Seewölfe Paket 26

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Arne überzeugte sich bei einem Rundgang, daß alle Vorrichtungen intakt waren.

Jussuf bangte natürlich besonders um die Taubenschläge. In den zurückliegenden Nächten hatte er kaum noch ein Auge zugetan und freiwillig durchgehende Wachen übernommen, weil er ohnehin erst bei Helligkeit wieder Schlaf fand. Die Befürchtung, daß ein Feuer seinen gefiederten Lieblingen Schaden zufügen könnte, war einfach zu groß.

Bislang hatte sich der Pöbel allerdings noch nicht dazu verstiegen, Feuer zu legen. Offenbar blieb bei aller Mord- und Raubgier die Erkenntnis wach, daß das, was man mutwillig verbrannt hatte, nicht mehr erbeutet werden konnte.

Auch auf dem Hinterhof waren alle Bohlenverstärkungen intakt, die Mauer unbeschädigt. Arne begab sich zurück ins Haus. Er traf Jörgen und Isabella in der Küche. Die junge Frau sah ihn mit zuversichtlichem Lächeln an.

„Hunger werden wir jedenfalls nicht leiden“, sagte sie energisch. „Wir sind bestens gerüstet, um den Halsabschneidern zu zeigen, daß sie sich bei uns mit den Falschen anlegen.“

Arne nickte lächelnd, als er das wildentschlossene Funkeln in ihren dunklen Augen sah. Es erinnerte ihn daran, wie völlig anders sie damals ausgesehen hatte, als Hasard und er sie gemeinsam mit den Gefährten vom Bund der Korsaren aus den Klauender Deserteure gerettet hatten.

Damals war Isabella Fuentes ein bemitleidenswertes Häufchen Elend gewesen. In der Obhut Arnes und seiner Freunde hatte sie sich zu einer selbstbewußten Frau entwickelt, die auch zuzupacken verstand. Das hatte sie in den vergangenen Monaten mehr als einmal bewiesen.

„Unsere Proviantvorräte sind wirklich riesig“, sagte Jörgen Bruhn, der Mann aus Hamburg. „Ich muß die Aufstellung noch zusammenrechnen. Dann kann ich dir die genauen Gesamtmengen mitteilen.“

„Laß dir Zeit damit“, sagte Arne lächelnd. „Ich verlasse mich auf deine Schätzung. Du mußt nicht immer wieder deine Kaufmannsseele durchscheinen lassen.“

Jörgen Bruhn verzog das Gesicht in gespielter Empörung. In der Tat hatte er in jungen Jahren eine Kaufmannslehre in der Hansestadt an der Elbe absolviert. Doch dann hatte er es in den verstaubten Kontoren nicht mehr ausgehalten. Seinen Beschluß, sich den Seewind um die Ohren wehen zu lassen, hatte er seitdem nicht aufgehoben.

„Wer hat mich denn zum Schreiber verdammt?“ rief er.

Arne klopfte ihm auf die Schulter.

„Reg dich nicht auf, Jörgen. Du bist ein getarnter Seemann, das wollen wir nie vergessen.“

„Manchmal scheint es mir aber so, als ob das Gegenteil der Fall sei“, sagte Bruhn, doch er grinste dabei.

Für die ersten Nachmittagsstunden nahmen Arne und Jörgen ihre Beobachtungsposten im Obergeschoß des Hauses ein. Arne hielt sich in den Räumen auf, durch deren Fenster er die Vorderseite mit der Straße am Hafen überwachen konnte. Jörgen beobachtete unterdessen den Hinterhof und die rückwärtige Umgebung des Faktoreigebäudes.

Am späten Nachmittag kehrte Jussuf von seinem Erkundungsgang zurück.

„Ich war bei Señor Herrera“, berichtete er. „Er hat sein Haus ähnlich verrammelt wie wir. Übrigens sollen auch einige andere noch standhalten und sich in ihren Häusern verbarrikadiert haben. Señor Herrera ist voller Bitterkeit. Er versteht die Welt nicht mehr. Er hätte gedacht, daß die Bürger in einer so gefährlichen Situation beherzter handeln würden.“

„Und wie beurteilt er die Lage?“ fragte Arne.

Jussuf bewegte den Kopf von einer Seite auf die andere.

„Er meint, daß die Katastrophe unmittelbar bevorsteht. Wahrscheinlich müßten wir schon in dieser Nacht mit dem Schlimmsten rechnen.“

Die Vermutung des Handelsherrn Felipe Herrera bestätigte sich.

Schon kurz vor Einbruch der Dunkelheit belebten sich die Gassen vor allem in Hafennähe. Wüstes Gegröl schwoll zu vielstimmigem Lärmen an, das die ganze Stadt erfüllte und nicht mehr enden wollte. Nur vereinzelt peitschten Schüsse. Die Plünderer konzentrierten sich auf jene Beuteobjekte, bei denen sie keinen Widerstand zu erwarten hatten.

Krachende Axtschläge waren zu hören. Holz von Türen und Fensterläden zersplitterte. Schmiedeeiserne Tore und Pforten wurden aus den Verankerungen gerissen. Irgendwo quiekte ein Schwein, das aus einem Stall geholt worden war und nun abgestochen wurde.

Überhaupt hatten die Horden herausgefunden, wie angenehm es war, sich an den Köstlichkeiten aus den Vorratskellern der Bürgerhäuser gütlich zu tun. Überall in den Häusern brannte Licht, Freß- und Saufgelage fanden dort statt und die noch übriggebliebene weniger wertvolle Einrichtung wurde restlos verwüstet.

Erst nach Mitternacht wurde es ruhiger. Arne und seine Freunde wußten jedoch, daß die Gefahr noch lange nicht vorüber war. Jene Marodeure, die sich nicht restlos mit Alkohol hatten vollaufen lassen, waren jetzt in Banden unterwegs. Offenbar waren ihnen die Häuser, die noch immer wirkungsvoll verteidigt wurden, ein Dorn im Auge.

Jäh wurde das den Freunden bewußt als sich murmelnde Stimmen von allen Seiten aus der Dunkelheit zusammenscharten. Die zuerst noch verhaltenen Stimmen steigerten sich zu Gebrüll.

Arne teilte Jörgen und Isabella für den Hinterhof ein. Er selbst übernahm es mit Jussuf, die Vorderseite des Hauses von den oberen Räumen aus zu verteidigen. Waffen und Munition lagen längst bereit.

Minuten später setzte der erste Ansturm ein.

Das Gebrüll steigerte sich wie zu einem Orkan. Erste Schüsse krachten im Hinterhof. Jörgen setzte seine Tromblons ein, unterstützt von Isabella, die die jeweils abgefeuerte von insgesamt fünf Waffen sofort nachlud. Die Zahl der breitstreuenden Waffen bewirkte, daß Jörgen praktisch ununterbrochen feuern konnte.

Markerschütternde Schreie bewiesen, daß es niemandem gelang, die Mauerkrone zum Hinterhof zu überwinden.

Diese Schreie fachten indessen die Wut derer an, die vorn zum Angriff übergingen. Am nahen Kai hatten sie Fackeln in den Stangekörben angezündet.

„O verdammt“, sagte Jussuf leise, als zu erkennen war, was die Kerle vorhatten.

Mindestens fünfzig waren es, die sich vor der Faktorei zusammengerottet hatten. Zehn von ihnen wuchteten einen erst halb zurechtgehauenen Stamm hoch, den sie vermutlich auf einer der Werften beschafft hatten. Die vierzig anderen nahmen ihre Musketen von den Schultern und zogen ihre Pistolen unter den Gurten hervor.

Ein heiseres Kommando ertönte.

Arne und Jussuf kauerten bereits mit glimmenden Lunten unterhalb der Fenstersimse. Die Fenster standen offen.

Schüsse krachten. Kugeln klatschten ins Mauerwerk und sirrten in den Raum, wo sie sich in die Deckenbalken oder in das Wandholz gruben.

Die beiden Männer schleuderten zwei Flaschenbomben gleichzeitig hinunter.

Der Rammstoß des Baumstammes traf noch die Tür. Die Mauern des Hauses erbebten, aber die Tür mit der inneren Balkensicherung hielt stand. Die Kerle fluchten über ihren Mißerfolg und wollten mit dem Rammbock zum neuen Anlauf zurückweichen.

In diesem Augenblick detonierten die beiden Flaschenbomben. Es war ein Doppelschlag, der aus der Nähe klang, als hätte man ein Geschütz abgefeuert. Gehacktes Blei und Eisensplitter verfehlten ihre Wirkung nicht.

Gellende Schreie hallten über die nächtlichen Hafenbecken. Dumpf polternd fiel der Baumstamm auf das Steinpflaster. Arne und Jussuf schleuderten die nächsten Flaschenbomben. Das wütende Musketenfeuer, das ihren Fenstern galt, geriet bei den nächsten beiden Detonationen ins Stocken. Und dann warfen die beiden Männer ihre brisanten Flaschen abwechselnd, Schlag auf Schlag.

Innerhalb von Minuten war die Straße vor der Faktorei leergefegt. Die wenigen Unverwundeten schleppten die Wimmernden und Stöhnenden in Sicherheit. Sie hatten begriffen, daß sie mit Musketen und Pistolen und mit einem Rammbock gegen die Faktorei des verfluchten Deutschen nichts ausrichten konnten.

Das galt auch für jene, die vergeblich gegen die Hinterhofmauer und das dortige Tor angerannt waren. Jörgen hatte es geradezu mühelos geschafft, die Mauerkrone immer wieder rechtzeitig von auftauchenden Gestalten freizufegen.

Dennoch wußten Arne und seine Freunde, daß sie keinen Grund zum Triumphieren hatten.

Die Plünderer würden sich in ihr Ziel verbeißen, neue Taktiken ersinnen und es mit List und Tücke versuchen.

Wenn sie sich vorerst zurückzogen und die Faktorei mieden, dann bedeutete das nicht mehr als eine Galgenfrist.

Das erklärte Arne den Freunden, als er sie am Morgen zu einer Lagebesprechung zusammenrief.

„Wahrscheinlich“, sagte er, „werden die Halunken weiterhin erst dort einbrechen, wo sie es leichter haben. Aber ich bin sicher, daß sie sich auf uns besinnen werden.“

„Das glaube ich auch“, sagte Jörgen. „Wir wären verrückt, wenn wir glaubten, daß es jetzt keinen Angriff mehr gibt.“

Jussuf und Isabella nickten zustimmend.

„Wir sind uns also einig“, sagte Arne. „Wir sollten deshalb Hasard und die anderen im Stützpunkt informieren.“

„Dann werde ich Aischa aufsteigen lassen!“ rief er. „Mustafa, ihr Auserwählter, wartet schon sehnsüchtig in der Cherokee-Bucht.“

„Die liebe kleine Aischa sollte so bald wie möglich losfliegen“, sagte Jörgen lächelnd. „Noch schlafen die Plünderer ihren Rausch aus. Da ist es unwahrscheinlich, daß sie ihre Schießkünste an einer Taube ausprobieren.“

Jussuf nickte mit zusammengepreßten Lippen.

„Ich werde die Nachricht an den Seewolf sofort aufsetzen“, sagte Arne.

Eine halbe Stunde später stieg Aischa aus dem Hinterhof der Faktorei auf, ausgestattet mit einem verschlossenen Federkielröhrchen, in dem sich der Brief Arnes befand.

7.

Es war ein grandioses Naturschauspiel, mit dem für die Männer auf der „Empress of Sea“ der neue Tag nach all den überstandenen Wirren begann.

 

Jene Insel der Cat Cays, die nun ein sorgsam zu hütendes Geheimnis barg, wurde aus dem Grau des Zwielichts heraus in eine glühend rote Helligkeit getaucht, die am östlichen Morgenhimmel aufstieg.

Scharf gezeichnet, wie auf einem Gemälde, hoben sich die Umrisse der Insel von diesem Hintergrund ab.

Die Insel, auf der der Reichtum aus den Laderäumen der gestrandeten spanischen Galeone. „Viento Este“ verborgen war, befand sich genau zwischen der aufgehenden Sonne und der „Empress“. Die kleine Karavelle Old O’Flynns ankerte westlich der Bucht, knapp außerhalb des gefährlichen Riffbereichs.

Während sich der Kutscher darum kümmerte, daß die Männer einen ordentlichen Happen zwischen die Zähne kriegten, begab sich Old Donegal in die Kapitänskammer. Am Pult mit dem aufgeschlagenen Logbuch tunkte er die Feder ins Faß und schrieb das Datum auf die nächste freie Seite.

11. Juli Anno 1595.

Er ließ die Feder wieder sinken und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. Sollte er hinzufügen, was jeden an Bord der „Empress“ am meisten bewegte und mit Stolz erfüllte?

Außer ihnen wußte kein Mensch, wo die Goldbarrenladung der spanischen Schatzgaleone abgeblieben war.

Dabei mußte es bleiben. Nur die Freunde vom Bund der Korsaren durften eingeweiht werden.

Es war eine Art von Übermut und unnötiger Aufschneiderei, wenn, er das Geheimnis dem Logbuch anvertraute. Die Gefahr unerwünschter Mitwisserschaft wurde damit unkalkulierbar. Wußte man denn, was in den nächsten Stunden und Tagen mit der „Empress“ geschehen würde? Immerhin konnte es jederzeit einen neuen Sturm geben.

In einem Sturm war die Karavelle ihrem Eigner entrissen worden. Als Schiffbrüchige hatten sie auf den Cat Cays ausharren müssen. Die Entdeckung der aufgebrummten „Viento Este“ war ein glücklicher und rettender Zufall gewesen. Denn neben der Goldladung hatte man auch Proviant und Ausrüstung abbergen können.

Und dann, wie durch ein Wunder, war die „Empress“ als Geisterschiff wieder aufgetaucht – noch mitten in den Auseinandersetzungen mit Acosta und seinen Kerlen von der „Viento Este“ und der „San Jacinto“.

So ein Wunder würde es sicherlich nicht noch einmal geben. Aber die Möglichkeit, daß ein Logbuch in unbefugte Hände geriet, war denn doch nicht auszuschließen.

Also keine Eintragung.

Old Donegal Daniel O’Flynn legte die Feder weg und beließ es bei dem Datum. Man sollte nicht prahlen, auch nicht in schriftlicher Form. Denn Übermut tat selten gut, und gewisse unbekannte Mächte achteten peinlich genau auf die Einhaltung solcher Grundsätze.

Nein, es war schon besser, Stolz und Freude für sich zu behalten und Geheimnisse nur mit vertrauenswürdigen Personen zu teilen.

Old Donegal kehrte an Deck zurück.

Die Männer und die Söhne des Seewolfs hockten auf Taurollen und auf den Decksplanken und ließen sich das Gebrutzelte schmecken, das der. Kutscher in bewährter Weise zurechtgezaubert hatte.

Plymmie lag neben den Zwillingen und benagte einen Knochen, den sie zwischen die Vorderpfoten, geklemmt hatte. Sir John, der sie alle fast in Teufels Küche gebracht hätte, hockte vorn über der barbusigen Galionsfigur und brabbelte unverständliches Zeug.

Old O’Flynn versorgte sich ebenfalls mit Essen und blickte kauend zur Bucht. Niemandem, der hier vor Anker gehen sollte, würde etwas auffallen. Alle Spuren waren beseitigt, die schwer zugängliche Höhle in der Steilwand war sogar nur aus nächster Nähe zu erkennen. Überdies lag sie so hoch über dem Boden, daß sich kaum jemand die Mühe bereiten würde, hinaufzuklettern.

Und vermuten, daß ausgerechnet dort oben ein Goldschatz in Kisten lagerte, würde erst recht niemand.

Diesen Denkfehler hatten auch Acosta und seine Halunken begangen. Ihr wesentliches Persönlichkeitsmerkmal war Faulheit gewesen. Demzufolge hatten sie sich nicht vorstellen können, daß irgend jemand soviel Energie aufgebracht hatte, die Kisten ausgerechnet nach dort oben zu hieven.

Im übrigen waren die Cat Cays für ein Versteck ohnehin bestens geeignet. Die Inseln waren unbewohnt und galten wegen der Riffzonen auf ihren Westseiten als besonders gefährlich. Desgleichen wurden ihre Ostseiten wegen der flachen Großen Bahama Bank von Schiffen gemieden.

Es mußte also schon mit dem Teufel zugehen, wenn jemand die Goldkisten in der bewußten Höhle aufstöbern sollte.

„Hört mal her, Leute“, sagte Old Donegal, nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten. „Ich will nicht selbstherrlich entscheiden, was jetzt mit unserem feinen Goldschatz passiert. Allerdings bin ich der Meinung, daß er da drüben in der Höhle sicher genug ist.“

„Ausnahmsweise bin ich mit dir einer Meinung“, sagte Ed Carberry. „Erstens wird niemand so verrückt sein, ausgerechnet hier an Land zu gehen, und selbst wenn das passieren sollte, würde der Betreffende noch lange nicht in unsere Höhle kriechen.“

„Sehr richtig!“ rief Martin Correa. „Wenn es ein Schiffbrüchiger ist, fehlt ihm sowieso die Ausrüstung, um die Höhle überhaupt zu erreichen. Wir haben es schließlich auch nur geschafft, weil wir die Jakobsleiter und die Taue von der ‚Viento Este‘ hatten.“

„In dem Punkt würde ich nicht so sicher sein“, warf Nils Larsen ein. „Ein Schiffbrüchiger könnte einen vom Sturm entwurzelten jungen Baum finden, ihn an die Steilwand lehnen und zur Höhle hinaufklettern.“

„Das ist ja wohl an den Haaren herbeigezogen“, sagte der Kutscher kopfschüttelnd. „Ebensogut könnte ein Seeadler in die Höhle fliegen, die Kisten aufhacken und einen Goldbarren nach dem anderen wegschleppen. Nein, Freunde, in der Beziehung sollten wir uns nicht gegenseitig verrückt machen. Donegal hat meiner Meinung nach recht. Es kann überhaupt nichts passieren, wenn wir den Goldschatz hierlassen.“

„Wie sollten wir die Kisten denn wohl mitnehmen?“ sagte Sven Nyberg. „Darf ich die Gentlemen darauf hinweisen, daß es sich um eine komplette Galeonen-Ladung handelt!“

Die anderen lachten.

„Du liebe Güte!“ rief Stenmark in gespielter Erleuchtung. „Darauf wären wir wohl selbst kaum gekommen. Wie gut, daß du uns darauf hinweist, Sven. Wir hätten doch glatt angefangen, die Kisten auf die ‚Empress‘ zu verladen. Und was dann?“

„Dann hätten wir festgestellt, daß Old Donegals Laderäume zu groß sind!“ rief Ed Carberry, und die ganze Meute lachte donnernd.

Auf der Galion setzte Sir John zu einem schrillen Zetern an, das in ein mehrfaches abgehacktes „Affenärsche!“ überging.

Sven Nyberg knurrte unwillig.

„Verspotten kann ich mich selber“, sagte er beleidigt. „Warum, in aller Welt, denkt ihr ernsthaft darüber nach, ob wir die Kisten in der Höhle lassen sollen, wenn ihr doch genau wißt, daß wir die Ladung gar nicht mitnehmen können?“

„Erlaube mir einen dezenten Hinweis, Mister Nyberg: Wir haben die Kisten aus den Laderäumen der ‚Viento Este‘ herübergeschafft und in die Höhle gemannt. Richtig?“

„Ja, natürlich“, erwiderte Sven stirnrunzelnd.

„Nun“, fuhr der Alte grinsend fort. „Dann wäre ja immerhin möglich, daß wir die Dinger auch wieder herausholen. Auch richtig?“

„Ja, sicher, aber …“

„Und was hältst du dann von der Möglichkeit“, fiel ihm Old Donegal ins Wort, „daß wir den ganzen Kram an einen anderen sicheren Ort schaffen – auf dieser Insel oder auf einer anderen?“

Sven Nyberg sah ihn einen Moment verdutzt an.

„Teufel auch“, sagte der Däne dann und grinste. „Daran habe ich im Eifer des Gefechts überhaupt nicht gedacht.“

Diesmal nickten die Männer nur. Es war nicht ihre Art, über einen anderen in hämischer Freude zu lachen, wenn er gerade zugab, daß er sich eine Sache nicht richtig durch den Kopf hatte gehen lassen.

„Vorschlag zur Güte“, sagte Old Donegal, um das Thema in andere Bahnen zu lenken. „Wir nehmen drei oder vier Kisten mit. Dadurch wird die ‚Empress‘ nicht lahmer, und wir sind wenigstens flüssig – für alle Fälle.“

Diesmal konnten sich die Männer ein Lachen nicht verkneifen.

„Was willst du denn mit deinem flüssigen Gold anfangen?“ rief Ed Carberry. „Von hier bis zur Cherokee-Bucht gibt’s meines Wissens keinen größeren Hafen mit gewissen öffentlichen Häusern.“

Wieder Gelächter.

„Wer sagt dir denn, daß er ausgerechnet in so einem Laden den Mammon auf den Kopf hauen will!“ ließ sich Stenmark vernehmen.

„Wo denn sonst?“ entgegnete Carberry grinsend. „Alles andere gibt’s doch fast umsonst.“

„Jetzt reicht’s!“ überbrüllte Old Donegal das erneute Gejohle. „Vielleicht ist dir entgangen, Mister Carberry, daß ich verheiratet bin!“

„Ist mir nicht entgangen!“ brüllte der Profos der „Isabella“ zurück. „Aber es soll Leute geben, die gerade deshalb …“

Der Kutscher ging rechtzeitig dazwischen, denn es hatte in dieser Minute den Anschein, als würde bei dem Alten der Faden reißen. Old Donegal brachte es in seiner Wut fertig, den Narbenmann zum Duell zu fordern. Und Carberry wiederum brachte es fertig, darauf aus lauter Schabernack auch noch einzugehen.

„Was zuviel ist, ist zuviel!“ rief der Kutscher und drängte beide Männer mit ausgestreckten Armen zurück. „Mister Carberry, ich muß dich wirklich bitten, deine Äußerung zu widerrufen und dich bei unserem Kapitän zu entschuldigen.“

„Jawohl, darauf bestehe ich“, sagte Old Donegal mit grimmiger Miene.

Carberry preßte die Lippen aufeinander, grinste schief und blickte in die Runde. Dann, als er von niemandem ein beifälliges Lächeln erntete, wurde sein zernarbtes Gesicht merklich länger.

„Also gut, meinetwegen“, erklärte er brummig. „Damit du zufrieden bist, Mister O’Flynn: Ich nehme zurück, was ich gesagt habe, und bitte dich vielmals um Entschuldigung.“

„Das war Spott!“ schrie Old Donegal aufgebracht und wollte von neuem auf den Profos los. „Das war glatter Hohn! Ich hab’s ganz klar herausgehört!“

„Du spinnst ja!“ brüllte Ed Carberry. „Wenn ich etwas sage, dann meine ich es auch so! Fängst du schon wieder an, Gespenster zu sehen?“

„So, ich denke, das reicht“, sagte der Kutscher und bugsierte beide Männer auf ihre ursprünglichen Plätze. „Als unparteiischer Mittler zwischen den Fronten stelle ich fest: Widerruf und Entschuldigung Mister Carberrys waren in Ordnung. Und du, Mister O’Flynn, hast keinen Grund mehr für ungerechtfertigte Anschuldigungen. Einverstanden, daß wir es dabei belassen?“

Der Profos nickte mit einem Knurrlaut.

Old Donegal winkte ab und gab sich den Anschein, als hätte er das Interesse an der Geschichte verloren.

„Gut, dann wäre das erledigt“, fuhr der Kutscher fort. „Im übrigen sollten wir unsere Zeit nicht mehr mit Nebensächlichkeiten vertrödeln. Ich denke, die Lagebesprechung ist keineswegs schon beendet, denn es gibt da noch eine weitere wichtige Frage zu klären. Nämlich die, ob wir unser ursprüngliches Ziel ansteuern, oder ob wir erst einmal zur Cherokee-Bucht zurückkehren.“

„Verdammt, ja!“ rief Old Donegal. „Das hätte ich nun wieder fast vergessen. An Coanabo hätte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Mir ist nur im Sinn, daß wir im Stützpunkt längst überfällig sind.“

„Womit er meint“, flüsterte Ed Carberry seinem Nebenmann Stenmark zu, „daß er befürchtet, seine liebe Mary, geborene Snugglemouse, könne ihm den Marsch blasen.“

Old Donegal hörte das Flüstern und warf einen mißtrauischen Blick zu ihnen. Da der Profos aber darauf verzichtete, seine Vermutung laut von sich zu geben, und da Stenmark keine Miene verzog, verzichteten sowohl der Kutscher als auch Old Donegal selbst auf eine erneute Zurechtweisung des Flüsterers.

In der Tat hatte in den letzten Stunden und Tagen kaum jemand an das eigentliche Ziel gedacht. Auf Andros hatte man die Pfahlbauten des Indianerstammes unter Häuptling Coanabo studieren wollen. Dieser Reisezweck war allerdings nur dem Kutscher und Old Donegal bekannt. Äußerer Grund für den Kurs auf Andros waren die Werkzeuge, die man Coanabo und seinen Männern bringen wollte.

Daß die Pfahlbauten Vorbild für die neue „Rutsche“ sein sollten, war vorerst ein sorgsam gehütetes Geheimnis zwischen dem Kutscher und Old O’Flynn. Auf Pfählen sollte im Uferwasser der Cherokee-Bucht jenes Bauwerk entstehen, in dem Mary Snugglemouse und der Nachwuchs ihr neues Heim finden sollten, wo ferner die neue Schenke des Alten untergebracht und Ed Carberry der erste sein würde, der durch die neue Rutsche ins Wasser hinuntersauste.

 

Eben dies zu verheimlichen, hatten Old O’Flynn und der Kutscher naturgemäß allen Grund.

„Ich meine, die Sache ist völlig klar“, sagte Old Donegal energisch. „Seit unserem Aufbruch von der Cherokee-Bucht sind jetzt mehr als zehn Tage vergangen. Wir hatten mit Hasard und den anderen aber klar vereinbart, daß wir innerhalb einer Woche zurück sein wollten. Wenn wir sofort zum Stützpunkt zurücksegeln, können wir vielleicht noch verhindern, daß sie wegen uns eine große Suchaktion anfangen.“

„Aber wartet Coanabo nicht auch auf die Werkzeuge?“ warf Carberry ein.

Old Donegal grinste kaum merklich. Wenn du wüßtest, dachte er, was du hinauszögerst, wenn wir erst zur Cherokee-Bucht zurückkehren! Aber er unterdrückte sein Grinsen und wechselte lediglich einen unauffälligen Blick mit dem Kutscher.

„Coanabo und seine Leute kennen unser Zeitmaß nicht“, belehrte der Kutscher den Profos. „Sie richten sich zwar nach Sonne und Mond, aber sie haben keine Uhr. Und manchmal vergessen sie einfach, die Mond- und Sonnenaufgänge zu zählen. Weil es für sie überhaupt nicht wichtig ist. Verstehst du, Mister Carberry?“

Der Profos schüttelte den Kopf.

„Nicht ganz. Wenn sich Coanabo oder einer seiner Leute zum Beispiel eine neue Hütte wünscht, sie aber nicht bauen kann, weil ihm das Werkzeug fehlt. Was tut er dann? Na, was wohl? Dann fängt er an zu zählen! Und hinterher ist die Freundschaft zwischen ihm und uns im Eimer, weil er uns für einen unzuverlässigen Haufen hält.“

„Glaube ich trotzdem nicht“, sagte Old Donegal gelassen, denn er wußte, daß Carberry mit seiner Meinung nicht durchdringen würde, nur, um ihn zu ärgern. Die meisten der Männer zog es erst einmal zum Stützpunkt zurück.

„Ich würde da nicht so sicher sein“, sagte der Profos. „Diese Indianer können manchmal unberechenbar sein.“

„Wir haben mit Coanabo keinen Termin vereinbart“, entgegnete Old Donegal. „Und jetzt Schluß der Debatte!“

Der Kutscher nickte bekräftigend.

„Ich schlage vor, daß wir über die Frage abstimmen.“

„Einverstanden“, sagte Old Donegal. „Also: Wer ist dafür, daß wir von hier aus direkt nach Andros segeln?“

Ed Carberry reckte den Arm hoch. Das Erwartungsvolle in seiner Miene wich Enttäuschung, als er sich umsah und feststellte, daß sein Arm da oben höchst einsam war, denn kein anderer leistete ihm Gesellschaft.

„Eine Stimme für Andros“, stellte Old Donegal scheinbar unparteiisch fest. In Wahrheit frohlockte er. „Und wer ist dafür, daß wir auf Direktkurs zum Stützpunkt segeln?“

Ed ließ den Arm sinken, und alle anderen flogen hoch. Hasard junior hob feixend Plymmies rechte Pfote, was der Profos jedoch nicht sehen konnte, da die Jungen hinter ihm hockten.

„Danke, das genügt“, sagte der Alte. „Riesen-Mehrheit für die Cherokee-Bucht. Damit ist alles klar. Wir holen uns ein paar Kisten aus der Höhle und gehen dann ankerauf.“

Ed Carberry verzichtete darauf, eine weitere Bemerkung von sich zu geben. Er rappelte sich auf, schob das Rammkinn vor und packte schweigend mit zu, als Old O’Flynn anordnete, die Jolle zu Wasser zu lassen. Lediglich die Jakobsleiter wurde mitgenommen. Die Spieren, die als Ladebaum dienten, und die erforderlichen Taue befanden sich noch in der Höhle und oben auf dem Felsvorsprung.

Lediglich der Kutscher blieb an Bord der „Empress“. Alle anderen begaben sich zum Strand, damit die „flüssigen Mittel“ in möglichst kurzer Zeit aus der Höhle geschafft werden konnten. Der Kutscher hatte Zeit, in der Kombüse aufzuklaren und seine Vorbereitungen für das Backen und Banken zu treffen. Denn die Vormittagsstunden würden fraglos für das Laden der Kisten draufgehen.

Die Zwillinge übernahmen es erneut, den überhängenden Felsvorsprung oberhalb des Höhleneingangs zu erklimmen und ein Seil hinunterzulassen, an dem die Männer unten am Strand die Jakobsleiter befestigen konnten.

Mit Hilfe eines zweiten Seils stieg Hasard junior über den Vorsprung hinunter und ließ sich abwärts sinken, bis er durch Schwungholen den Höhleneingang erreichte. Jetzt konnte er die Jakobsleiter hereinholen und verzurren. Auf dem umgekehrten Weg würden später Jakobsleiter und Seile wieder an die Seite geschafft werden.

Ed Carberry und Stenmark enterten auf. Ed trug die erste Goldkiste auf der Schulter bis zum Höhleneingang. Dort war inzwischen Nils Larsen aufgeentert. Stenmark und Carberry wuchteten ihm die Kiste gemeinsam auf die Schulter, und der Däne stieg mit der schweren Last ab, indem er sich lediglich mit der linken Hand festhielt.

Sven Nyberg und Martin Correa waren wiederum zur Stelle, um die Goldkiste zwischen die Duchten der Jolle zu stauen. Old Donegal überwachte das Ganze vom Strand aus, wo er auch blieb, als Nyberg und Correa mit der Jolle und der schweren Ladung zurück zur „Empress“ segelten.

Die Prozedur wurde noch dreimal wiederholt, und in der Tat verging mit dem langwierigen Hin und Her der gesamte Vormittag.

Dann aber verloren die Männer keine Zeit mehr. Nachdem sie am Strand sämtliche Spuren beseitigt hatten, gingen sie sofort ankerauf.

Old Donegal entschied jedoch, sicherheitshalber nicht westwärts über die große Bahama-Bank zu segeln. Der Schreck darüber, dort beinahe seine geliebte „Empress“ verloren zu haben, steckte ihm noch in den Knochen. Deshalb nahm die kleine Karavelle den Weg über den Nordwest-Providence-Kanal.