Geliebtes Carapuhr

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»Trinkt das, es betäubt den Schmerz«, trug sie ihm sanft auf, als sie sich mit einem Hornbecher zu ihm umdrehte und langsam auf das Bett zukam.

Desith konnte sie nur anstarren, sein Mund glitt immer weiter auf. »Ihr … Ihr seid die Hexe Karrah.«

Sie lächelte milde und kniete sich vor sein Lager auf ein Wolfsfell, an dem noch der Kopf hing. »Die bin ich wohl. Trinkt, Prinz Desith, das tut Euch gut.«

Sie ließ keine Widerrede zu, legte ihm eine Hand in den Nacken und führte den Becher an seine Lippen. Desith schluckte das heiße Weingemisch, obwohl seine Kehle schmerzte. Dabei starrte er sie noch immer an, unschlüssig, ob er Ehrfurcht oder Angst empfand, wobei diese beiden Empfindungen nahe beieinander lagen.

»Ihr seid Vynsus Mutter«, flüsterte er noch immer perplex. »Ihr wurdet von König Desiderius großgezogen, der Unterweltfürst Bellzazar ist Euer Nennonkel! Ihr … Ihr wart dabei, als der Großkönig in einen spuckenden Feuerberg sprang, um das Ritual des Drachenzähmens zu vollenden. Ihr … Ihr seid… die Hexe aus Nohva. Ihr habt geholfen, das Tor der Unterwelt zu schließen, Ihr … wart beim Großen Krieg dabei…«

Sie lächelte nur milde über sein Gestotter, als wäre sie es gewohnt, dass Menschen in ihrer Nähe sprachlos wurden. »Einfach nur Karrah«, betonte sie bescheiden, stellte den Hornbecher ab und hob stattdessen einen Nachttopf an. »Müsst Ihr?«

Ihr strenger Blick hielt ihn nicht davon ab, zu lügen. Er schüttelte den Kopf und ignorierte den Druck auf seiner Blase. Er würde sich doch nicht vor der mächtigsten Hexe, von der er je gehört hatte, erleichtern.

Sie verengte wissend die Augen, drängte ihn aber nicht und stellte den Nachttopf wieder unter sein Lager. »Wie Ihr wünscht, sagt Bescheid.«

Das würde er niemals tun, lieber ließ er zu, dass ihm die Därme rissen. »J…ja…Mylady.«

Sie grinste belustigt. »Diese Anrede nutzen wir in Carapuhr nicht.«

»Nein, natürlich nicht, ich … ich …« Er senkte beschämt den Kopf, da er keinen vernünftigen Satz mehr Zustande bekam. »Vergebung.« Frustriert schlug er mit der Faust auf die Felle und bereute es sofort, sein Arm schmerzte noch immer bei der leisesten Bewegung, die Verbrennung spannte.

»Sehr höflich«, ihr Tonfall klang lobend, aber es schwang auch reichlich Belustigung darin. »Schlaft noch ein wenig, Prinz Desith. Die Nacht ist gerade erst hereingebrochen.« Sie stand auf und trug den Becher zu ihrem Tisch, wo sie stehen blieb und noch mehr Kräuter in einen Mörser gab.

Desith sah zum Zelteingang, konnte aber nicht erkennen, ob es draußen hell oder dunkel war. Zwar bestanden die Wände nun aus Stoff statt Leder, dennoch ließen sie kein Licht hindurch.

Der Trank zeigte langsam Wirkung, betäubte seinen Schmerz, aber ebenso seinen Verstand. Müdigkeit legte sich wie ein schwerer Mantel über ihn.

»Wo sind wir?«

»Dies ist das Lager des Großkönigs, wir sind in Elkanasai, kurz hinter der Grenze zu Zadest.«

Allein der Klang des Namens dieses abscheulichen Dschungels verursachte ihm ein Schaudern.

»Wie lange bin ich schon hier?«, wollte er wissen.

Sie drehte sich nicht um, ging gewissenhaft ihrer Arbeit nach. »Drei Tage.«

Drei Tage? So lange soll er geschlafen haben?

»Wurde mein Vater informiert? Ist er auf dem Weg?« Einerseits fürchtete er sich vor dessen Tadel und seiner Arroganz, andererseits hätte er ein so vertrautes Gesicht wie das seines Vaters gerade gut gebrauchen können.

»Darüber habe ich keine Kenntnis.«

Ein unbehagliches Gefühl machte ihm die Brust eng. »Wann kann ich nach Hause?«

Sie ließ sich unverschämt viel Zeit, um darauf zu antworten. »Bald gehen wir alle nach Hause«, sagte die Hexe schließlich irgendwann ausweichend.

Desith schüttelte den Kopf, war aber zu müde und musste sich hinlegen. »Ich meine … ich will … zu … zu meiner Familie…«

Seine Augen zuckten zu dem Stuhl, der vor seinem Bett stand, dort lagen Kleider für ihn bereit, feinsäuberlich zusammengefaltet und gestapelt. Aber seine Waffen fehlten. Oder hatte er sie gar verloren, bevor man ihn gefunden hatte? Er konnte sich nicht besinnen, der Trank vernebelte seinen Verstand.

»Ich will… zu meiner Familie.«

Ein Schatten fiel auf ihn, als die Hexe sich in das Kerzenlicht stellte und sich über ihn beugte. Ihre Lockenpracht hüllte ihn ein, sie roch nach Orchideen. »Du bist schon bei deiner Familie, mein Sohn. Das weißt du doch noch, oder? Du hast dem Großkönig die Treue geschworen.«

Er wollte noch verneinen, wollte ihr sagen, dass sein Schwur in dem Moment nichtig geworden war, als Rick … gegangen war. Aber der Schlaf übermannte ihn.

*~*~*

Mit dem schwindenden Fieber, wurden auch seine Träume klarer…

Desith stolperte durch den Dschungel, unter dem Blätterdach herrschte unheilvolldrohendes Zwielicht. Geflüster in den Schatten. Kein Tier schien sich zu regen, dafür schien etwas anderes hinter den Blättern zu lauern, etwas Böses. Er konnte regelrecht spüren, wie es ihn aus der Dunkelheit heraus beobachtete. Es war überall, auf jeder Seite, vor und hinter ihm, immer dort, wohin er gerade nicht blickte.

Gehetzt sah er sich um. »Rick?« Er wollte rufen, wollte schreien, aber die Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Mehr als ein heiseres Raunen entkam seinen Lippen nicht. »Rick?«

Ein Rascheln ließ ihn herumfahren, sein Herzklopfen pochte in seinen Ohren. Er wusste, dass er träumte, konnte den Traum aber nicht beeinflussen. Er ging dem Geräusch entgegen, obwohl er sich selbst anschrie, es nicht zu tun. »Rick?«

Etwas sprang aus dem dichten Unterholz in sein Blickfeld, groß und schlank, nicht mehr als ein Schatten. Er zuckte zurück, das Herz sackte ihm in die Hose, bis er ihn erkannte. Der Schatten nahm Form an, bekam ein Gesicht.

»Rick?« Er blinzelte. Es war Derrick, unverkennbar, groß und muskulös, aber mit einer Grazie, die ihm seine sterbliche, spitzohrige Mutter vererbt hatte. Doch etwas war anders an ihm, fremd und seltsam fern. Er sah Desith an – und doch starrten seine grünen Augen wie durch ihn hindurch, als wäre er in tiefen Grübeleien versunken.

Desith schluckte. »Rick? Lass uns nach Hause gehen, ja?«

Rick drehte sich jedoch einfach um, ohne ein Wort, und ging weiter in den Wald hinein. Suchte oben, suchte unten, blieb aber nicht stehen, folgte einer unsichtbaren Spur, wie ein Wolf der Witterung.

Ein unheimliches Schnattern wehte durch den Wald, die Bäume schienen zu stöhnen.

Desith eilte Rick nach, wollte ihn einholen und ihn festhalten.

Ganz gleich wie schnell er rannte, über kniehohe Wurzelgeflechte und umgestürzte Bäume hechtete, er holte Derrick nie ein, der – obwohl er langsam ging – ihm immer einen Schritt voraus war. Zum Greifen nahe, aber doch unerreichbar.

Desiths Herz raste ruhelos, panisch. Er brüllte aus Leibeskräften. »Rick!« Er wütete, spürte den Zorn, der ihm die Brust hinaufkroch und sauer schmeckte. »Rick! Lass uns zurückgehen! Warum bleibst du nicht stehen? Rick! Es ist sinnlos, wir müssen zurück! Hörst du mich? Bleib stehen, verdammt noch mal, du hohlköpfiger Bastard eines Dämons! Bleib verdammt noch mal stehen! Rick! He, Rick! Ich will heim, ich will nur … heim!« Mit jedem Wort verrauchte seine Wut und wurde zu Enttäuschung, zu Erschöpfung und schlicht zu Angst, weil Rick nicht stehen blieb, sich nicht einmal nach ihm umsah.

Desith wurde langsamer. Er wollte es nicht, aber der Traum bremste ihn, als ob ihn seine Ausdauer allmählich verlassen hätte, wie nach einem langen Lauf. Doch das spürte er im Traum nicht, er konnte gar nichts fühlen, bis auf die Empfindungen seines Herzens.

»Rick!« Er wurde panisch, je weiter Rick sich entfernte. Kopfgroße Blätter versperrten ihm immer wieder den Weg, wütend schlug er sie zur Seite, Derrick versank immer weiter im Zwielicht, bis ihn die Schatten gänzlich aufgesogen hatten.

Desith rannte los, auch wenn er bereits wusste, dass es sinnlos war. »Rick!« Er eilte diesem nach, konnte ihn aber nicht mehr finden. War er ihm überhaupt noch auf den Fersen? Desith wusste es nicht und irrte bald nur noch ziellos umher, drehte sich um sich selbst, eingeschlossen vom dunklen, dichten Dschungel, beobachtet von hungrigen Augen aus dem Unterholz.

Die Furcht ließ ihn blind davonrennen, doch er konnte dem Gefühl der Gefahr nicht entrinnen. Derrick war fort, und er war plötzlich im großen, unheimlichen Dschungel ganz allein, auf sich gestellt. Zwischen riesigen Raubtieren, giftigen Pflanzen und tödlichen Insekten. Ihm war, als ob hinter jedem Baumstamm der Tod lauerte.

Er war allein.

Und dann hörte er es. Das Grollen in der Dunkelheit, das Knacken und das Rascheln des Dschungels. Der Drache. Erschrocken fuhr er herum, starrte auf eine plötzlich schwarze Wand, und taumelte zurück. Nebel trat stoßweiße ins Zwielicht. Nein, kein Nebel, sondern Atem. Nach Schwefel stinkender Atem. Das Grollen wurde lauter, Desith erblickte die gewaltigen Nüstern des Drachen, der sich aus der Schwärze schob.

Er wartete nicht auf den Rest des Monsters, warf sich herum und rannte davon, sprang wie ein junges Reh durchs Unterholz, verfolgt von einem wütenden Brüllen und dem Geräusch eines gewaltigen Flügelschlags.

Sein Fuß verfing sich in einer Wurzel, und er stolperte vorwärts. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich mit den Händen voran abfangen, sie versanken in tiefem Matsch, unter ihm schimmerte eine dunkle Pfütze im Zwielicht. Doch er bemerkte, dass sie nicht sein Gesicht widerspiegelte. Sie zeigte gar nichts, auch als er sich tiefer hinab beugte. Er hatte kein Spiegelbild, als wäre er nur ein Geist.

 

Der Drache flog über ihn hinweg, brüllte, schien ihn nicht zu sehen. Aber das Unterholz um ihn herum knackte erneut, leise, es kam von überall und kreiste ihn ein. Er wankte auf die Füße und sah mit klopfendem Herzen zu, wie Gestalten in dunklen Umhängen und mit ausgestreckten Armen auf ihn zu kamen…

*~*~*

Vynsu schlug die Augen auf. Im ersten Moment wusste er nicht, was ihn geweckt hatte, aber seine Instinkte waren in Alarmbereitschaft. Wie ein Bär, der von dem Knacken eines Zweiges geweckt wurde. Er lauschte einen Moment, jedoch war es im Lager bei Nacht beinahe grabesstill, selbst vor dem Zelt schien sich nichts zu rühren, er konnte seinen eigenen Atem hören und das Zischen der Glut in den Feuerschalen. Da war sonst nichts.

Brummend bewegte er sich auf seinem Stuhl ein wenig hin und her, versuchte genervt, eine bequemere Position zu finden, aber durch die Nächte, die er bereits auf dem Holzstuhl an Desiths Seite verbracht hatte, taten ihm jegliche Gelenke und Knochen weh. Natürlich hätte er auch einen Barbaren abstellen können, der Desiths Bewacher spielte, aber sowohl er als auch seine Mutter und Jori hielten es für klüger, dass er sich selbst darum kümmerte. Er nahm diese Pflicht – auch wenn er sie nur aufgelastet bekommen hatte, um aus dem Weg zu sein – sehr ernst. Vermutlich hätte Vynsu ohnehin kein Auge zugetan, wenn er Desiths Schutz einem anderen Krieger anvertraut hätte. Außerdem tat es Vynsu auch für Derrick, für seinen Bruder. Er wollte dessen Gefährten beschützen, denn er wusste, Derrick hätte ihm den gleichen Gefallen erwiesen.

Vynsu verschränkte wieder die Arme vor der Brust, als es weiterhin still blieb, und rutschte tiefer an der Stuhllehne hinab, dann schloss er die Augen und schmatzte. Solange er hier saß, würde niemand an ihm vorbeikommen, weder ein Eindringling noch Desith. Keiner würde ein- noch ausgehen.

Plötzlich fiel ihm etwas auf. Wobei, eigentlich war es mehr das Aufflammen eines unguten Gefühls. Normalerweise schreckte er auf, wenn er spürte, dass sich außer ihm noch jemand im Raum befand, doch dieses Mal war es mehr das Gefühl, dass etwas fehlte…

Erschrocken richtete sich Vynsu auf und fuhr zum Bett herum. Desiths Lager war leer, kein Körper befand sich mehr darin. Das hatte ihn aufgeweckt! Kein Geräusch, kein Eindringling, sondern das Fehlen von etwas, das er bewachen sollte.

Fluchend stand er auf, ging um das Bett herum, als würde Desith wie durch ein Wunder wiederauftauchen, dabei rasselte sein Gürtel und seine Schwertscheide. Desith blieb natürlich spurlos verschwunden.

Er war ja so ein Hohlkopf! Warum hatte er nicht mitbekommen, dass Desith aufgestanden war?

Und wie konnte das überhaupt sein? Nach dem Trank, den Vynsus Mutter Desith verabreicht hatte, hätte dieser mindestens bis zum nächsten Abend durchschlafen müssen. Sie hatte es ihm versichert!

Zornig über sich selbst, seine Unfähigkeit verfluchend, stakste er durch das Zeltinnere auf den Ausgang zu und schlug die Plane zurück. Zwei Leibwächter waren davor positioniert, sie zuckten ebenso erschrocken zusammen wie er. Vynsu hatte von den weiteren Bewachern nichts gewusst.

Er sah die beiden Krieger nacheinander prüfend an, sie waren erfahrene Männer, aber noch nicht alt, etwa zehn oder fünfzehn Jahre älter als er, einer blond, einer braunhaarig, beide bärtig. Vermutlich Brüder, sie sahen sich ähnlich, aber er kannte ihre Namen nicht, obwohl er sich sicher war, dass er sie schon oft gesehen hatte.

»Prinz?«, fragte der Dunkelhaarige irritiert, als Vynsu sie nur grimmig anstarrte.

Er riss sich zusammen und schüttelte den Kopf. »Verzeiht, ich dachte, ich hätte etwas Ungewöhnliches gehört.«

Ein Nackenkitzeln hielt ihn irgendwie davon ab, die Wahrheit zu sagen. Er wollte das Lager nicht aufschrecken. Vielleicht wollte er aber auch nicht seine Schuld eingestehen, immerhin war ihm allein Desith entwicht. Ihm allein.

»Nein«, erwiderten sie unisono und tauschten miteinander verwunderte Blicke. »Alles still hier draußen«, versicherte der Blonde.

Grübelnd starrte Vynsu ihm in das markante Gesicht. »Niemand ging ein oder aus?«

Sie sahen sich an, als überlegten sie, ob sie es sich erlauben konnten, ihn zu fragen, ob er seinen verdammten Verstand verloren hätte.

»Niemand«, versicherte der Dunkelhaarige schließlich, sie hatten wohl beschlossen, Vynsu erst noch weiter zu beobachten, bevor sie sich ein Urteil über dessen geistigen Zustand erlaubten.

Er schnaubte und drehte sich bereits wieder um, als er noch ein letztes Mal innehielt. »Und ihr habt auch nicht geschlafen? Für keinen noch so winzigen Augenblick?«

»Nein«, versicherten sie ihm. »Eure Mutter stellte uns hier ab, als sie zu Bett ging, da haben wir Euch noch herumlaufen gehört. Niemand kam hier vorbei, Herr, die …« Der Blonde trat unbehaglich von einem auf den anderen Fuß. »Die Leute meiden das Zelt.«

Vynsu runzelte die Stirn, doch er hatte gerade keine Zeit, sich danach zu erkundigen, weshalb hier niemand freiwillig vorbeikam, immerhin hatte er gerade ein ganz anderes Problem. »Hm«, brummte er, »gut.«

Er zog sich wieder in das von Kerzenschein geflutete Innere zurück, Schatten tanzten über die Wände, als der Luftzug von draußen die Flammen bewegte.

Wie, beim Allvater, war Desith aus diesem Zelt gelangt? Vielleicht hatte er eine Wand aufgeschlitzt und war geflohen. Vynsu drehte sich um, um die Zeltplanen abzulaufen, als er abermals in dieser Nacht erschrocken zusammenzuckte.

Desith lag im Bett, friedlich schlafend, als wäre er nie fort gewesen.

Einen unbegreiflichen Moment lang stand Vynsu einfach da und starrte ihn, ohne zu blinzeln, an. Er lag noch genauso sabbernd auf der Seite, wie Vynsu ihn zuletzt gesehen hatte.

Hatte Vynsu sich getäuscht? Aber nein, so sehr konnten seine Augen ihn doch nicht trügen! Vielleicht hatte er noch geträumt.

Mit einem großen Bogen, als hätte Desith die Pest, ging Vynsu wieder um das Bett herum, eine Hand auf dem Knauf seines Schwertes, es gab ihm Halt. Seine braunen, gesprenkelten Augen suchten den Boden nach Spuren ab, doch dort war nichts, kein einziger Fußabdruck. Auch die Kleider, die für Desith bereit lagen, waren unangerührt, und er wäre wohl kaum nackt durch das Lager gelaufen und dann zurückgekehrt. Verwirrt ging Vynsu die Zeltwände ab, doch auch diese wiesen keinerlei Ausbruchsspuren auf. Niemand war herein, noch herausgekommen. Unmöglich.

Er fuhr sich über den violetten Schopf, seine Seiten waren frisch rasiert, seine Mutter hatte sich dessen angenommen.

»Ich werde noch verrückt«, murmelte er. Vielleicht hatte er geschlafwandelt. Trotzdem ließ ihn das drängende Gefühl nicht los, dass er sich nicht getäuscht hatte. Unbehagen legte sich um seinen Magen wie ein Eisenband, und zog sich langsam zu.

Er kratzte sich an der Schläfe und drehte sich wieder zu Desith um. Er legte den Kopf schief und betrachtete dessen schlanken Rücken mit schmalen Augen. Von hinten hatte er fast ein wenig Ähnlichkeit mit Lohna. Aber nur fast.

Leise trat er näher an das Bett heran und beugte sich über den schlafenden Wildfang, der selbst so still und friedlich irgendwie nach Ärger aussah. Es gab Männer, die betrachtete man nur ein einziges Mal und man wusste von vorne herein, dass sie einen ruhelosen, feurigen Charakter besaßen. Das war wie bei Pferden. Vynsu konnte einen Hengst bereits einschätzen, wenn er ihn nur in der Ferne auf der Weide grasen sah. Genauso erging es im mit Desith. Von Anfang an, als sie nur Jungen gewesen waren, hatte er gewusst, dass Desith sich nicht einfach ein Halfter anlegen lassen würde, zumindest nicht, wenn er es nicht höchstpersönlich zu seinem eigenen Vergnügen verlangte.

Und irgendwie ließ ihn das Gefühl nicht los, dass Desith ihm selbst im Schlaf an der Nase herum führte.

»Nicht mit mir«, sagte er zu dem Schlafendem, leise und grollend. »Hörst du, Desith? Du wirst dich schön brav benehmen, sonst Gnaden dir deine verbannten Götter.«

Plötzlich riss Desith die Augen auf und schnappte nach Luft. Vynsu war zu überrascht, um rechtzeitig zurückzuzucken, da hatte Desith ihn bereits mit erstaunlich kräftigen Fingern am Revers seines Hemdes gepackt und mit einem Ruck zu sich herab gezerrt.

»Dämonen!«, raunte er unheilvoll.

Vynsu runzelte die Stirn. »Was?« Er glaubte, dass Desith noch träumte, dass er die Wirklichkeit nicht erkannte, und legte beruhigend seine Hände um dessen kalte Finger, damit er sie sanft lösen konnte.

Aber Desith hatte sich wie ein Adler in seine Beute festgekrallt. »Dämonen«, wiederholte er und seine frostblauen Augen wurden erschreckend klar, er blinzelte. »Im Dschungel, Vynsu! Da waren Dämonen. Dämonen!«

Die Falten auf Vynsus Stirn wurden tiefer. »Du träumst.« Unmöglich, es gab keine Dämonen mehr, die unter den Sterblichen wandelten. Sie waren vor fast drei Jahrzenten vernichtet und verbannt worden, ebenso wie die Götter.

»Nein!«, spuckte Desith ihm entgegen, zog sich an Vynsu hoch, bis sich fast ihre Nasen berührten. In seinem Blick konnte Vynsu Furcht, aber keinen Wahnsinn entdecken. »Sie waren da, bevor du kamst. Sie … sie waren wirklich da. Gestalten in Umhängen, unter denen keine Gesichter lagen. Und sie wollten in meinem Kopf lesen. Sie … sie…« Ein Gedanke blitzte regelrecht in seinen Augen auf, als erinnerte er sich plötzlich an etwas, dass ihn noch mehr in Furcht versetzte. »Sie … verdammt, ich … Ich weiß nicht, was sie wollten. Aber ich schwöre dir bei der Liebe meiner Mutter, ich konnte spüren, dass die Finsternis an ihnen klebte, wie der Geruch von Scheiße! Und sie hatten Bänder an den Armen.« Er ließ Vynsu mit einer Hand los, um aufgeregt auf die entsprechende Stelle seines Oberarms zu deuten, auffordernd sah er Vynsu ins Gesicht. »Purpurne Bänder, als wären sie … eine Art … Kult oder so. Sie waren echt, Vynsu! Du musst mir glauben, sie haben mich aus dem Wasser gezogen! Ich weiß, dass sie echt waren, ich… ich … ihr müsst sie suchen, sie wollten etwas von mir, ihr müsst sie finden. Schwarze Umhänge, Vynsu, und Bänder an den…«

»In Ordnung«, Vynsu versuchte, ruhig auf ihn einzureden. »Aber sie sind jetzt nicht mehr hier und sie werden dich hier auch nicht finden, Desith. Das verspreche ich dir. Wir halten Ausschau, aber wir sind nicht mehr in Zadest.« Er legte seine großen Hände vorsichtig um Desiths Schultern und versuchte, ihn in die Felle zu drücken. »Sie sind weit weg. Jetzt schlaf noch etwas.«

Desith sah ihn nicht überzeugt an, seine Lippen bebten. »Aber… aber ich habe … sie waren…«

»Ja, aber jetzt nicht mehr«, sprach Vynsu weiter auf ihn ein, drückte ihn sanft nieder. »Jetzt bist du hier und ich bleibe bei dir sitzen, bis du dich wieder selbst wehren kannst.«

Desiths Blick huschte zwischen Vynsus Augen hin und her, forschten fiebrig in ihm. »Ich … ich…«

»Kein Dämon legt sich mit meiner Mutter an, in Ordnung?«

Das schien ihn etwas zu beruhigen, er gab seine Gegenwehr zumindest auf und sank auf das Lager, doch noch immer betrachtete er Vynsu mit aufmerksamen Augen, unter denen tiefe Ringe lagen, die im Kerzenschein beinahe bläulich schimmerten. Sein Gesicht war bis auf eine erhitzte Wangenröte noch immer beunruhigend blass.

»Du bist müde, du musst noch schlafen«, sagte Vynsu und zog die Felle über Desith schwitzenden, fiebrigen Leib. »Ruh dich aus, du bist nicht mehr im Dschungel. Keine Dämonen lauern hier, keine Drachen. Nur du und dein Fieber, das ist alles, wogegen du gerade kämpfen musst. In Ordnung?«

Desith starrte ihn an. »Ich fürchte mich nicht…«

»Nein, natürlich nicht. Warum auch.«

Desith betrachtete ihn, als überlegte er, ob Vynsu sich über ihn lustig machte. »Ich … ich glaube, mein Degen zerbrach an … an Ricks Panzer.« Als Derricks Name fiel, senkte Desith den Blick und seine Stimme wurde zu einem Flüstern, als schämte er sich für etwas.

Vielleicht dafür, dass er versucht hatte, Derrick zu verletzen. Dabei konnte Vynsu ihn verstehen, Liebe hin oder her, wenn ihn ein Drache angegriffen hätte, hätte er sich auch gewehrt.

Wobei er immer noch nicht richtig verstanden hatte, wie aus Derrick ein Blutdrache hatte werden können, aber das war eine andere Geschichte, die jetzt nicht von Belang war.

Vynsu nickte Desith zu und versprach: »Du bekommst eine neue Waffe. Solange bin ich dein Schwert.«

 

Auch das schien Desith zu beruhigen, seine Lider flatterten schläfrig.

»Schlaf jetzt weiter«, trug Vynsu ihm auf. »Wenn du wieder aufstehen kannst, gehen wir heim.«

Ein letztes Mal zwang Desith die Augen auf und betrachtete Vynsu mit einer beinahe beängstigenden Eindringlichkeit. »Versprichst du es mir?«, verlangte er rau. »Du bringst mich nach Hause, ja? Du hast es am Fluss gesagt, Vynsu, als du mich fandest. Du bringst mich heim. Versprich es mir!«

Vynsu zögerte, aber als Desith ihn weiter anstarrte, obwohl ihm die Müdigkeit sichtlich zusetzte, rang er sich ein Lächeln ab und legte ihm beruhigend eine Hand auf die nackte Brust, wo sich feuerroter Flaum ausgebreitet hatte. »Ja«, seufzte er schwer, »versprochen, Desith. Ich bringe dich heim.«