Seewölfe Paket 23

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5.

Toparca bat darum, mit dem Seewolf sprechen zu dürfen, als dieser in seine Höhle zurückkehrte. Ruhig hörte Hasard sich an, was der Mann ihm zu sagen hatte.

„Wir haben das Recht, diese drei Mörder in Stücke zu schneiden“, sagte der Indio. „Chupa und Atitla warten wie ich darauf, es tun zu können. Warum läßt du nicht zu, daß wir sie zerfetzen und in die nächste Schlucht stürzen, damit der Kondor sie fressen kann?“

„Macht euch nicht die Finger an ihnen schmutzig“, sagte Hasard. Von Hutten war bei ihm und übersetzte. „Es lohnt sich nicht.“

„Weißt du, wie viele von uns diese Hunde getötet haben?“ fragte Toparca.

„Ich kann es mir vorstellen. Andererseits kann ich aber auch keine weiteren Grausamkeiten billigen.“

„Ich beuge mich deinem Befehl“, sagte Toparca.

„Ich werde noch entscheiden, was mit ihnen geschieht“, sagte Hasard. „Ob wir sie mit auf die Schiffe nehmen. Ich weiß es selbst noch nicht. Aber ich informiere dich und deine Stammesbrüder noch darüber, Toparca.“

Toparca zog sich wieder zurück.

„Sicher“, sagte Hasard zu von Hutten und Pater David, der ebenfalls herübergekommen war. „Don Ramón und die beiden Aufseher haben es verdient, zu Tode gequält zu werden. Aber Don Ramón hatte ich versprochen, ihm eine Chance zum Überleben zu geben, wie ihr wißt.“

„Das stimmt“, pflichtete Pater David ihm bei. „Doch es stellt sich die Frage, wie wir weiter mit ihnen verfahren. Willst du sie irgendwo aussetzen?“

„Ich weiß es noch nicht“, erwiderte Hasard.

Es ging inzwischen auf den Nachmittag zu. Daß es nur zu empfehlen war, auch weiterhin auf dem Plateau zu verweilen, war für Hasard logisch und folgerichtig. Erst mußten sie abwarten, ob die Soldaten auftauchten. Sie mußten sie zurückschlagen. Erst dann konnte der Marsch westwärts weitergehen.

Die Zeit verstrich. Bald wurde es dunkel. Stenmark hatte zu dieser Stunde den Späherposten besetzt, und er war es, der im verblassenden Büchsenlicht die Gestalten von Männern entdeckte, die sich über den Pfad dem Plateau näherten. Sofort begab er sich zu Hasard und den anderen, um es zu melden.

„Sie kommen aus Richtung Potosi?“ fragte Hasard.

„Ja“, entgegnete Stenmark. „Es müssen die Soldaten des Stadtkommandanten sein.“

„Wie viele sind es?“

„Fünfzehn mit fünf Maultieren, aber weiter hinten sind noch mehr. Noch mal so viele. Sie halten einen Sicherheitsabstand ein, scheint mir.“

Hasard nickte grimmig. „Schön, wir haben es zwar nicht vorausgesehen, daß sie sich in zwei Gruppen aufteilen, aber irgendwie werden wir auch mit dem zweiten Trupp fertig.“

„Da fällt mir im Moment aber nichts Brauchbares ein“, sagte Ribault.

„Wir gehen folgendermaßen vor“, sagte der Seewolf. „Wir schalten als erstes den Voraustrupp aus. Dadurch wird das Kräfteverhältnis schon mal ausgeglichen.“

„Zwischen ihnen und uns, richtig“, sagte Karl von Hutten. „Aber wie geht es dann weiter?“

„Das ergibt sich mehr oder weniger“, sagte der Profos. „Laßt uns nicht mehr so viel herumquatschen.“

„Die Zeit drängt“, sagte Hasard. „Als erstes kaufen wir uns den Soldaten, der die Maultiere führt.“

„Den übernehme ich“, sagte Pater David.

„Gut. Die anderen – in die Felsen“, sagte Hasard. „Wir werden am Eingang zum Plateau auch eine Brustwehr aus Steinen errichten, sobald die Tiere durch sind.“

„Los geht’s“, sagte Carberry und verließ die Höhle. „Ich suche schon mal ein paar Steine zusammen.“

Kurz darauf hatten sich die Männer auf ihre vorher festgelegten Posten verteilt. Die vorbereiteten Positionen in den Steilfelsen wurden besetzt.

Don Ramón de Cubillo, Delon und Ventura blieben getrennt voneinander in den Höhlen zurück. Sie waren nicht nur gefesselt, von Hutten hatte ihnen auch Knebel in die Münder geschoben, damit sie nicht durch Rufe die ganze Aktion platzen ließen. Dieses Risiko durften Hasard und seine Männer nicht eingehen. Wenn der Führer des Soldatentrupps vorgewarnt wurde, konnte die Situation sehr bedenklich werden.

Pater David begab sich auf den Posten, den er sich selbst ausgesucht hatte, und lauerte am Pfad auf den ersten Soldaten. Sehr lange brauchte er nicht zu warten, schon näherten sich die Schritte, und auch das Hufgeräusch und das Schnauben der Maultiere war deutlich zu vernehmen.

Hernan Tores hieß der Soldat, der die Maultiere führte. Er schnitt eine mürrische Miene und verfluchte innerlich den Teniente Gomez, weil dieser ihnen unterwegs kaum eine Ruhepause gegönnt hatte. Müde und ausgelaugt waren die Soldaten, verbiestert und bereits ziemlich entnervt, denn die länge Tour durch die Berge war alles andere als ein Spaziergang.

Man wäre eben viel lieber in Potosi geblieben. Nach dem Marsch nach Sucre hätten die Soldaten sich gern ausgeruht. Statt dessen mußten sie erneut durch die Felsenlandschaft klettern – und das unter dem Befehl des zähen, unnachgiebigen Gomez, der sie schlechter behandelte als der Stadtkommandant.

Die fünf Maultiere trotteten hinter Hernan Tores her und ließen die Köpfe hängen wie er. Steiler wurde der Pfad, er führte zum Plateau hinauf. Tores fragte sich, welchen Sinn es überhaupt hatte, die Banditen noch zu verfolgen. Was geschehen war, war geschehen. Sollten sie zum Teufel gehen, die Hunde. Wenn sie starben, baute sich der Pulverturm auch nicht von selbst wieder auf, und die Geräte der Münze wurden nicht wie durch ein Wunder wieder heil. Also, was sollte das alles überhaupt? Lohnte es sich?

„Nein“, murmelte Tores. „Es lohnt sich nicht.“

Viel zu spät bemerkte er den Mann, der hinter einem Vorsprung auf ihn lauerte und mit der Faust ausholte. Tores war viel zu müde, ihm fielen bereits die Augen zu. Er wandte verblüfft den Kopf und wollte reagieren, aber da hieb Pater David schon zu.

Ein wuchtiger Jagdhieb fällte Hernan Tores. Ohne den geringsten Laut sackte er in sich zusammen.

„Tut mir leid, Amigo“, sagte der Gottesmann. „Aber das muß nun mal sein.“ Er lud sich den Bewußtlosen auf die Schulter und zerrte die Maultiere an ihren Zügeln hinter sich her. „Kommt, Freunde“, sagte er. „Auch der Herr ritt auf einem Esel in Jerusalem ein. Ihr bestimmt den Lauf der Geschichte.“

Die Maultiere ahnten davon nichts, aber es schien sie auch nicht sonderlich zu kümmern, ob sie nun von einem Soldaten oder einem Mönch geführt wurden. Zufrieden waren sie erst, als sie in einer Höhle verschwanden, in der Diego und seine Artgenossen sie mit Schnauben und dumpfen Lauten begrüßten.

Hinter Pater Davids Rücken setzte unterdessen das Inferno ein. Sein Handeln war für die Männer in den Steilfelsen das Signal gewesen.

„Los!“ drängte Pater Aloysius, der die Aktion leitete – und die Männer lösten die Steinbrocken.

Unten schrien die Soldaten auf, als sie die ersten niederstürzenden Steinbrocken sahen.

„Zurück!“ brüllte einer von ihnen.

Aber es war schon zu spät. Donnernd entlud sich die Lawine von Steinen auf den Pfad – eine Lawine des Todes. Es krachte, dröhnte und rumpelte, und die gellenden Schreie der Männer tönten durch die Dunkelheit.

Teniente Alvaro Gomez, der sich bei dem zweiten Trupp befand, blieb wie vom Donner gerührt stehen.

„Was ist das?“ sagte er fassungslos.

„Steinschlag“, entgegnete der Sargento, der sich unmittelbar hinter ihm befand. „Mein Gott, es hat unseren Vortrupp getroffen.“

Noch wollte Gomez es nicht wahrhaben, aber kurz darauf mußte er es einsehen: Die Lawine hatte den ganzen Voraustrupp in die Tiefe gerissen.

Kaum waren die Brocken gelöst, nahmen Hasards Männer mit Musketen das Feuer auf den Nachtrupp auf. Die Waffen krachten, die Kugeln flogen auf die Spanier zu.

„Deckung!“ brüllte Gomez im Knallen der Schüsse und Aufblitzen der Mündungsfeuer. Er warf sich hin und entging einer Kugel. Sie schlug neben dem Platz, an dem er eben noch gestanden hatte, gegen den Felsen und verlor sich als jaulender Querschläger in der Dunkelheit.

Ein Soldat, der sich vor Gomez befand, hatte Pech. Gurgelnd brach er zusammen und stürzte von dem Pfad in die Tiefe. Die anderen rissen ihre Musketen und Tromblons hoch und feuerten zurück. Gleichzeitig zogen sie sich zurück und duckten sich. Gomez streckte seine Muskete vor und zielte auf einen der Mündungsblitze, dann drückte er ab. Hinter ihm sank wieder ein Soldat getroffen in die Knie. Er versuchte, sich auf dem Pfad zu halten, verlor aber das Gleichgewicht und verschwand mit einem gellenden Schrei.

Gomez’ Kugel sirrte haarscharf an Dan O’Flynn vorbei, der zu den Schützen in den Steilfelsen gehörte. Mit einem Fluch zog er den Kopf ein. Links neben ihm war Carberry, der noch seine Muskete abfeuerte. Rechts kauerte hinter einem Vorsprung Pater Aloysius, der gerade seine Waffe nachlud. Im Dunkeln war das nicht einfach, aber er hantierte schnell und geschickt.

Dan beobachtete ihn dabei aus den Augenwinkeln. Dieser Gottesmann, der aus einem Land namens Tirol stammte, sorgte immer wieder für neue Überraschungen. Keiner hatte gewußt, daß er derart gut mit Schußwaffen umzugehen verstand.

„So“, sagte der Profos. „Einen von den Hunden habe ich noch erwischt.“ Er duckte sich, aber unten krachten keine Schüsse mehr.

Dan riskierte einen Blick.

„Die Dons ziehen sich hinter eine Biegung zurück“, sagte er.

„Drei Verluste“, sagte Pater Aloysius. „Jetzt hat der Anführer noch zwölf Soldaten.“

„Was wird er tun?“ fragte Karl von Hutten.

„Das weiß er selber nicht“, entgegnete Jean Ribault mit gedämpfter Stimme. „Ich glaube aber nicht, daß er so schnell aufgibt.“

Sie verzichteten darauf, noch weitere Schüsse abzugeben. Sie hätten nur Munition vergeudet. Abwartend kauerten sie in den Felsen und warteten weitere Befehle Hasards ab.

 

Totenstille trat ein, nichts schien sich mehr zu regen. Auch Hasard und seine vier Helfer Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark und Mel Ferrow verhielten sich ruhig. Sie hatten am Zugang zum Plateau eine Brustwehr aus Steinen errichtet. Lücken, die als Schießscharten dienten, hatten sie dabei wohlweislich gelassen. Zu fünft hielten sie Wache, mit schußbereiten Musketen und Blunderbusses.

Pater David hatte inzwischen den bewußtlosen Soldaten gefesselt und geknebelt. Er vergewisserte sich, daß sich die fünf Maultiere ruhig verhielten, dann ging er zu Hasard und den vier anderen Männern hinüber und betrachtete die Brustwehr.

„Ein gutes Stück Arbeit“, sagte er leise. „Ich möchte wirklich wissen, was die Soldaten jetzt noch unternehmen wollen.“

„Der Pfad ist zur Zeit mit Felsbrocken blockiert“, sagte der Seewolf. „Es dürfte einige Zeit dauern, bis sie die weggeräumt haben. Außerdem ist es jetzt dunkel.“

„Da kann man leicht danebentreten oder ausrutschen“, sagte Pater David mit nachdenklicher Miene. „Der Pfad ist schmal. Und sollten sie es trotzdem schaffen, dann haben sie hier eine weitere Barriere vor sich, die sie kaum nehmen werden.“

„Mit anderen Worten, wir haben bereits gewonnen?“ Stenmark schüttelte den Kopf. „Da würde ich nicht so sicher sein.“

„Wir warten ab, was sich tut“, sagte Hasard. „Eine andere Wahl haben wir ohnehin nicht.“

Noch wußten sie nicht, daß es der Teniente Alvaro Gomez war, der den Trupp Soldaten anführte, ausgerechnet jener Mann, der von Carberry öffentlich niedergeschlagen und gedemütigt worden war. Aber bald sollten sie es erfahren.

6.

Alvaro Gomez hatte sich mit dem Rücken gegen die Felswand gelehnt. Er atmete heftig und unregelmäßig und mußte sich bezwingen, um nicht vor Wut und Haß laut loszuschreien. Es kochte in ihm, seine Hände waren zu Fäusten geballt.

Langsam wandte er sich zu dem Sargento um.

„Ist jemand verletzt?“ fragte er.

„Nein, Señor Teniente. Alle wohlauf.“

„Außer dem Vortrupp haben wir drei Verluste, richtig?“

„Ja, das ist richtig.“

„Hölle und Teufel“, sagte Gomez. „Es war gut und richtig gewesen, die Vorhut zu schicken. Aber wir hätten sie kleiner halten sollen.“ Diesen Fehler gestand er gern ein. Daß das Scheitern des Trupps jedoch nicht seine Schuld war, stellte er aber auch sofort klar. „Dieser Idiot ganz vorn bei den fünf Maultieren – warum hat er nicht aufgepaßt?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte der Sargento. Er konnte es sich zwar vorstellen: Übermüdung. Doch das wagte er laut nicht zu äußern.

„Wer ist es?“

„Der Soldat Hernan Tores, Señor.“

„Wenn er noch am Leben ist, wird er dafür büßen“, sagte Gomez wütend. „Er hat uns nicht alarmiert. Er hat geschlafen, der verfluchte Bastard.“

„Sie haben ihn überrumpelt“, sagte ein alter Soldat. „So muß es gewesen sein. Anders kann ich es mir nicht vorstellen.“

Gomez überlegte, was er tun sollte. Rückzug? Auf gar keinen Fall, dachte er. Er gab nicht auf. Es mußte eine Möglichkeit geben, die Hundesöhne doch noch zu packen und zu überwältigen.

„Welche Möglichkeiten haben wir, diesen Bastarden in den Rücken zu fallen?“ fragte er.

„Keine, Señor“, entgegnete der alte Soldat, der sich am besten von allen in dieser Bergregion auskannte. „Es gibt nur den einen Pfad, ein anderer existiert nicht.“

„Wir müssen den Spieß umdrehen“, sagte Gomez. „Noch können wir es schaffen.“

„Das dürfte außerordentlich schwierig sein“, sagte der alte Soldat.

„Das finde ich auch“, fügte der Sargento hinzu.

Gomez’ Gesicht war eine Grimasse des Hohns und der Verachtung. „Ihr würdet gern kapitulieren, was? Das könnte euch so passen, ihr Feiglinge. Nein! Wir haben den Feind vor uns und werden ihn vernichten. Wir haben immer noch genug Männer, um gegen ihn bestehen zu können. Und noch etwas: Wer meinen Befehlen nicht gehorcht, wird von mir persönlich bestraft.“

„Ja, Señor“, murmelten die Männer, aber sie hätten den Teniente am liebsten umgebracht.

Das Unternehmen hatte bereits zu viele Opfer gefordert. Sie waren nicht bereit, sich von ihm verheizen zu lassen. Sie wußten, daß der Teniente auf eine Beförderung hoffte, wenn er als Sieger nach Potosi zurückkehrte. Aber sie wollten nicht, daß er auf ihre Kosten aufstieg. Alles hatte seine Grenzen.

Es gab keine Alternative. Sie mußten über den Pfad vorrücken, auf Biegen und Brechen. Gomez überlegte hin und her und wägte alle Gegebenheiten ab, dann fällte er seine Entscheidung.

„Wir nutzen die Dunkelheit aus“, sagte er leise zu den Soldaten. „Es ist jetzt so finster, daß sie uns nicht sehen können. Wir warten aber noch Mitternacht ab, erst dann handeln wir. Die Zeit ist unser Verbündeter. Sie werden glauben, daß wir uns zurückgezogen haben. Wenn sie nicht mehr damit rechnen und einpennen, fallen wir über sie her und nehmen ihr Lager im Sturm.“

„Sie glauben im Ernst, daß das gelingt?“ fragte der Sargento verblüfft.

„Habe ich gesagt, daß ich mit Ihnen darüber diskutieren will?“ fragte Gomez drohend.

„Nein, Señor.“

„Also, dann halten Sie Ihren Mund!“

Sie schwiegen. Gomez spürte, daß ihn die Soldaten zum Teufel wünschten, aber das war für ihn das geringste Problem. Sie sollten nur wagen, offen gegen ihn aufzubegehren! Ein Exempel genügte, und die anderen kuschten wieder. Wenn die Kerle aufmüpfig wurden, würde er nicht zögern, einen von ihnen eiskalt niederzuschießen.

Er ließ sich auf dem Pfad nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Felswand. Ruhig Blut, dachte er, und nicht die Nerven verlieren.

Natürlich: Er durfte seine Gefühle nicht offen zeigen. Je disziplinierter er sich verhielt, desto größer war das Vertrauen der Soldaten in ihn. Keine Blöße durfte er sich geben. Seine Härte und Unnachgiebigkeit waren das Vorbild, das er ihnen vorlebte. Daran orientierten sie sich. Er mußte sie energisch zum Ziel führen und die Stellung der Banditen im Handstreich nehmen.

Er blickte zu den Maultieren. Die würden jetzt nicht mehr viel nutzen. Sie konnten sie hier, an diesem Platz, zurücklassen. Das war sogar empfehlenswert, denn leicht konnten die Tiere sie im Dunkeln durch ihr Schnauben verraten.

Die Zeit verstrich schnell, schneller, als Alvaro Gomez gedacht hatte. Bald war Mitternacht – dann ging es los.

Hasard und seine Männer berieten zur selben Zeit an der Steinbrustwehr miteinander. Ribault, von Hutten, Dan und Carberry waren zu ihm herübergekommen, nur Pater Aloysius hielt zur Zeit in den Steilfelsen Wache.

„Wie wäre es mit einem Ausfall?“ fragte der Profos. „Abgehauen sind die Dons noch nicht, da gehe ich jede Wette ein. Sie kauern hinter der Biegung. Es wäre doch fein, wenn wir sie da mal besuchen würden.“

„Wir müßten über die Felsen hinwegklettern, vergiß das nicht“, sagte Hasard. „Das ist mir zu riskant. Warum sollen wir das Risiko eingehen?“

„Ich fürchte bloß, sie hecken wieder was Neues aus“, sagte Carberry.

„Was denn?“ sagte Ribault. „Sie können uns nur über den Pfad erreichen. Entweder räumen sie die Felsen ab, oder sie steigen darüber hinweg.“

„Dann knallen wir sie ab“, sagte Carberry. „Einen nach dem anderen. Ja, das stimmt. Wir brauchen uns von hier gar nicht wegzurühren.“

„Ich hoffe immer noch, daß die Soldaten Vernunft annehmen“, sagte der Seewolf. „Wem dient denn dieses Blutvergießen?“

„Einem gewissen Rübenschwein“, sagte der Profos. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist dieser Teniente dabei, den ich in Potosi ein bißchen herumgestoßen habe. Ich glaube, ich habe seine Stimme vorhin herausgehört. Wenn der den Trupp anführt, kann ich mir gut vorstellen, daß er so rasch nicht aufgibt.“

„Laßt ihn kommen“, sagte Dan. „Wir bereiten ihm einen gebührenden Empfang.“

„Sie lassen noch einige Zeit vergehen“, sagte Hasard. „Um uns zu verunsichern, aber auch, um frische Energien zu sammeln. Wahrscheinlich greifen sie erst nach Mitternacht an.“

Tatsächlich ließ Alvaro Gomez die Mitternachtsstunde noch halb verstreichen, erst dann gab er das Zeichen zum Aufbruch. Die Soldaten erhoben sich von ihren provisorischen Lagerplätzen und schlichen den Pfad entlang. Gomez führte sie und hielt, bevor sie die Felsbrocken erreichten, nach einer Einstiegsmöglichkeit in die Steilwand Ausschau.

Es gab einen Durchschlupf, sehr eng zwar, aber schlanke Männer konnten sich hindurchzwängen. Gomez blieb stehen und drehte sich grinsend um. Er gab zwei Soldaten das Zeichen, in die Stellfelsen einzusteigen. Ihre Aufgabe war klar, sie hatten vorher alles genau abgesprochen. Die beiden sollten auskundschaften, wo sich der Lagerplatz des Feindes befand.

Die beiden Männer kletterten nach oben und gelangten an eine Felsennadel, von der aus sie im weißlichen Mondlicht zumindest einen Teil des Plateaus überblickten. Sie sahen aber auch die Brustwehr, die am Zugang zum Plateau errichtet worden war. Gerade wollten sie wieder absteigen und den Teniente informieren, da geschah es.

Dan hatte die im Mondlicht aufschimmernden Helme und Brustpanzer der Soldaten sofort entdeckt. Jetzt hob er die Muskete und zielte auf den linken Soldaten. Hasard hatte den anderen im Visier. Sie drückten gleichzeitig ab. Die Musketen krachten, und in das Geräusch, das von den Bergwänden widerhallte, mischten sich die Schreie der Getroffenen.

Hasard und Dan nahmen die schmauchenden Büchsen herunter.

„Alle Achtung“, sagte Carberry. „Besser hätte ich das auch nicht gekonnt.“

Sie verfolgten, wie die Gestalten der beiden Soldaten von der Felsnadel verschwanden und in die Tiefe stürzten. Sie waren tot, ehe sie auf den Pfad prallten. Der eine fiel in die Schlucht, der andere rollte dem Teniente vor die Füße.

„Heilige Mutter Gottes“, sagte der Sargento. „Sie haben ihm zwischen die Augen geschossen.“

„Diese Hunde sind mit dem Teufel im Bund“, sagte der alte Soldat. „Sie können in der Dunkelheit sehen wie Luchse.“

Alvaro Gomez war zu betroffen, um etwas sagen zu können. Wie erstarrt stand er da und blickte auf den vor ihm liegenden Toten. War denn alles verhext? Ging es noch mit rechten Dingen zu?

Das Echo der Schüsse war verhallt, wieder trat Ruhe ein. Gomez blickte in die Felsspalte, in der die beiden Soldaten aufgestiegen waren. Sollte er denselben Weg nehmen und mit mehreren Musketen auf die Widersacher feuern? Welchen Erfolg brachte es ihm? Daß er ebenfalls mit durchschossener Stirn abstürzte?

„Teniente“, sagte der Sargento.

Jetzt habe ich nur noch zehn Soldaten, dachte Gomez. Wenn das so weitergeht …

„Teniente“, sagte der Sargento. „Wie lauten Ihre Befehle?“

„Weiter“, sagte Gomez. Er stieg über den Toten und schritt voran, hart an der Felswand, die Muskete schußbereit in den Fäusten. Sollte er sich des Helms entledigen? Nein, der Helm bot ihm Schutz. Und den Brustpanzer, der ebenfalls matt im Mondlicht schimmerte, konnte er auch nicht ablegen. Unmöglich, ein Soldat brauchte seine Montur, er war damit verwachsen.

Noch boten die Felsen Schutz, die auf dem Pfad lagen. Ein riesiger Quader, an die vierzig Yards von der Brustwehr entfernt, blockierte den Pfad völlig. Der Teniente verharrte und spähte vorsichtig darüber hinweg.

Er konnte nichts erkennen, keinen Gegner in der Dunkelheit. Diese Kerle waren wie Gespenster, mal tauchten sie wie ein Spuk auf, und mal verschwanden sie wieder. Sie schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Aber sie waren da, nicht weit entfernt. Hob er den Kopf zu sehr an, schossen sie.

Der Sargento, der alte Soldat und die anderen trafen bei ihm ein.

„Hier geht’s nicht mehr weiter“, sagte der Sargento.

„Der Brocken muß weg“, sagte Gomez.

„Aber auf dem Weg können allenfalls drei Mann nebeneinander stehen“, gab der alte Soldat zu bedenken. „Das wird ein schweres Stück Arbeit. Ich schätze, das schaffen wir kaum.“

Der Teniente sah ihn an, sein Blick war flackernd und unstet. „Der Brocken muß weg, habe ich gesagt!“

Drei Soldaten stemmten sich gegen den Quader. Sie drückten mit den Händen und Schultern dagegen, doch es war, wie der alte Mann prophezeit hatte: Der Block rührte sich nicht vom Fleck. Die anderen Soldaten versuchten mitzuhelfen, aber der Sargento geriet dabei in bedrohliche Nähe des Abgrunds. Fast glitt er aus und kippte hinunter.

 

„Aufhören!“ keuchte er entsetzt, dann wandte er sich an Gomez. „So hat das keinen Sinn, Teniente.“

„Wie denn?“ fragte Gomez. „Wie hat es Sinn?“

„Wir müssen aufgeben“, sagte der alte Soldat.

Gomez’ Gesicht begann sich in eine teuflische Fratze zu verwandeln.

„Man kann über den Brocken hinwegklettern“, sagte er mit seltsam gequetscht klingender Stimme.

„Ja“, sagte der Sargento. „Und wir werden abgeknallt wie auf dem Präsentierteller.“

„Und angenommen, wir rollen den Klotz wirklich in die Tiefe“, sagte der Alte, „dann stehen wir hier ebenfalls im Freien, ungeschützt und zum Sterben bereit.“

„Es sei denn, wir haben noch genügend Zeit, eine Deckung zu finden“, sagte ein anderer Soldat.

„Schlag dir das aus dem Kopf“, brummte der Alte. „Die Kerle sind zu schlau. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, so oder so ist es ein Glücksspiel mit dem Tod.“

Gomez stieß einen heiseren Laut aus. „Jetzt habe ich aber genug! Überklettert den Brocken! Stürmt vor! Das ist ein Befehl! Wir rennen und schießen diese Hurensöhne nieder!“

„Wahnsinn“, sagte der Sargento.

„Wie? Ich habe mich wohl verhört!“

„Das ist Wahnsinn“, sagte der Sargento ruhig und mit fester Stimme. „Ohne Deckungsfeuer ist das, was Sie vorhaben, Selbstmord, Teniente.“

„Über den Felsen hinweg!“ schrie Gomez ihn an.

„Sie können nicht von uns verlangen, daß wir uns freiwillig niederschießen lassen!“ rief der Sargento.

Gomez brüllte: „Das ist Feigheit vorm Feind! Ungehorsam! Sie haben meine Befehle auszuführen!“

Hasard und seine Männer kauerten hinter der Brustwehr und lauschten diesem Dialog.

„Hört euch das an“, sagte Hasard. „Es sieht wirklich so aus, als wolle er sie alle verheizen. Verdammt noch mal, das geht mir gegen den Strich.“

„Wir können sie nicht abknallen wie die Hasen“, sagte Carberry. „Wenn ich diesem Scheiß-Teniente gleich in Potosi den Schädel eingeschlagen hätte, wär’s besser gewesen.“

„Ich glaube, die Soldaten spielen nicht mehr mit“, sagte Stenmark. „Das hört sich verdammt nach Meuterei an.“

„Vorwärts!“ brüllte der Teniente Alvaro Gomez.

Aber es war der alte Soldat, der ihm Paroli bot.

„Señor Teniente!“ rief er höhnisch. „Warum gehen Sie nicht selbst voran und beweisen Ihren Mut? Wir folgen Ihnen gern, vorausgesetzt, es geschieht nichts Bedenkliches!“

Hasard rief zu ihnen hinüber: „Sehr richtig, Señor! Lassen Sie Ihrem Teniente den Vortritt, wir werden uns dann um ihn kümmern!“

„Da haben Sie’s“, sagte der Sargento. „Sie sind nur einen Steinwurf von uns entfernt.“

Alvaro Gomez war außer sich vor Haß. Jetzt verspottete ihn auch der Feind, und seine eigenen Leute fielen ihm in den Rücken. Er war versucht, dem Alten und dem Sargento die Faust ins Gesicht zu schmettern, bezwang sich aber doch im letzten Moment.

„Zum letzten Mal!“ brüllte er. „Vorwärts!“

„Nach Ihnen, Señor Teniente!“ schrie der Alte.

Da zog Gomez die Pistole.