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Da stand, daß Harro Brachmann, der mit seiner schönen, jungen Freundin, der Schauspielerin Maria Duffey, in zärtlicher Einsamkeit seit Monaten in einem bescheidenen spanischen Seebad lebe, soeben die letzte Hand an ein neues, großes Drama lege. »Über den Inhalt dürfen wir heute nur so viel verraten, daß ihm ein letztes schmerzliches Selbsterlebnis des Dichters zugrunde liegt. Der Held des Dramas ringt sich mit übermenschlicher Kraft aus den Banden einer alternden Frau los, der er Vieles verdankt und findet in einer neuen Neigung zu einem jungen, rührenden Geschöpf menschliches Glück und die Ruhe zu künftigem, künstlerischem Schaffen. Die weibliche Hauptrolle des Stückes – das junge Mädchen – wird auf Wunsch des Dichters von Fräulein Maria Duffey kreiert werden.«

IV

Nach einigen Tagen stand Meta Martens wieder auf. Ihre Stimmung war die einer Rekonvaleszentin, sie fühlte sich ein wenig schwach, ein wenig gütig und eigentlich auch wieder lebensfroh. Was konnte sie es schließlich kümmern, ob Harry Brachmann neue Stücke schrieb oder nicht, ob Maria Duffey die Hauptrolle spielte oder nicht?! Mochte der Dichter sein Werk um ein Paar schöner Augen willen mit dieser oder jener Utilité kompromittieren, ihr galt es gleich. Es war nur zum Lachen, einfach zum Lachen! Was war das für ein Mensch, dem eine Meta Martens jahrelang die dichterischen Gestalten mit edelstem Blute gefüllt, mit stärkster Kunst verlebendigt hatte und der sich nun in zweifachem Sinn an eine Maria Duffey wegwarf?!

Sie sah durchs Fenster hinaus in den heißen Augusttag, dessen Farben südliche Klarheit und Härte zeigten. Fast schwarz stachen die Tannen in das tiefe Blau des Himmels hinein, die kleinen Häuser des Dorfes schimmerten grellweiß. Ein Hauch des Südens wollte sie umfangen. Die Worte der Grillparzerschen Sappho fielen ihr ein:

 
Götter sich zum Eigentum erlesen,
Geselle sich zu Erdenbürgern nicht.«
 

Das Schicksal Sapphos ergriff sie. Die königliche Frau, die im Herzen des Mannes von einer Sechzehnjährigen verdrängt wird – – Sie empfand plötzlich das Bedürfnis, königlich zu sein, königlich zu schreiten wie die Griechin. Sie nahm einen scharlachroten Schleier, legte ihn lose um die Schultern über das weiße Kleid und ging fort, dem Hügel zu, auf dem die schwarzen Tannen standen. Sie kam an einem Feld vorbei, das umgepflügt wurde. Träge stapften die Ochsen durch die aufgetrockneten Schollen. Der Knecht lenkte mit der Hand den Pflug, schrie in regelmäßigen Zwischenräumen »Hü!« und »Hott!« Meta Martens blieb einen Augenblick stehen. Sie dachte: Es muß ein sehr schöner Farbeneffekt sein, das dunkle Feld, die flimmernde Helle der Luft und dazu mein roter Schleier. Wenn ich jetzt langsam neben dem Pflug herschreite, muß ich mit meinem roten Schleier wie ein Symbol des Lebens wirken, das die Furche segnet und behütet!

Sie ging nun wirklich mit langsamen, fast feierlichen Schritten am Rand des Feldes entlang. Der Knecht schrie »Hü!« und »Hott!« und merkte gar nicht auf sie. Auch sonst war niemand da, der sie angesehen oder bewundert hätte. Es ging auf Mittag und wer konnte, war daheim im kühlen Haus. Nur ein Bauernbursch zog aus einem Stall einen jungen Stier heraus, um ihn hinüberzufahren zur Kuh des Nachbarn.

Dem jungen Stier lag wahrscheinlich schon die Liebesstunde im Sinn und das strahlende Sonnenlicht verwirrte ihn, der bislang im Dämmer des Stalles gestanden hatte. Er schwankte ein wenig, hob den Schweif und begann zu brüllen. Der Bauernbursch lachte und wollte ihn an der Eisenkette, an der er ihn führte, weiterreißen. Da erblickte das Tier einen blutroten Schimmer – Meta Martens' Schleier . . . Es stellte sich in Positur, hob den Schweif noch höher, brüllte dumpf, riß sich von der Kette und wollte mit gesenkten Hörnern gegen das Symbol des segnenden und schützenden Lebens anrennen.

Geschrei . . . Brüllen . . . Peitschenknallen . . . Männer, die mit einem rasenden Tier ringen, es bewältigen und wegführen . . . Meta war so tödlich erschrocken, daß sie wohl sah, aber nicht mehr begriff, was um sie her vorging. Als sie wieder zu sich kam, merkte sie, daß sie nicht mehr in der Sonne ging, sondern schon im Schatten des kleinen Hügels, auf dem die schwarzen Tannen ragten. Ein Männerarm stützte sie und eine hübsche, weiche Stimme fragte mitleidig: »Arme, gnädige Frau, geht's Ihnen jetzt ein wenig besser?«

Der junge Forstgehilfe war gerade des Weges gekommen, als das Abenteuer mit dem Stier begann. Während die Bauern das Tier bändigten, hatte er sich um die entsetzte, vor Schrecken fast gelähmte Frau bemüht. Sorgsam, als hielte er ein Kind im Arm, führte er sie jetzt zu der Holzbank, die unter den Bäumen stand.

Sie kamen ins Plaudern.

»Wie heißen Sie?« fragte Meta Martens.

»Hans,« fügte er, »Hans Brandner.«

»Das ist ein hübscher Name. Er paßt in die Gegend!«

Er wurde rot, lächelte verlegen. Faßte sich dann ein Herz, und begann ihr von seiner Bewunderung zu sprechen. Er hatte sie spielen sehen, wie er sein Jahr in der Stadt diente. Er sprach von ihrer »Kameliendame«, »Magda«, »Rodogune«, »Cäsarine«. Er hatte natürlich weder ein literarisches, noch ein künstlerisches Urteil, fand Brachmanns »Rodogune« »a bissel sonderbar« und war begeistert vom »Weib des Claudius«.

»Alle Tag könnt' ich das sehen, wenn Sie's spielen.« Feinheiten ihrer Kunst, Nuancen, auf die sie stolz war und bei denen alle Ästheten vor Wonne geschauert hatten, waren ihm völlig entgangen, er wußte nur, daß sie prachtvoll aufschreien, elementar rasen, entzückend zu schmeicheln verstand . . . »Und weinen, wissen Sie, g'weint haben Sie, daß einem das Herz gezittert hat. Ich hab' nie einen Menschen so weinen sehen –«

»Das Leben hat es mich gelehrt!«

Er sagte nichts, sah sie nur erstaunt, fast ehrerbietig an.

Sie sprachen dann über alles mögliche, das heißt, sie redete fast unaufhörlich und er hörte zu. Sie sprach von früher, von ihren Triumphen, ihren Rollen, den Intrigen, die Kolleginnen gegen sie gesponnen, der Bravour, mit der sie Agenten und Direktoren getrotzt hatte. Theaterklatsch und -anekdoten berichtete sie dem jungen Menschen, der dasaß und mit runden Augen staunte, als erzählte ihm die Frau Märchen oder als wär' sie selber eines . . .

Mittag war vorüber, als Meta Martens sich erhob, um heimzugehen. Sie reichte ihm die Hand, meinte, daß er diese Hand küssen sollte, wie alle andern Männer taten, die sie kannte. Der Forstgehilfe war aber viel zu ungeschickt, zu bäuerisch. Er schüttelte die zarte Hand, als wolle er ihr den Arm ausreißen, zog das grüne Hütl und verbeugte sich linkisch.

»Leben Sie wohl, Herr Brandner!« sagte Meta Martens mit einem graziösen Lächeln. »Hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder, es plaudert sich so hübsch mit Ihnen! Und nochmals vielen Dank für Ihren Ritterdienst!«

Sie ging. Sie war sehr animiert. Ach, es war doch hübsch, wieder einmal in dem alten Theaterkram herumzustöbern und ihn vor den entzückten Augen eines naiven Menschen auszubreiten. . . . Sie lachte vor sich hin. Ja, naiv war dieser Brandner, naiv, als käme er direkt aus der Dorfschule. Aber schmuck sah er aus in dem grauen, verwitterten Lodenanzug mit den grünen Aufschlägen und dem Gemsbart auf dem Hut. Braun, frisch, mit heiteren Augen und einem weichen Mund, an dem die Unterlippe sinnlich und auch ein wenig, ein ganz klein wenig schwächlich hing, – ein richtiger lustig-empfindsamer Sohn dieser Berge, die ja noch gar keine Berge waren. . . .

Meta Martens sah rosig und strahlend aus, als sie das Haus betrat. Sie summte eine Melodie vor sich hin und sagte zu Therese, daß sie Hunger habe, wirklichen Hunger.

»Gnädiger Frau scheint das Landleben gut zu tun,« sagte Therese und es kam Meta Martens vor, als ob Theresens Stimme etwas spitz klang. Sie war aber so gut gelaunt, daß sie sich nicht weiter darum kümmerte.

Sie sah Hans Brandner nun öfters, traf ihn bald unterwegs, bald im Forst. Da er musikalisch war, geigte und ein wenig sang, lud sie ihn auch einmal an einem trüben Sonntagnachmittag zum Tee ein. Es amüsierte sie, ihm das Staunen vom Gesicht abzulesen, da er über die dicken Teppiche, durch die unauffällige und doch deutlich wahrnehmbare Pracht ihres Hauses schritt. Sie lächelte, da er naiv meinte: »Da is ja wie in der Residenz . . . nur eigentlich noch schöner . . . a bisserl heimlicher . . .«

Alles verwunderte ihn, alles entzückte ihn: die alten Bilder, die hohen Bücherschränke, die matten Gobelins, die phantastischen Zeichnungen der elektrischen Krone. Am allerbesten aber gefiel ihm eine Wandverkleidung, die sie aus Schleifenbändern von Lorbeerkränzen hatte herstellen lassen und die gegen die diskreten Farben der übrigen Räume etwas kitschig wirkte. »Also so eine Idee! wie Ihnen nur so was einfallt! Da hätt' ich mich wochenlang besinnen können und wär' nie draufkommen. So was Schönes hab' ich in meinem Leben noch nicht g'sehn!« Seine Geigenkunst war natürlich bescheiden, seine Stimme ein frischer, aber völlig ungeschulter Tenor. Der Nachmittag verlief ganz hübsch, aber auch nur ganz hübsch, nichts weiter. Im Zimmer wirkte dieser junge Mann doch ganz anders als im Freien, recht uninteressant und ungeschickt in allen Äußerlichkeiten. Auch servierte Therese den Tee so verdrossen, so widerwillig, wie Meta Martens sie noch nie gesehen hatte. Als Hans Brandner gegangen war, wollte sie Therese eine Szene machen, aber diese schnitt ihr gleich das Wort ab und meinte patzig, sie versehe doch ihren Dienst tadellos, aber über ihre Miene lasse sie sich keine Vorschriften geben. Sie sei ein Mensch so gut wie die gnädige Frau auch und wenn der gnädigen Frau etwas gegen den Strich ginge, dann sähe sie auch nicht aus wie die himmlische Verklärung, und ihr, Therese, ginge jetzt eben sehr viel gegen den Strich. – Worauf sie das Zimmer verließ und die Türe hinter sich zuschlug.

 

Am nächsten Morgen entschuldigte sich Therese ob ihrer Heftigkeit und Meta Martens gewährte huldvoll Verzeihung. Da sie immer nur mit sich, nie mit der Psychologie andrer beschäftigt war, merkte sie nicht, daß auch Theresens Entschuldigungsworte anders klangen als früher, wo das Mädchen sich um des kleinsten Mißgriffs willen gleich einer Sünderin geachtet und gedemütigt hatte.

Das Warten auf den Briefträger wurde nun fast eine Qual. Zeitungen kamen nur zweimal täglich, – zweimal täglich suchte Meta Martens mit gierigen Augen und zitternden Pulsen Nachrichten über Harro Brachmanns neues Drama. An welchem Theater es zuerst gegeben werden sollte . . . wo . . . und ob wirklich Maria Duffey, diese Utilité, diese Lächerlichkeit, dieses Nichts, die Hauptrolle kreieren würde. Tagelang fand sie gar nichts, dann eine knappe Notiz, die alle Nachrichten über das neue Stück als »verfrüht« bezeichnete. Und wieder einige Tage später ein größeres Entrefilet, das berichtete, der Dichter sei mit seinem Werke nicht zufrieden, plane eine gründliche Umarbeitung. An eine Aufführung sei vor Frühjahr nächsten Jahres kaum zu denken. Da brannte ungeheurer Jubel in Meta Martens auf. Das war die Rache, die Vergeltung. Der Herr hatte ihn geschlagen und verwirrt, daß die einst so sichere Hand zu zittern begann und nichts Rechtes mehr schaffen konnte. Der Himmel selbst rächte den Verrat, den er an ihr und in ihr zweifach an der Kunst begangen hatte . . .

Sie war so berauscht von dieser Vergeltung, so heiß, so strahlend, daß sie meinte, sie müsse einem Weihnachtsbaum gleichen, der überallhin Glanz und Wärme sendet. Sie hielt es nicht mehr aus im Zimmer, sie mußte hinaus ins Freie, in den Garten, in den Wald. Sie traf Hans Brandner, dem sie mit erregter Stimme und unmotiviertem Lachen allerlei gleichgültige Dinge erzählte. Sie versprach ihm sogar, was sie ihm bis jetzt immer abgeschlagen hatte: sie wollte in den allernächsten Tagen mit ihm eine Bergpartie machen, am liebsten morgen schon, weil man doch nicht wußte, ob das Wetter hielt . . .

Am selben Nachmittag noch fuhr sie mit dem Auto nach der Stadt, um sich ein Touristenkostüm, Rucksack und Nagelschuhe zu kaufen. In der Morgendämmerung brachen sie auf nach der Hütte, wo sie übernachten wollten. – – –

Als sie wieder herunterkamen, ins Tal, blieb Meta Martens in der Waldeinsamkeit stehen, legte die Arme um seinen Hals und sagte mit süßester Schmeichelstimme: »Adieu, lieber, lieber Hans!«

Er drückte sie an sich, wußte nicht recht, ob alles, was er seit gestern erlebt hatte, Traum oder Wirklichkeit, und ob er nun eigentlich sehr glücklich sei oder nur sehr verdutzt. –