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Die verkaufte Erinnerung

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Ich blieb noch bis zu meiner völligen Wiederherstellung in dem kleinen Nest, und da erfuhr ich allerlei seltsame Gerüchte, die über den verstorbenen fürstlichen Alchimisten umliefen, und die zum Teil Ihre Frage beantworten, Herzog von Noailles. Zunächst vernahm ich, daß jeder von meinem Selbstmordversuch im Laboratorium wußte, keiner aber seinen wahren Grund ahnte. Man glaubte vielmehr allgemein, ich sei eine hohe, eine sehr hohe verlassene Geliebte des Italieners gewesen, die ihm aus Paris nachgereist war und vor seinen Augen sterben wollte, da er sie nicht mehr liebte. In Deutschland hört man solche Geschichten gerne und glaubt sie viel eher, als bei uns . . . Diese Vermutung wurde noch befestigt – bitte, Herr Herzog, hören Sie genau zu! —, als gerade an dem Tag, da der Italiener gestorben war, zwei vornehme Reisende aus Paris in dem kleinen Nest eintrafen, die sich genau nach dem fürstlichen Alchimisten erkundigten und ihn schon am nächsten Morgen aufsuchen wollten. Als sie die Kunde seines Todes erfuhren, kannte ihre Bestürzung keine Grenzen. Der Eine soll gejammert haben: »Wir sind verloren! Nie dürfen wir es wagen, mit dieser Nachricht nach Versailles zurückzukehren,« und der Andere sei wie vernichtet dagesessen und hätte gestöhnt, daß er sein Vermögen und die Hälfte seines Lebens dazu geben möchte, hätte der Italiener nur noch acht Tage gelebt, denn in acht Tagen hätte man ihn noch über die Grenze vor das Antlitz Seiner Majestät bringen können« – —

Frau von Hauteville verstummte. Der kleine Kreis ihrer Zuhörer blieb einige Augenblicke in Nachdenken versunken. Dann entstand ringsum allgemeine Bewegung, alle Köpfe wandten sich der großen Terrasse zu, die von Windlichtern und Lampions hell erleuchtet lag. Die Marquise von Pompadour war eben erschienen. Ihr hochgerafftes Brokatkleid tropfte von Silberflittern. Auf ihren kleinen, rosafarbenen Atlasschuhen blitzten Diamantagraffen. Blasse Grazie lag über ihrer gebrechlichen Schlankheit und dem schmalen, klugen Blondinengesicht . . .

Der König strafft sich, da er sie kommen sieht. Er fürchtet den Blick, mit dem sie seine erschrockenen Vogelaugen und sein zitterndes Kinn zu streifen pflegt. Fürchtet ihn und nimmt schon im voraus kleinliche Rache. »Sie sehen angegriffen aus, Frau Marquise, angegriffen und überwacht. Sind Sie krank, Frau Marquise?«

Ein gequältes Lächeln irrt um ihren Mund. Ihre Augen weiten sich, sehen über das erschrockene Vogelgesicht hinweg, hinaus in die Ferne, auf ein Schlachtfeld, wo Frankreichs Jugend und Frankreichs Waffenrühm zerstampft liegt – —

»Ja, Sire, ich bin krank, sehr krank, seit dem unseligen Tage von Roßbach.«

Der König starrt verständnislos, sein Kinn beginnt wieder heftig zu zittern. Roßbach, Roßbach . . . wenn er sich doch besinnen könnte, was mit Roßbach gewesen ist! Etwas Schreckliches muß da gewesen sein. Das merkt er nicht nur aus den Worten der Marquise, sondern auch aus ihrer Stimme, aus ihrem Gesicht. Aber was? Was? Er zermartert sich das Hirn, um auszufsinden, was mit Roßbach gewesen sein könnte. Aber er findet nichts – gar nichts. Vielleicht könnte man die Marquise diplomatisch ausholen, auf Umwegen von ihr erfahren, was mit Roßbach eigentlich gewesen ist . . Er läßt es aber lieber sein. Er weiß, daß er heute weder seine Augen, noch seine Kinnmuskeln in der Gewalt hat, und er fürchtet die Marquise. Wenn er sie böse macht, vernachlässigt sie den Kirschpark, und die brutalen, stets sich erneuenden Genüsse, die junge Schönheiten im Kirschpark bieten, sind ja das Einzige, was die schreckliche Melancholie Ludwigs zerstreuen kann. Genuß ist Gegenwart und verlacht die Erinnerung – —

Verbindlich neigt sich der König über die abgemagerte Hand der Marquise, die den Fächer hält:

»Ihre Hand, Marquise, ist schön, wie ein Kronjuwel! Und was für einen entzückenden Fächer haben Sie heute gewählt . . . sehr fein in den Farben und sehr diskret in der Verwendung der Steine.«

Die Marquise blickt eine Minute fast zärtlich auf das zierliche Fächerblatt, das Boucher mit einer Schäferszene geschmückt hat. Das Perlmuttergestell ist so fein ausgesägt, daß es einer Spitze gleicht. Rubinen und Diamanten sind wie Tautropfen drüber hingestreut. Mit einer kleinen jähen Bewegung hebt sie den Fächer, als wolle sie ihn küssen, läßt ihn wieder sinken und sagt voll lächelnder Bitterkeit:

»Erkennen Sie den Fächer nicht mehr, Sire? Eure Majestät schenkten ihn mir, als ich zum ersten Mal die Ehre hatte, bei Eurer Majestät speisen zu dürfen!«

»Ja, ja, selbstverständlich erkenne ich ihn . .« und während er sich in nichtsagenden Beteuerungen, in erlogenem Erinnern windet, zermartert er ich mit der Frage: »In welchem Jahr habe ich ihr wohl den Fächer geschenkt? Und wie war das, als sie zum ersten Mal bei uns speiste?« Aber nichts dämmert in seinem Kopf auf, gar nichts, obschon er sich quält, daß er wieder einem erschrockenen Vogel gleicht, und sein Kinn zu zittern beginnt. Tödlicher Haß auf die Marquise überfällt ihn, auf diese schreckliche Frau, die alles weiß und nichts vergißt. Oh, wenn er ihr den kleinen klugen Kopf spalten und ihr Gedächtnis an sich reißen könnte, wie er in Zeiten, die er nicht mehr weiß, ihre Schönheit an sich gerissen hat! Da steht sie vor ihm, von mörderischer Krankheit zerfressen: aber hinter der bleichen Stirn, die der Tod gezeichnet hat, leben in bunter Farbenpracht die Bilder der Vergangenheit – —

Haß und Neid stehen deutlich in des Königs Gesicht, aber die Marquise sieht ihn nicht mehr an. Ein armer, ohnmächtiger Zorn, schwillt in ihr empor, Zorn auf diesen schrecklichen Mann, der ihr Leben gelebt hat und sich nicht mehr daran erinnert, der Frankreichs Ruhm vertan hat und es nicht mehr weiß. And sie, die sonst so beherrscht, so ganz Klugheit und Kühle ist, sie hat jetzt den unbändigen Wunsch, ihm die Faust ins Gesicht zu schlagen, auf die leeren, erschrockenen Vogelaugen und das alberne, zitternde Kinn. Den Wunsch hat sie wohl, doch nimmer den Mut. Solch verwegenen Mut hatte wohl (wie hämischer Hofklatsch flüstert) hinter verschlossenen Türen die Chateauroux gehabt, die unbändige, vollsäftige Aristokratin, niemals aber würde ihn die ausgeglichene, blutarme, bürgerliche Jeanne Poisson finden . . .