Seewölfe Paket 11

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7.

Kapitän de Jonge ließ sich nicht mehr bei der „Isabella“ blicken. Jetzt hatte er sich wohl aufs Warten verlegt. Allerdings war er am nächsten Tag mehrere Male an Deck erschienen, hatte durch ein Spektiv die „Isabella“ beobachtet und hatte sich gegen Mittag zu den vier Schiffen auf Reede hinüberpullen lassen.

Dann war er wieder zurückgekehrt, und die vier Galeonen waren wie am Vortag ankerauf gegangen und hatten vor der Bai gekreuzt – wie um zu demonstrieren, daß sie nicht mal eine Maus aus der Bai lassen würden.

Ferris Tucker und seine Helfer arbeiteten unverdrossen an dem Ruder. Inzwischen kaufte der Kutscher in der portugiesischen Faktorei ein, die „Isabella“ wurde verproviantiert, Säcke, Kisten und Fässer wurden an Bord gemannt.

Und Ben Brighton verbrachte seinen Landgang bei Suleika.

Im Laufe des nächsten Tages wurde das neue Ruder fertig. Am späten Nachmittag hätte die „Isabella“ die Helling verlassen können, aber ein harter Nord bis Nordwest fegte in die Bantambai, und da war gar nicht daran zu denken, die Galeone von der Slipanlage ins Wasser zu lassen: Das war bei aller guter Seemannschaft nicht zu schaffen.

Auflandiger Wind von dieser Stärke war immer problematisch.

Hasard hielt Kriegsrat auf dem Achterdeck ab und sagte: „Wir müssen sehen, was morgen für Windverhältnisse sind. Allerdings sollten wir dann in der Nacht auslaufen, da sind alle Katzen grau. Oder ist einer der Gentlemen dafür, daß wir es bei Tage versuchen?

„Gegen vier gut bestückte Galeonen?“ meinte Ben Brighton. Er schüttelte den Kopf. „Das geht ins Auge.“

„Vielleicht wollen sie gar nicht kämpfen“, sagte Big Old Shane. „Schließlich müssen sie kapiert haben, daß dann auch bei ihnen die Fetzen fliegen, das heißt, daß es für sie riskant ist, sich mit uns anzulegen.“

„Könnte sein, könnte auch nicht sein“, sagte Hasard, „verlassen würde ich mich nicht darauf. Sicherer ist auf jeden Fall, wenn wir uns nachts verdrücken. Und auch das hat den Haken, daß wir nicht unbemerkt von der Helling herunter können. Wir werden ständig beobachtet. Sobald die Winschen an Land besetzt werden, weiß de Jonge, daß wir die Absicht haben, diesem schönen Hafen Lebewohl zu sagen. Er wird die vier Galeonen draußen alarmieren und selbst seeklar machen.“

„Abwarten“, sagte Ferris Tucker, „kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht ergibt sich plötzlich eine Situation, die für uns günstig ist. Außerdem läuft uns nichts weg.“ Er grinste. „Im Hafen ist gut schlafen, was, Bän Breitohn?“

Der Bootsmann und Erste Offizier der „Isabella“ brachte es tatsächlich fertig, rote Ohren zu kriegen.

„Du mußt es ja wissen“, sagte er gallig.

„Nein, ich muß es erst noch ausprobieren.“

„Hast du dir auch verdient, Ferris“, sagte Hasard..

Also ging an diesem Abend Ferris Tucker mit fünf Männern an Land, ohne zu ahnen, daß die günstige Situation, von der er gesprochen hatte, um die Zeit nach Mitternacht Wahrheit werden würde.

Wenn er es geahnt hätte, wären ihm die Haare zu Berge gestanden. Aber nicht nur ihm, sondern jedem Mann auf der „Isabella“, vor allem dem Kapitän Philip Hasard Killigrew.

Dem begannen sie sich zu sträuben, als er nach einer Ronde etwa zwei Stunden vor Mitternacht feststellte, daß seine beiden Söhne nicht in ihren Kojen lagen.

In der Kapitänskammer waren sie nicht, wo sie sich manchmal die Seekarten anschauten. Bei Ben Brighton waren sie auch nicht. Ben Brighton weckte Smoky. Hasard schaute in der Kombüse nach. Sie war blitzsauber und leer.

Fünf Minuten später wurde das ganze Schiff umgekrempelt. Alle Männer, die an Bord waren, suchten.

Blacky, der die Abendwache an der Leiter ging, hatte die beiden Lümmel auch nicht gesehen.

In Hasard begann es zu kochen.

Old O’Flynn begann mal wieder zu orakeln und meinte, die Lausebengel seien sicherlich fischen gegangen.

„Bei dem Scheißwetter?“ fuhr ihn Hasard an. „Und was heißt hier ‚fischen gegangen‘? Zu der Zeit wird nicht gefischt, sondern geschlafen!“

„Weiß man’s?“ meinte Old O’Flynn unbeeindruckt. „Als ich noch auf der ‚Empreß of Sea‘ fuhr, haben wir oft des Nachts geangelt. Mit Licht! Da beißen sie besser an, verstehst du?“

Hasard stöhnte und rief die Männer zusammen.

„Wer hat die Lümmel zuletzt gesehen?“ fragte er.

Der Kutscher kratzte sich hinter dem Ohr und sagte: „So gegen acht waren sie bei mir in der Kombüse, um sich einen Nachschlag zu holen.“

„Und dann? Wohin haben sie sich gewandt?“

Der Kutscher zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Sir. Ich habe nicht darauf geachtet, weil ich nach meinem Schlachtermesser suchte. Das war verschwunden – vielmehr ist verschwunden, weil ich’s noch nicht wiedergefunden habe.“

„Klarer Fall“, sagte Old O’Flynn. „Die Lümmel haben’s geklaut. Das Messer brauchen sie zum Ausnehmen der Fische, die sie angeln.“

„Quatsch! Hör mit deinem Unsinn auf, Old Donegal“, sagte Hasard wütend.

„Auch gut. Dann sage ich überhaupt nichts mehr“, brummte Old O’Flynn. „Auf mich hört ja keiner. Außerdem fehlt das kleine Beiboot, das wir vorn an der Helling vertäut hatten.“

Hasard wirbelte herum. „Wie bitte? Was sagst du da?“

„Das kleine Beiboot fehlt.“

„Woher weißt du das?“

„Ich war vorhin auf dem Galionsdeck. Da hab ich’s gesehen.“

„Und das sagst du jetzt erst?“

„Ich sollte ja mit meinem Quatsch aufhören, nicht wahr?“ sagte Old O’Flynn pikiert. „Wenn man angeln geht, braucht man ein Boot, oder?“

„Bei dem Wind?“ fauchte Hasard. „Du spinnst doch wohl, Mister O’Flynn!“

„Ach nein!“ Jetzt wurde auch Old O’Flynn rabiat. „Was heißt hier ‚bei dem Wind‘? Wer war denn der Lauselümmel, der im gleichen Alter wie seine Lauselümmelsöhne mit einer Nußschale von Boot bei Sturm in der Falmouth Bai segelte, he? Und wem hat dann Sir John den Arsch versohlt, wie? Weißt du das noch, Mister Killigrew, Sir? Und der Teufel soll mich holen, wenn ich hier in Wehgeschrei ausbreche! Entweder haben diese verdammten Lümmel gelernt, wie man bei solchem Wetter zur See fährt, oder sie haben es nicht gelernt, verflucht und zugenagelt. Ha! Meine Enkel sind aus hartem O’Flynn-Holz geschnitzt, damit auch das mal klar ist. Und ich verwette mein Holzbein, daß diese Knilche heiter und munter zurückkehren. Sonst noch was?“

„Das Schlachtermesser“, murmelte Ben Brighton. Er starrte den Kutscher an. „Das Ding ist doch scharf, oder?“

„Wie ein Rasiermesser oder Skalpell“, sagte der Kutscher stolz.

„Sie saßen im Ruderhaus, als wir am Spätnachmittag die Lage besprachen“, sagte Ben Brighton. „Sie haben zugehört.“

„Na und?“ sagte Hasard unruhig.

„Sie haben einen Plan ausgeheckt, der mir übrigens auch durch den Kopf gegangen war.“

„Was für einen Plan?“

Bedächtig, wie es seine Art war, erwiderte Ben Brighton: „Diese Nacht ist schwarz, kein Mondlicht, kein Sternenlicht. Genug Dunkelheit, um sich an die vier Galeonen draußen auf der Reede zu pirschen und die Ankertrossen zu kappen. Ehe die Kerle an Bord kapieren, was sich abspielt, treiben ihre Schiffe hier auf Land zu. Und da gibt’s dann Kleinholz, möchte ich meinen.“

Hasard und die Männer starrten Ben Brighton an, als sei er der Mann vom Mond oder eine Kuh mit drei Köpfen.

„Ach du meine Fresse“, murmelte Edwin Carberry erschüttert, „wer mit chinesischen Raketen Ratten jagt, der bringt noch ganz was anderes fertig.“ Und dann grinste er.

„Wie bitte?“ fragte Hasard irritiert. „Was ist mit den chinesischen Raketen?“

„Ach, nichts“, sagte Carberry, „ich hab nur so gedacht, Sir.“

„Was war das, Mister Carberry?“ fragte Hasard scharf. „Heraus mit der Sprache!“

„Ja, Sir, äh, das war so“, Carberry trampelte von einem Fuß auf den anderen, „also ganz harmlos, Sir. Wie soll ich sagen, na, die Rübenschweinchen haben eine neue Methode erfunden, Ratten zu jagen. Ja, genau so ist es.“ Carberry versuchte ein Grinsen, das aber danebenging, als er in Hasards eisblaue Augen schaute.

„Weiter!“ forderte Hasard. „Was ist das für eine Methode?“

Carberry räusperte sich die Kehle frei. „Nun, wie war das doch gleich, hm, hm.“ Er kratzte sich im Genick, dann war die Brust dran. „Ferris, weißt du noch, wie die Methode funktionierte? Du fandest das doch genial, oder?“ Carberry blickte sich um, aber da war kein Ferris Tucker, denn der hatte ja Landgang. Dann bemerkte er die grinsenden Gesichter, natürlich verstohlen grinsend, und brummte: „Da gibt’s wieder was zu lachen, was, wie?“

„Mister Carberry!“ mahnte Hasard. „Ich wollte die Geschichte gern zu Ende hören.“

„Die Geschichte, ja so, die Geschichte!“ Erneutes Räuspern. „Ja, die Rübenschweinchen haben also unter der Bilgegräting eine chinesische Rakete gezündet. Genial, was, wie? Und wenn das Ding unter der Gräting hin und her faucht und Sternchen verspritzt, dann kriegen es die Ratten, die ja bekanntlich gern in der Bilge herumturnen, mit der Angst zu tun und reißen aus. Schwuppdiwupp können jetzt die Rübenschweinchen zuschlagen.“ Wider versuchte der Profos, ein fröhliches Gesicht zu zeigen, und wieder erstarrte er, als er in Hasards Augen blickte.

„Und das erfahre ich jetzt erst?“

Carberry blickte sich unbehaglich um. „Also, Sir, ich hätte dir das schon noch mitgeteilt, aber da passierte die Sache mit dem verdammten Baumstamm, der unser Ruder demolierte, ja, und dann hab ich diese Geschichte doch glatt vergessen, weil der Ereignisse so viele waren.“ Unwillkürlich ahmte Carberry den gestelzten Stil des Kutschers nach, weil er das immer für sehr beeindruckend hielt. „Ja, der Ereignisse waren so viele, daß die Zeit dahinfloh und ein Tag dem anderen folgte, ohne daß der Gelegenheiten eine sich ergab, dir die Geschichte …“

 

Carberry brach ab, als Hasard nur sanft den Kopf schüttelte.

„Schon gut, Ed“, sagte Hasard, und Carberry atmete auf.

Ben Brighton sagte: „Sollten wir mit dem großen Beiboot auf die Reede pullen, Sir? Falls etwas schiefgeht.“

Hasard nickte. „Du bleibst an Bord, Ben. Ich gehe selbst mit.“

Sie hatten gegen den Nord aufkreuzen müssen und sich Schlag um Schlag auf die Höhe der vier ankernden Galeonen gekämpft. Wie Affen hockten sie auf der Luvkante des Bootes und geigten durch die zischende See.

Hasard bediente die Pinne, Philip die Schot zu dem trapezförmigen Segel, das an einer Gaffel ausgespreizt wurde. Natürlich waren sie bereits quitschnaß, aber das kümmerte sie nicht weiter. Außerdem war das Wasser warm.

„Wie packen wir’s?“ brüllte Philip seinem Bruder ins Ohr. „Wir können bei dem Wind unmöglich bei jeder Trosse in den Wind schießen, das haut uns die Gaffel kaputt und den Großbaum um die Ohren!“

„Wir segeln an den Trossen vorbei!“ rief Hasard. „Oder vielmehr drüber weg! Ich nehme dann noch die Schot. Und du haust mit dem Messer vom Kutscher auf die Trosse. Da brauchen nur zwei Kardeele zu brechen, dann reißen die anderen auch. Wenn nicht, kehren wir um, und du haust wieder drauf. Klar?“

„Klar!“

Sie hatten sich im Westen hochgekreuzt. Als sie die Umrisse der ersten Galeone undeutlich querab erkannten, liefen sie noch ein Stück über Backbordbug nach Nordwesten, wendeten dann auf den Steuerbordbug und segelten mit einer Braßfahrt bei halbem Wind ostwärts auf den Bug der ersten Galeone zu.

Hasard übernahm die Schot und hing weit draußen nach Luv, um die Schräglage des Bootes zu vermindern.

Philip lauerte in Lee neben dem Mast.

Hasard peilte voraus und sah die Galeone größer und größer werden. Und dann entdeckte er die Ankertrosse, die schräg aus dem Wasser ragte und zu der Bugklüse hochführte. Die Trosse wirkte so straff gespannt wie die Saite eines Lauteninstruments.

„Achtung!“ rief er Philip zu.

Philip zeigte mit der Linken klar. In der Rechten hatte er das Schlachtermesser – scharf „wie ein Skalpell“. Rittlings saß er auf der Mastducht und hatte die Unterschenkel ineinander verhakt, um einen festen Halt zu haben. Er wußte, daß er nur einen einzigen Schlag hatte, und der mußte sitzen.

Die Galeone wurde riesig.

Das Boot zischte auf die Trosse zu. Hasard luvte etwas an, dann noch mehr, um sie nicht zu unterlaufen. Das wäre das Ende gewesen – zumindest für den Mast.

Als er Philips Arm nach unten sausen sah, preßte er die Zähne zusammen. Und schon waren sie vorbei. Er blickte zurück. Genau in diesem Moment sprang die Kerbe auf, die das Messer geschlagen hatte – und dann brach die Trosse. Wie eine Schlange züngelte sie hoch in die Luft. Einen peitschenartigen Knall hatte es dabei gegeben.

Und schon schien die Galeone auf Fahrt zu gehen, so schnell verschwand sie nach Lee.

Philip grinste zu Hasard zurück. Hasard erwiderte das Grinsen.

Die zweite Galeone schälte sich aus der Dunkelheit. Vier Minuten später trieb sie ebenfalls landwärts. Die dritte Galeone folgte.

Bei der vierten Galeone brauchten sie drei Anläufe und waren inzwischen auch schweißgebadet. Hasard konnte die Schot kaum noch halten, die Innenflächen seiner Hände waren aufgerissen.

Aber sie brüllten Hurra und „Arwenack“, was natürlich keiner hörte, weil der Wind orgelte und pfiff.

Die vier Galeonen befanden sich „auf großer Fahrt“, wie Philip brüllte.

Sie segelten jetzt mit Backstagswind über Backbordbug wieder westwärts und kreuzten das Kielwasser der treibenden Galeonen.

Warum sich da überhaupt nichts tat, war ihnen schleierhaft, zumal die Galeonen zwar zuerst mit dem Heck voran nach Süden trieben – wie sich das gehörte –, aber dann doch allmählich herumtörnten, dem Wind die Breitseite boten und demzufolge völlig anders schlingerten und schaukelten als zuvor, als sie im Wind liegend an der Ankertrosse gehangen hatten.

„Die pennen!“ rief Hasard.

Philip, der die Schot wieder übernommen hatte, nickte.

Und dann tönte über die Reede ein donnernder Krach, weil sich zwei der Galeonen gerammt und ineinander verbissen hatten.

Die beiden Lümmel brüllten sich vor Begeisterung die Kehlen heiser.

Und als sie an dem Beiboot vorbeifegten, in dem kräftige Seewölfe an den Riemen rucksten, lachten sie sich halbtot, weil sie schneller waren.

„Da war Dad an der Pinne!“ rief Hasard.

„Hab’s gesehen!“ Philip feixte. „Sah aus, als hätte er Sir John verschluckt!“

Sie lachten und kicherten. Und als ihnen das Segel wegflog, kicherten sie immer noch, weil das zu ulkig aussah. Dieses verdammte Ding hing jetzt nur noch mit einem Schäkel und Reihleine an der Gaffelnock, wehte ihnen voraus wie eine riesige Fahne, aber zog sie auch weiter auf das Ufer zu.

„Hu-hu!“ brüllte Hasard. „Das ist die neue Kunst, ’ne Jolle zu segeln! So was habt ihr noch nicht gesehen, Leute!“

Sie wurden gesehen – von den Seewölfen, die zurückgeblieben waren und zum Ufer stürzten, als diese merkwürdige Jolle heranraste – mit einem vorausflatternden Segel, das sich allmählich in Fetzen auflöste.

„Du meine Fresse, du meine Fresse“, murmelte Carberry ein ums andere Mal und hieb Smoky die Pranke auf die Schulter. „Sind das verteufelte Kerlchen, diese Rübenschweinchen? Jagen ’ne ganze Flotte zum Teufel!“

„Vier“, sagte Smoky.

„Vier sind ’ne ganze Flotte, du Plattfisch!“ brüllte ihn Carberry an.

In diesem Moment fegte die Jolle quer durch den Tangstreifen auf den Sand – und der Mast brach.

„Mahlzeit“, sagte Hasard junior und hielt sich den Bauch vor Lachen.

Und Philip krümmte sich und stöhnte: „O Mann, ich kann nicht mehr, mein ganzer Bauch tut weh! Ich mach mir gleich in die Hosen!“ Und er kicherte und kicherte.

Kräftige Fäuste hoben sie aus dem Boot und trugen sie im Triumphmarsch zur „Isabella“.

Zu diesem Zeitpunkt brummte die eine Galeone östlich der Pier auf. Und die letzte Galeone, bei der sich das Ruder aus irgendwelchen Gründen verklemmt hatte, trieb auf die „Zwarte Leeuw“ zu.

Einen Notanker zu werfen, um die Fahrt zu stoppen, schafften sie nicht mehr. Und die Segel kriegten sie auch nicht schnell genüg hoch, um sich noch freizusegeln.

So passierte, was passieren mußte, während die Männer der „Zwarte Leeuw“ schreiend von Bord stürzten und auf die Pier flüchteten.

Mit dem Bugspriet voran fraß sich die vierte Galeone in die „Zwarte Leeuw“.

Kapitän de Jonge starb einen seltenen Tod.

Der Bug der vierten Galeone klemmte ihn ein, als er auf die achtere Galerie sprang. Er verendete kläglich und wurde später mit Äxten aus seiner Lage befreit. Aber davon hatte er nichts mehr.

Am nächsten Tag wehte der Wind sanft aus Südost, und die „Isabella“, wieder in ihrem Element, nahm Kurs auf den Ausgang der Bantambai. Gaspar de Ribeiro stand auf der Pier und winkte der englischen Galeone nach.

Und noch einmal hörte er den Schlachtruf der Seewölfe, aber es war ein Abschiedgruß, der über die Reede donnerte und auch gegen vier gestrandete Galeonen prallte. Das fünfte Schiff, die „Zwarte Leeuw“, das Flaggschiff des „Kommodore“, hing halb abgesoffen an der Pier.

„Ar-we-nack – Ar-we-nack …“

„Gute Fahrt, ihr Seewölfe“, murmelte de Ribeiro.


1.

Das Meer verwandelte sich in flüssige Lava.

Weit entfernt, im Osten, entstand die hellrote Glut als winziger Fleck, breitete sich aber aus wie ein gefräßiges Ungeheuer aus rätselhaften Tiefen. Erst jetzt erschien der Feuerball, als habe er sich seine Freiheit mit grimmiger Urgewalt erkämpfen und die starre Linie des Horizonts erst durchbrechen müssen, um sich nun als strahlender Sieger erheben zu können.

Während die Sonne rasch höher stieg, schob sich der Widerschein ihrer Glut mit dem Wellengang des Ozeans auf die Insel zu und schien sie verschlingen zu wollen.

Der einsame Wächter erschauerte, zog die dunkle Decke fester um seinen schmalen, doch muskulösen Körper. Sein Gesicht war mit schwarzer Erde eingerieben, sein jettschwarzes Haar besorgte ein übriges, um ihn mit dem düsteren Felsenhintergrund verschmelzen zu lassen. Er zählte zu den Jüngsten im Volk des Raja Sohore Jugung Moharvi, doch seinen Dienst an diesem heiligen Ort verrichtete er nicht zum ersten Male.

Noch immer bereitete ihm aber das Wissen um die Nähe der Götter Unbehagen. Sie wohnten nur einen Lanzenwurf weit über ihm, im Krater des Vulkans Prakjat. Doch sie duldeten seine Nähe, denn er gehörte zu den Auserwählten, die davon befreit waren, die vorgeschriebene weiße Kleidung anzulegen, wenn sie ihnen gegenübertraten. Von der kleinen Felsplattform unterhalb des Vulkankegels genoß der Wächter einen hervorragenden Blick in die drei Himmelsrichtungen Osten, Süden und Westen. Und nur von Südwesten waren die Feinde zu erwarten. Nur von dort ging die ständige Bedrohung für das Volk des Raja aus.

Die Brahmanen hatten lange um die Entscheidung gerungen, einen Wächter am heiligen Ort zu postieren. Mehrere eindeutige Zeichen waren abgewartet worden, ehe man sich des Wohlwollens der Götter sicher gefühlt hatte.

Der junge Inselbewohner blickte auf das Meer hinaus, das sich im Sonnenaufgang glutrot gefärbt hatte. Weniger die Nähe der Götter als dieses glühende Rot war es, das ihm Unbehagen einflößte. Er hatte es selbst nie miterlebt, wenn die Götter zürnten und feurige Lava über die Insel spien. Doch aus den Erzählungen der Alten kannte er das Grauen, das dann aus dem Schlund der Erde hervorbrach. Unzählige Vorväter der Bewohner von Seribu waren jenem Todeshauch göttlichen Zorns nicht entronnen. Alle, die heute auf der Insel lebten, brachten immer wieder Opfergaben dar, mit denen sie ihr Leben in Frieden zu sichern hofften.

Unvermittelt erstarrte der Wächter in seiner Haltung. Seine Augen wurden schmal, während er nach Süden spähte.

Segel schoben sich über die Linie des Horizonts. Große, helle Segel.

Der Herzschlag des jungen Kriegers begann zu rasen. Jähe Anspannung griff nach ihm wie eine übermächtige Faust.

Dem menschlichen Zorn konnten sie niemals entrinnen. Dafür waren auch jene Opfer sinnlos, mit denen sie das Wohlwollen der Götter auf ihrer Seite hatten. Denn die Andersgläubigen von jenseits des Meeres verachteten die Götter, nach deren Maßregeln die Menschen auf der Insel Seribu lebten.

Das fremde Schiff näherte sich mit weißschäumender Bugwelle. Noch wartete der Wächter, bis er Einzelheiten erkennen konnte. Bald darauf hatte er Gewißheit. Es war eins dieser Schiffe, wie es die weißen Männer aus der fremden Welt verwendeten. Nur, dieses Schiff war größer und stolzer als das eine, das er kannte. Etwas Majestätisches ging davon aus. Er mußte sich von dem Anblick losreißen und sich selbst daran erinnern, daß es nichts anderes als eine tödliche Bedrohung sein konnte, die dort mit dem heraufziehenden Morgen nahte.

Eilends verließ er die Felsplattform. Mit federnden Bewegungen, die seine jungen und gestählten Muskeln erlaubten, lief er den Hang hinunter, bis der tropische Dschungel ihn verschluckte.

Die Menschen auf Seribu würden gewarnt sein – rechtzeitig, bevor das große Schiff die Insel erreichte. Dieses Schiff hatte sich mit dem Feind verbündet. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

„Scheint unbewohnt zu sein“, sagte Ben Brighton, während er das Spektiv sinken ließ.

Philip Hasard Killigrew legte seine Hände auf die Steuerbordbalustrade des Achterkastells und nickte. Feine Gischt, die von der schäumenden Bugwelle der „Isabella VIII.“ aufstieg, wehte ihm ins Gesicht. Der Wind wühlte im schwarzen Haar des Seewolfs, ein handiger Südost, der die Galeone über Backbordbug vor sich hertrieb.

Es war vorerst nicht mehr als ein sattgrüner Fleck, der sich Steuerbord voraus in der Javasee abzeichnete. Ein deutlicher Kontrast, weil die Morgensonne dem Waschbrettmuster des Wellengangs eine unvergleichliche Färbung verlieh.

„Ob bewohnt oder nicht“, entschied Hasard, „wir werden uns um diese hübsche kleine Insel nicht kümmern. Unsere Frischwasservorräte reichen für mehr als zwei Wochen.“ Was den Proviant betraf, hatten sie noch weniger Sorgen. Auf Java, das hinter ihnen lag, hatten sie der „Isabella“ den Bauch kräftig vollgeschlagen.

 

„Bist du sicher, daß die Seekarten stimmen?“ Ben Brighton blickte Hasard von der Seite an. „Inseln sind jedenfalls nicht verzeichnet. Oder?“

„Das muß nichts heißen, Ben. In der Sundastraße soll es eine Menge kleinerer Eilande geben. Überhaupt scheint mir dieses ganze Südostasien eine Inselwelt von unvorstellbarer Größe zu sein.“

Ben Brighton hob wieder den Kieker. Er war ein besonnener und ruhiger Mann, der möglichen Überraschungen stets dadurch begegnete, daß er sich mit Unbekanntem gründlich beschäftigte – sofern die Zeit dazu blieb. An diesem Morgen hatten sie an Bord der „Isabella“ allesamt Zeit im Überfluß. Der stete Südost bereitete keine Schwierigkeiten, und der klare Himmel ließ vermuten, daß es auch den Tag über so bleiben würde.

Pete Ballie, der stämmige Rudergänger mit Fäusten so groß wie Ankerklüsen, konnte es sich leisten, dem Wortwechsel zwischen dem Seewolf und dem Ersten mehr Aufmerksamkeit zu widmen als dem Steuerruder. Und die Crew konnte sich mit Hingabe einem herzhaften Frühstück widmen, das der Kutscher mit nicht geringerer Hingabe in der Kombüse zusammengezaubert hatte.

Fütterung der Raubtiere, hatte Edwin Carberry, der bullige Profos, augenzwinkernd gebrummt, bevor er selbst ins Logis verschwunden war, um das zu betätigen, was in seinem herzhaften Sprachgebrauch unter der Bezeichnung Futterluke rangierte. Entsprechend ruhig war es an Deck. Moses Bill, der als Ausguck im Großmars ausharrte, hing seinen Gedanken nach. Außer dem grünen Farbtupfer der Insel gab es nichts mehr zu vermelden, denn weit und breit glich die See besagtem Waschbrett, an dessen Muster sie erinnerte. Sir John, der Arakanga-Papagei, hockte hoch oben auf der Vormarsrah und ließ sich den frischen Wind durch das karmesinrote Gefieder blasen. Schon in einer Stunde, wenn die Sonne ihren Aufstieg beschleunigte, würde es wieder drückend heiß sein. Die extrem hohe Luftfeuchtigkeit in diesen Breiten hatte das Schiffsholz mit einem glitschigen Belag überzogen.

Die „Isabella“ lag auf Nordwestkurs. Dabei würde sie die Insel mit einer Distanz von etwa zwei Seemeilen nach Steuerbord passieren. Für eine Kursänderung gab es keinen Anlaß.

Das Kartenmaterial, über das der Seewolf verfügte, war ziemlich ungenau. Es entsprach dem geringen Wissensstand, den europäische Seefahrer über diesen Teil der Welt hatten. Dennoch war Hasard nach seinen Berechnungen sicher, daß sie sehr schnell die Küste von Sumatra erreichen mußten. Jene Insel, die Java an Größe noch um etliches übertraf.

Einzelheiten wurden nun deutlich.

„Das sieht nicht sehr einladend aus“, bemerkte Ben Brighton.

Hasard sah es mit bloßem Auge. Ein schwarzer Vulkankegel reckte sich aus dem grünen Teppich des Tropenwaldes hoch, der die Insel bedeckte. Ruhig und friedlich thronte dieser kegelförmige Koloß dort inmitten üppiger Vegetation. Doch das Bild mochte trügen. Geschichten, die aus fernöstlichen Breiten überliefert wurden, berichteten von furchtbaren Katastrophen durch Vulkanausbrüche.

Es schien also denkbar, daß diese Insel tatsächlich unbewohnt war, wie Ben vermutete. Hasard schätzte die Größe des Eilands auf höchstens hundert Quadratmeilen. Dank der rauschenden Fahrt der „Isabella“ näherten sie sich rasch.

„Deck!“ tönte unvermittelt Bills Stimme aus dem Großmars. „Dort, am Strand! Ein Wrack!“

Ben Brighton justierte die. Optik des Spektivs. Auch der Seewolf nahm seinen Kieker zur Hand.

Der Strand dieser Insel war dunkel, fast schwarz. Stellenweise reichte die Vegetation bis unmittelbar ans Wasser. An anderen Stellen wiederum verlief der Strand flach und ausgedehnt bis zu düsteren Gesteinsmassen, die sich landeinwärts erstreckten. Erkaltete Lava zweifellos, die vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten das Dickicht unter sich begraben hatte.

Das Wrack, das Bill erspäht hatte, war selbst mit dem Spektiv nicht eben leicht zu entdecken. Denn die Entfernung betrug immerhin noch einige Seemeilen. Hasard mußte anerkennend feststellen, über was für gute Augen der Moses verfügte. Es war nicht das erste Mal, daß sich Bill auf solche Weise bewährte.

Wenn es einen Kontrast zu dem schwarzen Strand gab, dann nur die hellere, ausgebleichte Farbe verwitterten Schiffsholzes. Es handelte sich um eine Jolle, die fraglos nicht hier in Asien, sondern irgendwo im heimischen Europa zusammengezimmert worden war.

Hasard hielt sich nicht mit der morschen Nußschale auf, die offenbar auf den Strand getrieben worden war. Er ließ das Blickfeld des Spektivs weitergleiten. Stück für Stück und sorgfältig suchte er auf diese Weise den Strand ab. Ben Brighton tat es ebenso, und nahezu im selben Moment erspähten sie den Körper.

„Da!“ rief Ben. „Haargenau vor dem Palmengürtel!“

Hasard nickte, ohne den Kieker abzusetzen.

Es war ein regloser menschlicher Körper, der dort langgestreckt auf dem düsteren Sandboden lag. Nur wenige Schritte trennten ihn von jenem Palmengürtel, der der grünen Wand des Regenwalds vorgelagert war. Es handelte sich um einen Mann. Soviel war eindeutig festzustellen. Außer einigen hellen Stoffetzen trug er nichts mehr auf dem Leib. Alles deutete darauf hin, daß er sich mit letzter Kraft den Strand hinaufgeschleppt hatte und dann zusammengebrochen war. Vor Entkräftung, Hunger oder gar wegen einer Verwundung – es gab viele Möglichkeiten.

„Vielleicht ist er schon tot“, sagte Ben Brighton gedehnt. „Oder aber …“ Er sprach nicht weiter.

Hasard wußte auch so, was Ben sagen wollte. Dieser breitschultrige, untersetzte Mann hatte jene innere Ruhe, die auch sein Äußeres ausstrahlte. Selten ließ sich der Erste Offizier der „Isabella“ zu einer unbedachten Äußerung hinreißen. In diesem Fall hegte er eben Zweifel daran, ob der Schiffbrüchige auf dem Strand der Vulkaninsel wirklich schon tot sein konnte. Berechtigte Zweifel.

Jeder Mann an Bord der „Isabella“ wußte, welchen Launen des Schicksals man unterworfen war, wenn man sein Glück auf den Weltmeeren suchte. Für viele bedeutete die Seefahrerei letzten Endes alles andere als Glück. Davon konnten alle, die jemals einen Fuß auf Schiffsplanken gesetzt hatten, ein Lied singen. Jeder der Männer, die unter dem Kommando des Seewolfs fuhren, hatte schon die irrwitzigsten Zufälle erlebt. Böse Zufälle waren es meist gewesen, die das Leben gekostet hätten, wenn es nicht eine glückliche Fügung des Schicksals gegeben hätte.

Dies war es, was Ben Brighton ebenso in seinen Gedanken bewegte wie der Seewolf selbst. Sie konnten nicht einmal ahnen, durch welche Umstände der Schiffbrüchige dort auf die Insel getrieben worden war. Wenn es aber noch Hoffnung für ihn gab, so war die „Isabella“ in diesem Moment jene glückliche Fügung, die es auf See so äußerst selten gab.

Es gab Pflichten, denen sich ein Mensch nicht entziehen konnte. Daran hatte es für Philip Hasard Killigrew noch nie den geringsten Zweifel gegeben. Menschlichkeit war in einer Situation dieser Art für ihn das oberste Gebot.

Noch einmal betrachtete er die gestrandete Jolle genauer. Das Boot war verwittert, vom Salzwasser angefressen. Soviel war trotz der Entfernung zu erkennen. Welche Umstände dazu geführt hatten, blieb vorerst unklar.

„Wir sehen nach dem Rechten“, entschied der Seewolf.

Ben Brighton setzte das Spektiv ab und blickte ihn an.

„Ich habe es gewußt“, sagte er mit einem kaum erkennbaren Lächeln. „Hoffen wir nur, daß es keinen Ärger gibt.“

Hasard zog die breiten Schultern hoch. Er war mehr als sechs Fuß groß und schmal in den Hüften.

„Damit muß man immer rechnen. Hinter einem Zufall können sich die schlimmsten Überraschungen verbergen. Aber willst du dein Gewissen damit belasten, jemandem nicht geholfen zu haben, wenn es um sein Leben geht?“

„Nein“, erwiderte Ben Brighton entschlossen.

„In Ordnung. Wir ankern vor der Insel und setzen ein Boot aus. Sechs Mann. Sie sollen sich freiwillig melden.“

„Aye, aye, Sir.“ Bens Stimme klang jetzt fast militärisch. Er schob das Spektiv mit einem Ruck zusammen und trat an die vordere Schmuckbalustrade des Quarterdecks. „Alle Mann an Deck!“ Sein energischer Befehlston drang bis in den letzten Winkel der Galeone.