Seewölfe Paket 23

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Hasard huschte hinter den Turm und entzündete die Lunte. Als sie zu sprühen begann, wartete er einen Moment und blickte aus schmalen Augen auf die sich weiterfressende Glut. Ja, sie brannte. Nichts würde ihren Weg aufhalten.

Dann zuckte er zusammen und hatte auch schon die Pistole in der Faust. Ein Schatten flog heran.

Carberry!

„Ich soll auf dich aufpassen!“ keuchte er. „Hat Jean Ribault befohlen.“

„Quatsch!“ knurrte Hasard, mußte dann aber doch lachen. „Los, weg hier!“

Sie starteten im Eiltempo und setzten sich von dem Pulverturm ab. Bei den Baracken wurde herumgebrüllt. Aber das galt nicht ihnen. Man war von den Explosionen aufgeschreckt und suchte nach der Ursache. Fackeln wurden entzündet.

Hasard und Carberry sahen es noch, dann verbarg die Ostflanke des Silberbergs jede weitere Sicht. Als Hasard kurz darauf einen Blick über die Schulter warf, konnte er auch den Pulverturm nicht mehr sehen.

„Hopp hopp, Ed!“ rief Hasard seinem Profos zu. Er war eindeutig schneller als Carberry.

„Mann, was ich heute schon gelaufen bin!“ stieß Carberry keuchend hervor. Aber er setzte dennoch elegant über einen Steinbrocken. „Muß bald krachen, wie?“

Hasard spähte voraus, entlang an der Südseite des Berges.

„Etwa achtzig Yards vor uns sind zwei dunkle Höhlen im Berg!“ rief er. „Die schaffen wir noch!“

Sie legten an Tempo zu, erreichten die vordere Höhle, zu der sie etwas ansteigen mußten, und drangen ein.

„Ich bin hier!“ rief eine Stimme aus der anderen Höhle.

Es war Dan O’Flynn. Sie wechselten hinüber.

„Hättest dich auch früher melden können!“ ranzte der Profos und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Gleich wieder meckern, wie? Das hab’ ich gern.“ Dan O’Flynn grinste breit.

„Ist die Bude hier auch einsturzsicher?“ fragte der Profos mißtrauisch und schnüffelte. „Riecht ziemlich muffig …“

Das Thema konnte nicht weiter erörtert werden.

Die Welt ging unter.

Über die felsige Halde auf der Südseite des Berges stach ein grellweißer Blitz, der meilenweit zu reichen schien und für Bruchteile von Sekunden aus der Dunkelheit die Konturen einer bizarren Mondlandschaft erscheinen ließ.

Gleichzeitig zerriß ein berstender Donnerschlag die Nachtstille. Der Berg schien zu wanken, eine Druckwelle raste an der Höhle fauchend vorbei, obwohl sie mit der Südseite des Cerro Rico gewissermaßen in Lee lag.

Aus der Höhlendecke lösten sich Steinbrocken, und sie zogen die Köpfe ein. Draußen prasselte ein Trümmerhagel nieder, Steine zerplatzten beim Auftreffen auf felsigen Grund. Es klang, als würden Musketen abgefeuert.

„Meine Fresse!“ sagte der Profos andächtig. „Wetten, daß es den Pulverturm zerblasen hat?“

„Scheißwette!“ sagte Dan O’Flynn. „Ist doch klar, daß der nur noch aus Steinpuder besteht.“

Der Profos räusperte sich. „Sagtest du Scheißwette?“

„Das sagte ich.“

Der Profos räusperte sich ein zweites Mal. „In letzter Zeit drückst du dich ziemlich vulgär aus, Mister O’Flynn.“

Da waren sie also wieder beim Thema.

„Morgen schäm’ ich mich mal“, sagte Dan O’Flynn, sprang plötzlich vor und stieß Carberry zum Höhlenausgang.

Hinter ihnen krachte Sekunden später ein Teil der Höhlendecke ein. Staub wallte nach draußen.

Carberry wedelte mit der Hand und hustete.

„Danke“, sagte er undeutlich.

„Gern geschehen“, erwiderte Dan O’Flynn.

Draußen hagelte es immer noch, aber schon weniger.

„Woher – woher wußtest du, daß der Kram einstürzen würde?“ fragte der Profos.

„Bin Hellseher.“

Der Profos furchte die Stirn – und schwieg. Dieser Mister O’Flynn schien gewisse Gaben seines Vaters geerbt zu haben. Etwas eigenartig war das schon. Da war’s auch besser, man rührte nicht daran.

Dan O’Flynn grinste wieder. „Natürlich bin ich kein Hellseher, Ed. Ich hörte über uns ein Knacken. Das ist alles.“

„Kein Hellseher?“ Carberry schien direkt enttäuscht zu sein. „Dann sag das doch gleich, du Affenarsch!“

Hasard drehte sich lächelnd zu ihnen um. „Tut mir leid, euch unterbrechen zu müssen. Wir können weiter.“

Sie waren die drei letzten des Trupps, die den Stollen erreichten.

5.

Die Ratsversammlung, von der der Dicke gesprochen hatte, war in seiner Residenz an der Plaza für elf Uhr vormittags anberaumt worden.

Am frühen Morgen hatte Pater Aloysius, wieder in seine Kutte gekleidet, einen unauffälligen Rundgang durch die Stadt unternommen, um zu erkunden, was sich dort tat und wie die Sprengung des Pulverturms gewirkt hatte.

Er kehrte gegen neun Uhr zurück und berichtete mit funkelnden Augen: „In der Stadt totale Konfusion …“

„Hä?“ fragte der Profos.

„Verwirrung, Mister Carberry“, erklärte Dan O’Flynn.

Pater Aloysius lächelte versteckt. „Richtig, totale Verwirrung. Die Bürger sind ziemlich kopflos. Es gibt keine Erklärung für das Explodieren des Pulverturms – bis auf die Vermutung, daß es sich um einen Wahnsinnsakt der vier Posten handeln könnte, die vermißt werden. Die Bluthunde sind alle tot – man spricht von einem Massaker. Was in dem Zwinger passiert ist, gibt den Bürgern ein weiteres Rätsel auf. Übrigens – wo der Pulverturm stand, gähnt ein riesiger Trichter. Der Explosionsdruck hat die Hütten und Baracken der Aufseher davongeblasen, einige sollen ziemlich verletzt sein.“

„Suchaktionen?“ fragte Hasard knapp.

„Offenbar noch nicht.“ Pater Aloysius grinste. „Man wartet auf die Rückkehr des Provinzgouverneurs, weil’s auch so schön bequem ist, ihm die Verantwortung für alles Weitere zuzuschieben. Ein gutes Zeichen, finde ich. Es beweist, wie sehr sie alle Befehlsempfänger sind, die sich scheuen, selbst initiativ zu werden. Also: bei den Stadtoberen und Bürgern Verwirrung, Unsicherheit, ängstliches Abwarten, Rätselraten.“

Hasard rieb sich die rechte Bartseite. „Klingt nicht schlecht, Bruder. Klingt wirklich nicht schlecht. So, dann wollen wir mal den Dicken einstimmen auf das, was ihm bevorsteht. Holst du ihn, Ed?“

„Mit Vergnügen, Sir. Soll ich freundlich zu ihm sein oder den Wüterich spielen?“

Bevor Hasard antworten konnte, sagte Dan O’Flynn: „Beides ist bei dir gleich schrecklich, Mister Carberry. Also brauchst du dich überhaupt nicht anzustrengen oder zu verstellen.“

Der Profos stemmte die Pranken in die Hüften und holte Luft.

Hasard seufzte und sagte mit leichtem Tadel: „Mister O’Flynn! Nicht du wurdest von Mister Carberry befragt, sondern ich, und ich brauche keinen Vorsprecher. Müßt ihr eigentlich immer wie Hund und Katze sein?“

„Ed und ich?“ fragte Dan O’Flynn erstaunt zurück. „Aber wir sind doch nicht wie Hund und Katze, Sir. Wir sind Freunde! Nicht, Ed?“

„Jawohl!“ dröhnte der Profos. „Dan und ich sind die dicksten Freunde, Sir. Du brauchst dich nur daran zu erinnern, daß mich mein Freund Dan vor ein paar Stunden davor bewahrte, vom Berg erschlagen zu werden. Mutig vergriff er sich an mir und stieß mich aus dem tödlichen Bereich der einstürzenden Decke. So handelt nur ein echter Freund, so wahr ich Edwin Carberry heiße. Das mußt du bedenken, Sir, wenn du sagst, wir seien wie Hund und Katze. Ich wüßte auch gar nicht, wer von uns der Hund und wer die Katze sein sollte. Mein Freund Dan ist allenfalls ein Kater, wenn ich der Hund bin – oder umgekehrt, was, wie?“

Hasard seufzte ein zweites Mal. „Ich korrigiere mich – ihr seid beide die größten Schlitzohren der ‚Isabella‘-Crew! Und jetzt hol den Dicken, Ed!“

„Aye, Sir, freundlich oder als Wüterich?“

„Beides!“

„Geht klar, Sir.“ Carberry feixte zu Dan hinüber, und der feixte zurück. Sie sahen beide aus, als hätten sie gerade der Großmutter des Teufels mit feurigen Kohlen eine Wärmflasche unter den Hintern gepackt – diese Spitzbuben!

Es war eine gute Stimmung, besser konnte sie nicht sein. War nicht alles bisher glatt verlaufen? Und der Pulverturm existierte nicht mehr. Die Bluthunde des Luis Carrero würden nie mehr einen flüchtenden Indio verfolgen, stellen und zerfleischen. Allein das hatte den mörderischen Aufstieg nach Potosi gelohnt. Und ihren Trumpf hatten sie noch gar nicht ausgespielt: Don Ramón de Cubillo.

Carberry hatte ihn wie ein abgeschossenes Karnickel hinten am Kragen und hievte ihn in die Mitte der versammelten Runde, wo der Dicke in sich zusammensackte.

„Jetzt wirst du geschlachtet, Don Ramón!“ sagte Carberry mit dumpfer Stimme. „Die schräge Isabella hat mit uns Zwiesprache gehalten und ihr Orakel verkündet. Vernimm es wie ein Mann, auch wenn du ein Haufen Scheiße bist!“

Hasard räusperte sich – es bezog sich auf die „Vulgärsprache“. Vielleicht sollte er wirklich mal – na ja, ein Donnerwetter konnte nicht schaden. Später, wenn sie wieder auf See waren. Wenn überhaupt. Das Schwerste stand ja noch bevor.

Hasard musterte den Dicken, der wie ein Buddha in ihrer Mitte saß, allerdings wie ein sehr verunglückter Buddha, mit dem er nur rein äußerlich etwas gemeinsam hatte – die Dicklichkeit. Und wenn die Buddhafiguren stets ein friedvoll lächelndes Gesicht zeigen, das ihre Erhabenheit über das weltliche Jammertal ausdrückt, so war bei dem Dicken nichts davon zu bemerken. Bei ihm war alles nach unten gebogen.

Aus trüben Augen starrte er stumpf vor sich hin. Die Nachtruhe hatte wenig zu seiner Erholung beigetragen. Natürlich war er von dem Donnerschlag des in die Luft geflogenen Pulverturms wach geworden und hatte gedacht, der Himmel wäre auf die Erde gestürzt. Daß er überhaupt noch lebte, erschien ihm wie ein Wunder.

 

Genau in diese Überlegung hinein – als könne er Gedanken lesen – sagte Hasard: „Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden, Cubillo, an einem verdammt dünnen Faden, an einem Fädchen. Sie wissen das, nicht wahr?“

„Ja“, flüsterte der Dicke. Er schielte zu Hasard hoch, der an der Stollenwand lehnte, die Arme über der Brust verschränkt. In den Augen des Dicken flackerte nichts anderes als hündische Angst.

Hasard sagte: „Bevor ich Ihnen einen Vorschlag unterbreite oder anbiete, wie Sie eine Chance zum Überleben haben, möchte ich Sie darüber informieren, daß sich Ihr Oberaufseher Luis Carrero seit etwa Mitte November in unserer Gewalt befindet, daß wir bereits mehrere Transporte zwangsrekrutierter Indios abgefangen und sie befreit haben, daß wir ferner in dieser Nacht den Pulverturm von Potosi gesprengt und auch die Bluthunde des Carrero getötet haben. Im übrigen ist Potosi in dieser Nacht von meinen Truppen umstellt worden. Können Sie mir folgen?“

„Uaah“, ächzte der Dicke. Sein qualliges Gesicht sah so ungenießbar aus wie ein alter Käse, in dem die Maden herumturnen und in den Löchern Kriegen spielen.

Hasard dachte, hoffentlich kippt mir der Kerl nicht aus den Stiefeln. Er sagte scharf: „Haben Sie mich verstanden, Cubillo?“

Der Dicke nickte schwach und flüsterte: „Jawohl, Señor Großadmiral!“

Wie gut, daß er nur zu Hasard schielte. Denn die Kerle grinsten wie Honigkuchenpferde.

„Dann hören Sie jetzt gut zu, Verehrtester“, sagte Hasard mit metallischer Stimme. „Ein paar meiner Generäle und ich werden Sie gegen elf Uhr zur Ratsversammlung in Ihre Residenz begleiten, wo Sie gemäß meinen Instruktionen bestimmte Befehle erteilen werden. Sollten Sie sich weigern, dann reißt das dünne Fädchen, das Sie noch mit dem Leben verbindet. Das ist ein Versprechen. Bleiben Sie jedoch fügsam und sind zur positiven Mitarbeit bereit, dann ist das Ihre Chance, zu überleben. Auch das ist ein Versprechen, und ich gehöre zu jenen Männern, die ihr Versprechen halten.“

Natürlich, der Dicke grapschte nach jedem rettenden Strohhalm, der ihm gereicht wurde. Das Risiko für Hasard bestand in der Ungewißheit, ob diesem Bastard zu trauen war. Männer, die es – wenn auch durch die Gnade ihres Königs – bis zum Gouverneur oder gar Vizekönig gebracht hatten, waren keineswegs als Trottel einzustufen. O nein, sie brauchten für ihr Amt schon eine gehörige Portion an Verstand, diplomatischem Geschick, Durchsetzungsvermögen und Härte. Das waren durchaus positive Eigenschaften, die sich allerdings bei Typen wie Don Ramón de Cubillo oder Don Antonio de Quintanilla, dem Gouverneur von Kuba, noch mit höchst unerfreulichen Anlagen mischten, deren übelste die Gier nach Gold und Silber war.

Kurz, die Frage lautete, ob der Dicke einen harten Kern hatte, aus dem heraus er es fertigbrachte, sie zu überlisten.

Im Moment jedoch schimmerte nichts als Hoffnung in den Augen des Don Ramón.

„Ich tue alles, was Sie anordnen, Señor Großadmiral“, sagte er, und seine Stimme hatte einen festeren Klang als bisher. „Das verspreche ich Ihnen, und ich halte auch meine Versprechen.“

„Das wird sich herausstellen“, sagte Hasard. „Vergessen Sie in keiner Sekunde, daß immer eine Pistole auf Sie gerichtet ist, und meine Generäle und Männer sind Scharfschützen.“

„Von hinten durch die Brust ins Auge – oder umgekehrt: von vorn durchs Auge in die Brust“, sagte Carberry mit seiner dumpfen Stimme.

Der Dicke schaute scheu zu ihm hin. Sicher war dieses Ungetüm der Scharfrichter und Henker dieser fürchterlichen Männer, die unter dem Großkreuz des Ordens der schrägen Isabella segelten. Und Don Ramón begann wieder zu zittern.

„Wenn du jetzt losheulst, kriegst du eine geschmiert!“ drohte Carberry – und grinste freundlich. Das heißt, seine Bartlandschaft verzog sich unregelmäßig, und er zeigte sein tadelloses Gebiß, in dem vorn nur eine einzige Lücke klaffte – Erinnerung an die erste wüste Begegnung mit Philip Hasard Killigrew im Jahre des Herrn 1576.

Hasard hüstelte verhalten und warf seinem Profos einen Blick zu, der besagte, jetzt die Rolle des Wüterichs etwas zu zähmen. Dann instruierte er den Dicken, der ergeben lauschte und sich dabei in einem Schwitzbad befand. Der Schweiß, der über sein teigiges Froschgesicht perlte, zeigte es. Er mußte viel wischen.

Hinterher examinierte ihn Hasard, und da stellte sich heraus, daß der Dicke doch ein recht gutes Gedächtnis hatte.

„Sie können sich auf mich verlassen, Señor Großadmiral“, sagte er tapfer.

Dafür empfing er von Pater Aloysius ein kräftiges Schlückchen vom heiligen Wässerchen des Herrn, das der Mann aus Tirol aus verschiedenen Kräutern gebraut hatte, und auf das der Profos so scharf war. Er meinte zwar, da würden „bei dem Speckfaß“ Perlen vor die Säue geworfen, aber er konnte nicht leugnen, daß der Dicke von dem Wässerchen etwas aufgemöbelt wurde und seiner bevorstehenden „Mission“ durchaus männlich ins Auge blickte – auch wenn er einen Schluckauf hatte.

Etwa zwanzig Minuten vor Beginn der Ratsversammlung brachen Hasard, Jean Ribault, Karl von Hutten und Carberry auf und begleiteten den ehrenwerten Gouverneur zu seiner Residenz. Pater Aloysius und Pater David, beide in ihren Kutten als Dominikaner erkenntlich, flankierten den Dicken, ihn freundlich stützend, um ihm den schweren Gang zu erleichtern. Jedoch hielt sich der Dicke erstaunlich wacker. Zweifellos war dies eine Wirkung des „heiligen Wässerchens“.

Wie am Vortag Hasard und Pater Aloysius, so betrat auch jetzt die Gruppe von Westen her die Stadt und marschierte über die Calle Ayacucho in Richtung der Plaza. Schon die erste Begegnung mit Bürgern verlief günstig, denn der Señor Gouverneur scheuchte sie weg wie lästige Fliegen.

Dennoch sprach es sich wie ein Lauffeuer herum, der Erlauchte kehre aus Miraflores zurück, merkwürdigerweise ohne Sänfte und daher zu Fuß, begleitet von zwei Dominikanern und vier bärtigen Männern. Und recht angegriffen sehe er aus und sei auch recht ungehalten.

Vor der Plaza tauchte eine Streife Stadtgardisten auf und versperrte der Gruppe den Weg. Hasard biß die Zähne zusammen und brachte die Rechte in die Nähe seiner Pistole. Wie würde sich der Dicke verhalten? Das war jetzt die Generalprobe.

Prächtig verhielt sich der Señor Gouverneur, ganz prächtig.

Er ranzte die Stadtgardisten an, gefälligst seinen Weg zur Residenz abzuschirmen und dafür zu sorgen, daß er nicht dauernd mit dummen Fragen belästigt werde.

Das wirkte. Die Stadtgardisten spritzten auseinander und übten sich in Begleitschutz. Sehr schön war das, und sie setzten auch ihre Schlagstöcke ein, um dem Señor Gouverneur zu zeigen, wie ernst sie ihren „Ehrendienst“ für die Sicherheit des Erlauchten nahmen.

„Platz für den Señor Gouverneur!“ brüllten sie. „Weg da, Leute! Fort mit euch!“

Nein, sie ahnten nichts, überhaupt nichts. Hauptsache, der Gouverneur war wieder da, wenn auch zu Fuß und in ungewohnter Begleitung, aber allein die beiden Padres bürgten dafür, daß alles seine Ordnung hatte.

Am Portal der Kathedrale stand Pater Augustin und vergaß den Rosenkranz in den Händen. Nur seine Finger drehten unabhängig von seinen Gedanken an den Kügelchen – indessen nicht zum Abzählen der Gebete, sondern als Ausdruck seiner inneren Erregung.

Mein Gott, dachte er, sie haben das Unmögliche geschafft, diese fremden Männer. Sie haben den Teufel in ihrer Gewalt – als Geisel, wie es der schwarzhaarige, bärtige Riese mit den eisblauen Augen geplant hatte. Es war nicht zu fassen. Und natürlich: sie mußten es gewesen sein, die in der Nacht den Pulverturm gesprengt und auch die widerlichen Bestien getötet hatten.

„Herr, es ist gut, daß du ihnen beigestanden hast“, murmelte Pater Augustin.

Neben Pater Augustin stand der Prior, ein dicklicher Mensch mit einem weißen Haarkranz und rosigen Wangen. Er blickte den Pater indigniert an. „Was sagst du da, Bruder? Wem hat der Herr beigestanden?“

„Den Gerechten“, erwiderte Pater Augustin hintergründig.

„Du sprichst in Rätseln, Bruder“, rügte der Prior.

Er erhielt keine Antwort, denn Pater Augustin eilte zur Plaza, um sich um einen Hund zu kümmern, der gewagt hatte, den Weg des erlauchten Gouverneurs zu kreuzen. Für diese unerhörte Respektlosigkeit war er von einem Stadtgardisten mit einem Fußtritt bestraft worden, der ihn böse getroffen haben mußte, denn er lag schmerzjaulend neben dem Plaza-Brunnen.

Elf Glockenschläge vom Turm der Kathedrale hallten über die Stadt. Die Gruppe betrat über die breiten Treppen die Residenz, an den Türen dienerten Lakaien, ein zickiges Männchen eilte ihnen entgegen, sehr elegant nach letzter spanischer Hofmode gekleidet, sehr bleich und sehr erregt.

Für einen kurzen Moment stoppte die Gruppe.

„Mein Zeremonienmeister“, sagte der Dicke unwillig. Er hatte sich zu Hasard umgedreht.

„Wird heute nicht gebraucht“, entschied Hasard.

Der Dicke nickte, Wandte sich wieder um, schnickte mit den Fingern und befahl: „Verschwinde!“

„Der – der Pulverturm ist heute nacht …“

„Verschwinde!“ schrie der Dicke das Männchen an. „Hinaus, du Schlüssellochgucker!“

Das Männchen zuckte zusammen und entfleuchte. Hasard grinste unwillkürlich. Um durch Schlüssellöcher zu spähen, mußte sich das Männchen schon auf die Zehenspitzen stellen oder auf einen Hocker steigen.

Sie marschierten in einen Prunksaal. Um einen auf Hochglanz polierten länglichen Tisch mit vergoldeter Zierleiste und gedrechselten Beinen, die unten in Tatzen mündeten und oben mit goldenen Löwenköpfen geschmückt waren, saß die ehrenwerte Runde der Stadtväter und Ratsmitglieder: der Bürgermeister mit seinem Gefolge, der Stadtkommandant, der Polizeipräfekt, der Bergwerksdirektor, der Stadtkämmerer, der Vorsteher der Münze und die verschiedenen Ratsherren.

Nun ja, sie saßen da wie ihre eigenen Denkmäler, und es waren sehr dumme Denkmäler, weil sie offene Münder hatten und ihre Augen beängstigend groß geworden waren, noch größer als das Gelbe im Spiegelei.

Was sich indessen bewegte, das waren ihre perückenbestückten Köpfe, die den Weg des Erlauchten zum Gouverneursthron begleiteten, als würden sie an einer Schnur gezogen.

Der Thron, ein Prunkstück spanischer Handwerkskunst, stand an der einen Schmalseite des großen Tisches, auf dem zehn Paare getrost einen Reigen hätten tanzen können, ohne befürchten zu müssen, hinunterzufallen.

Der Dicke sank auf seinen Thron, die beiden Padres traten zurück, ihren Platz nahmen zwei der bärtigen Fremden ein. Der eine war ein schwarzhaariger Riese mit Augen, die wie bläuliches Gletschereis schimmerten, der andere ein schlanker Mann mit breiten Schultern und einem verwegenen Gesicht.

Gelassen zogen sie ihre Pistolen und richteten sie wie von ungefähr auf den Señor Gouverneur.

Ein Ungeheuer von Mann mit einem Rammkinn schmetterte die Tür zum Saal zu, baute sich davor auf und spielte mit einem Entermesser.

Dieses Ungetüm wirbelte jedoch plötzlich herum, riß die Tür mit einem Ruck wieder auf – und herein stolperte das Männchen Zeremonienmeister, den Kopf noch vorgereckt, als klebe er am Schlüsselloch.

„Buh!“ machte das Ungeheuer, knallte die Tür wieder zu und wischte das Männchen von den Füßen. Es sauste über den hübschen Mosaikboden, zwischen den gegrätschten Beinen eines Lakaien hindurch, der nicht wußte, wie ihm geschah, und auf eine Marmorsäule zu, die oben mit der Alabasterbüste Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien bestückt war. Sehr bleich, fast melancholisch schaute Philipp II. in den Saal – zum letztenmal.

Denn das Männchen wickelte sich um die Marmorsäule und riß sie um. Die Säule zerbrach. Philipps Kopf rollte holterdiepolter durch den Saal zu dem Ungeheuer namens Carberry, und der nahm die Gelegenheit wahr, Seine Majestät mit einem kräftigen Fußtritt zu beehren. Aber dessen Nase war schon beim Sturz zu Bruch gegangen. Der Alabasterkopf landete scheppernd im Kamin und gelangte dort zur Ruhe. Ein Feuerchen war noch nicht entzündet worden.

Die Señores saßen steif und stumm und entsetzt.