Seewölfe Paket 11

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4.

Sie kriegten wie Säuglinge die Flasche, immer reihum. Die sechs Seewölfe waren sehr besorgt um die fünfzehn angeschlagenen „Löwen“. Der Kanalratte, die in Sirup getaucht war, reichte der Profos die Flaschen in den Keller hinunter – mit der Maßgabe, ihn erst aus dem Keller zu lassen, wenn die Flaschen leer getrunken seien.

Die Seewölfe tranken auch zwischendurch, aber mit Maßen, weil sie nichts überstürzen wollten.

Zuerst fing der Sirupkerl im Keller an zu singen. Er hatte auch zu hastig getrunken in der Erwartung, sein Verlies nach jeder geleerten Flasche verlassen zu können. Aber Carberry verlängerte nach jeder Flasche und paßte auch auf, daß der Kerl die Flaschen nicht auskippte. Für den Fall drohte er ihm an, ihn im Sirupfaß zu ersäufen.

Aber von Sirup hatte dieser Kerl die Nase voll, da trank er lieber. Auch um zu vergessen, daß alles an ihm klebte. Bis zum Hals war er im Faß gewesen, und das Zeug war zäh, das floß nicht ab, sondern saß wie Kleister an ihm dran.

Er sang also, dann grölte er, und später ging das Grölen in Lallen über.

Zu diesem Zeitpunkt kroch der Profos der „Zwarte Leeuw“ auf allen vieren durch den Schankraum und bellte.

Carberry meinte, dieses Warzenschwein mime jetzt einen schwarzen Löwen, aber Pete Ballie war der Ansicht, dieser Clown stelle eher einen Kettenhund dar, das sei auch profosgemäßer, was wiederum Carberry erboste, der sich in seiner Profosehre angegriffen fühlte.

Aber das hatte Pete nicht so gemeint, und zur Versöhnung tranken sie eine Flasche Rotwein bis zur Neige aus.

Den zum Suff verurteilten Löwen reichten sie Flaschen wechselnden Inhalts, was deren geistige Trübung unerhört beschleunigte. Rum war auch dabei. Der Teufel mochte wissen, wie der nach Bantam gelangt war. Rum auf Reiswein, Reisschnaps, diverse andere Weine von Rot über Rosé bis Weiß und schließlich Arrak – das waren Hammerschläge, die jeden Löwen zähmten. Und wenn sie krakeelten, setzte es Maulschellen nach bewährter Seewölfe-Art.

Die Ladys und Gazellen kicherten. Die Dänen waren auch blau. Nach knapp zwei Stunden wußten die Löwen nicht mehr, wer sie waren. Sie grinsten blöde, lallten, wackelten, rülpsten, hatten Schluckauf, schielten, glucksten, und keiner schaffte es mehr, allein aufzustehen. Dabei hatten sie Gesichter wie überreife Tomaten und geschwollene Wangen, diverse Beulen am Kopf oder Veilchen um die Augen.

Der Bulle von Profos begann als erster zu schnarchen, und da halfen auch Maulschellen nichts mehr. Als die zwei nächsten Löwen umsanken und ihr Schnarchkonzert eröffneten, ließ sich der Profos der „Isabella“ von dem Glatzkopf ein Seil geben, schlang es durch die Leibriemen der drei Kerle, legte sich das Seil über die Schulter und marschierte nach draußen. Er zog die Kerle einfach hinter sich her. In der Tür gab es ein bißchen Gedränge, aber Carberry regelte das mit seinen urigen Kräften.

„Die Rübenschweine auch noch an Bord tragen, was, wie?“ brummte er. „Nein, die schleifen wir an Tampen hinter uns her, zu zweit oder dritt zusammengebündelt.“

„Und ein bißchen am Strand entlang durchs Wasser“, empfahl Ben Brighton.

„Aye, aye, Sir“, sagte Carberry und küßte noch schnell eine Chinesin, die auf ihn einschnatterte und zur Treppe zeigte.

Carberry wurde es ganz schwach in den Knien, auch weil die Chinesin hübsch und frisch und gut bestückt war.

Etwas hilflos blickte er zu Ben hinüber. Dem fiel der Abschied genauso schwer, weil sich die Orientalin an ihn kuschelte.

„Morgen ist auch noch eine Nacht“, sagte er.

„Oh, oh, oh!“ sagte die Glutäugige namens Suleika und war den Tränen nahe. „Ganzen Tag warten auf Bän Breitohn?“

Sam Roskill, Pete Ballie, Stenmark und Batuti grinsten mit breiten Mündern.

„Beißt euch nur nicht die Ohrläppchen ab!“ sagte Ben wütend.

„Wir können ja noch bleiben, Bän!“ sagte Pete Ballie und peilte eine Javanerin an, die ein geschlitztes Gewand trug.

„Schluß jetzt, ihr lausigen Böcke“, knurrte Ed Carberry. „Helft mir mal, den Sirupmolch aus dem Keller zu hieven.“

Er hatte das Seil, an dem er die drei Kerle aus dem Schankraum gezogen hatte, zur Hälfte gekappt und einen laufenden Pahlstek geknüpft.

Aber der „Sirupmolch“ weilte auch im Reich der Träume und schnarchte, daß der Keller dröhnte.

„Mann, Mann!“ fluchte der Profos. „Muß der Idiot ausgerechnet durch die Bretter sausen!“

„Du hast ihn ungespitzt durchgeschlagen“, sagte Sam Roskill.

„Mitten ins Sirupfaß“, sagte Pete Ballie.

„Das ist es ja!“ brüllte ihn Carberry an. „Willst du den klebrigen Molch vielleicht anfassen und ihm das Seil unter die Achsel knüpfen?“

„Wieso ich?“

„Und wieso ich?“ fauchte Carberry.

„Weil du ihn runterbefördert hast, logisch.“ Pete Ballie grinste wieder.

„Hol Pützen mit Wasser“, befahl Carberry, „und halt hier keine Volksreden. Ich hab’s nämlich!“

„Was hast du?“

Carberry stand breitbeinig über dem Loch und peilte in den Keller. „Er liegt auf dem Rücken und schnarcht mit offenem Maul. Da gieß ich ihm Wasser rein, klarer Fall, was, wie?“

Sie holten Pützen. Carberry nahm sie in Empfang, zielte vorsichtig und entleerte eine Pütz nach unten.

Der Sirupmolch im Keller begann zu gurgeln, dann verschluckte er sich und hustete röhrend. Fix goß Carberry mehrere Pützen hinunter.

„Wassereinbruch!“ brüllte der Sirupmolch. „Schließt Schotten und Luken! Alle Mann an die Pumpen!“

Carberry lachte röhrend und wäre fast durch das Loch gefallen, so schüttelte es ihn. Ben Brighton hielt ihn fest, obwohl er selbst vor Lachen platzte.

„Komm hoch, Seemann!“ brüllte Carberry nach unten. „Klar Schiff zum Gefecht!“

Der Kerl raffte sich tatsächlich auf, wenn auch taumelnd, und blickte sich wild um.

„Backbord, zweites Geschütz klar!“ meldete er.

Alle sechs Seewölfe waren jetzt um das Loch versammelt und starrten hinunter in den Keller. Sie hätten brüllen können vor Lachen.

„Auf die feindliche Galeone Backbord querab!“ befahl Carberry hustend, weil er Luft in die verkehrte Kehle gekriegt hatte. Außerdem tränten ihm die Augen.

„Ziel aufgefaßt!“ lallte der Sirupmolch und steuerte auf das Sirupfaß los.

„O Himmel!“ stöhnte Carberry. „Hart Steuerbord, Seemann!“

Der Sirupmolch schwenkte nach rechts und prallte gegen eine Wand.

Carberry fierte das Seil mit dem laufenden Pahlstek in den Keller hinunter und knurrte: „Verflucht, wie krieg ich den Kerl jetzt in die Schlinge?“

„Fier das Seil bis eine Handbreit über den Boden, Ed“, flüsterte Ben Brighton.

Ed Carberry tat es. Der Sirupmolch torkelte umeinander und starrte wild auf das Seil mit der Pahlstekschlinge.

„In die Wanten, Seemann!“ befahl Ben Brighton scharf. „Enter auf!“ Und Ed flüsterte er hastig zu: „Wenn er in die Schlinge tritt, zieh sie zu und hoch!“

„Jawohl, Kapitän“, lallte der Sirupmolch, stierte auf das Seil, das etwa drei Schritte vor ihm hin und her baumelte, rülpste laut und torkelte los. Er trat durch die Schlinge. Carberry zog schnell dicht. Die Schlinge rutschte an dem Kerl hoch und unter die Achseln.

„Wie beim Angeln“, knurrte Carberry, „nur daß ich noch nie nach Affenärschen geangelt habe.“

„Nach sirupverklebten Affenärschen“, verbesserte Ben Brighton, packte mit zu, und schon schwebte der Kerl nach oben.

Er zappelte und brüllte und verkündete, die „Zwarte Leeuw“ saufe ab.

Und als ihn Carberry und Ben Brighton durch das Loch ruckten, brüllte er: „Alle Mann von Bord!“ Dann sackte er in sich zusammen.

Carberry langte sich eine Flasche vom Tresen und gurgelte ihren Inhalt hinunter. Es war Arrak.

„O Mann“, sagte er ächzend, „so was hast du noch nicht erlebt. Kämpft im Keller gegen feindliche Galeonen an Backbord. Dieser Molch wäre glatt wieder ins Sirupfaß gestürzt. Alle Mann von Bord!“ Carberry gluckste, und dann lachte er wieder dröhnend.

Alle lachten, auch die Dänen, aber sie lachten nur mit, weil die anderen lachten. Sie hatten sowieso keinen Durchblick mehr.

Ben Brighton, Carberry und Batuti hatten je drei Kerle am Seil, Pete Ballie, Stenmark und Sam Roskill zogen je zwei Kerle hinter sich her. In Batutis Bündel hing der Sirupmolch. Da die sechs Seewölfe geraden Kurs auf den Strand nahmen, schleiften sie die fünfzehn Schnaps- und Weinleichen über Stock und Stein, über Gras, Sand und durch Dreck.

Der Sirupmolch sah entsprechend aus. Seine Kleidung verschwand unter Blättern, Gräsern, Sand, Lianen, Blüten und was alles noch an dem Sirup haften blieb. Später gesellten sich noch Tang, Algen und kleine Muscheln hinzu.

So zogen sie am Strand entlang ostwärts. Manchmal wechselten sie den Kurs ins Wasser, und wenn sie die fünfzehn Kerle gut getränkt hatten, schleppten sie ihre Bündel wieder am Strand entlang, quer über die Tangstreifen.

Ab und an wachte einer auf, gurgelte oder lallte und versank wieder in einem Alptraum, den zu begreifen mit alkoholumnebeltem Gehirn unmöglich war. Wahrscheinlich dachten sie, in der Hölle gelandet zu sein.

Hasard junior erspähte den Zug zuerst und meldete ihn.

„Sechs Gestalten im Anmarsch!“ rief er zum Deck hinunter. „Sie schleppen was hinter sich her! Dicke Bündel oder so!“

Smoky, der Decksälteste, wach und unruhig, weil er meinte, die Kakerlaken husten zu hören, und an Deck geblieben war, wirbelte herum und fauchte zum Mars hoch: „Du spinnst wohl?“

Ungerührt meldete Hasard junior: „Die vorderste Gestalt ist Mister Carberry, schräg hinter ihm befindet sich Mister Brighton. Sie haben Seile über den Schultern …“

 

„An den Seilen hängen Kerle!“ schrie Philip junior dazwischen.

„Halt ’s Maul, hier melde ich!“ erklärte Hasard junior. „An den Seilen hängen Kerle, bei Mister Carberry und bei Mister Brighton – eins, zwei, drei! Bei Mister Batuti auch eins, zwei, drei …“

Hasards Stimme brach ab, und der Mars wackelte, weil er sich mit Philip um das Spektiv rangelte.

„Wahnsinn!“ ächzte Smoky.

Vom Achterdeck meldete Gary Andrews: „Stimmt alles, sie kehren zurück und haben Kerle im Schlepp!“

Der Kutscher tauchte neben Smoky auf und sagte: „Der Tee ist heiß, Smoky. Wollt ihr eine Muck?“

„Melde Hasard, daß unsere Leute zurückkehren!“ fuhr ihn Smoky an.

„Ich seh nichts“, sagte der Kutscher verdattert.

„Bin schon da!“ erklang Hasards Stimme hinter ihnen. „Alle Mann wecken, Smoky, vielleicht gibt’s Krach!“

Und so erlebten die Männer, die auf der „Isabella“ zurückgeblieben waren, die Rückkehr ihrer sechs Leute, die, gewaschen und schicklich im Zeug, als fromme irische Pilger ausgezogen waren, aber keineswegs als ebensolche frommen Pilger zurückkehrten.

„Ich hab’s doch gesagt“, erklärte Dan O’Flynn, der neben Hasard auf der Pier stand und alles beobachtete.

Der Seewolf lächelte nur verhalten.

Und sie schauten zu.

Denn Carberry und Ben Brighton hatten in Höhe des Pierzugangs zur „Zwarte Leeuw“ angehalten, sich umgedreht und ihre jeweiligen Seile Hand über Hand herangeholt. Carberry nestelte in seinem Haufen herum und hievte einen Mann hoch, den er mit einer Faust im Genick festhielt.

Dieser Mann schien sehr weiche Knie zu haben, denn er sackte dauernd zusammen. Außerdem lallte er unverständliches Zeug und bewegte die Arme wie eine flügellahme Krähe.

Bei ihm und Ben Brighton tauchten nacheinander Batuti, Stenmark, Pete Ballie und Sam Roskill auf. Auch sie lösten die Seile von ihren Schultern und holten sie Hand über Hand zu sich heran. Bei den sechs Seewölfen sammelte sich ein Berg von Menschenleibern, von denen die sechs die Seile losknüpften.

Da marschierte Carberry los, vor sich die Gestalt des Mannes mit den weichen Knien. Der latschte mit, aber das sah irgendwie marionettenhaft aus, weil Carberry ihn am Kragen festhielt.

Vor der Stelling der niederländischen Galeone hatten sich mehrere Männer versammelt, unter ihnen Pieter de Jonge, der Kapitän.

Vier Schritte vor de Jonge verhielt Carberry.

„Hat nicht geklappt, Kapitän!“ röhrte seine Stimme über die Pier. „Deine Affenärsche haben sich die Hucke voll gesoffen – dein Profos allen voran – und wissen nicht mehr, ob sie Männchen oder Weibchen sind, falls sie das überhaupt je gewußt haben. Wir bringen sie dir zurück, diese Scheißkerle. Und wenn du mich fragst, hätte ich sie lieber im Sumpf hinter der portugiesischen Kneipe versenkt. Dreck gehört nämlich zu Dreck, wenn du verstehst, was ich meine. Und dein Profos ist mehr als Dreck. Dein Profos ist eine Beleidigung für alle ehrlichen Profosen, die auf guten, ehrlichen Schiffen über die Meere fahren. Und wenn du diesen Mistkerl noch einmal auf uns losläßt, Kapitän, dann verspreche ich – der Profos der ehrlichen ‚Isabella‘ –, daß ich dir diese räudige Wildsau mit in Streifen geschnittenem Affenarsch auf einem Tablett zurückschicke, so wahr ich Edwin Carberry heiße.“

Und damit gab der Profos der „Isabella“ dem Profos der „Zwarte Leeuw“ einen Stoß, sehr sanft, wohlgemerkt.

Der Bulle schwankte auf seinen Kapitän zu, als wolle er ihn umarmen, aber dann kurvte er plötzlich mit einknickenden Knien nach rechts, tat noch zwei Schritte und stieg von der Pier ins Wasser.

Und weg war er.

Unten klatschte es.

„Habe die Ehre“, sagte Carberry, drehte sich um und marschierte zurück. Über die Schulter rief er: „Laß den anderen Misthaufen abholen, Kapitän, wir sind nicht deine Lastenträger. Besser wäre, diese Rübenschweine in der Bantambai zu versenken!“

„Festhalten, den Kerl!“ brüllte der Kapitän mit überschnappender Stimme.

Carberry drehte sich gelassen um.

„Versucht’s mal“, sagte er, stellte sich breitbeinig hin und stemmte die Pranken in die Hüften. Sein Rammkinn war unternehmungslustig vorgereckt.

Er wußte, daß er Rückendeckung hatte, denn noch während des Umdrehens hatte er gesehen, daß die Seewölfe aufmarschiert waren, Musketen lässig unter den Arm geklemmt. Hasard stand zwischen ihnen.

Carberry lockte „Na, kommt schon, ihr triefäugigen Enkel einer verlausten schwarzen Löwin! Laßt euch ein bißchen das Fell streicheln.“

Unter der Holzpier planschte gurgelnd und spuckend der bullige Profos im Wasser herum und plärrte, daß er nicht schwimmen könne.

„Klettere an den Pfosten hoch, du dämlicher Hund!“ knurrte Carberry erbittert. Das war ja wohl das letzte, daß sich dieses Zerrbild eines Profos’ nicht selbst zu helfen wußte.

Und der Kapitän schrie einen Mann an, wohl einen Bootsmann, er möge jetzt endlich, verdammt noch mal, diesen renitenten Burschen auf der Pier überwältigen und in Ketten legen.

Sie schlichen zu dritt auf Carberry zu, noch zwei folgten zögernd.

Neben Carberry tauchte Hasard auf, groß, schlank, geschmeidig. Binnen Sekunden war die Situation bereinigt – fünf Niederländer leisteten ihrem Profos unten im Wasser Gesellschaft und brüllten um die Wette. Dann entdeckte einer die Sprossen zwischen den Stützpfosten, planschte dorthin und kletterte hoch. Wie Hammel dem Leitbock folgten die anderen, und jeder versuchte, als erster auf die Sprossen zu gelangen. Einer hängte sich an die Füße des Leithammels, der wutentbrannt nach ihm stieß.

Dann brach die Sprosse, auf der er stand, und die ganze Menschen traube sauste zurück ins Wasser.

De Jonge erlitt einen Tobsuchtsanfall. Außerdem hatte er die Situation nicht mehr im Griff. Plötzlich stand er allein, denn die Kerle um ihn herum wichen zurück, als Hasard auf die Gruppe zuging. Es sah aus, als hätten sie Angst vor ihm.

Wenn sechs von diesen verdammten „Iren“ fünfzehn ihrer härtesten Schläger samt Profos gezähmt hatten, was mußte dann erst dieser schwarzhaarige Riese, der ihr Kapitän war, für ein Kämpfer sein!

Und dann wurde gemunkelt, dieser Mann sei der Seewolf. Die wildesten Geschichten kursierten über ihn. In der Schlacht gegen die Armada habe er in einem tollkühnen Branderangriff „die Unbezwingbare“ zersprengt und zum Teufel gejagt. Nein, mit einem solchen Kerl legte man sich nicht an.

Lächelnd sagte Hasard: „Lassen Sie’s gut sein, Kapitän de Jonge. Keiner Ihrer Leute hat ernsthaften Schaden genommen – abgesehen von einem erfrischenden Bad …“

„Ich verlange Genugtuung!“ brüllte der Kapitän.

„Für was?“ fragte Hasard ruhig.

„Dieser Kerl da hat mich beleidigt!“ De Jonge stieß den Arm gegen Carberry vor. „Mich, einen niederländischen Kapitän und Kommodore!“ Er klopfte sich an die Brust.

„Wollen Sie sich mit ihm duellieren?“ fragte Hasard höflich.

„Ich duelliere mich nicht mit niederem Schiffsvolk.“

„Ah ja“, sagte Hasard mit leichtem Spott in der Stimme, „zum Kämpfen sind Ihre Leute da, nicht wahr? Das niedere Schiffsvolk, wie Sie es zu nennen belieben. Und Sie selbst bleiben in Deckung, wie? Feine Sache. Andere tragen ihre Haut zu Markte, und Sie bleiben aus der Schußlinie. Das ist für mich sehr interessant, denn schließlich wünschten Sie ja, ich sollte an Ihrer Seite gegen die Portugiesen kämpfen. Wissen Sie, viel Lust habe ich nicht dazu. Suchen Sie sich einen anderen Bundesgenossen, einen, der so dumm ist, sich für Sie oder Ihre merkwürdigen Ziele totschießen zu lassen. Meine Sache ist das jedenfalls nicht.“

„Ich habe Sie in der Hand, das wissen Sie!“ fauchte der Kapitän.

„Nichts haben Sie in der Hand, Sie mieser, kleiner Erpresser.“

Jetzt war auch Hasards Stimme scharf geworden. „Begreifen Sie endlich, daß Sie mit Drohungen bei mir nichts erreichen.“

Aber dieser niederländische Kapitän begriff nichts. Er wollte wohl auch nicht begreifen. Seine Vernunft war soviel wert wie ein durchlöcherter Blasebalg.

Mit überkippender Stimme schrie er: „Schießt ihn nieder, diesen Halunken! Ich will sein Schiff haben! Weg mit dem Kerl …“

Er, verstummte und riß die Augen auf, denn Hasard hatte nur die rechte Hand gehoben und gewinkt, ohne sich umzudrehen.

Und hinter ihm rückten sechs Seewölfe an, die Musketen an den Hüften angeschlagen.

„Lassen Sie ruhig schießen, de Jonge“, sagte Hasard verächtlich, „aber dann sind Sie auch dran. Sechs Musketenläufe sind auf Sie gerichtet, und ich weiß, daß keiner meiner Männer danebenschießt.“ Er drehte etwas den Kopf nach rechts. „Mister Conroy?“

„Sir?“ tönte es vom Achterkastell der „Isabella“ zurück.

„Sind die beiden achteren Drehbassen feuerbereit?“ rief Hasard hinüber.

„Aye, aye, Sir, feuerbereit!“

„Welche Zielpunkte?“

„Steuerbord achtern, Wasserlinie, Sir! Gibt zwei saubere Löcher!“

Hasard richtete den Blick seiner eisblauen Augen auf den niederländischen Kapitän, der bleich geworden war.

„Pech für Sie, de Jonge“, sagte er kühl. „Ihr wertes Leben ist in Gefahr, und Ihrer ‚Zwarte Leeuw‘ drohen zwei Löcher in der Wasserlinie. Wenn Sie auf mich schießen lassen wollen – bitte sehr.“

„Sie – Sie Teufel!“

Hasard verbeugte sich leicht. „Eine Anrede, die mich ehrt, weil sie erkennen läßt, daß Sie offenbar begriffen haben, wie die Partie zur Zeit steht – nämlich nicht gut für Sie. Sie ist sogar tödlich, und davor haben Sie Angst. Kerle, die Angst haben, sind für mich schlechte Bündnispartner. Wenn es nämlich hart auf hart geht, kneifen sie und lassen den anderen sitzen. Vielen Dank, de Jonge, Sie haben sich demaskiert.“

Der Kapitän hatte wieder einmal Atembeschwerden, und dann verstieg er sich dazu, seine Pistole aus dem Gürtel zu reißen.

Hasard wartete, bis er sie heraus hatte. Dann schnellte sein rechtes Bein hoch, krachte unter des Kapitäns Handgelenk, und die Pistole segelte in hohem Bogen ins Wasser.

Noch bevor er wieder reagieren konnte, wischte Hasard ihn mit einem rechten Haken von der Pier. Er flog seiner Pistole hinterher.

Rechts von Carberry erschien der Kopf des Bullen an der Oberkante der Pier. Er hatte lange gebraucht, um sich an einem Pfosten hochzuarbeiten. Quer im Mund hatte er ein Messer.

„Verschluck dich nicht“, sagte Carberry und trat zu.

Der Bulle klatschte zurück ins Wasser. Alle Mühe war umsonst gewesen.

„Das war eben nicht sehr fein, Ed“, tadelte Hasard. „Er konnte sich nicht wehren.“

„Das konnte die Javanerin auch nicht, die er vergewaltigt hat“, knurrte Carberry, „mit Verlaub, Sir.“

„Hat er das?“

„Jawohl, das hat er, und deswegen wurde hier ein Posten mit durchschnittener Kehle gefunden, der mit diesem Rübenschwein Ähnlichkeit gehabt haben soll. Und dieser Mistkerl von Kapitän hat behauptet, die Portugiesen hätten den Posten ermordet.“

„Sauber, sauber“, murmelte Hasard. Sein Blick flog über die Männer, die sich an der Stelling und auf der Kuhl drängelten. Da schien keiner mehr geneigt zu sein, Gewaltmaßnahmen zu ergreifen. Er blickte in ziemlich geschockte Gesichter. Sehr deutlich sagte Hasard: „Zu meiner Crew gehörten einmal zwei Niederländer. Es waren gute Männer, und ich habe die Niederländer nach ihnen beurteilt. Jetzt lautet mein Urteil anders. Wer von euch noch Ehre im Leib hat, sollte sich schämen, unter einem Kapitän de Jonge und seinem Profos zu fahren. Für euer Land sind sie eine Schande. Und noch etwas: Solltet ihr gezwungen werden, gegen uns zu kämpfen, dann tut es mir leid, daß ihr es ausbaden müßt, denn unsere Breitseiten kennen keine Rangunterschiede. Das ist eine Warnung!“

Hasard wollte sich abwenden, aber ein Mann rief: „Sollen wir etwa meutern?“

Hasard drehte sich zu ihm um. „Was ihr sollt, kann ich nicht beantworten. Jeder trägt den Schuh, der ihm paßt. Ich kann nur für mich antworten, und da lautet meine Antwort: Unter einem größenwahnsinnigen Feigling und Erpresser sowie unter einem Frauenschänder würde ich nicht fahren. Aber wie gesagt, das ist euer Schuh, nicht meiner.“

Zusammen mit Carberry und den sechs Männern verließ er die Pier. Daß der Kapitän vom Wasser aus hinter ihm herfluchte, ignorierte er.

Bei den vierzehn schnarchenden Wein- und Schnapsleichen blieb er noch einmal stehen und schüttelte den Kopf.

„Was habt ihr mit denen nur angestellt, Ed?“ fragte er.

„Ein bißchen gespielt“, erwiderte der Profos grinsend. „Und das Rübenschwein dort ist in ein Sirupfaß gefallen.“ Er deutete mit der Rechten zu dem Kerl, der in alles mögliche eingehüllt war und wie eine Mumie wirkte.

 

„Da hast du ihn reingeworfen, wie?“

„Aber nicht doch, Sir“, sagte Carberry treuherzig. „Ich hab ihm nur ein bißchen aufs Haupt geschlagen, und da sauste er durch die Dielenbretter in einen Keller. Allerdings hatte Batuti schon etwas vorgearbeitet und diesen Kerl bis zur Brust versenkt. Konnte ich wissen, daß im Keller ein Sirupfaß stand?“

„Natürlich nicht.“ Hasard verbiß sich ein Lächeln.

„Siehst du, Sir. Außerdem haben wir diesen Stinten immer nur Maulschellen verpaßt, weil du gesagt hattest, wir sollten sauber kämpfen. Wir sind keine Totschläger, hast du gesagt. Nur Batuti hat diesem Abschaum von Profos ein Ding unter das Kinn gedonnert, weil der ihn beleidigt hatte. Der hatte zu Batuti gesagt, so einen wie ihn brauchten sie bei sich an Bord, um mit ihm die Bilge und den Abtritt ihrer Offiziere auszuwischen. Und das war eine Beleidigung, Sir, der wir uns nicht in aller Demut beugen konnten, obwohl wir’s versucht haben. Dann haben wir ihnen ein bißchen die Köpfe aneinandergebumst und unsere Maulschellen verteilt. Anschließend haben wir sie auf die Köpfe gestellt und ihnen ihre Münzen aus den Taschen geschüttelt. Das hat den glatzköpfigen Wirt sehr gefröhlicht …“

„Gefröhlicht?“

„Gefreut, mein ich“, verbesserte sich Carberry und fuhr fort: „Und darum gab’s Freitrinken. Weil die Stinte von den Maulschellen und so noch so beduselt waren, erbarmten wir uns ihrer und ließen sie an den Flaschen nuckeln wie – wie …“

„Wie Babys an der Mutterbrust“, sagte Hasard.

„Genau, Sir, du hast es erfaßt!“ Carberry strahlte und sah wieder aus wie ein verhungerter, zähnefletschender Wolf.

„Und die Flaschen waren wechselnden Inhalts?“ fragte Hasard, aber es war mehr eine Feststellung.

„Natürlich, Sir“, sagte Carberry fröhlich, nickte und fügte sehr wichtig hinzu: „Rum war auch dabei. Und Arrak natürlich. Der Reisschnaps der Zopfmänner natürlich auch, ja und Wein war auch dabei, damit ich das nicht vergesse. Und da war eine Chinesin, die wollte mir doch glatt meine Brusthaare kraulen. Was sagst du jetzt, Sir?“

„Hat sie nur die Brusthaare gekrault, Ed?“

„Wo denkst du hin, Sir!“ Carberry kratzte über sein Rammkinn. „Wir mußten doch diese besoffenen Bäkkerburschen in die Heia bringen. Und darum lösten wir uns von den taubenden Turteln …“

„… turtelnden Tauben“, sagte Hasard, und jetzt hatte er wirklich ernsthafte Schwierigkeiten, den gemessenen Ernst zu wahren.

„Natürlich.“ Carberry nickte gewichtig und fuhr fort: „Uns von den getäubten Turtlern zu lösen, sagte ich. Aber da war Suleika, die schon das Bett von dem Dingsda gehimmelt hatte, und die wickelte sich um unseren Ersten, der meinte, morgen sei auch noch eine Nacht …“

„Stimmt ja auch“, sagte Hasard.

„Richtig, Sir, vergiß das nicht!“ Carberry räusperte sich. „Und jetzt paß auf.“ Carberry verdrehte sich, schlang die Arme um jemanden, den er sich vorstellte, und sagte: „Das ist Suleika, Sir, eine glutäugige Blume, versteht du?“

„Verstehe.“

„Gut. Sie umrankt also unseren Ersten und flötet: ‚Oh, oh, oh! Ganzen Tag warten auf Bän Breitohn?‘“ Carberry dehnte das „Bän“ so ordentlich in die Länge und umarmte dabei die Luft.

Nun war der eiserne Profos der „Isabella“ eben ein Profos – und was für einer! –, aber gewiß kein Schauspieler. Und darum waren seine Gesten und die Mimik die Clownsnummer aus dem reisenden Volk der Seiltänzer, Feuerschlucker, Zauberer und Wahrsagerinnen.

Es sah aus, als steige ein Bulle an einer Bohnenstange hoch. Und sein Gesicht, das Suleika, die orientalische Blume, darstellen sollte, war so ausdrucksvoll wie ein vergammelter Kohlkopf.

„Dieser Profos neigt zu maßlosen Übertreibungen!“ empörte sich Ben Brighton.

Das Gelächter, das folgte, ließ die Männer auf der „Zwarte Leeuw“ zusammenzucken. Denn auf diesem Schiff war seit Monaten nicht mehr gelacht worden, genauer gesagt, seit dem Ankeraufgehen auf der grauen Reede von Texel. Grau war alles geblieben, grau und trüb. Wer lachte, drückte damit sein Wohlbefinden aus, und das war verdächtig. Das war jedenfalls Pieter de Jonges Ansicht. Kuschen und schuften, nur das galt für das Schiffsvolk. Und wer aus der Reihe tanzte, durfte die Neunschwänzige des Profos’ spüren.

Sie wußten gar nicht mehr, daß es Menschen gab, die lachen konnten. Als sie ihren Kapitän aus dem Wasser zogen, hätten sie gern gelacht, aber ein Blick in dessen verzerrtes Gesicht ließ sie ahnen, daß die lausigen Zeiten jetzt erst richtig anfangen würden.

Im übrigen hatte Carberry richtig getippt. Der Profos der „Zwarte Leeuw“ wurde in Ketten gelegt. Allerdings war das eine völlig sinnlose Maßnahme; dieser Mann würde sich nie ändern – genausowenig wie der Kapitän selbst.