Seewölfe Paket 23

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Hasard hatte sehr aufmerksam zugehört und nickte jetzt.

„Zunächst ziehen wir also ostwärts am Rio de Tacna entlang. Dann steigen wir zum Tacora-Paß auf?“

„Sehr richtig. Da haben wir schon eine Höhe von über viertausend Yards erreicht. Den Pico Tacora lassen wir links, also nördlich, liegen und bewegen uns weiter zwischen dem Sajama-Berg und dem Lago de Chungara auf den Altiplano zu. Dann liegt vor uns die Puna – eine öde, baumlose Ebene zwischen West- und Ostkordillere. Man sagt, daß es dort früher mal zwei ausgedehnte Binnenmeere gegeben habe, von denen heute nur noch der Titicacasee und der Poopósee übriggeblieben sind.“

„Merkwürdige Namen“, sagte Stenmark. „Wenn das der Profos hört, dann grinst er wieder bis über beide Ohren.“

„Die Namen stammen aus der Inka-Zeit“, sagte Aloysius lächelnd. „Sie klingen nur für unsere Ohren ungewohnt. Aber euer Profos wird ganz sicher bald eine Verballhornisierung dafür finden.“

„Was für ’n Ding?“ fragte Matt Davies.

„Eine Art Verschlimmbesserung“, sagte der Padre. „Das ist abgeleitet von dem Lübecker Buchdrucker Johan Balhorn, dem man das wohl zu Unrecht unterschoben hat.“

Dieser Padre mit dem kühnen Piratengesicht weiß gut Bescheid und kennt sich in allen Dingen aus, dachte Hasard. Er würde sie sicher durch die tückische Bergwelt der Kordilleren führen.

Er und der Seewolf besprachen noch ein paar weitere Einzelheiten.

„Den Altiplano werden wir in südöstlicher Richtung mit Zielpunkt südliche Spitze Poopósee überqueren“, sagte der Padre gerade, als der Profos zurückkehrte. Er trug trockene Sachen und hatte die nassen Klamotten als Bündel zusammengeschnürt. Er hörte gerade noch die letzten Worte des Padre, und schon grinste er wieder.

„Wenn der See so aussieht, wie er heißt“, meinte er trocken, „dann hätte man ihn gleich Achtersteven-Teich nennen können.“

„Na, was sagte ich“, meinte Aloysius lachend. „Bruder Edwin hat schon wieder einen Namen gefunden. Bist du schon gesegnet worden, Bruder?“

„Ja“, sagte Ed, „gerade vorhin. Aber viel geholfen hat es nicht. Diego hat mich trotzdem in den Fluß geschubst.“

Die Männer verkniffen sich nur mühsam das Lachen. Selbst Pater Franciscus lächelte nachsichtig.

Dem Abmarsch stand jetzt nichts mehr im Wege. Diego verhielt sich lammfromm und setzte sich gehorsam in Bewegung.

Indios und Padres winkten dem zwölf Mann starken Trupp noch lange nach, bis sie sie aus den Augen verloren.

Der Aufstieg in die Berge begann.

2.

Von Tacna bis zum Tacora-Paß war die Strecke etwa vierzig Meilen lang – vorausgesetzt, sie hätten geradeaus marschieren können. Aber auf diesem Weg mußte ein gewaltiger Höhenunterschied bewältigt werden, der etwa dreitausendsiebenhundert Yards betrug.

Die Mulis trotteten dahin. Anfangs unterhielten sich die Männer noch miteinander, doch je höher sie aufstiegen, desto schweigsamer wurden sie. Nur hin und wieder wurden noch ein paar Worte gewechselt.

Auch das Klima hatte es in sich. Schien die Sonne, dann brannte sie heiß vom Himmel, daß ihnen der Schweiß über die Gesichter lief. Verschwand die Sonne, wurde es fast übergangslos eiskalt.

Die Berge wuchsen immer höher in den Himmel. Es sah so aus, als würden sie ins Unermeßliche wachsen. Um sie herum wurde die Stille fast greifbar. Da war nur das leise Scharren der Hufe und das Atmen der Männer zu hören.

Carberry beobachtete die anderen Mulis. Die Tiere hatten die Köpfe gesenkt und trabten dahin. Diego schien es überhaupt nicht zu belasten, daß die Wege immer steiler wurden. Vollgepackt und beladen trottete er mit nickendem Schädel weiter, nur hin und wieder bleckte er sein Gesicht, um „dämlich zu grinsen“.

Der erste Tag ließ sich noch ganz gut an, auch der nächste verging ohne nennenswerte Ereignisse, obwohl die Luft spürbar dünner wurde.

Am übernächsten Tag, es war der dreißigste November, sah Pater Aloysius die Männer unauffällig an, musterte sie aber trotzdem sehr genau, denn er hatte längst bemerkt, daß einige Mühe hatten.

Jean Ribault, der Franzose, war es, bei dem es zuerst begann.

Er atmete heftiger und schnappte gierig nach Luft. Vor seinen Augen begann die Bergwelt zu flimmern. Er fühlte sein Herz überlaut und schnell in der Brust schlagen. Dazu plagte ihn ein ständiger Kopfschmerz, und er hatte jeden Augenblick das Gefühl, als würde er stürzen.

Sie waren jetzt fast zweitausendachthundert Yards hoch. Jetzt setzte zum ersten Mal die berüchtigte „Soroche“ ein. Pater Aloysius kannte diese Erscheinungen, die bei Ribault begannen.

Der Franzose begann von einer Seite zur anderen zu taumeln. Ständig verschwamm vor seinen Blicken alles. Sein Herz klopfte noch rasender. Er griff nach dem Zügel des Maultieres, griff aber daran vorbei, weil er es nur undeutlich sah.

„Halt!“ rief Aloysius. „Der ganze Trupp halt!“

Männer und Mulis blieben stehen.

„Es hat Ribault erwischt“, sagte Karl von Hutten zu Hasard. „Offenbar ist ihm schlecht geworden.“

Mel Ferrow, Fred Finley und der Profos waren schon bei ihm, um ihn zu stützen.

„Mir ist verdammt schlecht“, sagte Ribault. „Ich sehe euch alle doppelt und dreifach.“

Aloysius nahm eine Decke, breitete sie auf dem Boden aus und ließ Ribault darauf sitzen.

„Ihr habt lange durchgehalten“, sagte der Padre, „ich hatte schon früher mit der Soroche gerechnet.“

„Aber Jean ist ein harter Kerl“, meinte der Profos, „den wirft doch sonst nichts um.“

„Das hat damit nichts zu tun. Auch die Stärksten sind dieser Erscheinung nicht gewachsen. Man kann sich auch nicht übergangslos an dünnere Luft gewöhnen. Dazu braucht man eine Weile.“

„Vielleicht hilft ein Schnaps dagegen – oder zwei“, sagte der Profos, der gern alles mit Schnaps kurierte und gleich vorbeugend einen zur Brust nehmen wollte.

Doch der Padre schüttelte den Kopf! „Nein, der hilft nicht. Wir sind jetzt fast dreitausend Yards hoch, es fehlen nur noch ein paar Yards. Und in dieser Höhe reicht der Sauerstoff nicht mehr zur Versorgung des Körpers aus. Da fehlt der Druck. Und das macht sich eben in Mattigkeit, Schwindelgefühl, Herzklopfen und Übelkeit bemerkbar.“

„Wie können wir ihm denn helfen, Padre?“ fragte der Seewolf.

„Nur die Zeit kann ihm helfen – und den anderen auch. Ich schlage vor, wir errichten weiter oben ein Biwak. Dort ist ein kleines Plateau, auf das dieser Bergpfad mündet. Wenn wir da ein oder zwei Tage bleiben, habt ihr euch alle besser eingewöhnt, und unserem Bruder Ribault wird es wieder besser gehen.“

„Der Körper stellt sich also um?“ fragte Dan O’Flynn.

„Ja, er stellt sich um und gewöhnt sich daran. Ich litt auch mal unter dieser Bergkrankheit, als ich zu rasch in große Höhen aufstieg. Aber seither habe ich keine Probleme mehr.“

„Einverstanden“, sagte Hasard, „dann biwakieren wir auf diesem Plateau. Für die anderen wird es wohl auch besser sein.“

„Ganz sicher. Es ist nicht mehr weit bis dorthin. Wir werden unseren Bruder stützen, damit er nicht taumelt oder fällt. Wie geht es dir jetzt?“ erkundigte er sich.

„Ich – ich hätte das nicht geglaubt“, sagte Jean. „Mir ist, als sei ich geistig weggetreten. Aber mir ist immer noch übel.“

Nach jedem noch so kleinen Satz mußte er eine Pause einlegen, weil ihm das Sprechen schwerfiel und er wieder an Kurzatmigkeit litt. Vor seinen Augen drehte sich immer noch alles.

„Das wird sich bald ändern.“

„Wie sieht es bei den anderen aus?“ fragte Hasard.

Pater David verspürte überhaupt nichts, auch der Profos, von Hutten und Dan O’Flynn nicht. Aber Stenmark und Gary Andrews hatten einen leichten Druck im Schädel, ein wenig Kopfschmerzen, wie sie sagten.

Sie warteten noch eine Viertelstunde. Dann wurde Ribault von Finley und Mel Ferrow gestützt, und es ging weiter – dem Plateau entgegen, wo sie eine längere Rast einlegen wollten.

Der Bergpfad wurde schmaler. Sie mußten jetzt hintereinander gehen. Ringsum ragten die Felsen steil auf. Sie waren mit moosartigem Überzug bedeckt. Auf manchen fristeten Flechten oder kleine Krüppelpflanzen ihr kärgliches Dasein.

Ein scharfer Wind blies ihnen in die Gesichter. Das Lüftchen wehte so ganz anders als in der Karibik, wie sie es gewohnt waren. Aber dafür knallte ihnen die Sonne heiß in die Gesichter.

Die Landschaft um sie herum wurde immer urwüchsiger und gewaltiger. Die Bergwelt begann zu „drücken“, wie Stenmark sagte.

„Ja, das erscheint anfangs so“, gab der Padre zu, „aber auch das ändert sich bald. Diese Region ist noch relativ harmlos. In den Punas wird es dann etwas ungemütlicher.“

Aus der Terra caliente waren sie über die Yungas aufgestiegen und befanden sich jetzt schon oberhalb der Tierra templada. Aber ein sehr weiter Weg lag noch vor ihnen.

Etwas später erreichten sie das Plateau.

Über der einsamen Bergwelt kreiste in großer Höhe ein Kondor, der Herrscher der Lüfte, der ruhig und ohne Flügelschlagen seine Kreise am Himmel zog.

„Den juckt das Klima nicht“, sagte Ed, „und beim Aufstieg hat er auch keine Mühe. Flattert einfach los und hebt ab. Der ist direkt zu beneiden.“

Auf dem Plateau ragten zwei Felswände wie große Nasen hervor. Pater Aloysius deutete auf die Stelle.

„Dort werden wir die Zelte aufschlagen, der Platz ist einigermaßen geschützt. Wenn ihr den Mulis die Lasten abnehmt, vergeßt nicht, die Tiere in die groben Decken zu hüllen.“

Das Abladen begann augenblicklich. Diego grinste wieder so dämlich, als der Profos ihn von seiner Last befreite.

 

„Fang mir hier oben ja keinen Ärger an, du Trompeter“, mahnte der Profos. „Hier hört nämlich der Spaß auf, wenn man in einer Schlucht landet.“

Diego nickte, als hätte er jedes Wort verstanden. Der Profos wurde das Gefühl nicht los, als sei dieser Halbesel irgendwann einmal im Zirkus aufgetreten, denn er benahm sich ganz anders als die anderen Maultiere. Vielleicht hatte ihn sein Vorbesitzer auch abgerichtet, möglich war das ja durchaus.

Auf dem Plateau wuchs polsterartiges Grün, das sich jedoch als ziemlich dürr und trocken erwies. Überall war der Boden mit diesen Büscheln bedeckt. Die genügsamen Mulis fraßen auch das Zeug oder knabberten an Moosen und verkrüppelten Sträuchern herum.

„Die Buckel am Felsboden sind Llareta-Polster“, erläuterte der Padre.

„Es gibt sie auch noch in Massen am Altiplano. Die Polster eignen sich hervorragend zum Feuer entzünden und dienen den Indios als Brennmaterial.“

Während abgeladen und die Zelte aufgeschlagen wurden, ging Hasard zu Jean Ribault hinüber, der auf einer Decke am Felsen saß.

„Geht es besser?“ fragte er mitfühlend.

„Nicht besonders, aber das Schwindelgefühl scheint sich langsam zu bessern. Daß ich einmal unter Höhenkrankheit leide, hätte ich mir nie vorgestellt.“

„Das gibt sich schon bald wieder, Jean.“ Hasard klopfte seinem alten Kampfgefährten aufmunternd auf die Schulter.

Pater Aloysius kramte in einer Kiste und brachte einen irdenen Topf zum Vorschein. Er nahm den Holzdeckel ab und sah hinein. Der Topf war bis obenhin mit grauweißer Salbe gefüllt.

„Hm, das riecht aber fein“, sagte Stenmark naserümpfend, „so nach Affenfett mit Schmierseife.“

„Dann darfst du auch den Anfang machen“, sagte der Pater lächelnd. „Nimm etwas von der Salbe auf die Finger und reibe dir damit das Gesicht ein.“

„Und wozu ist das gut?“ erkundigte sich Stenmark mißtrauisch.

Auch die anderen umstanden den Padre jetzt und hörten zu.

„Das ist eine fettige Salbe, die die Gesichter vor Sonnenverbrennungen schützt.“

Ein paar Männer lachten leise. Matt Davies schüttelte den Kopf.

„Das haben wir doch nicht nötig, Padre. Uns scheint die Sonne jahrelang ins Gesicht. Sie kann uns nichts mehr anhaben.“

„Oh, doch, sie kann und wird. Die Sonnenstrahlen, die aufs Meer fallen, sind nicht mit denen der Berge zu vergleichen. Ich kann euch nicht sagen, weshalb das so ist, aber es ist eine alte Erfahrung.“

„Hört auf den Padre“, riet Hasard, „und motzt nicht herum. Er weiß es mit Sicherheit besser als wir alle zusammen. Oder war einer der Gentlemen schon einmal in derartigen Regionen?“

Das mußten sie alle kleinlaut verneinen. Aber der Pater empfahl keine nutzlosen Sachen. Also gehorchten sie und fetteten sich nacheinander die Gesichter ein. Das Zeug roch auch nur am Anfang so merkwürdig. Nach ein paar Augenblicken spürte man den Geruch nicht mehr.

Pater David und Fred Finley rupften unterdessen etwas von dem polsterartigen Zeug aus und trugen es auf einen Haufen. Darüber wurde Holzkohle gestreut. Später, wenn es kälter wurde, sollte das Feuer entzündet und gleichzeitig das Essen gekocht werden.

Die Sonne wanderte weiter und verschwand kurz darauf hinter einer Felsengruppe. Sie war noch nicht richtig verschwunden, als es fast übergangslos auch schon unangenehm kalt zu werden begann.

Carberry zog fröstelnd die Schultern hoch.

„Verdammt lausig kalt“, sagte er. „Da können wir heilfroh sein, daß unser guter alter Will die pelzgefütterten Segeltuchjacken mit den Kapuzen genäht hat. Auf unseren Will sollten wir einen kleinen Schluck trinken. Oder was tut man in den Bergen gegen die Kälte, Bruder?“ wandte er sich fragend an Aloysius.

„Man trinkt einen“, sagte der Padre trocken, „oder auch zwei. Mehr sollte man jedoch tunlichst vermeiden.“

„Ha, da haben wir doch noch ein Wässerchen vom Kutscher. Wollen doch gleich mal sehen, ob das Zeug noch gut ist.“

„Jetzt einen – und einen, wenn es dunkel wird“, sagte Hasard. „Das wärmt dann noch einmal die Knochen auf.“

Sie tranken einen auf Will Thorne, die gute Seele der Mannschaft, der an alles gedacht hatte. Später wurden zwei Laternen entzündet, die mit ihrem Flackerschein das Plateau gespenstisch erhellten. Es war still und ruhig, bis auf das ständige Heulen des Windes, der unermüdlich um die Felsen strich.

Die Mulis waren dicht zusammengerückt und wärmten sich gegenseitig.

Der Wind wurde eisiger, beißender und noch kälter. Und er orgelte und pfiff jetzt um die Felsen herum.

Nach dem Abendessen gab es kein langes Palaver mehr. Jeder trank noch einen Schnaps und suchte dann eins der beiden Zelte auf.

Die Zeltplanen knatterten wie killende Segel, wenn der Wind böartig in sie hineinfuhr. Den Untergrund auf dem harten Gestein hatten sie mit Decken gepolstert, und mit den Felljacken deckten sie sich zu.

„Richtig gemütlich“, sagte Dan O’Flynn, „wenn es draußen lausig kalt ist und der Wind pfeift.“

Aber er erhielt keine Antwort mehr. Der Marsch hatte sie doch alle sehr mitgenommen. Sie waren solche Höhen nicht gewöhnt. Der einzige, der noch wach war und an dem alles anscheinend spurlos vorübergegangen war, war Pater Aloysius. Um Mitternacht stand er noch einmal auf und sah nach den Mulis.

Bis auf das Orgeln des Windes herrschte eine fast majestätische Stille hier oben. Pater Aloysius sah sich um. Über den fast schwarzen Linien der Berge leuchteten nur wenige Sterne. Die Nacht war kalt und klar.

Zwischen zwei Bergen, tiefer zum Horizont hin, stand als tröstliches Zeichen das helle Kreuz des Südens.

Da es auf eine Stunde mehr oder weniger nicht ankam, ließ Hasard die Männer ausschlafen, damit sie frisch und ausgeruht waren.

Aloysius und Pater David waren schon seit längerer Zeit wach und hatten ein Feuer entzündet.

Die Sonne war gerade aufgegangen, aber noch nicht zu sehen. Dafür leuchteten die Berge in unwahrscheinlichen Farben. Da gleißte es kupferfarben oder grellgelb, da blitzten kleine silbrige Kronen auf, deren strahlender Glanz fast unerträglich für die Augen wurde. Die Bergwelt hüllte sich in ein Kaleidoskop aus prächtigen Farben.

„Herrlich, so ein Sonnenaufgang“, sagte Pater David zu Hasard. „Unserem Freund geht es schon etwas besser. Er behauptet, seinetwegen könnten wir ruhig wieder weiterziehen. Aber Bruder Aloysius hat da noch Bedenken.“

„Dann bleiben wir noch einen weiteren Tag“, sagte Hasard. „Mir ist es lieber, wenn alle Männer frisch, ausgeruht und gesund sind.“

Aloysius hatte wieder dieses rätselhafte schnelle Lächeln drauf, das mitunter jedoch schlagartig aus seinem Gesicht verschwand.

„Darum geht es nicht allein. Wir könnten ernsthafte Schwierigkeiten kriegen, wenn wir den Weg fortsetzen. Kurz nach der Mittagszeit dürfte es in den Bergen ein Höllenspektakel geben.“

Hasard sah den Padre fragend an, denn er begriff nicht, was der mit dem Höllenspektakel meinte.

„Ein Gewitter“, erklärte Aloysius, „ein Berggewitter. Ich fühle das, ich kann es fast riechen. Die Luft ist heute anders.“

Hasard sah in den mattblauen Himmel, blickte auf die umliegenden Berge und sah nichts weiter als eine gigantische lautlose Explosion von Farben, die man nur sehr selten zu sehen bekam. Die Bergwelt schien zu brennen und in hellen Flammen zu stehen.

„Ein Gewitter?“ fragte er ungläubig.

Die ersten Männer waren erwacht und betraten das Plateau. Als sie die höhersteigende Sonne sahen, schwiegen sie beeindruckt. Das Farbenspiel war noch gewaltiger als auf dem Meer. Da glitzerten in weiter Ferne weiße Schneehänge wie Kristall in allen Farben. Wie der Schein funkelnder Diamanten gleißte es herüber.

„Ja, ein Gewitter. Es ist besser, wir bleiben auf dem Plateau, zumindest solange, bis es vorüber ist. Wenn es uns auf den schmalen Wegen bei den Abgründen erwischt, kann es sehr gefährlich werden. Die Mulis keilen dann aus und spielen verrückt. Sie könnten in ihrer Angst Männer vom Pfad reißen.“

Hasard konnte sich bei diesem Sonnenaufgang zwar immer noch kein Gewitter vorstellen, aber Aloysius schien ein Gespür dafür zu haben. Wenn sie auf See waren, konnten sie auch meist vorhersagen, ob der Wind drehen würde, oder ob es Sturm gab. So ähnlich mußte es auch der Padre in den Bergen spüren.

Als die Sonne noch höher stieg und die ersten Strahlen auf das Plateau fielen, wurde es unvermittelt warm. Eine halbe Stunde später war es schon heiß und kaum noch zum Aushalten.

„Das schafft den letzten Ochsen“, sagte Carberry. „Tagsüber diese Bullenhitze wie in der Karibik, und nachts friert einem glatt das Gehirn ein, wenn man nicht aufpaßt.“

„Du mußt eben mehr denken“, sagte Dan, „dann bleibt da drin alles beweglich.“

„Wie soll ich denn denken, wenn ich schlafe, was, wie?“

„Indem du jede halbe Stunde aufstehst und scharf nachdenkst.“

„So ’n Stuß! Das ist genau wie mit dem Gewitter. Wenn es heute mittag ein Gewitter gibt, dann rupfe ich die Berge mitsamt den Wurzeln aus dem Boden.“

„Die haben aber verdammt lange Wurzeln“, meinte Stenmark. „Da wirst du ganz schön rupfen müssen.“

Gegen Mittag wurden die Mulis unruhig. Carberry ging zu seinem Diego hinüber und sah ihn an. Das Tier scharrte unruhig mit den Hufen.

„Na? Heute ist dir wohl dein dämliches Grinsen vergangen?“ fragte der Profos grinsend. Er streckte die Hand aus und kraulte Diego beruhigend den Hals.

Das war auch so eine Sache, über die der Profos und die anderen sich jedes Mal köstlich amüsierten. Wenn der seltsame Zossen am Hals gekrault wurde, dann stieß er laute Schnarchtöne aus, die ganz offensichtlich sein Wohlbehagen ausdrückten. Zog der Profos die Hand weg, dann hörte Diego mit dem Schnarchen auf und stieß Carberry auffordernd mit dem Maul an.

Nochmals eine Stunde später hatte sich das Bild der Bergwelt gewandelt, und zwar erstaunlich schnell. Die Männer sahen sich an und grinsten versteckt, denn es sah ganz so aus, als würde sich Pater Aloysius’ Voraussage bewahrheiten.

Wie aus dem Nichts erschienen dicke, finstere Wolken, die rasch heranzogen und sich zusammenballten. Die Sonne schien noch, jedoch von heller eigenartiger Farbe. Es begann schwül zu werden.

„Dann kannst du ja gleich anfangen und die Berge mitsamt den Wurzeln ausrupfen“, lästerte Matt Davies. „Es sieht tatsächlich nach einem Gewitter aus.“

„Pah, was ist schon ein kleines Gewitter! Wenn es noch ein richtiges Seegewitter wäre, aber hier …“

Der Profos winkte verächtlich ab, als sei das eine Bagatelle.

„Dann kann dein Diego ja mit dem Gewitter um die Wette ballern“, meinte Fred Finley.

Aloysius sagte gar nichts. Er hörte nur zu. Die meisten schienen das auf die leichte Schulter zu nehmen. Nun – sie würden sich sicher noch wundern, wenn es erst einmal krachte.

Die immer dunkler werdenden Wolken zogen so dicht über sie hin, daß man sie fast mit den Händen greifen konnte. Dabei wurde es zusehends dunkler und finsterer.

Die Mulis drängten sich wieder zwischen den Felsnasen zusammen. Alle hatten die Köpfe gesenkt und warteten ergeben.

Dann erfolgte unvermittelt der erste Schlag. Heiß und grell stach es aus den finsteren Wolken. Ein wildzuckender gleißender Blitz, der in den Augen weh tat, verschwand hinter einem Berg. Wie ein glühendes Schwert zuckte er aus dem Himmel. Drei, vier Lidschläge lang blieb es geisterhaft still.

„Sag bloß nicht, mein Vater hockt jetzt wieder auf der Schlangen-Insel und hext“, murmelte Dan, „der …“

Ein so gewaltiges Krachen erfolgte, daß Dans weitere Worte hoffnungslos untergingen. Es klang, als würden die Felsen und Berge rings um sie her bersten und splittern.

Selbst der Profos zuckte zusammen, als hätte ihn ein Hammer getroffen. Aber mit diesem einen gewaltigen Schlag war es noch längst nicht getan. Das Krachen verstärkte sich überlaut in den Bergen und kehrte als vielfältiges Echo von allen Seiten zurück. Es rollte und rumpelte, die Berge zitterten, und die Felsen schienen gefährlich zu wackeln.

Das wilde Rollen war noch nicht verklungen, da hatte der Profos das Gefühl, als fliege in seiner unmittelbaren Nähe ein Pulvermagazin in die Luft. Diesmal duckte er sich schluckend. Geräusche drangen an seine Ohren, als hocke er selbst mitten in dem hochgehenden Pulvermagazin.

Fred Finley und Stenmark flitzten ins Zelt, als ein paar dicke Regentropfen klatschend herabfielen.

Matt Davies deutete auf seinen Haken und brüllte, er müsse ebenfalls im Zelt verschwinden, sonst würde der Blitz in seine eiserne Hakenprothese fahren und ihn rösten.

 

Das war der Auftakt zu einem kleinen Inferno, das der Profos als Bagatelle abgetan hatte. Jetzt wurde er eines Besseren belehrt und zuckte immer wieder verstört zusammen.

Nur diesen Bruder Aloysius, dachte er, den kann nichts erschüttern. Der hockte seelenruhig an der Felswand und zählte die Blitze, die da pausenlos herniederfuhren. Das tosende Krachen schien ihn nicht im geringsten zu stören.

Die Männer erlebten ihr erstes ausgewachsenes Berggewitter, das sie kolossal beeindruckte.

Immer wieder schien sich die Welt in heller Glut zu verzehren. Ein wildes grelles Aufblitzen, dann ein ekelhaft anzuhörendes Zischen, ein Flammenschwert zerhieb die Wolken, und dann gab es ein Spektakel, als fliege alles auseinander.

Was war dagegen eine Breitseite oder ein explodierendes Pulverfaß?

Hier feuerte der Himmel seine Breitseiten ab, und die waren so gewaltig, daß sie alles sprengten, zerfetzten oder zersplitterten, auch wenn es aus gewachsenem Fels war.

Im wilden Aufleuchten eines langen gezackten Blitzes sahen sie, wie ein hoher Felsen gespalten wurde. Das glühende Schwert spaltete ihn in zwei Teile. Die eine Hälfte blieb unbeweglich stehen. Die andere kippte zur Seite, brach ab und polterte als eine pausenlos dröhnende Lawine über Hänge und Plateaus bis in die Schluchten hinunter.

Zu diesem Zeitpunkt waren sie alle im Zelt und sahen dem eindrucksvollen Schauspiel durch einen schmalen Spalt zu.

Hin und wieder klatschten ein paar große Tropfen herab, sonst blieb es trocken.

Der Profos setzte immer wieder zum Sprechen an, doch niemand verstand auch nur ein Wort. Die Umgebung war erfüllt von berstenden Geräuschen, von Explosionen, die immer lauter wurden, und in denen es keine Pause gab.

Das ging länger als eine Stunde so. Dann erst schwächte sich das wilde Tosen allmählich ab. Das Gewitter zog vorüber. Das Rollen in den Bergen blieb noch lange zu hören.

Aloysius sah der gewaltigen finsteren Wolke nach, aus der der Herr im Zorn gesprochen hatte, und lächelte, als der Profos sich ihm näherte.

Carberry wollte gerade sagen, wie sehr ihn das beeindruckt hätte, und daß es doch ein verdammter Unterschied zwischen einem Gewitter auf See oder einem in den Bergen wäre. Der Profos war sichtlich erschüttert und aufgewühlt.

„Zum Glück war es nur ein kleines Gewitterchen“, sagte Aloysius, „nicht einmal der Rede wert.“

„Ja, was ein Glück“, murmelte Ed erschüttert. „Wie steht es denn bei einem großen Gewitter, Bruder?“

„Oh, da muß man sich vorsehen, es kann tagelang dauern, und dann glaubst du, die Welt ginge unter. Ein Seegewitter ist da wohl wesentlich schlimmer, nicht wahr?“

„Jaja – äh – natürlich, wesentlich schlimmer“, stammelte Ed, der immer noch schlecht hören konnte. „Hier ist man ja in den Bergen geschützt“, setzte er schlitzohrig hinzu, „während man sich auf See – äh – sozusagen nicht verstecken kann und den Kräften sinnlos ausgesetzt ist.“

„Sinnlos?“

„Ich – ich meinte hilflos“, murmelte der Profos, der sich sehr anstrengen mußte, um Bruder Aloysius zu verstehen.

„Na, dann geh mal wieder ins Zelt, Bruder Edwin. Das Gewitter kehrt nämlich gleich wieder zurück.“

Völlig perplex starrte Ed den Padre an. Dann sah er der finsteren Wolke nach, aber die zog nicht mehr weiter. Sie war „stehengeblieben“, wie der Profos erstaunt feststellte. Tatsächlich kehrte sie gleich darauf zurück und verteilte sich wieder.

Sehr seltsame Winde scheinen da im Spiel zu sein, überlegte Carberry.

Nach ein paar Minuten ging das Getöse erneut und mit infernalischer Wucht los. Es krachte und donnerte, und die Blitze zuckten jetzt so oft über den Himmel, daß alles taghell erleuchtet wurde.

Ganz in der Nähe schlug es zweimal hintereinander unter ohrenbetäubendem Krachen ein. Die Hammerschläge, die den Blitzen folgten, erschütterten wieder die Felsen.

In den Felsen rollte und tobte es. In pausenloser Reihenfolge schienen Pulverfässer in die Luft zu fliegen.

Erst nach zwei weiteren Stunden verabschiedete sich das Gewitter mit einem Rollen und Donnern das an entfernten Kanonendonner auf See erinnerte.

Als es endlich vorbei war, ging es Jean Ribault erstaunlicherweise viel besser. Seine Kopfschmerzen wären verschwunden, er litt nicht mehr unter Schwindelanfällen und konnte wieder frei atmen.

„Es hat jetzt keinen Zweck mehr, noch aufzubrechen“, sagte Aloysius, „in ein paar Stunden wird es dunkel und kalt. Ich schlage deshalb vor, daß wir heute nacht auf dem Plateau bleiben. Morgen steht uns ohnehin ein beschwerlicher Marsch bevor, denn es geht immer höher hinauf.“

„Ja, wir bleiben hier“, stimmte Hasard zu. „Unnötige Risiken sollten wir nicht eingehen.“

Kurze Zeit darauf erfolgte wieder der überraschende und unangenehme Wechsel von heiß auf kalt. Kaum war die Sonne verschwunden, zog eisige Kälte über das Plateau.

Die Männer beeilten sich, ihre pelzgefütterten Jacken wieder anzuziehen und lobten im stillen ihren Will Thorne. Am Abend tranken sie nochmals ein Schnäpschen auf ihn.

Wenn der alte Segelmacher gewußt hätte, wie oft auf ihn schon getrunken worden war, dann würde er jetzt drei Tage lang total abgefüllt unter der nächsten Bank liegen. So jedenfalls behauptete das der Profos, und der mußte es ja wissen.

Am anderen Morgen – es war der dritte Dezember – setzte sich der Trupp wieder in Marsch. Die Maultiere waren bepackt. Über die Grate und Schroffen der Bergwelt tastete sich das mörderische Sonnenlicht, das ihnen kurz darauf brennend heiß in die Gesichter schien. Trotz der Salbe spannte sich bereits die Haut.

Ohne die fettige Salbe hätten sie jetzt schon die Gesichter von Mumien gehabt, sagte der Pater.

Der Tag verlief ereignislos. Sie kletterten, marschierten, hielten Rast und bewegten sich unermüdlich weiter auf den Tacora-Paß zu, vor dem sie am fünften Dezember standen.

Die Bergwelt hatte sich verändert. In der Ferne waren schneebedeckte Gipfel zu sehen. Die Luft war noch dünner geworden, aber mittlerweile hatten sich die meisten daran gewöhnt. Hin und wieder litt einer unter Kopfschmerzen – normale Anzeichen in den ungewohnten Höhen.

Über viertausend Yards waren sie jetzt hoch, winzige Punkte in einer unwirtlichen Bergwelt, die sich langsam bewegten.

Eine gewaltige Landschaft türmte sich vor ihnen auf. Im dunkelblauen Himmel glühten ostwärts Schneefelder und bläuliche Eiskämme in der grellen Sonne. Die Einsamkeit ringsum war total.

Matt Davies behauptete, man könne die ganze Welt atmen hören. Hier wuchsen noch niedere Sträucher, harte Grasbüschel und hin und wieder ein völlig verkrüppelter und verwitterter Baum. Sehr tief unter ihnen gab es hin und wieder ein Rinnsal oder ein Bächlein, deren Ufer geschützter und nicht den eisigen Winden ausgesetzt waren. Dort wuchs dann etwas spärliches Grün.

Hoch über ihnen, ebenfalls ostwärts, kreiste wieder ein mächtiger Kondor. Einmal sahen sie einen Schwarm hungriger Geier, die nach Raub ausspähten.

Die Luft war glasig und dämpfte die Laute der Schritte oder das Trappeln der Hufe.

Jetzt folgte dem breiteren Geröllweg ein schmaler Bergpfad. Links ragten gigantische Steilfelsen in den Himmel. Rechts ging es senkrecht steil ab in Tiefen, die kaum auszuloten waren. Man mußte schon gute Nerven haben, um an diesem zerklüfteten Abgrund über einen äußerst schmalen Pfad zu marschieren.

Die Männer hatten diese Nerven, sonst hätten sie das Unternehmen Potosi gar nicht erst in Angriff genommen. Sie waren schwindelfrei, wie man das von einem Seemann erwarten durfte, der einen Teil seines Lebens in luftigen Höhen und auf schwankenden Rahen verbrachte.

Dennoch war das hier ein gewaltiger Unterschied, denn ein einziger Fehltritt brachte den sicheren Tod. Wer einmal abrutschte, der konnte sich an den Felswänden nicht mehr halten, der sauste unweigerlich in die furchtbare Tiefe, wo er zerschmettert wurde.

An diesem Tag bewies Diego, daß er auch noch ganz andere Qualitäten hatte, als dämlich in die Welt zu grinsen.