Organisation und Inspiration

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Organisation und Inspiration
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EHP – ORGANISATION

Hrsg. von Gerhard Fatzer in Zusammenarbeit mit Wolfgang Looss, Sonja A. Sackmann, Sabina Schoefer

Die AutorInnen:

Gerhard Fatzer, Dr. phil, leitet seit 1991 das Trias Institut für Coaching und OE und unterrichtet im Rahmen von Gastprofessuren oder Seminaren an der Uni Ljubljana, Bled, ZU, ETH, HSG und in Indien. Zudem hat er Seminare in China, Vietnam, Tunesien und Indien und langjährige Entwicklungsprojekte für GIZ in Afrika durchgeführt. Seit 1987 ist er Gastforscher am M.I.T.

Im Rahmen eines Gastforschungsaufenthalts in den USA arbeitete er 1980 bis 1982 an der UCLA, USC, am M.I.T., Harvard und an der UMass Amherst. Dabei entstand eine langjährige Zusammenarbeit mit vielen Begründern der OE wie Edgar Schein, Warren Bennis, Fred Massarik, Chris Argyris, Ed Nevis, Larry Lippitt und zudem Carl Rogers. Für die Reihe EHP-Organisation wurden viele dieser Autoren ins Deutsche übersetzt.

Im Rahmen der Trias-Konferenzen mit IBM und GDI hat Gerhard Fatzer die Themen »Transformation«, »Führung«, »Inspiration« und »Veränderung« bearbeitet. In der Reihe »Trias in Boston« sind zudem wichtige OE-Protagonisten wie Kathrin Dannemiller, David Kantor, Billie Alban und Barbara Bunker, Bob Putnam, Bill Isaacs, Peter Senge, Otto Scharmer eingeladen worden.

Britta Schönberger, Jg. 1965, lebt in Rafz (ZH) und arbeitet dort als reformierte Pfarrerin. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Deutschland erfolgte eine Weiterbildung zur Tanztherapeutin nach dem Konzept der Gestalttherapie und die Zulassung zur heilkundlichen Psychotherapeutin. Sie war langjährig im pädagogischen und kirchlichen Bereich tätig, in der Familientherapie und als Dozentin für künstlerischen Ausdruckstanz. An der Ev. FH Freiburg erhielt sie einen Masterabschluss für Supervision.

Sabina Schoefer, Dr.; studierte Soziologie sowie Ost- und Westslawistik in Würzburg; 1999 sozialwissenschaftliche Promotion über Organisationsentwicklung; ausgebildete systemische Beraterin, Trainerin und Coach, hat diverse didaktische Modelle der demokratischen Beteiligung in Boston / USA gelernt; sieben Jahre Dozentin und Seminarleiterin in der Erwachsenenbildung und drei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der »Forschungsinitiative Verbände« der Fernuniversität Hagen; ab 1997 als Unternehmensberaterin in Bremen tätig; von 2006 bis 2011 als Senior Consultant und Director Research in einem internationalen Unternehmen der Privatwirtschaft und dort unter anderem mit der Entwicklung und strategischen Steuerung von Projekten zu Change, Cultural Change und Diversity+Inclusion in Organisationen befasst; seit 2011 Direktorin der Volkshochschule Bremen und seit 2014 Vorsitzende des Vorstands der Bürgerstiftung Bremen; Autoren- und Herausgebertätigkeit.


© 2015 EHP – Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach

www.ehp-koeln.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagentwurf: Gerd Struwe / Uwe Giese

– unter Verwendung eines Bildes von Rainer Sturm / pixelio.de:

NYC – Im Chinesenviertel -

Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin

Gedruckt in der EU

Alle Rechte vorbehalten

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

ISBN 978-3-89797-070-0 (Print)

ISBN 978-3-89797-586-6 (EPUB)

ISBN 978-3-89797-587-3 (PDF)

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Zur Reihe EHP-Organisation

Einleitung: Wenn Inspiration auf Organisation trifft, wird Kreativität konkret

Führung und Veränderung – auf dem Weg zum Führungssystem (Gerhard Fatzer)

1. Führung und Veränderung für unsere Zeiten – von der »inspirierten Führung zum Führungs-System«

2. Führung von der Person zur Führung im System

2.1 Das Leadership System: Führung als Team oder Systemfunktion

2.2 Fünf Führungs Pfade

2.3 Führung und Heldengeschichten

2.4 Neue Formen der Führung

Die Weiterentwicklung der Theorie U

Transformation und Theorie U – aus spiritueller Sicht (Britta Schönberger)

Einleitung

I. Herunterladen

1. Der Transformationsprozess

2. Innehalten

II. Hinsehen

III. Hinspüren

Bibel

A Das Alte Testament

1. Der Sündenfall

2. Die Sintflut

3. Jakobs Kampf am Jabbok

4. Moses

5. Der Auszug aus Ägypten

6. Die Gottesbegegnung

7. Das goldene Stierbild

8. Der Prophet Jona

B Das Neue Testament

1. Die Taufe Jesu

2. Die Versuchung Jesu

3. Die Verklärung Jesu

4. Jesus in Gethsemane

5. Tod und Auferstehung Jesu

6. Petrus

7. Das Pfingstwunder

8. Die Heilung eines Kranken am Teich Betesda

9. Die Frage des Nikodemus

10. Jesus und die Ehebrecherin

11. Jesus und der sinkende Petrus auf dem See

12. Die Rollen Jesu

IV. Gegenwärtig sein

V. Verdichten

VI. Erproben

VII. In die Welt bringen

Literatur

Religiöse Erwartungen an die Rolle des Beraters (Britta Schönberger)

Einleitung

Erste Hypothese

Der Begriff der Religion

Die Lebensbewegung

Zweite Hypothese

Der Seher

Entstehen von Rollen

 

Erwartungen an den Rollenträger

Dritte Hypothese

Heutige Anliegen an einen Seher

Aufgaben, die sich für den Berater ergeben

Schluss

Literatur

Coaching als Begleitung von Transformationsprozessen (Gerhard Fatzer / Sabina Schoefer)

Person und System entwickeln

Supervision – Coaching – Organisationsentwicklung

Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung in der Neuorintierung

Veränderungen in den Berufsanliegen und in den Organisationen

Literatur

Nachhaltige Transformation für die Organisation (Sabina Schoefer)

Wir sind, also ist Zukunft: Preferred Futuring als Ansatz der Transformation

I. Eine Anmaßung

II. Denk-Geschichten

III. Wir sind

IV. Differenzierung

V. Transformationsinstrument Preferred Futuring

VI. Ausblick in die Zukunft

Anmerkungen

Literatur

Zur Reihe EHP-Organisation

Die Reihe stellt wichtige Basistexte zum Bereich der Organisationsentwicklung und des Change Managements sowie neue, grundlegende Texte und Übersetzungen für den deutschsprachigen Leser vor, und leistet damit seit 1988 Pionierarbeit. Dabei werden unterschiedliche Interventionsformen ausführlich dargestellt, um zur Entwicklung einer Beratungswissenschaft jenseits der reinen Technikorientierung beizutragen. Die Reihe widmet sich besonders dem interkulturellen Austausch zwischen Europa, Amerika und anderen Kulturräumen.

EHP-Organisation stellt sowohl Diskussionsgrundlagen und Denkfiguren im Bereich der OE für das 3. Jahrtausend als auch historische Grundlagen der OE in ihrer Aktualität bereit. Anliegen war es stets, eine Reihe mit sorgfältig ausgewählten Titeln zu entwickeln, inspiriert durch amerikanischen Kollegen und die langjährigen Wegbegleiter Chris Argyris († 2014), Edgar H. Schein, Fred Massarik († 2009), Ed Nevis († 2006) (mit Nevis’ Organisationsberatung startete die Reihe), Warren Bennis und die Kollegen um Peter Senge am M. I. T. und Claus Otto Scharmer, aus deren Kreis sich auch die Consulting Editors von EHP-Organisation rekrutieren.

Der verantwortliche Herausgeber der Reihe stellte mit Supervision und Beratung die Grundlagen von Supervision und Organisationsberatung umfassend dar – mit seinen zahlreichen Auflagen ist es bis heute eines der erfolgreichsten Handbücher des Feldes. Ergänzend dazu erschien Gute Beratung von Organisationen – Supervision und Beratung 2.

Die Trias-Kompasse bilden Trends und Diskussionslinien ab und ermöglichen eine Orientierung im Feld der Organisationen und unterschiedlicher Beratungsformen (Bd. 1: Erfolgsfaktoren von Veränderungsprozessen, Bd. 2: Schulentwicklung als Organisationsentwicklung, Bd. 3: Nachhaltige Transformation in Organisationen).

Organisationsentwicklung für die Zukunft, widmet sich ausführlich den Grundlagen der lernenden Organisation von Peter Senge u. a. und machte sie – wie ebenfalls die Arbeiten von Chris Argyris zur »eingeübten Inkompetenz« und zu »defensiven Routinen« – zum ersten Mal im deutschen Sprachraum bekannt. Außerdem liegt eine Neuauflage eines Standardwerks zur Lernenden Organisation und zur Schulentwicklung vor (Gerhard Fatzer: Ganzheitliches Lernen).

Neben internationalen Autoren publizieren wichtige deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Reihe wie zum Beispiel eine Autorengruppe um die VW-Coaching-Abteilung (Der Beginn von Coachingprozessen): Billmeier, Kaul, Kramer, Krapoth, Lauterbach und Rappe-Giesecke. Wolfgang Looss hinterfragte als erster kritisch den Coaching-Begriff, als der große Hype um den Begriff im deutschsprachigen Raum noch gar nicht gestartet war: Zusammen mit Kornelia Rappe-Giesecke und Gerhard Fatzer untersuchte Looss in dem Band Qualität und Leistung von Beratung die drei Beratungsmethoden Supervision, Organisationsentwicklung und Coaching. Looss’ Klassiker Unter vier Augen: Coaching für Manager ist bis heute eines der wichtigsten Bücher zum Thema geblieben.

Die Reihe orientiert sich nicht an Trends, und dort, wo die Professional Community der Berater, Coaches und Supervisoren ihre eigenen Grundlagen und Methoden nicht ausreichend berücksichtigt, ist es Ziel von EHP-Organisation, Einbahnstraßen der Wahrnehmung und kulturelle Ignoranz zu unterlaufen. Es kommen die Autorinnen und Autoren zu Wort, die diesen interkulturellen Dialog praktizieren und konzeptionell untermauern. So wird mit dem Band von Fatzer / Jansen (Die Gruppe als Methode) die oft ignorierte Kenntnis gruppendynamischer Grundlagen für die Entwicklung von Gruppen, Teams und Organisationen wieder zugänglich gemacht. Ein weiteres Beispiel ist die Monographie von Albert Koopman (Transcultural Management), die als erste ein erfolgreiches interkulturelles OE-Projekt dokumentierte und daraus ein breit anwendbares Modell der interkulturellen Beratung entwickelte. Das Buch von Barbara Heimannsberg und Christoph Schmidt-Lellek (Interkulturelle Beratung und Mediation) wendet die Grundlagen der Mediation auf den interkulturellen Bereich und auf die Organisationsentwicklung an. Zuletzt erschien dazu ein Buch, das dem Lebenswerk von Burkard Sievers gewidmet ist: Ahlers- Niemann / Beumer / Redding Mersky / Sievers: Organisationslandschaften mit einer weitgefächerten internationalen und multiprofessionellen Perspektive auf die destruktiven Prozesse in Organisationen. Arndt Ahlers- Niemann hat zusammen mit Edeltrud Freitag-Becker einen Band zu Netzwerken in die Reihe eingebracht, der ein breites Spektrum an Themen erschließt (Netzwerke – Begegnungen auf Zeit. Zwischen Uns und Ich).

Eine der wichtigen Interventionsformen, die EHP-Organisation (wie übrigens auch andere Veröffentlichungen im selben Verlag) besonders berücksichtigt, ist ›Dialog‹ als Methode: William Isaacs (Dialog als Kunst gemeinsam zu denken) und der Band von Christoph Mandl, Markus Hauser und Hanna Mandl (Die schöpferische Besprechung) haben hier im deutschsprachigen Raum Qualitätsstandards gesetzt. Die Autoren sind gleichzeitig Beiträger der Zeitschrift Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog/ International Journal for Change, Learning, Dialogue, die mit ihrem Anliegen, das Verständnis von Menschen, Teams und Organisationen zu fördern, die Reihe EHP-Organisation ergänzt.

Die Arbeit von Ed Schein stand von Anfang an im Zentrum des publizistischen Auftrags von EHP-Organisation. Zahlreiche seiner Aufsätze erschienen früh in den Sammelbänden der Reihe, und hier liegen seine Grundlagentexte in Übersetzungen vor. Sein Klassiker Prozessberatung für die Organisation der Zukunft ist einer der erfolgreichsten Bände der Reihe. Der Referenzcharakter von Scheins Büchern wird auch im provozierenden Buch Organisationskultur (›The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide‹) unter Beweis gestellt. Seine Fähigkeit, auf lesbare Art komplexe Organisationszusammenhänge zu vermitteln, macht die Lerngeschichte von Digital Equipment Corporation auch zu einem Lektüregenuss (Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation. DEC ist tot, lang lebe DEC) – die wahrscheinlich einzige Dokumentation des Beratungsprozesses eines Unternehmens über dessen gesamte Lebenszeit. Scheins Führung und Veränderungsmanagement fasst zum ersten Mal seine Gedanken zu Führung in Unternehmen zusammen und wird durch eine Video-DVD mit einer Rede von Schein ergänzt. Als jüngster Titel unserer Reihe mit Titeln von Schein erschien Prozess und Philosophie des Helfens, das ausführlich eine der Grundkompetenzen von Managern und Beratern vorstellt. Die neuesten Bände unserer Reihe waren der an Schein anknüpfende Band Prozesspsychologie von Heidig, Kleinert, Dralle und Vogt, der einen Ansatz vorstellt, mit dem Unternehmen in entscheidenden Phasen von Veränderung begleitet werden, Non-Profit-Organisationen in die Zukunft entwickeln von Barbara Heimannsberg, Heribert Namokel und Heike Fischer mit der Darstellung unterschiedlich erfolgreicher Entwicklungsprozesse und Christof Schnecks Management-Coaching X.0, der narzisstische Phänomene im Management darstellt.

Der vorliegende Band macht erstmalig den Versuch, Transformation und Führung sowie den Begriff der Inspiration für Management, Organisations- und Personalentwicklung auf dem Hintergrund westlicher Theologie zusammenzudenken. Ausgehend von der momentan populären Theorie U von Claus Otto Scharmer, die grundlegend von Ansätzen des Buddhismus, also östlichen Denkmodellen, ausgeht, erschließen wir das Thema Inspiration für Führung und Transformation unter Rückgriff auf westliche Ansätze (z. B. Altes und Neues Testament).

Dabei zeigen wir, dass Führung ein immer komplexeres Phänomen wird, das auch über die Person des Führenden hinausgedacht werden muss, nämlich im Kontext von Teamführung als Systemsteuerung und Beziehungsaufbau im Team statt Einzelleistung.

Dabei werden auch die in der Führung üblichen Heldengeschichten und damit verbundenen Annahmen aufgezeigt. Das Ganze wird in exemplarischen Heldengeschichten illustriert. Den Abschluss macht eine organische Ergänzung der Theorie U im Kontext von Zukunftsfähigkeit, nämlich der Ansatz des »Preferred Futuring« von Larry Lippitt.

Allgemeiner Bezugsrahmen sind die Organisationsentwicklungsansätze von Edgar H. Schein, nämlich Helfen, Prozessberatung, Gutes Befragen und Kulturentwicklung, die in langjähriger Zusammenarbeit entstanden sind.

Herausgeber, Autoren und Verlag sind neugierig auf die Rückmeldungen unserer Leser auf diesen Band wie auf die gesamte Reihe, die wir als Möglichkeit zum Dialog innerhalb der globalen Professional Community verstehen.

Gerhard Fatzer

Einleitung

Gerhard Fatzer

Wenn Inspiration auf Organisation trifft, wird Kreativität konkret.

Zum Titel der Einleitung wurde ich durch Britta Schönberger in einem unserer zahlreichen Dialoge inspiriert.

Wie entstand die Idee zu diesem Buch?

Ich hatte mich schon seit über 30 Jahren im Rahmen der Profession als Organisationsentwickler mit den Themen »Veränderung«, »Transformation« und »Führung« oder »Nachhaltigkeit« beschäftigt. Als Herausgeber vieler Standardwerke zu Beratung und Organisationsentwicklung, als Ausbildungsleiter von Lehrgängen und eines eigenen Instituts, als Gastprofessor an vielen Universitäten, als Coach und Berater von Firmen und Führungskräften. Organisationsentwicklung als Wissenschaft, Technologie und Philosophie stellt die Methodik und das Know How für Veränderungsprozesse zur Verfügung, ob dies eine Person, eine Gruppe oder eine ganze Organisation betrifft. Was der OE häufig fehlt, ist die Inspiration. Das Gleiche gilt für Führungskräfte.

Britta Schönberger hatte sich schon seit langer Zeit mit Geschichten, Gleichnissen oder Gedichten beschäftigt, die die spirituelle Welt ihrer Profession, der Theologie, zur Verfügung stellt. Es gibt dazu reichhaltige Quellen. Womit dieses Wissensgebiet sich intensiv beschäftigt, ist Inspiration. Was wieder auflebt, sind die rituellen, traditionellen christlichen Übungen, um Inspiration vorzubereiten. Auch die Kirche als jahrhundertealte weltweite Institution muss sich darum bemühen, inmitten der Tradition und ihren festen Formen Räume für die unverfügbare Inspiration offen zu halten.

 

Als wir im Rahmen einer Seminarwoche »Transformation und Führung« die Transformationsgeschichte der Theorie U von Claus Otto Scharmer als Grundfolie aus der OE nutzten, wurde klar, dass die OE diesen methodischen Rahmen schon gelegt hatte.


Der spirituelle Rahmen als mentales Modell von Veränderung bildet in seiner Erzählform diesen Prozess anschaulich ab. Es gibt gleichnisartige Transformationsgeschichten in vielfältiger Form. Beispiele dazu sind im Mittelteil kurz geschildert und paraphrasiert. So ist die Frage zu Theorie U und Transformation generell entstanden:

Wenn Presencing oder der Prozess der Umstülpung (sich und seine Seele auf den Kopf stellen) der anspruchvollste Schritt ist, begleitet durch Angst und Widerstand, braucht es dazu ermutigende Heldengeschichten. Können diese Heldengeschichten eine Vorlage sein, um erfolgreiches Presencing zu vollbringen?

Kann man Transformationsfähigkeit als Kernkompetenz einer Führungskraft lernen und üben?

Aus diesem Zusammenführen von OE und spirituellen Heldengeschichten ist die Erkenntnis entstanden, dass einzelne Geschichten auf Gefahren oder erfolgsversprechende Haltungen hinweisen.


Wenn wir dies in einer Landkarte darstellen, treffen sich hier zwei Räume der Transformation, nämlich Organisation (OE) und Inspiration (erlebte Transformationsgeschichten und Spiritualität). Dies haben wir in der nachfolgenden Abbildung veranschaulicht.

Den Lesern und Kunden soll eine verlässliche und verständliche Grundinformation gegeben werden, wie sie Veränderungsprozesse im persönlichen oder im organisationalen Bereich angehen können.

Dies schließt auch an die Grundfrage unseres Kollegen Peter Senge vom M.I.T. an: Können Organisationen oder Systeme lernen oder sind es immer nur Führungskräfte oder Gruppen, die lernen, und Systeme sind eigentlich lernunfähig? Vielleicht ist es so, wie Ed Schein in einem Interview zur »lernenden Organisation« erzählt hat (siehe Profile 8, Fatzer 2008). »Es waren in den Projekten zur lernenden Organisation immer Menschen oder Gruppen, die lernten, nie die Systeme. Im Gegenteil: Bei Ford Corporation wurde der Teil, welcher als Projekt mit uns am M.I.T. zusammenarbeitete, vom System abgestoßen.«

BP oder das größte Umweltdesaster der USA: Transformation und Krise als Sintflut

Im Frühling 2010 erlebten wir mit der Explosion der Plattform »Deepwater Horizon« die größte Umweltkatastrophe der USA im Golf von Mexiko. BP oder British Petroleum betrieb eine von Tausenden von Ölbohrplattformen und -türmen, welche aus der Tiefe von 1.600 Metern Öl aus dem Meeresboden pumpen. Diese explodierte, und es kam die übliche Art des Umgangs mit Katastrophen in Gang.

Eine ganze Armada von Schiffen der BP wurde dorthin geschickt mit dem Auftrag, Kriseninterventionen anzuwenden. Jedermann in der Welt und speziell die betroffenen Bewohner der Anrainerstaaten gingen davon aus, dass BP wüsste, was zu tun sei. Am Anfang wurde primär mit Meldungen operiert, man habe alles im Griff. Wertvolle Tage verstrichen, und BP stellte einen Trichter her, der über das sprudelnde Bohrloch gestülpt werden sollte. Es zeigte sich allerdings, dass in dieser Tiefe die Mischung aus Wasser und Oel das Bohrloch verstopfte (wegen der niedrigen Temperatur). So musste man diesen Lösungsansatz aufgeben. In der Zwischenzeit wurde mit dem massiven Einsatz von Chemikalien versucht, das ausgetretene Öl aufzulösen. Wie man jetzt weiß, bildeten sich einige hundert Meter unter dem Meeresspiegel große Filme oder Vorhänge, die immer noch im Golf von Mexiko großflächig vorhanden sind. In der Zwischenzeit versuchten Forscher herauszufinden, ob dies einen Einfluss auf die Meerestiere haben könnte. Niemand kann es sagen.

Der CEO von BP, ein Techniker, versuchte in einer eher hilflosen Aktion, mit ersten Rettungskonstruktionen das Leck abzudichten. Allerdings traten dabei unvorhergesehene Nebeneffekte auf, z. B. dass die Mischung aus Öl und Wasser mit einer Eisschicht umgeben wurde. Im Sinne der Systemarchetypen (Meadows 2010, Senge 1990, Forrester 1961) deutet dies auf den Systemtyp »Fixes that fail« hin (Problemlösungen, die fehlschlagen). Wie öfter in der Expertenberatung geschehen, kreiert ein Lösungsvorschlag das nächste Problem.

Dann wurde vom amerikanischen Publikum gefordert, dass dieser Konzernchef mindestens durch seine Präsenz eine Art von Hoffnung verbreiten solle. Da dies nicht geschah, trat Präsident Obama auf und wies darauf hin, dass er als Politiker von den technischen Details eines Rettungsplanes nichts verstehen könne, dass er sich hier aber voll auf die technische Expertise der BP-Fachleute verlassen müsse. Als dieser Wunsch nicht in Erfüllung ging, begann Obama sich in sehr pragmatischer Art in die operativen Geschäfte von BP einzumischen. Zuerst einmal hob er hervor, dass es sich um ein britisches Unternehmen handele und dass man den Führungskräften doch gerne mal »einen Tritt in den Hintern« geben solle. Systemisch gesehen handelt es sich hier um das Systemverhalten »Shifting the burden«, das zum Ziel hat, Schuldige zu suchen.

Als dann der britische Premier sich einmischte und sich verbat, dass das wichtigste britische Unternehmen in den Dreck gezogen werde, wurde wieder nach gemeinsamen Lösungen gesucht. Zudem begannen die amerikanischen Aktionäre zu realisieren, dass sie ja über Aktien mit dem Schicksal von BP verbunden waren. Entsprechend würde ihre Altersvorsorge verloren gehen. So realisierte man gemeinsam, dass man im gleichen Boot sitzt (systemisch: »Tragedy of the Commons«), dass also dieses hektische Suchen nach Schuldigen nichts bringen würde.

Der Britische Konzernchef wurde in der Folge geopfert und durch einen amerikanischen ersetzt, der besser mit den betroffenen Amerikanern kommunizieren konnte. Das Problem wurde schließlich nach vielen Fehlversuchen und nach drei Monaten durch die vollständige Versiegelung des Bohrlochs gelöst, so dass kein Öl mehr austreten konnte. Vieles von den gigantischen Ölmengen im Wasser hatte sich »wundersam« aufgelöst und mit Wasser vermischt, so dass lediglich ein großer und langer Ölteppich unter der Oberfläche trieb. BP wurde gezwungen, einen riesigen Schadenfonds zu eröffnen und große Teile seiner wertvollen Ölfelder zu verkaufen. Obama erklärte dann die Katastrophe offiziell für beendet.

Die bleibenden Folgen der Ölauflösung mittels Chemie sind noch unbekannt, auch kennt man die Auswirkungen auf die Fische und die Pflanzenwelt nicht. Es besteht die Gefahr, dass aus der Krise »nichts gelernt« wurde und dass die nächste genauso unprofessionell angegangen wird.

Hierzu ein paar Zitate aus Ed Scheins Autobiographie (Right Time, Right Place, 2012, unveröff.)

»As Perrow pointed out a long time ago, as technologies become more complex there will occur interactions between processes that are safe under some conditions and not others.« (p. 295)

»On the day that the BP platform in the Gulf of Mexico was failing to cap the undersea well for various technical reasons, OSHA awards were being given to some employees!!! BP has had an exemplary record in the personal safety area, measured by OSHA statistics, and yet had major accidents in Texas City and in the Gulf because of process failures that were not foreseen.

So the CEO of the site that has nuclear plants, and indeed the CEO of BP and other companies in high hazard complex industries, must also have a chief technology officer (CTO) whose job it is to make clear what the risks are of compromising on standards or not monitoring practical drift.« (ibid.)

»When an open discussion finally occurs between the employees, the engineers and the executives they discover that the conditions for safety are also the conditions for longer-range organizational health, productivity and growth. Open communications based on psychological safety and trust are the rock bottom conditions for effective operations. When safety is compromised, so is the organization’s basic operation. The very conditions for effectiveness that go back to McGregor, Lewin, Drucker and most other management thinkers have been reaffirmed in the search for safety. The ultimate irony may turn out to be that concern for safety will make us pay more attention to productivity factors than concern for productivity ever did.« (p. 298)

Die Führungsaufgabe ist eng verbunden mit der Fähigkeit zur Veränderung und Transformation. Was weit verbreitet bei Führungskräften und Transformationsprozessen fehlt, ist die Inspiration. Wir zeigen auf, dass neue Entwicklungen in Organisationen und in der Gesellschaft weltweit im Gange sind, welche Inspiration erfordern.

Führung wird neu umschrieben mit Wahrnehmungsfähigkeit von zukünftigen Möglichkeiten. Organisationen selbst sollten Orte werden, wo Inspiration möglich ist und wo zukünftige Lösungen nicht nur aus der Vergangenheit entwickelt werden.

»Spiritualität kann als Quelle von Kreativität beschrieben werden. Damit unterscheidet sich Spiritualität von Religion, indem sie eine Erfahrung und nicht ein Glaubenssystem ist.« (Scharmer, 102)

Lassen Sie uns an dieser Stelle zu einer Inspirationsquelle greifen, die auf den ersten Blick von einer ganz anderen Quelle herzukommen scheint: der Sintflut. Sprache und Duktus der Geschichte sollten Sie dabei nicht irritieren. Wenn wir die Katastrophen-Geschichte von BP mit der Transformationsgeschichte der »Sintflut« vergleichen, so lassen sich möglicherweise Inspirationen finden, wie man die Krise hätte angehen können. Jede Transformationsgeschichte enthält ja eine Schlussfolgerung oder Meta-Geschichte. Oft ist dies eine Weisheit, wie man hätte mit der Situation umgehen können.

Die Geschichte von der Sintflut spielte sich folgendermaßen ab oder wird so dargestellt:

Transformationsgeschichte

»Die Sintflut

Genesis 6,5–8,22

Gott bereut, dass er die Menschen gemacht hat, als er sieht, dass ihre Bosheit groß ist auf Erden. Er beschließt sie zu vertilgen, zusammen mit den Tieren. Erschaffen und Vernichten sind die beiden extremen Möglichkeiten Gottes, das ist, was er vollzieht. Er hält inne durch die Frömmigkeit des Noah. Gott will alles verderben, was den Odem des Lebens hat (Gen. 6,17), es soll untergehen. Aber mit Noah will Gott einen Bund schließen und ihn und seine Familie retten, zusammen mit jeweils einem Paar jeder Tiersorte. (Gen. 6,18–19).

Gott öffnet seinen Blick für die Frömmigkeit des Noah und bestätigt in seinem Empfinden dessen Lebensrecht. Alles, was voller Frevel ist, soll dagegen untergehen. Gott trennt sich von dem, was sich von ihm getrennt hat, und lässt es los. Selbst Gott kann den nicht halten, der sich von ihm entfernt, er kann aber seine Lebenskraft und seinen Lebensraum von ihm zurückziehen. Hier versenkt er einfach die Erde im Wasser, so dass alles ertrinkt, was nicht mehr im Einklang mit ihm wandelte. Es gibt noch eine Vorbereitungszeit von sieben Tagen, bevor es 40 Tage und Nächte regnen wird. (Gen. 7,4)

Gott selbst begibt sich in den Transformationsprozess. Er lässt das, was nicht mehr mit ihm in Kontakt ist, untergehen. Seine Phase 4 = Anwesend sein hat er für 40 Tage angesetzt. Das ist die Zeit, die Jesus später in der Wüste sein wird, bevor der Satan ihn versucht. Anscheinend sind 40 Tage die Zeit, die Gott braucht, um sich neu zu erschaffen.

Die Wasser steigen, so dass selbst die hohen Berge versinken und alles, was Odem des Lebens hatte auf dem Trockenen, das starb. (Gen. 7,22) Nur Noah, seine Frau, ihre drei Söhne mit den Frauen und die ausgewählten Tiere in der Arche überleben.

150 Tage bleiben die Wasser auf Erden, dann verlaufen sie wieder. Es braucht noch weitere Zeit, bis die Erde wieder ganz trocken ist und die Lebewesen die Arche wieder verlassen können. Es zeigt sich also erst allmählich ein neuer Lebensraum, der sich wieder zu Land verdichtet (Phase 5). Gott gibt den Überlebenden den Auftrag, fruchtbar zu sein und sich zu mehren. (Gen 8,17) Sie sind die Ausgangswesen, durch die neues Leben die Räume füllen soll. Sie sind die experimentelle Grundlage (Phase 6), nach der die Belebung der Erde wieder umgesetzt werden soll (Phase 7).

Noah baut einen Altar und opfert Gott zum Dank. Gott spricht in seinem Herzen: »Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.« (Gen 8,21) Gott selbst will die Vernichtung des Lebens nicht mehr wiederholen. Selbst angesichts der Bosheit der Menschen, will er auf diese Möglichkeit nicht mehr zurück greifen.