Seewölfe Paket 23

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Sie mußten einer hinter dem anderen auf dem schmalen Pfad gehen.



Vor Edwin Carberry ging Pater David. Er schritt ruhig und gelassen aus und konzentrierte sich auf den schmalen Pfad. Dem Profos folgte Stenmark, die Spitze hielt Pater Aloysius. Der Profos ging rechts von seinem Maultier, was ihm schon einmal einen mißbilligenden Blick des Paters eingebracht hatte, als der sich einmal umdrehte.



Diego benahm sich lammfromm, als wüßte er genau, daß dieser Pfad lebensgefährlich wäre. Er schnaubte nur hin und wieder leise oder schlenkerte seinen Kopf, wie er das oft tat.



Carberry war fast andächtig in den Anblick der himmelstürmenden Bergwelt versunken und blickte auf einen weit voraus liegenden Berggrat, der wie pures Gold im Sonnenlicht funkelte.



Als er den Blick abwandte und sich wieder auf den Pfad konzentrierte, verschwamm für einen Augenblick alles vor seinen Augen. Das gleißende Licht hatte ihn doch etwas geblendet.



Dieser kurze Augenblick genügte, um ihn straucheln zu lassen. Sein Oberkörper drehte sich zur Seite, und dann kippte der Profos ab in die unermeßliche Tiefe. Er war so geschockt, daß er nicht einmal mehr einen Schrei ausstoßen konnte.



In diesem Augenblick wurden aus einem Lidschlag Ewigkeiten. Die Zeit schien still zu stehen.



Noch im Abkippen und im Sturz sah er das fassungslose Gesicht von Stenmark, vernahm einen leisen unterdrückten Schrei und sauste weiter in die Tiefe.



Dem eisenharten Profos gefror das Blut in den Adern. Er sah sich fallen, fallen und immer tiefer fallen, und er glaubte auch schon den Einschlag seines schweren Körpers zu spüren.



Für den Profos, aus dessen eigener Sicht es keine Rettung mehr gab, änderten sich alle Bezugs- und Zeitabläufe. In diesem Augenblick des unausbleiblichen Todes befand er sich in einer anderen Welt. Bilder aus ferner Vergangenheit stiegen vor seinen Augen auf. Sie rasten in einem unwahrscheinlichen Tempo vorbei.



Er sah den alten Carberry in seiner Schmiede am Amboß stehen. Dann befand er sich übergangslos auf der „Golden Hind“ unter Francis Drake. Er sah sich als Profos, wie er Doughty durch das Schwert richten mußte, und er sah, wie dessen abgeschlagener Kopf auf die Kuhl rollte. Rasend schnell zogen die Eindrücke vorbei. England, Weltumsegelung, Karibik, Tortuga – alle Stationen seines Lebens schien er noch einmal zu durchlaufen.



Sein letzter Eindruck war ein Tampen, der offenbar von einer Rah herabbaumelte und sich ganz dicht vor ihm befand.



Wenn er diesen Tampen nicht ergriff, das wußte er mit absoluter Sicherheit, dann würde etwas Schreckliches passieren. Der Tampen war groß und gewaltig und schwang hin und her. Er streckte die Hände aus, aber der Tampen schwang wieder zurück. Es war wie ein fürchterlicher Alptraum. Unendlich langsam kehrte der Tampen wieder zurück, und er griff vorsichtig mit beiden Händen danach.



Für die anderen sah das alles wieder ganz anders aus. Außerdem ging es so blitzschnell, daß keiner es genau sah.



Carberry stürzte, und noch während sein Körper zur Seite fiel, packten seine mächtigen Hände zu. Sie verkrallten sich um die Leine, die dem Maultier Diego von einer Art Sattelhorn hing. Das eine Ende hing frei vom Sattel herunter, während das andere Ende mit dem Auge um das Sattelhorn lag wie um einen Poller.



Die paar Yards Leine gaben nach und rauschten unter dem Gewicht des Profos in die Tiefe. Der Ruck war so hart, daß er das Maultier schlagartig von den Beinen und mit in die Tiefe gerissen hätte.



Aber das schlaue Halbeselchen schien wieder mal etwas zu ahnen – oder es hatte den sechsten Sinn wie der alte O’Flynn. Es reagierte jedenfalls ebenso schnell wie der entsetzte Profos.



Kaum verspürte Diego den Ruck am Seil, da neigte er sich etwas nach hinten und stemmte die Beine fest auf den Pfad. Er zitterte unter dem gewaltigen plötzlichen Ruck, stand aber wie eine Eins und unerschütterlich fest. Nur seine Augen quollen ihm vor Anstrengung etwas aus dem Schädel.



Wie gesagt, das alles lief so rasend schnell ab, daß noch niemand reagierte und alle wie gelähmt in die Tiefe starrten.



Diego schnaufte empört und nickte wieder. Dann glotzte er mit großen Augen in die Tiefe, als wollte er sagen: Paß doch besser auf, du Blödmann!



Carberry riß dieser plötzliche harte Ruck fast die Arme aus den Gelenken. Aber ein Spruch des Profos’ lautete: Was man einmal in den Pranken hält, das läßt man nicht mehr los.



An den Spruch brauchte er sich erst gar nicht zu erinnern. Die Angst, in diesen gähnenden Abgrund zu stürzen, verkrampfte ohnehin seinen Körper, und so hielt er das Seil eisern fest.



Er blickte nach unten und schloß entsetzt die Augen. Jeder Blutstropfen war ihm aus dem Gesicht gewichen. Wenn er da hinuntersah, dann wurde ihm übel, denn er glaubte jeden Augenblick, das Seil würde nachgeben.



Er schwang hin und her und hing wie ein riesiger Köder an der Angelleine.



Der Profos hatte gute Nerven, und die brauchte er jetzt auch. Er öffnete die Augen wieder und starrte an die Felswand, an der er hin und herpendelte. Dann riskierte er einen weiteren schnellen Blick in die grauenhafte Tiefe. Seine Fäuste hatten sich so um das Seil verkrampft, daß sie schneeweiß waren.



Er konnte im Augenblick einfach noch nicht klar denken. Ihn bewog nur eins: Hoffentlich läßt mich der lausige Furztrompeter nicht in die Tiefe sausen. Nein, korrigierte er sich, nicht der lausige Furztrompeter – mein liebes gutes Diegoleinchen.



Hoch über ihm stand das liebe Diegoleinchen immer noch wie eine Eins. Aber es zitterte am ganzen Leib, und seine Flanken bedeckten sich mit Schweiß.



Das war der Zeitpunkt, an dem die anderen reagierten. Sie hätten gar nicht früher reagieren können, denn im Grunde genommen, war so gut wie keine Zeit vergangen. Vielleicht hätten die Augenlider ein paarmal gezuckt, wenn die Augen nicht vor Entsetzen so weit aufgerissen gewesen wären.



Stenmark, der sich dicht hinter Carberry und Diego befand, sprang hinzu, griff nach dem Seil und begann daran zu zerren, um den schweren Profos nach oben zu hieven.



Pater David drehte sich um und packte ebenfalls mit an. Unter ihnen pendelte der Profos immer noch wild hin und her.



Pater David hatte erstaunliche Kräfte, und was der Schwede Stenmark einmal packte, das hielt er ebenfalls fest.



„Halt dich gut fest!“ brüllte Sten über den Abgrund.



Klar, das war überflüssig, aber er mußte sich Luft verschaffen, und prompt erfolgte auch die Antwort des Profos’, der sich jetzt gefangen hatte und wieder Hoffnung schöpfte, als sie an dem Seil zerrten.



„Wenn ihr unbedingt darauf besteht – aber gern!“



Er war eben doch unverwüstlich, obgleich es ihn jetzt fast den Hals gekostet hätte.



Sie hievten ihn nach oben. Als er über der Kante erschien, packte der Pater hart zu und rollte ihn auf den Pfad.



Der Profos hatte zwar schon wieder zu trockenen Worten gefunden, aber er rang noch immer nach Luft und war weiß im Gesicht. Und den Tampen hielt er immer noch mit beiden Fäusten fest, als er längst in Sicherheit war. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich seine gewaltigen Fäuste entkrampften. Gerade als er die Leine losließ, reagierte auch wieder das Maultier.



Die Anstrengung preßte dem Halbesel die Luft aus dem Körper, aber die ging bei Diego offenbar nach achtern raus. Es donnerte laut, als wollte Diego dem geretteten Profos in seiner Rührung einen deftigen Salut schießen.



Diego war erleichtert – in des Wortes doppelter Bedeutung –, und die Männer waren es auch, als Carberry wieder auf den Beinen stand. Diego trompetete wieder und grinste dann. Aber diesmal war das kein „dämliches Grinsen“ wie der Profos ausdrücklich betonte, sondern ein liebevolles.



„Das Kreuz hat also doch geholfen“, sagte Aloysius trocken. „Vor dem Fluß hat es dich nicht bewahrt, aber vor dem Abgrund. Davor hat dein Trompeter dich bewahrt.“



Carberry war tief gerührt, aber er konnte doch hier dem Eselchen nicht vor allen Kerlen um den Hals fallen. Die hätten sonst vielleicht „dämlich gegrinst“.



„Diego liebt mich eben“, verkündete er strahlend. „Ich wußte ja am Fluß schon, daß er Kräfte wie drei Ochsen hat. Da wollte er mir bloß beweisen, wie stark er ist. Ich konnte also ruhig in den Abgrund fallen, solange er da ist.“



„Na, wenn das nicht unbedingt logisch klingt“, meinte Dan O’Flynn, „dann ist nichts mehr logisch.“



Sie alle lobten das Eselchen und klopften ihrem Profos auf das breite Kreuz. Himmel, das war noch einmal gutgegangen. Keiner vermochte sich vorzustellen, was gewesen wäre, wenn … Aber darüber mochten sie nicht einmal sprechen.



Carberry streckte die noch etwas zitternde Hand aus und kraulte Diego wieder die Stelle unter dem Hals, die den „Schnarch-Effekt“ auslöste. Diego begann auch prompt zu grunzen oder zu schnarchen, oder wie immer man das nennen wollte. Jedenfalls hörte es sich sehr merkwürdig an.



„Er schnarcht so ähnlich wie Matt“, erläuterte der Profos, „wenn der in der Koje liegt und einen gezwitschert hat.“ Dann setzte er treuherzig hinzu: „Wenn ich jetzt abgestürzt wäre, hätte Bruder Aloysius des heiligen Vaters Öl wieder zurückschleppen müssen.“



Der so indirekt animierte Pater seufzte ergeben und kramte nach der Kruke mit dem scharfen Kräuterschnaps.



„Du bist wie eine biblische Plage, Bruder“, sagte er, „immer wieder auftretend und durch nichts auszurotten. Hier nimm, und bedanke dich wenigstens für die wundersame Rettung bei deinem Herrn.“



„Glaube mir, Bruder, das habe ich bereits getan, als ich wieder auf dem Pfad lag. Mir fehlten da zwar noch die Worte, aber die Gedanken waren da.“



„Der Herr hört auch die stummen Gebete, Bruder. Hier, nimm noch einen, du weißt ja, daß einer allein nicht hilft.“

 



„Und versprich uns, nicht wieder in den Abgrund zu fallen“, sagte Pater David, „sonst reicht der Schnaps nicht mal bis Potosi.“



„Ich werde mich bemühen – ich meine, nicht wieder in den Abgrund zu stürzen. Zwei Schnäpse ist das sowieso nicht wert.“



„Auf dem linken Ohr höre ich überhaupt nichts“, sagte Aloysius.



Sie alle aber beglückwünschten ihren Profos noch, bevor sie den Weg fortsetzten, auch wenn es bei den zwei Schnäpsen blieb.



„Der findet doch immer einen Weg, um dem Pater einen Schnaps aus dem Kreuz zu leiern“, sagte Matt zu Stenmark, „oder ist ein kleines Witzchen darüber nicht angebracht?“



„Ed hat schwarzen Humor, das kannst du ruhig laut sagen.“



Der Profos hatte das gehört und drehte sich um. Sie sahen ihn grinsen, aber so strahlend, als fühle er sich wie neugeboren. Und genau so ging es ihm auch. Er war so erleichtert wie schon lange nicht mehr in seinem Leben.



Es ging immer höher hinauf. Vor ihnen der ansteigende schmale Pfad, links die himmelhochragenden Felsen, rechts der gähnende Abgrund.



Schon bald stellten sich erneut bei einigen Kopfschmerzen ein. Jean Ribault litt wieder darunter, aber auch Fred Finley und Dan O’Flynn.



Pater Aloysius behielt sie alle scharf im Auge. Solange es bei den Kopfschmerzen blieb, ging es ja noch, wenn sich aber wieder Schwindelgefühle einstellten, konnte es gefährlich werden. Verlor einer das Gleichgewicht, dann stürzte er unweigerlich ab – wie der Profos. Es war nur fraglich, ob er dann auch das Glück hatte, nach einem Tampen greifen zu können.



Aloysius teilte dem Seewolf seine Bedenken mit.



„Ganz wohl fühle ich mich auch nicht“, gab Hasard zu. „Ich verspüre ständig einen leichten Druck im Schädel. Man kann sich wohl doch nur langsam an den Höhenunterschied gewöhnen. Was schlägst du also vor, Padre?“



„Ein erneutes Biwak. Wir erreichen bald wieder ein kleines Plateau, das noch geschützter liegt als das vorherige. Dort werden wir rasten und das Biwak errichten.“



Hasard nickte zustimmend. „Spürst du keine Veränderungen, Padre?“



„Nein, nicht die geringsten. Ich bin es gewohnt, in die Berge zu steigen. Schließlich stamme ich ja aus den Bergen und konnte früh genug damit beginnen.“



Ein wahrhaft erstaunlicher Mann, dachte Hasard. Der war hart wie englische Eiche und schien über unerschöpfliche Kraftreserven zu verfügen. Für ihn war das anscheinend nicht mehr als ein ausgedehnter Spaziergang, während die anderen vor Anstrengung keuchten. Selbst der eisenharte Profos tat sich schwer in diesen Höhen.



Zwei Stunden vergingen, dann erreichten sie das Plateau, luden den Maultieren die Lasten ab und schlugen die beiden Zelte auf.



Greifbar nahe vor ihnen lag der Tacora-Paß, und doch war er noch weit entfernt, denn in der dünnen glasigen Luft ließen sich die Entfernungen nur schwer abschätzen. Auch daran mußte man sich erst gewöhnen. Aber sie sahen ihn vor sich und waren ihrem Ziel wieder ein Stück nähergerückt.



„Wenn wir am achten Dezember morgens aufbrechen, können wir einen Tag später den Paß überschreiten“, sagte der Pater. „Das Bergmassiv, das ihr da drüben liegen seht, ist übrigens der Pico Tacora, der über sechstausend Yards hoch ist.“



Sie blickten in die angegebene nördliche Richtung, wo sich der schneebedeckte riesige Berg einsam und majestätisch erhob.



Pater Aloysius’ Hand wanderte weiter und zeigte auf eine noch höhere Spitze, die alles überragte.



„Das ist der Sajama, ein schneebedeckter Vulkan.“



„Müssen wir etwa dort hinauf?“ fragte Matt Davies entsetzt. „Da friert mir glatt die Hakenprothese ab.“



„Nein, zum Glück nicht. Wir steigen zwar sehr hoch, gehen aber auch wieder ein Stück hinunter, zum Beispiel, wenn wir die Puna erreichen. Unser Weg führt uns zwischen dem Vulkanberg und dem Lago de Chungara hindurch in Richtung auf den Altiplano.“



Immer erdrückender, immer stiller und immer beeindruckender wurde diese Welt der Berge. Es gab nichts als Berge, Pässe, dazwischen Täler, steile Abgründe oder riesige schneebedeckte Flächen.



Dazu pfiff der Wind ein monotones eisiges Lied, eine Melodie der Einsamkeit und des Todes.



Aus Krüppelholz und Llareta-Büscheln wurde an einer geschützten Felsnische ein Feuer entzündet, über das Fred Finley etwas Holzkohle häufte.



Gegen Abend blies der eisige Wind immer heftiger. Er orgelte und toste um die Felsen herum, fuhr über die Zelte und heulte den Männern um die Ohren.



Nachts, als alle schliefen, ging Pater Aloysius noch einmal hinaus und sah in den Himmel. Es riecht nach Schnee, dachte er, aber er konnte sich auch täuschen. Es roch hier oben oft nach Schnee.



Am achten Dezember brachen sie wieder auf und überquerten am nächsten Morgen den Paß. Seit ihrem Aufbruch aus dem lieblichen Tacna-Tal waren bereits zwölf Tage vergangen. Eine lange Zeit in der einsamen Bergwelt.







3.





Die Strapazen steigerten sich. Die Männer wurden bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit geprüft.



Als sie den Tacora-Paß endlich überquert hatten, war es Nachmittag.



Der Himmel war von grauweißer Farbe, der Wind blies so eisig, daß sie die Kapuzen tief in die Gesichter gezogen hatten. Jeder trug unter der Kapuze noch eine Wollmütze. Ihre Hände steckten in den dicken Handschuhen, die sie vom Tacna-Kloster hatten. Die gefütterten Pelzjacken hielten die eisige Kälte ab, und im stillen schickte jeder der Männer einen Gruß an den alten Will Thorne. So eisigkalt und frostig hatten sie sich diese Regionen doch nicht vorgestellt.



Pater Aloysius fand, daß es immer noch nach Schnee roch, nach einem Schneesturm vielleicht, obwohl die hier relativ selten waren. Aber er hatte ein Gespür dafür entwickelt.



Selbst die Männer, die diese Regionen nicht gewöhnt waren, spürten, daß etwas in der Luft lag. Der Himmel hatte sich verändert. Aus dem Grauweiß war eine undefinierbare Farbe geworden, die an kalten Haferbrei erinnerte.



Nicht lange danach tanzten ein paar feine Schneeflocken durch die Luft. Der orgelnde Wind packte sie und trieb sie waagerecht auf den Trupp zu. Es wurden immer mehr Flocken, schließlich betrug die Sicht bestenfalls noch fünfzig, sechzig Yards. Wie scharfe Eiskristalle fegten die Schneeflocken heran.



Genau das hatte Pater Aloysius befürchtet. Wenn es hier einen Schneesturm gab, würde er die umliegende Bergwelt in eine brüllende Hölle verwandeln.



Er überlegte, ob sie zurück aufs Plateau sollten, aber der Weg erschien ihm zu weit. Es war besser, wenn sie sich beeilten, denn weiter vorn gab es ein paar Höhlen in einem Felszug. Außerdem befand sich bei den Höhlen eine Pukara, eine noch ganz gut erhaltene Festungshütte der alten Inka.



Als er diesmal sprach, hörten die Männer den besorgten Unterton deutlich heraus. Der kalte Wind wehte ihm fast die Worte von den Lippen, und er mußte laut brüllen.



„Es wird noch schlimmer werden, Männer! Schneestürme sind hier zwar selten, aber wir haben eben das Pech. Seilt euch jetzt hintereinander an und überprüft die Seilhalterungen, damit keiner verloren geht. Und dann Beeilung! Weiter voraus gibt es ein paar Felshöhlen. Die müssen wir erreichen, bevor die Schneeverwehungen den Pfad total versperren und unpassierbar werden lassen.“



Hasard begann schon mit dem Anseilen. Der Pfad war hier zwar etwas breiter, aber rechts von ihnen befand sich immer noch eine tiefe Schlucht, die jetzt kaum zu sehen war, als der Schnee immer dichter heranfegte.



Wenn das noch stärker wird, überlegte er, dann wird der Pfad schon allein durch die immer höher werdende Schneedecke unpassierbar. Der Pater hatte recht, wenn er jetzt zur Eile antrieb.



Aloysius schob sich an den Männern vorbei, um die Spitze zu übernehmen.



Inzwischen seilten sich auch die anderen jeweils am Vordermann an.



Das Heulen und Tosen wurde stärker. Es jaulte in schrillen Tönen, pfiff und orgelte, daß die Männer fast umgeblasen wurden. Eine Verständigung war nur noch laut schreiend möglich.



Der Schnee fiel jetzt so dicht und wurde so scharf herangeblasen, daß die Sicht nicht mal mehr auf den Vordermann reichte. Schritt um Schritt bewegten sie sich neben den Maultieren vorwärts. Pater Aloysius legte ein Tempo vor, daß selbst den abgebrühtesten Männern angst und bange wurde.



Wirbelnder, eisiger Schnee, scharf wie Millionen spitzer Dolche bohrte sich in die Kleidung, fand seinen Weg durch die kleinsten Schlitze in der Kleidung und drang schmerzhaft in die Haut. Schon bald waren die Augenbrauen weißverkrustet, die Wimpern fast gefroren und die Bärte voller Schnee.



Sie tappten mehr, als sie gingen, blindlings ins Ungewisse, jeden Augenblick daran denkend, daß ein Fehltritt den sicheren Tod bedeuten konnte. Die Schneebrillen konnten sie jetzt nicht aufsetzen, denn sonst sahen sie gar nichts mehr. Stenmark versuchte es einmal, doch er gab es gleich wieder auf, als sich der Schnee darauf festsetzte.



Aus den Kapuzen sahen nur noch schmale Schlitze hervor. Die Augen dahinter waren zu einem winzigen Spalt verkniffen. Trotz der warmen Kleidung begann die Kälte durchzudringen und sich festzusetzen.



Unter ihren Stiefeln knirschte und krachte der Schnee, als würden sie ständig über zersplittertes Glas laufen. Der Wind heulte noch stärker und trieb ihnen Unmengen Schnee entgegen.



Hasard folgte dem Pater wie blind. Es war ihm schleierhaft und unbegreiflich, wie dieser Mann zielstrebig durch die weiße Hölle aus Eis, Schnee und brüllendem Sturm den Weg fand. Zudem zog der Padre wie ein Ackergaul an dem Seil und riß die anderen mit. Hasard gab vor sich selbst zu, daß er längst die Orientierung verloren hatte. Er sah nichts mehr, nicht einmal mehr den Pfad, auf dem die Schneedecke immer höher wurde. Und doch rannte der Mann vor ihm fast. Dabei ging er elastisch, leicht federnd und doch so zielsicher, als liege heller Sonnenschein auf dem Weg und als gäbe es nicht die geringste Sichtbehinderung.



Die Schneedecke wurde höher. Sie wuchs beängstigend schnell. Dazu war der Schnee trocken wie Schießpulver. Sie marschierten durch ein brüllendes, tosendes Inferno und mußten sich nach vorn beugen, um nicht umgeweht zu werden.



Hin und wieder sah Hasard dicht vor sich einen Schatten, der auf und niederschwebte wie ein unwirklicher grauer Schemen. Der Schatten hatte es immer eiliger. Er kannte keine Müdigkeit, keine Erschöpfung. Er zog und zog, als hätte er den ganzen Trupp im Schlepp.



Sie selbst waren gegen diesen bergerfahrenen harten Tiroler Mönch bestenfalls „Flachland-Tiroler“, die das Tempo kaum mithalten konnten.



Der Schatten brüllte etwas, das Hasard nicht verstand. Aber es klang so ähnlich, daß sie es bis zum Abend vermutlich geschafft haben würden, falls sie das Tempo beibehielten.



Bis zum Abend! Schon jetzt war es fast dunkel. Der beißende Höllensturm war wie eine Wand, gegen die sie immer wieder anrannten und die nur mit Mühe und Kraft zu durchdringen war.



Hinter Hasard ging Pater David, der riesenhafte Mann, der selbst den Seewolf und Carberry noch überragte. Auch er hatte zu kämpfen und war schon außer Puste. Dem Profos erging es nicht anders.



Verdammt, dachte er, wenn dieser mistige Pfad wenigstens eben wäre, aber es ging immer noch bergauf, als wollten sie den Himmel stürmen.



Und ein Ende dieser eisigen Tortur war vorerst noch nicht abzusehen. Jetzt konnte man schon die Männer auf der „Estrella de Málaga“ und die der „San Lorenzo“ beneiden. Die hockten geschützt an Bord, tranken kühles Bier und klönten. In diesen Höhen wäre ihnen das Bier sicher schnell gefroren. Hier half ein „Wässerchen“ wesentlich mehr und wirkte wahre Wunder.



Carberry wäre gern einmal stehengeblieben, um an jeden Mann einen wärmenden Schluck zu verteilen. Doch an der Spitze schien ein ausgewachsener Elefant zu traben, der mühelos alles hinter sich herzog und ein Tempo vorlegte, daß einem die Luft wegblieb.



Der Profos fluchte verhalten, doch der fauchende und brüllende Schneesturm riß ihm die Worte von den Lippen. Nicht mal der Hintermann verstand andeutungsweise, daß er fluchte. Die Luft wurde immer knapper, der Wind noch eisiger, und der brüllende Schneesturm nahm noch an Heftigkeit zu.



Zu sehen war nichts mehr, absolut nichts. Nicht mal die eigene Hand sah man mehr vor den Augen. Der peitschende Schnee hüllte alles ein, deckte alles zu, webte ein riesiges Leichentuch über die Berge und Pfade und ließ es vereisen.

 



Da schmerzten die Beine, stachen die Lungen, jagte das Herz, da drohte der Schädel zu zerspringen, und da war die eisige Kälte, die sich immer tiefer in die Knochen fraß. Hinzu kam das heftige Prickeln der Schnee- und Eispartikel, die immer wie nadelspitze Dolche heranfegten und alles durchbohrten.



Diese brüllende und eisige Hölle schien nie mehr ein Ende zu nehmen. Mechanisch setzten sie Fuß vor Fuß und folgten dem jeweiligen Vordermann, mit dem sie durch das Seil verbunden waren. Ohne dieses Seil passierte es, daß ein Mann strauchelte. Sobald es dann einen Ruck gab, stemmten die anderen die Beine fest in den Schnee.



Jeder fragte sich beklommen, ob es diesen fürchterlichen Abgrund neben ihnen noch gab, der jetzt durch das Schneetreiben nicht mehr zu sehen war. Befanden sie sich noch auf dem Pfad, oder war der längst breiter geworden?



Außer Aloysius konnte keiner diese Frage beantworten. Sie folgten ihm blind und mußten sich auf ihn verlassen. Um die Führung beneidete ihn niemand. Die konnte nur ein Mann halten, der diese kalten Regionen der Tierra helada wie seine Hosentasche kannte. Aloysius schien selbst durch dicke Schneewände noch sehen zu können.



Der Profos streckte einmal die Hand nach links aus. Sie stieß an harten Fels. Dann bückte er sich im Gehen und tastete weiter nach rechts hinüber.



Da war nichts, wie er entsetzt feststellte. Also befanden sie sich noch auf diesem lebensgefährlichen Ziegenpfad, den er beinahe für immer verlassen hätte.



Von vorn erklang lautes Brüllen. Aloysius ließ das Seil etwas durchhängen, damit Hasard merkte, daß er anhielt, und er nicht auf ihn aufprallte. Das hätte den ganzen Trupp ins Schleudern gebracht. So blieb einer nach dem anderen stehen.



Der Pater drehte sich um und legte die Hände trichterförmig an die Lippen: „Der Steilpfad ist hier zu Ende! Wir bewegen uns jetzt gleich über ein riesiges Hochplateau! Dort erreichen wir einen Felszug und damit die Höhlen in den Bergen! Bitte weitersagen!“



Hasard brüllte die eben gehörten Worte weiter nach achtern. Der letzte Mann verstand immer noch nichts, und so gingen die Worte wie ein Lauffeuer von Mann zu Mann, bis sie endlich auch den letzten erreichten.



Die zweite Anordnung lautete, daß jeder am Seil bleiben und keiner es lösen sollte, weil das Hochplateau ebenfalls seine ganz besonderen Tücken hätte.



„Mich kann nichts mehr erschüttern!“ brüllte der Profos. „Viel mehr Tücken als dieser Mistpfad kann es auch nicht haben!“



Niemand verstand, was er sagte, aber mehr oder weniger dachten doch alle das gleiche. Sie brauchten nicht mehr so dicht am Abgrund zu gehen, und das war schon eine Erleichterung.



Das Plateau erwies sich jedoch ebenfalls als recht tückisch. Über die gewaltige Hochfläche pfiff der Wind noch stärker. Hier konnte er ungebrochen seine volle Kraft entfalten, und das tat er auch mit einer geradezu bestialischen Wut. Er pfiff, röhrte und orgelte wie auf hoher See, wenn ein wilder Orkan losbrach. Ganze Schneewände trieb ihnen der Wind gegen die erschöpften Körper. Dazu ging es wieder leicht bergan auf einem tückischen Untergrund, der stark vereist war.



Hier mußten sie sich regelrecht vorwärtskämpfen, mit aller Kraft, die sie noch hatten. Sie krochen fast über den Boden, sonst hätte der wildjaulende Sturm sie umgeblasen.



Es mußte jetzt gegen Abend sein, wie sie vermuteten. Zu sehen war immer noch nichts. Sie hatten nicht einmal eine ungefähre Vorstellung von der Fläche, über die sie sich bewegten. Ihre Dimensionen blieben vorerst unbekannt. Sie hatten nur gehört, daß es ein gewaltiges Hochplateau wäre. Aber hier war alles gewaltig, hier war alles Superlativ, gigantisch, unermeßlich hoch oder unauslotbar tief.



Einmal schlug Dan O’Flynn der Länge nach hin. Er rutschte auf der glatten Fläche ein Stück zur Seite, bis ihn die anderen abfingen. Dann glitt Gary Andrews fluchend aus, etwas später erging es dem Seewolf und Ribault ebenso.



Und immer noch pfiff und heulte der Sturm sein nicht endenwollendes eisiges Lied. Mit Urgewalten orgelte er heran, hob die Schneemassen hoch und schleuderte sie ihnen entgegen.



Die eisigen Regionen prüften die Eindringlinge auf Herz und Nieren, und wer ihnen nicht standhielt, den brachten sie gnadenlos um oder warfen ihn in klaffende Abgründe und ließen ihn einfach liegen. Der eisige Schnee wob sein Laken darum.



Man konnte sehr schnell aufgeben in dieser gnadenlosen Bergwelt der eisigen