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Aber dennoch würde er sich nicht mit einer Niederlage abfinden, nur weil er es vielleicht sollte. Ob er sie nun verdiente oder nicht, er würde seine Rache bekommen. Das war alles, was zählte, alles, was jemand wie er fühlen durfte.

Ein Schatten fiel auf ihn und er hob den Kopf. Wexmell stand dicht vor ihm, sodass er ihm nicht entkommen konnte. Sein Blick bohrte sich in Riaths Augen.

»Es macht dich nicht zu einem besseren Mann als er es ist, wenn du ihn bekämpfst. Überlass die Angelegenheit mit Melecay und Eagle ab jetzt mir, Riath, such du nach Xaith.«

Riath sagte nichts, starrte ihn nur ernst an.

Wexmell verzog den Mund, ein wenig Wärme trat in sein Gesicht. Wohltuende, heilende Wärme. Er hob eine Hand und berührte Riaths Wange, legte den Kopf schief und blickte ihn an, als könnte er nicht glauben, was aus ihnen geworden war. Aus ihnen beiden.

»Es ist nie zu spät, in den Spiegel zu sehen und das zu erkennen, was man ist – und es dann zu ändern, mein Sohn. Kehr um, hol deine Brüder und komm nach Hause, komm zur Krone zurück, wir überwinden diese Krise gemeinsam – oder wir fallen beide allein.«

Riaths Sicht verschwamm, seine Kehle wurde eng, aber sein Gesicht blieb grimmig.

»Vergebung«, flüsterte Wexmell und zog seine Hand zurück, »ist etwas, das man sich erkämpfen kann. Denk darüber nach.«

Riath blickte auf und lächelte kalt. »Ich will Rache«, sagte er rau, »und ich will verdammt noch mal der berühmteste Bastard dieser Welt werden. Genau wie Vater. Ganz genau wie er!«

Das war es, was sein Herz am meisten begehrte, Ruhm. Und dass sein Name alle Zeitalter der Welt überdauern würde.

Enttäuschung trat auf Wexmells zartes Gesicht, er trat zurück, als würde ihn eine unsichtbare Barriere rückwärts drängen. Dann war da diese Schlucht zwischen ihnen, die immer größer wurde.

Bevor Wexmell noch etwas sagen konnte, wurde die Zeltplane aufgeschlagen.

Sie fuhren herum.

Marks sah zwischen ihnen hin und her und schien nicht erfreut ob des hoheitsvollen Besuches, dennoch neigte er den Kopf zu einer Verbeugung. »Mein König.«

Wexmell lächelte sanft und nachsichtig, so wie er seinen Untertanen immer begegnete. »Marks.«

Marks wandte sich an Riath. »Mein Prinz, was wünscht Ihr zu speisen? Und leistet der König Euch Gesellschaft?«

»Oh nein, wir brechen sofort wieder auf«, antwortete Wexmell. »Aber habt Dank.«

»Lass uns allein, Marks«, befahl Riath abweisend. Er wollte nicht in dieser Verfassung gesehen werden.

Wieder sah Marks von einem zum anderen, dann rang er sich ein Lächeln ab, neigte erneut das Haupt und zog sich zurück.

Wexmell starrte noch auf den Ausgang, der nach Marks Verschwinden noch immer leicht wehte, und seufzte leise. »Er kann mich nicht ausstehen.«

Riath winkte ab. »Interpretiere da nichts hinein, vielleicht steckt ihm nur was queer.«

Wexmell sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an, sein Blick sagte, dass Riath ihn nicht für dumm verkaufen sollte, und genau das unterließ er auch.

»Ich weiß, was er und viele andere denken, vor allem die Luzianerlords.« Wexmell richtete seinen Umhang, zog ihn über die Schultern und holte seine schwarzen Reithandschuhe hervor. »Ein paar erinnern sich zu gut an die Geschichten über meinen Vater, und sie denken, ich sei wie er. Entscheidungsscheu, abwartend und schwach.«

Riath schnaubte. »Davon weiß ich nichts, ich höre immer nur, dass ich nicht wie mein Vater wäre.«

Ein leichtes, melancholisches Lächeln trat auf Wexmells Züge. »Sie kannten deinen Vater nicht so wie ich, und glaub mir, er war nicht immer der Mann, den du kanntest.« Er sah Riath an, der überrascht dreinblickte. »Du bist ihm ähnlicher, als dir guttut, befürchte ich.«

Damit ließ er ihn stehen, bevor Riath etwas erwidern konnte, und trat aus dem Zelt.

Grübelnd folgte Riath ihm nach draußen, wo Wexmell seinen Wachen das Zeichen zur Abreise gab.

»Ich bin hergekommen, um dir persönlich mitzuteilen, dass es einen Vorfall gegeben hat und ich deine Mutter auf Drängen ihrer eigenen Zirkelschwestern« - Sarsars und Mays Mütter - »in den Turm sperren ließ.« Er sah Riath fest in die Augen. »Sie hat versucht, eine Intrige gegen mich zu planen, aber ihre Schwestern wandten sich gegen sie.«

Dieses verdammte Weib, unendliche Weiten von ihm entfernt und noch immer machte sie ihm Ärger. Er hörte noch ihre letzten Worte an ihn, vor der Abreise: »Wexmell war das, er hat versucht, dich töten zu lassen, und verschleiert seine Absicht hinter seiner Empörung. Du kannst jetzt nicht wegreisen, du musst ihn töten und dein Recht einfordern, Riath! Hörst du, du dummer Junge?«

Er war natürlich gegangen, hatte ein müdes Lächeln für die alte Hexe übriggehabt.

»Deinetwegen habe ich schon einmal getötet, um an diese Krone zu kommen«, hatte er zum Abschied gesagt, »aber das habe ich gar nicht nötig, ich werde mir mein Recht, zu herrschen, nicht stehlen, ich werde es mir erkämpfen.«

Sie hatte ihn immer zu einem kaltherzigen, berechnenden und machthungrigen König erziehen wollen, all das hatte er ihr mit Freuden gegeben – und sich gegen sie gestellt.

Wer seine Feinde waren und wer hinter welchem Anschlag steckte, wusste er selbst, er brauchte keine Mami, die ihm alles vorsagte. Er hasste es, wenn andere versuchten, ihn wie einen Hund an der Leine zu führen. Nein, dieser Köter hatte sich gegen die Frau gestellt, die ihn hatte führen wollen, und zugebissen.

Intrige? Vermutlich hatte sie das vorgehabt, aber besser, man half nach, indem man einen falschen Brief verfasste und eine Unterschrift fälschte – und dafür sorgte, dass sie in die richtigen Hände geriet. Es kostete ihn Mühe, nicht hinterhältig zu grinsen.

Es war zu gefährlich gewesen, sie in Wexmells Nähe frei herumlaufen zu lassen, sie musste verschwinden.

»Bin ich jetzt dein Feind?«, fragte Wexmell und betrachtete ihn eingehend.

»Lass mich über sie richten«, bat er, statt einer Antwort.

Wexmell betrachtete ihn noch einen Moment länger, dann wandte er das Gesicht unglücklich ab und seufzte. »Das halte ich für keine gute Idee.«

»Wir wissen doch beide, dass du nicht imstande bist, ein gerechtes Urteil zu fällen.«

Darauf antwortete er nicht, er blickte durch das Lager, schien aber etwas völlig anderes zu sehen. »Du hättest mir und deinem Vater sagen müssen, dass sie dich schlägt.«

Ihr hättet es wissen müssen, dachte er, schämte sich aber sofort. »Sie ist herrisch und kalt, aber sie ist nicht der Grund dafür, dass ich bin, wer ich bin.« Er sagte das aus purer Überzeugung, gewiss hatte sie seinen Charakter gefördert, aber vieles in ihm war bereits immer gegeben gewesen.

Wexmell nickte langsam, die Stirn gefurcht. »Wir hätten es spüren müssen«, er sagte es selbst, »haben wir aber nicht. Wir haben darauf vertraut, dass es dir bei uns gut geht, und vergessen, genauer hinzusehen. So lass mich über die Frau richten, die all die Jahre unter meinem Dach lebte und es wagte, Hand an meinen Sohn zu legen.«

Der Blick, den Wexmell ihm zuwarf, zeugte von einer fremdartigen Entschlossenheit, die keinen Zweifel daran ließ, dass er es ernst meinte.

Riath wusste nicht, was er deshalb fühlte. Einerseits war er von Wexmells Wut und Geste gerührt, andererseits wollte er keine Wärme in sein Herz lassen.

»Wie schade, dass ich ihr schockiertes Gesicht nicht sehen kann, wenn sie das Urteilt hört.«

Zwei eisblauen Augen sahen ihn an, er blickte zurück.

Wexmell sagte nichts mehr dazu, er hatte nicht annähernd so viel Freude an den Hinrichtungen seiner Feinde wie Riath sie hatte.

»Ich kann dich nicht zwingen, Nohva zu dienen, du musst tun, was du selbst für richtig hältst. Wenn es die Magier sind, für die du kämpfen willst, verstehe ich dich, doch wenn du nur für dich kämpfst, erwarte nicht, dass ich dich unterstütze.« Wexmell zog die Reithandschuhe über die Hände, dann drehte er das Gesicht zu Riath um, der ihm stumm und nachdenklich zuhörte. »Aber denk daran, dass du schon einmal etwas Unverzeihliches getan hast, Riath, willst du mir mehr Gründe geben, dir die Krone abzusprechen? Oder holst du deine Brüder und kommst heim, lernst meinem Urteil zu vertrauen, damit wir gemeinsam deinesgleichen schützen können?«

Er wartete keine Antwort ab, sah ihn nur sehr eindringlich an, und anhand seiner harten Miene war herauszulesen, dass es keine leere Drohung war. Dann wandte er sich ab und ging.

»Kannst du mir je vergeben?« Riath sprach leise, gebrochen, wie ein Junge, der etwas ausgefressen hatte.

Wexmell stockte kurz, warf einen geschielten Blick über die Schulter. »Das liegt bei dir, Riath, fang damit an, sie alle heim zu bringen, dann sehen wir gemeinsam weiter.«

Er ging endgültig, mit langen, entschlossenen Schritten. Am Rande des Lagers stieg er auf ein weißes Pferd und warf ihm noch einen ernsten Blick zu.

Riath sah ihm wie immer mit gemischten Gefühlen nach, er würde sich wohl nie entscheiden können, ob sie Feinde oder Familie waren.

Doch wer wusste besser als er, dass das eine das andere nicht ausschloss.

~11~

Vaaks war verschwunden.

Es ging Xaith nicht mehr aus dem Kopf, den ganzen Weg zur Siedlung nicht. Eine brüllende Besorgnis setzte sich in seiner Brust fest, andererseits war er nicht sehr überrascht. Vaaks war nie ein Mann der Krone gewesen, hatte sich immer nur danach gesehnt, in den Orden einzutreten oder anderweitig ein Leben als Kämpfer zu führen. Nun, nach dem Tod des Königs und der Auslöschung des Ordens war auch seine Zukunft ungewiss. Vielleicht suchte er lediglich nach sich selbst, vielleicht wollte er Abenteuer erleben, vielleicht floh er genau wie Xaith vor der leeren Festung, wo in jedem Gang zu viele schmerzhafte Erinnerungen lauerten.

 

Wäre Vaaks tot, beruhigte er sich, würde er es spüren, ganz gewiss, doch sein Echo war deutlicher als das aller anderen, als wollte es ihn zu sich locken. Wie ein ferner Stern am Nachthimmel, den man zwar sehen konnte, aber dennoch nicht wusste, wo er sich genau befand und wie man dorthin gelangte, so verhielt es sich mit dem Echo der göttlichen Magie, die sie beide in sich trugen. Sie verband sie, weil Xaith sie immer suchte. Alle anderen waren ihm gleich, er horchte immer nur auf Vaaks` Echo und bildete sich ein, dass auch Vaaks nur dem seinem lauschte, weshalb sie nur einander hörten und spürten.

Kein Grund zur Sorge, sagte er sich vor, Vaaks ging es gut! Und so groß die Versuchung auch war, ihn suchen zu gehen, Xaith hatte andere Pflichten. Wichtigeres als seine eigene Sehnsucht.

Sie staksten fern der Wege und Pfade durch das dichte Unterholz wie sie es auf ihrer Reise immer taten. Langsam schlugen sie sich durch Hecken und Sträucher, gingen Umwege und redeten Baron gut zu, damit er über Wurzeln sprang. Sie kamen langsam voran, gewiss, aber ihre Verfolger ebenso.

Immer wieder blickte Siderius ihn fragend an, doch Xaith ignorierte ihn und zeigte deutlich, dass ihm an keinem Gespräch gelegen war.

Dennoch platzte der Junge irgendwann und holte auf, um neben ihm her zu stolpern, trotz des Astes, den er als Stock und Stütze benutzte. »Ist dieser Vaaks, von dem er sprach, der, den du meintest, den du liebst?«

Xaith brummte.

»Der, den du oft zusammen mit dem Rothaarigen gezeichnet hast?«

Statt zu antworten, blickte er stur nach vorne und wich den Fragen aus. »Wir müssten bald die ersten Dächer im Dickicht sehen, schau, da vorne ist ein überwucherter Zaun. Der soll wohl ein paar Raubtiere fernhalten. Lächerlich, wenn man bedenkt, dass Jaguare sich einfach von den Bäumen auf ihre Opfer stürzen können.«

Sein Neffe, den er sich selbst umgebunden hatte, erwachte mit einem fröhlichen Quieken und strampelte so kräftig, dass Xaith ihn mit der freien Hand festhalten musste. Mit der anderen führte er Baron am Zügel neben sich her. Der rote Hengst streckte hin und wieder den Kopf und hob die Lippe, als witterte er etwas. Vielleicht frisches Heu oder andere Pferde. Oder er hatte einfach keine Lust mehr darauf, zu laufen, und versuchte, Xaith zu drohen.

Er wettete auf letzteres.

»Also ja«, gab sich Siderius selbst die Antwort.

Genervt schielte Xaith ihn an, hüllte sich aber bezüglich seiner Neugierde noch immer in Schweigen.

»Ich verstehe.« Siderius machte ein einsichtiges Gesicht. »Du liebst diesen Vaaks, aber er liebt diesen Rotschopf. Deshalb bist du von Zuhause abgehauen, man hat dir das Herz gebrochen.« Aber dann schien ihm plötzlich ein weiterer Geistesblitz zu kommen. »Moment!« Er ergriff Xaiths Arm, als müsste er sich festhalten. »Ist Vaaks nicht dein Bruder?«

»Nein, ist er nicht.« Doch, ist er. »Ziehbruder«, lenkte er ein, als Siderius ihn argwöhnend musterte. Seufzend blieb Xaith stehen und wandte sich ihm zu. »Hör gut zu, ich rede nur einmal darüber, danach schweigen wir über dieses Thema, kapiert?«

Der Junge nickte eifrig, voller Begeisterung darüber wieder einmal mehr über Xaith zu erfahren, wobei Xaith sich beim besten Willen einfach nicht erklären konnte, womit er das überschwängliche Interesse dieses Straßenjungen verdient hätte.

»Vaaks ist der leibliche Sohn von Cohen, einem gefallenen Gefährten meines Vaters, und von Sigah, Lady des Schwarzfelsgebirges, er ist der kleine Halbbruder von Marks und dessen Schwester Ilsa. Marks kennst du, er gehört zu Riath.« Xaith hatte ihn erwähnt. »Aber Vaaks wuchs bei uns auf, Vater sah ihn als Sohn, vor allem, nachdem Cohen sein Leben für meinen Vater gab. So kam Vaaks zu uns, er ist auch ein Prinz. Aber er ist nicht mein leiblicher Bruder.« Er wartete, bis Eri verstehend nickte, und als er fortfuhr, musste er den Blick in die Wildnis richten, weil er dem Jungen dabei nicht in die Augen sehen konnte. »Und ja, ich habe sehr früh mein Herz an Vaaks verschenkt, er hatte aber oft nur Augen für Jin. Sie waren beste Freunde oder vielleicht noch mehr. Es gab eine Zeit, als ich mit Vaaks allein war, auf dem Weg zum Portal, als er und ich uns … näher als je zuvor waren. Doch … als wir zurückkamen, als Vater tot war…« Er presste die Lippen zusammen. »Ich war zerstört von Trauer, Vaaks fand Trost bei Jin.« Er sah Siderius an, fest und entschlossen dieses Mal. »Ich liebe ihn, aber ich kann ihm nicht geben, was er will und braucht. Jin ist warmherzig, Jin ist wunderschön, Jin ist ein Mensch. Sie leben beide gleich lang, sie können gemeinsam alt werden. Es ist besser so.«

Siderius verzog bedauernd die zarten, jungen Gesichtszüge. »Warum sagst du das? Was hat das damit zu tun? Ihr habt euch geliebt, was hat eure Abstammung damit zu tun?«

»Dass ich es einfach nicht ertrage, zuzusehen, wie er ohne mich alt wird und Jahrhunderte vor mir stirbt, mich allein lässt, so wie mein Vater es getan hat.«

Da verstand er endlich und wirkte schockiert, untröstlich. Aber wenigstens sprachlos.

»Und nein«, erklärte Xaith endgültig, »sie waren nicht der Grund, weshalb ich von Zuhause wegging. Ich bin gegangen, um einen Weg zu finden, meinen Vater von der anderen Seite zurückzuholen. Nichts anderes hat noch eine Bedeutung ohne ihn, also lass uns weiter gehen!«

Damit wandte er sich ab und schnalzte mit der Zunge, eher er an den Zügel zog und Baron wieder in Gang setzte, der es sich neben ihm schon recht gemütlich gemacht und ein Bein angewinkelt hatte.

Ein paar Schritte noch, dann waren sie da.

»So wie du es schilderst, ist Jin also dein Konkurrent.«

»Ich dachte, wir waren uns einig, das Thema fallen zu lassen.«

Siderius stolperte ihm hinterher. Wer auch immer dem Jungen das Laufen beigebracht hatte, der hatte auf ganzer Linie versagt. »Ich versprach, nicht mehr über Vaaks zu sprechen, von dem Rothaarigem war jedoch keine Rede.«

»Du solltest Politiker werden.«

Siderius ignorierte den Kommentar: »Warum zeichnest du ihn, wenn er dein Feind ist?«

Kinder … sie sahen immer nur in Schwarz und Weiß. Feind? Das war ein hartes Wort, das Xaith tatsächlich nie gegenüber Jin gedacht hatte. Jin und er waren… er wusste nicht, was sie waren. Und genau das war die Wahrheit: sie waren Nichts.

»Er hat ein ästhetisches Gesicht«, gab er knapp zur Antwort, »das sich wunderbar zeichnen lässt.«

Xaith spürte förmlich das tiefe Stirnrunzeln des Jungen, aber immerhin hatte ihn die Grübelei zum Schweigen gebracht. Ein Künstler würde niemals einem Nicht-Künstler erklären können, warum er malte, was er malte – oder was in seinen Gedanken vor sich ging.

»Da vorne ist es«, sagte Xaith, als sie aus dem Dickicht traten und auf eine Straße gelangten, die breit genug für Händlerwagen und große Reisegruppen war. Sie führte in eine kleine Ansammlung eines hufeisenförmigen Gehöfts. »Ortschaft« war dafür die falsche Bezeichnung, selbst ein Weiler war größer. Nein, es handelte sich vielmehr um einen sich selbst versorgenden Gasthof. Große Stallungen für die Pferde der Reisenden, Schankraum, über dessen Tür ein wackelndes Schild hing, auf dem ein schäumender Bierkrug abgebildet war. Zäune, Weiden, Ställe für Vieh, ein Gemüse- und Kräutergarten, Gästehaus, Wohnhaus, zwei Türme aus Holzbrettern, deren Schießscharten mit Luken verdeckt waren. Gewiss unterhielt der Wirt auch eigene Wachen, wobei es sich dabei vermutlich eher um kampfunerprobte Stallknechte handelte, denen man stumpfe Schwerter oder verbeulte Knüppel in die Hand drückte, um das Gemüt angetrunkener Gäste zu beruhigen und die Schankmägde zu schützen, die aber keineswegs eine echte Bedrohung für Marodeure darstellten, die Spaß am Brandschatzen und Vergewaltigen hatten.

Xaith war schon einmal hier gewesen, für eine Nacht, daher wusste er das.

Doch an diesem Tag war etwas anders, das roch und spürte er bereits, bevor sie die Straße entlang auf die Siedlung zugingen.

»Da rauchts«, bemerkte Siderius, dabei hatte er die Stimme gesenkt.

Sie tauschten einen ernsten, stummen Blick.

»Bleib hier«, sagte Xaith und ging weiter.

Er hörte Schritte auf Matsch und sah über die Schulter. Natürlich blieb Siderius nicht stehen, hatte nicht einmal gezögert.

Nun gut, mehr als ihm zu sagen, dass er warten sollte, konnte Xaith nicht tun, er musste es selbst wissen.

Über dem Eingang prangte ein großes Holzschild, auf dem der Name des Gasthofes eingeritzt war. Er stand dort in der Sprache der Elkanasai und in der Gemeinsprache. »Der rauchende Drache.«

Was für eine Ironie. Oder nein, das war keine Ironie mehr, sondern bittere Grausamkeit.

Rauch war das Stichwort, denn er stieg in unscheinbaren Säulen von den Viehstallungen und dem Gästehaus auf, wie von Glut und nicht mehr von züngelnden Flammen. Es war still, zu still, nicht einmal ein Tier war zu hören.

Weil sie alle tot waren.

Er wusste es, bevor er es sah, genauso wie Siderius es wusste, der ihm zögerlich folgte und doch nicht mit sicherem Abstand warten wollte. Es stank nach Tod, Unrat, verbranntem Holz, Stroh, Fell und Fleisch, ebenso nach angesengtem Haar. Ein beißender Geruch, der ihnen die Tränen in die Augen trieb, wie purer Pfeffer. Wobei er den Pfeffer bevorzugt hätte.

Der erste Tote lag bereits um die Ecke, als sie den Hof betraten, und er sollte nicht der einzige sein. Ein junger Elkanasai, mit dem Gesicht voran im Dreck, die Waffe – ein Hufkratzer – noch in der Hand.

Ein Stallknecht.

Weitere Leichen lagen verstreut umher, verkrampft oder ausgestreckt. Sie waren noch nicht steif, das Blut auf dem Boden noch nicht getrocknet.

Es sah nach einem Kampf aus, bei dem sich jeder gewehrt hatte, der Schweinestall war niedergebrannt, davor war die Schlachtbank blutig, Schweinsköpfe und Hufe lagen umher.

»Räuber?«, fragte Siderius mit dünner, angeekelter Stimme.

»Möglich.« Xaith ging weiter. Die Türen der Gebäude standen offen, einige Blutlachen zogen Schleifspuren vom Hof zum Zaun und verschwanden im Wald.

Raubtiere, die nicht nur das Vieh gestohlen hatten, auch lecker duftende Leichen. Ein Festmahl für alle Bewohner des Urwaldes, die Reißzähne besaßen.

Das Blut war alt und der Leichengeruch überdeckte den Duft der roten Flüssigkeit so gut, dass Xaith nicht in Versuchung kam. Blut schmeckte ohnehin nur gut, wenn es aus einem lebendigen Körper kam, von einem schlagendem Herzen.

»Oder… «, Siderius stellte sich schluckend über eine ermordete Elkanasai, die schon so alt gewesen war, dass ihr einst schwarzes, geflochtenes Haar schneeweiß schimmerte und ihre spitzen Ohren viele Kerben aufwiesen, dennoch hatte sie gekämpft, der blutige Dolch in ihrer Hand bewies es. »Waren es die Getreuen deines Bruders?«

Xaith schüttelte langsam den Kopf, auch er stand über einem reglosen Körper. Er erkannte ihn, den älteren Elkanasai, der Wirt, der hier mit seiner Familie und seinen Schwiegersöhnen und Töchtern eine Zuflucht für Reisende unterhalten hatte.

»Riath schlachtet keine Unschuldigen ab.« Nicht ohne erheblichen Grund.

Siderius sah Xaith zweifelnd an. »Aber er will dich aufhalten, dich in die Knie zwingen. Vielleicht wollte er hier alles niederbrennen, damit wir unsere Vorräte nicht auffüllen können.«

»Das waren nicht Riaths Leute.« Xaith ging in die Hocke, ließ Barons Zügel länger, und ergriff die Schulter des Wirts, um ihn auf den Rücken zu drehen. Das schwarze Haar klebte in seinem schmutzigen, zerschlagenen Gesicht. Die Angreifer hatten ihren Spaß mit ihm gehabt, ihn fast bis zur Unkenntlichkeit verprügelt.

Das Schlimmste an dem Anblick des abgeschlachteten Gasthofes war jedoch nicht die Grausamkeit, mit der jedes Leben hier einfach ausgelöscht worden war, sondern dass Xaith bei diesem Anblick nichts fühlte. Kein Bedauern, keine Empörung, keinen Ekel. Vielleicht ein wenig Mitleid, aber das brachte den Opfern weder Gerechtigkeit, noch schenkte es ihnen Trost. Und… nun ja, wer so fern jeglicher Städte und deren Schutz lebte und auf Besuch von Fremden angewiesen war, musste wohl mit Marodeuren rechnen.

War er wirklich schon so kalt?

Ein Schatten fiel auf die offenen, starren Augen des Wirts, als Siderius neben ihn trat und hörbar schluckte.

»Wieso klingst du so überzeugt?«, fragte der Junge unsicher.

 

»Hier.« Xaith ergriff das dicke Stück Holz, das aus dem einfachen Wams des Wirts ragte, und riss es mit einem Ruck heraus. Der Körper bäumte sich kurz auf, aber nur durch die Gewalt, mit der er von dem tödlichen Werkzeug befreit wurde. »Ein Armbrustbolzen. Ich habe seine Spitze aus dem Rücken ragen gesehen.«

Er hielt den Bolzen, an dem das Blut frisch schimmerte, in die Sonne und Siderius unter die Nase.

Der Junge sah bleich aus und er drehte sich weg, als sei ihm übel. »Barbaren«, hauchte er dann verstehend.

Xaith nickte und sah sich um. »Carapuhrianer.«

Der Junge schüttelte den Kopf. »Aber wieso? Was wollten sie hier? Banditen? Deserteure? Carapuhr und Elkanasai sind doch verbrüdert, oder bedeutet ein Friedensbündnis auf dieser Seite der Welt etwas anderes als bei uns?«

»Nein.« Xaith warf den Bolzen auf die Brust des toten Wirts, seine Lippen waren ein dünner, grimmiger Strich. »Sie sind hier, weil sie nach etwas suchen, und Barbaren sind nun mal … barbarisch. Wobei du deine nächste Frage vermutlich schon selbst beantwortet hast.«

Er sah zu Siderius auf, der fragend den Kopf schief legte. Unter seiner Fischermütze schwitzte er, seine grünen Augen leuchteten in der Sonne wie zwei Tümpel.

»Sie sind hier, weil sie mich suchen. Jedenfalls gehen sie davon aus, dass wir zum nächsten Hafen wollen, womit sie recht haben.« Er verengte die Augen und überblickte den blutgetränkten Innenhof. Bald würde es hier nur so von Aasfressern wimmeln. »Ich möchte wetten, sie haben im näheren Umkreis alle Gaststätten geplündert, um uns aufzuhalten. Oder sie lauern uns dort auf.«

Siderius kratzte sich unter der Mütze, er wirkte ratlos. »Du meinst, um dich aufzuhalten?«

Er bezweifelte, dass Melecay wusste, oder dass es ihn überhaupt interessierte, was er vorhatte. Nein, es ging ihm nicht darum, ihn von irgendeinem Plan abzuhalten, er verfolgte lediglich seinen eigenen.

»Weil Melecay mich gegen Riath einsetzen will«, erklärte Xaith und streckte die Hand nach dem Wirt auf, legte sie ihm auf die Brust und konzentrierte seine Macht auf seine Fingerspitzen. »Er will mich in seine Gewalt bringen, um Riath anzulocken – um uns dann beide zu töten.«

Mit ausgestoßenen Atem setzte er den Leichnam in Brand und zog dann die Hand zurück, er stand auf. Sie traten zurück und sahen zu, wie der Körper in Windeseile von den magischen Flammen restlos verbrannt wurde. Das war alles, war er hier noch tun konnte.

Säuberung und Sorge dafür tragen, dass diese Unschuldigen wenigstens zu Asche wurden, die der Wind wegtrug, statt Raubtierfutter zu werden.

»Der Großkönig ist clever, er weiß, wie er Riaths Schwächen ausnutzen…« Xaith brach mitten im Satz ab und runzelte die Stirn. Nur ein nachdenkliches, ärgerliches »Hmmm«, entkam ihm, er kaute auf der Unterlippe.

Siderius sah ihn von der Seite an. »Wenn sie den Händler finden, könnten sie ihn auch gegen dich verwenden, habe ich Recht?«

Unheimlich dieser Straßenjunge, seit wann konnte er Gedanken lesen?

»Ist mir egal, er bedeutet mir nichts.«

Aber er bedeutet Vaaks etwas, und auch wenn dieser verschwunden war, wusste er so sicher wie er wusste, dass hier Barbaren am Werk waren, dass Vaaks es weder sich noch ihm verzeihen würde, wenn Jin etwas zustieß, während er ihm ungefragt nachreiste.

Fluchend griff Xaith nach den Stoffbahnen, mit denen er sich das Kind umgebunden hatte. Sein Neffe zog protestierend die Fänge aus seiner Brust und hinterließ einen kreisrunden, leuchtend roten Zahnabdruck in der Mitte seiner Brust. »Bleib hier. Und diesmal meine ich es ernst!«, wies er Siderius an, als er ihm das Kind in die Arme drückte und losließ, sodass der Junge schnell zugreifen musste, damit das Bündel nicht zu Boden fiel. »Versteckt euch, bis ich zurück bin.«

Er machte sich keine Sorgen um die Jungen oder um Baron, sie wussten was zu tun war, wenn er sie allein ließ, hundertfach hatte er Siderius auf diese Situationen vorbereitet und dieser hatte bewiesen, dass er imstande war, sich zu verstecken.

Nein, seine Sorge galt allein einem närrischen Kauffmanns Sohn.

*~*~*

Er hatte nicht den Wunsch verspürt, an jenem Tag noch weit zu reisen. Der Mut war ihm entflohen und nur matte Trostlosigkeit war zurückgeblieben. Schließlich hatte er das schwere Reisebündel von seiner Schulter gleiten lassen und in der Nähe der Quelle ein winziges Lager aufgeschlagen.

Als Kaufmann war er zwar kein Kämpfer, kein Krieger, aber sein Vater und er hatten immer gewusst, wie man ohne Dach über dem Kopf überlebte, man musste nur gut vorbereitet sein. Jin war kein Jäger, doch er hatte genügend Vorräte dabei, Wegzehrung, die er sich gewissenhaft einteilte. Sauberes Wasser, es war sogar noch ein Schlauch Wein da, gepökeltes Fleisch, hartes, aber haltbares Brot, stinkender Käse und ein paar Früchte, die er kannte und aufgesammelt hatte.

Er hatte jedoch keinen Appetit, und das kleine Lagerfeuer entzündete er nur, um etwas zu tun zu haben, er hatte eine Fackel danebengelegt. Tatsächlich war Feuer sehr erfolgreich, um einige Raubtiere zu vertreiben, erfolgreicher als eine blank gezogene Klinge, denn Tiere wichen instinktiv vor den heißen, zuckenden Flammen zurück.

Einzig und allein fürchtete er sich vor Schlangen und Insekten, die giftig waren und unheimlich gerne nachts in die Decken krochen. Es war nicht ratsam, auf dem Boden zu schlafen, wenn man ein einfacher Mensch war, weshalb Jin stets eine kleine, aber nützliche Hängematte bei sich trug. Sie war aus robustem Bullenleder, starken Seilen und diente tagsüber als Schutz seines Reisebündels, am Abend rollte er sie auseinander und spannte sie zwischen zwei eng stehenden Bäumen.

Es war ein kleiner Aufwand, aber bisher hatte ihn keine giftige Schlange gebissen.

Was Räuberbanden betraf, so gab es für ihn nur zwei Möglichkeiten, entweder er rannte weg oder er gab ihnen alles, was wertvoll war. Am klügsten war es, nicht bewaffnet zu sein, das lockte sie zwar an, aber es reizte sie nicht, zu Mördern zu werden. Vielleicht hatten sie auch Mitleid.

Jedenfalls war nicht jeder Räuber auch gleich ein Mörder, meistens begnügten sie sich damit, einsame Reisende zu bedrohen, bis sie ein oder zwei wertvolle Güter oder einen Beutel Silber ergattern konnten, dann machten sie sich schnell vom Acker, um nicht erwischt oder eingeholt zu werden. Tatsache war, Diebe wurden nicht so vehement verfolgt wie Mörder, das wusste auch jeder Bandit. Jin konnte wohl von Glück sprechen, denn als Nicht-Magier hatte er in Nohva keine unangenehmen Begegnungen gehabt, auch in Elkanasai waren ihm bisher vergleichsweise friedliche Räuber begegnet, meistens jedoch gelang es ihm, ihnen auszuweichen und sich still zu verhalten, nicht entdeckt zu werden.

Die meisten Räuber lauerten an Straßen zwischen den Städten, wo sie am besten Reisende in einen Hinterhalt laufen lassen konnten. Selten schlichen sie an abgelegenen Orten entlang, es sei denn, sie verfolgten jemanden geduldig.

Jedenfalls hatte Jin ein Bündel voller teurer Schmuckstücke dabei, die er selbst herstellte und verkaufte, und einige von ihnen hatte er Räubern im Tausch angeboten, damit sie ihn ziehen ließen und er es als Geschäft betrachtete.

Also kam er bestens allein zurecht, er fürchtete sich nicht.

Dennoch hatte er weder Hunger noch den Wunsch, zu reisen. Er wollte nicht zurück, nicht allein. Jahrelang hatte er ein Ziel verfolgt, es immer vor Augen gehabt. Es hatte ihn angetrieben, Xaith einzuholen, ihn zu finden. Und jetzt fühlte es sich an, als hätte er an Lebenssinn verloren.

Was sollte er bloß tun?

Es gab kein Zuhause mehr, zumindest keines, in das er gern zurückkehren würde, und das hatte nicht einmal etwas mit der Tatsache zu tun, dass man seinen Vater ermordet hatte.

Das Schlimme war, er konnte Xaith gut verstehen, und doch wollte er ihn nach Hause bringen, hoffend, dass er alles richten könnte, dass es wieder ein Zuhause wäre, wenn sie gemeinsam Heim gingen.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?