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Die verkaufte Erinnerung

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»Das ist unser aller Traum,« flüsterte die Marquise de Tours und schob das breite Samtband um den Hals höher hinauf, damit ihr Nachbar nicht die Runzeln hinter dem Ohr sähe.

»Es ist unser aller Traum, aber ich träumte diesen Traum so leidenschaftlich, daß ich meinte sterben zu müssen, wenn die Jugend je zu Ende ging. Wenn bei Festen die Bewunderung der Männer und der Neid der Frauen mich umfing, schrie meine Jugend jauchzend in mir auf wie eine berauschte Bacchantin, und noch im Einschlafen klangʼs durch mein Blut, durch meinen Kopf: du bist jung! Oh Gott, wie bist du jung! Das ging so Jahre, Jahrzehnte, bis der schreckliche Tag anbrach, an dem ich zum ersten Mal —«

»Ein graues Haar oder einen feinen Strich an den Schläfen entdeckte?« fragte die Marquise de Tours atemlos.

»Nein, es kam der viel schrecklichere Tag, an dem ich zum ersten Mal die Angst vor dem Altwerden spürte. Oh, meine Freunde, verlangt nicht, daß ich Euch diese Angst mit Worten schildere! Ihr Jungen würdet nichts von ihren Schrecken verstehen, und ihr anderen, die ihr gleich mir des Lebens Rosengärten längst verlassen habt, ihr anderen wißt aus eigener bitterer Erfahrung, welche Höllenqualen sie in sich schließt – die Furcht vor dem Altern! Merkte auch noch kein Unberufener, daß die Holde sich schon anschickte mich zu verlassen, galt ich auch nach wie vor als eine der schönsten Frauen von Versailles, so wußte ich doch bei mir, daß ich es schon morgen nicht mehr sein würde, und mein Jammer darüber war grenzenlos.«

Frau von Hauteville machte eine Pause. Die Marquise de Tours hatte den Kopf ein wenig gesenkt, damit man die kleine Träne nicht sehen sollte, die sich zwischen ihre tiefgeschwärzten Wimpern drängte.

»Da, in einer Zeit, wo ich schon fast der Verzweiflung, der wirklichen Verzweiflung nahe war, tauchte in Paris ein Italiener auf, der alsbald die ganze Stadt von sich reden machte. Sein Name ist gleichgültig. Er lebte ganz zurückgezogen, nur mit alchimistischen und medizinischen Studien beschäftigt. Wieso dann doch jeder von ihm sprach? Er dankte dies einem abenteuerlichen Gerücht, das ihm von Süden her vorangelaufen war und nimmer verstummen wollte. Es hieß, er besäße eine Panazee gegen Alter und Tod. Ihr könnt euch wohl denken, wie solch ein Gerücht gerade auf die lebensfrohen Pariser wirkte, und wie sie sein kleines, verschwiegenes Haus in der Rue de Venise belagerten. Es war aber fast unmöglich, bis zu ihm vorzudringen, denn er galt als ein Menschenhasser und, so unwahrscheinlich das bei einem Italiener auch klingt, als ein Geldverächter.

Ich will euch nicht mit Schilderungen langweilen, wie es mir gelang, in sein Haus zu kommen, genug, daß es mir gelang. An einem regnerischen Herbstnachmittag sah ich tiefverschleiert in meiner Sänfte, die vor einem verwitterten, unheimlichen kleinen Hause in der Rue de Venise hielt. Ich tappte über eine schmale, dunkle Treppe empor, klopfte mit dem Kupferklöppel an die Haustüre, die ich vorsichtig öffnete und rasch wieder hinter mir schloß. Ich trat aufs Geratewohl ein paar Schritte weiter, eine unsichtbare Hand schob eine schwere Türe beiseite, mild gedämpftes Licht, dessen grünliches Schillern an die Fenster von Notre Dame erinnerte, fiel in ein weites, niedriges Gemach, das ganz vollgestellt war mit Büchern, Retorten, weitbauchigen hellen Glasflaschen, die seltsame Gebilde umschlossen, dunklen Phiolen und geschnitzten kleinen Truhen. An den Wänden sah ich neben Dolchen und Totenschädeln laszive Bilder und Stiche, was mich seltsam berührte.

Ein Mann trat auf mich zu und fragte in geläufigem Französisch, doch mit dem häßlichen Accent der Italiener nach meinem Begehr. Er mochte an die Vierzig sein und glich an Gestalt, Kleidung und Wesen einem Edelmanne. Er war schlank und geschmeidig wie die Dolche an der Wand, über dem spitzgeschnittenen Bart lag ein kleiner Reif, aber sein braunes Gesicht, seine lodernden Augen waren so jung, daß der bestäubte Bart wie Koketterie wirkte. Da ich vor Erregung und Herzklopfen noch stumm blieb, führte er mich höflich zu einem Sitz, ließ sich mir gegenüber nieder und wiederholte seine Frage nach meinem Begehr. Da faßte ich mir ein Herz, schlug die Schleier zurück und sagte: »Mein Herr, man erzählt, daß Sie ein Allheilmittel gegen Alter und Tod besitzen. Den Tod fürchte ich nicht, aber das Alter. Oh, wenn Sie es mir ersparen können, so beschwöre ich Sie, verkaufen Sie mir Ihr köstliches Mittel! Ich bin reich, ich zahle willig jeden Preis. Nur ersparen Sie mir die Scham und die Qual des Alters!« – Er sah mich aufmerksam an, fuhr mit der Hand ein wenig über meine Stirn und fragte:

»Madame, haben Sie es auch genau überlegt? Wohl kann ich die Jugend festhalten, die Sie heute noch besitzen, aber der Preis, den Sie dafür zahlen müssen, ist hoch . . .«

»Ich sagte Ihnen ja, daß ich reich sei.«

»Geld kostet es nicht, schöne Dame – aber —«

Er brach ab. Ich sah auf die lasziven Bilder an der Wand und sagte, wie es sich in solcher Situation wohl schickt: »Sie sind sehr kühn, mein Herr!« Er lächelte spöttisch:

»No, no, Madonna, auch das nicht. Es ist ein ganz anderer Preis, den Sie bezahlen müssen.«

»Nennen Sie ihn!«

»Die Erinnerung!« sagte er leise, beinahe traurig.

Da ich natürlich nicht recht verstand, was er meinte, sah ich ihn fragend an, und er erklärte:

»Wer jung bleiben will, darf kein Gedächtnis haben, denn nur die Erinnerungen machen alt, nicht die Jahre oder die Erlebnisse. Die Jahre ziehen stumpf und blind an uns vorüber, Erlebnisse sind wie ein heißer Quell, der unsere Lebensgeister stärkt und anfacht, Erinnerung aber ist ein unerbittlicher, grausamer Schreiber, der unser Gesicht zerstört, weil er keinen anderen Platz für seine schrecklichen Runen weiß. Nur Narren und Kinder glauben, daß das Alter alt macht; ich aber sage Ihnen, Madame, daß es nur die Erinnerung ist. Wollen Sie also von mir unvergängliche Jugend, so müssen Sie dafür ihre Fähigkeit des Erinnerns hergeben.«