Seewölfe Paket 11

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8.

Die Pinasse lief in die Hafenbucht von Airdikit ein, und sie war jetzt wieder mit acht Männern besetzt: Hasard hatte die Rolle des Leutnants Leandro Moratin übernommen, sich also dessen komplette Montur angelegt, Big Old Shane, Ed Carberry, Blacky, Dan O’Flynn, Luke Morgan, Ferris Tucker und Smoky trugen die Uniform der spanischen Soldaten, die sie an Bord der „Isabella“ überwältigt hatten.

Die acht Spanier lagen indessen gut verschnürt im Kabelgatt der „Isabella“ und dachten über ihre Unbedarftheit und den mangelnden Scharfsinn nach, die zu ihrer Überrumpelung geführt hatten.

Ben Brighton, der jetzt das Kommando über die „Isabella“ innehatte, hatte von Hasard den strikten Befehl erhalten, die acht Geiseln nur im äußersten Notfall als Faustpfand gegenüber den spanischen Befehlshabern von Airdikit einzusetzen.

Erpressung war für den Seewolf nach wie vor eine unfaire Angelegenheit. Deshalb hatte er sich auch für diese andere, verwegenere Art der Gefangenenbefreiung entschieden.

Frech und gottesfürchtig segelte er mitten in die Bucht hinein, die ovale Form hatte und mindestens zehn großen Galeonen Ankerplatz bieten würde, wenn die Festungsanlage einmal fertig war. Die Zufahrt zur Bucht war gut und gern eine halbe Kabellänge, also mehr als neunzig Yards, breit und rund zwei Meilen lang. Als Hasard sie passiert hatte, hatte er damit gerechnet, mit anderen Pinassen oder Schaluppen zusammenzutreffen, doch in diesem Punkt war er angenehm enttäuscht worden. Die Fahrt in die Höhle des Löwen verlief so glatt und problemlos, wie man es sich kaum vorzustellen vermochte.

Der stürmische Wind drückte die Pinasse in die Bucht, und sie lief auf die „San Rosario“ zu.

Da lag sie also, die den Seewölfen nur allzu bekannte Galeone, die jetzt reichlich ramponiert aussah. Hasard betrachtete sie eingehend, während sie auf die hölzernen Anleger zusteuerten, und gelangte zu dem Schluß, daß er wohl doch einen Fehler begangen hatte, als er das Schiff von der Insel Tabu zum neu entdeckten südlichen Kontinent hinübergeführt und dann Jonnys Kommando überantwortet hatte.

Die „San Rosario“ lag unweit der Piers im natürlichen Hafenbecken und schwoite stark an ihrer Bugankertrosse. Im Gefecht hatte es ihr den Besanmast zertrümmert, außerdem wies ihr Schanzkleid einige unansehnliche Löcher auf, und das laufende und stehende Gut befand sich in heilloser Unordnung.

Don Felix Maria Samaniego wagte sich bei diesem Wetter mit einem so arg lädierten Schiff nicht auf die See hinaus, aber Hasard hätte sich das durchaus zugetraut. Denn die „San Rosario“ schwamm ja, und mit einer erfahrenen kleinen Mannschaft konnte man sie durchaus aus dem Hafen von Airdikit entführen. Auch ihr Ruder schien noch in Ordnung zu sein. Ob die aufgegeiten Segel Löcher hatten, konnte der Seewolf natürlich nicht sehen, aber selbst wenn sie welche aufwiesen: Die Hauptsache war, daß sie überhaupt noch über ein paar Fetzen Tuch verfügte, die ihr Fahrt verliehen.

Ja, Hasard wollte auch die „San Rosario“. Er war zwar ziemlich wütend auf Sumatra-Jonny, aber nichtsdestotrotz wollte er Jonny und seine „glorreiche Zehn“ doch heraushauen und versuchen, dieser Teufelscrew ihr Schiff zurückzugeben.

Die Pinasse lief auf den vordersten hölzernen Anleger zu. Hasard ließ das dreieckige Großsegel und die Fock wegnehmen, gab Shane, der ganz achtern auf der Ducht hockte, ein Zeichen, die Ruderpinne herumzudrücken, und nahm selbst einen Bootshaken zur Hand, mit dem er den Anprall abfing.

So schor die Pinasse an der kleinen Pier entlang. Zwei Soldaten liefen heran, ihre Stiefel trappelten auf den Anlegerplanken. Hasard warf ihnen die Leinen zu. Sie fingen sie auf und belegten sie um zwei kleine Poller.

Hasard kletterte als erster aus der Pinasse auf den Anleger. Carberry folgte ihm auf dem Fuße, dann Blakky, Dan und die vier anderen.

Dies war Hasards einfacher Plan: Er wollte zielstrebig bis zur Hütte des Lagerkommandanten marschieren. Wo diese stand, hatte Morgan Young selbstverständlich genau beschrieben. Überhaupt hatte der Mann aus Southampton eine minuziöse Skizze von der gesamten Festungsanlage, dem Lager und der Palisade in Airdikit angefertigt.

Der Seewolf hatte sich den Lageplan gut ins Gedächtnis geprägt und wußte, in welche Richtung er sich zu wenden hatte. Er wollte Don Felix gefangennehmen, mit ihm zur Palisade gehen, sich dort einschließen und die Gefangenen von ihren Ketten befreien.

Aber jetzt geschah etwas Unerwartetes. Hasard wollte sich an den beiden Soldaten, die die Pinasse vertäuten, vorbeischieben. Gischt sprühte hoch und nebelte den Anleger ein, er glaubte nicht daran, daß sie die Maskerade bemerken würden.

Und doch fuhr jetzt einer der beiden zu ihm herum und blickte ihm mitten ins Gesicht.

„Hölle!“ schrie der Mann. „Das ist nicht der Teniente Moratin! He, das ist ein anderer – der gehört nicht zu uns! Verrat!“

Auch der zweite Soldat richtete sich jetzt auf.

Hasard fällte den ersten mit einem einzigen Fausthieb, ehe dieser die Muskete hochnehmen konnte. Carberry wollte sich den zweiten greifen, doch der hatte die Geistesgegenwart, sich herumzuwerfen und davonzulaufen, statt es mit den acht Eindringlingen aufzunhemen.

„Alarm!“ brüllte er, und dann feuerte er seine Muskete in die Luft ab.

„Sturm!“ rief der Seewolf. „Zur Hütte des Kommandanten!“ Er hetzte los und brachte sich neben den Profos, der fluchend die Verfolgung des Soldaten aufgenommen hatte.

Sie hätten auf die Beine des Mannes feuern können, aber das widerstrebte ihnen. Außerdem war es inzwischen auch unwichtig geworden, diesen einen Wachtposten zu stoppen und auszuschalten – vom Lager her ertönte Geschrei, und eine Horde von Uniformierten lief auf die Seewölfe zu.

Hasard blickte kurz über die Schulter zurück. Shane, Blacky, Dan, Luke, Ferris und Smoky waren dicht hinter ihnen.

Es wäre das beste gewesen, wenn Ferris jetzt eine seiner Höllenflaschen hätte werfen können. Aber zu überraschend war diese unerwartete Entwicklung der Dinge erfolgt, und der rothaarige Riese hatte jetzt keine Möglichkeit, seine Flaschenbomben zu zünden.

Hasard ahnte, daß Don Felix – der nach Morgan Youngs Aussage kein Dummkopf war – gewisse Entwicklungen vorausgesehen hatte. Ja, vielleicht wußte er sogar schon, mit wem er es hier zu tun hatte und hatte deshalb seine Männer entsprechend instruiert.

Mit langen Sätzen erreichte Hasard den flüchtenden Soldaten und warf ihn zu Boden. Er wälzte sich über ihn und gab ihm dabei einen Jagdhieb, der das Bewußtsein des Mannes sofort auslöschte.

Die anrückenden Spanier begannen jetzt mit Musketen und Tromblons zu schießen.

„Hinlegen!“ schrie der Seewolf seinen Männern zu.

Sie ließen sich auf den Boden fallen, brachten selbst ihre mitgebrachten Musketen und Büchsen in Anschlag und erwiderten das Feuer der Spanier.

Von einem Augenblick auf den anderen war die Hölle los! Hasard schoß seine Blunderbüchse leer und griff sich dann noch die Pistole des ohnmächtigen Spaniers, um sie ebenfalls auf die Übermacht der Spanier abzufeuern. Seine eigene Doppelläufige ließ er aber noch unbenutzt im Gurt stecken. Er konnte sich ausrechnen, daß er sie noch dringend benötigen würde. Wenn er sie erst einmal leergeschossen hatte, war keine Zeit mehr zum Nachladen.

Er rollte sich weiter nach rechts ab und geriet neben Ferris Tucker, der gerade seine Muskete auf einen heranstürmenden Spanier abgedrückt hatte. Der Spanier brach zusammen und blieb dicht vor ihnen liegen.

„Her mit den Flaschenbomben, Ferris!“ rief Hasard ihm zu.

Tucker schob ihm zwei Flaschen zu. Hasard stopfte sie sich unter die Lederweste, robbte ein Stück voran, richtete sich dann halb auf und hetzte geduckt voran. Er befand sich jetzt etwas außerhalb der eigentlichen Kampflinie und hielt auf die kleinen, fahrbaren Geschütze zu, die er unmittelbar vor den Hütten entdeckt hatte.

Einige Soldaten trafen unter den gebrüllten Befehlen ihrer Offiziere und Unteroffiziere gerade Anstalten, diese Geschütze auf die Angreifer abzufeuern.

Hasard schlug einen Haken nach rechts, als jemand ihn mit einer Muskete niederzuschießen versuchte, hastete auf die Anhöhe zu, die zum Festungsbau hinaufführte, schlug wieder einen Haken, zückte seine Reiterpistole und drückte auf einen von zwei Soldaten ab, die jetzt von dem einen Geschütz – einem Falkon – abliefen und auf ihn zuliefen.

Er traf, der Soldat fiel und überschlug sich zweimal auf dem Boden. Hasard feuerte auch die zweite Ladung der Doppelläufigen ab und sah den zweiten Widersacher hinsinken. Dann war er mit zwei Sprüngen an dem Falkon, zog eine Flaschenbombe aus der Weste hervor und beugte sich über das kleine Kupferbecken, in dem Holzkohle zum Entzünden der Geschützlunten glühte.

Rasch setzte er die Zündschnur der Handbombe in Brand. Funken sprühten, es knisterte, und der Sturmwind blies die Glut nicht wieder aus, sondern fachte sie nur noch mehr an.

Hasard mußte zumindest fünf, sechs Sekunden warten, bis die Lunte weit genug abgebrannt war. Er wollte, daß die Flasche sofort hochging, wenn er sie seinen Gegnern zwischen die Beine warf.

Aber nun rückten wieder Soldaten auf ihn zu und hoben ihre Musketen, um ihn zu töten. Hasard duckte sich hinter das Geschütz, entging auf diese Weise einer heransirrenden Kugel, hatte aber keine Handfeuerwaffe mehr, mit der er sich zur Wehr setzen konnte.

Mit der linken Hand hielt er die Flaschenbombe fest, mit rechts zückte er seinen Degen. Einen mit Geschrei heranspringenden Spanier konnte er stoppen, bevor dieser seine Pistole auf seinen Kopf abfeuerte, aber im nächsten Moment wurde es außerordentlich brenzlig für ihn.

 

Mehrere Soldaten waren hinter dem nächsten Geschütz, einem Minion, in Deckung gegangen und legten über dessen Rohr mit ihren Musketen auf ihn an. Ein ganzes Peloton!

Hasard ließ sich fallen, aber er hatte keine Deckung.

Plötzlich krachte es, aber es waren nicht die Spanier, die abgedrückt hatten. Der Schuß kam von der anderen Seite, war hinter Hasards Rükken gefallen und pfiff jetzt als geballte Ladung über ihn weg. Hasard wandte den Kopf und sah Dan O’Flynn. Der junge Mann hatte mit dem Blunderbuss auf die Spanier geschossen, und auf die kurze Distanz war die Wirkung der Ladung verheerend. Das gehackte Eisen und Blei, durch die trichterförmige Mündung des Tromblons weit gestreut, hatte genügt, um die Gruppe Spanier von dem Minion wegzufegen.

Hasard schleuderte jetzt die Flaschenbombe. Sie fiel mitten zwischen die Geschützführer des guten Dutzends leichter Kanonen, explodierte sofort und verursachte einen Feuerblitz, der Minions, Falkons, Falkonetts und Männer auseinandersprengte. Schreie gellten in den Morgen, fetter schwarzer Rauch wälzte sich in Schwaden auf die Hütten zu.

Hasard schwenkte das Falkon herum, Dan war neben ihm und griff sich den Luntenstock. Sie zielten auf die Soldaten, die auf Shane, Carberry, Blacky, Luke, Ferris und Smoky losrückten, zündeten das Geschütz und warfen sich zur Seite.

Das Falkon spie Feuer, Eisen und Rauch aus und rollte zurück. Hasard hatte gut genug gezielt, wie er feststellte: Die Kugel war in die vorderste Linie der Feinde geschlagen und hatte sie regelrecht vom Boden weggerafft. Ehe sich die anderen Soldaten zu einem neuen Sturm sammeln konnten, sprangen Hasards sechs Männer vom Boden auf und unternahmen einen wilden Ausfall.

Hasard rappelte sich wieder auf, lief an den jetzt unbemannten Geschützen vorbei und stieg über die Leiber der Toten weg. Dan folgte ihm.

Hasard warf einen Blick zur Festung hinauf, die sich an der östlichen Seite der Bucht auf der gerodeten Kuppe eines flachen Hügels majestätisch erhob. Die Westmauer war bereits fertiggestellt, und dort oben, zwischen den Zinnen, ragten Kanonenrohre hervor. Sie waren dafür vorgesehen, im Falle eines Angriffes durch Segelschiffe die Hafenbucht mit Feuer zu belegen. Für den Kampf an Land waren sie relativ ungeeignet, dann man konnte ihre Rohre sicherlich nicht so weit neigen, daß die Kugeln im Ostufer einschlugen.

Die Festung konnte man also vorerst unbeachtet lassen. Hasards Ziel war immer noch die Hütte des Lagerkommandanten.

Mit Dan stürmte er hinter der Linie der jetzt mit Säbeln und Piken kämpfenden Soldaten vorbei, und wie durch ein Wunder wurden sie nicht mehr aufgehalten. Im Wirbel der Ereignisse konnten sie das entstehende Durcheinander ausnutzen. Ungehindert langten sie bei der größten Hütte an – und erst hier vertraten ihnen Offiziere den Weg.

„Attacke!“ rief der Seewolf und ging mit erhobenem Degen auf den vordersten in der Reihe der Gegner los, und Dan hatte jetzt ebenfalls seinen Degen gezückt. Gemeinsam fochten sie gegen die insgesamt sechs Männer an, die sich ihnen säbelschwingend entgegenstellten.

Die Spanier glaubten, leichtes Spiel mit diesen beiden „englischen Bastarden“ zu haben, Überlegenheit und Siegesgefühl standen in ihren Mienen zu lesen. Sämtliche Warnungen Don Felix’ schlugen sie in den Wind, sie glaubten nicht daran, daß dieser schwarzhaarige Riese, der „El Lobo del Mar“ zu sein schien, und der blonde junge Mann, der auf den ersten Blick nicht sehr widerstandsfähig wirkte, in diesem Kampf siegen würden.

Aber dann erlebten sie zwei mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit fechtende Männer, zwei Derwische, die mit einemmal mitten zwischen ihnen waren und Schnitte und Stiche austeilten. Zwei Offiziere brachen getroffen zusammen. Einen dritten verletzte Hasard tödlich, indem er ihm die Degenklinge in den Hals trieb.

Dan überwältigte einen vierten Mann, und so hatten sie nur noch zwei Mann gegen sich.

Aber jetzt erschien Don Felix Maria Samaniego auf der Szene, groß, hager, mit harter Entschlossenheit in seinen asketischen Zügen.

Er ließ seinen Degen zweimal durch die Luft pfeifen, dann trat er vor Hasard hin und rief: „Jetzt zu uns, Lobo del Mar!“

Hasard riß sich den Helm des Teniente Leandro Moratin vom Kopf und schleuderte ihn zur Seite. Der Sturmwind fuhr in seine schwarzen Haare und zerzauste sie. Wild sah er jetzt aus, und in seinen eisblauen Augen tanzten jene tausend Teufel, die seinen Männern nur allzu bekannt waren.

Der Seewolf nahm das Duell mit Don Felix auf.

Dan O’Flynn durchbrach mit seinem Degen die Verteidigung des einen Offiziers, senste den Mann zu Boden und hatte es jetzt nur noch mit einem Gegner zu tun. Es stand zwei gegen zwei, und beide Parteien kämpften mit vollem, erbittertem Einsatz.

9.

Big Old Shane und dem Profos war der Durchbruch gelungen. Sie stürmten auf die Palisaden zu, vorbei an den toten Spaniern, vorbei an Hasard und Dan O’Flynn, die mit Don Felix und dem einen Offizier im Zweikampf lagen, und hinter ihnen fochten und kämpften Ferris Tukker, Blacky, Luke Morgan und Smoky weiter gegen die Soldaten.

Carberry hatte noch eine geladene Pistole im Gurt stecken, und die riß er jetzt heraus. Vor dem Tor der Palisade stand ein einsamer Posten, der die Gefangenen offenbar in bedingungsloser Pflichterfüllung bis zum letzten bewachen wollte.

Der Soldat hob die Muskete und zielte auf Shane, der neben dem Profos herlief, aber Carberry blieb jetzt stehen, hob die Pistole und drückte auf den Gegner ab. Beide Schüsse brachen gleichzeitig. Shane ließ sich jedoch fallen. Die Kugel strich über ihn weg.

Der Posten hingegen fing Carberrys Kugel mit seiner ungeschützten Halspartie auf. Mit einem röchelnden Laut brach er zusammen.

Carberry und Shane eilten zu ihm hinüber, stiegen über seinen reglos werdenden Körper und öffneten die Verriegelung der Palisaden. Sie zogen das schwere Tor auf und drangen in die Umzäunung ein, hinter der nach Youngs Schilderungen mehr als vierzig Männer an Pfählen festgekettet sein mußten, wenn sie nicht schon früh zur Arbeit ausgerückt waren.

Nein, sie waren an diesem Morgen nicht zur Festung hinaufgetrieben worden. Don Felix hatte alles auf einen möglichen Angriff der Seewölfe konzentriert, und eine Arbeitsschicht auf dem Kastellneubau, die die übliche Bewachung erfordert hätte, wäre ihm dabei nur eine Behinderung gewesen.

Da hockten sie also nun – fast vier Dutzend bärtiger, zerlumpter Kerle in Ketten, die beim Anblick der Eindringlinge ein wildes Geschrei anstimmten. Ihre Freude kannte keine Grenzen, einige zerrten wie besessen an ihren Ketten, andere weinten vor Erleichterung, wieder andere schickten Worte des Dankes zum Himmel.

Am lautesten brüllte natürlich Sumatra-Jonny.

„He, Profos!“ schrie er. „Hallo, Big Old Shane, ist denn das die Möglichkeit? Welcher verteufelte Zufall hat euch hierhergeführt? Ich werd verrückt, so was gibt’s doch gar nicht!“

Carberry trat vor ihn hin und löste den Hammer und das Stemmeisen, die er von der „Isabella“ mitgenommen hatte, von seinem Gurt. „Verrückt bist du schon immer gewesen, du Satansbraten. Und ich will dir auch noch was verraten. Wir haben Young aufgefischt und von ihm erfahren, wer hier alles festsitzt. Aber der Seewolf würde dich am liebsten weiterschmoren lassen, in deinem eigenen Saft, du Stinkstiefel, denn du hast dich nicht an die Vereinbarungen gehalten, kapiert?“

„Was? Ich? Mister Carberry, jetzt bist du aber auf dem falschen Schiff!“

„Ihr beiden!“ schrie Shane, der schon begonnen hatte, Morgan Youngs Kameraden Josh Bonart von den Ketten zu befreien. „Könnt ihr das nicht später bequatschen? Herrgott, wir haben hier keine Zeit zu verlieren!“

„Schon gut“, brummte der Profos und fing nun auch an, an Jonnys Ketten herumzubosseln. „Aber du kannst dich noch auf was gefaßt machen, Jonny von der traurigen Gestalt, ’ne richtige Standpauke kriegst du vom Seewolf zu hören.“

„Aber warum denn, warum?“

„Weil du die Mädchen nicht zurück nach Neuseeland gebracht hast, wie es besprochen war! Wenn du es getan hättest, wärst du jetzt nicht hier, sondern würdest noch irgendwo zwischen Neuseeland und dem Südland herumschippern, du Hering.“

„Aber die Mädchen sind wohlauf!“

„So?“

„Sie sind in meinem Schlupfwinkel.“

„Und was tun sie da, wenn ich fragen darf?“ rief Carberry, während er die Beinschäkel wegräumte und jetzt daranging, die Handschellen aufzubrechen. „Du Lustmolch, du verdammter, ich kann mir schon vorstellen, wie die Lage aussieht.“

„Nein, nein, nicht so, wie du denkst!“

„Du denkst wohl, du und deine Kerle, ihr könnt die Maori-Mädchen nach Belieben über die Planken und durch den Dschungel schieben, was, wie?“

„Mister Carberry, Profos, Sir, bei meiner Ehre – keiner von uns hat sie angerührt!“ beteuerte Sumatra-Jonny verzweifelt. „So glaub mir doch!“

„Dir glaub ich kein Wort mehr“, sagte Carberry barsch. Die Handschellen und die Kette, die Jonny an dem Pflock festgehalten hatte, fielen zu Boden. „Aber Schluß jetzt mit der Debatte. Hilf mir, auch die anderen zu befreien.“

„Liebend gern – aber was wird aus meiner glorreichen Zehn?“

„Deiner was?“

„Einige meiner Leute stecken mit anderen Gefangenen zusammen im Kerker der Festung“, sagte Jonny. „Es ist meine verdammte Pflicht, sie da herauszuholen.“

„Die Festung?“ rief Carberry. „Da müssen wir sowieso noch ’rauf. So, wie die Dinge liegen, haben wir hier doch einen verdammt schweren Stand, und wir wissen noch nicht, wie der Kampf für uns endet. Wenn wir also die ersten vier, fünf Leute befreit haben, Jonny, du Oberhalunke, laufen wir zum Kastell hinauf und feuern eine der Kanonen ab.“

„Damit richten wir wenig aus“, sagte Jonny, der sich jetzt schon Trench und Sullivan zuwandte, um ihre Ketten zu lösen. „Die Kanonen der Burg sind alle auf das Hafenbekken ausgerichtet.“

„Blödsinn!“ fuhr der Profos ihn an. „Wir müssen Ben Brighton ein Zeichen geben, damit er mit der ‚Isabella‘ einläuft und uns unterstützt. So haben wir es mit ihm vereinbart, wenn dich einer fragt. Nur im äußersten Notfall soll er eingreifen, aber ich schätze, wir haben seine Hilfe gleich bitter nötig.“

Und so war es auch. Von der Palisade aus konnten Shane und er nicht weiterverfolgen, was draußen, auf dem Platz zwischen den Lagerhütten, geschah. Aber daß es immer noch eine große Übermacht von Soldaten war, die gegen die Männer der „Isabella“ kämpfte, wußten sie sehr genau.