Geliebtes Carapuhr

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Es gäbe da vielleicht etwas.« Vynsu sprach zögerlich, und der Kaiser runzelte neugierig seine Stirn. Lächelnd blickte der Barbar Desiths Vater an und neigte ergebend das Haupt. »Aber dies kann warten, mein Kaiser. Doch wenn es keine Umstände macht, würde ich gerne ein paar Tage ausruhen, bevor ich mich auf den Rückweg mache und meiner Strafe für die Befreiung Eures Sohnes entgegentrete.«

Desith gefiel der Gedanke nicht, dass Vynsu allein den Kopf hinhalten musste. Er wollte gerade vorschlagen, dass Vynsu doch einfach hierbleiben konnte, als sein Vater schon sprach.

»Lasst Melecay meine Sorge sein.« Er lächelte siegesgewiss. »Ich bin sicher, er kehrt erst einmal nach Hause zurück, mit seinem Drachenziehsohn, bevor er mir einen wütenden Brief darüberschreibt, dass Desith ihm Treue schuldet.«

Daran hatte Desith überhaupt nicht mehr gedacht. Er sah von seinem Vater zu seiner Mutter und versuchte, nicht so ängstlich auszusehen, wie er sich jetzt fühlte. Beruhigend strich sie ihm über das Gesicht, ihre Wärme gab ihm Halt.

»Nun denn, Ihr seid zum Abendessen eingeladen, Vynsu, jemand wird Euch ein Gemach zuteilen.« Der Kaiser wandte sich zum Gehen. »Kommt erst einmal an und ruht Euch aus.«

Desith sah ihm nach und kam trotz der Freundlichkeit, mit der er aufgenommen wurde, nicht umhin sich zu fragen, ob sein Vater ihn unter den gegebenen Umständen überhaupt hierbehalten – oder vielleicht sogar ausliefern würde.

Immerhin hatte Desith ihn verraten und einem anderen König die Treue geschworen.

Kapitel 20

Es gab Bananen. Die Sklaven stürzten sich auf die Kisten, die von den Wärterinnen gegen Mittag geöffnet wurden, sobald sie die Erlaubnis dazu hatten. Sarsar traute der Sache noch nicht und nahm sich ein Beispiel an Chusei, hielt sich zurück. Er konnte die Spannung unter Seinesgleichen regelrecht spüren, sie würden sich um die letzte Banane prügeln, wenn nicht genug da wären, und einige von ihnen nahmen so viel aus den Kisten, wie sie tragen konnten, schubsten und pöbelten. Selbst die zischende Peitsche der Aufseherin konnte sie nicht stoppen.

Aber nicht nur die Aussicht, niedergeschlagen zu werden, ließ ihn die Kisten mit Argwohn betrachten. Bisher hatte es nie eine Pause gegeben und schon gar nicht hatten sie ihnen je ganze Karrenladungen Essen geschenkt.

Die Kriegerinnen standen am Rande und hatten diebische Freude, dem Gerangel an den Kisten zuzusehen. Sie lachten, wenn ein Schwächerer von einem Stärkeren fortgestoßen wurde, griffen nur dann ein, wenn ein Sklave einen anderen schon an der Kehle gepackt hatte.

Chusei trat nervös neben ihm von einem Bein auf das andere, sein Magen knurrte allein bei dem Anblick der Bananen. »Geh und versuch dein Glück«, sagte Sarsar, »ich werde gern von hier aus Steine auf alle schmeißen, die dich wegstoßen.«

Der Halbpanther knickte die Öhrchen ein und sah ihn dankbar an. »Ich verzichte lieber. Das ist ohnehin nur ein Auswahlverfahren. Wenn sie fertig sind, liegen meistens noch Reste in den Kisten, die können die Schwächeren dann haben.«

Sarsar sah ihn fragend an. »Auswahlverfahren?«

Chusei nickte unauffällig zu den runden, am Dach spitzzulaufenden Zelte der Bergstadt, wo die Stammesführerin, die einige Tage hierblieb, mit ihrem Zuchtsklaven im Schlepptau auf den Platz vor den Mineneingängen trat und kritisch das Treiben an den Kisten beobachtete.

»Sie können uns nicht zwingen, gegeneinander anzutreten, also werfen sie Essen in die Runde und sehen zu, was geschieht.«

Sarsar begann zu verstehen und verfolgte das Spektakel mit größerem Interesse und neuem Blick.

»Die Stärksten, die sich behaupten können, werden aussortiert und weiteren Prüfungen unterzogen. Einige wenige Glückliche schaffen es so hier heraus und werden zu höheren Sklaven erhoben.«

Fast wie früher in den Arenen von Elkanasai, als der Sklavenhandel noch blühte, lange bevor Kaiser Eagle Airynn sie verboten hatte. Sofern Sarsar denn in der richtigen Zeit gestrandet war. Doch mit dem Erwachen seiner Magie, spürte er an einigen älteren Sklaven den Hauch der fremden Macht kleben, die er bekämpft und letztlich in sich aufgenommen hatte, um eben jene Sklaven von ihrem Einfluss zu befreien. Das hatte natürlich nicht das gesamte Land mitbekommen, niemand hatte es mitbekommen, der nicht mit ihm dort unten im Turm gewesen war und das Portal geschlossen hatte. Gewiss gab es Gerüchte, aber natürlich würde niemand wissen – oder ihm glauben – dass ausgerechnet er daran beteiligt gewesen war, Zadest von einer Magie zu befreien, die wie ein Parasit handelte und Lebewesen wie Wirte benutzte.

»Zu was werden sie erhoben?«, fragte Sarsar.

»Lustsklaven, wenn es den Kriegerinnen gefällt, natürlich dürfen sie sich nicht vermehren, wenn sie Mischlinge sind, aber …« Chusei sah ihn auffällig an. »Du verstehst schon. Ein Weibchen hat auch seine Bedürfnisse, vor allem wenn es läufig wird.«

Sarsar lächelte milde. »Ja, ich glaube, ich kann dir folgen.«

»Manche erlangen die Freiheit durch Stärke, die dürfen dann in abgelegenen Dörfern ein einfaches Bauernleben führen, natürlich unter der Vorrausetzung, dass sie ihre Ernte an die Frauen abtreten und niemals wagen, ihr Land zu verlassen.«

»Du weißt sehr viel.«

Chusei grinste plötzlich stolz. »Nun ja, anfangs war ich so etwas wie … ein Exot. Die Stammesführerin hat mich gern in ihr Zelt eingeladen und wollte mehr über mein Volk wissen, sie plauderte auch gern bei einer Tasse Tee über ihr Volk. Es waren unterhaltsame Nachmittage.« Sein Strahlen erblasste und wich Enttäuschung. »Wie mit allen Haustieren, hat sie irgendwann das Interesse verloren, und es wurde langweilig, sich mit einem sprechenden Panther zu unterhalten.«

Sarsars Blick glitt wieder hinüber zu der Stammesführerin, die anders als die Wärterinnen neugierig, statt belustigt die Sklaven betrachtete, die sich mittlerweile fast alle in einer ernstzunehmenden Prügelei um Bananen befanden.

Deswegen hatten sie die Essensrationen seit drei Tagen halbiert, sie hatten sie hungern lassen, damit die gelben Schalen noch schmackhafter aussahen. Einige schwächere Sklaven folgten Sarsars und Chuseis Beispiel und blieben am Rande stehen oder huschten erniedrigt dorthin zurück.

Sie fanden sich lieber mit dem Leben in den Minen ab, als Prügel einzustecken, einige bluteten aus aufgeplatzten Mündern, Augenbrauen oder Stirnwunden.

»Es gibt also so etwas wie Freiheit in diesem Land«, murmelte Sarsar und betrachtete wieder nachdenklich die Stammesführerin. Sein Blick zuckte zu dem Zuchtsklaven hinter ihr, auf dessen Stirn noch immer kalter Schweiß stand und der sichtlich bemüht war, sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihm alles andere als gut ging. Grübelnd legte Sarsar den Kopf schief, seit Tagen ging ihm das Leiden dieses Dschungelbewohners nicht aus dem Sinn. Er blickte zurück zu den blutenden Sklaven und wieder zum Zuchthengst der Stammesführerin und zu ihr selbst. Ein Plan nahm Gestalt an. Er wusste noch nicht, wozu er gut war, aber er nahm Formen an, die vielleicht nützlich sein könnten.

Chusei lehnte sich zu ihm rüber und raunte: »Schlag dir das aus dem Kopf, du bist so dünn wie ein Grashalm, du kannst dir deine Freiheit nicht im Kampf um eine Banane erschleichen.«

Sarsar begann zu schmunzeln. »Das muss ich auch nicht.«

*~*~*

Er wartete bis es Abend war und sie wieder unter die Erde getrieben wurden. Acht Sklaven in jeder Zelle, sie waren weniger, die Stärksten waren nicht mehr unter ihnen.

Ihnen wurde wieder die übliche Portion Brot und Wasser gereicht, dazu gab es Bandagen und Wasser, damit diejenigen, die verletzt waren, sich waschen konnten.

Es war selbstverständlich niemand umgekommen, darauf achteten die Wärterinnen penibel.

Sarsar saß in seiner üblichen Ecke, Feuchtigkeit tropfte von der Decke direkt neben ihn auf den Boden, er hatte die Hände unter die Achseln geschoben und drückte sich in eine Nische. Eine Angewohnheit, um sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Chusei schlürfte neben ihm den Brei, den er jeden Abend zusammenpanschte, indem er das Brot in sein Wasser bröselte und aufweichen ließ, sodass Sarsar fast würgen musste. Aber der Panther aß mit solchem Hunger, dass es fast schon wieder amüsant war. Wie eine Katze, der man ein Schälchen mit Milch auf die Fensterbank stellte, leckte er die Schale aus, sein Schwanz und seine Ohren zuckten freudig.

»Verzieh nur das Gesicht«, sagte er immer, »aber mir nimmt niemand das Essen weg.«

»Weil es widerlich aussieht«, gab Sarsar trocken zurück.

Trotz, dass die Stärksten unter ihnen nun nicht mehr da waren, waren noch genug größere und kräftigere Männer in der Zelle, die Sarsar das Brot wegnahmen. Natürlich kämpfte er oft genug darum, aber manchmal war er einfach von der Arbeit zu müde.

An diesem Abend hatte er eilig von seinem Brot ein Stück abgerissen und es sich in die Hose gestopft, bevor ihm der Rest aus den Fingern gerissen wurde. Die Stimmung in der Zelle war so angespannt, dass die Atmosphäre beinahe einem Gewitter glich. Die zurückgebliebenen Sklaven waren wütend und frustriert darüber, noch hier zu sein, einigen war bewusst geworden, dass sie nicht so stark waren, wie sie immer geglaubt hatten, was ihre Unzufriedenheit nur noch mehr verstärkte. Und dieser Groll musste natürlich irgendwo raus. Selbst Chusei und einige andere schwache Sklaven wurden von den anderen schikaniert, um Überlegenheit auszudrücken und den eigenen Stolz wiederherzustellen.

Als alle mit dem Essen beschäftigt waren – oder hungrig in der Ecke saßen – zog Sarsar die Brotkante hervor und nagte heimlich daran. Er hätte ja geteilt, aber es war kaum genug, um selbst satt zu werden, und er musste zu Kräften kommen.

 

Doch als er beobachtete, wie ein kräftiger, junger Bursche, der einen geschwollenen Wangenknochen hatte, aufstand und ohne zu zögern auf einen Schwächeren zuging, konnte er nicht einfach dasitzen und zusehen, wie der Mitgefangene von dem Größeren niedergerungen und geschändet wurde. Sie waren keine eingesperrten Affen, die eine neue Rangordnung festlegen mussten!

Ehe Chusei ihn aufhalten und zur Vernunft bringen konnte, warf er den Rest von seinem Brot und traf den Sklaven am Kopf, der den anderen unter sich drückte.

Wutentbrannte und gleichsam überraschte Augen starrten ihn an. Chusei verschluckte sich an seinem Brei, als er begriff, was geschehen war. Plötzlich schien die Zelle totenstill und alle starrten Sarsar an.

Er stand auf, seine Lippe zuckte wütend und er ballte drohend die Hände zu Fäusten. »Lass ihn sofort los!«, knurrte er. Natürlich verstanden sie ihn nicht, er hatte beabsichtigt, dass ihn niemand verstand. Sein Tonfall genügte, um zu verstehen, was er wollte.

»Hör auf!«, zischte Chusei und zupfte an seinem Ärmel, damit er sich wieder hinsetzte. »Willst du, dass sie dich totprügeln?«

Mit einem Knurren und Worten in einer anderen Sprache, die nach Warnungen klangen, stand der Muskelprotz auf. So groß und so breit war er jedoch gar nicht, vielleicht Xaiths Statur, eher schlank und drahtig, wenn auch kräftig, aber lange kein Berg wie Vaaks.

Sarsar machte einen drohenden Schritt auf ihn zu, während der kleine Sklave die Gelegenheit nutzte und davonkroch. Aber nicht, ohne Sarsars restliches Brot aufzuklauben und es sich ans Herz zu pressen, während er damit im Schatten verschwand.

Der kräftige Bursche kam auf Sarsar zu, hatte eine neue Gelegenheit gefunden, seine Überlegenheit zur Schau zu stellen, und schubste ihn mit Drohungen auf den Lippen.

Sarsar taumelte zwar unter dem Stoß, trat aber gleich darauf wieder auf ihn zu, starrte ihm unbeugsam in die Augen. Das provozierte den anderen nur umso mehr, er stieß Sarsar mit beiden Händen kräftiger zurück. Doch Sarsar tat nichts, außer sich ihm wieder entgegen zu stellen. Er schlug nicht zu, er würde niemals zuerst zuschlagen. Es genügte, ihm einfach in die dunklen Augen zu starren. Das machte den Burschen so unsicher, dass er den ersten Schritt machte und Sarsar die Faust auf die Wange schlug, dass ihm das Gesicht rumflog.

Sarsar biss die Zähne zusammen, der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, seine Wange pochte. Doch er erwiderte den Schlag nicht, sah einfach wieder auf und starrte den Sklaven wütend aber schweigend an.

Erneut traf ihn ein Schlag, dieses Mal auf die andere Wange. Er keuchte, es fiel ihm immer schwerer, stand zu halten und wieder Haltung anzunehmen. Den anderen verunsicherte es so sehr, dass ihm seine Verwirrung deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Sarsar dachte aber nicht daran, vor ihm in die Knie zu gehen, noch würde er einen Kampf beginnen, den er nicht gewinnen konnte. Denn wenn er anfing, sich zu wehren, würden die anderen eingreifen.

Die Pferde gingen mit dem Sklaven durch, als Sarsar auch nach dem fünften und sechsten Schlag – die deutlich schneller hintereinander ihr Ziel fanden als die vorherigen – keine Resonanz zeigte.

Er packte Sarsar an der Kehle und schrie auf ihn ein. Instinktiv packten Sarsars Hände die starken Arme des Sklaven und wollten sie auseinanderzerren. Er hatte natürlich nichts entgegen zu wirken, die Luft wurde ihm abgedrückt, als würden sich Felsen um seinen Hals zusammenziehen. Er verlor das Gleichgewicht, als der Sklave ihn rückwärtsschob. Sie fielen gemeinsam zu Boden. Er lag auf dem Rücken, sein Blick war längst verschwommen, schmerzhaft traten seine Augen hervor und ihm wurde die Zunge aus dem Mund gedrückt. Chusei riss an der Schulter des Sklaven, wurde aber gegen die Wand gestoßen.

Blind tastete Sarsar den Boden ab, seine Ecke lag direkt neben ihm und er suchte panisch nach dem, was er schon seit seinem ersten Tag dort versteckt hielt und für einen besonderen Moment aufgespart hatte. Gerade als er glaubte, dass der Sklave ihm jegliches Leben mit bloßen Händen aus dem Leib presste, ertastete er die unebene Oberfläche des faustgroßen Steins, der wegen der Feuchtigkeit aus der Wand gebrochen war. Mit aller letzter Kraft schlug er dem wildgewordenen Burschen damit gegen die Schläfe.

Im nächsten Moment war er frei und sog stöhnend Luft in seine Lungen, dabei warf er sich herum, hustete und keuchte wie ein Ertrunkener, den man an Land gezogen und gerade widerbelebt hatte.

Chusei war sofort neben ihm, die Hand auf seinem Rücken. »Was hast du getan?«, raunte er.

Die anderen Sklaven standen bereits auf, noch zu geschockt, um zu begreifen. Sie hatten bis zuletzt geglaubt, ihr Kamerad hätte alles im Griff.

Sarsar ignorierte den Schmerz in seiner Kehle, Tränen liefen ihm aus den brennenden Augen und irgendetwas in seinem Rachen pfiff beunruhigend, wenn er einatmete. Aber er musste jetzt schnell handeln. Der Sklave lag mit einer schweren Kopfwunde halb benommen aber noch bei Bewusstsein neben ihm auf dem Rücken, Blut rann über seine Schläfe in sein Ohr.

Sarsar kroch auf seine verschwitzte Brust, ehe die anderen sich einmischen konnten, und setzte sich auf. Da ging ein Ruck durch einige Mitgefangene, die ihrem Freund helfen wollten. Ketten klirrten. Sarsar schloss die Augen, versuchte, sich zu konzentrieren, und streckte die Hände aus, um sie um den Kopf des Verletzten zu legen. Seine Magie war wie eingefroren, doch sie ließ sich durch reine Willenskraft ermutigen, aufzuwachen. Es knisterte in der Luft und seine Hände begannen blau zu leuchten. Die anderen wichen wieder zurück, selbst Chusei. Mit ungläubigen Gesichtern sahen sie dabei zu, wie Sarsar die Kopfwunde des Sklaven heilte. Es kostete ihn einiges an Kraft, vor allem nachdem er beinahe erwürgt worden wäre. Es war nicht leicht, seine wabernde Aura zu bändigen, um sie wie einen sanften Windzug durch seinen reinen Willen nach vorne fließen zu lassen, damit sie die Wunde wieder zusammenwachsen ließ.

Danach brach er beinahe auf der Brust des Sklaven zusammen, er keuchte schwer und ihm war schwindelig, wie nach einem Bergaufstieg. Er blinzelte, der Sklave sah ihn erstarrt an, wagte nicht, sich zu rühren. Westliche Magie sahen sie vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben.

»Chusei«, keuchte Sarsar, »sag ihnen, ich heile jede verdammte Wunde in dieser Zelle. Hier und jetzt. Aber nur, wenn sonst niemandem mehr Schaden zugefügt wird.«

Chusei selbst schien sich vor ihm zu fürchten.

»Chusei!« Sarsar suchte den Blick seines Freundes und lächelte milde, als dieser ihm ins Gesicht blinzelte, als wüsste er nicht, ob er träumte. »Sag es ihnen.« Er nickte aufmunternd. »Sag ihnen, ich kann jedes Gebrechen heilen. Ich will nur helfen.«

Natürlich hätte Sarsar ihnen auch ganz einfach anbieten können, sie zu heilen, aber wer hätte ihm denn vertraut? Er musste es ihnen vorführen, aber keiner hätte ihm freiwillig eine Wunde anvertraut.

Chusei riss sich zusammen und nickte. Dann übersetzte er, und obwohl Argwohn und sogar pure Angst in manchen Gesichtern stand, kamen ein paar verletzte Sklaven mit rasselnden Ketten vorsichtig aus ihren Ecken.

Sarsar lächelte sie an und winkte sie zu sich. »Kommt! Keine Furcht. Es ist eine Gabe der Götter.«

Natürlich verstanden sie ihn nicht, aber sein sanfter Blick und sein liebevoller Tonfall weckten ihr Vertrauen. Zumindest das derjenigen, die zu starke Schmerzen litten, als dass sie im Stande wären, dieses Wunder nicht anzunehmen.

Teil 2: Werkzeuge

Eine Krone will ich dir schenken. Eine Krone, die deiner würdig ist.

Kein Gold, kein Silber und kein Juwel werden dein Haupt schmücken.

Eine Krone aus Knochen und Blut.

Ein Königreich möchte ich dir schenken. Ein Königreich aus Dunkelheit und Kälte.

Kein Gold, kein Marmor schmücken unsere Städte.

Eis soll unser Reich sein.

Macht möchte ich dir schenken. Macht wird uns befreien.

Nicht dein Herz soll mir gehören, Treue wird uns zu Ruhm führen.

Eine Krone will ich dir schenken.

Blut wird über dein Haupt fließen.

Kapitel 21

Es war noch alles genauso, wie er es verlassen hatte. Das Bett mit den goldenen Seidenbezügen, die durchsichtigen Vorhänge, die im Wind wehten, sein Holzschwert auf der Kommode, selbst seine Sandalen, die ihm längst nicht mehr passten, sie standen an seinem Sessel. Sogar die Strichmännchen Zeichnung an der Wand hinter der Tür, deretwegen sein Vater ihn erst bestrafen wollte, sie dann aber an der Wand geduldet hatte, weil sie Desith wichtig war. Sie zeigte ihn und Derrick, kämpfend auf einem Baumstamm.

Die Feuerschalen waren die gleichen, die er kannte, der Zuber stand an seinem Platz in einer Ecke hinter einem Vorhang, aber mit Blick aus einer Fensteröffnung. Auf seinem Tisch stapelten sich ungelesene Bücher und Schriftrollen. Lernmaterial, das er nie freiwillig angefasst hatte. Pergament lag bereit, das Tintenfässchen war verschlossen, die Feder schmutzig und unbrauchbar. Desith strich über die leeren Seiten. Alles war noch genauso, wie er es verlassen hatte, Diener sorgten dafür, dass sich kein Staubkorn niederlassen konnte. Es war so, als wäre er nie fort gewesen, und als hätten seine Eltern nie gänzlich akzeptiert, dass er sie verlassen hatte.

Derricks Briefe lagen noch auf dem Tisch. Sie waren der einzige geordnete Stapel, und die einzigen Wörter, die Desith je begeistert gelesen hatte. Es waren viele. Derrick hatte ihm nach seinem Jahr auf der Akademie in Elkanasai jeden Tag aus Carapuhr einen Brief geschickt. Einige Zeit war es still gewesen, als er geprüft hatte, ob Desith bereit war, auf ihn zu warten.

Dann kam er ihn besuchen, nicht für immer, aber lange genug, um ihm einen ersten Kuss zu schenken. Und als er wieder abgereist war, kamen wieder mehr Briefe mit Inhalten voller Sehnsucht, die zu mehr Küssen und mehr Verlangen führten, wenn er zu Besuch war.

Sie hatten sich jung kennen gelernt, sich jung verliebt. Und ihre Liebe hatte so lange bestand gehabt…

Desith schluckte die aufkommende Trauer herunter, sein Herz schlug schwer in seiner Brust. Er griff nach den Briefen, nahm den ersten vom Stapel und drehte ihn zwischen seinen Fingern. Sie waren allesamt abgegriffen vom vielmaligen Auffalten und Lesen.

Desith klappte vorsichtig das Pergament auseinander und schlenderte zum Balkon, blieb unter dem Bogen im sanften Wind stehen und überflog die Zeilen.

Es sind kalte Nächte ohne dich. So sehr die Blicke und der Hass deines Vaters mir auch entgegenschlagen, ich wäre lieber bei dir geblieben. Sie können mir nichts anhaben, solange ich dir nahe bin. Du fehlst mir. Aber die Erinnerung an deine erste Berührung hält mich warm, auch wenn hier der Winter Einzug hält. Mir schwirrt noch der Kopf, aber das weißt du. Ich glaube, ich hatte mehr Angst als du…

Desith konnte nicht verhindern, dass er lächeln musste. Es waren seine Lieblingszeilen, deshalb lag der Brief auch stets ganz oben auf dem Stapel. Der erste Brief nach ihrer ersten leidenschaftlichen Liebesnacht. Leider las er die Zeilen an jenem Tag nicht ohne Beklemmung. Trauer überkam ihn und er musste sich eingestehen, dass es wehtat, loszulassen, auch wenn er voll und ganz hinter dem eigenen Entschluss stand. Etwas endete, was einst seine ganze Welt gewesen war.

Oh er liebte Rick, würde ihn immer lieben, keine Frage. Aber das änderte nichts daran, dass es keine gemeinsame Zukunft für sie beide gab.

Zukunft… Desith erinnerte sich daran, dass Rick einst eine Vorhersage gemacht wurde. Eine Vision, ein Traum, von Desith in Felle gehüllt vor einem Schamanen in Carapuhr. Er, bei ihrer Vermählung. Sie waren sich ganz sicher gewesen. Und auch in dem Brief erwähnte Derrick diese Vision.

nicht verzagen, wir werden zusammen sein. Ich weiß es, Desi. Der Fremde in der Höhle hat es mir gezeigt, ich habe dich in Carapuhr am Tag deiner Vermählung gesehen. Es ist nur eine Frage der Zeit…

Desith seufzte schwer. »Du hast dich geirrt.«

Er hoffte es zumindest, denn wenn nicht, würde Desith der Zwangsehe doch nicht entgehen. Aber der Rick in den Briefen, war nicht mehr der Rick sieben Jahre später, dessen einzige Sehnsucht nicht mehr Desiths Nähe, sondern die Antwort auf Sarsars Verbleib war. Die bittersüßen Zeilen waren die eines liebestollen Burschen, doch der Mann, zu dem dieser geworden war, hatte schon lange nicht mehr solchen Honig in Desiths Ohr geträufelt.

 

Und Desith wollte nicht mit einem Mann vermählt sein, für den er nicht die Welt war. Er würde immer wissen, dass man sie gezwungen hatte, zusammen zu sein, selbst wenn er Rick liebte, er würde ihn ansehen und immer wissen, dass sie nicht aus Liebe zusammen waren. Und dass Rick lieber nach einem Verlorenen suchen wollte.

Dass alles, was sie einst geeint hatte, nur noch Zwang war.

Er hasste diese Vorstellung und würde sich zu wehren wissen. Niemand, nicht einmal ganze Reiche würden ihn wie ein Weib in eine Ehe zwingen. Er war ein freier Mann und würde seinen Weg von nun an immer selbst bestimmen.

Er hörte den Stock seines Vaters draußen im Flur dumpf auf den Teppich schlagen, gefolgt von dem Echo seines Holzbeines. Desith stopfte den Brief zurück zu den anderen und fragte sich für einen kurzen Augenblick, ob sein Vater während seiner Abwesenheit die Briefe gelesen hatte. Ob er sie vielleicht sogar schon durchgesehen hatte, als Desith noch bei ihm gelebt hatte. Die Vorstellung gefiel ihm, weil er sich den Schock seines Vaters vorstellte, wenn er Ricks Schwärmen über ihren Beischlaf las und es bildlich vor Augen hatte.

Obwohl die Tür offenstand, klopfte er mit einem Knöchel an den Rahmen. Desith sah auf, sein Vater wurde von zwei kräftigen Spitzohren in knappen, weißen Gewändern begleitet, die jeweils zwei Eimer auf den Schultern balancierten.

»Wäre dir ein Bad vor dem Mahl genehm?«, fragte sein Vater vorsichtig.

Dankbarkeit ließ Desith ein Stück in die Knie sacken. Die Aussicht, in den Zuber zu steigen und sich mit echter Seife zu waschen, ließ ihn stöhnen. Sieben Jahre lang hatte er nur in Flusswasser gebadet. Sieben seifenlose Jahre, bedeckt mit feuchtem Schweiß.

»Ein Bad wäre wundervoll.«

Sein Vater lächelte, offensichtlich erleichtert, etwas richtig gemacht zu haben. Dann winkte er den beiden Dienern und bedeutete ihnen, an ihm vorbei zu gehen. Er selbst kam gemächlich herein, als wäre er nicht sicher, ob es Desith recht war.

»Es ist alles noch genauso, wie ich es verlassen habe«, raunte Desith, nur um irgendetwas zu sagen, und strich über einige Dinge auf seinem Tisch. Das Tintenfässchen, die Feder, die Bücher.

Die Augen seines Vaters folgten seiner Hand. »Aber natürlich. Es ist dein Zimmer.« Er zuckte mit den Achseln, als sei die Tatsache, dass hier alles unangerührt geblieben war, selbstverständlich. Desith lächelte heimlich. Sein Vater kam etwas näher.

Das Wasser plätscherte aus den Eimern in den Zuber, Öle und Seifen wurden bereitgestellt, warme Tücher und eine saubere Toga auf einen Stuhl gelegt. Dann huschten die Diener leise wieder hinaus, sie schlossen die Tür hinter sich.

Erst dann sprach sein Vater weiter. »Deiner Mutter und mir wäre nie in den Sinn gekommen, etwas zu verändern, Desith, oder diesen Raum gar auszuräumen. Du bist unser Sohn, ganz gleich, wohin du auch gehst und wie lange du fortbleibst, selbst wenn du uns den Rücken für immer kehren willst, meine Türen und Tore werden für dich offenstehen.«

Desith drehte sich nicht zu ihm um, er stieß einen humorlosen Laut aus. »Das sind ja ganz neue Töne, die du anklingst«, murmelte er.

Sein Vater blieb hinter ihm stehen und stützte sich mit beiden Händen wieder auf den goldenen Knauf seines Gehstocks. »Ich habe nie gesagt, dass du dieses Haus nicht mehr betreten darfst. Du bist fortgegangen.«

»Weil du es nicht ertragen konntest, dass ich einen anderen Jungen liebte«, warf Desith ihm vor und drehte sich zu ihm um. Die alte Wut flammte wieder auf.

Betont ruhig sah sein Vater ihm entgegen. »Das ist nicht das, worum es ging. Mein eigener Vater – dein Großvater – hat zeit seines Lebens immer nur Männer geliebt, meine besten Freunde liebten Männer, ich habe nichts dagegen, es ist mir gleich. Liebe ist Liebe. Aber Derrick … Derrick ist ein Halbdämon, dessen Kräfte und dessen Abgründe wir Außenstehende doch gar nicht verstehen können!« Er klopfte mit dem Stock auf den Boden, um seine Worte zu untermalen. »Ich hatte Angst um dich, das ist alles.«

Desith zischte arrogant. »Ach komm, sei ehrlich, du willst es nicht zugeben, aber du konntest dich nicht damit anfreunden, dass dein Sohn mit einem Mann zusammen sein möchte. Erzähl mir nichts, Mutter glaubt dir vielleicht, aber ich weiß es besser.«

Sein Vater senkte tatsächlich ertappt den Blick und musste durchatmen.

»Na gut«, gestand er ein, und Desith wusste im ersten Moment nicht, ob er erleichtert oder wütend war. Vielleicht wollte er es gar nicht so genau wissen. »So gesehen, ja. Vielleicht ein wenig. Aber kannst du es mir verübeln, dass ich für meinen Sohn ein anderes Leben im Sinn hatte?« Er zuckte mit den Achseln und blickte Desith in die Augen. »Als ich dich das erste Mal auf dem Arm hielt, hatte ich dein Leben ganz genau vor Augen. Wie du heranwächst, wie du in meine Fußstapfen trittst, eine Frau – vielleicht sogar eine Elkanasai – nimmst, Kinder bekommst und zum Kaiser gewählt wirst, wenn ich zurücktrete. All das war in meinem Kopf und wurde in dem Moment zerschlagen, als ich spürte, dass sich zwischen dir und Melecays Ziehsohn mehr als Freundschaft auftat. Und schon war der Traum zerschlagen. Keine Schwiegertochter, keine Enkel, und du wolltest lieber in Carapuhr leben. Ob es mich störte? Ja, das gebe ich zu. Ich bin eben ein Vater, ich wollte dich nicht verlieren, an niemanden.«

Desith bemühte sich, nicht sofort wieder rumzuschreien und dem Druck in seiner Brust Luft zu verschaffen.

»Ich habe dich enttäuscht«, stellte er fest, sah es aber nicht ein, sich dafür zu entschuldigen. Er wandte den Blick ab, der die Bücher streifte. Seine Kiefer mahlten. »Auf so vielen Ebenen habe ich nicht deinen Erwartungen entsprochen. Abgesehen von meiner Vorliebe für Schwänze, war ich auch eine herbe Enttäuschung in Sachen Intelligenz, nicht wahr?« Er strich über die Bücher. »Es tut mir leid, dass ich nicht klug genug war, um in die Politik zu gehen«, sagte er zynisch.

Sein Vater runzelte irritiert die Stirn, nachdem er sich von der Bemerkung über männliche Genitalien und Desiths Zuneigung zu diesen erholt hatte. »Rede doch keinen Unsinn! Du bist nicht dumm, warts du nie! Wenn du gelernt hättest…«

»Ich bin dumm!« Desith fuhr wieder zu seinem Vater herum und hatte ihm mit seiner gereizten Betonung die Sprache verschlagen. »Natürlich bin ich dumm, Vater. In den Augen deines Reiches bin ich dumm.«

»Desith, hör auf, das zu sagen.«

»Verbiete es mir, und ich höre auf damit, aber es ändert nichts an den Tatsachen«, schmetterte Desith zurück und sah zu, wie sein Vater immer ratloser wurde. »Sieh dir nur diese Bücher an, Vater. Du sagst, ich hätte nur lernen und zuhören müssen?« Er stieß ein humorloses Lachen aus. »Die Hälfte der Bücher, die du mir gegeben hast, habe ich nicht einmal verstanden. Die andere Hälfte blieb nicht bei mir hängen. Mathematik? Ich weiß bis heute nicht, was das sein soll. Politik, Landesgeschichte, Wirtschaft? Vater, ich habe nie auch nur ein einziges Wort verstehen oder mir behalten können.«

Verwunderung zeichnete sich auf des Kaisers Gesicht ab, er schürzte die Lippen. »Aber, Desith, das ist kein Zeichen von Dummheit. Du warst faul und trotzig. Außerdem hättest du die Geschichte einfach nur auswendig lernen müssen. Das ist doch ganz einfach, du musst nur…«

»Lesen?«, unterbrach er ihn. Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Vater, du liest eine einzige Sache und merkst sie dir für den Rest deines Lebens. Aber ich kann das nicht, warum willst du das nicht verstehen? Ich war nie faul oder gelangweilt, ich habe versucht, so zu sein wie du, aber ganz gleich wie oft ich diese verdammten Bücher wälze, ich verstehe sie nicht und kann mir nichts behalten. So einfach ist das. Ich bin nicht wie du, Vater! Ich werde es nie sein.«

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?