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Kapitel 6

»Seine wundersam schnelle Heilung macht ihnen Angst und führt zu allerlei abergläubischen Gerüchten«, sagte Bragi und streckte seine langen Beine über den Tisch aus, während er sich gleichzeitig einen Streifen gebackenes Fleisch zwischen die Kiefer schob. »Deshalb meiden die Mägde und Knechte sein Zelt«, schmatzte er mit vollem Mund weiter.

Vynsu lehnte auf der gefurchten Platte der langen Tafel und starrte grübelnd vor sich hin. Er hatte seine Freunde gefragt, was es damit auf sich hatte, dass Desith gemieden wurde wie ein Pestkranker.

Jori setzte sich mit einem vollen Krug Met neben Bragi, und Vynsu gegenüber, die Bank knarzte unter seinem Gewicht, dabei war er nicht beleibt, die Möbel waren schlicht morsch.

»Man munkelt allerlei über böse Geister im Dschungel, die von dem kleinen Kaisersöhnchen besitzergriffen hätten und ihn heilen. Dass er gar nicht mehr der Prinz Elkanasais ist, sondern ein schauriges Gruselmonster, das auf sie übergehen könnte, wenn sie ihm nur in die Augen sehen«, erklärte er Vynsu und griff ebenfalls zu dem Teller mit dem Fleisch, das ihnen zum Frühstück serviert worden war. Das Zelt war an jenem regnerischen Morgen wenig besucht, es war auch noch früh und bis auf die Knechte und Küchenmägde, die ihrem Tagwerk nachgehen mussten, war noch kaum jemand auf. Regenwaldtypisches Tröpfeln war auf dem Zeltdach zu vernehmen, in der Ferne grollte der Donner über die Reisfelder.

Für Vynsu hieß es, dass er Essen und eine Stunde schlafen konnte, solange sich seine Mutter um Desiths Wehwehchen kümmerte.

Nachdenklich griff auch er zum Fleisch, es war noch heiß und er hätte es beinahe fallen lassen. »Wir sollten etwas wegen dieser Gerüchte unternehmen.«

»Aber seltsam ist es schon, oder?« Bragi nahm die Stiefel vom Tisch, als Jori ihm dagegen schlug, setzte sich auf und griff nach Joris Becher. Jori wollte protestieren, da sprach Bragi unbeirrt weiter. »Ich liege mit weniger Verletzungen ganze Mondzyklen lang ans Lager gebunden flach. Wir fanden ihn halb tot, vergiftet, verbrannt, aufgeschlitzt und mit zermalmten Knochen, die Wunde an seinem Kopf so groß, dass ihm fast die Masse rausgekommen wäre!«

Er übertrieb wie immer, aber Vynsu musste zugestehen, dass Desiths Verletzungen beunruhigend schwerwiegend gewesen waren, aber wie durch ein Wunder so schnell heilten wie Mückenstiche. Vor nicht ganz einem Mondzyklus hatten sie ihn erst gefunden, mehr tot als lebendig.

»Du bist ja auch zur Hälfte ein verdammtes Spitzohr!« Jori riss Bragi den Krug wieder aus der Hand, während dieser gerade zum Trinken ansetzen wollte. »Dir fehlt unsere dicke Haut.«

Vynsus Augen zuckten zu Bragis angespitzten Ohren, die unter seinem bronzenen Haar herausstachen, doch er musste dem jungen Dieb Recht geben. »Trotzdem ist Desiths Heilung ein verdammtes Wunder, auch wir dickhäutigen Barbaren würden zu diesem Zeitpunkt noch um unser Leben ringen, während er fast nur noch Schrammen aufweist. Es ist, als ob sein Körper von innen heraus heilt, während er schläft. Als ob da etwas in ihm wäre, das ihn nicht sterben lassen will.«

»Also wie ein böser Geist, der ihn als Wirt benutzt«, mutmaßte Vala, als sie ein strammes Bein über die Bank schwang und sich neben Vynsu setzte. Das Leder ihrer Hose knirschte protestierend.

»Mehr wie … fremde Magie«, betonte Vynsu. Sie schwiegen alle daraufhin, Jori und Vala starrten ihre Hände an, Bragi nahm noch einen Streifen Fleisch und schmatzte Jori ins Ohr, während er nachdenklich in das Zeltinnere starrte. Sie alle kannten die Geschichte, auch wenn sie nicht dort gewesen waren. Als vor Jahren ein fremdmagisches Portal im Dschungel geschlossen werden musste, waren Desith und Derrick Teil der Gruppe, die das Portal gebannt hatten. Vynsu wusste nicht, was dort unten in den Ruinen des Turms von Zadest geschehen war, aber vielleicht war es ja zum Teil Grund dafür, dass Desith … heilte.

Er seufzte, denn alle Überlegungen waren müßig, sie führten zu nichts, außer zu Kopfzerbrechen. »Nichtsdestotrotz sollte der Pöbel keine Gruselgeschichten über Kaiser Eagles Sohn verbreiten. Wenn es nach dem Großkönig geht, wird Derrick nämlich sein Erbe – und somit wird Desith unser zukünftiger Prinzgemahl.«

Bragi schnaubte. »Das letzte Mal, als wir den Namen Derrick auch nur erwähnten, ist der kleine Pisser mir fast an die Gurgel. Ich wage zu bezweifeln, dass er sich verheiraten lässt.«

»Hat er eine Wahl?«, gab Vala zu bedenken.

Darauf wusste wieder niemand eine Antwort und sie verfielen erneut in Schweigen.

Rurik, ein Berg von einem Mann, kam mit seiner stets grimmigen Miene herein und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Stroh hatte sich in seinem matschbraunen, verfilzten Haar verfangen, Krümel klebten in seinem Bart und er stank wie üblich nach Pferdefell. Vala, die große, schlanke Kriegerin kämmte ihr blondes, schulterlanges Haar aus der Stirn und beugte sich dann vor, um für Rurik einen Becher Met einzuschenken, den sie ihm über den Tisch zuschob. »Kaiser Eagle ist doch der Sohn von König Wexmell aus Nohva – einem Luzianer«, sagte sie nachdenklich und zuckte mit den Schultern, wobei ihr Kettenhemd rasselte. »Vielleicht hat das luzianische Erbe eine Generation übersprungen und schlägt bei Desith zu.«

Rurik zog den Teller mit dem duftenden Fleisch unter seine Nase, und alle begafften ihn neidisch, als er sich ihr Frühstück wie ein hungriger Bär einverleibte. »Weiß ja nicht, was ihr besprecht, aber soweit ich weiß, saufen Luzianer Blut, und wenn mir jetzt einer von euch erzählt, dass der beißwütigen Pestbeule über Nacht Fänge gewachsen sind, lass ich ihm einen Maulkorb schmieden.«

Vynsu drehte den Arm und blickte hinab auf die blasse Narbe an seinem Muskel, wo Desith ihn vor Jahren die Zähne hineingeschlagen hatte. Vynsu hatte Desith festgehalten, damit er nicht in einen Streit hineinrannte, der zwischen Derrick und einer wütenden Meute anderer Barbaren entflammt war, woraufhin Desith Vynsu gebissen hatte, damit er ihn losließ.

Keine Löcher, nur der Abdruck eines menschlichen Gebisses. Er schüttelte den Kopf. »Desith ist kein Luzianer, auch wenn ihr Blut durch seine Adern fließt.«

»Nur weil er keine Fänge hat, heißt das nicht, dass er nicht ihre Robustheit besitzt«, warf Jori ein und wollte blind nach seinem Becher greifen, der jedoch wieder in Bragis Obhut gelandet war. Er strafte den Dieb mit einem bösen Blick, der von Bragi gekonnt ignoriert wurde, während er Joris Met trank.

Vala lehnte sich auf den Tisch und nickte. »Genau. Und selbst wenn, wer weiß davon? Richtig, niemand! Die Leute wollen eine Erklärung dafür, dass er so schnell gesundet, also geben wir ihnen eine, die sie nicht in Furcht versetzt.« Ihre mondsilbrigen Augen sahen Vynsu ernst an. »Wenn er allerdingst nicht der ist, für den wir ihn halten…«

»Er ist immer noch Desith«, unterbrach Vynsu sie gleich und sah ihr ins Gesicht, hielt ihrem strengen, forschenden Blick so lange stand, bis sie seufzend nachgab.

»Wir kennen ihn nur vom Hörensagen, Vynsu, wir müssen auf dein Wort vertrauen.«

»Ich kenne ihn und wüsste es, wenn etwas mit ihm nicht stimmen würde. Außerdem hat meine Mutter ihn untersucht, sein Geist ist frei. Zwar kann sie fremde Magie in ihm spüren, aber diese ist nicht dunkel. Vermutlich nur ein Hauch der Macht, die er in Zadest bekämpft hat.«

Das machte seine Kameraden nicht glücklich, aber zumindest beruhigte er damit ihre Sorgen, dass Desith wirklich von irgendetwas Bösem besessen sein könnte.

Dass er von Dämonen sprach, behielt Vynsu bewusst für sich, er wollte seine Kameraden nicht verunsichern.

»Frisst das Tier jetzt wirklich den ganzen Teller allein auf?«, murmelte Bragi irgendwann und durchbrach die Stille am Tisch, die nur von gelegentlichem Schlürfen und Schmatzen aus Ruriks Mund durchbrochen worden war.

Jori verzog genervt den Mund und winkte einer Dienstmagd. Er bedeutete ihr stumm, die Teller aufzufüllen, und das Mädchen machte sich umgehend auf den Weg in das nebenanliegende Küchenzelt. Söldner waren in Carapuhr sehr geschätzt und wurden wie Adelige behandelt, bekamen überall Essen, Trinken und einen Schlafplatz umsonst.

Vynsus Augen folgten dem wiegenden Gang des Mädchens, sie hatte ein gebärfreudiges Becken, und trotz ausladendem, dreckigem Rock, um den eine Schürze gebunden war, konnte er ihren prallen Hintern ausmachen, der sich gegen den Stoff auflehnte. Sie schien zu zierlich für so einen breiten Arsch, aber seine Libido erwachte unversehens. Gleichdarauf spürte er die Schwere seines Eherings am Finger und wandte schleunigst den Blick ab. Nicht, dass er sich schuldig gefühlt hätte, es war vielmehr die Furcht davor, er könnte sein Versprechen vergessen. Er wollte nicht seine Pflicht vernachlässigen, und keine feurige, neue Liebschaft sollte ihn davon abhalten oder gar Grund dafür sein, dass er sie nicht mehr für wichtig erachtete.

Noch immer starrte Bragi sehnsüchtig auf den sich leerenden Teller.

»Was sabberst du mich so an?«, brummte Rurik, ohne aufzusehen, er griff zu seinem Becher und trank den Met so gierig, dass er ihm über den Bart rann und auf sein Lederharnisch tropfte.

»Ich sabbere das Fleisch auf deinem Teller an, sonst nichts … Außer vielleicht das Fleisch zwischen Joris Beinen…«

Ruckartig zog Jori den Schenkel weg, als Bragis Hand unter dem Tisch darüber streifte. Bragi lachte dreckig, und Jori versuchte, sich gelassen zu geben, obwohl seine Wangen rot schimmerten und er den Kopf einzog, als wünschte er sich, der Erdboden würde sich um ihn herum auftun und ihn unversehens verschlingen.

Rurik stellte lautstark den Becher ab und rülpste. »Schau wo anders hin, du Galgenstrick, sonst fresse ich als nächstes dich.«

 

Unsicher blickte Bragi in die Runde. »Wie meint er das?«

»Weißt du es nicht?« Vala grinste breit, als sie ihr jüngstes Söldnermitglied aufklärte. »Rurik stammt aus dem tiefen Norden, aus einem Volk hoch in den Bergen Carapuhrs. Und manchmal sind sie wegen des Eises und Schnees jahrelang von den Städten und Völkern im Tal abgeschnitten. Ist nicht ungewöhnlich, dass sie da oben auch mal Menschen essen. Ganz und gar nicht ungewöhnlich. Stimmt´s, Rurik?«

»Der Stärkste überlebt«, murmelte Rurik zufrieden und schob sich mehr Essen in den Mund.

Bragi starrte Vala an, wartete darauf, dass sie lachte, aber Vala zuckte nur mit den Achseln und verbarg ihr Grinsen in ihrem Becher, den sie eilig zum Mund führte. Fassungslos sah Bragi Jori an, auch dieser zog nur die Achseln hoch. Nach einem letzten Blick hinüber zu Rurik, der dem verdutzten Dieb zuzwinkerte und sich die vom Essen glänzenden Lippen leckte, verkroch sich Bragi hinter Jori, rutschte fast von der Bank, um sich zu verstecken und klammerte sich an dessen Arm.

»Jori, hilf mir«, fiepte er. »Lass nicht zu, dass der Bär deine holde Maid frisst.«

Sie lachten alle über den Vokativus.

Kopfschüttelnd winkte Vynsu einem Mädchen, die zwei Krüge Met durch das Zelt trug, und lächelte in sich hinein: »Ihr seid solche Faxenmacher.«

*~*~*

Eine Magd balancierte einen hohen Turm schmutziges Geschirr auf ihren dünnen Armen durch die Zeltreihen. »Wartet, ich helfe Euch!« Vynsu eilte ihr zur Hilfe und nahm ihr ungefragt die Last ab. Sie errötete und strich die dunklen Strähnen aus dem schmutzigen Gesicht, die sich aus dem Geflecht ihrer streng nach oben gewickelten Haaren gelöst hatten.

»Das ist nicht nötig, Prinz Vynsu…«

Und ob das nötig war, er konnte es nicht mit ansehen, wenn sich so zierliche Geschöpfe zu Tode schufteten, auch wenn er wusste, dass er nicht immer da sein konnte, um jeder einzelnen gerade erst erblühten Magd die Arbeit abzunehmen.

Er trug für sie das Geschirr zu den Fässern mit dem Wasser für den Abwasch, der Regen hatte aufgehört, Feuchtigkeit tropfte von den Zelten und die Wege waren nass, sodass jeder Schritt feucht klang. Sie sprach nicht mit ihm, lächelte aber schüchtern und lief errötet neben ihm her. Sie war jung und lieblich, wäre eine wohltuende Abwechslung, aber nachdem er ihr geholfen hatte, ließ er sie enttäuscht bei ihrer einfachen Arbeit zurück.

Vor einigen Jahren hätte er sie vermutlich ohne zu zögern auf die Fässer gehievt und sie genommen, bis sie vor Wonne geschrien hätte, aber er war schon lange nicht mehr dieser ungestüme Junge, der sich die Hörner abstoßen musste und einem wahnsinnigen Onkel nacheiferte, weil er dessen Erbe hatte werden sollen.

Bevor er sich schlafen legte, besuchte er noch einmal Desiths Zelt. Seine Mutter war dort und kommandierte gerade mit ihrer liebevollen Strenge einen Kohlenjungen herum, der ihrer Meinung nach die Feuerschalen nicht genügend befüllt hatte.

Das arme Kerlchen kroch ihr vor Verlegenheit halb vor die Füße, Vynsu glaubte, dass er gar nicht in die Schalen hatte sehen können, da er zu klein war. Seine Mutter seufzte und ging vor dem Burschen in die Hocke. »Verzeih, eine alte Frau wie ich kann manchmal unverschämt launisch sein, wenn sie störrische Pfleglinge zu umsorgen hat.« Sie nahm den Eimer mit der Kohle und wollte die Schalen selbst befüllen.

»Du bist nicht alt«, sagte Vynsu, als er eintrat. Die Anwesenden sahen überrascht auf. Er ging auf seine Mutter zu, legte dem Kohlenjungen eine Hand auf die Schulter, und nahm seiner Mutter dann den schweren, heißen Eimer ab. »Aber trotzdem solltest du nicht so schwer heben.«

»Ich habe jahrelang dich herumgetragen, mein Sohn, und du warst gewiss kein zierliches Kind.« Doch sie ließ mit einem Lächeln zu, dass er ihr die Arbeit abnahm. Dann wandte sie sich an den verschreckten Jungen. »Nun komm her, steh auf. Sieh dich an, du bist ganz schmutzig und deine Hand sieht verschrammt aus.«

»Vergebung, Herrin Karrah.«

»Dafür, dass du verletzt bist?« Sie bedachte ihn mit einem gutmütterlichen Lächeln. »Vergib mir, dass ich mein Gift an dich versprühte, es galt jemand anderem.« Ihre Augen zuckten zum Bett, aber Desith schlief tief und fest. »Setz dich, Junge, wir kümmern uns um deine Hand.«

Sie ließ keine Wiederworte zu und verband die blutigen, verkrusteten Knöchel des Jungen, der sich Vynsus Ansicht nach erst kürzlich geprügelt hatte.

Während seine Mutter zu Werke war, füllte er sämtliche Schalen im Zeltinneren und spürte, wie es noch wärmer wurde als es ohnehin schon war, aber für Desith war Hitze in diesen Tagen gut, er sollte alle verbliebenen Krankheiten einfach ausschwitzen.

Als Vynsu fertig war, hatte der Kohlenjunge eine verbundene Hand und ein sauberes Gesicht, er trug ein Lächeln auf den Lippen, als er mit seinem Eimer weiterzog.

Vynsu schüttelte den Kopf, als sie allein waren. »Du könntest hundert Jahre alt sein, die Burschen würden dir trotzdem nachgeifern.«

Lächelnd tätschelte sie ihm die Wange. Sie hatte leider nicht den Hauch einer Ahnung, wie es war, mit einer so attraktiven Mutter aufzuwachsen. Er konnte gar nicht mehr zählen, wie oft er sich geprügelt hatte, weil irgendjemand etwas Schmutziges über sie gesagt hatte. Das ließ er nicht zu, auch heute noch nicht, seine Mutter war ihm heilig.

Er drehte sich zu Desith um, der auf dem Bauch lag und leise schnarchte, feiner, roter Flaum hatte sich Fleckenhaft über seine Wangen ausgebreitet. Er war etwa ein Jahr jünger als Vynsu, besaß aber den Bartwuchs eines Halbstarken. Amüsanter Weise konnte Vynsu auch auf seinem Rücken fleckenweise weichen Flaum ausmachen, was Desith zu einer Art rotem Werwolf machte.

Er schmunzelte über seinen eigenen Scherz.

»Was hat er getan?«, fragte er seine Mutter, die sich daran machte, alte Verbände zu waschen, nachdem sie einen Kessel mit heißem Wasser von der in den Boden gegrabenen Esse gehievt hatte.

»Störrischer Bengel«, knurrte sie, »ist aufgestanden, um sich zu erleichtern, statt auf mich zu warten. Ist mir umgekippt und hat sich die Stirn angeschlagen.«

Vynsu stand über Desith und strich eine feurige Strähne aus seiner Stirn, der Kopfverband war vor einem Tag entfernt worden, die Naht zeigte Schorf und wirkte beinahe vollständig geheilt. Darunter konnte er eine leichte, rote Beule erkennen, und schüttelte den Kopf.

»Er ist stur.« Dann sah er seine Mutter entschuldigend an. »Und es ist ihm peinlich, sich vor dir zu erleichtern. Er wartet lieber auf mich.«

Sie grunzte abfällig. »Ich bin seine Heilerin, er sollte sich daran erinnern.«

»Du bist aber auch eine berühmte Frau«, warf er schmunzelnd ein, »und einschüchternd obendrein.«

Sie wirbelte mit einem hocherhobenen Kochlöffel zu ihm herum. »Ich bin nicht ein…«

Er zog eine Augenbraue hoch. Sie verstummte und starrte auf den drohend erhobenen Löffel in ihrer Hand. Dann nahm sie eilig den Arm runter und drehte sich grunzend wieder um.

Vynsus brummige, schnaubende Art hatte er jedenfalls nicht von seinem Vater geerbt, seine Mutter war bewandert darin, ein ganzes Gespräch nur mit abfälligen oder nachdenklichen Lauten zu führen.

Und sie war ihm eine gute Lehrerin gewesen.

»Aber vor dir ist es ihm nicht peinlich?« Sie schüttelte ratlos ihren klugen Kopf. »Versteh einer diese Männer, können vor einander rülpsen, furzen und scheißen wie Rindviecher, aber kommt eine Frau um die Ecke, petzen sie jegliche Körperöffnungen zusammen. Als Heilerin hat man es wahrlich nicht einfach.«

Er lächelte über sie, blickte aber dann wieder nachdenklich auf Desith herab, sodass das Schmunzeln auf seinen Lippen erstarb.

»Die Leute reden über ihn.«

»Natürlich tun sie das«, stimmte sie zu, »er ist … Besonders.«

»Gefährlich?«, hakte er leise nach, denn in diesem Lager hatten die Zelte Ohren.

Sie lachte leise, glockenhaft. »Nicht mehr, als er es schon immer war.« Sie trat mit einer Waschschale neben ihn und reichte sie ihm. »Würdest du ihn für mich waschen, vor mir will er die Felle nicht lüften.«

Vynsu nahm die Schale, aber er hielt sie zunächst nur fest. Es war ihm nicht peinlich, einen Kranken zu waschen, als Kind hatte er seiner Mutter oft mit ihren Schützlingen geholfen, hatte Verletzte und Kranke und Alte gesäubert, auch an den unmöglichsten Stellen, es fiel ihm nicht schwer, solche Dinge zu verrichten. Und sie hatte ihn gelehrt, dass es niemals unangenehm sein konnte, jemandem in Not zu helfen. Oder einfache Arbeit zu verrichten.

»Danke.« Sie wandte sich wieder ab, die Rabenfedern ihres Kleides raschelten leise.

Vynsu kratzte sich mit dem Daumen über die Stirn, die Waschschale dampfte und fühlte sich heiß an. »Er … er sprach über Dämonen«, erzählte er ihr.

Sie stand schon wieder an ihrem Kräutertisch und drehte mit gerunzelter Stirn das Gesicht über die schmale Schulter. »Hat er geträumt?«

Vynsu schüttelte den Kopf. »Nein.« Und dann erzählte er ihr von der Nacht, als Desith scheinbar verschwunden war und wie aus dem Nichts wiederauftauchte, wie er erwacht war und was er über die Dämonen gesagt hatte.

»Dämonen?«, wiederholte sie und band sich eine Schürze um die schmale Taille. »Völlig unmöglich. Diejenigen, die nicht vernichtet wurden, wurden in die Unterwelt verbannt, und diese ist – wie wir selbst überprüft haben – seitdem schließen des Portals von uns abgeschnitten. Die Dämonen ruhen ohnehin. Sie können nicht erwachen, wenn Zazar es nicht erlaubt, und Zazar hat die Unterwelt von unserer Welt abgeschnitten, um den Riss zu schließen, den das Portal verursacht hat.«

Vynsu rieb sich die schmerzende Schläfe. »Ich komme da nicht mit, Mutter.«

»Verzeih«, entschuldigte sie sich und winkte ab, um sich wieder ihren Kräutern zu widmen, die sie für einen Aufguss und eine Salbe vorbereitete. »Was immer er zu sehen glaubte, kann nicht Wirklichkeit gewesen sein. Es gibt keine Dämonen mehr diesseits der Leere. Vermutlich hat er geträumt, so wie du geträumt hast, er wäre plötzlich fort.«

»Hm.«

Vynsu kniete sich neben Desith und zog die Felle von dessen Leib, dann griff er in die Schale, fischte das durchnässte Tuch heraus und drückte es aus. Wasser plätscherte im stillen Zelt.

»Ich glaube ihm«, sagte er, als er Desiths Rücken wusch. »Er klang nicht wie im Wahn.«

Seine Mutter schwieg, ihre Stirn war in Falten gelegt, während sie nach einem Bund getrocknetem Thymian griff und mit einem Dolch etwas davon abschnitt. »Nun ja, Halbdämonen vielleicht. Oder Zauberer. Die Gerüchte über das Portal und den verschwundenen Sohn von … Desiderius.« Sie stockte immer bei diesem Namen, flüsterte ihn nur traurig, obwohl Jahre vergangen waren seit König Desiderius – einer ihrer Ziehväter – gefallen war. »Diese Bänder könnten tatsächlich etwas bedeuten, vielleicht ein neuer Kult, der auf der Suche nach dieser neuen Macht ist. Am besten, wir hoffen, dass wir diesen Fanatikern niemals begegnen.«

Auf einmal war Vynsu froh, dass sie nicht mehr in Zadest waren, um nach Derrick zu suchen. Wenn sich da Kulte von Magiern herumtrieben, um nach fremder Magie zu suchen, wollte er nicht zwischen die Fronten geraten.

»Es heißt unter uns Hexen, Prinz Sarsar hätte ein Loch zwischen den Welten gefunden«, fuhr seine Mutter leise fort, »einige beten es an, nennen es das göttliche Nichts, und wollen es finden, um seine Macht zu erlangen.«

»Der Dschungel knistert vor Magie«, berichtete Vynsu ihr leise. Er gelangte gerade von Desiths Rücken zu dessen unteren Regionen und hörte ihn im Schlaf wohlig stöhnen. Seine Lider flackerten, vermutlich würde er bald aufwachen. »Mutter, ich … habe wieder geträumt.«

Sie sah ihn aufmerksam an.

Er konnte ihren Blick nicht erwidern.

»Immer wieder derselbe Traum«, erklärte er und faltete das nasse Tuch. »Seit dem Moment, da wir aufbrachen, um Derrick und Desith zu suchen, träume ich von Lohna. Sie steht auf dem Eis und deutet in eine Richtung, dann sehe ich Desith, er liegt in den Armen seines Mörders.«

Er spürte lange ihren forschenden Blick auf sich, aber auch ihre mütterliche Wärme. Trotzdem wollte er nicht aufsehen.

Sie ließ alles stehen und liegen und kniete sich mit raschelnden Röcken neben ihn. Zärtlich strich sie ihm über den Hinterkopf, er genoss ihre Zuneigung. »Das bedeutet etwas, Vynsu. Verschließ dich nicht vor diesen Visionen. Aber denke auch daran, dass dein Verstand dir Streiche spielt. Es ist nicht wirklich Lohna, die du siehst, es ist dein Gewissen, das dich quält.«

 

»Wenn der Tod zu mir spricht, bedeutet es, dass er kommt?«, hakte er nach und sah sie endlich an.

Trauer und Bedauern standen in ihrem violetten Blick, sie legte den Kopf schief und seufzte. »Ich fürchte, ja. Der Tod versäumt nie, ungelegen aufzutreten, mein Sohn. Aber selten zeigt er uns, wen er wirklich holen will.«