Seewölfe Paket 15

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2.



Die „Louise“ und die „Coquille“ drehten bei, als die beiden Fischerboote vor ihnen auftauchten. Pierre Servan und Jean Bauduc hatten die kleinen Luggersegel gesetzt und waren mit dem ablandigen Wind ziemlich schnell aufs offene Meer hinausgelangt.



Während die kleine Karavelle Saint-Jaques’ mit ihren beiden lateinergetakelten Masten noch ein Stück weiter den beiden englischen Galeonen entgegenkreuzte, nahm die „Louise“ die Piraten an Bord. Bevor Servan das Deck der Galeone betrat, befahl er noch ein paar Männern, die Fischerboote abzutakeln und zum Schlepp vorzubereiten.



Einer nach dem anderen betraten die abgekämpften Piraten, die in der letzten Stunde durch die Hölle gegangen waren, die Kuhl der Galeone.



Le Testu stützte seinen Kumpan, den grauhaarigen Korsen, dessen linker Arm von der breiten Schulterwunde blutüberströmt war. Sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. Mit wachen Augen starrten sie die Piraten an, von denen sie in Empfang genommen wurden. Es waren fast noch wüstere Gestalten als diejenigen, denen sie an Land begegnet waren und die sie mit Waffen versorgt und somit vor einer Gefangennahme durch die verräterischen englischen Korsaren bewahrt hatten.



Le Testu sah, wie Pierre Servan und Jean Bauduc die Stufen zum Achterdeck hinaufschlichen, als hätten sie Pudding statt Muskeln in den Beinen.



Er konnte nicht ahnen, welche Gefühle in den beiden Piratenkapitänen tobten, die jetzt vor Yves Grammont hintreten und Rechenschaft ablegen mußten.



Pierre Servan war bleich bis unter die Haarwurzeln. Die Strapazen und der höllische Kampf, dem sie nur mit Mühe hatten lebend entrinnen können, waren vergessen. Jetzt erwartete ihn etwas Schlimmeres.



Er kannte die Wutausbrüche, Yves Grammonts und wußte, daß er und Bauduc im schlimmsten Fall damit rechnen mußten, von Grammont für ihr Versagen eine Kugel in den Kopf zu empfangen.



Der Kapitän stand an Steuerbord des Achterdecks neben einem der Geschütze. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte zur „Coquille“ hinüber, die abermals beigedreht hatte. Wahrscheinlich befürchtete Saint-Jacques, zu dicht an die Engländer zu geraten, wenn diese ankerauf gingen und sie mit achterlichem Wind angriffen.



Pierre Servan und Jean Bauduc blieben vier Schritte hinter dem Kapitän stehen. Sie starrten zu Ferret hinüber, der am Ruder stand und tat, als ob er sie nicht bemerkt hätte.



Offensichtlich will der Kerl abwarten, ob wir in Ungnade gefallen sind oder nicht, dachte Servan wütend. Verdammt, was können wir dafür, daß uns die Kugeln der Engländer besser getroffen haben als die „Louise“ oder die „Coquille“?



Servan wagte nicht, Grammont anzusprechen. Innerlich zitternd warteten sie, bis sich der Kapitän umdrehte.



Jean Bauduc war noch wesentlich unruhiger als sein Kumpan Servan. Die Öffnungen seiner Nase blähten sich unter heftigen Atemzügen. Er hatte die beiden Hände in den riesigen Waffengurt mit den drei Pistolen verkrallt.



Dann endlich drehte sich Yves Grammont um.



Das blaue, kalt blickende Auge des Piraten schien Servan und Bauduc zu durchbohren. Mit einer nachdenklichen Geste fuhr er sich durch den blonden Vollbart.



„Ah, Servan und Bauduc!“ sagte er fast bedächtig. „Ich dachte, ihr seid mit euren Schiffen untergegangen, wie es sich für einen richtigen Kapitän gehört?“



Bauduc sackte in sich zusammen, Servans Schnauzbart sträubte sich. Niemand sagte etwas. Sie wußten, daß jedes Wort eine Explosion bei Yves Grammont auslösen konnte.



„Na? Stumm geworden?“ Grammont schob den Kopf vor. „Ich denke, ich kann von meinen Männern erwarten, daß ich einen exakten Bericht erhalte, wenn sie an Bord meines Schiffes zurückkehren!“ Seine Stimme war lauter geworden, aber noch hatte sich sein Gesicht nicht gerötet.



Servan kannte die Anzeichen genau. Er wußte, daß Grammonts leere Augenhöhle unter der schwarzen Augenklappe zu schmerzen begann, wenn er sich aufregte. Saint-Jacques hatte es ihm einmal erzählt, als sie beide betrunken gewesen waren.



Noch hatte Grammont die Gewalt über sich nicht verloren, noch tobte er nicht und schlug um sich. Dennoch war sich Servan darüber klar, daß es nur eine Frage der Zeit war, wann das Unheil über ihn und Bauduc hereinbrechen würde.



Er entschloß sich, die Flucht nach vorn anzutreten. Sarkastisch dachte er: Ich bin in den letzten Tagen sooft geflohen, da zählt dieses eine Mal auch nicht mehr viel.



„Ja, Kapitän“, begann er, „Bauduc und ich haben von den Engländern das meiste abgekriegt. Wir haben versucht, was in unserer Macht stand, um unsere Schiffe zu retten, aber die Kanonen der Engländer hatten zu gut getroffen. Uns blieb nichts anderes übrig, als von Bord zu gehen, wenn wir nicht absaufen wollten. Die meisten meiner Männer hat der Tod ereilt, ebenso die von Bauduc. Wir versuchten, die Küste schwimmend zu erreichen, und einige von uns schafften es.“



„Das sehe ich, Dummkopf!“ begann Yves Grammont zu brüllen. „Erzähl mir keinen Scheiß, den ich selbst miterlebt habe! Ihr Hornochsen habt euch durch ungeschickte Manöver selbst in die Bredouille geritten! Ihr habt diese Schlappe zu verantworten! Ich sollte euch auf der Stelle um Haupteslänge verkürzen!“



Seine Stimme hatte an Lautstärke immer mehr zugenommen, und jeder an Bord konnte seine Worte verstehen.



Pierre Servan sah, wie Bauduc neben ihm fast zusammenklappte. Sein dikker Bauch zitterte, als ob er aus der Hose hüpfen wollte. Hoffentlich fällt er nicht vor Grammont auf die Knie und fleht um sein Leben, dachte Servan. Das wäre ihrer beider Ende gewesen, denn der Kapitän haßte nichts mehr als Feigheit, Angst und Unterwürfigkeit.



Doch Bauduc hatte sich noch in der Gewalt. Es war die Schwäche, die ihn gepackt hatte. Der Marsch durch das Küstenland hatte ihm mit seiner Leibesfülle am meisten zugesetzt.



Ohne sich um Grammonts Brüllen zu kümmern, fuhr Servan in seinem Bericht fort.



„Wir konnten uns an Land sammeln, aber wir hatten bemerkt, daß die Engländer zwei Boote abgefiert hatten, die uns verfolgen sollten. Wir schlugen uns in den Wald und trafen dort auf zwei Männer.“



Seine Stimme war leiser geworden. Er wies über die Schulter in die Kuhl, wo Le Testu und der Korse Montbars standen, aber nicht bis hier herauf blikken konnten.



„Zwei Hugenotten“, zischte Servan. „Ich konnte ihnen einen Bären aufbinden, daß wir ebenfalls für die Sache der Protestanten kämpfen. Ich erzählte ihnen, daß wir gegen verräterische englische Korsaren gekämpft hatten, die von spanischen Spionen bezahlt werden und Frankreichs Flotte schwächen wollen, damit Spanien Macht über Frankreich gewinnt.“



Yves Grammonts verzerrtes Gesicht glättete sich etwas. Er hatte viel für Intrigen übrig, aber was Servan ihm da berichtete, schien ihm wenig Sinn zu haben.



„Warum habt ihr den Kerlen denn etwas erzählen müssen?“ fragte er mißtrauisch.



„Wir hatten keine Schußwaffen mehr“, sagte Servan. „Wenn die Engländer uns so geschnappt hätten, wären wir nicht in der Lage gewesen, uns zu wehren. Der Hugenotte aber verriet uns ein Waffenversteck in der Nähe, und wir gingen mit ihm dorthin und fanden tatsächlich eine Menge Musketen und Pistolen.“



„Und dann habt ihr es den Engländern gegeben“, sagte Yves Grammont zufrieden.



Pierre Servan wand sich.



„Wir haben mit ihnen gekämpft“, gab er zerknirscht zu, „aber der schwarze Teufel von der ‚Hornet‘ war bei ihnen und hat gekämpft wie ein Berserker.“



Yves Grammont hatte einen unartikulierten Laut ausgestoßen, der Pierre Servan verstummen ließ. Das Gesicht des Korsaren verzerrte sich zu einer Maske des Hasses. Vor seinen Augen stieg wieder das Bild auf, das ihn seit dem Gefecht mit den Engländern verfolgte: der schwarzhaarige Kerl auf dem Achterdeck der „Hornet“, der mit hochgereckter Faust seinen Leuten Befehle gab und verantwortlich war für die Schmach, die er, Yves Grammont, erlitten hatte.



„Warum habt ihr ihn nicht getötet?“ brüllte er. „Wieso lebt der Hundesohn noch?“



„Ich versuchte es“, erwiderte Servan, „aber der Engländer scheint mit dem Teufel im Bunde zu sein. Meine Kugel streifte ihn nur am Arm.“



Grammont hatte sich das rote Kopftuch von den Haaren gerissen und warf es auf die Decksplanken. Wild trampelte er darauf herum.



„Warum bin ich nur von Versagern umgeben?“ schrie er. „Überall nur Tölpel und Schlappsäcke!“ Er warf einen wütenden Blick zu Ferret hinüber, der das Steuerrad umkrampft hatte und leicht grinste. „Grins nicht, du Hundesohn, oder ich schieße es dir aus der Visage!“ brüllte er.



Er tobte über das Achterdeck wie ein Verrückter und schlug sich mit den Fäusten immer wieder auf die dicht behaarte Brust. Dann blieb er ruckartig stehen. Seine Faust zuckte vor, packte Servan am Hemd und riß ihn zu sich heran, daß sich ihre Nasen fast berührten.



„Ihr seid wieder geflüchtet, stimmt’s?“ brüllte er.



Servan kriegte kaum mehr Luft. Grammont hatte das Hemd in seiner Faust gedreht und schnürte ihm den Atem ab. Sein Gesicht lief schon rot an, als der Korsar sah, daß Servan ihm nicht antworten konnte. Er ließ den Mann los und schleuderte ihn von sich, daß er nach ein paar stolpernden Schritten mit dem Rücken gegen die Balustrade zur Kuhl prallte.



Grammont stampfte hinter ihm her.



„Antworte, du feige Ratte!“



Pierre Servan richtete sich auf. Plötzlich hielt er eine Pistole in der rechten Hand, und die Mündung war auf den Kapitän gerichtet, der stocksteif stehenblieb. Sein eines Auge zuckte. Das Blau der Iris war von einer Eiseskälte, daß Pierre Servan zu Tode erschrak, aber er wußte, daß es jetzt kein Zurück mehr für ihn gab.

 



„Ja!“ stieß er hervor. „Wir haben uns zurückgezogen. Aber nur, weil wir einen Gefangenen hatten, mit dem wir die Engländer erpressen wollten. Wir sind in ein Fischerdorf gegangen und haben uns dort Boote geholt und sind zurückgekehrt, um die Engländer mit den Booten anzugreifen. Wir dachten, daß Yves Grammont, der große Korsar, schon vor uns hier sein würde, um mit den Engländern abzurechnen, aber wir waren allein auf uns gestellt und hatten das Pech, daß man uns entdeckte. Von fast dreißig Männern sind noch elf am Leben! Wir haben nicht gesiegt, aber wir haben für dich unser Leben eingesetzt, Grammont! Danke es uns nicht, indem du uns beschimpfst!“



Pierre Servan steckte seine Pistole wieder weg, als wäre nichts geschehen. Er wußte, daß er sowieso keine Chance gehabt hätte, dieses Schiff lebend zu verlassen, wenn er abgedrückt hätte, aber er hatte sich nicht vor der ganzen Mannschaft der „Louise“ demütigen lassen wollen.



Yves Grammont blieb ruhig. Er hatte wieder die Arme vor der behaarten Brast verschränkt und fuhr sich mit der linken Hand durch den Vollbart.



„Ich war ein bißchen zu hart zu euch, Servan, wie?“ sagte er dann mit einer Stimme, der nichts mehr von seiner Wut anzuhören war.



Pierre Servan sagte nichts. Er rang sich ein leichtes Grinsen ab und nickte.



„Dieser englische Hundesohn macht mich verrückt“, sagte Grammont wieder heftiger. „Er steckt mir im Blut wie eine Krankheit, seit seine Geschütze meine Schiffe auseinandergetrieben haben, als seien es nur jämmerliche Kauffahrer. Ich will den Kerl haben, koste es, was es wolle!“



„Wir werden ihn uns holen, Kapitän“, erwiderte Servan heiser. „Vielleicht kann uns der Hugenotte, den ich mit an Bord gebracht habe, etwas näheres über das Komplott sagen, das die Engländer gegen uns geschmiedet haben.“



Der Korsar richtete sein Auge auf die beiden Gestalten in der Kuhl, die etwas abseits von den anderen standen und von niemandem besonders beachtet wurden.



Servan schob sich aus ihrem Blickfeld, lief schnell zu Ferret hinüber und zischte ihm ins Ohr: „Geh runter in die Kuhl und achte auf die beiden Burschen, die ich mit an Bord gebracht habe. Es sind Hugenotten, und wenn sie merken, daß sie bei uns an der falschen Adresse sind, werden sie vielleicht versuchen, abzuhauen.“



„Wohin denn?“ fragte Ferret grinsend.



„Quatsch nicht, sondern tu, was ich dir sage“, erwiderte Servan scharf.



Ferret zuckte mit den Schultern und schob sich zum Niedergang zur Kuhl. Er holte sich auf dem Weg hinüber zu den beiden Fremden noch einen Mann, und als Servan sah, daß sie sich unauffällig hinter Le Testu und dem Korsen postiert hatten, sagte er zu Grammont: „Das ist der Kerl, der unsere Waffentransporte nach Rennes überfallen hat.“



Yves Grammont starrte Servan ungläubig an. Dann entspannte sich sein Gesicht, und grinsend sagte er. „Wenn das stimmt, werden wir dem Bourbonen ein unschätzbares Geschenk überreichen können.“





3.



Gustave Le Testu zog die Augenbrauen zusammen, als er den Mann auf dem Achterdeck der „Louise“ brüllen hörte. Irgendwie weckte die herrische Stimme eine Erinnerung in ihm. Mit seinen dunklen Augen starrte er zum Achterdeck hinauf, aber weder Servan und Bauduc noch der Kapitän waren zu sehen.



„Mir ist nicht wohl in meiner Haut“, zischte Le Testu dem Korsen zu, der seine Wunde auf der linken Schulter betastete.



„Warum nicht?“ fragte Montbars. „Hier sind wir vor den englischen Piraten sicher.“



Eigentlich hat Montbars recht, sagte sich Le Testu, aber ein besseres Gefühl wollte sich dennoch nicht einstellen.



Er warf einén Blick zur Küste hinüber, wo die Sonne als glutroter Ball aufging. Die beiden englischen Galeonen waren ankerauf gegangen, und die zweimastige, lateinergetakelte Karavelle, die noch ein Stück weitergekreuzt war, hatte ebenfalls beigedreht.



Er wandte sich an Montbars und half dem Korsen, einen Verband um die Schulterwunde zu schlingen.



„Große Schmerzen?“ fragte er.



Der Korse biß die Zähne aufeinander. Sein kantiges Gesicht war bleich. Das Salzwasser, das in seine Wunde gedrungen war, mußte höllisch gebrannt haben.



Die Stimme auf dem Achterdeck war lauter geworden. Le Testu sah, wie die gesamte Crew auf der Kuhl atemlos hinaufstarrte.



„Hoffentlich schießt der verrückte Hund Servan und Bauduc nicht über den Haufen“, flüsterte er. „Dann sind wir auch erledigt.“



Der Korse antwortete nicht. Er schien im Moment mit nichts anderem als mit seiner Wunde beschäftigt zu sein.



Le Testus Blick ruckte herum, als er das leise Aufstöhnen der Männer neben sich vernahm. Er sah, wie Pierre Servan mit dem Rücken gegen die Galerie des Achterdecks prallte. Und dann wollte ihm der Atem stocken.



Servan hielt eine Pistole in der Hand und hatte sie auf den großen, athletischen Mann mit dem Vollbart gerichtet. Die schwarze Augenbinde schien über die Schulter Servans hinweg genau in Le Testus Augen zu starren.



Le Testu zuckte zusammen, als hätte ihn eine Peitsche quer übers Gesicht getroffen.



Eine Welle der verschiedenartigsten Gefühle drohte ihn zu übermannen.



Diesen Mann kannte er!



Das war Yves Grammont, einer der wildesten Korsaren der Bretagne!



Dieser Grammont konnte niemals ein Hugenotte sein, der gegen die verräterischen Engländer kämpfte, um Frankreich vor einem Komplott Spaniens zu bewahren!



Er faßte nach Montbars’ Arm und wollte etwas sagen, doch kein Wort drang über seine Lippen. Die Überraschung hatte ihm die Sprache verschlagen.



Er dachte an sein Gespräch im Wald mit Servan, als er ihn und Bauduc aufgestöbert hatte.



Dieser Scheißkerl von Servan!



Le Testu hätte sich in diesem Augenblick, als es ihm wie Schuppen von, den Augen fiel, selbst ohrfeigen können.



Servan hatte ihm einen Bären aufgebunden, und er, Le Testu, der sich immer für einen der raffiniertesten Wegelagerer Frankreichs gehalten hatte, war darauf hereingefallen wie ein Narr!



Le Testu hatte das Gefühl, vor Zorn über seine eigene Dummheit platzen zu müssen. Für einen kurzen Moment sah er das gesunde Auge Grammonts auf sich gerichtet, und er wußte instinktiv, daß Servan schon von ihm gesprochen hatte.



Jetzt wurde es ernst.



Er ahnte, daß es jetzt um sein und Montbars’ Leben ging. Er dachte an die Waffentransporte aus Brest, die von spanischen Spionen organisiert wurden, und plötzlich wußte er auch, woher die englischen Waffen, die er bei den Überfällen erbeutet hatte, stammten.



Es waren Beutestücke Grammonts und seiner Piraten, die sie den Engländern abgenommen hatten!



Verdammt, und diese Engländer, die dort hinten in der Bucht von Sillon de Talbert geankert hatten, waren keine Verräter, sondern kämpften gegen die Franzosen, die mit Hilfe der Spanier ein Komplott gegen die französische Krone schmiedeten, um dann gemeinsam gegen das protestantische England vorzugehen!



Le Testu zitterte vor Wut.



Was nutzten ihm jetzt noch seine Erkenntnisse?



Pierre Servan mußte inzwischen wissen, woher die Waffen stammten, die er ihm in der kleinen Fischerhütte gezeigt hatte. Und damit hatten sie einen gefährlichen Feind in ihre Falle gelockt, aus der es kein Entrinnen mehr gab.



Le Testu blickte sich hastig um. Sein Blick streifte die beiden englischen Galeonen an der Kimm, die unter vollen Segeln heranrauschten.



Wir müssen über Bord springen! dachte er voller Panik. Vielleicht fischen uns die Engländer heraus!



Wieder wandte er sich Montbars zu, der langsam zu begreifen schien, daß hier etwas faul war.



„Das sind keine Hugenotten!“ zischte Le Testu. „Servan hat uns hereingelegt! Der Kerl da oben mit der Augenbinde ist Yves Grammont, ein Pirat, der mit den Spaniern zusammenarbeitet. Ihm haben die Waffen gehört, die wir zwischen Brest und Rennes bei unseren Überfällen erbeutet haben!“



Das Gesicht des Korsen wurde noch um eine Spur bleicher.



„Wir müssen runter vom Schiff!“ fuhr Le Testu leise fort. „Sie werden uns sonst an die nächste Rah hängen!“



Montbars preßte die Lippen aufeinander. Er dachte wohl daran, daß er mit seiner verwundeten Schulter kaum eine Meile schwimmen konnte, aber bevor er sich von den Piraten aufhängen ließ, wollte er lieber im Meer versaufen.



Le Testu schob sich schon näher zum Schanzkleid hin. Seine Augen waren auf die Galerie des Achterdecks gerichtet. Yves Grammont und Pierre Servan waren nicht mehr zu sehen. Sie hatten sich wieder zurückgezogen.



Montbars folgte ihm. Aber der Korse war mißtrauischer als Le Testu, und er schaute auch über die Schulter. Er sah die beiden Gestalten, die sich langsam auf ihn und Le Testu zuschoben, und mit einem Schrei, der die Köpfe der Piraten herumrucken ließ, stieß er Le Testu an und versuchte, über die Lafette eines Geschützes aufs Schanzkleid zu gelangen.



Er schaffte es nicht.



Plötzlich spürte er einen harten Griff an seinem linken Fuß, und mit einem Ruck wurde er zurückgerissen. Er prallte mit dem linken Oberarm gegen die Lafette und brüllte vor Schmerzen auf. Vor seinen Augen tanzten bunte Ringe. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.



Mehrere Arme hielten ihn umschlungen, als er wieder richtig bei Besinnung war. Trotz des fürchterlichen Stechens und Brennens in der Schulterwunde begann er, um sich zu schlagen. Seine Faust traf einen Mann auf die Nase. Jaulend wich der Pirat zurück, aber schon waren andere bei ihm und klammerten sich an ihn.



Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein Gegenstand auf seinen Kopf zusauste. Er versuchte noch, dem Schlag auszuweichen, doch dann spürte er den harten Schlag an der Schläfe, und von einem Augenblick zum anderen war es dunkel um ihn.



Le Testu hatte dem gedrungenen, dicken Mann, der sich auf ihn gestürzt hatte, mit zwei kurzen Haken die Luft genommen. Japsend war der Kerl in die Knie gegangen, ein Fußtritt Le Testus in seinen Hintern warf ihn gegen die Kumpane, die heraneilten, um Le Testu zu packen.



Mit einem Rundschlag schaffte er sich Luft. Zwei Piraten fielen um, ein weiterer stolperte über ein Lafettenrad, bevor er seine Hände in Le Testus Kleidung krallen konnte.



Vom Achterdeck klang Servans schrille Stimme über die Kuhl: „Packt den Kerl! Laßt ihn nicht entwischen!“



Zorn war dem Gefühl der Angst gewichen. Le Testu wehrte sich wie ein Besessener, und auf einmal sah er das Loch in der Meute seiner Gegner zum Schanzkleid hin.



Mit ein paar mächtigen Sätzen hastete er darauf zu. Bevor ihn jemand pakken konnte, hechtete er mit einem wahren Panthersatz über das Schanzkleid und stürzte sich kopfüber ins Wasser.



Als er aufschlug und ihm die Kälte des Meeres fast die Besinnung raubte, dachte er an den Engländer, den sie gefangengenommen hatten und der ihnen dann entwischt war, nachdem er über Bord der Fischerjolle gesprungen war.



Ich muß tauchen! dachte er. Solange wie möglich unter Wasser bleiben!



Aber er war kein guter Schwimmer. Er verzweifelte fast, aber es gelang ihm nicht, tiefer unter Wasser zu gelangen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß sein Hinterteil beim Schwimmen über die Wasseroberfläche ragte und er gegen eine Strömung anschwamm und kaum vorankam.



Als er dachte, seine Lungen müßten platzen, stieß er mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche und schnappte keuchend nach Luft. In seinen Ohren war ein Rauschen, als ob er unter einem Wasserfall stünde.



Aber da war noch ein anderes Geräusch.



Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß es schallendes Gelächter war. Er wandte den Kopf und mußte zu seinem Entsetzen bemerken, daß er kaum mehr als zwanzig Körperlängen hinter sich gebracht hatte.



Die Strömung trieb ihn langsam an der „Louise“ vorbei, und er sah, daß er tatsächlich gegen sie angeschwommen war. Diesmal nahm er die andere Richtung und merkte, daß er jetzt wesentlich leichter und schneller schwamm.



Aber die Piraten waren nicht untätig gewesen. Sie hatten inzwischen eins der Fischerboote bemannt und pullten nun hinter ihm her. In wenigen Augenblicken hatten sie ihn eingeholt.



Le Testu krallte sich an einem der Riemenfest, und versuchte, ihn dem Piraten zu entreißen. Aber er saß in der Dolle fest.



Ein Schlag mit dem Ruderblatt eines anderen Riemens traf ihn auf dem Kopf, und gurgelnd ging er unter. Instinktiv strampelte er mit den Beinen, und dann fühlte er sich von mehreren harten Fäusten gepackt und ins Boot gezerrt.



Er wehrte sich nicht mehr. Immer wieder würgte er Salzwasser hervor. Ihm war hundeelend zumute. Im Moment war ihm alles gleichgültig. Sollten sie ihn doch aufhängen, wenn sie Freude daran hatten.

 



Er ließ sich wie ein nasser Sack hängen, als sie ihn an Bord hievten und auf die Decksplanken der Kuhl warfen. Er sah weder Montbars, der mit gefesselten Händen an der Lenzpumpe saß, noch Yves Grammont und Pierre Servan, die sich breitbeinig vor ihm aufgebaut hatten und auf ihn hinuntergrinsten.



„Er bewegt sich wie ein Fisch im Wasser“, meinte Grammont. „Vielleicht sollten wir ihn in Schlepp nehmen, weil er sich im Wasser so wohl fühlt.“



„Wir könnten ihn auch ganz unten im Schiff einsperren“, meinte Servan. „Dann kann er im Bilgewasser schwimmen, wenn er Lust dazu verspürt. Die Wasserhöhe müßte ausreichen, da er beim Tauchen ja am liebsten seinen Arsch aus dem Wasser streckt.“



Die Piraten brüllten vor Lachen, und das brachte Le Testu wieder einigermaßen zur Besinnung.



Er rappelte sich auf die Knie, würgte wieder Salzwasser hoch und spuckte es Pierre Servan auf die Stiefel.



Servan tat einen Satz zurück und fluchte.



„Du verrückter Hund!“ schrie er. „Das leckst du mir ab! Versaut uns das ganze Schiff, dieser verräterische Hurensohn von einem Hugenotten!“



„Selber Verräter, du hinterhältiges Lügenmaul!“ gab Le Testu stöhnend zurück. „Ich hätte dich gleich über den Haufen schießen sollen, als wir uns im Wald begegneten, dann gäbe es jetzt einen Dreckskerl weniger auf der Welt.“



„Du bist eben zu blöd, Mann“, sagte Servan grinsend. „Wenn du alles glaubst, was man dir auf die Nase bindet, mußt du dich nicht wundern, wenn du von einer Falle in die andere tappst.“



Le Testu sagte nichts mehr.



Pierre Servan hatte recht. Er hatte sich wie ein Dummkopf benommen und erhielt jetzt nur seine gerechte Strafe. Er schaute Montbars an, der mit bleichem Gesicht an der Lenzpumpe lehnte. Der notdürftige Verband an seiner Schulter war wieder durchgeblutet. Er sah ziemlich geschwächt aus, und Le Testu wußte, daß sie kaum noch einmal eine Gelegenheit zur Flucht erhalten würden.



Er schüttelte den Kopf. Noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben. Solange er lebte, bestand immer noch eine Chance.



Er wehrte sich nicht, als sie ihn am Hemd auf die Beine rissen, ihn fesselten und unter die Back schleppten, wo sie ihn durch eine Luke unter Deck stießen. Sie brachten ihn in eine kleine Kammer in der Vorpieck.



Bevor die Tür hinter ihm und Montbars verriegelt wurde, sagte Yves Grammont, der seinen Männern gefolgt war, hohnlachend: „Wenn wir mit euch fertig sind, werden wir eure Reste an Heinrich von Bourbon ausliefern. Ich habe gehört, daß seine Soldaten scharf darauf sind, euch beide ein bißchen zu kitzeln.“



Le Testu und Montbars schwiegen.



Yves Grammont wußte nicht, daß er mit diesen Worten neue Hoffnung in Le Testu und Montbars geweckt hatte. Sie warteten, bis die Tür hinter ihnen zuschwang und völlige Dunkelheit um sie herum war. Die Stimme Grammonts drang zu ihnen herein.



„Was ist los?“ fragte er.



„Der Ausguck meldet, daß die Galeonen der Engländer Kurs auf uns genommen haben“, antwortete ein anderer.



„Wir kehren um“, sagte Grammont grimmig. „Kurs Lannion.“



„Was ist mit den Fischerbooten?“



„Wir nehmen sie im Schlepp mit.“



Schritte entfernten sich, dann war es still.



„Hast du gehört?“ fragte Le Testu flüsternd. „Sie wollen uns an die Soldaten Heinrich von Bourbons ausliefern. Das heißt, daß sie uns nicht hängen werden!“



Montbars stöhnte.



Le Testu versuchte, dichter an ihn heranzurücken.



„Wir müssen die verdammten Fesseln lösen“, preßte er hervor. „Dann können wir uns um deine Wunde kümmern.“



Er spürte einen Druck an seiner linken Seite, als er sich herumwälzen wollte.



Die Flasche, dachte er. Er hatte sie dem gefangenen Engländer abgenommen und eingesteckt. Die ganze Zeit hatte er nicht mehr an sie gedacht.



Was hatte der Engländer in seinem fürchterlichen Französisch hervorgestoßen, als er, Le Testu, ihn nach der Bedeutung der Flasche gefragt hatte?



„Zünde mal die Lunte an“, hatte der Engländer gesagt, „dann wirst du sehen, was passiert.“



Le Testu begann zu grinsen. Bei der erstbesten Gelegenheit würde er diesen Rat beherzigen. Er