Die 50 besten Morde oder Frauen rächen anders

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Die 50 besten Morde oder Frauen rächen anders
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Birgit Ebbert

Die 50 besten Morde oder Frauen rächen anders

Dieses eBook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil I

1 - Rache verglüht nicht, Addi

2 - Ein Solo für den Solisten

3 - Eine Brücke für dich, Lea

4 - Stein auf Stein, Conny

5 - Ein Unfall zu viel

6 - Drei Haselnüsse für Angelina

7 - Gassi gehen

8 - Von weit oben fällt man tief, Björn

9 - Gut gemalt, Leonhard

10 - Auf der Kippe

11 - Jonathan im Löwenkäfig

12 - Mit den eigenen Waffen

13 - Frau Johannsens letzter Talk

14 - Meine Rose, deine Rose

15 - Jetzt geht’s rund

16 - Loch 13

Teil II

17 - Sumpf gut, Udo

18 - Ein Bad für Ben

19 - Christel schweigt für immer

20 - Auf zu neuen Höhen, Margot

21 - Jolanthe mit und ohne Hut

22 - Svens letzte Wette

23 - Krumbiegel for Wiedertäufer

24 - Öchsle im Sechserpack

25 - Qual um Qual, Ben

26 - Ausgebrüllt, alter Mann

27 - Schlechte Luft für Klaus-Dieter

28 - Wer anderen das Herz bricht, Angelo

29 - Im Verhör gegrillt

30 - Deckel runter, Hans

Teil III

31 - Uwe ist platt

32 - Wer andere hängen lässt

33 - Rache kommt nie zu spät

34 - Kletten für die Klette, Christian

35 - Der letzte Tauchgang

36 - Schwitz dich aus, Gabi

37 - Tür zu, Frank

38 - Fahr wohl, Torsten

39 - Ein Häuschen für Charlene

40 - Ausgenörgelt, Roswitha

41 - Genevieves Haarkunst

42 - Die letzte Kritik

43 - Ein großes Nein, Ecki

44 - Der Kunde ist König, Cornelius

45 - Kunststück, Wim

46 - Das letzte Stück Erinnerung, Lutz

47 - Wahrheit oder Pflicht, Sofia

48 - Skalpell bitte, Herr Doktor

49 - Schluss, aus, vorbei und Ende

50 - Einmal ist einmal zu viel, Schwester Erna

Nachwort

Die Autorin

Leseprobe aus »Brandbücher«

Impressum

Teil I

1 - Rache verglüht nicht, Addi

Vindicta legte den Kopf sorgfältig in eine Hutschachtel. Sie achtete darauf, dass die Blutströme in die Plastikschale flossen und nicht ihre Kleidung beschmutzten oder die Schachtel, die aus dem Erbe ihrer Großmutter stammte.

»Das war’s dann mit deinem überheblichen Getue. Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass du uns ständig vorhältst, dass du etwas Besseres bist. Adelgunde von Grevreuth, die wir als Kinder immer Addi genannt haben. Ich hätte nicht gedacht, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen würden.«

Vindicta betrachtete das hellblonde Haar, das mit einem Band auf dem Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Wie durch ein Wunder war es verschont geblieben von den Blutströmen, die entstanden waren, als sie Addis Kopf vom Rest des Körpers getrennt hatte. Bis zum Schluss hatte ihre Schulfreundin um Gnade gefleht. Zu spät. Zu genau erinnerte sich Vindicta an eine ähnliche Situation. Drei Jungen schubsten sie über den Hof und Addi stand daneben und rauchte.

Vindicta nahm den letzten Schluck aus dem Champagnerglas und schloss die Hutschachtel. Vorsichtig trug sie sie an der Kordel, die tapfer ihre Dienste tat, zum Auto. Den Kopf ihres ersten Racheopfers wollte sie in ihrem Garten begraben, als ständige Erinnerung, niemals aufzugeben, so wie sie immer auf Rache an Addi gehofft hatte.

Ob ich das klirrende Lächeln des Eisbergs je vergessen werde, mit dem er heute kurz nach Arbeitsbeginn mein Büro betreten hat? »Wir möchten uns von Ihnen trennen«, erklärte er sein unangekündigtes Erscheinen und trat sechs Jahre harter Arbeit für dieses Unternehmen verbal mit Füßen.

Dabei war er selbst erst sechs Wochen Geschäftsführer dieser Firma. Youth Paradise, sogar der neue Name ist von mir. Ich habe echt dafür gekämpft, vor allem weil meine Kollegin Conny sauer war, dass ihre Idee nicht genommen wurde. Sie hat keine Gelegenheit ausgelassen, mir Steine in den Weg zu legen, als mir die Projektleitung übertragen wurde.

JuPa nennen Kids unsere Konsumpaläste in jetzt schon fünfzehn Städten liebevoll. Dank meines genialen Marketingcoups: Zum Start gab es eine Dailysoup und eine Buch- und Hörspielserie mit spannenden Abenteuern aus den JuPas. Sie sind Treffpunkt und Event zugleich. Hier können die 8- bis 14-Jährigen sehen und kaufen, was gerade angesagt ist. Und vor allem gibt es Knutschecken und Quatschzonen, Smile-Corners und Movie-Rooms, Playcenter und…

Das ist es, ich werde ein Videospiel programmieren: Eisberg-Shooter!

Im Studium habe ich ein Computerspiel kennengelernt, in dem konnte man grob gezeichneten Figuren – Männer und Frauen durch Frisur, Bart und Kleidung unterscheidbar – die Namen der meistgehassten Lehrer geben. Das fehlt für die Berufswelt. Ich sollte der Agentur für Arbeit einen Tipp geben!

Scheiße, jetzt habe ich mir selbst eine Falle gestellt. Ich wollte es vergessen: Ich bin arbeitslos! Nicht in drei Monaten, nicht morgen, heute – von jetzt auf gleich. Ist das eigentlich grammatikalisch korrekt? Egal, von Arbeitslosen wird das ohnehin nicht erwartet.

Nachdem der Eisberg mir die schriftliche Kündigung überreicht hat, hat er mein dienstliches Mobiltelefon, meine Essensmarken für die Kantine und den Schlüssel für meine Bürotür verlangt. In letzter Minute fiel mir ein, dass ich eine Quittung bekommen musste.

Dann forderte er mich auf, unverzüglich meine privaten Dinge zusammenzupacken und das Unternehmen zu verlassen. »Sie sind bis zum Ablauf des Vertrags freigestellt«, erklärte er mir.

 

Einen dieser Pappkartons, in denen das Kopierpapier angeliefert wird, hatte er bereits mitgebracht. Wie umsichtig von ihm.

Vermutlich hatte er eine Todo-Liste erstellt Kündigung Kerstin Junker: Kündigung mündlich aussprechen, schriftliche Kündigung überreichen, Telefon, Essensbons und Schlüssel einkassieren, Pappkarton für private Sachen überreichen.

Wie betäubt sammelte ich meine persönlichen Gegenstände ein: die Marionette und den Teddybär, den meine Patentochter mir genäht hat. Die Tasse mit der Aufschrift Ich bin der Boss, die mir eine Freundin mitgebracht hat, als ich Ärger mit einem unverschämten Machokollegen hatte. Die Milka-Blechdosen, in denen ich bei traurigen und freudigen Anlässen Geld für Geschenke gesammelt habe.

Der Eisberg saß an meinem schönen Besprechungstisch und ließ mich nicht aus den Augen. »Lassen Sie sich Zeit«, sagte er und trommelte mit den Fingern auf die Platte des modernen sechseckigen Tisches.

Der Eisberg brachte mich bis zum Auto. Bloß keine Kontakte mehr. Was habe ich ihm getan? Fürchtete er, dass meine Wärme seine Fassade zum Schmelzen bringen würde?

Wie in Trance fuhr ich nach Hause. Ein Wunder, dass das Auto und ich den Weg unbeschadet überstanden haben.

Beladen mit dem Pappkarton voller Gegenstände, die ich zu Hause nicht haben wollte, meinem Rucksack und meiner Laptoptasche kam ich vor meiner Wohnungstür an.

Ich klingelte, obwohl ich wusste, dass niemand öffnen würde. Mein Freund Johannes, längst Ex-Freund, hatte sich vor sechs Wochen von mir getrennt. Nach sechs Jahren. Zum gleichen Zeitpunkt, als der Eisberg in mein Berufsleben trat. Ob es da einen Zusammenhang gibt. Ist Johannes zum Eisberg gezogen?

Ich stellte den Karton auf die Fußmatte vor der Tür und schloss die Wohnungstür auf. Nicht einmal ein Hund oder eine Katze kamen mir entgegen gerannt. Blöde Tierhaarallergie. Sonst hätte ich wenigstens jemanden zum Reden. Selbst einen Hamster haben mir die Ärzte verboten!

Zum Glück habe ich keine Telefonallergie.

Ich warf die Tür hinter mir zu. Was scherte mich der Karton vor der Tür. Der gehörte nicht hierher.

In meinen Lieblingssessel gekuschelt, das teuerste Möbelstück, das ich besitze, begann ich zu telefonieren. Stunden über Stunden habe ich die gleiche Geschichte erzählt, um sie selbst zu glauben: Ein Eisberg hat nach sechswöchiger Unternehmenszugehörigkeit meine in ununterbrochener Berufstätigkeit und harter Arbeit aufgebaute Existenzgrundlage zerstört.

Nachdem ich unzählige Ohren und Anrufbeantworter mit meinem Leid besprochen habe, blieb mir als letzte Möglichkeit, meine Geschichte loszuwerden, diese Newsgroup im Internet. Wie albern der Name des Providers: Schwapp.de. Mir wäre da etwas Besseres eingefallen.

Das Telefon klingelt. »Kerstin Junker, Youth Paradise!«. Das »Guten Tag« bleibt mir im Hals stecken. Das große G scheint sich quer zu legen, ich bekomme kein Wort heraus. Es scheint die Atemnot zu sein, die mir die Tränen in die Augen treibt. Nie wieder darf ich mich mit dem Firmennamen am Telefon melden!

Schweigend reibe ich mir die Augen. Diese Chance nutzt der Anrufer am anderen Ende der Leitung. »Karsten Denker.«

Hält der mich für blöd, seinen Namen habe ich längst verstanden, warum wiederholt er ihn denn? So einzigartig ist er auch wieder nicht. Nur seine Stimme, die klingt echt sexy. Was will Schwapp.de von mir? Habe ich eine Million bei einem Gewinnspiel gewonnen?

»Was denn nun?« Als Frau muss man sich unnahbar geben, das macht die Männer neugierig, habe ich in einem Ratgeber gelesen.

»Bitte entschuldigen Sie die Störung.« Höflich ist der junge Mann immerhin. Jung, na, Mitte dreißig wird er der Stimme nach sein. Altersmäßig würde er zu mir passen.

»Sie blockieren mit Ihrem Beitrag unsere Newsgroup.« Das war’s dann also. Aus der Traum vom Fast-Blind-date mit einem Angestellten von Schwapp.de. Das G scheint weiterhin quer zu liegen, die Atemnot zwängt schon wieder Tränen in meine Augen.

»Hallo, hören Sie mich?« Wirklich sexy klingt die Stimme nicht. Viel zu jung, fast schon stimmbruchartig.

Woher hat der Knirps eigentlich meine Telefonnummer? Damit werde ich ihn aus der Fassung bringen. Von wegen Datenschutz!

»Aber, Frau Junker«, die Kieksstimme versucht, mich einzulullen, »Sie haben bei Ihrer Anmeldung für unsere Foren Ihre Daten angegeben. Auch Ihre Telefonnummer«, erklärt er mir mit piepsiger, monotoner Stimme. Piepsig und monoton, der Typ ist richtig gut. Wem gelingt es schon, gleichzeitig piepsig und monoton zu klingen?

»Frau Junker, sind Sie noch dran?« Blöde Frage, sonst hätte er ein Tuten in der Leitung. Wie unfähig Männer sind.

»Wir verstehen, dass Sie in Ihrer Situation Gleichgesinnte suchen.«

Oho, er hat meinen Beitrag gelesen.

»Aber Ihre Geschichte passt nicht in die Rubrik Männer.«

Hat der eine Ahnung. Eine Frau hätte sich niemals so aufgeführt wie der Eisberg.

Wenn ich wenigstens ein Bild von dem Eisberg hätte, dann könnte ich ihn mit Dartpfeilen bewerfen. Ich habe zwar kein Dartspiel, aber das kann ich mir anschaffen.

Wovon denn? Ich werde niemals mit dem Arbeitslosengeld auskommen. Keine Bücher mehr, kein Kino, keine CDs. Es wird Zeit, dass ich mir einen neuen Freund zulege, der mich einlädt und mir hin und wieder etwas schenkt.

»Hallo, Frau Junker?« Dieses Mal klingt die Stimme schon wieder sexy, vermutlich, weil er zaghaft nachfragt.

»Ja, ich bin noch da. Ich finde, mein Beitrag passt großartig in die Kategorie Männer.« Und davon werde ich auch nicht ablassen.

»Das mag sein.«

Aha, der Typ hat scheinbar auch Psychologie studiert, klienten-zentrierte Gesprächsführung, neurolinguistisches Programmieren oder Ähnliches: dem Gegenüber immer schön Zustimmung signalisieren. Und ihm das Messer in den Rücken stoßen.

»Aber bei der Newsgroup handelt es sich um einen Treff für Schwule!« Was sag ich!

Falls das G nicht aus meiner Luftröhre verschwunden ist, hat es keine Chance mehr. Ich pruste los.

Ich kann nicht mehr aufhören zu lachen. Keiner ist da, der mich mit einer Ohrfeige stoppte. Karsten Denker versucht es wieder mit der sanften Tour.

»Aber Frau Junker, Sie haben die gute Nachricht nicht gehört: Wir werden extra für Sie ein Forum zum Thema Arbeitslosigkeit einrichten. Das hätten wir längst schon machen sollen.«

Die verbale Ohrfeige »arbeitslos« wirkt.

Meine Ausgelassenheit schlägt in hysterisches Schluchzen um.

Ich beende das Gespräch wortlos und werfe mich lang auf mein Bett.

Mein grüner, langbeiniger Stofffrosch betrachtet mich mitleidig.

2 - Ein Solo für den Solisten

Vindicta saß am Fenster ihres Lieblingscafés und wartete. Der Schaum auf ihrem Cappuccino war nur noch eine hellbraune Decke auf dem dunklen Kaffee, als sie endlich ihr Signal empfing.

»Zahlen«, rief sie und legte den Rechnungsbetrag zuzüglich des üblichen Trinkgelds auf den Tisch.

Vor dem Café sah sie ihn auf den ersten Blick. »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«, spielte er auf seiner Klarinette.

Vindicta zuckte bei den falschen Tönen. Das würde ein Ende haben. Sie sprach den Mann an: »Ich würde sie gerne für ein Geburtstagsständchen engagieren. Ganz spontan. Geht das?«

Der Mann nahm die Klarinette vom Mund und strahlte sie an. »Gerne, gerne!«, antwortete er, noch ehe sie ihm ein Honorarangebot gemacht hatte.

»Dann kommen Sie gleich mit«, bat Vindicta und wandte den Kopf ab, damit der Mann ihr zufriedenes Lächeln nicht sah.

Sie lotste ihn in ein Treppenhaus, das zu dieser Zeit leer war. Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, da bat sie ihn, zu spielen. Er sah sie verwundert an, kam ihrer Bitte jedoch nach.

Als er die Klarinette an den Mund setzte, gab Vindicta ihr von unten einen Stoß und rammte die Klarinette in seinen Mund. Obwohl das Blut schon in Strömen herausschoss, hörte Vindicta nicht auf. Sie drückte wieder und wieder gegen das Instrument, bis der Mann zusammenbrach.

Rasch verließ sie das Haus und kehrte in einem anderen Bistro ein, um sich den wohlverdienten Champagner zu bestellen.

Pah, das wäre noch schöner, wenn mich so ein hergelaufener Eisberg, der nur aus Wasser besteht und nicht einmal Hirn hat, unterkriegen könnte.

Nach einer halben Heulstunde stifte ich meinem nassen Plüschfrosch Fridolin eine Fahrt im Wäschetrockner. Kurze Zeit später grinst er mich zufrieden an. Gemeinsam hören wir die CD von Juliane Werding Du schaffst es.

Der Eisberg wird merken, was er davon hat, auf mich zu verzichten. Ist dem eigentlich klar, dass das Unternehmen nur dank meiner Kreativität heute da ist, wo er es vorgefunden hat?

Nun werde ich meine Kreativität eben anders einsetzen.

Bei dem Gedanken an die fiesen Tötungsarten, die mir bereits eingefallen sind, läuft ein wohliger Schauer über meinen Rücken. Vermutlich war ich in einem früheren Leben Henker.

Wo ist eigentlich dieses ekelige Buch Der Henker von sonst was, das ich als Teenager gelesen habe. Da gab es Foltermethoden, gegen die die heutigen Splatterfilme reinste Kindermärchen sind.

Am besten gefällt mir die Vorstellung, den Eisberg irgendwo anzubinden und ihm scheibchenweise die Haut aufzuschlitzen. Der Gedanke fühlt sich gut an.

Wo ist nur dieses verdammte Henker-Buch? Wie hieß der Autor?

Ich beginne die zwanzig Bücherregale in meiner Wohnung abzusuchen. Auf Brett zweiunddreißig fällt mir Erich Kästners Fabian in die Hände. Das gehört mir überhaupt nicht. Das habe ich mir vor Jahren von meiner damaligen Freundin Caroline geliehen. Warum ist die Freundschaft eigentlich auseinandergegangen? Wegen des Buches, das ich nicht zurückgegeben habe? Ich muss sie unbedingt einmal anrufen.

Auf einen kleinen Zettel schreibe ich »Caroline« und hefte ihn mit einem Katzenmagnet an die große Pinnwand. Das ist ab sofort meine Auftragswand, jeden Tag muss ich eine Aufgabe erledigen, damit ich mich jeden Abend über ein kleines Tagwerk freuen kann. Kleine Erfolgserlebnisse sind wichtig für das Ich. So etwas wie Schränke aufräumen, Briefe schreiben, die immer schon geschrieben werden sollen, Geschichten verfassen, die mir schon lange am Herzen lagen. Will ich Caroline das Buch zurückgeben?

Ich lese den Klappentext. NEIN! Dieses Buch wurde vor 80 Jahren geschrieben. Warum muss es ausgerechnet um Arbeitslosigkeit gehen?

Schon wieder dieses Unwort! Ich schlage verzweifelt mit dem Kopf gegen die Regalwand.

Die ersten Bücher fallen auf mich. Das Regal gibt knirschende Töne von sich. Hallo, Kerstin, dieses ist ein nicht befestigte Metallregal, scheint es zu sagen. Zum Glück habe ich als Jugendliche Metallisch gelernt und verstehe, was es von sich gibt. Ich lasse mich nach hinten fallen und bleibe auf dem Boden liegen.

Die Lampen könnten auch geputzt werden. Auftrag! Es lohnt sich immer, die Welt aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

Vielleicht ist es sogar gut, dass ich nicht mehr in den Eisbergpalast muss. Womöglich wäre ich dort krank geworden. Vermutlich hat der Eisberg eine ansteckende Krankheit.

Der Gedanke an den Eisberg, der schwitzend und um Luft ringend mit dicken, juckenden Blasen am ganzen Körper langsam stirbt, muntert mich auf.

Ich stelle zum wiederholten Mal die CD an und singe laut und falsch mit: »Du schaffst es!« Genau, ich werde es schaffen!

Das Telefon klingelt. Wieder einmal.

»Hey, hier ist noch einmal Karsten Denker von Schwapp.de!«, begrüßt mich die fröhlich-kieksige Stimme, obwohl, ganz so kieksig klingt sie nicht mehr. Vermutlich hatte der Typ beim letzten Anruf eine Stimmbandentzündung.

»Bitte entschuldigen Sie, dass ich das Gespräch so plötzlich beendet habe!« Höflichkeit zahlt sich immer aus. Bei einem vielleicht gut aussehenden Mann, dessen Stimme beim ersten Zuhören sexy klingt, ist sie jedenfalls nicht vergeudet.

»Ich«, wenn ich gewusst hätte, dass er erneut anruft, hätte ich mir vorher eine Ausrede zurechtgelegt. Na, im Improvisieren war ich immer gut. Das Wichtigste dabei ist, dicht an der Wahrheit zu bleiben.

 

»Äh, es gab eine Überschwemmung. Anscheinend ist die Waschmaschine kaputt.«

Ich trage mein Telefon ins Badezimmer und werfe mir im Spiegel einen lobenden Blick zu. Alle Achtung, das war clever.

»Das macht nichts. Soll ich Ihnen meinen Bruder vorbeischicken, der ist Flaschner!«

Ich sehe mich im Spiegel verständnislos an.

»Was soll ich mit einer Flasche?«, erkundige ich mich vorsichtig bei Herrn Schwapp.de.

Seine Antwort ist ein albernes Kichern.

Ich hasse es, wenn Männer kichern. Ob der Typ schwul ist? Schade, dann ist jede charmante Annäherung vergeudet.

Der Mann kriegt sich nicht mehr ein.

»Hallo, Herr Denker«, versuche ich vorsichtig, ihn daran zu erinnern, dass ich auf eine Antwort warte.

»Ich«, er gluckst vor sich hin wie ein Liter Orangensaft in einer Glaskaraffe, »ich vergesse immer, dass die Nichtschwaben den Beruf nicht kennen.« Ein letztes Glucksen. »Flaschner ist die schwäbische Bezeichnung für einen Installateur.« Glucks.

Na, da habe ich etwas gelernt: ein neues Wort und dass er mindestens dreihundert Kilometer entfernt von mir lebt. Ade, ihr Hoffnungen auf einen höflichen neuen Mann.

»Vielen Dank, das ist nicht nötig«, lehne ich sein Angebot ab. Das fehlt mir gerade: dreihundert Kilometer Anfahrt für eine Reparatur, die nicht erforderlich ist.

»Selbst ist die Frau!«, füge ich hinzu, um ihm gleich zu zeigen, mit wem er es zu tun hat.

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung dauert etwas zu lange. Mindestens so lange, wie man für das Denken des Satzes »Das habe ich gemerkt, als ich das erste Mal angerufen habe.« braucht.

»Na, dann, will ich Sie nicht weiter stören. Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, wie der Titel des Henker-Buches lautet: Der Henker von Paris. Aus den Memoiren des Henri Sanson. Viel Spaß beim Lesen. Auf Wiederhören!«

Ich starre den Telefonhörer an.

Tuuuuut, kommt aus dem Lautsprecher, aus dem ich eben noch die leicht sexy klingende Stimme von Herrn Schwapp.de vernommen habe.

Das heißt, er verfolgt genau, was ich im Forum schreibe. Warum? Ist er im Nebenberuf Polizist und wartet darauf, eine Straftat zu vereiteln? Oder ist er ein Berufskiller, der bei Schwapp.de als Forenbetreuer untergetaucht ist? Egal, er ist weit weg und ich werde in Zukunft einfach vorsichtiger sein.

Jetzt suche ich erst einmal das Buch Der Henker von Paris, da finde ich sicher einige Anregungen für Foltermethoden, die ich an dem Eisberg ausprobieren kann. Eine schöne Lektüre für meinen Besuch beim Arbeitsamt.