Seewölfe Paket 23

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Um den Silberabbau überhaupt wieder aufnehmen zu können, brauchte man in Potosi vor allem Arbeitskräfte. Des weiteren brauchte man einen Ersatz für die zerstörten Gerätschaften, und man brauchte auch Soldaten, mehr Soldaten für den Schutz der Stadt und ihrer Mine.

Das alles waren Angelegenheiten, die nur der Vizekönig regeln konnte. Der Bote würde Lima nicht so schnell erreichen. Also würden der Bürgermeister und die Stadträte ziemlich lange auf die Antwort des Vizekönigs warten müssen.

Am Nachmittag dieses Tages kehrten die Soldaten nach Potosi zurück. Der Stadtkommandant hatte bereits auf eigene Faust die Umkehr beschlossen. Er hatte begriffen, daß er auf einen Schwindel hereingefallen war, auf einen frechen, ungeheuerlichen Betrug von nicht zu ermessender Tragweite.

Es existierte keine „Truppe“, von der die Stadt umstellt worden war. Man war auf ein Bubenstück von beispielloser Dreistigkeit hereingefallen – nur elf Männer, darunter zwei Padres, hatten dieses Gaunerstück vollbracht. Eine Blamage sondergleichen.

Als er Potosi wieder betrat, konnte der Stadtkommandant bereits besser abschätzen, welche Auswirkungen der Überfall gehabt hatte. Alles war ausgeplündert worden, die Mine und die Münze gab es praktisch nicht mehr. Als er vom Bürgermeister und vom Polizeipräfekten vernahm, was sich in der Nacht abgespielt hatte, erlitt er einen Wutanfall.

„Schweinerei!“ tobte er. „Diese Hurensöhne! Ich stelle sie alle an die Wand!“

„Sprechen Sie jetzt von den Banditen oder von den Plünderern?“ fragte ihn der Präfekt ironisch.

„Von allen! Diese Bastarde! Ich bringe sie eigenhändig um!“

„Wir konzentrieren uns zunächst auf die Verfolgung der Banditen“, sagte der Bürgermeister. „Das ist vordringlich. Wir senden ihnen dreißig Soldaten nach.“

Der Stadtkommandant beruhigte sich ein wenig.

„Das Problem ist das Pulver“, sagte er. „Wir müssen uns das Zeug überall zusammensuchen, denn der Pulverturm ist ja gesprengt worden.“

„Dann vorwärts“, sagte der Bürgermeister und musterte den Kommandanten dabei aufmerksam. Wenn er zum Provinzgouverneur ernannt wurde, würde er diesen Mann dann in seinem Amt belassen? Oder war es besser, ihn abzusetzen? Schließlich hätte er auch viel eher bemerken können, daß er einem Schwindel aufgesessen war. Mal sehen, dachte der Bürgermeister. „Auf was warten Sie noch, Señor?“ fragte er kühl.

Der Stadtkommandant schickte seine Soldaten los. Sie mußten überall nach Pulver für ihre Waffen suchen. Sie trieben auch gut drei Dutzend volle Hörner und sechs Fäßchen auf, mit denen sie auf die Plaza eilten, wo der Kommandant die Männer auswählte, die die „Strafexpedition“ gegen die Banditen durchführen sollten.

Alvaro Gomez hatte sich längst freiwillig gemeldet.

„Teniente“, sagte der Kommandant jetzt. „Sie werden den Trupp anführen.“

„Danke, Señor Comandante.“

„Denken Sie daran, daß keiner dieser Hunde überleben darf, wenn Sie sie gefunden haben.“

„Ich werde Ihre Befehle ausführen, Señor Comandante.“

„Und Sie werden mir auch den Kopf des Anführers bringen“, sagte der Stadtkommandant voll Haß. „Den Kopf dieses teuflischen schwarzhaarigen Bastards.“

„Darauf können Sie sich verlassen“, entgegnete Gomez. Er hatte sich aber auch geschworen, sich an dem Narbenmonster mit dem Rammkinn zu rächen. Langsam würde er diesen Hund krepieren lassen, und anschließend würde er ihn enthaupten. Er konnte es kaum erwarten, aufzubrechen.

Die dreißig Soldaten waren schnell herausgesucht. Sie wurden mit Musketen und Tromblons, Pistolen und Säbeln bewaffnet. Gomez kontrollierte sie genau, dann meldete er dem Kommandanten, daß sie abmarschbereit wären.

„In Ordnung“, sagte der Kommandant. „Brechen Sie auf, Teniente. Viel Erfolg. Ich erwarte spätestens in vier Tagen Ihre Meldung vom Gelingen der Expedition.“

„Jawohl, Señor. Verlassen Sie sich auf mich“, erwiderte Gomez. Dann trat er an die Spitze des Trupps, ließ wenden und marschierte mit den Soldaten von der Plaza nach Westen aus der Stadt hinaus – vorbei an den frischen Gräbern, in denen man die Toten der Nacht beigesetzt hatte. Zehn Maultiere, die die Ausrüstung trugen, wurden mitgeführt.

Der Stadtkommandant, der Polizeipräfekt und der Bürgermeister waren sich einig: Alvaro Gomez war genau der richtige Mann für das Unternehmen. Er schäumte vor Wut und Haß über die Schmach, vor den Augen der Soldaten verprügelt worden zu sein, er konnte es nicht vergessen. Sein Haß trieb ihn voran. Er würde nicht ruhen, bis er die Banditen gestellt hatte.

Im übrigen war er ehrgeizig und auf Orden und Beförderungen versessen, dieser Gomez. Ein knarscher Typ, bei dem die Soldaten nichts zu lachen hatten.

Er wird es schaffen, dachte der Stadtkommandant. Er malte sich bereits aus, wie der Kopf des Oberbanditen, dieses schwarzhaarigen Bastards, im Triumphzug durch Potosi getragen wurde.

Salimbene, El Moreno und Rubirosa beobachteten von ihrem Versteck aus das Davonziehen des Trupps und grinsten.

„Seht euch diese Narren an“, sagte Salimbene. „Sie ahnen nicht, was ihnen blüht.“

„Was blüht ihnen denn?“ fragte Rubirosa. „Sie sind den Fremden, die da irgendwo durch die Berge ziehen, doch überlegen.“

„Diese Fremden“, sagte Salimbene, „haben bereits bewiesen, wie schlau und gerissen sie sind. Die werden dem Trupp da eine schöne Falle stellen, verlaßt euch drauf.“

„Na dann, zum Wohl“, sagte El Moreno und hob den Weinbecher. „Laßt uns auch darauf einen trinken, Amigos. Ich kann den Soldaten nur wünschen, daß sie sich gegenseitig den Schädel einrennen. Je weniger von ihnen in Potosi sind, desto besser ist es für uns.“

Sie lachten und stießen mit ihren Bechern an. Sie waren bereits ziemlich stark angetrunken. Es würde noch ein langer, feuchter Abend und eine ebensolche Nacht werden.

4.

Don Ramón de Cubillo war sicher, daß er innerhalb der nächsten Stunde sterben mußte. Jagend ging sein Atem, sein Herz hämmerte wie verrückt. Er war naß vor Schweiß, und seine Knie waren weich wie die Götterspeise, die er sich in der Residenz immer gern von seinen Indiosklavinnen hatte zubereiten lassen. Wieder fiel er hin. Er wäre nicht wieder aufgestanden, wenn das Ungeheuer – Carberry – ihn nicht unsanft auf die Beine gestellt hätte.

Es war der Vormittag des 31. Dezember. Hasard und sein Trupp hatten die Cordillera de los Frailes erreicht und legten wieder eine kurze Rast ein. Aufmerksam hielten sie Umschau, aber nirgendwo in der zerklüfteten Felsenlandschaft zeigte sich auch nur der Schatten eines Verfolgers.

„Das bedeutet noch nicht, daß sie nicht hinter uns her sind“, sagte der Seewolf. „Wir halten auch weiterhin die Augen offen.“

Don Ramón legte, von Carberry angetrieben, die letzten Schritte zurück, dann plumpste er wie ein prall gefüllter Mehlsack zu Boden.

„Ich will sterben!“ jammerte er.

„Du willst nicht sterben“, sagte Carberry barsch. „Du weißt ja gar nicht, wie das ist.“

„Wie soll er es auch wissen?“ fragte Matt grinsend. „Er ist ja noch nie gestorben.“

„Wenn ich ihn so betrachte, erscheint es mir, als sei er ein bißchen dünner geworden“, sagte Ribault.

„Dünner ist gut“, sagte Gary Andrews. „Er hat wohl nur ein paar Pfunde abgespeckt.“

„Immerhin.“ Stenmark grinste breit. „Die Kur bekommt ihm gut, er begreift es nur nicht.“

Dan seufzte. „Wie sollte er auch? Der nötige Weitblick fehlt ihm ja. Er hat immer nur in Saus und Braus gelebt und sich von vorn bis hinten bedienen und in seiner Sänfte herumtragen lassen. So was schränkt die allgemeine Betrachtungsweise erheblich ein.“

„Hört mit euren dämlichen Sprüchen auf“, sagte der Profos. „Der Kerl ist für uns ein Klotz am Bein.“

„Ja, aber du kümmerst dich ja wohlwollend um ihn“, sagte Hasard. „Nur weiter so, und wir schaffen unser Tagespensum auch heute.“

„Was sagen diese Männer?“ fragte Don Ramón Pater David, der gerade in seiner Nähe stand. „Sie reden über mich. Sie verhöhnen mich.“

„Du verstehst also ihre Sprache?“ fragte der Gottesmann.

„Nein, kein Wort.“

„Wie kannst du dann wissen, daß sie dich verhöhnen?“

Don Ramón schluchzte vor Erschöpfung und Verzweiflung.

„Ich spüre es – ich weiß es“, stammelte er.

„Das ist das schlechte Gewissen“, sagte Pater David. „Und es sind deine Sünden, die so schwer auf dir lasten. Paß auf, daß sie dich nicht erdrücken.“

Don Ramóns Augen verengten sich, sein Gesicht nahm einen verschlagenen Ausdruck an. „Glaub nur nicht, daß ich dich um die Beichte bitte.“

„Ich würde sie dir auch gar nicht abnehmen“, entgegnete Pater David. „Auch eine Million Vaterunser würden nicht ausreichen, dich zu entlasten. Kein Geistlicher kann dich von dem befreien, was an Schuld auf dir lastet.“

„Was ist denn meine Schuld?“ zischte der Dicke. „Daß ich der Provinzgouverneur von Potosi bin? Ich habe nur meines Amtes gewaltet. Und wer seid ihr, daß ihr euch anmaßt, über mich zu urteilen?“

„Du bist ein Mörder“, sagte Pater David ruhig. „Du hast nicht nur genehmigt, daß die Indios im Cerro Rico zu Tode gequält werden, du hast es befohlen. Du bist ein Massenmörder, Don Ramón de Cubillo.“

„Das Indio-Pack ist von Gott dazu auserwählt, für die spanische Krone zu arbeiten“, sagte Don Ramón leise. „Das weißt du so gut wie ich, Padre.“

„Wo steht das? In der Bibel?“

„Nein. Das sagt unser König.“

„Dieser frömmelnde Halunke“, sagte Pater David erbost. „Aber das Jüngste Gericht wartet auch auf ihn, verlaß dich drauf.“

Don Ramón riß die Augen weit auf. „Was? Du versündigst dich gegen Seine Allerkatholischste Majestät? Das ist – Verrat!“

 

„Nenn es, wie du willst“, sagte der Gottesmann. Er blieb auch weiterhin völlig gelassen. „Aber die Verbrechen, die Spanien mit Genehmigung der Kirche in der Neuen Welt verübt, sind ungeheuerlich. Das alles wird ein böses Ende nehmen. Mord, Ausbeutung, Bestechung – Spaniens Niedergang ist schon jetzt abzusehen. In wenigen Jahren ist Spanien das Armenhaus Europas. Gold und Silber helfen nicht, sie führen zum Ruin.“

„Verräter!“ kreischte Don Ramón, aber er hatte nicht auf Carberry geachtet, der hinter ihm stand. Carberry riß ihn hoch und trat ihm mit Kraft und Wonne in seinen fetten Allerwertesten. Don Ramón stolperte ein Stück vorwärts, ruderte mit den Armen und stürzte jammernd auf seinen durchlauchten Bauch.

„Aufstehen!“ brüllte der Profos. „Auf die Beine, Dicker! Wird’s bald? Marsch! Es geht weiter! Du wirst marschieren, bis dir das Wasser dort kocht, wo du drauf sitzt!“

Don Ramón schaute auf, als Carberry bereits wieder bei ihm war und sich mit in die Seiten gestemmten Fäusten über ihn beugte.

„Nicht mehr treten“, jammerte der Dicke.

„Wirst du marschieren?“

„Ja, ich werde marschieren.“ Aus eigener Kraft rappelte sich der Dicke wieder auf und wankte voran – verfolgt von den Blicken der Männer. Er taumelte an den Maultieren vorbei – und genau in diesem Augenblick ließ Diego eins seiner fürchterlichen Hinterbackensignale los.

Don Ramón stöhnte auf.

„Gemein!“ schluchzte er. „Ihr wollt alle nur, daß ich sterbe!“

Wimmernd watschelte er weiter, gefolgt von Carberry, der Diego zugrinste und sagte: „Na, du Furzesel, was hast du denn auf dem Herzen? Willst du uns vor den Soldaten warnen? Laß die nur kommen, dann werden sie schon sehen, was sie davon haben.“

Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung, die Rast hatte nicht lange gedauert. Tiefer drangen die Männer in die bizarre Felsenregion ein. Noch am frühen Nachmittag gelangten sie auf ein Plateau, an dessen Rand sich Berghöhlen befanden.

„So, hier bleiben wir“, sagte der Seewolf. „Das wird unser Biwak.“

Zu dem Plateau führte nur ein schmaler Bergpfad. Rechter Hand, von Potosi aus gesehen, nördlich also, waren zerklüftete Steilfelsen, die am Pfad aufragten, links ging es steil ab in unauslotbare Tiefen. Von den Steilfelsen aus, in die man aufsteigen konnte, hatte man einen hervorragenden Blick ostwärts. Von dort aus schlängelte sich der Bergpfad heran.

„Da sind zwar Biegungen und Felsnasen dazwischen, aber wir erkennen rechtzeitig genug, ob sich jemand nähert“, sagte Jean Ribault nach einer ersten Inspektion.

„Wer von Potosi nach Arica will oder den umgekehrten Weg einschlägt, kann nur diesen Pfad nehmen“, sagte Hasard.

„Richtig, er führt ja über ein paar Pässe“, sagte Dan. „Er scheint wirklich die einzige Verbindung zwischen den beiden Städten zu sein.“

„Ja.“ Hasard deutete zu den Steilfelsen nördlich des Pfades. „Wir beginnen gleich mit der Arbeit und präparieren die Felsen für den Ernstfall.“

Wenig später stiegen die Männer in den Felsen auf und lockerten unter der Aufsicht des bergkundigen Pater Aloysius Felsbrocken, die sie im geeigneten Moment nur anzustoßen brauchten, damit sie auf den Pfad hinunterstürzten.

Als dieses Werk vollbracht war, verordnete der Seewolf Ruhe und Schlaf. Matt Davies übernahm die erste Wache und konzentrierte sich auf die Beobachtung der östlichen Region. Nach ihm würde Mel Ferrow an der Reihe sein, dann Dan, dann Gary und schließlich Stenmark, so hatte Hasard die vierstündigen Wachschichten eingeteilt.

„Eine Frage habe ich noch“, sagte Jean Ribault lächelnd, als er sich neben Hasard niederließ. „Heute ist doch Silvester. Wie feiern wir eigentlich?“

„Hast du Lust zum Feiern?“

„Na ja, irgendwie müssen wir das neue Jahr ja begrüßen.“

„Dafür sorgt Diego“, brummte der Profos. „Keine Sorge. Und richtig auf die Pauke hauen können wir ja, wenn wir wieder an Bord der ‚Estrella‘ und der ‚San Lorenzo‘ sind.“

„Das finde ich auch“, pflichtete Hasard ihm bei.

Ribault grinste schief. „Ihr könnt einen so richtig in Stimmung bringen“, brummte er. „Dann penne ich doch lieber vom alten ins neue Jahr.“

Sie streckten sich auf ihren Lagern aus und waren wenig später eingeschlafen. Die Strapazen und Entbehrungen der letzten Tage und Wochen wirkten sich jetzt aus.

Auch Don Ramón fiel in einen tiefen Schlaf und schnarchte dünn und säuselnd. Toparca, Chupa und Atitla kauerten nicht weit von ihm entfernt in unmittelbarer Nähe der Maultiere. Sie schliefen nicht richtig, sie schlummerten nur im Hocken vor sich hin. Immer wieder rissen sie die Augen auf und starrten zu dem dicken Mann.

Er war jetzt gefesselt. Er hatte keine Chance, von dem Plateau zu fliehen, aber sie paßten trotzdem auf ihn auf. Gern hätten sie ihm die Kehle durchgeschnitten. Aber sie fügten sich dem Befehl des Mannes, der sie befreit und bestimmt hatte, daß Don Ramón de Cubillo am Leben blieb und den Trupp begleitete.

Am Vormittag des 1. Januar 1595 übernahm Mel Ferrow wieder eine Wache in den Steilfelsen am Pfad zum Plateau. Er war noch nicht lange auf seinem Späherposten, da sichtete er tief unter sich zwei Männer. Er duckte sich und beobachtete sie aufmerksam durch das Spektiv, dann verließ er seinen Posten und alarmierte den Seewolf.

„Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht zwei Aufseher aus Potosi sind“, sagte Mel. „Zwei ganz üble Hunde. Sie reiten auf zwei Maultieren heran und haben noch zwei Reservetiere dabei.“

„Das sind garantiert Boten, die in Arica Alarm schlagen sollen“, sagte Hasard. „Die kaufen wir uns.“

Delon und Ventura, die beiden Aufseher, ritten arglos und nichts ahnend den Pfad hinauf. Sie hatten in der Nacht ebenfalls biwakiert und waren munter und ausgeruht. Ständig mußten sie an die Belohnung denken, die der Polizeipräfekt von Potosi ihnen versprochen hatte. Das waren keine leeren Worte gewesen, der Mann war dafür bekannt, daß er auch hielt, was er versprach.

Hundert Dukaten, fünfzig für jeden! Damit konnte man schon einiges anfangen. Es war keine Riesensumme, aber der Grundstock eines künftigen Vermögens, wenn man richtig damit umzugehen verstand. Delon war von dem Gedanken besessen, ein Bordell zu eröffnen. Das war noch besser als eine Spielhölle. Sicherer Verdienst!

In Arica, so hatte er sich bereits vorgenommen, würde er mit einigen Hafenhuren sprechen, die möglicherweise bereit waren, in seine Dienste zu treten. Ventura würde sich beteiligen, daran gab es keinen Zweifel. Wenn sie ein Dutzend Weiber beschäftigten, die fleißig und willig die Kundschaft bedienten, hatten sie für den Rest ihrer Tage ausgesorgt.

Sie ritten auf das Plateau und sahen sich ein wenig um, aber plötzlich blickten sie in die Mündungen von Musketen und Tromblons. Gestalten tauchten hinter den Felsen und in den Höhlenöffnungen auf.

„Halt!“ sagte eine scharfe Stimme. „Die Hände hoch! Keine Dummheiten!“

„Die Bastarde“, sagte Delon und griff zur Pistole.

„Die Hurensöhne!“ Ventura ließ ebenfalls die Hand auf den Griff seiner Waffe fallen.

Hasard und seine Männer traten auf sie zu, alle hatten die Finger am Abzug.

„Noch eine Bewegung, und ihr seid erledigt“, sagte Hasard.

Ventura versuchte es dennoch, die Pistole aus dem Gurt zu reißen. Aber Gary Andrews, der ihm am nächsten war, schnellte auf ihn zu und riß ihn vom Maultier. Das Maultier schnaubte und schlug mit den Vorderhufen auf den Fels. Ventura stürzte zu Boden und auf den Bauch.

Gary drückte ihm das Knie gegen den Rücken, nahm ihm die Pistole ab und untersuchte ihn. Er hielt ihn dabei mit der Waffe in Schach. Ventura unternahm jedoch nicht mehr den geringsten Versuch, Widerstand zu leisten.

Auch Delon gab auf. Er ließ sich entwaffnen und fesseln. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, gegen diese schwerbewaffneten, zu allem entschlossenen Männer aufzubegehren. Sie würden nicht zögern, sie zu töten.

Ventura wurde auch gefesselt. Jean Ribault durchsuchte Delon und förderte das Schreiben zutage, das der Bürgermeister von Potosi an seinen Amtskollegen in Arica gerichtet hatte.

„Sieh mal, was wir da haben!“ rief er Hasard zu. „Wollen wir wetten, daß es kein Liebesbrief ist?“

Hasard sah sich das Schreiben genauer an. „Es trägt das Amtssiegel des Bürgermeisters von Potosi. Na, dann wollen wir doch mal nachschauen, was drinsteht. Achtung, Freunde, ich mache mich jetzt strafbar – vor dem spanischen Recht.“

Er brach das Siegel auf, rollte das Pergament auseinander und begann aufmerksam zu lesen. Carberry und Dan hielten bei den Gefangenen Wache, die inzwischen zu dem dicken Provinzgouverneur geschleppt worden waren, alle anderen traten zum Seewolf und blickten ihn gespannt an.

„Na?“ fragte Karl von Hutten. „Was steht drin? Daß wir alle zum Tode verurteilt sind?“

„Das sowieso“, entgegnete Hasard. „Wir sind Vogelfreie – Galgenstricke, Mörder, Räuber und Banditen. Aber aus den Zeilen hier geht weiter hervor, man solle in Arica so viele Soldaten wie möglich in Bewegung setzen, und auch aus Potosi würden so bald als möglich Soldaten aufbrechen, um die Banditen – uns – zu verfolgen.“

„Na, das ist ja fein“, sagte Ribault und rieb sich die Hände. „Dann haben wir ja bald wieder was zu tun.“

Don Ramón de Cubillo stieß einen Laut aus, der wie eine Mischung aus Zischen und Ächzen klang. Wütend blickte er die beiden gefangenen Aufseher an. „Ihr dämlichen Hunde! Hättet ihr nicht besser aufpassen können?“

„Du hättest auch besser aufpassen können, Dicker“, sagte Delon mit verächtlicher Miene. „Dann wären die Mine und die Münze nicht ausgeplündert worden, und auch der Pulverturm wäre nicht in die Luft geflogen.“

Japsend schnappte Don Ramón Luft. „Wie sprichst du mit mir, du Hurensohn? Ich verbitte mir …“

„Gar nichts“, fiel Ventura ihm ins Wort. „Du hast nämlich nichts mehr zu sagen.“

„Ich werde euch aufhängen lassen!“

„Paß auf, daß dir keiner den Kopf abschneidet“, sagte Delon spöttisch.

„Du bist deines Amtes enthoben, Fettwanst“, sagte Ventura höhnisch.

„Du bist kein Gouverneur mehr“, fügte Delon hinzu.

„Das scheint den Tatsachen zu entsprechen“, sagte der Seewolf. „Hört, was hier steht: ‚Sehr verehrter, hochwohlgeborener und durchlauchter Amtskollege von Arica, was die nun folgenden militärischen Aktionen betrifft, so halte ich es für richtig und angebracht, auf einen Umstand von Bedeutung hinzuweisen. Es ist absolut vordringlich, die fremden Banditen, die sich erdreistet haben, Potosi zu überfallen und somit den König von Spanien zu berauben, zu liquidieren – koste es, was es wolle. Somit ist keinesfalls angebracht, bei der Expedition sonderliche Rücksicht auf Don Ramón de Cubillo zu nehmen. Die Banditen haben ihn zwar als Geisel genommen, doch sie werden ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits umgebracht haben oder umbringen.‘“

„Nun ja“, sagte Karl von Hutten. „Dann hast du ja genau richtig kalkuliert, Sir. Sie rücken uns auf den Pelz, und es nutzt uns herzlich wenig, daß wir den Dicken haben.“ Absichtlich bediente auch er sich der spanischen Sprache, damit Don Ramón jedes Wort hören konnte.

Hasard trat zu Don Ramón. „Señor, haben Sie das vernommen?“

Don Ramón war grau im Gesicht geworden, seine Mundwinkel zuckten heftig. Man hatte den Eindruck, in eine Masse aufgequollenen Hefeteiges zu blicken, in die ein Witzbold menschliche Züge geritzt hatte. Jeden Augenblick drohte der Teig in sich zusammenzufallen.

Noch entsetzter wurde der Dicke, als er vernahm, was die beiden Aufseher zu berichten hatten. Es verging nicht sehr viel Zeit, und Delon und Ventura entschlossen sich tatsächlich, alles zu sagen, was sie wußten.

Hasard nahm keinerlei Rücksicht, er sprach eiskalt und entschlossen mit ihnen.

„Hört zu“, sagte er. „Wir haben hier drei Indios, sie heißen Toparca, Chupa und Atitla. Wenn ihr nicht auspackt und singt wie die Lerchen, überlassen wir euch ihnen. Es gehört nicht sehr viel Phantasie dazu, sich auszumalen, was sie tun werden.“

Die drei Indios hatten sich genähert und zückten in unmißverständlicher Absicht ihre Messer. Karl von Hutten sprach jedoch mit ihnen, und sie hielten sich noch zurück.

Delon benetzte seine trocken werdenden Lippen mit der Zunge.

„Hör mal zu, das kannst du doch nicht tun“, sagte er zu Hasard. „Wir führen nur Befehle aus. Wir halten es weder mit dem Dicken da noch mit dem Präfekten, dem Stadtkommandanten oder dem Bürgermeister.“

 

„Aber ihr habt auch Carreros Befehle ausgeführt“, sagte Hasard.

„Den kennst du?“ fragte Ventura.

„Richtig. Er ist ebenfalls mein Gefangener.“

„Was? Wo?“ wollte Delon wissen.

„Ich stelle hier die Fragen“, sagte der Seewolf. „Ich warte noch einige Augenblicke, dann beginnt die Prozedur. Mister Andrews!“

„Sir?“ sagte Gary.

„Du zählst bis zehn. Wenn sie sich dann immer noch nicht entschieden haben, geht’s los.“

„Hoffentlich geht’s bald los“, sagte Carberry mit finsterem Gesicht.

Delon und Ventura wußten wie Don Ramón nicht, vor wem sie mehr Angst haben sollten – vor den drei Indios oder vor dem Ungeheuer.

Toparca wandte sich an von Hutten. „Überlaßt uns diese Hundesöhne“, sagte er mit harter Miene. „Nach Carrero waren sie mit die übelsten Sklavenschinder im Bergwerk.“

„Eins“, sagte Gary.

„Ich kann das nicht entscheiden“, sagte Karl von Hutten.

„Zwei.“

„Laß mich mit deinem Häuptling reden“, sagte Toparca. „Er wird es gestatten. Wir werden diesen Teufeln die Zungen herausschneiden und ihnen die Knochen brechen.“

„Drei“, sagte Gary.

„Verdammt, Delon!“ sagte Ventura. „Was haben wir davon, wenn wir schweigen?“

„Du vergißt die Belohnung.“

„Die erhaltet ihr sowieso nicht“, sagte Pater David. „Wer immer sie euch versprochen hat, ihr könnt sie vergessen.“

„Vier!“

„Du kannst machen, was du willst, ich halte das nicht aus“, sagte Ventura zu seinem Kumpan.

„Fünf!“

„Gut“, sagte Delon, dem inzwischen der Schweiß ausgebrochen war. „Was wollt ihr wissen?“ Er schaute die Männer mit flackerndem Blick an.

„Was ist nach unserem Abmarsch in Potosi geschehen?“ fragte Hasard.

Delon berichtete, was sich während der Nacht zugetragen hatte, dann schilderte er, wie die Eingeschlossenen aus dem Stadtgefängnis befreit worden waren. Ventura erzählte, was der Rat beschlossen hatte und wie die Befehle des Präfekten und des Bürgermeisters lauteten.

„Zwei weitere Boten sind nach Lima und nach Sucre in Marsch gesetzt worden“, erklärte er. „Der eine soll den Vizekönig über das Geschehen in Potosi unterrichten. Der andere hat den Auftrag, die Truppe zurückzuholen.“

„Gut, das genügt vorerst“, sagte der Seewolf. Eigentlich hatte er nicht daran gedacht, daß in Potosi geplündert und gemordet werden würde, aber diese Auswirkungen konnten ihm im Prinzip nur recht sein.

Die Männer grinsten.

„Ja, so ist das Leben nun mal“, sagte Ribault. „Es ist zwar bedauerlich, daß wir wegen des Transportproblems die Münze nicht restlos haben ausnehmen können, aber schließlich sind wir ja auch bescheiden.“

„Und wenn sich der Mob bedient hat, dann wird die Krone auch geschädigt“, sagte Pater David.

„Verrat!“ schrie Don Ramón de Cubillo schrill. „Ihr endet alle am Galgen! Ihr werdet gevierteilt!“

Carberry hielt ihm die geballte Rechte direkt vors Gesicht. „Noch ein Wort, Kerl!“ fuhr er ihn an. „Na los!“

Don Ramón schwieg. Ventura und Delon hielten ebenfalls den Mund. Sie waren noch nicht sicher, was mit ihnen geschehen würde. Vielleicht überließ der Schwarzhaarige sie doch den Indios?

„Das Ziel des Unternehmens gegen Potosi ist also voll erreicht worden“, sagte Hasard. „Gut.“ Er blickte auf den Provinzgouverneur hinunter, der wie ein großer Klumpen Elend dahockte. „Ja, und den armen Don Ramón hat man also wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Mit dem Gouverneursamt und den damit verbundenen Pfründen, dem Wohlleben und den erzwungenen Liebesspielen mit hübschen Indiomädchen dürfte es aus sein.“

„Du bist erledigt, Dicker“, sagte Delon zu Don Ramón. „Hast du kapiert?“

„Wen juckt das schon?“ Ventura blickte zu Hasard auf, während er es sagte. „Eine widerliche Made im Speck weniger, ist das nicht gut?“

„Versucht nicht, euch bei uns anzubiedern“, sagte Hasard. „Darauf fallen wir nicht herein. Ihr seid genauso schlimm wie dieser Kerl. Ihr könnt froh sein, wenn wir euch am Leben lassen.“