Seewölfe Paket 23

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

4.

Es dunkelte bereits, als sie zu ihrem Standquartier auf der Südseite des Silberberges zurückkehrten. Wieder war ihnen niemand begegnet. Die Einsamkeit und Verlassenheit der Bergwelt außerhalb von Potosi waren total.

Die vier Soldaten – weiterhin gefesselt – wurden in einem Nebenstollen untergebracht. Sie waren gründlich durchsucht worden. Sogar ihre Stiefel hatten sie ausziehen müssen – mit Erfolg, denn in den Stulpen hatten Messer gesteckt.

Pater David meldete keine Vorkommnisse, was die Abgeschiedenheit der Südseite des Berges bestätigte.

Die Gefangenen erhielten zu essen und zu trinken.

Dann nahm sich Hasard den dicken Gouverneur vor, diese wabbelige Masse Fett in einem verweichlichten, von Ausschweifungen und Wohlleben geschwächten Körper. Tatsächlich wirkte dieser Mann jetzt wie eine glitschige Qualle, die eine Welle auf den Strand getragen hat, von wo sie sich aus eigener Kraft nicht mehr fortbewegen kann.

Er war fertig, der Señor Gouverneur, der offenbar zum ersten Male in seinem Leben mehr als zehn Meilen auf seinen Watschelfüßen zurückgelegt hatte. Er ächzte, stöhnte und winselte.

Als, Carberry ihm mit einem freundlichen Grinsen die Reitgerte zeigte, verstummte er und schluckte nur noch.

Hasard fragte: „Wann werden Sie in Potosi zurückerwartet, Cubillo?“

„Morgen“, erwiderte der Dicke weinerlich und schielte zu der Reitgerte. „Denn da habe ich eine Ratsversammlung anberaumt.“

„Ah, eine Ratsversammlung!“ Hasard strich sich nachdenklich über das bärtige Gesicht. „Was soll denn da beraten werden?“

Der Dicke preßte das Froschmaul zusammen. Dann wurde er trotzig und sagte böse: „Das geht Sie gar nichts an!“

Hasard zog die Augenbrauen hoch. „Vorsichtig, Freundchen. Hier bestimme ich, was mich etwas angeht. Falls Sie das noch nicht begriffen haben, können wir dem sehr schnell abhelfen.“ Er nickte Carberry zu.

Carberry übergab die Reitgerte Matt Davies, zog ein Messer und wetzte es über einem Stein.

Er sagte: „Sir, ich schlage vor, ich tätowiere ihm ein Symbol auf den dicken Arsch. Was hältst du davon?“

„Hm, gar nicht schlecht. An was für ein Symbol hattest du gedacht?“

Carberry wetzte mit Eifer. „An ein Herz, Sir – äh –, auf die linke Backe ein Herz und auf die rechte Backe eine Blume. Oder soll ich auf beide Backen einen Totenkopf tätowieren? Das ist auch ein schönes Motiv und sehr beliebt.“ Er prüfte die Schärfe der Klinge und nickte zufrieden.

„Ich bin für den Totenkopf“, sagte Hasard entschieden.

„Nein …“, flüsterte der Dicke und hatte wieder das Spinatgesicht.

„Also? Über was soll beraten werden?“ fragte Hasard.

„Über – über Maßnahmen, wie dem Mangel an Arbeitskräften für den Silberabbau abgeholfen werden kann“, sagte der Dicke mit schwacher Stimme.

„Soso! Und wie soll dem Mangel abgeholfen werden? Sie haben doch sicherlich schon eine Idee, nicht wahr?“

Der Dicke druckste herum. Als Carberry mit dem Messer hantierte, sagte er hastig: „Ich – ich habe geplant, in Potosi Zwangsrekrutierungen vornehmen zu lassen.“

„Wer sollte rekrutiert werden?“ fragte Hasard hart.

„Ah – Soldaten, Handwerker, niedere Bürger, Stadtstreicher und so weiter.“

„Und Padres, nicht wahr?“ Das fragte Pater Aloysius mit scharfer Stimme.

Der Dicke zuckte zusammen und jammerte: „Was soll ich denn tun? Wenn der Silberabbau zum Erliegen kommt, bin ich geliefert. Man wird mich vor ein königliches Gericht zerren und Rechenschaft verlangen.“

„Vor ein Gericht gehören Sie allerdings“, sagte Hasard grimmig, „aber nicht, weil der Silberabbau stockt, sondern weil Sie Ihren König beklauen und sich selbst die Taschen vollstopfen. Ich schätze, in Ihrem Landhaus befinden sich Silberschätze, über die Ihr Philipp in Entzücken geraten würde.“

„Woher wissen Sie das?“ schrie der Dicke kreidebleich und kassierte umgehend eine Maulschelle wegen „ungebührlichen Verhaltens und lauten Schreiens“, wie sich Carberry ausdrückte.

„Sie scheinen Ihre Silbersäcke vergessen zu haben, die Sie in der Sänfte mitführten“, sagte Hasard verächtlich. „Von daher ist nicht schwer zu erraten, daß Sie im Laufe der Zeit Unmengen an Silber gehortet haben müssen. Sie haben es gescheffelt, Sie Gauner. Und Sie zittern nicht, weil in der Silberschatulle Ihres Königs eine Ebbe bevorsteht, sondern weil der Silberstrom nicht mehr durch Ihre Taschen fließen konnte. Sogar jetzt, in dieser Situation des Mangels an Arbeitssklaven, schaffen Sie noch Silber beiseite! Das muß man sich mal vorstellen!“

Die Qualle sackte noch mehr in sich zusammen – Beweis dafür, wie sehr Hasard recht hatte.

„Mann! Wir sollten dieses Landhaus auseinandernehmen!“ stieß Jean Ribault hervor.

Hasard winkte ab. „Wir haben hier Wichtigeres zu tun. Bringt ihn in einen anderen Nebenstollen und verpaßt ihm einen Knebel, damit wir das Gejammere nicht mehr zu hören brauchen.“

„Ich bin ruiniert!“ röchelte der Dicke.

Der Profos grunzte befriedigt. „Wie mich das freut, Fettmops! Noch fröhlicher wäre ich natürlich gestimmt, wenn ich dir deinen Speckhals umdrehen dürfte. Na, vielleicht erlaubt mir das mein Admiral, wenn hier alles vorbei ist.“

„Er ist Admiral?“ fragte der Dicke bibbernd.

„Natürlich. Dachtest du, er sei Sargtischler oder Lampenputzer? O nein! Er ist Großadmiral aller vereinigten chinesischen, babylonischen und alemannischen Flotten, die unter dem Großkreuz des Ordens der schrägen Isabella segeln und erst kürzlich ihr Banner auf der Rückseite des Mondes aufpflanzten. Klar?“

„N-nein“, flüsterte der Dicke mit schreckgeweiteten Glubschaugen. Es war ja auch sehr verwirrend, in wessen Hände er da gefallen war. „Schrä-schräge Isabella – wer ist das?“ stotterte er.

„Die Nichte der Hure von Babylon“, sagte Carberry mit dumpfer Stimme und rollte entsetzlich mit den Augen.

Die Männer mußten sich umdrehen, um ihr Grinsen zu verbergen. Es war ja auch mal wieder starkes Profosgeschütz, was der gute Carberry auffuhr.

„Ed!“ mahnte Hasard sanft. „Verfrachte ihn in einen Nebenstollen.“

„Jawohl, Großmeister!“ Und schon fuhr Carberry den Dicken an: „Hoch mit dir, du Schmalzfaß! Oder muß ich erst böse werden?“

Der Dicke quälte sich hoch, wurde von Carberry in einen Nebenstollen dirigiert, durfte sich hinlegen und wurde geknebelt.

Als der Profos zu den Männern zurückkehrte, rieb er sich die Pranken und sagte: „Der ist eingestimmt, darauf könnt ihr euch verlassen. Oder was meinst du, Sir? Soll ich noch mehr aufdrehen?“

„Ich glaube nicht, Ed“, sagte Hasard lächelnd. „Schätze, das genügt. Danke, daß du mich zum Großadmiral ernannt hast.“

„Hab’ ich gern getan, Sir“, sagte der Profos treuherzig. „Also, jetzt haben wir den Dicken vereinnahmt. Und wie geht’s weiter?“

„Darüber wollte ich mit euch sprechen“, erwiderte Hasard. „Was mir wichtig war, habe ich erfahren: Don Ramón wird erst morgen in Potosi zurückerwartet, die Suche nach ihm wird frühestens losgehen, wenn diese Ratsversammlung beginnt. Bis dahin wird ihn niemand vermissen, denn ich schätze, er hat sich verbeten, in seinem Landhaus gestört zu werden. Was ich plane, ist folgendes: Er wird morgen seine Ratsversammlung abhalten, jedoch in unserer Begleitung. Ich werde ihm diktieren, was er seinen Señores zu sagen hat. Damit diese Señores aber ‚eingestimmt‘ sind und wissen, daß hier ein kompromißloser und harter Gegner am Werk ist, werden wir heute nacht den Pulverturm sprengen. Das hat auch den Nebeneffekt, daß wir sie im gewissen Sinne entwaffnen, denn wo kein Pulver ist, kann nicht mehr geschossen werden. Ferner wird ihnen für längere Zeit das Pulver fehlen, das sie brauchen, um sich ihre Stollen in den Berg zu sprengen. Wir selbst allerdings werden uns mit Pulver eindecken, und zwar für unseren Rückzug aus Potosi. Da könnte man beispielsweise mit einer Sprengung einen Bergpfad zum Einsturz bringen.“ Hasards Blick wanderte über die Männer. „Hat jemand Bedenken, Einwände oder einen anderen, besseren Vorschlag?“

Die Männer starrten ihn stumm an – und grinsten.

Dann jedoch sagte Dan O’Flynn: „Ist das nicht riskant, den Kerl zur Ratsversammlung zu begleiten?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Pater Augustin, mit dem wir die Geiselnahme erörterten, meinte, auch als Geisel habe Don Ramón Befehlsgewalt, und man werde ihm gehorchen. Im übrigen soll ja gerade die Sprengung des Pulverturms die Señores einschüchtern. Ich werde ihnen dazu ein paar freundliche Worte sagen und erklären, die Sprengung sei ein Werk meiner Truppen gewesen, die zu diesem Zeitpunkt auch die Stadt umstellt hätten.“

„Phantastisch!“ sagte Jean Ribault begeistert. „Ich gestehe, daß mir Dans Bedenken auch kurz durch den Kopf gingen, aber der Bluff mit den Truppen sticht. Grandios!“

Dieser Meinung waren die anderen Männer auch.

Hasard bestimmte Jean Ribault, Karl von Hutten, Pater Aloysius, Dan O’Flynn, Carberry und Matt Davies zum Unternehmen Pulverturm. Sie nahmen vier Maultiere mit.

Der Pulverturm – ein Gemäuer aus schweren, roh behauenen Felsbrocken – stand am südöstlichen Stadtrand zwischen Potosi und Cerro Rico. Das hatte seinen guten Grund, denn ein Pulverturm inmitten einer Stadt war Teufelswerk. Kein spanischer Baumeister würde so verrückt sein, diesen Bau in einer Stadt zu errichten. Stets befand er sich am äußeren Rand der Stadt, aber natürlich innerhalb der Stadtmauer.

Nur – im Falle der Stadt Potosi hatten die Baumeister auf eine Mauer verzichtet. Die Legende berichtet, daß einer dieser Señores lachend gesagt hätte: Eine Mauer, Leute? Die könnt ihr euch sparen! Eure Mauern sind die Felsgrate auf Hunderte von Meilen rings um eure Stadt! Und dazwischen liegen Stadtgräben, nämlich Schluchten und tiefe, unbegehbare Täler, die unüberbrückbarer sind als das Wasser eines Stadt- oder Burggrabens!

 

Sicher, der Señor Baumeister hatte recht gehabt, dachten sie doch alle mit Schaudern an die „Straße“ nach Lima oder Arica, die über höllische Pässe, schwingende Hängebrücken über tosenden Wildbächen oder mörderischen Wüsten führte. Sie hatten ja alle von Lima oder Arica aus über diese „Straße“ reisen müssen, um die gelobte Silberstadt Potosi zu erreichen.

Einer der Stadtgründer hatte sogar stolz erklärt: Wir bauen die erste Stadt dieser Welt ohne Mauern! Denn nie wird ein Feind wagen, zu unserer Stadt vorzudringen!

Wenn wir uns nicht täuschen, werden die anderen Señores damals, als sie mit ihren ersten Prunkbauten beschäftigt waren, zu diesem markigen Spruch beifällig genickt und gemurmelt haben: recht hat er, wahr gesprochen!

Und der Verlauf der letzten Jahrzehnte seit der Stadtgründung hatte die These von der Unangreifbarkeit der Stadt ohne Mauer bestätigt. Nie war ein Feind zur Stadt vorgedrungen. Nie!

Aber Cartagena war überfallen worden, Panama, Havanna, Porto Bello, Vera Cruz – Küstenstädte, befestigt mit Mauern und dennoch dem wilden Zugriff von Piraten preisgegeben.

Aber Potosi lag am Ende der Welt.

Sie würden sich noch wundern, diese reichen, satten und selbstzufriedenen Bürger der Stadt.

Da lag also dieser Pulverturm abseits der Stadt – aus Sicherheitsgründen, die jedem Bürger verständlich waren. Es wäre ja auch ungemütlich gewesen, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Völlig klar.

Nur war – hatte daran niemand gedacht? – diese abseitige Lage des Turms auch geradezu ideal für Bösewichter, welche die Absicht hatten, die Bergwelt mit einem Knall zu erschüttern. In der Stadt hätten sie keine Chance gehabt, sich dem Pulverturm auch nur bis auf zehn Schritte zu nähern – in der Dunkelheit der Nacht, versteht sich.

Draußen verhielt sich das anders. Immerhin, zwei Posten bewachten den Pulverturm. Aber wo seit Jahrzehnten nichts passiert ist, da werden solche Posten zu einer reinen Farce. Da witzelt man sogar darüber, weil solche Posten zu Einrichtungen geworden sind, deren Zweckmäßigkeit kein Mensch mehr versteht. Genausogut kann man jahrzehntelang eine Schatztruhe bewachen, deren Inhalt aus Luft besteht. Es ist dann eine „symbolische“ Wache um des Wachegehens willen.

So empfanden das auch die beiden Soldaten, die jetzt, gegen zehn Uhr nachts, die Hälfte ihrer Wache Pulverturm herum hatten, abwechselnd gähnten, fluchten, sich anödeten oder stadtwärts stierten, ob da vielleicht ein Sargento auftauchte, um sie zu kontrollieren.

Einer lümmelte an der Tür zum Pulverturm, der andere hatte sich einfach hingehockt, die Muskete zwischen den Knien. Beide befanden sich im Schlagschatten der Türnische. Diese Nische war der gesegnete Platz der Pulverturm-Posten, weil er Schutz vor den kalten Winden bot. Und man selbst beschützte ja auch etwas: den unmittelbaren Zugang ins Innere des Turms.

Sicher, da gab es auch Posten, die von einer penetranten Dienstauffassung besessen waren. Die stiefelten alle fünf Minuten um den Turm, um nachzusehen, wer sich angeschlichen hatte. Aber seit Jahrzehnten hatte sich niemand angeschlichen, und solche Posten, die nur die Mäuse mit ihrer Hektik aufscheuchten, waren komplette Idioten. Die beiden Posten zu dieser Stunde gehörten nicht in diese Kategorie der Pflichtbesessenen.

Da es den Posten zu blöd oder zu unsinnig erschien, Kontrollgänge um den Turm zu unternehmen, konnten sich die sieben Männer bequem und ungesehen von Osten her an den Turm heranschleichen. Es war geradezu läppisch.

Was Hasard jedoch stutzen ließ, das war das Gejaule und Gewinsel, das vom Fuß des Berges, wo die Hütten und Baracken der Aufseher standen, an seine Ohren drang und veranlagte, seinen Männern durch ein Winkzeichen zu befehlen, Deckung zu nehmen. Er selbst packte sich bäuchlings hinter ein Krüppelgewächs. Neben ihm landete Pater Aloysius.

Der Pater flüsterte: „Das sind die Bluthunde in ihrem Zwinger.“

Hasard biß sich auf die Lippen. Verdammt noch mal, an diese höllischen Biester hatte er nicht mehr gedacht – ein Fehler, der ihm nicht hätte passieren dürfen. Vielleicht waren sie ausschließlich auf den eigenen Geruch der Indios abgerichtet, durchaus möglich. Aber dieses „Vielleicht“ war keine Garantie.

Wenn sie jetzt den Turm sprengten und die Hunde danach auf Spuren angesetzt wurden, dann konnte es passieren, daß sie den Stollen fanden. In diesem Fall konnten sie ihr Unternehmen als gescheitert betrachten.

Die Hunde mußten weg, bevor der Turm in die Luft gejagt wurde!

Carberry robbte heran. Hasard drehte sich zu ihm um.

„Erst die Posten am Wachturm“, flüsterte er, „dann sind die Köter dran. Gib es an die anderen weiter, Ed!“

Der Profos zeigte klar und robbte zurück.

Sie hatten den Turm bereits längere Zeit beobachtet und festgestellt, daß er von zwei Posten bewacht wurde, die sich in die Nische der Tür drückten und offenbar zu faul waren, Rundgänge zu unternehmen.

Carberry landete wieder neben Hasard.

„Alles klar, Sir“, flüsterte er. „Wir können weiter. Matt und von Hutten sichern zum Zwinger hin.“

Hasard nickte, hob den Arm und winkte in Richtung des Turms. Sie standen lautlos auf und schlichen geduckt auf den großen Klotz zu, jederzeit bereit, sich wieder hinzuwerfen und Deckung zu nehmen.

Nichts passierte. Nur das träge Gemurmel der beiden Posten drang an ihre Ohren – und das Gejaule und Gewinsel der Bluthunde, das geeignet war, Leuten mit schwachen Nerven das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.

Hatten die Biester schon etwas gewittert?

Waren sie immer so unruhig?

Eine scharfe Stimme klang auf aus der Richtung des Zwingers. Zu sehen war nichts – bis auf die dunklen Umrisse der Baracken und Hütten.

„Maul halten, ihr Mistviecher!“ schrie die Stimme. „Oder ich besorg’s euch mit der Peitsche!“

Eine andere Stimme rief dazwischen: „Laß sie, Pablo! Das ist Mila, die verdammte Hexe, die ist mal wieder läufig und braucht einen Liebhaber!“

Der Mann, der Pablo hieß, grollte: „Soll sich doch ’ne andere Zeit aussuchen, diese Hundehure!“

Der andere lachte, sagte noch etwas Unanständiges, dann kehrte wieder Ruhe ein. Eine Tür schlug krachend zu. Das Gejaule war verstummt.

Ein breiter Schatten tauchte vor den beiden Posten in der Türnische auf.

„Na, ihr beiden?“ brummte er. „Alles klar bei euch?“

Der Kerl, der am Boden hockte, rappelte sich auf. Der andere glotzte.

Sekunden später fuhren zwei Riesenarme auf sie zu, zwei Pranken legten sich außen um ihre Köpfe – es war gut, daß sie ihre Helme abgesetzt hatten –, und schon krachten ihre Schädel gegeneinander. Der eine rutschte gleich weg, der andere pfiff noch ein bißchen, bevor er umkippte.

Carberry nickte zufrieden und verpaßte beiden aus Sicherheitsgründen noch je einen Jagdhieb an die Schläfen. Pater Aloysius führte die vier Maultiere heran. Gefesselt und geknebelt wurden die beiden Kerle über zwei Maultiere gepackt.

Matt Davies und von Hutten kehrten zurück. Carberry hatte in den Taschen des einen Soldaten einen großen Schlüssel gefunden. Er paßte in das Schloß der Tür zum Pulverturm. Sie drangen ein. Dan O’Flynn blieb draußen und sicherte.

Eine Viertelstunde später zogen Carberry und Matt Davies mit den vier Maultieren ab – beladen mit den beiden Soldaten und kleinen Pulverfässern.

Pater Aloysius übernahm draußen die Wache, während Hasard, Jean Ribault, Karl von Hutten und Dan O’Flynn im Pulverturm fieberhaft an der Arbeit waren. Sie hatten die Tür angelehnt und eine Öllampe entzündet, um Licht zu haben.

Im Turm lagerten Pulverfässer verschiedener Größen, Kartuschen, Lunten sowie Kugeln und gehacktes Blei.

Sie nahmen sich die kleinsten Pulverfässer vor, entleerten sie zum Teil, füllten Musketenkugeln und gehacktes Blei nach, führten Lunten ein und verdammten sie.

Hasard verlegte eine genau bemessene Zündschnur in den Keller, wo die größten Pulverfässer gelagert waren.

Inzwischen kehrten Carberry und Matt Davies wieder mit den vier Maultieren zurück und brachten Stenmark und Mel Ferrow als Verstärkung mit. Die Maultiere wurden wieder mit Pulverfässern beladen.

Es ging auf Mitternacht zu – Zeit zur Ablösung der beiden Posten. Die beiden neuen Posten trotteten über den Weg zum Pulverturm heran. Carberry und Matt Davies standen in der Türnische – bereit zum freundlichen Empfang. Sie hatten sich die beiden Helme der vereinnahmten Posten aufgesetzt. Der Helm Carberrys wackelte mal wieder, was den Profos in Braß brachte. Für seinen massigen Schädel würden die Dons irgendwann einmal eine Sonderanfertigung herstellen müssen.

Die beiden neuen Posten näherten sich.

Carberry gähnte laut, hielt den Helm mit der linken Hand fest und blaffte die beiden Kerle an: „Jetzt wird’s aber Zeit, ihr Pennbrüder! Wir haben nämlich noch was anderes zu tun, als auf euch zu warten.“

„Wie?“ fragte der eine dümmlich.

Und der andere fragte: „Wer bist ’n du?“

Neugierig traten sie noch näher. Es war nicht zu fassen, und doch stimmte hier die Weisheit, daß der beste Soldat zum harmlosen Trottel wird, wenn seine kämpferischen Instinkte in einer langen Zeit des unkriegerischen Müßiggangs verkümmert sind. Im übertragenen Sinne trifft das auch für die Waffen zu: Ein Schwert, das zu lange in der Scheide bleibt, rostet und wird unbrauchbar.

„Was? Du kennst mich nicht?“ fragte Carberry entrüstet.

Zugleich mit Matt Davies sprang er vor. Matt schlug dem Kerl links die Rundung seines Eisenhakens auf die Hurratüte, Carberry versorgte den Kerl rechts auf die gleiche Weise. Bei ihm war es die mächtige Faust, der sogenannte Profos-Hammer. Bei Matt schepperte es etwas, bei Carberry klang es dumpfer.

Fesseln und Knebeln wurden schon zur Routine. Hasard steckte den Kopf aus der Tür.

„Alles klar?“

„Alles klar, Sir“, erwiderte Carberry. „Ist jetzt der Zwinger dran, oder sollen wir erst die beiden Kerle und das Pulver mit den Maultieren zurückbringen?“

„Letzteres zuerst. Wir warten, bis ihr zurück seid. Die Maultiere könnt ihr im Stollen lassen, wir brauchen sie nicht mehr, wenn wir uns den Zwinger vornehmen.“

„Aye, Sir.“

Die beiden Kerle wurden auf zwei Maultiere verfrachtet, verzurrt, und schon ging die Fuhre ab.

Hasard wickelte die Zündschnur zur Sprengung des Turms ab und verlegte sie auf die Ostseite. Die Männer brachten die präparierten Pulverfäßchen nach draußen und stellten sie ab. Acht Stück waren es – hergestellt nach dem Prinzip der Höllenflaschen, die Ferris Tucker entwickelt hatte. Die waren zwar handlicher und konnten ziemlich weit geschleudert werden, aber in diesem Fall brauchten sie die Fäßchen nur über den Zaun zu stoßen. Mit etwas Kraft dahinter rollten sie weiter in den Zwinger.

Über der Stadt lag der gelbliche Lichtschein der Straßenlampen. Da und dort schimmerte Licht aus den Fenstern.

Hasard instruierte leise seine Männer, die zusammen unter der Führung Jean Ribaults das Unternehmen gegen den Zwinger durchführen würden. Die Sprengung des Pulverturms behielt sich Hasard vor.

„Ich warte eure Aktion ab“, sagte er leise. „Wer von euch sein Faß in den Zwinger befördert hat, nimmt die Beine in die Hand und verschwindet im Eiltempo zum Stollen. Ich zähle bei den Explosionen mit. Nach der achten zünde ich die Lunte zum Keller. Ich habe sie so bemessen, daß sie nach etwa sechs Minuten das Faß im Keller brennend erreicht, und dann kracht’s! Zu diesem Zeitpunkt sollten sich die ersten von euch bereits im Stollen befinden. Der Rest muß Deckung in den Stollen vor unserem gefunden haben. Denn da wird einiges vom Himmel fallen. Sobald das Schlimmste vorbei ist, setzt sich dieser Rest ebenfalls zu unserem Stollen ab.“

„Und du?“ fragte Jean Ribault.

Hasard grinste hart. „Ich bin der letzte, mein Freund.“

„Und wenn dir ein Stein auf den Kopf fällt?“

„Wenn’s regnet, wird man naß“, sagte Hasard trocken.

Jean Ribault knirschte mit den Zähnen. „Ist gut – ich bring dir dann einen Regenschirm.“ Er wußte: Es war völlig zwecklos, diesem eisenharten Dickschädel auszureden, daß auch ein anderer diesen Part am Pulverturm spielen könne, der weiß Gott gefährlich genug war. Denn Hasard hatte den längsten Weg zurück zum Stollen. Und wenn die Lunte bereits nach fünf Minuten zündete – dann Halleluja!

 

In diese Gedanken hinein sagte Hasard: „Euer Part ist viel gefährlicher, mein Alter. Denn ihr müßt damit rechnen, daß nach den ersten Explosionen die Aufseher aus ihren Baracken stürzen. Hast du daran gedacht? Wer also von euch bereits die Hände frei hat, sollte dann Pistole oder Muskete einsetzen, um die anderen zu decken. Das muß ineinandergreifen, versteht ihr? Es sei denn, ihr schafft es alle, eure Fässer fast gleichzeitig zu zünden und zu werfen. Vielleicht wäre das empfehlenswert. Habt ihr alle Feuerstein und Lunte?“

Hatten sie alle.

Jean Ribault schüttelte den Kopf. „Das haut nicht hin, Hasard. Wenn wir alle acht gleichzeitig mit Lunte und Feuerstein herumfummeln, gibt das so viel Unruhe, daß die Hunde aufmerksam werden. Ich dachte an eine verdeckte Öllampe, mit der wir nacheinander zünden – natürlich so schnell, wie’s nur irgend geht.“

„Schon richtig“, sagte Hasard, „aber ihr verlängert damit eure Zeit am Zwinger. Bitte bedenke, daß ihr nach jedem einzelnen Wurf in Deckung gehen und warten müßt, bis die Ladung explodiert ist. Ihr wollt euch ja nicht selbst umbringen, nicht wahr? So zieht sich das also hin und ergibt eine Zeit, die ausreicht, um die Aufseher auf den Plan zu rufen. Klar?“

Jetzt nickte Jean Ribault.

Hasard sagte: „Jeder von euch muß zusehen, daß er eine Deckung hat, wenn er die Lunte zum Fäßchen zündet. Laßt die Hunde getrost unruhig werden. Kümmert euch nicht darum. Ich schätze, ihr werdet geschickt genug sein, auf ein Zeichen von Jean hin fast gleichzeitig zu zünden. Die weitere Abfolge ist klar und dürfte nahezu synchron ablaufen. Beim Knistern der Lunte springt ihr aus eurer Deckung an den Zaun, stoßt die Fässer hinüber und haut ab. Peilt dabei mit einem Auge zu den Baracken. Sollten sich da schon Aufseher zeigen, dann feuert – egal, ob ihr trefft.“

„So müßte es gehen“, sagte Jean Ribault.

Von der Glocke der Kathedrale in Potosi dröhnte ein einzelner Schlag über die Stadt und verkündete die erste Stunde des neuen Tages. Es war der 29. Dezember, zwei Tage vor Jahreswechsel, der in Potosi nach junger Tradition – die Stadt war jetzt achtundvierzig Jahre jung oder alt – besonders üppig und wild gefeiert wurde.

Zumindest war es so, daß die Soldaten der Garnison in der Nacht zum Jahreswechsel endlich einmal ihre Musketen und Pistolen abfeuern konnten, bis die Läufe heiß waren. Mangels kriegerischer Verwendung durfte in diesem besonderen Fall mit dem Pulver geaast werden. Es gab keine Beschränkungen. Ballern war schön, und in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar pflegte man die Luft über Potosi mit Löchern zu durchsieben. Was für ein Jux!

Sollte der Coup von ganzen elf ziemlich verrückten, aber harten Männern gelingen, dann würde dieser Jahreswechsel von 1594 auf 1595 alles andere als ein Jux werden.

Wir werden sehen.

Der Profos Edwin Carberry und der Eisenhakenmann Matt Davies waren zum Pulverturm zurückgekehrt und gehörten nunmehr zu Jean Ribaults Trupp, der zu dieser ersten Stunde des neuen Tages in die unmittelbare Nähe des Zwingers gepirscht und dort in Deckung gegangen war – jeder mit einem Pulverfäßchen versehen.

Der Zwinger hatte die Form eines Rechtecks. Die beiden Schmalseiten waren in Nordsüdrichtung angelegt, die beiden Längsseiten in Ostwestrichtung. Die schmale Westseite grenzte an den Bereich der Hütten und Baracken der Aufseher. Dort auch befand sich eine Gattertür – Aus- oder Eingang, wenn man die Hunde holte oder zurückbrachte.

Das Zwingerrechteck wurde von einem Lattenzaun umfaßt und begrenzt – hoch genug, um Sprünge darüber zu verhindern. Die Viecher waren es eh gewohnt, den Zwinger durch die Tür zu verlassen. Auf der Südseite und auf der Westseite – also rechtwinklig – standen niedrige Hundehütten. Davor befanden sich Futtertröge und flache Wassertonnen.

Seit Philipp, das Hätschelvieh des Luis Carrero, fehlte, waren bei den Rüden dieser Meute von Bluthunden Machtkämpfe ausgebrochen. Philipp war unumschränkter Pascha gewesen – auch mit dem Vorrecht, für den Nachwuchs zuständig zu sein. Er war da unermüdlich gewesen.

Jetzt war er nicht mehr anwesend und hatte damit einiges durcheinandergebracht – nicht zuletzt jene Hündin Mila, die der Aufseher Pablo als „Hundehure“ bezeichnet hatte. Sie wartete auf Philipp und biß die anderen Bewerber weg. Vielleicht hielt sie die Anwärter auf den Paschathron auch für glatte Versager, die sich zwar stark aufführten, aber Spiegelfechter waren.

Diese Mila war es, die das Unternehmen des Jean-Ribault-Trupps fast zum Platzen brachte. Sie erschien genau zu dem Zeitpunkt, als Jean Ribault das Zeichen zum Zünden der Lunten geben wollte, mitten im Zwinger, setzte sich auf die Hinterläufe, reckte den Kopf und heulte den Mond an. Und Jean Ribault ließ den rechten Arm wieder sinken.

Mila heulte zum Gotterbarmen.

Das waren jene Töne, bei denen Menschen Zahnschmerzen bekommen können, Töne, die Nerven zum Kreischen bringen und Mordgelüste hervorrufen.

Jean Ribault fluchte lautlos. Er dachte in diesem Augenblick an Batuti und Big Old Shane. Ein unhörbarer Pfeil von ihnen hätte präzise das Jaulen ausgelöscht.

Bei den Baracken prallte eine Tür auf. Ein Kerl schoß hinaus und raste zum Zwinger. Ein zweiter folgte.

Der erste Kerl brüllte: „Das halte ich nicht aus! Dieses Scheißvieh! Das bring ich um!“

Recht so, dachte Jean Ribault grimmig.

Noch mehr passierte: Hundeschatten krochen aus den Hütten – und auf die jaulende Hündin zu. Sie knurrten, dann warf sich einer dieser Schatten herum und fuhr einem anderen an die Kehle.

„Eine Muskete!“ brüllte der erste Kerl.

Der zweite Kerl raste in die Baracke zurück.

Im Zwinger spielte sich etwas ab, was der Seemann mit Wuhling bezeichnet. Denn während die Hündin weiter den Mond anheulte, waren die Rüden entfesselt. Die Töne in dem Zwinger waren unbeschreiblich.

Jetzt! dachte Jean Ribault und stieß den Arm hoch.

Trotz allem: Sein Einsatz war richtig, der Zeitpunkt gut gewählt, denn Hunde und Aufseher waren abgelenkt, ganz abgesehen von dem infernalischen Krach im Zwinger, in dem offenbar so eine Art Raserei ausgebrochen war.

Der Aufseher schoß zu diesem Zeitpunkt mit der Muskete auf die Hündin – zweifelsohne, um sie zu töten. Aber die Kugel versengte der jaulenden Mila nur die Nackenhaare und klatschte auf der Ostseite des Zwingers in den Lattenzaun. Dieses scharfe, heiße Ziepen durch die Nackenhaare ließ die Hündin geradezu toll werden. Sie schnellte herum, flog als langgestreckter Schatten auf den westlichen Lattenzaun zu und prallte wie ein Rammbock dagegen. Der Zaun wackelte. Die beiden Aufseher wichen entsetzt zurück – und gaben Fersengeld.

Genau in diesem Augenblick sprangen die acht Männer aus ihren Deckungen, stürmten zum Zaun und warfen ihre Pulverfässer mit den brennenden Lunten in den Zwinger zwischen die rasenden Bluthunde.

Sekunden später verschwanden sie als huschende Schemen in der Dunkelheit. Sie nahmen „die Beine in die Hand“, wie Hasard ihnen empfohlen hatte.

So sahen sie auch nicht, was sich jetzt im Zwinger abspielte. Die Hundemeute stürzte sich über die Pulverfäßchen, diese rollenden Dinger mit den funkensprühenden, stinkenden und qualmenden „Schwänzen“. Ein paar bissen hinein und jaulten auf. Aber ihre Wut steigerte sich.

Und dann barst das erste Faß in einer grellen Explosion auseinander. Drei, vier Hundeleiber flogen zuckend durch die Luft und klatschten wie Mehlsäcke zu Boden. Bruchteile von Sekunden später schien es, als sei im Zwinger ein Vulkan ausgebrochen. Fast alle sieben Fässer explodierten beinahe gleichzeitig – mit verheerender Wirkung. Kugeln und gehacktes Blei rasten nach allen Seiten durch den Zwinger, als sei dort eine einzige, riesige Kartätsche eingeschlagen und auseinandergeflogen. In den schmetternden Detonationen gingen alle Laute der Hunde unter.

Die Stille danach war gespenstisch. Die Sense des Todes hatte nichts am Leben gelassen.