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Komödianten

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Auf einmal nannte er dann brüsk Marias Namen. »Höre, dies Weib mordet mich mit seiner Dummheit! Mich und mein Stück!«

Meta lehnte sich tief in ihren Sessel zurück, legte die Arme nachlässig auf die Seitenlehnen, streckte die gekreuzten Füße vor, wie ein Mensch, der sich sehr behaglich fühlt. Sie lächelte wieder ihr scharmantes Lächeln höchster Kunst und sagte wie bedauernd: »Armer Harro! Du tust mir leid!«

»Hast du wirklich nie daran gedacht zurückzukehren, Meta?«

»Zurückzukehren zu dir?«

»Zu mir . . . zur Bühne . . .«

Nun hatte sie große erstaunte Kinderaugen, in denen es blitzte wie von Tränen und Überraschung.

»Nein, Harro, wirklich nicht. Ich habe wirklich nie daran gedacht.«

»Warum nicht?«

»Ach, Harro, es geht nicht. Es geht nicht mehr. Ich habe es zu oft mit dir durchgemacht. Ich bin müde geworden, Harro, und kann mich nicht mehr so peinigen lassen.« Er hörte den falschen Klang in ihrer süßen, einschmeichelnden Stimme. Er wußte ganz genau, daß sie log und die Frage quälte ihn, was wohl hinter dieser Lüge stecke. Ob sie ihm die Rückkehr nur ein wenig erschweren wollte oder ob –

»Möchtest du auch nicht mehr zur Bühne zurückkehren?«

»Nein, Harro, das schon gar nicht mehr!«

»Das versteh' ich nicht . . . eine Gottbegnadete wie du! Du bist es der Welt schuldig, Meta, daß du dich ihr zurückgibst.«

»Ich habe so lange nur der Welt gelebt, Harro, nun will ich auch für mich leben.«

»Aha!« dachte er. »Für mich leben, das heißt, für Hans leben!« – Sagte: »Kann dich dies Leben hier befriedigen?«

»O ja, denn siehst du, meinem Wesen nach habe ich nie zur Bühne gepaßt. Die Bühne, das ist die Lüge, die Verstellung, die Heuchelei und die Intrige. Ich kann aber gar nicht lügen. Mir ist nur wohl, wenn ich wahr und gut sein kann.«

»Geschwätz, lauter Geschwätz!« dachte er. »Aber hinter all dem Geschwätz steht Hans. Um diesen Bauernbengel vergißt sie sich, mich und mein Stück!« Sie merkte, daß er ihr nicht traute, sie zum Teil auch mißverstand; das belustigte sie höchlich, regte sie an, ihre Komödie weiterzuspielen, bunter zu nuancieren, da und dort zu vertiefen. Sie spielte sich selbst, als wäre sie eine geistreiche Rolle und ganz unversehens wie ein geistreicher Partner brachte er ihr ihr Stichwort und Gelegenheit zu neuen Einfällen. Wie Champagner moussierten Empfindungen, Worte und wie ein leichter, heiterer Rausch legte es sich um ihre heißgewordenen Stirnen.

Dann sagte sie: »Und Maria Duffey? Hast du ganz mit ihr gebrochen?«

Den letzten Triumph wollte er ihr nicht gönnen.

»Nein . . . das geht nicht . . .«

»Geht nicht? Warum geht es nicht?«

Jetzt hörte er Argwohn in ihrer Stimme. Wußte zwar nicht, was sie argwöhnte, sagte aber gelassen: »Es geht nicht, Meta, frage nicht weiter.«

Sie setzte sich steif auf, ihre Stirne war ganz kühl geworden.

»Warum geht es nicht?«

Er sah mit verschleiertem Blick gradaus. Er wollte, konnte es ihr doch nicht sagen. So lächerlich durfte er doch nicht vor ihr dastehen, ihr den Sieg, den sie zuletzt doch über die Andere errungen, nicht so leicht, so selbstverständlich erscheinen lassen . . . In ihr bohrte der Argwohn. Sie folgte seinem Blick, fing an, ihn zu deuteln, Verborgenes zu ahnen. Er belog sie, das wußte sie. Er hatte etwas zu verhehlen, jäh und schmerzhaft kam ihr plötzlich die Erkenntnis: »Ein Kind! Sie erwartet ein Kind von ihm –«

Einen Augenblick war's ihr, als spürte sie ein Messer in der Brust und gleich darauf sagte sie sich doch: »Nein . . . unmöglich . . . es kann nicht sein . . .« Hatte nicht Harros Männereitelkeit von jeher ein Kind begehrt, natürlich einen Sohn, der das Geschöpf und der Namenserbe des berühmten Vaters werden sollte?! . . . Aber keine der vielen Frauen, die er umfangen, hatte ihm die große Sehnsucht erfüllt; Ehe und Liebesbund waren gleich unfruchtbar geblieben. Trüge die Duffey ein Kind von ihm, – nie wäre er zurückgekehrt. Oder wenn, dann nur vorübergehend, um ihr, Meta Martens, in prahlendem Stolz zu verkünden: »Mir wird der Sohn geboren werden!«

Nein, nein, daran war nicht zu denken. Aber wenn nicht daran zu denken war, was steckte dann hinter seinen Worten, hinter seinem umschleierten Blick? Wie hieß die Komödie, die er ihr vorspielte? Wo war ihr Sinn, ihr Zweck und ihre Lösung?

Sie nahm das Gespräch wieder auf, lenkte es scheinbar von der Duffey ab, wieder ihren und seinen ganz persönlichen Interessen zu. Sie sprach wieder von dem Lügendunstkreis des Theaters, von ihrem Bedürfnis in Wahrheit zu leben, von dem stillen Glück bei ihren Rosen, ihren Büchern und ihren Bildern. Jedes ihrer Worte aber hatte einen kleinen, geheimen Fühlfaden, den sie nach dem Verborgenen ausstreckte, das sie zu spüren meinte. Sie befühlte, betastete, behorchte jeden Satz, den er sprach, glaubte in einer Minute an das große Glück, das dem Schoße der Duffey beschert war und glaubte es dann wieder nicht. Sie umstellte, umringelte seine Seele mit vermutenden Fragen und Andeutungen, mit vieldeutigen Worten, die ihr endlich enthüllen sollten, was er verhehlte. Immer eigensinniger, immer leidenschaftlicher wurde ihr Begehr, zu wissen. Aber sie blieb immer vorsichtig, verriet nie völlig, was sie meinte oder fürchtete. Allmählich wurde dies Gespräch wie ein Spiel, wie ein künstlerisches und gefährliches Spiel, bei dem die kleinste Entgleisung Vernichtung brachte. Jeder spürte oder meinte zu spüren, daß der andre ihn um ein Großes belog und jeder brannte vor Begier, das Geheimnis des andern aufzuspüren, ihm die Maske abzureißen und vor die Füße zu schleudern.

»Komödiant!«

»Komödiantin!«

Sie belauerten sich, umschlichen sich, wie Spitzbuben, die sich auf heimlichen, verbotenen Wegen treffen. Und während sie so im stummen Kampf miteinander rangen, verachtete jeder den andern um seine Verlogenheit und bewunderte ihn um die Kunst der Lüge. Zwei ebenbürtige Gegner waren sie, ebenbürtig in jedem Sinn . . .

Nicht ein Hauch von Liebe, nicht eine Spur von Erotik war zwischen ihnen, nur die Empfindung, daß jeder es mit dem besten Gegenspieler zu tun habe, mit dem einzigen Gegenspieler, der für ihn überhaupt möglich war. Meta Martens vergaß beinahe, daß sie Harros Geheimnis beschleichen wollte, so prickelnd, so köstlich, so spannend war es, dazusitzen, Rede um Rede mit ihm zu tauschen und um die Lüge zu ringen, die jeder im andern spürte. Zuweilen, wenn sie sich schon ganz nah an der Entdeckung wähnte, horchte sie unwillkürlich auf, ob nicht ein entzücktes Publikum Beifall klatsche.

Die Dämmerung sank schon tief ins Zimmer, da stand Harro auf. Er war jetzt abgespannt und verdrießlich, der Tag hatte ihn um seine Hoffnung betrogen. Er hatte gemeint, Meta Martens ganz leicht wieder für sich, für sein neues Stück zu gewinnen – da mußte er über diesen jungen Bauernburschen stolpern. An brutalen fünfundzwanzig Jahren scheiterte das Drama seiner reifen Kunst. –

»Ich muß gehen, Meta! Es freut mich, daß dein Leben in Harmonie dahingeht. Ich werde es nicht mehr stören!«

»Du gehst schon?!«

Überraschung und Schrecken klangen in ihren Worten. Der Rausch war verflogen, die glückselige Spielerstimmung zu Ende. Grau und schwer schlich die Wirklichkeit, die Nüchternheit von morgen, ach, von allen künftigen Tagen aus Harros Worten hervor. In ihm ging der geistreiche Partner, den sie je gefunden – –

Sie standen eine Weile schweigend. Ein letztes Mal gingen ihre Blicke ineinander, um das Geheimnis des andern aufzulösen. Dann plötzlich, wie in einer großen Angst oder in einer Abspannung, die sie nicht mehr besiegen konnten, fragten sie fast zu gleicher Zeit: »Meta, ist es möglich, daß dieser Bauernjunge –«

»Harro, wird sie ein Kind haben?«

Und fast zu gleicher Zeit, wie ein Aufschrei und ein Bekenntnis: »Nein, ich wollte dir die Rückkehr nur nicht so leicht machen . . .«

»Was du nicht denkst! Sie ist mit meinem Chauffeur durchgebrannt –«

Wieder standen sie ein paar Sekunden sprachlos. Das also war's gewesen! So klein, so lächerlich sah das Geheimnis des andern aus! Um solcher Erbärmlichkeit willen hatte jeder den andern gezwungen, zu spielen, bis die Nervenkraft versagte, bis jedes Gefühl verletzt war, daß man sich selber kaum mehr kannte . . . Übertölpelt kam sich jeder vor, ausgebeutet, in seinem Besten mißbraucht. Ihre Lippen fingen an in verhaltener Wut zu beben und jetzt, da die Masken endlich gefallen waren, schrieen sich's ihre Augen höhnisch zu: »Komödiant!«

»Komödiantin!«

Zugleich aber kam es wie Staunen über sie. Jeder fühlte, daß in dieser Minute der andre ihn nicht belog. Da fiel es jeden wie Mitleid an, wie Rührung. Ergriffen wie ein Neugeborenes betrachteten sie die kleine Wahrheit, die zwischen ihnen stand. So menschlich, so arm, so verlassen und verzweifelt waren sie also geworden, daß sie einander nicht mehr belogen . . .

Harro glitt langsam zu Metas Füßen nieder, Meta aber lachte das wunderschöne, leise, von kleinen Tränen durchperlte Lachen, das keine Kollegin ihr hatte nachlachen können. Sie beugte sich zu Harro und küßte ihn . . .

Während ihre Herzen stark und heiß aneinanderschlugen, bebten ihre Lippen noch vor Zorn, glitzerte in ihren Augen noch ein höhnendes Wort und in die süße Empfindung neuerrungenen Glückes drängte sich's wie ohnmächtige Verzweiflung, daß sie für alle künftigen Tage unlöslich aneinander geschmiedet waren. Unlöslich aneinander geschmiedet, auch wenn sie sich verspotteten, schmähten, trennten. Unlöslich aneinander geschmiedet durch die tiefste Verwandtschaft ihres Wesens – durch die Lust an der Lüge, die in ihnen beiden lebte.

* * *

Wenige Tage später verkündeten die Zeitungen, daß die berühmte Tragödin Meta Martens des Privatlebens müde und entschlossen sei, zur Bühne zurückzukehren. Schon in der nächsten Saison würde sie in der weiblichen Hauptrolle von Harro Brachmanns neuem Drama vor das Publikum der Reichshauptstadt treten.