Klausurenkurs im Bürgerlichen Recht II

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Fall 4 Rechtsanwalt › Lösungswege

Lösungswege
Teil 1: Visitenkarte
I. Ansprüche der G gegen B
1. Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 I BGB

G könnte einen Schadensersatzanspruch gegen B wegen Schlechtberatung aus dem Anwaltsvertrag haben.

a) Art des Schuldverhältnisses

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Der Anspruch aus § 280 I BGB setzt das Bestehen eines Schuldverhältnisses zwischen G und B voraus. Als solches kommt ein Anwaltsvertrag in Betracht.

Bei diesem handelt es sich in aller Regel um einen Geschäftsbesorgungsvertrag auf der Grundlage eines Dienstvertrags (§§ 675, 611 BGB), der die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten zum Gegenstand hat. Ausnahmsweise ist auch eine werkvertragliche Basis denkbar, wenn ein bestimmter Erfolg geschuldet ist. Bei rein gutachterlicher Tätigkeit eines Rechtsanwalts kann dies vorkommen, als Erfolg gilt dann aber nicht das Erreichen des vom Auftraggeber verfolgten Ziels, sondern lediglich die Erstellung eines fachgerechten Gutachtens. Von entscheidender Bedeutung für die Abgrenzung ist, ob dem Verpflichteten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage (vgl. §§ 133, 157 BGB) das Risiko für den Eintritt des Erfolgs zuzuweisen ist. Das ist bei einer Anwaltstätigkeit in aller Regel nicht der Fall, schon gar nicht bei einer schwierigen vermögensrechtlichen Streitigkeit, wie sie der Sachverhalt vorgibt. Kein vernünftiger Rechtsanwalt würde den Prozesserfolg, der von vielen Unwägbarkeiten abhängt, garantieren. Somit ist auch im vorliegenden Fall von einem Geschäftsbesorgungsvertrag mit dienstvertraglichem Charakter auszugehen, so dass nicht die §§ 634 ff. BGB anwendbar sind, sondern die allgemeinen Schadensersatzregeln der §§ 280 ff. BGB.

Vgl. zum Anwaltsvertrag auch Fall 8 „Gewürz-GmbH“.

b) Wirksame Stellvertretung

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Zentrale Bedeutung für die Klausur hat die Frage, ob B bei Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrags wirksam durch K vertreten wurde (§ 164 I BGB). B trat nicht selbst mit G in Kontakt. Stattdessen einigte sich K selbstständig mit G über den Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags mit der Kanzlei Dr. B. K gab die entsprechende Willenserklärung offenkundig in fremdem Namen ab. Damit diese Erklärung gemäß § 164 I BGB Wirkung gegenüber B entfaltet, müsste K auch mit Vertretungsmacht gehandelt haben. Ausdrücklich hat B den K nicht bevollmächtigt i. S. d. § 167 BGB. Die Anstellung des K als Hilfskraft in der Kanzlei ist keinesfalls mit der Erteilung einer Vollmacht zur Entgegennahme von Mandaten verbunden.

Möglicherweise ist aber aufgrund eines Rechtsscheintatbestands gleichwohl von einer Vertretungsmacht auszugehen. Vor allem den §§ 170 ff. BGB, die auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind, lässt sich der allgemeine Rechtsgedanke entnehmen, dass derjenige, der den Rechtsschein einer Vollmacht veranlasst hat, das vom Vertreter abgeschlossene Rechtsgeschäft gegen sich gelten lassen muss.[1] Das setzt voraus, dass der Dritte nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte aus dem äußeren Geschehen auf eine Bevollmächtigung schließen durfte. Der Rechtsschein der Bevollmächtigung muss zudem von dem Vertretenen in zurechenbarer Weise gesetzt worden sein. Hier haben sich die Institute der Duldungs- und Anscheinsvollmacht herausgebildet.

aa) Duldungsvollmacht

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Für die Annahme einer Duldungsvollmacht ist erforderlich, dass der Vertretene das Verhalten des für ihn Handelnden kennt und es duldet.[2] Die Besonderheit des Falls besteht darin, dass B zwar das private Auftreten des K als Anwalt gegenüber Frauenbekanntschaften kennt und duldet. Ihm ist jedoch unbekannt, dass K sich auch bei seiner Arbeit für die Kanzlei zuweilen als angestellter Rechtsanwalt ausgibt. B weiß mithin nicht, dass K als rechtsgeschäftlicher Vertreter für ihn auftritt. Die Verneinung einer Duldungsvollmacht lässt sich damit gut begründen.

Zwingend ist dies jedoch nicht. Zum einen kann man sich fragen, ob sich B überhaupt darauf berufen darf, nur den Gebrauch der Visitenkarten gegenüber Frauen geduldet zu haben. Selbst wenn darin vielleicht noch kein nach § 132a I Nr. 2 StGB strafbares Verhalten liegt (vgl. dazu später im Text), erscheint das „Gutheißen“ des Verhaltens des K verwerflich. Ob man mit einem solchen Vortrag vor Gericht gehört werden kann, ist zweifelhaft (vgl. die römische Rechtsregel nemo auditur propriam turpitudinem allegans – Niemand wird gehört, der eine eigene Schandtat vorträgt). Jedoch ist zwischen Recht und Moral zu unterscheiden. Außerdem würde sich B nicht auf eine „Schandtat“ berufen, um daraus Ansprüche oder Gegenrechte abzuleiten, wie es die nemo auditur-Regel eigentlich verlangt, sondern damit lediglich die Voraussetzungen eines Anspruchs der F verneinen.

Zum anderen ist zweifelhaft, ob sich das dem B bekannte Auftreten des K als Rechtsanwalt in verschiedene Zwecke (Imponieren bzw. Vertretung der Kanzlei) aufspalten lässt. Das gilt vor allem deshalb, weil es naheliegt, dass von K persönlich beeindruckte Frauen gegebenenfalls auch mit der Bitte um Übernahme ihrer privaten Rechtsstreitigkeiten in der Kanzlei B an ihn herantreten, wie es letztlich die G getan hat. Dieses Argument weist allerdings stark in Richtung einer Anscheinsvollmacht, bei welcher der Vertretene das Verhalten des Vertreters zwar nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen können. Die Verneinung einer Duldungsvollmacht erscheint daher vorzugswürdig.

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Ergänzender Hinweis:

Bejaht man eine Duldungsvollmacht, gilt der Vertreter (K) als bevollmächtigt, die fragliche Willenserklärung (zum Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags) abzugeben. Teile der Literatur betrachten die Duldungsvollmacht sogar als eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht und nicht nur eine Rechtsscheinvollmacht.[3] Die rechtliche Einordnung des Instituts ist aber umstritten.[4] Für die Falllösung ist dies unerheblich, weil man sich über die Wirkungen einig ist. Geht man vom Vorliegen einer Duldungsvollmacht aus, besteht zwischen B und G ein Anwaltsvertrag.

bb) Anscheinsvollmacht

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Die Anscheinsvollmacht verlangt, dass der Vertretene das Verhalten des für ihn Handelnden nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können.[5]

Hinweis für die Fallbearbeitung:

Die dogmatische Begründung der Anscheinsvollmacht ist umstritten. Da die Figur in Rechtsprechung und Literatur aber unstreitig anerkannt ist, sollten Ausführungen zur Herleitung des Instituts (Analogie zu § 171 I BGB?; Analogie zu § 56 HGB?; § 242 BGB?; Gewohnheitsrecht?)[6] gleichwohl in einer Klausur nicht zu ausführlich ausfallen. Es erscheint sogar gut vertretbar – wie hier – von der Diskussion ganz abzusehen.[7] Einer Stellungnahme bedarf es aber selbstverständlich dann, wenn es im konkreten Einzelfall auf die widerstreitenden dogmatischen Begründungsansätze im Ergebnis ankommt.

Für die Erkennbarkeit spricht einiges. Der Schritt von der dem B bekannten Verwendung der Visitenkarte zwecks Imponiergehabes zur tatsächlichen Annahme von Mandaten ist nicht groß. Zumindest liegt er derart nahe, dass B die Obliegenheit getroffen haben dürfte, den K in Zukunft genauer zu überwachen. Dabei müsste es in einer ordentlich geführten Kanzlei auffallen, wenn ein studentischer Mitarbeiter in deren Namen tätig wird.

Fraglich ist allerdings, ob B in der Lage gewesen wäre, den Gebrauch der Visitenkarten zu unterbinden. Das kann man im Hinblick auf die rein private Verwendung bezweifeln. Jedoch kann sich B nicht darauf berufen, er habe das Handeln des K im Namen der Kanzlei nicht verhindern können.

Im Allgemeinen wird für die Annahme einer Anscheinsvollmacht außerdem für erforderlich gehalten, dass der zum Handeln in fremdem Namen nicht Befugte während einer gewissen Dauer und wiederholt für den Geschäftsherrn als Vertreter aufgetreten ist.[8] Diesem Erfordernis ist im vorliegenden Fall genüge getan. K trat seit zwei Monaten gelegentlich als angestellter Rechtsanwalt für B auf.

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Schließlich muss G (sowohl für die Annahme einer Anscheins- als auch einer Duldungsvollmacht) ohne Fahrlässigkeit auf das Bestehen einer ausreichenden Vollmacht vertraut haben (§ 173 BGB analog).[9] G wäre nicht schutzwürdig, wenn sie hätte wissen müssen, dass der duldende Geschäftsherr in Wahrheit keine Vollmacht erteilen wollte.

 

Fahrlässigkeit bedeutet das Außerachtlassen der verkehrsüblichen Sorgfalt (§ 276 II BGB). Dies wäre zu bejahen, wenn eine vernünftige Person mit dem Kenntnisstand des Geschäftspartners hinreichenden Anlass gesehen hätte, an einer Bevollmächtigung des K zu zweifeln. Dazu ist zunächst festzustellen, dass G den K durchaus für einen Rechtsanwalt halten durfte. Nach 16-semestrigem Jurastudium hat dieser das Alter eines Junganwalts allemal erreicht. Außerdem wird er nach derart langem Studium ohne weiteres in der Lage sein, einem Laien eine hinreichende Qualifikation zumindest vorzuspiegeln.

Gewisse Bedenken könnten sich lediglich daraus ergeben, dass ein „wissenschaftlicher Mitarbeiter Rechtsanwalt Dupont“ nicht zwangsläufig zur Entgegennahme von Mandaten bevollmächtigt sein muss. Allerdings darf G als juristischer Laie ohne Fahrlässigkeit auf eine solche Bevollmächtigung vertrauen. Immerhin handelt es sich bei „Herrn Dupont“ angeblich um einen Rechtsanwalt, nicht etwa um einen Mitarbeiter niederer Qualifikation. Es spricht somit vieles für die Annahme einer Anscheinsvollmacht.

cc) Rechtsfolgen

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Sehr umstritten sind die Rechtsfolgen einer Anscheinsvollmacht. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Vertretene in diesen Fällen nicht auf den Mangel der Vollmacht seines angeblichen Vertreters berufen.[10] Die Anscheinsvollmacht führt dazu, dass die von dem Vertreter abgegebene Willenserklärung dem Vertretenen nach § 164 I BGB (analog) zugerechnet wird. Die Anscheinsvollmacht wird damit in ihren Rechtsfolgen wie eine rechtsgeschäftliche Vollmacht behandelt. Das hieße für den vorliegenden Fall, dass von einem Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen G und B auszugehen wäre.

Namhafte Kritiker, unter anderem Flume und Medicus, wenden sich gegen die genannte Rechtsfolge.[11] Sie sind der Ansicht, dass nach der Systematik des BGB ein fahrlässiges Verhalten des Vertretenen nicht dazu führen könne, ihn auf Erfüllung in Anspruch zu nehmen. Dem in seinem Vertrauen enttäuschten Geschäftspartner sei nur ein Anspruch auf das negative Interesse zuzubilligen.[12] Dieser soll sich aus culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB) ergeben.

Hiergegen und damit für die h.M. sprechen aber die gesetzlich geregelten Fälle von Rechtsscheinvollmachten in §§ 170–172 BGB. Diese knüpfen zwar zumeist an bewusstes Verhalten an. Zur Auslegung, ob eine Urkunde i. S. v. § 171 BGB mitgeteilt oder i. S. v. § 172 BGB ausgehändigt wird, ist aber der Empfängerhorizont entscheidend. Es sind deshalb durchaus Fälle denkbar, in denen der Vertretene sein Verhalten gar nicht in dieser Weise verstanden wissen wollte. Daneben erfassen die §§ 170–172 BGB für den Rechtsschein des Fortbestehens der Vollmacht bloßes Unterlassen, das ebenfalls auf Fahrlässigkeit beruhen kann.

c) Schuldhafte Pflichtverletzung

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Die Pflichtverletzung liegt unzweifelhaft in der fehlerhaften anwaltlichen Beratung durch K.

B muss sich dessen Verhalten zurechnen lassen, wenn K sein Erfüllungsgehilfe gewesen ist, § 278 BGB. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falls mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird.[13]

K arbeitete als Gehilfe des B in der Kanzlei und unterstützte diesen bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeiten gegenüber Mandanten. Zu diesen Mandanten gehörte aufgrund des durch die Stellvertretung zustande gekommenen Vertragsschlusses auch G.

Bei unbefangener Betrachtung könnte man auf die Idee kommen, im konkreten Fall sei K nicht mit dem Willen des B tätig geworden. Deshalb die Zurechnung des Fehlers des K an B zu verneinen, kommt jedoch nicht in Betracht. B hat das mit der Arbeitsteilung verbundene Personalrisiko zu tragen.[14] Außerdem betrifft § 278 BGB gerade pflichtwidriges Gehilfenverhalten.[15] § 278 BGB beruht auf dem Gedanken, dass der Schuldner gegenüber dem Gläubiger für seinen Geschäfts- und Gefahrenkreis verantwortlich ist und dass zu diesem auch die von ihm eingesetzten Hilfspersonen gehören. Wer den Vorteil der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, soll auch das Risiko tragen, dass der an seiner Stelle handelnde Gehilfe schuldhaft rechtlich geschützte Interessen des Gläubigers verletzt.[16] Es ist deshalb unerheblich, dass K keine über Hilfstätigkeiten hinausgehenden Arbeiten übernehmen sollte.

Im Rahmen des § 278 BGB ist hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabs auf den Schuldner, hier B, abzustellen.[17] Entscheidend für die Frage, ob Fahrlässigkeit i. S. d. § 276 II BGB vorlag, ist, ob der Fehler des K für einen Anwalt bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorhersehbar und vermeidbar war. Davon ist nach dem Sachverhalt auszugehen. B hat somit die von K begangene Pflichtverletzung zu vertreten.

Daneben könnte auch eine eigene Pflichtverletzung des B vorliegen, die sich in einem Organisationsmangel manifestiert hat. Aus dem Anwaltsvertrag könnte sich die Pflicht des B ergeben haben, dafür zu sorgen, dass bei der Betreuung des Mandats der G nur qualifiziertes Personal für den Rechtsstreit relevante Handlungen vornimmt. In einer ordentlich geführten Kanzlei muss zudem deren Inhaber bei Anwendung der gehörigen Sorgfalt auffallen, wenn Hilfskräfte eigenständig Mandate betreuen. Auch eine eigene zu vertretende Pflichtverletzung des B lässt sich also bejahen. Obendrein bleibt zu bedenken, dass zugunsten des Gläubigers die Beweislastumkehr des § 280 I 2 BGB eingreift.

d) Schaden und Mitverschulden

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Zu ersetzen ist der Schaden der G in Höhe von € 100.000.

Eine Kürzung des Anspruchs gem. § 254 I BGB kommt dann in Betracht, wenn man annimmt, dass G sich nicht auf die behauptete Vollmacht hätte verlassen dürfen. Allerdings ist hier Vorsicht in der Argumentation geboten. Die Fahrlässigkeit der G ist nämlich bereits bei der Frage ihrer Schutzbedürftigkeit als Voraussetzung für die Annahme einer Anscheinsvollmacht geprüft worden. Es dürfen sich keine Widersprüche ergeben. Ein Mitverschulden sollte besser verneint werden.

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Ergänzender Hinweis:

Geht man mit der gewichtigen Mindermeinung davon aus, dass die Anscheinsvollmacht lediglich zu einem Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo führen kann, ist auf eine Pflichtverletzung des B abzustellen. Eine Zurechnung über § 278 BGB ist dann ausgeschlossen.

Zwischen B und G kam nach dieser Meinung ein Schuldverhältnis nach § 311 II Nr. 1 BGB zustande, denn auch beim Vertragsschluss durch einen falsus procurator werden die Vertragsverhandlungen auf den Vertretenen bezogen. Ihm wird vom Geschäftspartner das Vertrauen entgegengebracht. Seine sich daraus ergebende Pflicht, zu verhindern, dass K als sein Vertreter auftrat, hat er verletzt, § 280 I BGB. Hätte G nämlich gewusst, dass K die Kanzlei B nicht vertreten konnte, hätte sie ihm das Mandat nicht erteilt. G wollte gerade nicht mit K persönlich einen Anwaltsvertrag abschließen. Sie bat vielmehr darum, dieser möge ihren Fall in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Berger übernehmen. Die Pflichtverletzung geschah auch schuldhaft, weil er bei Anwendung gehöriger Sorgfalt das Auftreten des K als seinen Vertreter hätte vorhersehen und verhindern können. Wenn B pflichtgemäß gehandelt hätte, wäre der Vermögensschaden der G i. H. v. € 100.000 nicht eingetreten.

Letztlich könnte die Frage der umstrittenen Rechtsfolgen der Anscheinsvollmacht im vorliegenden Fall somit offenbleiben. G begehrt Ersatz des negativen Interesses, nicht dagegen Erfüllung, so dass beide Sichtweisen zu demselben Ergebnis führen. Aufbautechnisch erscheint es trotzdem ratsam, sich für die eine oder andere Rechtsfolge zu entscheiden, um Darstellungsschwierigkeiten z. B. beim Verschulden zu vermeiden.

2. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB

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Geht man von einem Anwaltsvertrag zwischen B und G aus, hat diese Anspruchsgrundlage keine eigenständige Bedeutung. Verneint man dagegen eine Rechtsscheinvollmacht, kommt diesem Anspruch besondere Bedeutung zu. Gleichzeitig ist jedoch Vorsicht vor Widersprüchen geboten. Wird nämlich verneint, dass B das Auftreten des K als seines angeblichen Vertreters hätte erkennen und verhindern können, so darf die cic-Haftung nicht mit genau diesem Argument bejaht werden.

Es bleibt allenfalls möglich, entscheidend auf das „Nicht-aus-dem-Verkehr-Ziehen“ der Visitenkarten durch B abzustellen. Damit könnte B eine Pflicht aus einem mit G bestehenden vorvertraglichen Schuldverhältnis schuldhaft verletzt haben. Die Annahme einer Pflicht, eine Irreführung potentieller Mandanten durch die Visitenkarten zu verhindern, liegt nahe. Das gilt vor allem deshalb, weil die Karten zur Außendarstellung der Kanzlei dienten.

Eine solche Pflichtverletzung hätte B auch zu vertreten, denn er ließ K sogar bewusst gewähren. Die Pflichtverletzung ist zudem für den Schaden der G ursächlich geworden. Hätte K sich nicht als Rechtsanwalt ausweisen können, hätte sich G nicht mit ihm über die Übernahme des Mandats durch die Kanzlei geeinigt, und K hätte nicht die Möglichkeit zur Begehung seines folgenschweren Fehlers gehabt.

3. Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB

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Bei dem von G erlittenen Schaden handelt es sich um einen reinen Vermögensschaden. Dieser ist nicht nach § 823 I BGB ersatzfähig, weil es an der Verletzung eines der im Katalog dieser Vorschrift aufgeführten Rechtsgüter mangelt.

4. Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 II BGB i. V. m. § 132a I Nr. 2 StGB

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§ 132a StGB verbietet den Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen. Einer der ausdrücklich geschützten Berufe ist der des Rechtsanwalts.

Die Frage, ob es sich bei § 132a StGB um ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 II BGB handelt, kann durchaus verschieden beantwortet werden. Ein Schutzgesetz liegt dann vor, wenn eine Norm – sei es auch neben dem Schutz der Allgemeinheit – gerade dazu dienen soll, den Einzelnen gegen die Verletzung individueller Rechtsgüter oder Interessen zu schützen.[18]

Bzgl. § 132a StGB wird der Schutz der Allgemeinheit besonders betont.[19] Das spricht gegen den Schutzgesetzcharakter. Andererseits wird häufig auch der einzelne als geschützt angesehen. § 132a StGB soll einen vorverlagerten Schutz vor Verletzungen von Individual- (insb. Vermögen) und Kollektivrechtsgütern (Staatsschutz) beinhalten.[20]

 

Bejaht man den Schutzgesetzcharakter, ist zu überlegen, ob B Beihilfe zu einer Straftat des K geleistet hat. K hat den Straftatbestand des § 132a I Nr. 2 StGB jedenfalls dann verletzt, als er als Rechtsanwalt für die Kanzlei Mandate entgegennahm. Davon wusste B jedoch nichts, kann also auch nicht vorsätzlich diese Tat unterstützt haben (§ 27 I StGB). Von ihm zumindest gebilligt wurde die private Verwendung der Visitenkarten zum Zweck bloßen Imponierens. Ob dieses Verhalten bereits strafbar ist, kann unterschiedlich beurteilt werden, da hierdurch die Interessen der Allgemeinheit nicht betroffen werden. Der BGH lehnt eine Strafbarkeit jedenfalls bei einmaligem privatem Gebrauch ab.[21] K ist allerdings mehrfach als Anwalt aufgetreten. Vielleicht liegt es trotzdem näher, eine private Lüge über seine berufliche Qualifikation nicht als strafrechtliches Verhalten zu qualifizieren.