Seewölfe Paket 26

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3.

„Schade“, sagte Old Donegal enttäuscht. „Wirklich schade, daß sie sich nicht gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben.“

Ed Carberrys Miene spiegelte Entrüstung.

„Schade nennst du das? Ein Glück, sage ich! So bleibt uns wenigstens das Vergnügen, ihnen was auf die Nuß zu klopfen.“

Die Männer lachten glucksend.

„Langsam reicht’s mir!“ fauchte der alte O’Flynn. „Deine ewigen Widerworte gehen mir verdammt auf den Nerv, Mister Carberry. Du treibst es noch so weit, daß ich dir Redeverbot erteilen muß.“

Der Profos spielte den Erschrockenen, schlug sich mit der flachen Hand vor den Mund und sperrte die Augen weit auf.

„Ach du liebe Güte“, sagte er in gekünsteltem Respekt. „Das würde mir aber gar nicht gefallen, den ganzen Tag das Schott halten zu müssen.“

„Eben drum“, sagte Old Donegal, dem der Spott nicht aufging. „Deshalb wär’s ja auch die passende Strafe für dich. Dabei solltest du als Profos eigentlich am besten wissen, was Disziplin ist und was nicht.“

„Langsam werde ich ganz klein und häßlich“, sagte Ed Carberry offenbar geknickt. „Da kann man mal sehen, daß man selbst als Profos noch aufpassen muß, wenn man unter einem gestrengen Kapitän fährt.“

Old O’Flynn faßte das als Kompliment auf und grinste in seiner Felsendeckung vor sich hin.

Wieder war es der Kutscher, der die Aufmerksamkeit der „Empress“-Mannen in naheliegende Bahnen lenkte.

„Darf ich die Gentlemen Kapitän und Profos höflichst darauf hinweisen, daß sich bei der Galeone etwas Entscheidendes tut? Wenn mich meine Augen nicht täuschen, ist das Floß auf südlichen Kurs gegangen. Noch etwas erscheint mir wesentlich: Der Mann, der ganz vorn hockt, hat soeben begonnen, zu loten.“

Old Donegal kniff die Augen zusammen und spähte angespannt auf die Bucht hinaus.

„Verdammt“, sagte er, „die haben doch tatsächlich vor, ihren Pott näher ans Ufer zu legen.“

Carberry konnte ausnahmsweise nicht widersprechen.

„Was das bedeutet, dürfte ja wohl klar sein“, sagte er. „Die wollen ihre Kanonen einsetzen, damit eine Gruppe im Feuerschutz landen kann.“

„Vier Kanonen an Backbord“, sagte Stenmark wegwerfend, „und nur noch drei an Steuerbord, weil ihnen die eine auseinandergeflogen ist. Das ist ja nun nicht gerade ein überwältigender Feuerschutz.“

„Wenn wir uns entsprechend verteilen und laufend die Deckungen wechseln“, fügte Martin Correa hinzu, „dann werden wir damit fertig.“

Die anderen nickten zustimmend.

Unvermittelt ertönte von dem Floß der Spanier wildes, begeistertes Gebrüll Deutlich war immer wieder ein triumphierendes „Hurra“ herauszuhören.

„Sehen wir uns die Sache mal aus der Nähe an“, entschied Old Donegal kurzerhand. „Die Amigos sind ja vor Freude völlig aus dem. Häuschen.“

Im Schutz der Uferfelsen und des Gestrüpps drangen sie gut gedeckt in südlicher Richtung vor und verharrten kurz darauf auf gleicher Höhe mit dem Floß.

Es zeigte sich, daß die vier Floßfahrer fündig geworden waren. Ungefähr fünfzig Yards südlich des Ankerplatzes der „San Jacinto“ hatten sie eine Stelle gefunden, die dem Ufer fast dreißig Yards näher war als die derzeitige Position der Galeone. Und eifrig loteten die Strolche des verrückten Kapitäns weiter und stießen von Minute zu Minute näher ans Ufer vor.

Ein Krächzen tönte plötzlich durch die sonst stille Bucht. Erstaunt hoben die Mannen von der verschwundenen „Empress of Sea II.“ den Kopf.

Was da flügelklatschend über sie hinwegsauste, war knallrot und pfeilförmig mit seinen ausgebreiteten Flügeln.

„Der elende Geier!“ flüsterte Old Donegal. „Schon wieder!“

Carberry sandte einen fragenden Blick zu den Zwillingen, ballte hinter dem Rücken des alten O’Flynn die Hände zu Fäusten und schüttelte mißbilligend und fassungslos den Kopf.

Die Söhne des Seewolfs konnten nur die Schultern hochziehen. Für alle anderen, die in die Sicherungsverwahrung des roten Vogels nicht eingeweiht gewesen waren, bestand ja ohnehin nur die Tatsache, daß der Papagei unverhofft aus einem selbstgewählten Versteck wieder aufgetaucht war.

Philip und Hasard konnten es sich indessen nur so erklären, daß Sir John den Öffnungsspalt des Kistendeckels genutzt haben mußte, um sich zu befreien. Irgendwie mußte es ihm gelungen sein, mit seinem starken Schnabel die Verzurrungen zu erreichen und sie durchzubeißen.

Was die Jungen sich bereits ausgemalt hatten, geschah tatsächlich.

Sir John flatterte im Direktkurs auf die „San Jacinto“ zu, stieg bis über die Höhe der Masttoppen auf und drehte zwei Ehrenrunden. Da ihm aber niemand Aufmerksamkeit schenkte, weder durch einen Pistolenschuß noch durch einen gebrüllten Fluch, nahm er sich das Floß als Ziel vor, zu dem alle an Bord der Galeone neugierig hinüberstarrten.

Die Kerle, die wie gebannt auf das Loten achteten, bemerkten den Papagei nicht sofort. Doch nach der ersten Runde, hoch über ihren Köpfen, ließ er sich mit schriller Stimme vernehmen.

„Culos de mono!“ Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger als: „Affenärsche!“

Die Kerle auf dem Floß zuckten zusammen, und der Lotgast vergaß für den Moment sogar seine wichtige Tätigkeit. Entgeistert spähten sie hoch und sahen den kreisenden Papagei, der sie schon auf der Insel der „Viento Este“ so sehr verblüfft hatte.

Abermals schleuderte der Vogel ein „Affenärsche!“ in spanischer Sprache auf sie nieder.

„Jetzt reicht’s“, zischte einer der beiden Musketenschützen, ließ seine Langwaffe sinken und riß die Pistole aus dem Gurt.

„Hol es vom Himmel, das verdammte Flattervieh!“ rief der Mann am Wriggriemen.

Der Pistolenschuß krachte, und Sir John stieß ein schrilles Zetern aus, das nicht enden wollte. Nach einer Tirade von Schimpfwörtern, die allesamt aus dem Sprachschatz Ed Carberrys stammten, ergriff er mit Kurs auf den Strand die Flucht – gerade noch rechtzeitig, um auch der zweiten Pistolenkugel zu entgehen.

„Die schießen auf unseren Sir John!“ rief der alte O’Flynn grollend. „Das geht zu weit!“

Während der Papagei pfeilschnell in der Höhlenöffnung verschwand, erholte sich Stenmark als erster von der Überraschung über den plötzlichen Sinneswandel Old Donegals.

Die Kerle auf dem Floß hatten sich fast bis auf Musketenschußweite genähert.

Kurz entschlossen brachte der blonde Schwede seine Muskete in Anschlag und versuchte es mit einem Steilschuß. Krachend entlud sich die Langwaffe, und die Männer in der Felsendeckung hielten den Atem an.

Im nächsten Moment war vom Floß wildes Geschrei zu hören.

Old Donegal und seine Gefährten riskierten einen Blick. Der Lotgast preßte beide Hände auf den linken Oberschenkel und jammerte. Die anderen brüllten vor Schreck und vor panischer Angst, ebenfalls getroffen zu werden. Der Wrigger wendete in fliegender Hast und trieb das Floß zurück. Einer der beiden Musketenschützen war noch geistesgegenwärtig genug, eine Markierungsboje als Ansteuerungspunkt für die Galeone außenbords zu werfen.

„Alle Achtung“, sagte Old O’Flynn mit einem anerkennenden Seitenblick zu Stenmark, „auch wenn’s ein Zufallstreffer war.“

„Stimmt nicht“, widersprach der Schwede. „Ich habe gefeuert, um zu treffen. Und ich habe getroffen. Die Kugel streifte den Mann am linken Oberschenkel und schlug dann in ein Rundholz.“

„Und haargenau so hast du’s natürlich vorgehabt“, erwiderte Old Donegal grinsend.

„Klar doch“, behauptete Stenmark, ohne mit der Wimper zu zucken.

Das Floß war längsseits gegangen, und die drei Unverletzten hatten dem Mann mit der Beinschußwunde geholfen, über die Jakobsleiter aufzuentern.

Julio Acosta hatte seine erhöhte Kapitänsposition auf dem Achterdeck eingenommen und beobachtete das Geschehen auf der Kuhl. Er hatte ein Fäßchen Rotwein als Extraration an Deck schaffen lassen. Nach dem dürftigen Mittagsmahl, das aus gesottenen roten Bohnen mit Speck und Pökelfleisch bestand, sollte der Wein die Nerven der Kerle entspannen. Es war den gemeinsamen Zielen absolut nicht förderlich, wenn sie sich in gereizter Stimmung befanden.

Prado und Morro hatten es persönlich übernommen, die Beinwunde des Lotgasten zu versorgen. Natürlich, überlegte Acosta, mußten sich die beiden Schlitzohren wieder wichtig machen. Sie ließen einfach nicht locker damit, ihren Einfluß bei der Mannschaft auszubauen.

Acosta hatte verfügt, daß nach dem Backen und Banken zunächst eine einstündige Pause eingelegt wurde, bevor man begann, die „San Jacinto“ an die von der Floßbesatzung entdeckte Position zu verholen. Der Schwarzbärtige brauchte diese Ruhefrist auch für sich selbst, um einen klaren Kopf zu kriegen.

Es gab nun einmal gewisse Probleme, die er nicht einfach dadurch vom Tisch fegen konnte, daß er seine Vorgesetztenfunktion als unantastbar betrachtete. Damit gaukelte er sich nur selbst etwas vor. Das mußte er zugeben, wenn er ehrlich zu sich selbst war.

Seine Autorität war erheblich angeknackst, und der Grund lag in den Fehlern, die er begangen hatte. Es war unklug und unbeherrscht gewesen, voll einsatzfähige Männer einfach über die Klinge springen zu lassen.

Die Idee, mittels der kleinen Jolle am Strand einen Brückenkopf bilden zu lassen, war auch nicht gerade eine geistige Glanzleistung gewesen. Das Ergebnis hatte es bewiesen.

Alles in allem hatte er sich beträchtliche Sympathien verscherzt – ja, er mußte ehrlicherweise zugeben, daß er sich im Grunde alles selbst eingebrockt hatte, woran er jetzt zu kauen hatte.

Angefangen hatte es mit dem verrückten Papagei, der jetzt schon wieder aufgetaucht war – wie, um ihn zu verhöhnen. Das sprachgewandte Vieh mußte mit dem Teufel im Bunde stehen, da es sich nicht mit einer Pistolenkugel aus der Luft holen ließ.

 

Verdammt, ja, das war es! Der Gehörnte hatte den Papagei geschickt. Zwar war das ein höchst brauchbarer Fingerzeig auf den Verbleib des Goldes gewesen, aber es war auch von dem betreffenden Augenblick an alles schiefgelaufen.

Die Erklärung genügte Acosta, um sich damit vor sich selbst zu rechtfertigen. Der Höllenfürst hatte ihm das Hirn umnebelt, denn anderenfalls hätte er sich niemals dazu hinreißen lassen, eigene Leute ins Jenseits zu befördern. Jawohl, so und nicht anders mußte es gewesen sein.

Jetzt brauchte er nur eine geeignete Methode, um bei den Kerlen wieder volles Vertrauen und unumstößliche Autorität zu genießen.

Minutenlang beobachtete er die Kerle, wie sie auf der Kuhl ihren Rotwein schlürften und mit den üblichen unflätigen Lauten kundtaten, daß sie sich hemmungslos vollgefressen hatten.

Die Idee entsprang seinen suchenden Gedanken ohne Ankündigung, und er beglückwünschte sich insgeheim dafür. Noch vor wenigen Stunden wäre er nicht einmal im Traum auf eine solche Idee verfallen. Jetzt aber erschien sie ihm als die ideale Methode zur Beseitigung aller Schwierigkeiten.

Man mußte den Einfaltspinseln den kleinen Finger geben und sie in dem Glauben wiegen, daß sie die ganze Hand erhalten hatten.

„Prado und Morro zu mir“, sagte Acosta energisch und übertönte das Stimmengemurmel auf der Kuhl. „Lagebesprechung!“

Schlagartig wurde es still. Alle Blicke richteten sich zum Achterdeck. Der Bootsmann der „Viento Este“ blinzelte ungläubig, und sein dürrer Gefährte legte die Stirn in ein Wellenmuster von Falten.

„Was soll denn das nun wieder heißen?“ entgegnete Prado mit der nach Acostas Meinung plumpen Direktheit des einfachen Mannes, der weder Fingerspitzengefühl noch Anstand kannte.

Der Schwarzbärtige bewahrte dennoch seine deutlich zur Schau gestellte Überlegenheit.

„Ich will keine eigenen Entscheidungen mehr treffen“, sagte er rundheraus. „Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, daß dabei nichts Gutes herauskommt. Also noch mal: In fünf Minuten Lagebesprechung in der Kapitänskammer.“

Es verfehlte seine Wirkung nicht. Während er über den Backbord-Niedergang abenterte und würdevoll in Richtung Achterdeckskammern schritt, sah er an den Mienen Prados und Morros, daß sie sich geschmeichelt fühlten.

Genau das hatte er erreichen wollen. Indem er sie zu seinen Vertrauten ernannte, brachte er sie in eine Distanz von den Decksleuten und näher an sich heran. Die Gefahr einer offenen Meuterei gegen ihn wurde damit geringer.

Er betrat die Kapitänskammer, in der ihn sein Vorgänger auf der „San Jacinto“, de Llebre, so hinterhältig hatte aushorchen wollen. Er war froh, daß er seinerzeit richtig reagiert und den Spieß kurzerhand umgedreht hatte. Jene Umsicht und jene zielsichere Tatkraft, die er dabei an den Tag gelegt hatte, mußte nun auch wieder bestimmend für sein Verhalten als Kommandant dieses Schiffes sein.

Zum Teufel, mit einer fünfzehnköpfigen Crew war die Galeone bereits hoffnungslos unterbemannt. Auf ein Seegefecht durfte er sich mit so einem winzigen Haufen niemals einlassen, und wenn sie in einen Sturm geraten sollten, dann hing ihr Leben buchstäblich an dem so oft erwähnten dünnen Faden.

Nein, er durfte sich auf keinen Fall zu weiteren Wutausbrüchen hinreißen lassen. Und er mußte die Kerle unter Kontrolle halten, indem Prado und Morro seine Vertrauenspersonen wurden. Jedem Vordecksaffen, dem man ein bißchen Kompetenz gab, schwoll erfahrungsgemäß vor Stolz die Brust.

Er entkorkte eine Flasche Rum aus de Llebres Vorräten, karibischer Rum von der besten Sorte. Zusammen mit drei Bechern stellte er sie auf den Tisch. Dann zog er den bequemen Stuhl seines Vorgängers heran und setzte sich ans Kopfende des Tisches.

Die Schritte der beiden Männer polterten pünktlich heran. Ihre Bewegungen waren tapsig, als sie eintraten. Acosta beobachtete es und ließ sich nicht anmerken, wie er sich insgeheim darüber amüsierte.

Die Kapitänskammer war eine ihnen fremde Umgebung, in der sie sich unbehaglich fühlten. Damit hatte er einen klaren Vorteil: Sie würden es als etwas Besonderes betrachten, wenn er sich mit ihnen auf eine Stufe stellte.

„Setzt euch und genießt einen edlen Tropfen mit mir“, sagte er mit einer einladenden Handbewegung. „Was wir als nächstes unternehmen, will genau und in aller Ruhe bedacht werden.“

Prado und Morro setzten sich linkisch. Acosta füllte die Becher jeweils zur Hälfte mit dem hochprozentigen Rum und prostete den beiden Teilnehmern seiner Lagebesprechung zu.

Er trank einen Schluck und ließ seinen Becher mit einem wohligen Laut wieder sinken.

„Wir wollen die Vergangenheit auf sich beruhen lassen“, sagte er mit jener Betonung, wie er sie bei feierlichen Ansprachen gehört hatte. „In der Vergangenheit hat es Fehler gegeben, die nicht wieder geschehen dürfen. Wir müssen mit aller Kraft bestrebt sein, jetzt ans Ziel zu gelangen.“

„Die Fehler haben nicht wir begangen“, sagte Prado über den Rand seines Bechers hinweg. Er hatte dabei das „Wir“ betont.

Acosta verzog unwillig das Gesicht. Da war sie wieder, diese plumpe Direktheit, von der er gern Abstand halten wollte, je mehr er sich mit seinem selbstgewählten Kapitänsrang identifizierte.

„Darüber bin ich mir im klaren“, sagte er versöhnlich. „Eben deshalb habe ich euch ja auch zu dieser Lagebesprechung gebeten. Natürlich kann ich nicht jede Einzelheit mit jedem erörtern. Was ich brauche, sind zuverlässige Gewährsleute, die die Crew vertreten. Über Offiziersränge und dergleichen können wir später reden, wenn wir unsere wichtigste Aufgabe bewältigt haben und eine vollständige Mannschaft in Heuer nehmen.“

In den Augen des Bootsmanns und des dürren Decksmanns entstand ein Funkeln. Sie hatten den Köder angenommen. Acosta bemerkte es mit Genugtuung.

„Ich sehe da überhaupt keine Schwierigkeiten mehr“, sagte Morro breit und lehnte sich zurück. „Wir haben eine passende Stelle gefunden und brauchen nur noch dort zu ankern. Dann bepflastern wir den Strand mit unseren Neunzehnpfündern, bis die ganze verdammte Insel sturmreif ist.“

„Hört sich sehr einfach an“, sagte Prado, „aber ich würde da doch nicht so verdammt sicher sein. Es gibt ein paar Kleinigkeiten, die mir nicht gefallen.“

„Was für Kleinigkeiten?“ stieß Morro hervor, und es klang wie das Zuschnappen eines Hundes.

„Alles in allem haben wir vier Geschütze, die wir auf einmal einsetzen können. Damit erreichen wir keine Feuergeschwindigkeit, die die Kerle in Deckung zwingt. Und richtig bepflastern können wir den Strand schon gar nicht.“

Der Dürre schüttelte den Kopf.

„Geschütze sind Geschütze“, entgegnete er halsstarrig. „Und wenn wir sie damit nur einschüchtern, dann reicht das schon. Die verdammten Bastarde haben nur Musketen, wenn ich’s richtig mitgekriegt habe.“

„Sehr richtig!“ rief Prado. „Das ist ein weiterer Punkt. Das Floß war nahe genug am Strand, so daß sie mit einer Muskete hinlangen konnten. Immerhin haben wir seitdem einen Verwundeten.“

„Zufallstreffer“, erklärte Morro.

„Egal“, entgegnete der Bootsmann mit einer heftigen Handbewegung. Er hatte sich in Eifer geredet. „Wir liegen mit der Galeone an der neuen Position, das heißt, auch in Musketenreichweite. Ob Zufallstreffer oder nicht – wir müssen dann dauernd damit rechnen, daß uns Blei um die Ohren fliegt.“

Morro schüttelte den Kopf.

„Dann setzen wir eben auch Musketenschützen ein.“

„Wo willst du denn so viele Leute hernehmen? Wir brauchen eine Geschützbedienung, normalerweise mindestens zwei Mann für jede Kanone. Dann vier Mann für das Floß. Macht zwölf. Bleiben nur noch drei Mann und unser Kapitän.“

Beide warfen einen Seitenblick zu Acosta, der die Kuppen der gespreizten Finger aneinandergelegt hatte und interessiert zuhörte.

„Na und?“ sagte der Dürre brummend. „Das reicht doch für die Musketen, oder?“

„Dann haben wir niemanden mehr für das Schiff!“ schrie Prado unbeherrscht. „Und für Unvorhergesehenes erst recht nicht.“

„Ruhig Blut, Señores, ruhig Blut“, mahnte der Schwarzbärtige mit einer dämpfenden Handbewegung. „Vorläufig sind das alles noch ungefangene Fische. Ich meine, wir sollten zunächst einmal die Position einnehmen, die unsere Floßbesatzung entdeckt hat. Daß wir mit Musketenschüssen rechnen müssen, wissen wir. Wir werden entsprechend vorsichtig sein. Andererseits glaube ich nicht, daß die Bastarde ihre Munition sinnlos verschwenden. Die wissen doch genauso wie wir, daß sie mit Zufallstreffern kaum etwas ausrichten können.“

„Und unsere Kanonen?“ wandte Prado ein. „Wenn sie nun nicht ausreichen, um die Insel sturmreif zu schießen?“

Acosta tat, als überlege er.

„Wir werden unsere Floßbesatzung nicht sofort losschicken“, sagte er schließlich. „Erst mal erproben wir die Wirkung der Geschütze. Erst wenn wir wissen, mit welcher Taktik wir die Bastarde am besten in Schach halten, wird unser Landetrupp in Marsch gesetzt.“

Prado zog anerkennend die Augenbrauen hoch.

„Sehr gut. Bist du bereit, das Ganze auch abzublasen, wenn sich herausstellt, daß es keinen Zweck hat?“

„Natürlich“, erwiderte der Schwarzbärtige sofort. „Dann müssen wir uns eben etwas anderes einfallen lassen. Wer einen vernünftigen Vorschlag hat, soll sich bei mir melden. Gebt das an die Männer weiter.“

Der Bootsmann und sein dürrer Gefährte nickten beeindruckt.

„Ich denke“, sagte Prado, „so kriegen wir es hin.“

„Müßte mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht klappt“, fügte Morro hinzu.

„Den Teufel laßt lieber aus dem Spiel“, sagte Acosta und füllte die Becher noch einmal zur Hälfte mit Rum. „Der verflixte Kerl könnte sonst noch auf die Idee verfallen, uns einen Streich zu spielen.“

Die Männer prosteten sich zu und lachten. Es klang eine Spur übertrieben, mit einem deutlichen Hauch von Unbehagen angereichert. Völlig abwegig, den Eindruck hatten sie alle drei, war die Furcht vor dem Teufel nicht.

Indessen wußten sie nur zu gut, daß ihr Vorhaben noch eine Menge Unwägbarkeiten in sich barg. Das hing auch mit der Tatsache zusammen, daß die Kerle auf der Insel ziemlich gewiefte Burschen waren, die sich nicht so leicht überrumpeln lassen würden.

Mit Schaudern dachten Acosta und seine beiden neuen Vertrauten daran zurück, wie ihnen nachts die Beiboote gestohlen und die Ankertrosse gekappt worden war. So etwas durfte nicht noch einmal passieren. Nein, wer auch immer zur Ankerwache eingeteilt wurde, er würde es sich nicht erlauben, während seiner Wache sanft zu schlummern.

Das abschreckende Beispiel der standrechtlichen Erschießung hatten alle noch in bester Erinnerung. Und schließlich, so sagte sich Acosta, brauchten sie nicht zu wissen, daß er sich hüten würde; ein weiteres Mannschaftsmitglied ohne triftigen Grund zu erschießen.

Nachdem sie ihre Rumbecher geleert hatten, begaben sie sich gemeinsam an Deck. Acosta erteilte den Männern Order, sich im Halbkreis zu versammeln. In einer salbungsvollen Ansprache ließ er die Kerle wissen, auf welchen Entschluß sich die „Schiffsführung“ geeinigt habe.

Prado und Morro, die sich nicht zuletzt dank des Rums zu durchaus freundschaftlichen Gefühlen für Acosta durchgerungen hatten, nickten zu jedem Satz beipflichtend.

Der Schwarzbärtige nahm es mit stiller Freude zur Kenntnis. Seine Taktik hatte sich als richtig erwiesen. Andererseits war er sich darüber klar, daß man bei Burschen wie Prado und Morro jederzeit mit einem Stimmungsumschwung rechnen mußte.

Im Augenblick aber bestimmte allein die Goldgier ihr gemeinsames Handeln. Acosta begab sich auf das Achterdeck und beobachtete zufrieden, wie Prado und Morro die Männer einteilten. Dann übernahm der Bootsmann das Ruder, während sich Morro an der vorderen Balustrade der Back postierte, um ihm mit Handzeichen genaue Anweisungen für den richtigen Kurs zu geben.

Lediglich mit dem Focksegel tastete sich die „San Jacinto“ der Stelle entgegen, die von der Floßmannschaft mit der Boje markiert worden war. Der Nordostenwind wehte mit mäßiger Kraft, was der Behutsamkeit der Männer an Bord der Galeone sehr entgegenkam.

Acosta behielt mit dem Spektiv nahezu ununterbrochen den Strand im Auge. Zwar rührte sich dort nichts, aber er war dennoch überzeugt, daß ihn die Bastarde genauso aufmerksam beäugten wie er sie.

Schließlich bargen die Männer das Tuch. Der Steuerbord-Buganker rauschte auf Tiefe und faßte sofort – vermutlich irgendwo in einer bizarren Korallenformation. Acosta dachte an den Backbordanker, der irgendwo in der Nähe des bisherigen Liegeplatzes für immer auf Grund bleiben würde. Die verfluchten Goldräuber waren dafür verantwortlich. Noch einmal sollte ihnen so etwas nicht gelingen.

 

Er ließ das Spektiv sinken, klemmte es unter den Arm und rieb sich voller Vorfreude die Hände. Gleich würde es den Bastarden an den Kragen gehen. Dann sollten sie zum ersten Male die Sprache der Bordgeschütze verstehen lernen.

Acosta konnte nicht ahnen, daß ihm erneut ein Strich durch die Rechnung gemacht werden sollte – diesmal allerdings nicht von den Goldräubern, sondern von einer Macht, auf die niemand Einfluß hatte.