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»Ich habe dich gefunden!« Jins Lächeln wirkte erleichtert, sein schlanker Leib sackte ein Stück in sich zusammen. Er trug ein feines Seidenhemd mit verschlungenen Stickereien, bronzene Ranken auf dunkelrotem Grund, dazu feine Hosen in Schwarz und einen Gürtel ohne Schwert, seine Schuhe und sein Umhang wiesen Reisespuren auf, waren rissig und matschig.

»Ich bin so froh, dass ich dich endlich gefunden habe!« Ohne Vorwarnung sprang Jin ihn an. Xaith zuckte zusammen, doch es war zu spät, er war zu benommen von der unerwarteten Begegnung, um ihn aufhalten zu können. Schon lagen seine Arme um Xaiths Nacken und drückten ihn an sich. »Ich habe soooo lange nach dir gesucht! Ich bin durch die halbe Welt gereist, immer Riaths Meute nach, ich wusste, sie würden mich irgendwann zu dir führen!«

Jin sprach aufgebracht, hektisch, und seine Stimme brach, klang nasal, als stünde er kurz vor einem Ausbruch gerührter Freudentränen. Dabei rieb er die Wange an ihm, als könnte er erst glauben, dass Xaith echt war, wenn seine Bartstoppeln die zarte Haut in seinem Gesicht aufgerissen hatten.

Xaith war wie erstarrt, erwiderte die Umarmung nicht. Roch es plötzlich nach warmen Apfelkuchen?

Er vermisste Nohva mit einem Schlag, als ob man ihm das Herz aus der Brust gerissen hätte.

Neugierig spähte Siderius um ihn herum, musterte Jin. Das Kind in seinem Arm greinte.

Und da war noch etwas, das Xaith wahrnahm, schleichend aber unaufhaltsam. Es kitzelte in seiner Nase, stieg langsam wie Nebel in seinen Verstand und breitete sich kribbelnd über Kopf und Nacken aus.

Blut.

Jin blutete. Xaith hatte ihn verletzt. Nur leicht, aber genug, um seinen Durst zu wecken. Ihm wurde heiß und seine Kehle wurde mit einem Mal staubtrocken.

Grob packte er Jin an den Oberarmen und drückte ihn von sich weg. Er sah noch dessen überraschtes Gesicht, die wässrigen, riesigen Iriden, eher er die Augen zusammenpetzte und die Luft anhielt.

»Xaith…« Siderius` Stimme klang, als hätte Xaith Wasser in den Ohren. Gedämpft, weit weg, unverständlich. Doch die Besorgnis war ihm anzuhören.

»Jin…«, Xaith knurrte, »… Blut.«

Er spürte die Bewegung, als der Rotschopf sich an die Kehle fasste und ein trockenes »Oh« ausstieß.

»Ich … ich kann… ich hab ein Tuch!« Jin wollte zurücktreten, fischte in seiner Tasche nach dem besagten Tuch, doch Xaith konnte nicht loslassen, seine Finger krallten sich in Jins Oberarme und wollten sich nicht mehr lösen.

Siderius` Herzschlag wurde schneller, das konnte Xaith hören, er machte einen Schritt auf Xaiths Rücken zu, seine gesamte Körperhaltung wirkte angespannt und bereit, dazwischenzugehen.

Doch überraschenderweise bemerkte Xaith bei Jin keinerlei Furcht, hörte keinen erhöhten Herzschlag, keine schnellere Atmung. Entweder er sehnte sich danach, dass man ihm die Kehle aufriss, oder er verkannte die Gefahr. Immerhin hatte Xaith seiner eigenen Mutter die Kehle aufgerissen und sie getötet, was in Nohva schon recht bekannt, sprich, ein riesiger Skandal gewesen war.

»Xaith, du musst mich loslassen«, sprach er ruhig auf ihn ein, »damit ich zurücktreten kann.«

Noch immer hielt Xaith die Augen geschlossen, hielt den Atem an. Das Blut zog ihn wie immer in seinen Bann, doch er wusste, dass er sich beherrschen konnte. Er hatte es bei Kacey geschafft.

Er hatte es geschafft!

Doch Jins Blut… es hatte eine unbegreiflich starke Anziehung.

»Xaith…« Siderius angespannte Stimme war dicht hinter ihm. »Lass ihn …«

»Schon gut!«, gab er barsch an beide zurück, drehte den Kopf wie angewidert zur Seite und ließ einen von Jins dünnen Armen los, um blind in Richtung seiner Kehle zu tasten.

Dessen Puls flatterte nun doch, als Xaiths schwarze Fingerspitzen seinen Hals federleicht streiften. Das machte es beinahe noch schlimmer, würde er jetzt zubeißen, würde dessen Blut warm und schnell in Xaiths Mund fließen, als hätte er eine Axt in ein volles Fass Wein geschlagen.

Er konzentrierte sich auf seine Magie, drang mit seiner Aura in die oberflächliche Wunde und ließ sie kraft seines Willens zusammenwachsen.

Dann brach er fast zusammen, weil seine Zurückhaltung mehr Kraft gekostet hatte als der winzige Zauber. Er ließ Jin los und taumelte rückwärts, wanderte kurz durch den Raum und sog modrige Luft in seine Lungen, da er so lange den Atem angehalten hatte.

Der Geruch des Blutes verflog, zusammen mit dem Durst.

Diese Gier hatte er schon lange nicht mehr gespürt, aber er hatte sich auch schon einige Wochen nicht mehr genährt.

Schwer atmend rieb er sich die Brust, dann wandte er den Blick zu den anderen.

Jin strich gerade mit einem weißen Tuch seine Kehle sauber, seine zimtbraunen Augen lagen besorgt auf Xaith. Besorgt um ihn, nicht um sich.

Er machte einen Schritt auf ihn zu, ließ das Tuch fallen, als fürchtete er, das Blut daran könnte ihn wieder quälen, und legte Xaith eine Hand auf die Schulter. »Geht es wieder?«

Xaith sah zu Siderius, der ihn mit verengten Augen genaustens beobachtete, bereit, ihm wenn nötig irgendetwas über den Schädel zu ziehen.

Er liebte den Jungen, auf ihn war Verlass.

»Ja.« Xaiths Stimme klang rau, aber menschlich, er spürte wie seine Augen erloschen und sich von feurigem Rot in das übliche Gelbgrün wandelten. Dann richtete er die geschlitzten Pupillen auf Jin.

»Es tut mir leid«, beteuerte dieser mit reuevoll zusammengezogenen, rötlichen Augenbrauen.

Ihm tat es leid? Xaith hatte ihn verletzt und ihn dann angesehen wie ein Löwe ein blutiges Stück Fleisch. Was tat ihm leid? Dass er blutete?

»Du musst zurückgehen«, sagte er barsch und richtete sich derart heftig auf, dass er Jin beinahe von sich stieß. »Was tust du überhaupt hier?«

Überrumpelt von dem plötzlich groben Ton, brachte Jin kein Wort hervor, sein hübscher Mund stammelte.

»Du musst gehen!« Xaith stampfte an ihm vorbei.

Jin sah ihm nach, erlangte seine Fassung zurück und konterte: »Ich habe euch gerettet!«

»Und wer rettet jetzt dich?« Xaith spähte aus einem Fenster in die Morgendämmerung, der Wald zeigte noch tiefes Zwielicht, wirkte bedrohlich wie der Schlund eines Drachen. »Wo hattest du die Lichtphiole überhaupt her? Du hast uns fast geblendet!« Er sah wieder zurück, wohlwissend, dass er ungerecht war. Doch er wollte gegenüber Jin keine Dankbarkeit zulassen, selbst wenn sie mehr als angebracht war.

Jins Kopf zuckte zurück, er konnte nicht fassen, wie undankbar Xaith war. »Ich habe sie … gekauft.«

Xaith hob eine Augenbraue.

Jin sah auf seine Füße. »Ich… habe sie mir aus Riaths Vorräten… geborgt…«

Zugegeben, Xaith kämpfte mit einem Schmunzeln. Riss sich aber schnell zusammen und wurde wieder ernst. »Du musst nach Hause reisen, Jin. Das ist kein Ort für dich.«

Wie hatte er ohne Waffe überhaupt überlebt?

Beleidigt stemmte der Kaufmannssohn die Hände in die Hüften. »Ich verfolge dich seit Jahren und komme bestens zurecht. Vergiss nicht, wer gerade wem den Arsch gerettet hat!«

Xaith wandte sich grunzend ab, wanderte durch die Hütte und sah in einer Ecke einen Reisesack liegen, der offensichtlich Jin gehörte, denn er war das einzige Objekt, das noch nicht vermodert, überwuchert oder angefressen war.

»Danke«, brachte er zynisch hervor, ohne Jin eines Blickes zu würdigen. Siderius sah hingegen sehr aufmerksam zwischen ihnen hin und her, als säße er zum ersten Mal in einem Theaterstück. »Aber nun trennen sich unsere Wege, und zwar ganz schnell.«

»Was?« Jin wirkte tiefverletzt. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?« Er ging auf Xaith zu, wagte aber nicht noch einmal, ihn zu berühren, da er endlich die Mauer spürte, die nach all den Jahren noch immer unermüdlich zwischen ihnen stand und dort auch immer stehen würde.

Sie waren keine Freunde. Jin würde ihn nicht für sich gewinnen, würde nicht seine Zustimmung und seinen Segen erhalten, damit er mit Vaaks glücklich werden konnte.

Das konnten sie gern allein, ohne seine Vergebung. Er wollte das nicht, er war stur und egoistisch und wollte nicht mit ihnen Hochzeit feiern oder ihnen ewige Liebe wünschen. Das hatte er außerdem in dem Moment getan, als er weggelaufen war.

»Ich habe dich gesucht, Xaith!«, sprach Jin auf ihn ein, wollte ein Gewissen in ihm wachrufen. »Ganz allein. Bin jahrelang wie ein Schatten hinter Riath her, weil ich wusste, dass er nach dir sucht. Ich habe mich über die See, durch Ödnis und Wildnis gekämpft, um dich zu finden und heim zu bringen! Du musst nach Hause kommen, Xaith! Willst du nicht wenigstens … Freust du dich nicht, mich zu sehen?«

Um ihn heimzubringen. Xaith sah ihn ungerührt an und zuckte mit den Achseln. »Freuen? Warum sollte ich mich freuen, ausgerechnet dich zu sehen?«

Nein, tatsächlich hatte sein dummes Herz all die Jahre die Hoffnung gehegt, dass er eines Tages in ein Gasthaus trat und dort mir nichts dir nichts Vaaks vor ihm stand. Groß, gebaut wie ein Schrank, mit mittlerweile vielleicht einem bärigen Vollbart und braunen, liebenden Augen, die ihm ewige Treue schworen und ihn anflehten, zu ihm zurückzukommen.

Träumen darf man ja noch, selbst wenn man es besser wusste.

Stattdessen stand Jin vor ihm, der letzte Mensch, den er sehen wollte. Er war der Grund, warum Vaaks` Herz niemals gänzlich Xaith gehören konnte. Er war der Grund, nicht nach Hause zu gehen.

Nun ja, einer der Gründe.

»Weil… wir uns so lange nicht gesehen haben? Weil ich extra nach dir gesucht habe? Ist dir das egal?«

Wieder zuckte Xaith mit den Achseln. »Nein, nicht egal, es stört mich.«

Jin kämpfte mit seinen Gefühlen, worin er nicht sehr gut schien, denn in seinem Gesicht zuckte und zitterte es wie bei einem Kind, dem gerade das Herz gebrochen wurde.

 

Sie sahen sich in die Augen, keiner blickte weg. Xaith wollte seine Kälte beweisen, Jin wollte ihn zu einem Gewissen zwingen. Es war ein unerbittlicher Kampf und einer war sturer als der andere.

Er würde kein Mitleid haben. Nein, ganz bestimmt nicht. Vor allem nicht mit Jin, dessen bloße Existenz ihn vor Neid wahnsinnig machte.

»Oooooh!«, ertönte plötzlich Siderius‘ Stimme. Und es gefiel Xaith gar nicht, wie wissend sein Ausruf klang. »Ach er ist das!«

Jin drehte sich um und legte verwundert den Kopf schief.

»Wer ist was?«, schnauzte Xaith, wobei er so ernst wie möglich den Jungen anstarrte, damit dieser bloß nichts Falsches sagte.

Siderius zeigte auf Jin, sprach aber zu Xaith. »Na er ist der, den du liebst. Aus deiner Heimat.«

Jin fuhr wieder zu Xaith herum. Was auch immer sein seltsamer Blick bedeuten sollte, Xaith nahm sich nicht die Zeit, ihn zu deuten.

»Ist er nicht«, sagte er scharf und ging an Jin vorbei, dessen ungläubige Miene ihm folgte.

»Aber…«, Siderius konnte nicht die große Klappe halten, betrachtete Jin verwirrt, »…er sieht aus wie der von den Zeichnungen aus deinem Buch.«

»Tut er nicht.«

»Doch, wie der eine...«

»Klappe!« Xaith legte ihm die Hand über den Mund. »Das ist er nicht«, knurrte er genervt, schob sich auch an Siderius vorbei und schritt auf einen Türrahmen zu, spähte in den anderen Raum, durch dessen Bretterwände noch mehr Licht fiel.

Sie waren hier nicht sicher vor dieser Kreatur, sie würde die Hütte mit einem Schnauben auseinanderreißen. Ein sanfter Schmetterlingsflügel könnte das.

Als er zurückkam, starrte Jin ihn an, als hätte er ihm ewige Liebe geschworen, zutiefst gerührt und gleichzeitig voller Bedauern. »Du hast mich gezeichnet?«

»Nein«, gab er zurück und beugte sich dabei drohend über ihn, bevor er weiter ging und auf Jins Sachen zusteuerte.

Es fehlte ihm gerade noch, dass ein weiterer Schönling dachte, er wäre ihm verfallen. Bei Kacey war er schwach geworden, das gab er zu, aber er hatte genug Männer begehrt, die sich nach anderen sehnten. Jin gehörte gewiss nicht dazu, das hatte er auch nie.

»Doch, hat er«, sagte Siderius. »Häufig sogar.«

»Der Junge hat Wahnvorstellungen.«

»He!«

»Xaith…«

Jins flehender, lieblicher Tonfall wurde von dem grellen Kreischen eines wahrlich wütenden Monsters unterbrochen.

Sie fuhren herum und starrten zur Tür. Offenbar ließ die Wirkung der Lichtexplosion nach und das Biest schüttelte die Verwirrung ab.

Wie aufs Stichwort greinte der Schreihals, als ob er auf den Ruf antworten wollte.

Er machte seinem Vater alle Ehre, brachte Xaith doch immer wieder in richtig beschissene Schwierigkeiten.

Xaith fluchte, er packte Jins Arm und drehte ihn zu sich um. »Gibt es hier irgendwo ein sicheres Versteck? Eine Höhle, ein Felsspalt? Irgendetwas, das nicht brennt?«

Jin blinzelte ihn als, als musste er die Fragen erst einmal im Kopf wiederholten und fachkundig inspizieren, eher er ihre Bedeutung begriff.

»Keller«, spuckte er dann aus, »es gibt einen Keller unter dem Haus.« Er zeigte an Xaith vorbei zu seinem Sack, daneben zeichnete sich auf dem Boden eine Eisenluke ab.

Der Wald krachte, als ob die Kreatur auf dem Boden durch die Bäume brach und direkt auf sie zuhielt.

»Besser als nichts«, beschloss Xaith, schob Jin an sich vorbei und griff dann nach Siderius, der mit dem Kind nur zu gerne auf die Luke zueilte.

Xaith überlegte ernsthaft, ob er sich freiwillig auslieferte, nur um nicht auf unbestimmte Zeit mit Jin in diesem dunklen Keller festzusitzen.

Jin. Warum denn ausgerechnet Jin?

Vermutlich wollte er Vaaks damit beeindrucken, so wie er es sein Leben lang getan hatte. Sicherlich malte er sich bereits aus, wie Vaaks‘ Liebe für ihn überfloss, wenn er ihm den verschollenen Bruder zurückbrächte.

Nein, er hatte wahrlich keinen Funken Freude daran, in dieses Loch zu steigen, aber am Ende tat er es doch, und keinen Augenblick zu früh, denn die Hütte brach über ihnen zusammen und sperrte sie unter polternden Trümmern ein.

»Was für eine Scheiße.« Das letzte Wort gebührte Siderius.

~8~

Die Hauptstadt Solitude erblühte in der Mittagshitze. In den weißen Einkaufsstraßen tummelten sich Menschen mit spitzen Ohren, dunklen, geflochtenen Haaren und heller Haut. Knappe Kleider, bunte Stoffe, die Sonne schimmerte auf dem weißen Marmor der Villen, die über den Geschäfts- und Marktvierteln auf ummauerten Hügeln thronten. Auf den runden Mosaiken der Märkte war die Menge dicht gedrängt, es roch nach süßem Honig, gebratenem Fleisch und Kuchen. Fisch gab es am Hafen, wo die Dekadenz des Kaiserreichs aus allen Poren tropfte und sich hinter den Buntglasfenstern der Bordelle einladende Silhouetten abzeichneten.

Gedankenverloren saß Kacey in seiner Kutsche, Ardor schwieg ihm gegenüber, doch er blickte Kacey immer mal wieder besorgt an.

Alles schien so normal, die Bürger auf den Straßen, der weiße Marmor der Stadt, die vielen Gerüche, die lächelnden Gesichter und das Stimmengewirr, Schnauben der Pferde, Klackern der Hufe und das Rattern der Räder auf den gepflasterten Straßen. Und doch brodelte es unter der Oberfläche.

Es genügte ein genauerer Blick in die Seitengassen, auf die Türen der Schenken. »Keine Magier erlaubt«, als handelte sich um Hunde oder menschliches Vieh. Kacey sprangen diese mit roter Farbe bemalten Schilder nun häufiger auf. Natürlich hatte es solche Ablehnung schon immer gegeben, irgendwer hegte immer einen tiefsitzenden Groll, den er an irgendeiner Personengruppe auslassen musste.

Nicht nur unflätige Sprüche gegenüber Magier waren an die Mauern geschmiert, hie und dort konnte man auch Hass gegenüber Ausländern – Luzianern, Menschen mit runden Ohren, Tiervölker – herauslesen. Doch es hatte eine Zeit gegeben, da sich die Räte und die Politiker darum bemüht hatten, diese Hetze von ihren Mauern und Wänden abwaschen zu lassen.

Der Hass auf die Magier nahm zu, ohne genau bestimmen zu können, woher er kam und was die Bürger der Stadt am meisten fürchteten. Immerhin hatten die Magier dem Reich seit Jahrhunderten gedient.

Nun, da sie den Schutz der Völker des Reichs benötigt hätten, wendeten diese sich gegen sie. Vermutlich steckte schlichter Frust auf das eigene, öde Leben dahinter. Und viele schlossen sich wohl auch eher denen an, die wie sie waren. Normalsterbliche hielten zu Normalsterblichen. Warum sollte eine Person, die der Magie nicht mächtig, zu den Magiern halten?

Und doch hatte Riath genau das geschafft, ihm folgten nicht nur Magier.

Es gab Demonstrationen seit der Versammlung, kleine Gruppen hatten sich zusammengefunden, hoben an den Straßenecken die Fäuste in die Luft, riefen Parolen, vor dem Ratsgebäude und dem Gericht gab es einen regelrechten Auflauf. Angst und Wut waberten durch die Straßen.

Es war absolut surreal.

»Die Magie ist eine Gefahr! Die Magie ist unser Untergang. Die Magie will uns beherrschen! Macht die Augen auf, sie übernehmen uns!«, riefen sie im Chor.

»Magier dürfen nicht frei zaubern!«, mischte sich darunter.

»Sperrt die Magier ein!«

Als wären sie tollwütige Raubtiere.

»Magie gehört dem Volk, Magie muss uns dienen, nicht uns unterjochen.«

Kacey bemerkte es nicht, aber seine Hände ballten sich zu Fäusten, drückten bei jeder Parole fester zu, bis seine Nägel in seine Handinnenflächen schnitten. Er biss sich fast die Zähne aus.

Muss hart sein, immer den gütigen Hirten zu spielen, wenn man das Temperament eines Drachen in sich trägt.

»Sperrt die Magier in die Akademie, wir gehören der Magie nie.«

Oh ja, es brodelte unter der Oberfläche, Kacey spürte regelrecht, wie ihn das Feuer in seinem Magen verbrannte.

Eine Berührung am Arm ließ ihn herumfahren, seine Augen waren wild und eiskalt.

Ardor lächelte ihn zaghaft an, neigte ergeben den Kopf. »Es ist sicher beängstigend, sie zu hören.«

Kacey ließ langsam den Atem entweichen und blickte wieder durch das Kutschenfenster. Einige Demonstranten drehten sich um, als sie an ihnen vorbeifuhren. Die, die ihn sahen, verstummten, schienen sogar genug Respekt zu haben, um sich ein wenig zu schämen, immerhin war er noch immer ein Sohn des Kaisers.

»Beängstigend?« Er schüttelte leicht den Kopf. »Es macht mich so wütend, Ardor.«

»Verständlich.«

Stirnrunzelnd wandte Kacey ihm das Gesicht zu, doch sein Leibwächter blickte nun auch nach draußen. Sein streng geflochtener Zopf lag wie eine Schlange über seiner Schulter und endete an einem der ausgebreiteten Flügel der Harpyie, die auf seinen glänzenden Brustpanzer eingeprägt war.

»Was denkst du über all das?«, wollte Kacey von ihm wissen. »Und sei ehrlich, ich will wissen, was du denkst und fühlst, immerhin … bist du kein Magier.«

Ardor lächelte schwach. »Meine Mutter war es.«

Überrascht hielt Kacey den Kopf schief. »Das wusste ich nicht.«

»Außerdem ist es gleich, ob ich Magier bin oder nicht.« Ardor sah Kacey entschlossen in die Augen. »Mein Prinz, ich will in keiner Welt ohne Magie leben. Sie ist wichtig für uns alle, sie hilft uns, sie rettet uns, sie hat uns vor dem Portal geschützt. Ihr habt uns davor beschützt.«

Ja, er hatte die Welt beschützt… Kacey wandte den Blick wieder nach draußen. Aber hätte Riath nicht Sarsar getötet, wäre aller Ruhm ihm allein zugefallen, denn Sarsar war es gewesen, der das Portal geschlossen und die außer Kontrolle geratene Magie gefangen hatte. Er war es gewesen, der Retter der Welt. Sarsar wäre umgehend, in so jungen Jahren, eine genauso große Legende wie sein Vater geworden.

»Die Magie gehört zu uns, sie ist in allem«, fuhr Ardor fort, nichts ahnend, was in den Gedanken seines Herrn vor sich ging, »wir können ohne sie nicht leben, auch wenn sie uns Angst machen kann. Doch ich würde ja auch nicht die Sonne wegwünschen, nur weil sie eine Ernte verbrannt hat. Oder den Regen, weil er den Fluss überschwemmen ließ. Alles hat zwei Seiten, vielleicht ist das auch gut.«

»Glaubst du, auch Menschen haben diese zwei Seiten?«, fragte Kacey wie in Trance.

Ardor schwieg einen Moment, eher er erwiderte: »Niemand besitzt nur eine einzige Seite.«

Kacey sah ihn an, sein Leibwächter erwiderte den Blick. Sie verstanden sich, und Kacey fühlte sich ein klein wenig wohler.

Der Wagen hielt mit einem Ruck an. Verwundert sah Kacey wieder nach draußen, sie standen auf einer Brücke, hatten ihr Ziel fast erreicht, aber eben nur fast.

Ardor streckte den Kopf auf der anderen Seite hinaus und sprach mit dem Kutscher, Kacey wandte sich bereits zur anderen Tür.

»Eine Straßensperre«, sagte Ardor.

Da hatte Kacey die Tür bereits aufgestoßen und stieg hinaus. Der Saum seiner Robe war schwer, er trug an jenem Tag nichts aus Seide oder Damast, sondern aus ungewohnt schwerer Wolle. Dunkelblaue Stoffbahnen umschmeichelten seinen Körper, streckten ihn ein klein wenig. Rücken und Arme waren ausnahmsweise bedeckt, das Gewand besaß einen hochstehenden Kragen, der seine Kinnpartie betonte, die wie gemeißelt aussah. Das Innenfutter war aus goldenem Samt, die Knöpfe mit Kristallen versehen, seine Kette mit dem Mondanhänger lag außen auf seiner Brust, und vom Saum bis zu den Knien war der Rock seiner Robe mit goldenen Sternen bestickt.

Am Ende der Brücke sah er die Rücken tausender Bürger, die den Richtplatz unterhalb des Palastes belagerten und alle zum Galgen blickten. Dort wurde niemand gehängt, das Podest diente an jenem Tag lediglich als Bühne.

Adror stieg ebenfalls aus der Kutsche und trat hinter Kacey, seine Anwesenheit ließ ihn sich beschützt fühlen, sodass erst gar keine Nervosität aufkam, sondern nur grenzenlose Wut.

Da stand dieser grimmige Alte, mit dem Kacey bereits bei der Versammlung Schwierigkeiten bekommen hatte, und schwang Reden über die Bösartigkeit der Magier.

»Sie sind eine Gefahr! Sie sind wider der Natur. Biester, Monster, immer ihren Fähigkeiten ausgeliefert! Sie streben nur nach Macht, sie wollen uns unterjochen, die Stadt und dann das Land an sich reißen! Wehrt Euch, bevor es zu spät ist, macht endlich die Augen auf. Nun fordern sie die Abschaffung der Gesetze! Lasst euch nicht blenden, gute Bürger von Solitude, die Akademie ist ein Dämonenhort! Ein Schandfleck! Sie sollte zum Gefängnis werden, zu einem Ort, wo wir die Magier kontrollieren können, sonst passiert uns das, was in Zadest geschah. Es bedarf nur einen einzigen Magier, uns alle zu versklaven!«

 

Sie hörten ihm zu, fraßen ihm aus der Hand.

Kacey presste die Lippen aufeinander, schüttelte verdrossen den Kopf. Er spürte, wie die Magie in ihm erwachte, prickelte und zwickte, wie ein plötzlicher Hustenreiz in der Kehle.

»Ich sollte umkehren«, knurrte er durch die Fänge. »Bevor es eskaliert.«

»Darf ich mir eine persönliche Meinung erlauben, mein Prinz?«

»Jederzeit.«

Ardor trat ein Stück näher. »Ich beschütze Euch, seit der Kaiser Euch aufnahm, und obwohl Ihr fremd wart, habt Ihr Euch nie der dreisten Machenschaften der Politik des Reichs unterjocht. Ihr wart immer stark, mein Prinz, nie auf den Mund gefallen. Ihr habt Euch nie umgedreht.«

Das stimmte wohl, er hatte sich seinen Platz erkämpft, er hatte frei bei Versammlungen gesprochen, sich Freunde und Feinde gleichermaßen gemacht, hatte sich nie sprachlos machen lassen, ganz im Gegensatz zu den letzten Tagen und Wochen, als es sich angefühlt hatte, als hätte er gar nichts mehr im Griff, als die Politiker ihn mit ihrem Hass gegen die Magie überrascht und überrumpelt hatten.

Undankbare Bastarde, sie waren alle Nichts ohne die Magie. Wenn er sie unterjochen wollte, hätte er das längst tun können, mit der göttlichen Magie, die in ihm eingeschlossen war.

Er hätte es einfach tun können.

»Es geht nicht nur um mich.« Er wusste nicht, ob er es Ardor erklärte, oder sich selbst daran erinnern wollte. »Ein falscher Schachzug von mir und alle Magier des Reichs werden leiden.«

Diese Verantwortung lag schwer auf seinen Schultern, denn er liebte seine Schützlinge, sie beteten ihn an. Er wollte sie nicht enttäuschen. Sie sollten ihn lieben und immer auf ihn vertrauen.

»Aber käme ein Schweigen nicht einem Schuldeingeständnis gleich?«

Kacey schüttelte den Kopf, jedoch nicht zur Antwort, sondern aus purem, emotionalem Frust. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.«

Er besah die Menge, betrachtete den Hassredner auf der Bühne, hörte das Jubeln, als wäre er ein gefeierter Barde oder Theaterdarsteller.

Vor einem Jahr noch hatten die Elkanasai Kacey so angesehen, hatten ihm auf dem Markt Blumen überreicht, ihm Obstkörbe geschickt, wollten von ihm berührt werden, hatten ihn wie einen gefeierten Helden empfangen und die Leiter des Ruhms hinaufgehoben.

Nun stand er ganz oben und sah zu, wie einige Magierhasser an besagter Leiter sägten.

Er stieß ein Grunzen aus und schritt auf die Menge zu. Wie erwartet verstummten sie überrascht, als er ihnen auf die Schultern klopfte und sich mit Ardor auf dem Fuße durch die Menge kämpfte. Bald spürte man, dass etwas vor sich ging, sodass sich die Bürger von selbst umdrehten und ihn erblickten. Eine Straße tat sich auf, verwundertes Schweigen breitete sich wie eine Welle über die Menge aus.

Während der Alte auf der Bühne weiter rief: »Wir dürfen nicht zulassen, dass Gesetze für Magie außer Kraft gesetzt werden! Wir müssen sie verschärfen! Wir würden ja auch einer Bestie die Reißzähne ziehen, bevor wir ihr erlauben, unter uns leben! Ich warne Euch, ich flehe Euch inständig an, macht die Augen auf, wir werden bluten! Und wenn es soweit ist, werden die Mächtigen uns den Magiern zum Fraß vorwerfen, um ihre eigene Haut zu retten!«

»Mylord!«, rief Kacey von unten. Er war nicht so dumm, die Stufen an der Seite des Galgens zu erklimmen und sich auf Augenhöhe mit diesem Mann zu begeben. Nein, er blieb beim Volk, wenn auch dicht vor der Bühne.

Die Menge trat vor ihm zurück, als wollte sie sagen, dass sie nichts mit ihm zu tun hatten, doch da er nicht nur Magister, sondern auch Sohn des Kaisers war, hörte er keinerlei Hass von hinten, nur betretenes Schweigen.

Zuerst tauchte Überraschung auf dem alten Gesicht auf, dann wurden seine Lippen ärgerlich dünn.

Oh ja, das hatte Kacey sehen wollen. Er lächelte und breitete in aller Unschuld die Arme aus. »Darf ich mich auch dazu äußern?«

»Im Namen der Magier?«, rief der Hassredner wütend.

»In meinem eigenen Namen«, entgegnete Kacey ruhig. »Ich bin Magier.«

»Ihr!« Anklagend deutete der Alte mit einem knorrigen Finger auf Kacey, seine Falten schienen tiefer zu werden vor Zorn. »Ihr habt gegen die Gesetze verstoßen und kommt doch einfach davon! Nur weil Ihr ein Prinz seid…«

»Ich werde eine saftige Strafe für mein Vergehen zahlen«, warf Kacey ruhig ein. »Ich habe mein Verbrechen zugeben und mich erklärt, der Rat – nicht der Kaiser – entschied, dass in Anbetracht der Situation, mildernde Umstände gelten. Ich habe mit meinem Zauber Leben geschützt.«

»Ihr wollt unsere Wachen aussperren, damit niemand weiß, was für dämonische Dinge hinter euren Toren vorgehen!«

»Welch schrecklicher Vorwurf. Nun…« Kacey neigte das Haupt. »Das Alptraumfeld ist lediglich ein Schutz für die Bewohner der Akademie, jeder aus der Stadt, der Hilfe braucht, ist willkommen.« Dann drehte er sich zu der Menge um. »Ich weiß, dass Veränderung Angst macht, gerade in diesen Zeiten, da viele Gerüchte heiß gekocht werden. So biete ich im Namen der Akademie gerne öffentliche Führungen an, damit sich alle davon überzeugen können, dass in der Akademie lediglich die in Friedenszeiten erlaubten Zauber gelehrt werden. Desweitern empfangen wir natürlich noch immer gern Kranke, um ihre Leiden zu lindern. Unsere Tore stehen offen, wir bevorzugen es lediglich, Eindringlinge fernzuhalten, wie es jedes Haus tut.«

»Ihr nutzt Führungen, um uns hinters Licht zu führen!«, behauptete der Alte, sodass Kacey Mühe hatte, nicht die Augen zu verdrehen. »Lasst Euch nicht von diesem weichen Gesicht irreleiten, gute Bürger! Die Magier werden einfach ihre faulen Zauber verstecken. Ihr angeblicher Schutzzauber dient dazu, Überraschungsbesuchen vorzubeugen. Führungen? Von wegen, geplante Kontrolle, damit sie an jenen Tagen, wenn sie die Tore für uns öffnen, ihre wahren Machenschaften verschleiern!«

Kacey betrachtete die unschlüssige Menge, viele nickten grimmig. Seine Augen streiften den Rand des Platzes, dort standen Wachen mit Speeren, gelbgrübe Wappen des Kaiserhauses zierten ihre halbnackten Körper, die nur durch Brustpanzer und Lendenleibchen geschützt waren. Sie lehnten lässig an Wänden oder auf ihre Waffen gestützt und grinsten hämisch.

Das Gift war bereits bis zur Stadtwache vorgedrungen, sie wirkten nicht, als wollten sie eingreifen, eher, als wären sie von dem Schauspiel amüsiert.

»Wir haben einen fremdländischen Kaiser auf unseren Thron gelassen!«, fuhr der Mann fort. »Nun seht, wohin es führt! Die Wirtschaft wäre beinahe zusammengebrochen, gute Männer verloren Heim, ihre Familien landeten auf der Straße…«

Er sprach davon, dass reiche Villenbesitzer, die durch den Sklavenhandel ihre Kammern mit Silber gefüllt hatten, ihre rechte Strafe bekommen hatten.

»Und nun soll die Magie frei von Gesetzen sein? Das ist ein falsches Spiel! Der Kaiser will seine Feinde schwächen, er will die Magier nutzen, um uns zu dezimieren! So kurz vor den Wahlen will er nur seine Gegner vernichten!«

Kacey hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste, als die Menge in Aufruhr geriet. »Der Kaiser ist derzeit nicht anwesend, aber ich bin sicher…« - er musste die Stimme erheben, klang wütender als beabsichtigt - »dass mein Vater sich der Angelegenheit annehmen und eine Lösung finden wird, die für beide Seiten angemessen ist. Liebe Mitbürger!« Er wartete einen Moment, bis er die volle Aufmerksamkeit hatte. Dann sagte er ernst, eindringlich: »Vergessen wir an dieser Stelle nicht, dass ich schon vielen von Euch geholfen habe. Denkt daran, die Magier bewahren viele Geheimnisse, sind Eure Freunde, Eure Retter in der Not. All das tun wir aus Nächstenliebe, doch als wir Eure Hilfe brauchten, habt Ihr uns sogar verboten, dass wir uns selbst schützen. Ein Mädchen wurde getötet! Sie hätte Eure Tochter oder Schwester sein können.«