Seewölfe Paket 11

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2.

Der Sturmwind blies aus Richtung Südsüdwest gegen die Südküste von Sumatra und peitschte die Wasser der gesamten Mentawaistraße auf. In ihrem nördlichen Bereich, unweit der Insel Nias und keine fünfzig Seemeilen mehr vom Äquator entfernt, segelte zu dieser Stunde ein dreimastiges Schiff, nach dem die urwüchsigen Kräfte der Natur jetzt wie mit Teufelsklauen zu greifen schienen.

Das Schiff trug den Namen „Malipur“, aber der Schriftzug war weder an den beiden Seiten des Bugs noch am Heck klar zu erkennen. Längst hatten ihn die Fluten der See so weit verwaschen, daß die Galeone jedem fremden Beobachter gegenüber namenlos war.

Die Schäden an Rumpf, Schanzkleid und Aufbauten, die das Schiff bei früheren Überfahrten davongetragen hatte, waren nur flüchtig und unzureichend ausgebessert worden. Kaum besser war es um die Segel bestellt, die an vielen Stellen mit groben Flicken versehen waren. Hier und da hätte es einiger größerer Stücke Segeltuch bedurft, um die Löcher zu verdecken, die im Groß-, Großmars- und Vormarssegel, in der Fock, in der Blinde und im Besan klafften, aber der Kapitän unterließ dies absichtlich, weil er jetzt alle Decksleute brauchte, um die Galeone am Wind zu halten.

Die „Malipur“ war völlig unterbemannt.

Sie hatte nur eine vierzehnköpfige Besatzung, hätte aber mindestens die doppelte Zahl an Seeleuten gebraucht, zumal es bei der heillosen Unordnung, die im laufenden und stehenden Gut herrschte, vieler Hände und einer Menge guten Willens bedurft hätte, um alles wieder einigermaßen aufzuklaren.

Nun wäre es allerdings keine Schwierigkeit gewesen, in der Gegend, aus der die „Malipur“ gerade kam, noch mehr Männer für den harten Decksdienst anzuheuern. Der Grund, warum es der Galeone an Besatzung mangelte, lag woanders. Wer immer auch mit dem Anliegen an Kapitän René Joslin herangetreten wäre, die Mannschaft zu vergrößern, der wäre auf energischen Widerstand gestoßen.

Mit Händen und Füßen sträubte sich Joslin dagegen, mehr für dieses Schiff und seine Besatzung auszugeben, als eben notwendig war. Mehr Leute, das hätte selbstverständlich mehr Kosten bedeutet. Joslin war ein hartnäckiger, engstirniger Pfennigfuchser, der auch die kleinste Kupfer- oder Messingmünze noch zweimal umdrehte, bevor er sie ausgab.

Ihm war nur eins wichtig: die Ladung sicher und pünktlich im Bestimmungshafen abzuliefern.

Die Ladung bestand aus Seide und anderem Tuchwerk, aus kunstvoll genähten und bestickten Gewändern und einigen Gewürzsorten, wie es sie nur in der Region des unteren Ganges und seiner weitverzweigten Mündung zu kaufen gab. Lange hatte Joslin mit den indischen Händlern in den Dörfern am Golf von Bengalen herumgefeilscht, ehe er seine Fracht zusammengestellt hatte. Er hatte die Preise soweit wie möglich heruntergedrückt. In dieser besonderen Kunst verstand er, der geborene Franzose, sich als ausgesprochener Meister. Er war mindestens genauso redegewandt und wußte so gut zu gestikulieren und zu klagen wie die Eingeborenen selbst.

In Manila, der Hauptstadt der Philippinen, würde er alle diese Ware mit erheblichem Gewinn an den Mann bringen, das wußte er. Aber er durfte für die Reise nicht mehr Zeit als einen Monat verwenden. Zwar hatte er sämtliche Waren mit Persenning wasserdicht verpackt – und in diesem Punkt hatte er nicht mit Material gespart –, aber ihm war von Beginn an klar, daß das mörderisch feuchte Tropenklima Tücher, Kleider und Gewürze innerhalb einer Zeitspanne, die über dreißig Tage hinausging, erbarmungslos zersetzen würde. Die alles andere als erstklassigen Stoffe würden schimmlig werden und ihre Farbe verlieren, die Gewürze würden ungenießbar und zur Brutstätte winzigen Getiers, wenn er nicht aufpaßte.

Ehe dieser Verfallprozeß begann, mußte er Manila erreicht und sämtliches Frachtgut auf dem Markt veräußert haben – selbstverständlich als Handelsware erster Güteklasse, wobei es ihm nicht das geringste ausmachte, die spanischen und portugiesischen Senores und ihre schmuckbehängten Frauen nach Strich und Faden übers Ohr zu hauen.

Als Reiseroute hatte er die Mentawaistraße ausgewählt, obwohl es eigentlich günstiger für ihn gewesen wäre, durch die nördlich von Sumatra liegende Malakkastraße zu segeln. Joslin kannte zwischen Indien und den Gewürzinseln alle Schleichwege und verkündete gern mit Stolz, daß er bislang noch nie irgendwelchen Piraten oder Strandräubern in die Hände gefallen war. Er mied diese „zweibeinigen Haie“ – so nannte er sie –, wo er konnte, und da es zur Zeit in der Straße von Malakka von malaiischen und auch weißen Freibeutern geradezu wimmelte, nahm er lieber den kleinen Umweg in Kauf, statt Ladung und Leben zu riskieren.

Die „Malipur“ segelte mit Steuerbordhalsen und über Backbordbug liegend hart am Wind. Joslin, der selbst am Kolderstock stand, hatte sich an der Nagelbank des Achterdecks festgeleint und vollbrachte eine nahezu akrobatische Leistung, indem er eisern den Kurs seines Schiffes hielt und immer wieder dem Druck der überkommenden Seen standhielt, die ihn von seinem Platz wegfegen und gegen das Schanzkleid schmettern wollten.

Weit krängte die Galeone nach Backbord, so tief, daß ihr Kuhlschanzkleid immer wieder unterschnitt. Sie rollte so heftig und aufsässig in den Fluten, daß sie Joslin und seinen Leuten wie ein bockendes Roß erschien. Es knackte und knirschte in den Verbänden, der Wind heulte in den Wanten und Pardunen, als wollte er die Masten knikken, und das Brausen des Wassers war so stark, daß es jeden über Deck schallenden Ruf übertönte.

Schiff und Mannschaft lagen schon jetzt, vor dem eigentlichen Ausbruch des Wetters, im Kampf mit den Naturgewalten. Joslin blickte durch Wolken von Gischt zu seinen fluchenden Männern hinüber, die sich an den quer über die Decks gespannten Manntauen festgebunden hatten. Er wußte, was sie dachten. Sie schickten ihn und die Ladung zum Teufel und sehnten eine geschützte Bucht herbei, in die sie verholen konnten.

Aber Joslin war unerbittlich. Er wollte keine Zeit verlieren. Der Sturm konnte Tage andauern, man konnte gerade in diesen Breiten kaum berechnen, wann er wieder aufhörte. Lag er, Joslin, mit seiner Galeone aber erst einmal in einer Bucht fest, so kam er nicht wieder hinaus, ehe Wind und Seegang es zuließen.

Nein, lieber wetterte er diesen Sturm ab.

Er war wieder einmal froh, keine Offiziere zu haben. Die Schiffsführung identifizierte sich einzig und allein mit seiner Person. Außer ihm gab es nur das gemeine Schiffsvolk von vierzehn Mann, das jeden Befehl widerspruchslos auszuführen hatte, weil er sonst hart durchgriff.

Joslin hatte schon auf hoher See aufmuckende Männer erschossen, um ein Exempel zu statuieren. Wenn es nach Meuterei roch, kannte er keine Rücksicht. Nur zu genau wußte er, was es bedeutete, wenn man sich freundlich und nachgiebig verhielt. Das brachte nichts ein. Auf dem Schiff, mit dem Joslin dereinst nach Indien gelangt war, hatte es auch eine Meuterei gegeben – und René Joslin hatte mit zu der Bande der Anstifter gehört.

Sie hatten den Kapitän und die Offiziere umgebracht, sich später über den Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr der Piraterie verschrieben und in den indischen Küstengewässern und rund um Ceylon herum fremde Schiffe überfallen. Sie hatten geplündert und gebrandschatzt, aber viel eingebracht hatte es ihnen nicht. So hatte Joslin sich schließlich von den alten Kumpanen getrennt – in gütigem Einvernehmen, wie das seine Art war, wenn es die eigene Haut ungeschoren zu lassen galt.

Joslin hatte sich monatelang an den Küsten herumgetrieben, bis er im Mündungsdelta des Ganges schließlich auf die gestrandete Galeone gestoßen war. Ein Sturm hatte sie auf eine Sandbank geworfen, die Besatzung war ertrunken oder von herabstürzenden Rahen erschlagen worden.

Es hatte sich um ein spanisches Schiff gehandelt, aber Joslin hatte den alten Namen rasch von den Bordwänden geschabt und eine Neutaufe auf den Namen „Malipur“ vorgenommen.

Es war ihm gelungen, ein paar Inder, Bengalen und weiße Männer um sich zu sammeln, die ihm dabei geholfen hatten, die dreimastige Galeone wieder flottzukriegen und notdürftig instand zu setzen. Die meisten dieser Männer hatte er als Besatzung zu sich an Bord genommen. Dann hatte er mit seinem einzigartigen Handel begonnen und als erstes das gesamte Ganges-Delta und die Sunderbunds befahren.

Joslins Wesen war eine seltsame Mischung aus geiziger Krämerseele und genialem Geschäftsgeist. Aus diesem Gemüt und dem Gespür für „todsichere Sachen“ wußte er Kapital zu schlagen. Er reiste auf eigene Rechnung und Gefahr, kaufte seine Frachtpartien immer selbst ein und verkaufte sie dort, wo er es für richtig hielt. Verluste hatte er bei dieser Art von Kauffahrtei bislang nicht erlitten. Immerhin betrieb er das selbsterdachte Metier nun schon seit drei Jahren.

Schiffsoffiziere hätten ihm gewiß den Rang abgelaufen und getrachtet, ihn früher oder später zu übervorteilen. Deswegen verzichtete er auf sie. In einem Fall wie diesem hätten sie auch versucht, ihn davon zu überzeugen, daß es besser sei, eine Bucht anzusteuern. Sie hätten darauf bestanden, daß er es tat, weil die „Malipur“ in ihrem jammervollen Zustand einen Sturm nicht überdauern konnte.

René Joslin haßte Männer, die ihm in den Kram hineinzureden versuchten.

Er hätte auch jeden Kerl seiner Mannschaft schwer bestraft, der es gewagt hätte, die „Malipur“ einen „vergammelten Kahn“ oder gar „Seelenverkäufer“ zu nennen.

Wenn man ihm vorwerfen wollte, er setze das Leben seiner Männer leichtfertig aufs Spiel, so gab es dem doch immer eins entgegenzuhalten: Er selbst ging seiner Besatzung mit gutem Beispiel voran und riskierte Kopf und Kragen, um die Fracht ohne Aufenthalt an ihren Bestimmungsort zu bringen.

 

In der Pause, die zwischen dem Rauschen zweier anrollender Brecher entstand, konnte Joslin einen seiner Männer rufen hören: „Der Sturm wirft uns noch auf Legerwall!“

„Oder wir laufen auf ein Riff!“ schrie ein zweiter.

Beide standen nicht weit von ihm entfernt auf dem nassen, glitschigen Deck und hantierten an der Besanschot, mit der sie die Stellung des achteren Segels erneut korrigiert hatten.

„Ihr Narren!“ brüllte Joslin ihnen zu. „Ihr Dreckskerle, ihr dämlichen Hornochsen, ihr Angsthasen! Nichts von dem, was ihr euch ausmalt, wird geschehen!“

„Ihr Wort in Gottes Ohr, Monsieur!“ rief der erste Sprecher.

„Die Straße ist durch die Mentawai-Inseln gegen das schlimmste Sturmwüten abgesichert!“ brüllte der Franzose. „Uns kann gar nichts passieren!“

Die beiden schwiegen und versuchten, das Ende der Schot um einen Koffeynagel zu belegen. Der nächste Brecher donnerte von Steuerbord heran, sprang an der Bordwand der Galeone hoch und übergoß die Decks mit seinen Wassermassen. Joslin sah die Gestalten der beiden in dem Schwall untergehen, und unwillkürlich dachte er daran, was geschehen würde, wenn sich ihre Laufleinen von den Manntauen lösten.

Er duckte sich unter der Gewalt der orgelnden Sturmsee, preßte die Lippen zusammen, biß die Zähne fest aufeinander und hielt sich mit beiden Händen am Kolderstock fest. Als das Wasser durch die Speigatten der Backbordseite ablief, richtete er sich wieder auf.

Er atmete auf, als er die beiden Decksleute nach wie vor auf ihrem Platz an der Nagelbank des Achterdecks stehen sah.

Der Sturm nahm zu.

Immer gewaltiger kochte und toste die See, ihre schwärzlichen Wogen bäumten sich höher auf.

Joslin erkannte eine Gestalt, die unter erheblichen Schwierigkeiten den Backbordniedergang zum Achterdeck enterte und auf ihn zusteuerte. Es war Ranon, der Inder, einer seiner besten Männer, der zu der Stammbesatzung der „Malipur“ zählte und Joslins größtes Vertrauen genoß.

Mit ihm waren von dieser ursprünglichen Besatzung nur noch zwei Männer übriggeblieben, alle anderen hatten Joslin schon in den ersten Wochen nach dem Fund der Galeone wieder verlassen. Immer wieder hatte er neue Leute anheuern müssen, und bei jeder Fahrt hatte die „Malipur“ eine andere Mannschaft. Zum Teil waren es zwielichtige Gestalten, die unter seinem Kommando mitsegelten. Er hatte auf diese Kerle stets ein waches Auge.

Ranon sprach erst, als er dicht vor seinem Kapitän stand.

„Monsieur!“ rief er. „Ich war gerade in den Frachträumen!“

„Und? Ist die Ladung noch ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt?“

„Das ja, Monsieur, aber …“

„Warum, zum Teufel, machst du dann so ein entsetztes Gesicht?“

„Mon capitaine, das Wasser steht schon knöcheltief in den Laderäumen!“

„Herrgott, ich weiß auch, daß der Kahn Wasser zieht!“ brüllte Rene Joslin, während sich ein neuer Brecher auf die Galeone zuwälzte. „Nimm dir zwei Männer, mehr können wir hier oben nicht entbehren! Stellt euch an die Lenzpumpen und pumpt, so fix ihr könnt!“

Ranon klammerte sich an einem Manntau fest. Sein dunkles Gesicht war verzerrt. „Jawohl, Monsieur, aber bedenken Sie, daß wir einige Lecks haben, die …“

„… die ihr mit Segeltuch, Tauwerk und Kabelgarn stopfen könnt!“ fuhr der Franzose ihn an. „Du Narr, das sollte dir doch in Fleisch und Blut übergegangen sein!“

„Die Lecks werden immer größer!“

„Du wirst es schaffen, Ranon! Ich zahle dir und den beiden anderen eine gute Prämie, verdammt noch mal!“ Dies ging ihm nur schwer über die Lippen, aber schließlich waren es immer wieder die zusätzlichen Prämien gewesen, mit denen er Männer wie Ranon bei der Stange hatte halten können.

„Jawohl!“ rief der Inder noch, dann gossen sich die Fluten erneut über den Decks aus, und jedes weitere Wort wurde in ihrem Rauschen erstickt. Ranon glitt auf den Planken aus, stürzte der Länge nach hin, ließ sein Tau aber nicht los. Er ließ das Salzwasser über sich hinwegschießen und dachte daran, daß keine Geldprämie der Welt ihnen helfen würde, wenn die Lecks im Rumpf der „Malipur“ noch weiter aufbrachen. Gegen die Wassermassen, die dann zuerst in die Laderäume eindrangen und schnell immer höher stiegen, konnte auch die komplette Mannschaft mit den Lenzpumpen nicht ankämpfen.

Ranon fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen.

Der Seewolf gab sich einen inneren Ruck und trat auf Blacky und Ferris Tukker zu. Mochte Don Felix Maria Samaniego mit dem Degen auf ihn zuspringen, um ihn zu stoppen, mochte er sich so wild gebärden, wie er wollte, er konnte ihn jetzt nur aufhalten, wenn er seinen Männern den Befehl zum Feuern gab.

„Stehenbleiben!“ schrie der Lagerkommandant. „Keinen Schritt weiter, Killigrew!“

Hasard beachtete ihn nicht. Er war bei Blacky angelangt, kniete sich hin und beugte sich über ihn, um an seiner Brust zu horchen.

„Sir“, sagte Ferris mit stockender Stimme. „Ich weiß ganz genau, was du denkst. Aber du irrst dich, glaub es mir. Blacky – ist so schnell nicht kleinzukriegen. Dem muß man – ein viel dickeres Ding verpassen, um ihn ganz aus der Jacke zu stoßen …“

„Still, Ferris“, unterbrach Hasard ihn. „Kein Wort mehr. Es hat dich selbst schlimm genug erwischt.“

„Packt ihn!“ rief Don Felix seinen Soldaten zu. „Habt ihr immer noch nicht begriffen, daß er ein gerissener Hund ist, der jede Gelegenheit wahrnimmt, um uns hinters Licht zu führen und hereinzulegen? Paßt auf, daß er dem Kerl kein Messer aus der Kleidung zieht! Durchsucht sie alle fünf!“

„Ich spüre überhaupt keinen Schmerz, Sir“, sagte Ferris Tucker.

„Du sollst dein verdammtes Maul halten“, zischte Smoky. „Hast du’s nicht gehört, Mann?“ Es klang gröber, als beabsichtigt.

„Sir“, sagte Luke Morgan auf englisch und so leise, daß man es kaum verstehen konnte. „Ich hab wirklich noch ein Messer in meinem Stiefel stecken. Soll ich es benutzen, um diesem Bastard von einem Don an die Kehle zu springen und wenigstens ihn zu erledigen?“

„Nein, Luke. Das hat keinen Zweck“, antwortete der Seewolf. Er hielt sein Ohr immer noch gegen Blackys Brustkasten gepreßt und konnte jetzt ein schwaches Geräusch vernehmen. Ja, Blackys Herz schlug noch – schwach zwar, aber in regelmäßigen Abständen, die Gott sei Dank nicht allzuweit auseinanderlagen. Nur der Kutscher, Hasards Koch und Feldscher, hätte genau beurteilen können, wie es wirklich um den dunkelhaarigen Mann bestellt war, aber eins glaubte der Seewolf aufgrund seiner Erfahrung mit Verwundeten feststellen zu dürfen: Wenn Blacky jetzt die nötige ärztliche Hilfe erhielt, konnte er noch gerettet werden.

Hasard wollte sein Hemd in Streifen reißen, um Blacky damit wenigstens notdürftig zu verbinden. Aber zwei Soldaten traten von hinten an ihn heran, griffen nach seinen Armen und zogen ihn vom Boden hoch. Ein dritter näherte sich ihm von vorn und begann, ihn von oben bis unten mit den Händen abzutasten.

Die Soldaten untersuchten jetzt auch den bewußtlosen Blacky, Ferris Tucker – der immer noch mit erstaunlicher Zähigkeit gegen seine drohende Ohnmacht ankämpfte –, Smoky und Luke Morgan.

Hasard wandte den Kopf und blickte wütend zu Don Felix.

„Comandante!“ rief er ihm zu. „Ich versuche hier keine Tricks, ich will nur meinen Kameraden verbinden. Selbst in einem Krieg können Sie mich nicht daran hindern!“

Luke Morgan ließ sich soeben achselzuckend das Messer aus dem Stiefelschaft ziehen. Der Soldat, der es gefunden hatte, wies es Don Felix mit triumphierender Miene vor, und dieser nickte, als habe er nichts anderes erwartet, als bei jedem seiner fünf Gefangenen mindestens einen Dolch zu entdecken.

Bei Hasard, Blacky, Ferris und Smoky wurden die Soldaten trotz eifriger Suche jedoch nicht fündig.

Samaniego blickte wieder den Seewolf an. „Mein eigener Lagerarzt wird Ihren Mann versorgen, Killigrew. Wie ich sehe, haben Sie zwar einige meiner besten Offiziere und Soldaten getötet, aber den Doktor haben sie verschont.“

Hasard hatte die Hände zu Fäusten geballt, zwang sich aber, so ruhig wie möglich zu sprechen.

„Senor Comandante“, sagte er im Heulen des Windes. „Ich bitte Sie, dem Mann zu helfen. Ich ersuche Sie außerdem, auch meinem Schiffszimmermann Ferris Tucker einen Verband anlegen zu lassen.“

„Sofort, wenn Sie getan haben, was ich von Ihnen verlange!“

„Die beiden verbluten vor unseren Augen, wenn …“

„Sie verbluten nicht!“ schrie der Kommandant. „Und jetzt rufen Sie Ihren drei Männern, die noch irgendwo hier im Lager versteckt sind, gefälligst zu, sie sollen sich ergeben und mit erhobenen Händen hervortreten. Augenblicklich, Killigrew!“

Hasard zögerte. Täuschte er sich, oder hatte Don Felix in diesem Moment selbst zugegeben, daß er nicht wußte, wo Carberry, Shane und Dan O’Flynn steckten?

Wenn er und seine Leute tatsächlich nicht mitgekriegt hatten, daß die drei sich Zugang zum Palisadenlager verschafft hatten, dann hatte Don Felix einen schwerwiegenden Fehler begangen, daß er dies offen eingestand.

Sah er denn nicht den Wachtposten, der, von der Kugel des Profos getroffen, reglos vor dem Tor des Lagers lag?

Nein, er sah ihn nicht. Keiner der Spanier schien es im allgemeinen Getümmel verfolgt zu haben, wie zuerst Carberry und Big Old Shane und dann auch Dan in das Gefängnis der Kettensträflinge geschlüpft waren.

Dies war ein Trumpf, den Hasard jetzt auszuspielen verstehen mußte.

„Meine Männer werden keinen Widerstand leisten!“ rief er Don Felix zu.

„Fordern Sie sie auf, die Waffen wegzuwerfen und aus ihrer Deckung hervorzutreten!“

„Sir“, sagte Smoky plötzlich, und zwar auch auf englisch, so daß die Spanier es nicht verstehen konnten. „Wir haben doch noch die acht Geiseln an Bord der ‚Isabella‘ – die Besatzung der Pinasse. Können wir nicht Druck auf die Kerle hier ausüben, indem wir …“

Don Felix hob die Hand, wies auf Hasards Decksältesten und unterbrach ihn durch die Lautstärke seiner Stimme. „Was redet der Mann? Was sagt er? Ich gestatte nicht, daß Sie sich mit Ihren Leuten in Ihrer Landessprache unterhalten! Ich verbiete es!“

„Verstehen Sie denn kein Wort Englisch?“ fragte der Seewolf verblüfft.

Vorsichtig entgegnete der Spanier: „Nur sehr wenig.“

„Und Sie haben auch keinen Dolmetscher hier im Lager?“

Don Felix wies auf einen der Toten. „Da liegt er. Sind Sie jetzt zufrieden, Killigrew?“

Hasard beobachtete den Kommandanten genau. Don Felix war alles andere als ein unbedarfter, unvorsichtiger Mann, ganz im Gegenteil! Er hatte genug Verstand und schien auch ein guter Stratege zu sein. Ein hervorragender Degenkämpfer war er obendrein, das hatte Hasard während des Duells zur Genüge feststellen können.

Nur jetzt ließ das Siegesgefühl den Mann etwas unbesonnen werden. Wieder hatte er einen Fehler begangen. Hasard beschloß, sich zu merken, daß wirklich keiner der Spanier verstehen konnte, wenn er sich mit seinen Männern auf englisch unterhielt.

Plötzlich war irgendwo in dem unheilverkündenden Halbdunkel ein winziger Hoffnungsschimmer.

„Senor Comandante“, sagte der Seewolf. „Ich will Ihnen ganz offen erklären, was mein Decksältester mir soeben zu bedenken gegeben hat. An Bord meines Schiffes werden acht Ihrer Leute festgehalten – der Teniente Leandro Moratin, wenn ich den Namen richtig verstanden habe, und sieben Soldaten. Das ist die Besatzung der Pinasse.“

„Sie lügen!“

Hasard sah ihn an und hob verwundert die Augenbrauen. „Nein, Don Felix. Die Leute sitzen gefesselt im Kabelgatt der ‚Isabella‘. Ich bin bereit, das zu beschwören.“

„Was ist Ihr Schwur schon wert?“ rief der Kommandant verächtlich. „Ich glaube Ihnen nicht, Killigrew. Grausam wie Sie sind, haben Sie diese Männer längst getötet.“

„Ich töte nur in Notwehr, merken Sie sich das!“ schrie Hasard ihn an.

Don Felix trat dicht vor ihn hin. „Es ist erstaunlich, was für einen Ton Sie jetzt, da Sie mein Gefangener sind, noch anschlagen. Aber das wird anders, glauben Sie mir. Mit dem Morden und Brandschatzen ist es jetzt aus, Corsario, und ich habe nicht nur die große Ehre, einen von Spaniens größten Feinden festgenommen zu haben, ich werde Sie und Ihre Kumpane hier in Airdikit auch zu anderen Menschen erziehen. Und noch etwas: Selbst wenn die acht Männer der Pinasse noch am Leben sein sollten, würde ich sie bereitwillig opfern – nur um Sie und die sieben anderen Kerle nicht wieder freilassen zu müssen.“

„Diesmal gehen Sie völlig falsch vor, Samaniego“, sagte Hasard. „Bis jetzt haben Sie bewiesen, daß Sie ein kluger Mann sind, aber von jetzt an machen Sie alles falsch.“

 

Don Felix hob seinen Degen und zielte mit der Spitze auf Hasards Hals. „Rufen Sie Ihre drei fehlenden Männer herbei, Killigrew, oder ich vergesse mich wirklich. Schreien Sie, so laut Sie können – auf spanisch. Sie werden es verstehen. Ich habe den Eindruck, daß jeder Kerl ihrer Teufelsmannschaft die spanische Sprache beherrscht.“

Das entsprach den Tatsachen. Hasard blieb nichts anderes übrig, als jetzt die Hände als Schalltrichter an den Mund zu legen und zu brüllen.

„Ed, Shane, Dan – verlaßt eure Deckungen! Es ist aus mit uns, die Spanier haben uns gefangengenommen! Blacky und Ferris sind schwer verletzt! Auch ihr müßt euch jetzt ergeben! Hört ihr mich?“

Er schrie seine Worte zu den Hütten hinüber und zum Kastell hinauf, nicht aber zum Palisadenlager. Seine Stimme war laut genug, um das Heulen und Pfeifen des Sturms in diesem Augenblick zu übertönen.

Dennoch meldeten Carberry, Big Old Shane und der junge O’Flynn sich nicht.

Hasard rief noch einmal seinen Appell, aber wieder erhielt er keine Antwort.

Die drei Männer schienen spurlos verschwunden zu sein.