »Was verschafft mir das Vergnügen deines Anrufs?«

»Das wirst du gleich hören. Vor zehn Minuten hat mich ein Mitglied der Chefredaktion einer sehr angesehenen Zeitung angerufen und mich mit dem Gerücht konfrontiert, dass wir eine Leiche in der Donau übersehen haben. Weil ein Volltrottel von Gruppeninspektor statt einer Leiche nur eine zufällig in die Donau geschmissene Schaufensterpuppe herausgefischt hätte. Dabei hätte die Leiche einen eingeschlagenen Schädel. Also klassischer Mord. Behauptet, seine Quelle sei absolut zuverlässig.«

Sie wusste natürlich genau, woher dieser Journalist seine Information hatte. Von wegen sehr zuverlässige Quelle. Jetzt begann auch ihr linkes Auge ganz stark zu jucken. Fast unerträglich. Am liebsten hätte sie ihr Handy weggelegt. »Da bleibt dir jetzt nur eine Wahl. Entweder du glaubst mir oder dieser angeblich zuverlässigen Quelle.«

An der Reaktion ihres Chefs merkte sie, dass sie nicht die eleganteste Antwortvariante gewählt hatte. »Als Polizeidirektor des größten österreichischen Bundeslandes habe ich nichts und niemandem zu glauben, sondern mich einzig und allein auf unfehlbare Tatsachen zu verlassen. Wer ist denn dieser volltrottelige Gruppeninspektor?«

»Jemand, der auf dein Betreiben hin voriges Jahr befördert worden ist.« Diese Spitze würde ihr keine Gutpunkte einbringen. Trotzdem wollte sie sich die kleine Gemeinheit nicht verkneifen. Erstens war wirklich Marbolt für die Beförderung verantwortlich und zweitens war ihre Stimmung mies. Zuerst ihr Erich, dann diese verdammte Wimperntusche und jetzt auch noch ihr Chef. War einfach des Guten zu viel.

Ihr Gesprächspartner schluckte und blieb zehn lange Sekunden still. »Also, du garantierst mir, dass ich den Journalisten guten Gewissens beruhigen kann?«

»Du kannst ihm sagen, dass da die Eisenbahn drüberfährt. Der Gruppeninspektor ist zwar tatsächlich ein Idiot, aber die Informantin deines Journalisten ist eine noch größere Idiotin.«

»Da bin ich ja sehr froh, das zu hören. Ich kann dir nämlich im Vertrauen sagen, dass mich der Herr Innenminister für morgen zu sich bestellt hat. Ich weiß natürlich nicht, was er von mir will, aber ein Störfeuer wegen einer Leiche, die ihr übersehen habt, kann ich da unter keinen Umständen brauchen.«

Sie hatte ihr Handy in der Zwischenzeit lauter gestellt. Bei aller Wut auf ihren Mann, aber die Selbstbeweihräucherung sollte er doch hören.

»Sollte ich Niederösterreich in absehbarer Zeit verlassen, dann möchte ich mir nicht zum Abschied meinen Ruf durch einen Vollidioten wie diesen Gruppeninspektor ruinieren lassen. Ich reiße ihm alle seine Sterne eigenhändig vom Kragen, wenn er Mist gebaut hat. Sag ihm das!«

Ohne ihr noch Gelegenheit zu geben, etwas zu sagen, hatte Wolfgang Marbolt aufgelegt.

»An einem so schönen Sonntagmorgen von deinem Chef belästigt zu werden, schreit ja nach einer Gehaltszulage.« Erich grinste sie an.

»Ich bin eben von Arschlöchern umzingelt.«

»Umzingelt? Jetzt übertreibst du aber. Schließlich hast du ja noch Spencer und mich.«

Noch bevor sie zu einer schnippischen Antwort ansetzen konnte, läutete wieder ihr Handy. Spencer. Wenigstens ein kleiner Trost. Wollte wahrscheinlich wissen, wie der Kochkurs lief.

»Hallo, mein Lieber. Wir sind gerade wieder auf dem Weg nach Joching. Also der Kurs läuft großartig. Und Erich, der dich grüßen lässt, wird dir demnächst vorführen, was er alles gelernt hat.«

»Dann tut es mir umso mehr leid. Der Kurs ist für dich zu Ende. Die Strompolizei hat vor zehn Minuten eine Leiche aus der Donau gefischt. Kurz vor Hollenburg. Knapp fünfzigjähriger Mann. Schwere Schädelverletzung. Eindeutig Fremdverschulden. Die Leiche liegt schon in der Kremser Pathologie. Wo seid Ihr denn gerade?«

»Kurz vor Mautern.«

»Dann steig bitte auf der Steiner Seite der Donaubrücke aus. Ich sorge dafür, dass dich eine Funkstreife dort abholt. Ich bin in zehn Minuten im Spital. War schon unterwegs zum Fußballplatz. Und noch eines. Der Mann hat eine Art Schwimmweste getragen.«

»Okay, bis gleich.« Sie beendete das Gespräch mit Spencer und versuchte es sofort bei ihrem Chef. Hoffentlich hatte Marbolt noch nicht mit dem Journalisten geredet. Nach dem vierten Läuten meldete sich ein Tonband. »Der Teilnehmer, den Sie angerufen haben, ist derzeit leider nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.«

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