Seewölfe Paket 11

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2.

Länger als eine. Woche war die „Isabella VIII.“ fast Nordkurs an der Westküste Australiens entlanggesegelt.

Dann beschrieb die Küste einen scharfen Knick, und jeder nahm an, daß der Seewolf nun wieder Ostkurs segeln würde, um auch noch den Rest des sagenhaften „Südlandes“ zu erkunden.

Aber das Fazit dieser Reise hatte Philip Hasard Killigrew längst gezogen.

Es gab kein Südland, jedenfalls nicht in dem Sinne der Mären und Legenden, die von einem riesigen Land im Süden sprachen, einem Kontinent, ähnlich dem europäischen oder amerikanischen.

Sie hatten eine Insel gefunden, das stand mit absoluter Gewißheit fest, und das bewies auch dieser Küstenstrich in östlicher Richtung.

Hasard hatte die letzten Eintragungen abgeschlossen und in die Seekarte übertragen. Ein letzter Rest Ungewißheit in östlicher Richtung blieb noch, und dieser Teil war auf der Karte mit einem Fragezeichen versehen. Aber die reine Logik sagte ihm, daß der Verlauf dieser Küste später wieder einen Knick beschrieb und sie auf diese Art und Weise früher oder später wieder zu jenem riesigen Riff gelangen würden, das man fraglos als das größte und längste der gesamten Welt bezeichnen konnte.

Der Seewolf verließ seinen Platz auf dem Achterdeck und versammelte die Crew um sich.

Ein neuer Kurs wurde festgelegt und besprochen. Da ihr weiteres Schicksal davon abhing und ihnen die „Isabella“ außerdem gemeinsam gehörte, wurde ganz einfach abgestimmt.

Bei dieser Methode gab es kein Murren, kein Meckern und Motzen und keinen Streit. Jeder bestimmte also sein Schicksal selbst mit.

„Von nun an“, begann Hasard, „verläuft der Küstenstrich vorerst in nordöstlicher Richtung. Später wird er wieder so nach Süden verlaufen, daß wir auf das riesige Riff treffen. Segeln wir also in dieser Richtung weiter, wird uns das keine neuen Erkenntnisse bringen. Dieses Land ist eine Insel, das steht fest. Wenn wir nach Norden segeln, gelangen wir meiner Ansicht nach wieder in die langgestreckte Inselkette des Pazifischen Ozeans.“

„Und wenn wir nach Westen drehen, Sir?“ fragte der Schiffszimmermann Ferris Tucker. „Wo gelangen wir dann hin?“

„Mit Sicherheit sind wir dann gleich im Indischen Ozean und würden uns auf die ostafrikanische Küste zubewegen“, entgegnete der Seewolf. „So weit haben wir die Eintragungen auf der Karte. Da ist natürlich noch sehr viel offen, aber wir wissen, daß die Erde rund ist, und sehen unsere Route diesmal nur aus einer weit südlicheren Perspektive.“

„So ist das also“, sagte Ferris Tukker andächtig. „Pazifischer Ozean, Indischer Ozean und dann wieder Atlantik. Habe ich recht?“

„In westlicher Richtung, ja, Ferris.“

Der alte O’Flynn, der neben dem schweigenden Profos Edwin Carberry stand, grämte sich wieder einmal. Er hatte nicht den geringsten Durchblick in der Navigation, obwohl er ein mit allen Meeren getränktes Rauhbein war. Aber diese Ortsbestimmungen gingen ihm gegen den Strich.

Verdammt, das kapierte er nie, obwohl sie es ihm schon oft erläutert hatten. Wasser war Wasser, bei allen lausigen Meermännern. Und da konnte sich nicht einer mitten auf den Ozean stellen und einfach behaupten: So, wir sind genau da und da!

No, Sir, das konnte man nicht wissen, wenn man nicht mit dunklen Mächten im Bund stand, die einem das zuraunten.

Sein Gesicht wurde mißtrauisch und seine Augen schmal.

„Wie, beim dreimal geschwänzten altisländischen Troll, wollt ihr Kerle das eigentlich immer wissen?“ fragte er lauernd.

„Sind wir etwa nicht immer da gelandet, wo wir wollten?“ fragte der Profos. „Oder hast du alter Salzhering das immer noch nicht begriffen, was, wie?“

„Nicht immer“, sagte O’Flynn mit mahnend erhobenem Zeigefinger. „Nicht immer, du aufgeblasener Kugelfisch! Und wenn wir jetzt zur Schlangen-Insel segeln wollen, wie segeln wir dann, he?“

„Genau, wie du es eben schon gehört hast“, sagte der Profos gemütlich. „Nämlich durch den Indischen Ozean, den Atlantischen Ozean und wieder nach Norden. Es gibt aber auch einen umgekehrten Weg durch den Pazifischen Ozean um das Kap der Stürme herum. Dann landen wir wieder im Atlantischen Ozean.“

Hasard stand lächelnd dabei und amüsierte sich, wie Old O’Flynn sich vergeblich um einen klaren Blick bemühte.

Immer noch sah er den Profos mißtrauisch an, der jetzt endlich begriffen hatte, wie das alles zusammenhing.

Aber der Alte winkte ab.

„Segelt, wohin ihr wollt, ich kapiere das nie mehr in meinem Leben. Ein Ozean Steuerbord, der andere Backbord und mittendrin noch so eine lausige Pfütze. Oben und unten Wasser. Ja, zum Teufel“, ereiferte er sich, „nimmt mich wunder, daß man bei dem vielen Wasser überhaupt noch mal Land sieht.“

Da half alles nichts, daß O’Flynn ein vorzüglicher Seemann war, das Auffinden von Orten, die mehr als tausend Meilen entfernt waren, hatte für ihn etwas Unheimliches an sich.

„Ja, das wundert uns auch“, sagte Carberry grinsend. „Da muß wohl der Zufall seine Hand im Spiel haben.“

Hasard blickte in den blauen Himmel und stellte fest, daß sich der Wind zu drehen begann. Der rauhe Geselle, der sie über die Meere der Welt trieb, drehte unmerklich und blies dann fast aus Ost. Vermutlich hing das mit der riesigen Landmasse und dem freien Meer zusammen, das nun wieder vor ihnen lag.

„Wer ist dafür, daß wir nach Osten segeln?“ fragte er laut. „Und wer hebt die Hand dafür, daß wir auf Nordkurs bleiben?“

„Und da gelangen wir ganz sicher wieder in die Südsee?“ fragte Blacky.

„In einen Teil davon“, sagte Hasard. „Meinen Berechnungen nach werden wir uns dann westlich der Insel befinden, wo es die Papuas gab.“

Der junge Bill hob zaghaft die Hand.

„Noch weiter nach Norden gelangen wir in das Land des Großen Chan, Sir, stimmt das?“

„Ha, jetzt weiß ich, wo wir sind“, schrie der alte O’Flynn dazwischen. „Jetzt hab ich alles begriffen.“

„Auch das stimmt, Bill“, sagte der Seewolf. „Aber so hoch hinauf werden wir diesmal nicht segeln.“

Bill dachte an ein Mädchen, ein mandeläugiges Chinesenmädchen von knabenhafter zarter Figur, und er wußte auch noch ihren Namen. Sie hieß Ch’ingchao Li-Hsia, und dieser Name bedeutete soviel wie „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“. Da war er zum erstenmal in seinem Leben so richtig verknallt gewesen und hatte sich aufgeblasen und ständig groß angegeben, sobald er sie nur erblickte.

Aber das lag schon lange zurück und erschien ihm wie eine Ewigkeit, als sie damals die Flußbraut, die auf einem Floß im Meer schwamm, halb tot aus dem Wasser gezogen hatten.

„Nach Norden!“ rief der Decksälteste Smoky spontan, und auch Bill entschied sich für den Nordkurs.

Eine Hand nach der anderen hob sich. Stenmark und Luke Morgan zögerten noch unentschlossen, doch als der Profos, Tucker, Big Old Shane, Jeff Bowie und der Kutscher die Hand hoben, da streckten sie ihre Flossen auch hoch in die Luft und entschieden sich für den Kurs nach Norden.

„Weshalb sollen wir diese lausige Insel noch einmal runden?“ fragte Old O’Flynn. „Die kennen wir doch längst. Am besten segeln wir direkt nach Irland weiter.“

Carberry sah den Alten fassungslos an und stöhnte leise.

„Er hat es immer noch nicht kapiert“, sagte er klagend. „Das ist ja ein Kreuz mit diesem Burschen.“

Hasard setzte dem gleich folgenden Gezeter rechtzeitig ein Ende.

„Wir segeln also Nordkurs“, sagte er, „damit ist es entschieden. Vielleicht hat einer der ehrenwerten Gentlemen schon gemerkt, daß der Wind leicht drehte.“

Das hatten die meisten nur halb mitgekriegt, und selbst der Profos bildete da keine Ausnahme. Aber das lag nur an der Diskussion, und es war auch nicht weiter schlimm.

„Was steht ihr noch herum und gafft euch die Klüsen aus dem Kopf?“ grollte Carberry. „Das Raumschotsegeln ist vorbei. Wir gehen auf Backbordbug! Und wenn ihr triefäugigen Bilgengespenster nicht gleich auf Stationen seid, dann wird euch der alte Carberry die …“

Jeder wartete jetzt auf Carberrys Lieblingsspruch, und die ersten Männer unternahmen Anstalten, ihn nachzuäffen.

„… Rahen vom Hals bis in den Achtersteven schieben und euch am Spieß grillen!“ sagte er ungerührt.

„Das ist ja ein starkes Stück“, empörte sich Smoky. „Das mit dem Affenarsch lasse ich mir ja noch gefallen, aber wie sehen wir denn mit den Rahen im Hals aus?“

Etwas später segelte die „Isabella“ mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug bei Wind aus Ost.

An Steuerbord wurde das Land unmerklich kleiner, aber weiter nach Nordosten zu war noch sehr lange der Küstenstrich zu sehen, bis auch der unmerklich Steuerbord achteraus verschwand.

Wieder einmal war die „Isabella“ auf hoher See und bewegte sich durch eine langrollende Dünung.

So ging es den ersten, den zweiten und auch den dritten Tag. Es gab nur See und Himmel zu sehen, und nur einmal sahen sie dicht unter der Kimm die Masten eines Schiffes. Doch das Schiff verschwand innerhalb einer knappen Stunde und wurde nicht mehr gesichtet.

Ab und zu ließ der Seewolf mit Hilfe des Logs die Geschwindigkeit des Schiffes messen und trug die zurückgelegte Strecke in die Seekarte ein, die sein ganzer Stolz war. Er schätzte, daß sie in einer Woche wieder Land sehen würden. Bis dahin gab es nichts als Wasser und Sonne, Wind und blauen Himmel. Im fernen England schrieb man den vierundzwanzigsten Juni fünfzehnhundertneunzig.

„Richtig stinklangweilig ist es“, sagte Hasard junior zu seinem Zwillingsbruder Philip am vierten Tag auf See. „Es passiert aber auch rein gar nichts.“

„Dann müssen wir was passieren lassen“, erwiderte Philip trocken.

 

„Aber was?“

„Weiß ich auch noch nicht. Aber etwas, das alle aufregt.“

„Dann gibt’s wieder Senge.“

„Ach was“, sagte Philip. „Soll ja keiner einen Schaden dabei erleiden. Nur so ’n bißchen was zum Lachen.“

„Du meinst, die Erwachsenen verulken?“

„Klar, das meine ich. Paß mal auf.“

Die beiden Helden entwickelten einen Plan, um das Bordleben wieder etwas aufzubrassen, wie Hasard sagte.

Nochmals einen Tag später fiel dem Profos auf, daß sein Lieblingsvieh, der Aracanga-Papagei Sir John, immer einen ganz bestimmten Platz auf dem Vordeck anflog, dort eine Zeitlang buchstäblich verschwand und erst viel später auf die Rah zurückkehrte. Dann blieb er oben hocken, krächzte obszöne Flüche an Deck und suchte nach einer Weile wieder das Vordeck auf.

Carberry stand sinnend am Schanzkleid und sah dem bunten Vogel nach.

„Merkwürdig“, sagte er zu Tucker. „Das tut Sir John nur sehr selten, daß er zum Vordeck fliegt. Was tut er da?“

„Sieh doch mal nach“, schlug der rothaarige Schiffszimmermann vor. „Aber wahrscheinlich hat der Vogel nur Langeweile.“

„So wichtig ist es nun auch wieder nicht“, meinte Ed, aber nach einer Weile ließ es ihm doch keine Ruhe mehr, denn Sir John startete immer in ganz bestimmten Abständen zum Vordeck.

Der Profos nahm die Stelle in Augenschein und ging nach vorn. Aber den Aracanga sah er zu seiner Verblüffung nicht.

„He, Smoky“, sagte Ed zu dem Decksältesten. „Hast du Sir John gesehen?“

„Vorhin flog er noch hier herum. Ich glaube, er ist in einen der alten Verschläge gesaust, da, hinter dem Schott.“

„Was für ein Verschlag?“

„Wo früher immer die Hühner drin waren.“

„Ach ja, richtig.“

Carberry entsann sich wieder. Ferris Tucker hatte die Hühnerkäfige einmal in England gebaut, und sie waren auf dem Vordeck verkeilt worden, aber seit langem unbeachtet, denn zur Zeit gab es an Bord keine Hühner mehr.

Hinter dem Schott standen die Käfige sicher, und Ferris hatte sie von den Seiten zusätzlich mit Brettern vernagelt.

Der Profos ging hinter das Schott und fand, daß einer der Käfige offen war.

Er hatte sich dem Käfig noch nicht ganz genähert, als zeternd und kreischend der Papagei herausstolzierte, sich aufplusterte und mit weit ausgebreiteten Schwingen in die Höhe strebte, dem Großmars entgegen.

Carberry schüttelte den Kopf, ließ sich auf alle viere nieder und streckte sein narbiges Gesicht mit dem ungeheuren Rammkinn in den Käfig, um herauszufinden, was Sir John so daran interessierte.

Inzwischen waren auch Smoky, Gary Andrews und Matt Davies auf dem Vorschiff erschienen, angelockt durch Carberrys merkwürdiges Benehmen.

Sie sahen von ihrem Profos allerdings nur den Achtersteven, denn der hockte immer noch auf den Planken und glotzte sich in dem Käfig die Augen aus.

Was er da allerdings sah, ließ ihn an seinem eigenen Verstand fast zweifeln. Er schloß ein paarmal krampfhaft die Augen, öffnete sie wieder, zwinkerte und konnte nicht glauben, was er sah.

Auf dem Boden des Käfigs befand sich ein großes Nest, schön hergerichtet aus Sägespänen, alten Stoffresten, größeren Holzsplittern und Unmengen von Sonnenblumenkernen. Das alles war kunstvoll drapiert, gezogen, gebogen und in Form gebracht.

Der Profos kriegte richtige Stielaugen, denn nicht nur das Nest war es, was ihn irritierte und hilflos vor sich hin blicken ließ.

„Nein, das allein war es nicht, denn in dem kunstvoll und liebevoll gebauten Nest lagen drei Eier, drei richtige Eier von leicht hellbrauner Farbe mit einigen grünlichen Tupfern darauf.

Dem Profos kamen vor Rührung fast die Tränen. Er schluckte andächtig und verstand die Welt nicht mehr.

Sir John, sein Sir John, hatte Eier gelegt! Ein Unding, seit die Welt bestand!

Er zog sich vorsichtig zurück. Seine ganze Welt stand kopf.

Als er endlich fassungslos und mit knallrotem Schädel vor den anderen stand, verging denen ihr Grinsen. Sie sahen ihren Profos entgeistert an.

„Fehlt dir was, Ed?“ fragte Smoky besorgt.

Carberry starrte fast verzückt in unbekannte Fernen, und auf seinem Narbengesicht lag ein andächtiges Leuchten, als er sagte: „Ich glaube, mich knutscht eine Seekuh!“

„Hä?“ fragte Matt Davies. „Sollen wir den Kutscher holen, Ed? Vielleicht hast du auch das Dingsbums, das Smoky damals hatte, diesen, äh – na ja, dies Dings im Kopf!“

Carberry hörte gar nicht zu. Er stand da, schüttelte den Kopf und merkte gar nicht, daß die anderen sich fragten, weshalb den guten Ed ausgerechnet eine Seekuh geknutscht hatte.

Endlich brach es aus ihm hervor.

„Sir John hat drei Eier gelegt“, sagte er, und jeder war sich absolut sicher, daß es verdammt feierlich klang.

Ed sah in entgeisterte Gesichter, Augen starrten ihn so ungläubig an, als zweifle jeder an seinem Verstand.

„Spinnst du etwa?“ fragte Smoky grob. „Oder willst du uns nur verschaukeln?“

„Mann, Profos“, sagte Matt Davies eindringlich. „Überlege dir doch mal, was du da eben verkündet hast! Sir John ist schließlich ein ausgewachsener Mann, äh – männlicher Vogel, meine ich, und die legen bekanntlich nur krumme Eier.“

„Dann ist es jetzt eben eine Sir Johnin“, sagte Ed. „Und wenn ihr grünen Stinte das nicht glaubt, dann glotzt euch das Gehege doch selbst an. Aber wehe, einer berührt auch nur ein Ei! Dem ziehe ich persönlich die Ärsche von seinen Streifen – äh, verdammt, ich bin ganz aufgeregt. Seht selbst nach, aber ganz vorsichtig!“

Smoky kroch als erster hinein, und als er das Gelege erblickte und wieder zurückkroch, da glänzten auch seine Augen, und er schüttelte fassungslos den Kopf.

„Das – das ist ja ein – ein Unding“, sagte er krächzend.

Einer nach dem anderen kroch hinein und kehrte ebenso verdattert wieder zurück.

Sie alle blickten zur Großrah, wo Sir John sich aufplusterte und krächzende Laute von sich gab.

„Mann, wie war das nur möglich?“ stammelte Matt Davies, der es immer noch nicht glauben konnte, aber er hatte die Eier selbst gesehen, das war keine Täuschung gewesen.

„Ich entsinne mich jetzt, daß Sir John ein paarmal an Land flog“, sagte Gary Andrews nachdenklich. „Da gab es ja immerhin genügend Papageien. Und die werden schon gemerkt haben, daß er kein Männchen, sondern ein Weibchen ist.“

„Richtig, da waren auch weiße Papageien mit gelben Hauben dabei“, sagte Smoky. „Das gibt bestimmt so eine Mischung wie zwischen Negern und Weißen. Na, auf die Jungen bin ich gespannt.“

„Geht weg, er will in sein Nest!“ rief der Profos. „Mich wundert, daß er die Eier nicht ständig bebrütet.“

„Vielleicht will er sich nur den Hintern kühlen“, meinte Blacky.

„Sie – meinst du wohl“, korrigierte Carberry.

„Ja, da muß man total umdenken“, murmelte Blacky verstört.

Sir John stürzte sich aufs Vordeck, landete auf den Planken und stolzierte zu „seinem“ Käfig. Wie eine bunte Ente watschelte er hinein und verschwand in dem dämmerigen Kasten.

Draußen erhitzten sich unterdessen die Gemüter. Die Seewölfe liefen zusammen, staunten und konnten es nicht fassen.

Und der alte O’Flynn sagte: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht kapieren. Mir kam das Vieh schon immer so seltsam vor. Er, sie, meine ich, benahm sich nämlich direkt weiblich.“

„Du hast natürlich wieder den totalen Durchblick“, sagte Ed. „Hinterher weißt du immer alles besser als die anderen, du Seegurke!“

Auch die Zwillinge erschienen mit großen erstaunten Augen, aber der Profos scheuchte sie weg.

„Laßt euch ja nicht in seiner Nähe blicken“, warnte er. „In ihrer Nähe, meine ich. Und stellt mir nichts mit den Eiern an, habt ihr das verstanden?“

„Stimmt das denn wirklich?“ fragte Hasard junior skeptisch.

„Klar stimmt das, wir alle haben es gesehen. Später, wenn sie wieder auf der Rah hockt, um sich den Achtersteven zu kühlen, dürft ihr mal einen Blick in das Nest werfen.“

Mit hochroten Köpfen blieben die Zwillinge erwartungsvoll stehen. Aber Sir John blieb noch eine ganze Weile in dem Käfig. Erst nach einer halben Stunde flatterte er wieder heraus und schwang sich auf die Rah.

Das seltsame Gebaren des Vogels kapierte zwar niemand so richtig, denn von einem Vogel wußte man allgemein, daß er tagelang ohne Pause auf seinen Eiern hockte. Aber Papageien bildeten da vielleicht eine Ausnahme. Schließlich mußte Sir John das ja besser wissen als die Seewölfe, und sie konnten ihm da keine Vorschriften machen.

Schließlich erfuhren auch der Seewolf und Ben Brighton davon.

Sie ließen es sich von Carberry berichten, und der Profos sprach dabei in rührenden Tönen von einer liebevoll besorgten Mutter und daß es nicht mehr lange dauern würde, dann hätten sie drei weitere Papageien an Bord.

Selbst der Seewolf war fassungslos.

Carberry ordnete an, daß für die brütende Mutter ab sofort Trinkwasser in einer Muck dicht beim Käfig aufgestellt wurde. Dann befahl er den Zwillingen, sich immer rechtzeitig um Früchte und Leckerbissen bei dem Kutscher zu bemühen, damit es Sir John ja auch an nichts fehle.

Hasard und Philip versprachen das, und später durften sie auch einen Blick auf das kunstvoll gebaute Nest werfen.

„Donnerwetter“, sagten beide wie aus einem Mund. „Das hätte ich niemals gedacht.“

Der eierlegende Sir John war und blieb die Hauptattraktion, und an Bord wurden lange Debatten darüber geführt, ob man den Namen nicht ändern solle, denn einen brütenden Sir gab es nicht, daher schlug der Moses Bill vor, man solle den Vogel doch von nun an einfach Lady John nennen.

„Du spinnst wohl“, sagte Carberry. „Lady John war doch die Stiefmutter des Seewolfs. Das geht nicht.“

„Vielleicht Ladybird“, schlug Matt Davies vor, aber auch da winkte der Profos ab.

„Daran kann ich mich nicht gewöhnen“, erklärte er.

Die Gemüter erhitzten sich weiter, denn die Sache mit Sir John war tatsächlich die größte und einzige Abwechslung auf dieser Reise gen Norden.

Immer wieder schlich der Profos zu seinem Liebling, hockte auf allen vieren auf den Planken, kontrollierte, ob der Vogel auch genug zu fressen hatte und seine Leckerbissen regelmäßig erhielt, und fand alles in bester Ordnung.

Bis auf eine Kleinigkeit allerdings, und die berührte den stumm dasitzenden Carberry fast peinlich.

Sir John nämlich fraß sich dick und voll, zernagte die Leckerbissen und schielte nur ab und zu mal neugierig nach den Eiern. Meist rollte er sie mit dem großen Schnabel im Nest herum, beglotzte sie andächtig und widmete sich dann seinen Körnern, dem Mais und den Sonnenblumenkernen.

„Wie du das schaffst, ist mir egal“, knurrte Ed. „Aber wenn du die Eier nicht richtig ausbrütest, drehe ich dir den Kragen rum! Ich kann nur für dich hoffen, daß du eine gute Mutter bist!“

Daraufhin stieß der Aracanga wieder einen seiner lästerlichen Flüche aus, spazierte O-beinig aus dem Käfig und schwang sich auf die Großrah, verfolgt von Carberrys äußerst besorgten und auch leicht mißtrauischen Blicken.

Der Profos, besorgt über seinen Liebling, ging zum Kutscher, dem Feldscher an Bord, der lange Jahre bei Sir Freemont gedient hatte und sich selbst nur der Kutscher nannte. Angeblich hatte er keinen anderen Namen.

„Hör mal, Kutscher“, sagte Ed und lehnte sich ans Kombüsenschott. „Wie lange brütet ein Papagei eigentlich? Du bist doch ein gelehrter Mann, oder du tust jedenfalls immer so!“

„Bist du etwa hergeschlichen, um mich zu beleidigen?“ fragte der Kutscher sauer.

„Nein, nein, so darfst du das nicht auffassen. Wie lange also?“

„Hm, schwer zu sagen.“ Der Kutscher zog unbehaglich die Schultern hoch.

„Wenn ich von einem Huhn ausgehe …“

„Verdammt, Sir John ist kein Huhn“, unterbrach Ed.

„Na, ich schätze, so ungefähr gut zwei Wochen.“

„Genau weißt du es aber nicht, wie?“

„Nein, ich habe noch keinen brütenden Papagei beobachtet, und ich hocke auch nicht ständig mit dem Hintern auf den Planken, um das zu begaffen. Du wirst es schon selbst merken, wenn eines Tages drei häßliche nackte Viecher in dem Nest liegen.“

„Du tust doch immer so, als hättest du die Weisheit mit Löffeln gefressen“, sagte Ed. „Dabei weißt du nicht einmal, wie lange ein Papagei brütet.“

„Das hat doch mit Intelligenz nichts zu tun!“ schrie der Kutscher und reckte kampfeslustig die magere Brust vor.

 

„Klar hat es das“, versicherte der Profos. „Aber einwandfrei. Wer so was nicht weiß, ist einfach bescheuert!“

Damit ließ er den verblüfften Kutscher stehen, der ihm erbittert nachfluchte, und ging wieder nach vorn.

Dort belauerte er Sir John, der sich um seine drei gelegten Eier kaum kümmerte, aber desto mehr den Lekkerbissen zusprach und sich seinen gefiederten Ranzen erbarmungslos vollstopfte.

Irgend etwas stimmte mit dem Vogel nicht, fand Ed, aber das würde er noch herausfinden.

Die „Isabella“ segelte weiter nach Norden bei gutem Ostwind und einem azurblauen Himmel.