Seewölfe Paket 23

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Ein wildes heiseres Fauchen erklang. Der Puma bäumte sich auf, fiel auf den Rücken und schlug mit den Pranken um sich. Dann begannen die Pranken wild zu zucken. Die Muskeln erschlafften, das Tier rollte auf die Seite, zuckte noch einmal und lag dann still.

Das Muli erhob sich und rannte wie verrückt in die große Höhle.

„Dort geht es hinein“, sagte Aloysius und zeigte auf den dunklen Eingang der Höhle. „Dort sind wir vorerst in Sicherheit. Den Puma werde ich später aus dem Fell schlagen.“

Die Männer starrten ihn an wie einen Geist. Der Pater schien über nie versiegende Kraftreserven zu verfügen. So ganz nebenbei erledigte er auch noch eine fauchende und hungrige Wildkatze.

„Alle Achtung“, sagte Hasard erschöpft. „So schnell hätte von uns keiner mehr reagiert.“

„Man gewöhnt sich an alles“, erwiderte Aloysius trocken. „Ich konnte doch nicht zulassen, daß er das Maultier niederreißt. Schließlich haben wir ja nur diese acht.“

Vier Höhlen gab es insgesamt, und weiter oben befand sich eine Pukara, direkt an den Hang gebaut. Aber in die ehemalige Festungshütte der Inkas wehte der Schnee. Außerdem war sie teilweise verfallen.

In einer der kleinen Höhlen hatte der Puma gelauert Aloysius verspürte noch jetzt deutlich den Geruch der Raubkatze, als er die Höhle vorsichtig untersuchte und ableuchtete. Es war ja möglich, daß der Puma nicht allein war. Es gab jedoch keine weiteren Raubtiere in den Höhlen.

Die Maultiere wurden „gelöscht“, wie Carberry sagte. Er lud seinem braven Diego die Klamotten ab und packte sie auf den Boden. Die große Höhle war so geräumig, daß im angrenzenden Teil alle Mulis bequem Platz hatten.

Dann wollte er Diego den Hals kraulen, aber das Maultier war diesmal nicht sehr begeistert darüber. Der Schreck über den Puma steckte ihm noch in den Knochen. Und das andere Maultier, das der Puma fast gerissen hätte, stand verloren und verstört ganz im Hintergrund und scharrte mit den Hufen.

Hoch über ihnen orgelte der Schneesturm. Er stürmte aus voller Kraft, aber sie befanden sich gewissermaßen in Lee, denn diese Stelle konnte der brüllende Sturm nicht erreichen. Die Felsen boten hervorragenden Schutz.

Der Profos tastete sich mit einer Fackel hinaus und suchte im Windschatten der Felswände nach Krüppelholz, das der Wind zusammengeblasen hatte. Auch von dem trockenen Gras fand sich eine ganze Menge. Etwas später half ihm Matt dabei. Sie sammelten eine Menge zusammen, breiteten Decken aus und entzündeten in der Nähe des Eingangs ein Feuer. Dann wärmten sie sich erst einmal die erstarrten Hände.

Carberry kramte die Kiste hervor und brachte „Wässerchen“ zum Aufwärmen. Die wärmten von innen und taten es noch schneller als das Feuer. Sie explodierten fast im Magen. Wohlige Wärme breitete sich aus.

Auch die beiden Padres hielten mit.

„Nachher gibt’s noch was Feines“, verkündete Dan O’Flynn. „Wir bereiten heißen Wein und gießen ein Schnäpschen hinein. Das vertreibt dann endgültig die Kälte aus den Knochen.“

Zunächst aber wurden zwei Kessel über das Feuer gehängt. Es gab Bohnen mit Speck und indianisches Maisbrot. Die Männer, immer noch ausgelaugt und müde, langten kräftig zu.

„Jetzt ist es richtig gemütlich hier“, sagte von Hutten. „Da draußen hätte ich es keine zwei Stunden mehr ausgehalten. Das gebe ich ganz ehrlich zu. Es ist eine einzige Strapaze.“

„So ein Schneesturm kann mitunter ganz unangenehm sein“, sagte auch Aloysius. Er hatte auf einer Decke Platz genommen und sah so aus, als sei er frisch und ausgeruht. Seine gefütterte Jacke hatte er ausgezogen. Jetzt langte er kräftig in die Bohnen mit Speck.

Auch die Mulis waren inzwischen versorgt worden. Die Männer hatten den einen Kessel mit Schnee gefüllt und ihn über dem Feuer geschmolzen. Das Wasser, das die Mulis dann soffen, war lauwarm. Sie schlürften es mit sichtlichem Behagen und fraßen Mais dazu.

Als Dan O’Flynn sein heißes Weingebräu ansetzte, sah er, daß Fred Finley, Gary Andrews und Mel Ferrow schon schliefen. Sie hatten sich an die Felswand gelehnt, die Decken ins Kreuz gesteckt und pennten einen weg.

Kein Wunder, auch die anderen waren hundemüde, aber auf das heiße Gesöff wollten sie dennoch nicht verzichten.

Inzwischen ging Aloysius hinaus und kehrte kurz darauf mit dem erlegten Puma zurück, den er einfach hinter sich herzog.

„Bist du nicht müde, Padre?“ fragte Hasard erstaunt.

„Nun, ich möchte mir das duftende Gebräu auch nicht entgehen lassen, und ehe ich herumsitze und die Hände in den Schoß lege, kann ich ja den Puma aus dem Fell schlagen. Es ist ein herrliches Fell.“

Draußen kreischte, tobte und heulte es, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor. Hier drin war es richtig anheimelnd. Da brannte das Feuer, da blubberte der heiße würzige Wein in dem Kessel, und da hockte Aloysius am Boden und zog der Katze das Fell über die Ohren. Den Kadaver warf er nach draußen in den Schnee, denn das Fleisch der Raubkatzen schmeckte nicht, wie er sagte.

Der Profos lehnte an der Wand und grinste vor sich hin, während er vorsichtig an dem heißen Wein nippte. Jetzt müßte Paddy Rogers hier sein, dachte er, der hätte sich um das Fell des Pumas den Teufel gekümmert, aber nicht um das Fleisch. Der hätte vermutlich die ganze Raubkatze über dem Feuer geröstet und auch allein gefressen, so hungrig wie er immer war.

„So ähnlich verfahre ich auch immer“, sagte er schläfrig. „Aber bei mir ist das schwieriger.“

„Wovon redest du, Bruder?“

„Davon, daß ich hin und wieder manchen Rübenschweinen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen abziehe. Bei einem Puma habe ich das noch nicht versucht.“

Der Padre lachte verhalten, dann drehte er sich zu Ed um. Aber der lehnte bereits an der Wand und schlief. Auch die anderen nickten schnell ein. Selbst der Seewolf vermochte kaum noch die Augen offen zu halten.

Pater Aloysius hatte dafür volles Verständnis. Diese Höhen schafften selbst die härtesten Kerle. Er ging zu jedem einzelnen Mann hinüber, nahm eine Decke und hüllte ihn darin ein. Er selbst legte sich erst dann schlafen, als er das Pumafell restlos gesäubert hatte.

Sie schliefen den Schlaf der Erschöpfung bis weit in den Morgen hinein.

„Wir werden heute noch hier bleiben müssen“, sagte der Pater. „Der Schneesturm hat sich zwar gelegt, aber es weht immer noch Schnee heran. Es ist auch besser, wenn sich alle noch einmal gründlich ausruhen. Man gewöhnt sich dann besser an die Höhenunterschiede.“

Hasard sah das natürlich ein, denn immer noch waren einige von ihnen von Kopfschmerzen geplagt.

„Wie du meinst, Padre. Dann brechen wir morgen auf. Das wäre dann der elfte Dezember, wenn ich richtig gerechnet habe.“

„Richtig. Morgen ziehen wir dann weiter.“

„Wenn ich hier ständig leben müßte“, sagte Hasard, „dann wäre ich nur noch ein halber Mensch. Wie halten die Indios das eigentlich aus?“

„Sie sind der dünnen Luft angepaßt, genau wie auch die Tierwelt. Die Quechua-Indianer haben beispielsweise einen sehr breiten Brustkorb. Ihr Herz ist wesentlich größer als das unsere und pumpt dementsprechend auch mehr Blut durch den Körper als ein normales Herz. Wir haben in der Puna einmal ein totes Vicuña gefunden. Das Tier ist ganz besonders flink und schnell, und so haben wir es aus Neugier aufgeschnitten. Wir fanden ein übergroßes Herz und eine ungewöhnlich große Lunge in seinem Körper, viel größer als die der normalen Tiere. Der Herr da oben hat das wunderbar durchdacht.“

„Ja, das hat er.“

Carberry linste zu dem Pater hinüber und grinste schief.

„Eins hat der Herr aber vergessen“, sagte er.

„Fang aber nicht wieder mit dem Öl des heiligen Vaters an“, warnte Aloysius.

Der Profos schüttelte den Kopf und strich über seinen Bart. Sie alle hatten tagealte Bärte und ließen sie wachsen.

„Man müßte sich mal gründlich waschen können“, sagte Ed. „Ich fühle mich bereits wie ein Rübenschwein, ein ungewaschenes. Da hätte der Herr doch schon mal in der Nähe ein Bächlein fließen lassen können, damit sich seine Schäfchen den Dreck abspülen können.“

Aloysius verschränkte die Arme über der breiten Brust. Sein Lächeln war diesmal unergründlich.

„Vielleicht läßt er eins fließen, Bruder. Du weißt ja, der Herr hat ein Ohr für alle Wünsche.“

„Und du hast einen besonders guten Kontakt zum Herrn, Bruder. Vielleicht kannst du ihn daraufhin mal ansprechen.“

„Mal sehen“, erwiderte Aloysius trocken. „In einer stillen Stunde werde ich mit ihm reden.“ Er lächelte immer noch so unergründlich. Ed musterte ihn, aber er konnte das Lächeln nicht deuten. Fast erschien es ihm etwas schlitzohrig. Aber er wollte dem guten Padre um Himmelswillen nichts unterstellen.

Den Tag verbrachten sie in oder vor der Höhle. Der Sturm heulte immer noch und trieb den Schnee über die Berghänge. Das Schlimmste war jedoch vorüber.

4.

Am elften Dezember zogen sie weiter. Von den zurückliegenden Strapazen hatten sie sich gut erholt. Die zwei Tage der Ruhe und Entspannung hatten sich bestens ausgewirkt.

Unermüdlich wurde nun marschiert, bis die Dunkelheit hereinbrach. Dann wurden die Zelte aufgeschlagen, das Biwak errichtet und ein Feuer entzündet.

Inzwischen wucherten ihre Bärte weiter. Die Gesichter waren von der intensiven Sonneneinstrahlung tiefbraun geworden.

Am sechzehnten befanden sie sich zwischen dem Sajama Berg, dem riesigen schneebedeckten Vulkan der Westkordillere und dem Lago de Chungara.

Hier mußten sie eine steil bergan führende Eisfläche überwinden. Der Wind stieß wieder hart und eisig in ihre Gesichter. Wenn sie diese Eisfläche hinter sich hatten, erstreckte sich vor ihnen der gewaltige Altiplano, das bolivianische Hochland zwischen den Ketten der Anden. Dort begann auch die Puna, jene rauhe und sturmgepeitschte Landschaft, in der die Nächte bitterkalt waren und neun Monate im Jahr kein Regen fiel.

 

Aber noch war es nicht soweit. Zuerst mußte diese eisige steile Fläche in Angriff genommen werden.

Diese Fläche war tückisch. Der eisige Wind hatte Schneewehen dahin getragen. An vielen Stellen war der Schnee gefroren und bildete eine harte Kruste. Hin und wieder aber war er noch pulverig. Die eisglatte Fläche darunter war nicht zu sehen.

Sie arbeiteten sich mit Eispickeln und Haken immer weiter hinauf, bis sie fast die Hälfte erreicht hatten.

Da rutschte plötzlich Fred Finley aus. Unter dem knochentrockenen Pulverschnee war spiegelglattes Eis. Er wollte sich an dem Eispickel festhalten, doch der rutschte ab und sauste über den glatten Hang nach unten.

Matt Davies, der auf Eispickel verzichten konnte – er hieb immer seine Hakenprothese in den Untergrund –, versuchte noch nach Fred zu greifen, doch er griff ins Leere.

Auch Pater David konnte Finleys Sturz nicht mehr bremsen. Es ging alles viel zu schnell.

Finley sauste ab, wie aus einer Kanone geschossen. Der Länge nach raste er mit ausgebreiteten Armen über das Eis, suchte immer wieder krampfhaft nach Halt und fand keinen. Seine sausende Talfahrt wurde immer rasender, immer schneller.

Sie alle hatten bemerkt, was passiert war, doch sie mußten hilflos mit ansehen, wie Finley unaufhaltsam über die Eisfläche sauste.

Zum Glück gab es da unten keine Schlucht, in die er hätte stürzen können. Aber es gab dicke Wülste im Eis und am Fuß des Hanges nochmals eine Eisbarriere.

In die sauste Fred Finley hinein, mit den Füßen voran. Sein Sturz wurde jäh gebremst, und er blieb stöhnend liegen.

„Verdammt noch mal“, sagte Hasard. Er sah, daß Fred Finley bewegungslos liegenblieb, und schluckte schwer.

Jean Ribault preßte die Lippen zusammen. „Hoffentlich ist ihm nichts passiert“, murmelte er betroffen.

„Wir gehen vorsichtig nach unten“, sagte Aloysius. „Vielleicht ist er nur bewußtlos.“

Hasard, Ribault und Aloysius begannen unverzüglich mit dem Abstieg auf der glatten Fläche. Die anderen Männer standen wie erstarrt da und blickten hinunter.

Als Pater David ihnen folgen wollte, winkte Hasard ab.

„Drei Mann genügen, David“, sagte er. „Die anderen sollen vorsichtig nach oben steigen. Wir erledigen das schon.“

„Oben gibt es eine Felsenhöhle!“ rief Aloysius. „Geht dort hinein und bereitet ein Lager in der Nische neben der Höhle!“

Pater David nickte beklommen. Vorsichtig arbeiteten sie sich weiter nach oben, während die drei anderen Männer weiter nach unten stiegen, bis sie die Eisbarriere erreichten.

Hasard drehte Fred Finley behutsam auf den Rücken und sah in ein vor Schmerzen grau verzerrtes Gesicht. Finley stöhnte leise.

Unendlich erleichtert ging Jean Ribault in die Knie und beugte sich über Finley. Gott sei Dank, er lebte, aber er schien unerträgliche Schmerzen zu haben.

„Kannst du aufstehen?“ fragte Ribault.

„Nein, ich kann nicht. Irgend etwas ist mit meinem rechten Bein. Der Schmerz zieht mir bis in den Schädel.“

„Ihn hier zu untersuchen, hat keinen Zweck“, sagte Aloysius. „Vermutlich hat er sich was gebrochen oder verstaucht. Wir ziehen ihn nach oben und bringen ihn in die Felsnische. Dort können wir in aller Ruhe nachsehen.“

Zwei Seile wurden zusammengeknotet und Fred Finley unter die Achseln geschoben.

Hasard und Jean zogen ihn vorsichtig nach oben. Aloysius stieg dicht hinter Fred auf, um ihn abzufangen, falls einer der beiden Männer abrutschen sollte.

Es war eine mühsame Plackerei, bis sie ihn endlich oben hatten. Dort warteten schon die anderen, um ihn in Empfang zu nehmen.

„So ein Mist“, sagte Finley, „mir ist was ins linke Auge geflogen, und dann war ich plötzlich blind. Leider habe ich nur das eine.“

Das rechte Auge bedeckte eine schwarze Klappe. Finley hatte es in einem Jahre zurückliegenden Kampf gegen Piraten verloren.

„Nur ruhig“, sagte Hasard. „Reden kannst du später. Wir werden erst einmal sehen, was dir fehlt.“

Vorsichtig trugen sie ihn zu der Felsnische hinüber, die direkt an eine mittelgroße Höhle in den Felsen anschloß. Die Männer hatten bereits Decken ausgebreitet und einen weichen Untergrund geschaffen. Sie alle sahen besorgt auf Finley, dessen Gesicht immer noch vor Schmerzen verzerrt war.

„Hoffentlich hat er sich nichts gebrochen“, murmelte Ribault. „Das wäre nicht auszudenken.“

„Es scheint aber doch so, Jean“, meinte Karl von Hutten. „Allein der Gesichtsausdruck sagt alles.“

Pater David und Pater Aloysius, die sich am besten auf ärztliche Kunst verstanden, nahmen sich Fred Finley vor. Als sie ihm den rechten Stiefel auszogen, bäumte sich Fred hart auf und fiel stöhnend auf die Decken zurück.

Die beiden Padres warfen sich einen besorgten Blick zu, sagten aber vorerst kein Wort.

Besorgt standen die anderen herum. Sie wußten nicht, was sie tun sollten, und starrten auf die beiden Padres, als würden die die Erlösung bringen.

„Er hat sich den rechten Knöchel gebrochen“, sagte Aloysius in die Stille hinein, nachdem er das Bein abgetastet hatte.

Der Riese David bestätigte das.

„Ja, ein Knöchelbruch, kein Zweifel. Er ist sehr hart in die Eisbarriere geprallt.“

„Kann es nicht doch eine Verstauchung sein?“ fragte Jean Ribault hoffnungsvoll.

„Leider nein.“

„Knöchelbruch“, sagte Hasard tonlos, „auch das noch. Weiter hat uns auch nichts gefehlt.“

„Es hätte schlimmer ausgehen können“, sagte Aloysius. „Er hätte auch mit dem Schädel aufs Eis prallen und sich einen Schädelbruch zuziehen können. Alles in allem kann man noch von einem Glücksfall sprechen.“

Beklommenes Schweigen folgte seinen Worten.

Fred Finley richtete den Oberkörper ein wenig auf, doch der Padre drückte ihn sofort auf das provisorische Lager zurück.

„Laßt mich hier liegen“, flüsterte er, „ich bin euch auf dem Marsch nur hinderlich. Wenn ihr mir etwas Verpflegung da laßt und etwas zu trinken, halte ich es hier wochenlang aus. Ich will nicht, daß der Trupp meinetwegen behindert wird.“

Carberry schwoll bei diesen Worten sogleich der Kamm. Er schob das Rammkinn vor, das jetzt mit dem Bart noch wilder und gröber wirkte, und donnerte los: „Glaubst denn du krummbeiniger Zitteraal, daß wir dich hier einfach liegen lassen, was, wie? Für was hältst du uns, du Rahenschwenker? Liegen lassen? Pah!

Damit dich der nächste hungrige Puma frißt oder dir Eisblumen aus den Ohren wachsen? So was will ich nicht noch einmal hören, sonst hast du links auch gleich noch einen Knöchelbruch und kannst auf dem Bauch nach Potosi rutschen.“

Die Spannung löste sich unter leisem Gelächter, weil der Profos wieder mal so liebliche und freundliche Vergleiche zur Hand hatte.

Fred Finley lächelte schwach und wollte etwas sagen. Da geschah etwas, was die Männer total verblüffte und selbst den Profos zusammenzucken ließ.

Die rechte Faust von Pater Aloysius zuckte kurz und hart vor. Sie kam so schnell, daß die Bewegung kaum zu sehen war. Er hatte nicht lange gefackelt und zugeschlagen, noch bevor Fred Finley begriff, was überhaupt geschah.

Aloysius schlug „eine mächtige Kelle“, wie das auch der Profos respektvoll ausdrückte, und hinter seinem Schlag saß die Kraft eines ausgewachsenen Ochsen. Diese Kelle traf Fred Finley wie eine lautlose Explosion an der Schläfe.

Finleys Gesichtsausdruck verklärte sich, als hätten soeben die Englein für ihn gesungen. Schlaff und entspannt fiel er auf das Lager zurück und rührte sich nicht mehr.

Im Gesicht des Profos zuckte es. Dann räusperte er sich einmal und strich wieder über seinen stoppeligen Bart.

„Das mußte sein“, sagte Aloysius trocken. „Ich mußte ihn betäuben, damit wir den Fuß richten und schienen können. In wachem Zustand hätte er sich die Kehle heiser gebrüllt. Gerade bei einem Knöchelbruch sind die Schmerzen unerträglich.“

Jetzt konnten sie in aller Ruhe an die Arbeit gehen. Alle beide Padres verstanden sich hervorragend darauf. Aloysius tastete noch einmal alles ab.

„Glück im Unglück“, sagte er lakonisch, „der Knöchel ist nicht so gebrochen, daß Splitter die Haut durchstoßen haben. Es ist ein glatter, sauberer Bruch, und daher auch nicht weiter kompliziert. Er kann eben nur eine Zeitlang nicht mehr auftreten.“

Sie richteten das Bein aus und schienten es mit kleinen harten Brettern, die sich in Aloysius Arznei-Kiste befanden. Beide arbeiteten flink und geschickt. Sie standen dem Kutscher in nichts nach.

„Fertig“, sagte David. „Das wird glatt und sauber verheilen, braucht aber leider seine Zeit. Unter Umständen können das Wochen sein.“

„Und was wird jetzt?“ fragte Hasard. „Wir müssen ihn tragen.“

Das Lächeln des Paters war recht sparsam.

„Ja, aber nicht lange. Wir befinden uns vor der Puna. In zwei Tagesmärschen, dicht am Rande der Puna, lebt eine Indio-Familie, die ich gut kenne. Sie sind sehr hilfsbereit und werden ihn aufnehmen, bis wir aus Potosi zurückgekehrt sind.“

Der Profos schüttelte staunend den Kopf.

„Bei allem heiligen Respekt, Bruder, aber du hast immer zur rechten Zeit etwas auf der Pfanne“, sagte er anerkennend.

„Das sind meine bescheidenen Kontakte zum Herrn, dessen Wege unerforschlich sind“, sagte Aloysius lächelnd.

Die anderen grinsten bis über die Ohren, als sie das hörten. Aloysius war so ganz nach ihrem Geschmack. Ohne ihn hätten sie sich in der Bergwelt nicht mehr zurechtgefunden, und Probleme wie die mit Fred Finley wären nur schlecht zu bewältigen gewesen.

„Bei dieser Indio-Familie sehe ich die einzige Möglichkeit“, sagte der Pater. „Es ist die beste und vernünftigste Lösung, denn wir können ihn nicht nach Potosi mitnehmen. Es gibt allerdings auch noch eine andere, aber das muß Sir Hasard entscheiden. Zwei Männer könnten Finley auf einer Tragbahre über Stock und Stein nach Tacna zurückschleppen. Was ist dir lieber, Sir?“

Hasard brauchte wahrhaftig nicht lange zu überlegen. Diese Möglichkeit schied von vornherein aus.

„Damit wäre der Potosi-Trupp um drei Mann geschwächt. Drei Männer würden ausfallen, die wir vielleicht dringend brauchen. Nein, Pater Aloysius, die Lösung mit der Indio-Familie ist wirklich die beste. Es bleibt dabei. Wir müssen nur noch eine Tragbahre zusammenbauen, und das wird ein kleines Problem.“

Aber Aloysius hatte auch da eine Lösung, zumindest hatte er für alle Fälle weitblickend vorgesorgt. Er ging zu dem einen Maultier hinüber und nahm aus der Packtasche eine längliche derbe Plane heraus, die er Hasard zeigte.

„Das Problem ist schon gelöst, weil man mit derartigen Unfällen in den Bergen immer rechnen muß. Ich habe sie selbst angefertigt. An den Längsseiten sind die Nähte so groß, daß man bequem links und rechts zwei Zeltstangen hindurchschieben kann, und schon ist die Tragbahre fertig. Wenn man sie nicht mehr braucht, dann faltet man sie einfach zusammen.“

Hasard sah den Pater nachdenklich an. Dann lachte er leise.

„Hast du nicht Lust, auf meinem Schiff zu segeln, Padre?“

Der Padre grinste jetzt auch ein wenig.

„Schon, schon, wirklich. Aber ich kann meine Brüder in Tacna nicht im Stich lassen. Außerdem würde mir auf den hohen Rahen immer schwindlig werden.“

„Das glaube ich unbesehen“, sagte Ed. „Ihm wurde ja auch hier dauernd übel, sobald es bergan ging, was, wie, Bruder?“

„So ist es.“

Fred Finley kam wieder zu sich und sah sich verständnislos um.

„Was ist passiert?“ fragte er erstaunt und blickte auf sein rechtes Bein, das jetzt geschient war. „Ich war ganz plötzlich weg. Muß wohl ohnmächtig geworden sein.“

„Das war mehr eine himmlische Ohnmacht“, sagte der Profos. „Bruder Aloysius hat dir eine geplättet.“

„Geplättet?“ fragte Fred verständnislos.

„Mann, das war ein Hammer der besten Sorte. Da konnte man direkt neidisch werden. Das ging zack zack, und schon warst du weg. Wegen der Schmerzen, verstehst du?“

„Verstehe“, murmelte Fred. „Meinen herzlichsten Dank, Padre.“

„Schon erledigt. Tut mir leid, wenn ich zuschlagen mußte, aber es war besser so.“

„Selig sind, die da hart zuschlagen“, dozierte der Profos, „denn sie vollbringen wahre Wunder. So ähnlich steht’s in der Bibel.“

 

„Na, die Stelle mußt du mir unbedingt mal zeigen“, sagte der Pater trocken, „die habe ich anscheinend übersehen.“

„Ja, ich auch“, meinte Pater David lächelnd. „Aber du mußt zugeben, daß der Profos eine sehr poetische Ader hat, Bruder.“

„Und eine sehr blumige Ausdrucksweise. Er greift da in einen schier unerschöpflichen Quell hinein. Das hat auch schon Bruder Franciscus anklingen lassen.“

Die Tragbahre war fertig. Ein paar Handgriffe hatten dazu genügt.

„Gary und ich tragen die erste Strecke“, sagte Ed. „Und dann tragen wir umschichtig weiter. Wir müssen unser Freddylein nur noch schön in warme Decken hüllen, damit er sich nichts abfriert.“

„Wie kann ich das nur wieder gutmachen?“ fragte Fred. „Jetzt müßt ihr euch auch noch abschleppen.“

„Indem du dein Maul hältst“, sagte der Profos grob. „Im übrigen kannst du dich ganz wie ein Sänften-Bubi fühlen. Sei froh, daß wir dich Spillerhering tragen. Wenn ich auf dem Ding liegen würde, hättest du mit dem Schleppen nicht viel Freude.“

„Das ist allerdings wahr“, murmelte Finley.

Der Marsch ging weiter. Fred Finley lag auf der Tragbahre und blickte ergeben zum jetzt wieder blauen Himmel. Einmal sagte er leise: „In Potosi werde ich für euch ein großes Hindernis sein.“

Ed ließ vor Verblüffung fast die Holme fallen.

„Ach – du weißt ja noch gar nicht, daß deine Reise zu Ende ist, Mann. Warst da ja noch bewußtlos. Glaubst du etwa, wir schleppen dich bis nach Potosi und stellen dich da an der Piazza ab? Das würde die Dons doch recht nachdenklich stimmen. Dein Potosi-Unternehmen ist übermorgen zu Ende. Da erreichen wir nämlich einen Indiohof, wo sie kleine bolivianische Rübenschweine züchten. Denen wirst du so lange Gesellschaft leisten, bis wir wieder zurück sind. Inzwischen ist deine Steuerbordgräte verheilt, und wir nehmen dich wieder mit. Alles klar, Mister?“

„Alles klar“, murmelte Fred verblüfft. „Das habe ich nicht gewußt. So ein Zufall, daß da Indios sind.“

„Das ist kein Zufall. Das haben wir den guten Kontakten des Herrn – äh – des Herrn Paters, ach verdammt, des Paters zum Herrn zu verdanken.“

Zwei Tage später erreichten sie die Puna.

Die eigentliche Kernlandschaft Boliviens, der bis über viertausend Yards hohe Altiplano, lag vor ihnen. Das war der westlichste Teil des Punablocks. Dieses achthundert Meilen lange und zweihundertfünfzig Meilen breite abflußlose Hochland ist eine Auffüllungssenke. Nord-südlich verlaufende Gebirgszüge zergliedern das Hochland in einzelne Beckenlandschaften.

In der Puna ist es am Tage in der Sonne warm, aber der Boden im Schatten bleibt meist gefroren. Die Umwelt wirkt auf den ersten Blick äußerst lebensfeindlich, und doch gibt es gerade hier Leben, wenn auch nicht in allzu vielfältigen Formen.

Immerhin leben hier Echsen, Nager und Vögel. Hier weiden das flinke Vicuña und die Guanakos. Aber in den Hochweiden der Anden finden sich auch noch Andenhirsche, verschiedene Fuchsarten, Chinchillas und Viscachas. Von Zeit zu Zeit stellen sich im öden Hochland sogar Kolibris ein, dann nämlich, wenn der stachelige Puyas blüht, der Riese unter den Pflanzen der Puna, der über hundert Jahre alt werden kann. Dann erst, mit rund hundert Jahren, blüht der Puyas und entfaltet eine unvorstellbare Pracht.

Über all dem aber schwebt der mächtigste Vogel der Anden, der majestätisch dahingleitende Kondor, von dem die Indios behaupten, er schlafe auch im Fluge.

Diese Landschaft lag jetzt vor dem Potosi-Trupp.

„Endlich hat die Kraxelei ein Ende“, sagte Matt Davies. „Jetzt geht es wenigstens mal geradeaus.“

„Vorerst noch“, sagte Hasard einschränkend. „Durch die Puna liegen noch rund hundertfünfzig Meilen Fußmarsch vor uns. Dann geht’s wieder in die Berge, denn wir müssen, wenn wir nach Potosi wollen, noch die Cordillera de los Frailes überqueren.“

„Eine verdammt lange Strecke.“

„Du sagst es, Matt. Aber verglichen mit der bisherigen Etappe wird der Marsch jetzt leichter werden.“

„Was heißt Frailes?“ fragte Matt neugierig.

„Bezeichnenderweise Mönche“, sagte Aloysius lächelnd. „Aber nach mir ist es nicht benannt worden, obwohl ich schon ein paarmal drüben war.“

Fred Finley wurde diesmal von Stenmark und Mel Ferrow getragen. Später lösten sich Ribault und Karl von Hutten ab, dann Dan O’Flynn und Pater David. So kam jeder immer umschichtig an die Reihe, und dann begann es von neuem.

Noch am Vormittag sahen sie einen geschützt liegenden Hof vor sich. Es gab ein paar Adobehütten, Behausungen aus luftgetrockneten ungebrannten Ziegeln. Die Dächer waren strohgedeckt. Um den Hof herum wurde Landwirtschaft betrieben.

Sie hatten gerade einen Blick auf den Indiohof geworfen, als auch schon zwei Männer, zwei Frauen und ein paar Kinder erschienen und dem Trupp neugierig entgegensahen.

Drei Hunde rannten ihnen kläffend entgegen.

„Das ist die Familie, von der ich sprach“, sagte Aloysius. „Unser Freund ist hier in den besten Händen.“

„Und wie verklaren wir den Leuten, was wir wollen?“ fragte Ed. „Ich kann kein Wort Indonesisch, oder wie das heißt.“

„Das sind Quechua. Ich beherrsche ihre Sprache ganz gut. Es wird nicht die geringsten Schwierigkeiten geben.“

„Was kannst du eigentlich nicht, Bruder?“ stöhnte Ed. „Spricht auch noch Kwetschba oder so. Dagegen sind meine Kontakte direkt miserabel, Bruder.“

„Du bist ja auch noch nicht lange hier.“

Die drei Hunde sprangen an ihnen hoch und winselten und jaulten, als wollten sie Männer und Mulis begrüßen. Der einzige, der sich daneben benahm, war wieder mal Diego, denn der donnerte einen in den Wind, daß die Hunde verstört die Schwänze einkniffen.

„Das ist die Begrüßung“, sagte Ed. „Diego hat wenigstens Anstand.“

Zwei Männer standen noch unschlüssig herum, als wüßten sie nicht, wie sie den Trupp einzuordnen hätten. Sie schienen mißtrauisch zu sein und dachten wohl an Spanier, aber dann hatten sie offenbar Pater Aloysius erkannt, denn jetzt löste sich ihre Starre, und sie gingen dem Trupp entgegen.

Hasard stellte erstaunt fest, daß es eine recht herzliche Begrüßung zwischen dem Padre und den Indios gab. Sie schnatterten auf ihn ein, lachten und zeigten dann auf die Tragbahre, auf der Fred Finley lag und freundlich grinste.

Außer Aloysius verstand niemand die Sprache. Der Pater unterhielt sich jedoch fließend und übersetzte auch gleich, damit die anderen wußten, wovon gesprochen wurde.

„Wir hatten einen kleinen Unfall“, sagte Aloysius zu den Indios mit den ledergegerbten Gesichter. Viele Falten waren in diesen Gesichtern, und sie sahen älter aus, als sie waren.

Die Indios bedeuteten ihnen, auf den Hof zu folgen. Dort schnatterten sie wieder auf den Padre ein. Die Kinder blickten aus großen dunklen Augen auf die fremden Männer. Auch von den Frauen wurden sie gemustert.

„Sie haben uns eingeladen. Wir sollen hier übernachten“, übersetzte der Padre. „Die Frauen bereiten gleich etwas zu essen.“

Hasard bedankte sich. Die Frauen musterten ihn verstohlen von der Seite. Auch auf Karl von Hutten blieb ihr Blick eine ganze Weile hängen.

Beim Anblick des freundlich grinsenden Profos’ schienen sie jedoch etwas Furcht zu empfinden. Der sah jetzt mit seinem wilden Bart noch schlimmer aus, wenn auch die Narben größtenteils verdeckt waren.

„Diese Männer sind Engländer“, sagte Aloysius.

Darunter konnten die Indios sich jedoch nichts vorstellen, und der Pater versuchte es zu erklären. Aber England war für sie trotzdem so unbekannt wie der Mond.

Der Trupp wurde genötigt, in einer der Hütten Platz zu nehmen. Eine der Frauen schleppte einen großen Krug herbei und stellte Schalen auf den Tisch.

„Seit langer Zeit haben wir wieder mal ein Dach über dem Kopf“, meinte Ribault. „Das ist wirklich fast ein unbekanntes Gefühl.“

Die Männer schenkten sich von dem Getränk ein. Als der Profos den ersten Schluck nahm, verklärte sich sein Blick.

„Bier“, sagte er fassungslos, „echtes, richtiges Bier, und nicht so dünn wie das normale Bier. Woher wußten die, daß ich hier aufkreuze?“