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Das große Schweigen

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»Zu Gast bist du hier, mein Lieber!« sagte Tilla lächelnd. »Ich will dich hier nur als Gast sehen, nie als Hausherr! Denn ein Gast muß immer liebenswürdig und nett sein, darf kein finsteres Gesicht machen und keine Sorgen zeigen . . .«

»Wem soll ich sie zeigen, Tilla, wenn nicht dir?«

Sie warf sich an seine Brust, küßte ihn.

»Sollst du auch! Alles will ich mit dir tragen, an allem will ich mein Teil haben! Aber erst sei mein Gast: erst trink lieb und nett mit mir Tee und sage, daß ich dir gefalle, und daß du mich furchtbar, furchtbar lieb hast . . .«

»Das darf ich als Gast doch gar nicht! Da ließe mich doch der Hausherr hinauswerfen!«

»Der Hausherr weiß es gar nicht. Der Hausherr ist ein grämlicher Mann, der den ganzen Tag rechnet und seine Frau vernachlässigt . . .«

»Tilla!«

»Ja, ja! Sowie du nicht brav bist und schön gesittet mit mir Tee trinkst, sag' ich, daß du mich vernachlässigst . . .«

Lachend goß sie Tee in blumenzarte, chinesische Täßchen und schalt lustig, wenn er in männlichem Ungeschick den Trank zur Hälfte verschüttete, den Kuchen zerkrümelte, überall in dem Frauennestchen Dinge anstieß oder herunterwarf.

»Ein Mann ist etwas Schreckliches!« seufzte Tilla.

»Bändige ihn, Tilla, bändige ihn!«

»Ja, wart nur, ich bändige dich!«

Sie löste ihre langen, blonden Haare, deren Duft ihn berauschte, wie ein heimliches, süßes Gift, wand ihm die goldenen Strähnen um Hände und Nacken.

»Simson am Spinnrocken,« sagte sie ganz ernsthaft.

Er lachte über die kleine Entgleisung.

»Herkules hieß der Mann, Kind! Simson konnte selber mit seinen Haaren renommieren!«

»Das ist doch ganz gleich,« sagte sie ein wenig ärgerlich und ein wenig verlegen. »Es war eben so ein recht ungebärdiger Mensch, den seine Frau dann ganz klein kriegte . . .«

»In der Schule lernt man, daß die Frau Omphale hieß. Aber das ist wohl ein Irrtum: sie hieß Tilla!«

Nicht immer redeten sie nur solch verliebten Unsinn, denn Tilla war zwar wenig gebildet, aber intelligent und mit jenem merkwürdigen Sinn für geschäftliche Praktiken und Kniffe begabt, den gerade Frauen aus kleinen und zweifelhaften Verhältnissen häufig besitzen. Juristisch war sie erst recht in allen Schlichen erfahren; sie hatte sich, so jung sie noch war, doch schon allzulang mit unsauberen Elementen ums liebe Brot raufen müssen, als daß sie nicht, selber schlau und gewitzigt geworden wäre. Sie war aber klug genug, nicht allzuviel von ihren Kenntnissen und Erfahrungen zu verraten, so daß Rudolf nur mit Vertrauen, ohne Argwohn, ihr alles erzählen konnte, was seine andre Leidenschaft – die Eisenwerke – betraf. Gar manchesmal saß das junge Paar bis spät in die Nacht beisammen, ohne an Liebeständelei zu denken. Dann sprach Rudolf von seinen Plänen, seinen Hoffnungen, seinen Befürchtungen, Chancen und Konkurrenten und Tilla hörte aufmerksam und verständig zu. So erfuhr sie auch, daß damals schon, vor Jahren, sein ganzes Streben danach ging, durch die Vermittlung des Staatsrats von Ebeling die Lieferungen für das Königreich zu bekommen . . .

Ein Tag, ein unseliger Tag, riß dann das holde Glück dieser Ehe in Fetzen. Der Tag, an dem Tilla weinend, mit gerungenen Händen auf den Knieen vor ihrem Manne lag, auf daß er ihr verzeihen sollte, was kein starker Mensch verzeihen kann . . .

Wie das gekommen war? Wie es möglich gewesen, daß sie aus den Armen eines liebenden und (wie sie sagte) geliebten Mannes weg zu einem andern lief, um ihn zu belügen, wie sie den Gatten belogen hatte? Sie fand keine rechte Antwort darauf. Es war ein früherer Kollege von ihr, der eben am Stadttheater gastierte. Sie hatten sich wiedergesehen . . . gesprochen . . . Von alledem hatte sie Rudolf nichts gesagt, denn sie wußte, daß er keinerlei Beziehungen von früher, welcher Art immer sie sein mochten, dulden wollte . . . Heimlich hatte sie dann, während ihr Mann in geschäftlichen Angelegenheiten verreist war, mit dem Kollegen in einem Chambre séparée gespeist – – –

So war's gekommen. Gedacht hatte sie sich eigentlich gar nichts dabei.

»Es war halt ein Mensch von früher,« schluchzte sie. »Ich kann das nicht so erklären . . . er war halt von früher . . . Und da hab' ich wie Heimweh gekriegt . . .«

»Heimweh nach Kot!« schrie Rudolf mit häßlichem Auflachen.

»Ja . . . vielleicht . . . Ich weiß nicht. Ich bin ganz dumm im Kopf . . . Ich begreif' mich selber gar nicht . . . Ohrfeigen könnt' ich mich . . . Und ihn – ha, erdrosseln möcht' ich diesen Schurken!«

Unwillkürlich wurde sie theatralisch, nicht nur in Worten, sondern auch in Gesten. Dann weinte sie wieder bitterlich und aufrichtig.

Rudolfs erster Gedanke war: Scheidung. Das Haus mußte gesäubert werden. Eine Tilla hatte kein Recht mehr, hier zu leben und zu schalten. Also: Scheidung, Prozeß, Zeitungsnotizen, Klatsch, Mitleid und – nicht zu vergessen – der höhnische Triumph der Familie . . .

»Ja, mein armer Rudolf, solche Heiraten rächen sich immer!«

»Siehst du, uns hast du ja nie glauben wollen, nun mußt du am eigenen Leibe erfahren, was für ein Geschöpf du verhätschelt und verhimmelt hast . . .«

Und nicht nur die Verwandten, auch die Fremden würden mit bösem Lächeln sagen: »Bei Schüttings hören die Skandale nicht auf! Eine heruntergekommene Familie . . .«

Da bäumte er sich in seinem Innern auf. Nein, das durfte nicht sein. Sie sollten nicht wieder mit Fingern auf ihn zeigen. Der Name Schütting, der sich eben langsam zu erholen begann, durfte nicht aufs neue in allen Gassen und Schenken herumgezogen werden. Schlimm genug, daß schon Mitwisser oder wenigstens Mitahner da waren, – ein anonymer Brief hatte ja Herrn Schütting ermahnt, sich doch darum zu bekümmern, wo seine Frau in seiner Abwesenheit ihre Abende verbringe.

So entschloß sich Rudolf, nach schwerem Kampf mit Sich selbst, von der Scheidung abzustehen, Tilla im Hause zu behalten. Als er in etlichen kurzen, harten Worten seinen Entschluß mitteilte, wollte sie ihm unter lächelnden Tränen der Dankbarkeit und der Versöhnung an den Hals fliegen. Er schob sie aber jäh beiseite, daß sie taumelte und ging schweigend aus dem Zimmer. –

Seit jenem Tage schwieg er. Nie mehr hatte er ein Wort an sie gerichtet. Sie erfuhr nichts mehr von dem, was ihn bewegte, freute oder betrübte. Sie war wie ausgelöscht aus seiner Gegenwart. Häusliche Angelegenheiten, in denen sie zum Schein mitzusprechen hatte, erfuhr sie durch einen Befehl, den er in ihrer Gegenwart dem Diener gab – wie eben vorhin. Daß sich die Werke ständig hoben, las sie aus den Geschäftsberichten, welche die Zeitungen regelmäßig am Schluß des Geschäftsjahres brachten, oder sie entnahm es aus den Reden ihrer Bekannten, deren sie freilich nicht viele besaß. Aus dem Munde ihres Mannes kam ihr nichts, gar nichts. Wie ein fürchterliches, nie zu lösendes Geheimnis lag sein Schweigen zwischen ihnen. –

Als es zuerst begann, hatte es sie nicht bedrückt. Im Gegenteil. Sie atmete auf, daß den Tagen voll Zornesausbrüchen, Tränen und Verzweiflung diese große Ruhe gefolgt war. Sie wußte ja nicht, daß sie von unendlicher Dauer sein sollte. Sie hielt für zorniges, aber vorübergehendes Schmollen, was das eherne Gesicht verächtlichen, beleidigten Stolzes war. Da versuchte sie wohl schüchtern, vorsichtig, ihn allmählich wieder in die alte Bahn zu lenken. Fragte schmeichelnd und doch ehrfürchtig bei Tisch: »Darf ich dir noch ein Stück Fleisch vorlegen? Macht das neue Mädchen den Kaffee nicht zu schwach?«

Keine Antwort.

Sie wurde rot, senkte den Kopf. Blieb etliche Tage stumm. Fragte dann scheu, mit leichtem Herzklopfen, irgend etwas, von dem sie wußte, daß es ihm am Herzen lag. Nach einem neuen Beamten in den Werken . . . einem großen Auftrag . . . Oder von der Liquidation einer Konkurrenzfirma . . .

Keine Antwort. Es war, als ob sie ins Leere hinein spräche, in einen Raum, darin nur die Form eines Menschen saß, nicht ein Mensch mit fünf klaren Sinnen.

Allmählich wurde ihr dies hartnäckige Schweigen zur Beklemmung. Die fürchterlichen Tobeszenen, die ihm voraufgegangen waren, erschienen ihr dagegen wie ein Kinderspiel. Worte waren doch etwas Flutendes, Wechselndes, waren Lebendiges, das zum Leben zurückführte, wenn auch durch Blut und Schmutz und Jammer, – aber doch zum Leben zurück. Dies Schweigen aber war wie der grinsende Tod . . .

Sie demütigte sich aufs neue vor ihm. Sie bat, flehte, weinte. Sie lag wieder auf den Knieen vor ihm, diesmal ohne jede theatralische Geste. »Rudolf, ein Wort! Sag nur ein einziges Wort! Ich bettl' dich an um ein Wort, um so ein armes, erbärmliches Wort . . . Das ewige Stummsein macht mich verrückt . . . Lieber schimpf, schlag mich! ja, lieber schlag mich tot! Aber rede, rede! Rudolf, bei allem, was dir je heilig war, beschwör' ich dich: rede! Red' nur ein einziges Mal wieder! Aber rede!«