Seewölfe Paket 26

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4.

Die Naturgewalten hatten sich zu einem launischen Spiel entschlossen.

Dieser Meinung war jedenfalls Old Donegal Daniel O’Flynn, als er sah, was kurz nach der Mittagsstunde geschah. Carberry und die anderen waren nicht weniger entgeistert, aber der alte O’Flynn verzichtete darauf, ihnen seine Mutmaßungen mitzuteilen. Natürlich würden sie wieder herumalbern, wenn er ihnen seine Theorien über das Eigenleben gewisser Mächte auseinandersetzte, die sich außerhalb menschlicher Kontrolle befanden.

Zunächst war es eine kaum merkliche Veränderung.

Old Donegal beobachtete Plymmie, die dösend bei den Zwillingen hinter der Felsendeckung lag. Ohne erkennbaren Grund hob die Wolfshündin plötzlich den Kopf und schnupperte. Dabei blähte sie die Nasenflügel, und es sah aus, als hätte sie eine Witterung aufgenommen. Doch weder auf der Wasserfläche der Bucht noch am Strand gab es irgend etwas Erkennbares, was sich dem Versteck der Männer genähert hätte.

Dem alten O’Flynn fiel indessen auf, daß sich die Hündin nicht wieder zur Ruhe bettete. Sie richtete sich auf und strich mit sichtlicher Unruhe um die Zwillinge herum.

„Platz, Plymmie!“ rief Hasard junior halblaut.

„Sonst fängst du noch eine verirrte Kugel ein“, sagte Philip, „zuzutrauen ist den Dons alles.“

Old Donegal grinste. Die Jungen wußten schon verdammt gut, auf was es ankam. Er war überzeugt, daß sie Sir John bei ihrem kurzen Aufenthalt in der Felsengrotte befreit hatten. Aber es spielte keine Rolle mehr. Sein Groll war geschwunden, nachdem sich die Fronten geklärt hatten. Mit dem Versteckspiel war es seit diesem Morgen ohnehin vorbei.

Die Jungen mußten Plymmie immer wieder ermahnen, liegenzubleiben. Der alte O’Flynn beobachtete es, und eine seltsame Ahnung stieg in ihm auf. Etwas Unvorhergesehenes würde geschehen. Ja, das spürte er jetzt in allen Knochen. Und ein dumpfes Pochen in seinem Holzbein ließ vermuten, daß dieses Unvorhergesehene etwas mit dem Wetter zu tun hatte.

Er warf den Männern in seiner Nähe einen Seitenblick zu. Sie unterhielten sich über belangloses Zeug – wie üblich. Sinnlos, ihnen verklaren zu wollen, daß sich etwas zusammenbraute. Sie würden es eben erst mitkriegen, wenn es soweit war.

Old Donegal empfand sich wieder einmal voller Stolz als jemand, der in die Zukunft sehen konnte – und wenn es auch nur ein kleines Stück war.

Minuten später wurde es auch den anderen aus dem Bund der Korsaren klar – wenngleich sie nach Old O’Flynns fester Überzeugung die Tragweite beileibe noch nicht kannten.

Der Wind frischte auf.

Old Donegal meinte, gleichzeitig zu spüren, daß sich auch der salzig-frische Geruch der Luft veränderte. Was da von Nordosten handiger herangefächert wurde, roch nach Unrat.

Wiederum nach Minuten geschah etwas, was selbst den, alten O’Flynn verblüffte.

Der Wind begann zu drehen.

Während er noch weiter auffrischte, drehte dieser verrückte Wind doch tatsächlich unablässig – langsam und im Uhrzeigersinn. Es hatte fast den Anschein, als wollten die launischen Naturgewalten dies zu einer ständigen Einrichtung werden lassen.

Die Gespräche der Männer verstummten. Voller Spannung spähten sie nun zur „San Jacinto“, wo der sich anbahnende Wetterumschwung mit noch größerer Aufmerksamkeit verfolgt wurde.

Grinsend linste Old Donegal durch seinen Kieker und stellte fest, daß der verrückte Schwarzbart und seine Kerle erst einmal das Klarieren der Geschütze einstellten.

Nervös klingende Befehlsfetzen wehten zum Strand herüber.

Carberry schüttelte verständnislos den Kopf.

„Diese Armleuchter haben doch wohl alle eine Planke vorm Gehirn, was, wie? Wenn ich an deren Stelle wäre, würde ich schleunigst aus den Riffs verschwinden.“

Daß der Wind ernsthaften Verdruß bereiten würde, war inzwischen keine bloße Vermutung mehr. Er hatte von Nordosten über Osten bis nach Süden gedreht und stabilisierte sich noch immer nicht.

„Du bist aber nicht an ihrer Stelle, Ed“, sagte Stenmark. „Anscheinend kannst du dir nicht vorstellen, zu was die Gier nach Gold einen Menschen treiben kann.“

„Zum größten Blödsinn“, entgegnete der Profos und nickte. „Das haben wir ja oft genug erlebt. Aber begreifen kann ich’s trotzdem nicht.“

Old Donegal lachte leise meckernd.

„Da sieht man mal wieder, was dir so alles an Vorstellungsvermögen fehlt, Mister Carberry. Ich habe dir und den anderen oft genug gesagt, daß es zwischen Himmel und Erde …“

„… Dinge gibt, von denen wir armseligen Menschenkinder nicht die leiseste Ahnung haben“, beteten die Männer seinen altbekannten Spruch im Chor zu Ende.

Mit einem wütenden Ruck setzte Old Donegal sein Spektiv an und spähte auf die Bucht hinaus. Seinem Gesichtsausdruck sahen die anderen an, daß sie ihn mal wieder gernhaben konnten.

„Das ist nicht zu fassen!“ schrie Acosta und stampfte mit dem linken Fuß auf die Achterdecksplanken, daß es krachte. „Das kann doch einfach nicht wahr sein!“

„Ist es aber“, sagte Prado trocken. „Dieser Wind spielt verrückt.“

Morro lief über die Kuhl auf den Steuerbordniedergang zu und meldete Vollzug. Die Männer hatten sämtliches Tuch überprüft und die Geitaue noch einmal sorgfältig festgezurrt. Es fehlte noch, daß ein etwaiger Sturm ihnen die Lappen aus dem Gei fetzte und zerriß. Bei der Nachlässigkeit der Kerle wäre auch so etwas kein Wunder gewesen. Daran zweifelte Acosta nicht.

„Und was jetzt?“ fragte der Dürre vom Niedergang her. „Nehmen wir die Halunken am Strand jetzt endlich unter Feuer?“

Acosta benagte seine Unterlippe und suchte nach einer Antwort. Der Wind drehte noch immer und wehte jetzt aus südwestlichen Richtungen. Die „San Jacinto“ schwojte beträchtlich an der langen Ankertrosse. Auf die Dauer war das kein Zustand. Wenn der verdammte Wind so weiterdrehte, konnten sie bald die Backbordgeschütze verwenden, ohne daß sie dafür selbst ein Manöver durchführen mußten.

Prado erlöste den Schwarzbärtigen von seiner Antwortsuche.

„He, he, seht euch das mal an!“ rief der Bootsmann von der Heckbalustrade her.

Acosta folgte der Aufforderung bereitwillig. Morro enterte auf und lief ihm nach wie ein hechelnder Hund.

Der Wind hatte mittlerweile bis fast nach Westen gedreht und noch mehr aufgefrischt.

Was Prado in Aufregung versetzte, sahen Acosta und der Dürre, ohne zweimal hinschauen zu müssen. Zum Greifen nahe ragten scharfkantige Riff-Formationen aus dem schäumenden Wasser. Das Achterschiff war einer Grundberührung gefährlich nahe. Wie es aussah, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die „San Jacinto“ mit dem Heck aufbrummte.

Damit war das Beschießen des Strandes vorerst in weite Ferne gerückt. Das sah auch Morro ein.

Acosta scheuchte die Kerle an das Ankerspill, und das seewärtige Verwarpen ging einigermaßen zügig vonstatten. Das mußte er zugeben, obwohl ihm vor Nervosität die Haarwurzeln kribbelten. Er verfluchte die Goldräuber dafür, daß er jetzt ohne einen zweiten Buganker auskommen mußte.

Angesichts der Schaumkronen auf den heranrollenden Wogen und der zunehmend düsteren Färbung der See war jedoch das Schlimmste zu befürchten. Prado und Morro teilten Acostas Meinung, daß sie ohne einen zweiten Anker in zu große Gefahr gerieten. Deshalb gab es nur eine einzige Lösung, die eigene Sicherheit auszubauen.

Alle Hände wurden eingesetzt, um den Heckanker an Deck zu hieven. Verglichen mit der anschließenden Plackerei war das noch eine beinahe leichte Übung. Den Kerlen lief der Schweiß in Strömen über die Gesichter, als sie den schweren Stockanker über Poop, Kuhl und Back nach vorn schleppten und ihn schließlich an Backbord mittels einer neu angeschlagenen Trosse abfierten.

Drei Mann hatten unterdessen das Floß besetzt und nahmen den Anker in Empfang. Der Wrigger hatte höllische Mühe, das plumpe Wasserfahrzeug überhaupt in Bewegung zu bringen. Die beiden anderen unterstützten ihn mit Riemen, die sie etwa mittschiffs in behelfsmäßigen Dollen führten. Dennoch erreichte das Floß mit seiner schweren Last nur behäbige Fahrt, die Wellen spülten immer wieder über die tiefliegenden Rundhölzer hinweg.

Acosta und die anderen beobachteten, wie sich die Floßbesatzung Yard um Yard buchstäblich erkämpfen mußte. Der Wind war ihr größter Gegner, und die Zeit verrann rasend schnell.

Als es endlich gelungen war, den zweiten Anker in passabler Entfernung auszubringen, brach bereits die Dämmerung herein. Triefend naß und keuchend kehrten die Kerle vom Floß an Bord zurück. Acosta ließ die Laternen anzünden und Extrarationen Rum ausgeben. Der Wind heulte um das Schiff und ließ die Wogen in entnervendem Rhythmus gegen die Außenbeplankung klatschen.

Irgendwann, in der Behaglichkeit der Kapitänskammer, dachte Acosta daran, daß die seemännische Vernunft eigentlich geboten hätte, ankerauf zu gehen und sich von dieser gefährlichen Riffküste freizukreuzen.

Aber an erster Stelle stand das Gold. Der Schwarzbärtige war überzeugt, daß man in einem solchen Fall nicht nur mit Vernunftmaßstäben handeln konnte.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte er siegesgewiß.

Auch nach Einbruch der Dunkelheit ließ der Wind nicht nach, sondern legte eher noch etwas zu.

Ungefährdet hatten der Kutscher und die Zwillinge über die Jakobsleiter in die Felsengrotte auf entern und Verpflegung herbeischaffen können. Zum Hinunterspülen von Hartbrot, Pökelfleisch und gedörrten Früchten gab es spanischen Rotwein aus handlichen Fässern.

Old Donegal hatte die Männer hinter einem der größeren Uferfelsen zusammengerufen, wo sie riskieren konnten, eine Laterne mit schwacher Flamme brennen zu lassen. Der Lichtschein drang nicht über den Felsen hinaus.

 

Die Zwillinge waren zwanzig Yards entfernt hinter Ufergestrüpp am südlichen Hang in Stellung gegangen. Ihre Aufgabe war es, die „San Jacinto“ unablässig zu beobachten. Seit der Rückkehr der Floßmannschaft hatte sich drüben an Bord nichts mehr getan. Doch die Ruhe konnte trügerisch sein. Nicht einmal der Teufel wußte vermutlich, auf was für hirnrissige Ideen die Dons noch kamen. Immerhin verhinderte der harte Westwind zunächst, daß sie ihre Bordgeschütze auf den Strand abfeuerten.

„Die Frage ist“, sagte Old Donegal nach einem ausgiebigen Schluck Rotwein, „ob wir diese Nacht noch einmal eine Aktion gegen die Galeone starten. Schlechte Vorzeichen kann ich jedenfalls nicht entdecken.“

„Kein Wunder, bei der Dunkelheit“, sagte Carberry, und im rötlichen Lampenschein wirkte sein Grinsen beinahe boshaft.

Der alte O’Flynn versuchte es diesmal mit einer anderen Methode. Er tat, als hätte er die Bemerkung des Profos überhaupt nicht gehört. Und es funktionierte.

Der Kutscher ergriff das Wort, alle Aufmerksamkeit lenkte sich auf ihn, was dazu führte, daß Carberrys Bemerkung unterging, ohne von einem der Männer wirklich beachtet zu werden.

„Die Gelegenheit für eine Aktion wäre günstig“, sagte der Kombüsenmann in jener etwas geschraubt klingenden Sprache, die er sich in seiner Zeit bei Sir Anthony Freemont in Plymouth angewöhnt hatte. „Die Spanier dürften kaum damit rechnen, daß wir ein zweites Mal auf ähnliche Weise zuschlagen wie zuvor. Außerdem deutet alles darauf hin, daß sie den Westwind abflauen lassen wollen, bevor sie selbst etwas unternehmen.“

„Woher willst du das wissen?“ sagte Martin Correa. „Vielleicht haben sie von uns gelernt und schleichen sich heimlich mit ihrem Floß an.“

„Ausgeschlossen“, entgegnete der Kutscher. „Das Floß trägt nur vier Mann. Sie wissen also, daß sie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen wären. Außerdem können sie zur Zeit ihre Geschütze nicht abfeuern. Für ein Landeunternehmen gäbe es folglich keinen Feuerschutz.“

„Die stoßen sich nicht noch einmal die Nase“, sagte Stenmark im Brustton der Überzeugung. „Was mit ihrer kleinen Jolle passiert ist, werden sie nicht so schnell vergessen.“

„Anzunehmen“, entgegnete Old Donegal und nickte. „Dann sind wir uns also einig, daß wir in dieser Nacht noch einmal losschlagen?“ Er blickte fragend in die Runde.

Die Männer brummten zustimmend. Es gab keine Gegenstimme.

„In Ordnung“, fuhr der alte O’Flynn fort. „Dann fragt sich nur noch, was wir uns diesmal einfallen lassen. Die gleiche Prozedur wie beim letzten Mal? Kappen wir die Ankertrossen, brummen sie diesmal allerdings im Handumdrehen auf.“

„Ich meine, wir sollten ihnen auch zusätzlich ein bißchen das Ruder verkeilen“, sagte Ed Carberry. „Genug Jollen haben wir jetzt ja, und wenn wir schon mal dran sind, warum dann nicht gleich ganze Arbeit leisten?“

Im Laternenlicht grinsten die Männer sich an.

„Guter Vorschlag“, sagte Sven Nyberg.

„Finde ich auch“, ließ sich Nils Larsen vernehmen. „Ich bin dafür, daß wir das so durchführen, wie Ed gesagt hat.“

Old Donegal murmelte widerstrebend Zustimmung. Er ließ noch einmal abstimmen, und das Ergebnis war einmütig.

Besser, etwas zu unternehmen, als die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu warten, ob der Gegner etwas tat. Das war die Überzeugung der Männer vom Bund der Korsaren, und der Beschluß wurde entsprechend zügig in die Tat umgesetzt. Als Ausrüstung wurden Hartholzkeile, mit Lappen umwickelte Hämmer und die vom Kutscher geschärften Entermesser zusammengetragen.

Außerdem wendeten die Männer erneut das schon bewährte Rezept des Kombüsenmanns an, die Dollen der Boote mit Schmalz einzufetten. Auf diese Weise, das hatte sich gezeigt, gaben die Riemen beim Pullen nicht das leiseste Knarren von sich.

Es war zwei Stunden nach Mitternacht, als die Männer ihr Unternehmen begannen. Ein weiterer günstiger Umstand hatte sich dazugesellt: eine dichte Wolkendecke schottete das Licht von Mond und Sternen ab. Es herrschte völlige Finsternis, und die Männer hatten Mühe, auch nur die Hand vor Augen zu erkennen.

„Die wahre Nacht für Diebe und Halunken“, sagte Ed Carberry, während er eine der Jollen gemeinsam mit Stenmark klarierte. Als „gelernte Ankerkapper“ waren sie bereits ein eingespieltes Team, und es hatte deshalb keine Diskussion darüber gegeben, daß sie diese Aufgabe auch jetzt wieder übernehmen würden.

Der blonde Schwede lachte leise.

„Fehlt bloß noch, daß wir mit irgendwelchen lichtscheuen Elementen den Kurs kreuzen.“

„Wenn, dann kann so was nur auf einem Floß unterwegs sein“, entgegnete Carberry, und jeder der anderen konnte sich vorstellen, welches Grinsen dabei sein Narbengesicht kerbte.

Nils Larsen und Sven Nyberg übernahmen eine weitere Jolle. Ihre Aufgabe würde es sein, das Ruder zu verkeilen. Das sollte geschehen, bevor Carberry und Stenmark die Ankertrosse durchsäbelten. Mit dieser Verfahrensweise, so rechneten sich die Arwenacks aus, würde der Erfolg wahrhaft durchschlagend sein.

Behutsam verstauten sie Waffen, Munition und Ausrüstung zwischen den Duchten der beiden Jollen, die sie ebenso vorsichtig an den Strand geschoben hatten. Die Jolle der „Empress“ blieb zurück.

Das stete Heulen des Windes half den Männern um Old Donegal Daniel O’Flynn. Sie konnten sicher sein, daß die Dons weder hörten, geschweige denn sahen, was sich am Strand abspielte.

Martin Correa, der Kutscher und die Zwillinge halfen mit, bis die Jollen genügend Wasser unter dem Kiel hatten. Dann kehrten sie in ihre Deckung zurück, und die Zwillinge begaben sich erneut auf ihren Ausguckposten.

Mit lautlosen Riemenschlägen entfernten sich die Jollen und wurden buchstäblich von der Dunkelheit verschluckt.

Auf der „San Jacinto“ waren drei Lampen gesetzt – achtern, mittschiffs und auf der Back. Schemenhaft konnten Hasard und Philip die Wachen erkennen. Der schwarzbärtige Kapitän hatte diesmal zwei Mann eingeteilt. Offenkundig war er aus Schaden klug geworden. Ob klug genug, würde sich noch zeigen.

Carberry, Stenmark und die beiden Dänen wurden unterdessen hart gefordert. Der Westwind trieb ihnen machtvolle Wogen entgegen, und beträchtlich war auch der Winddruck, den die Bootsrümpfe mit ihrer Angriffsfläche zu schlucken hatten.

Entsprechend kraftvoll mußten sich die Männer in die Riemen legen und sich überdies noch anstrengen, den Kurs auf das Heck der Galeone zu halten. Immer wieder drohten sie abzudriften, sobald sie den Bug nicht präzise in den Wind hielten.

Dann, nach Minuten, die sich endlos dehnten, ließ der Druck von vorn spürbar nach. Carberry spähte voraus. Der hoch aufragende Schatten des Achterschiffs der „San Jacinto“ war nur dank der Hecklaterne zu erkennen, wobei die unteren Seitenlinien bereits in der Dunkelheit verschwammen. Der matte Lichtkreis der Laterne reichte nur bis zur Heckgalerie. In einer der Achterdeckskammern, vermutlich der Kapitänskammer, blakte ebenfalls noch ein schwaches Licht. Das Ruderblatt lag völlig im Dunkeln.

Je höher sich die beiden Boote an das Heck der Galeone schoben, desto mehr verringerte sich der Winddruck. Das Wasser war weniger kabbelig, und den Männern fiel es leichter, geräuschlos zu pullen.

Ed Carberry und Stenmark verhielten in zwanzig Yards Entfernung vom Schiffsheck. Mittels sanfter Riemenbewegungen hielt der Schwede das Boot auf Position. Carberry schnappte sich eine der Musketen und spähte aus schmalen Augen zur Heckbalustrade des Spaniers.

Noch rührte sich dort oben nichts. Jede Bewegung wäre im Licht der Hecklaterne jedoch sofort zu erkennen gewesen.

Lautlos glitt die Jolle mit Nils Larsen und Sven Nyberg auf das Heck der Galeone zu. Schon in zehn Yards Entfernung von ihren Gefährten waren die beiden Männer und das Boot nicht einmal mehr als Schattenrisse eindeutig zu erkennen.

Sven Nyberg übernahm beide Riemen allein und bugsierte die Jolle mit mäßiger Fahrt in die Finsternis zwischen Ruderblatt und Schiffsheck. Nils Larsen hatte sich unterdessen am Bug aufgerichtet.

Weich und glitschig fühlte sich der Algenbewuchs, des Ruderblatts an, den er im nächsten Moment ertastete. Er stieß einen Zischlaut aus, und sofort stellte sein Landsmann das ohnehin schwache Pullen ein. Nils Larsen verhinderte, daß das Dollbord gegen das Ruderblatt stieß und dabei einen verräterischen Laut verursachte.

Vorsichtig holte Sven Nyberg die Riemen ein und packte das Ruderblatt an der achteren Kante, damit die Jolle nicht abtrieb.

Nils Larsen hatte unterdessen schon den ersten Hartholzkeil bereit, stieß ihn mit der Hand zwischen Ruderblattvorderkante und Achtersteven und sorgte mit dem lappenumwickelten Hammer für festen Sitz.

Für den zweiten Keil lavierten die Männer ihre Jolle vorsichtig um das Ruderblatt herum. Nur wenige Minuten waren verstrichen, als Nils Larsen danach auch das zweite Stück Hartholz festgerammt hatte. Nicht einmal Carberry und Stenmark hatten die gedämpften Hammerschläge gehört. Es war also so gut wie ausgeschlossen, daß die Kerle an Bord der „San Jacinto“ etwas bemerkt hatten.

Die Dänen stießen die Jolle ab und kehrten zu ihren Gefährten zurück. Gemeinsam verholten sie daraufhin mit beiden Booten nach voraus – was abermals in Knochenarbeit ausartete, denn es gab nun keinen Windschutz mehr.

Gischtfahnen wehten ihnen um die Ohren, und die Wogen schmetterten gegen die nicht gerade schnittig geformten Bootsbeplankungen. Die Männer hatten keine Zeit, darüber zu grinsen, daß es die Jollen der „San Jacinto“ waren, die sie benutzten, um eben jene Galeone in einen lahmen Eimer zu verwandeln. Ihre Muskelkraft und ihre Ausdauer wurde diesmal auf das Äußerste gefordert, denn es bestand größte Gefahr, daß sie vom Wind gegen die Backbordwand des Spaniers gedrückt wurden.

Immerhin rührte sich aber an Bord der „San Jacinto“ nichts. Die Kerle hatten also nichts von dem mitgekriegt, was sich da soeben am Heck ihres feinen Schiffes abgespielt hatte. Genaugenommen mußten die Ankerwachen Bohnen in den Ohren haben.

Carberry und seine Gefährten frohlockten mit solchen Gedanken zu früh. Das mußten sie begreifen, als sie sich etwa in Höhe der Back befanden.

Kurz nacheinander klatschten zwei Riemenblätter auf das Wasser. In der Dunkelheit war nicht einmal zu erkennen, wer es verursacht hatte. Fest stand, daß es in dem Kabbelwasser ohnehin höllisch schwierig war, die Riemen stetig und ohne jeden Fehler zu führen.

Es waren zwei schmetternde Schläge, die die Riemenblätter verursachten – auch im Tosen des Windes überdeutlich zu hören.

„Himmel, Arsch und Wolkenbruch“, fluchte Ed Carberry leise. „Jetzt haben wir gleich das schönste Theater am Hals.“

Er sollte sich nicht täuschen, und vor allem war es weder ein amüsantes noch ein amouröses Theater, wie es Roger Lutz auf der Galeone der Komödianten erlebt hatte. Hier handelte es sich um jene Art von Theater, bei der der Donner hinter den Kulissen echt war.

Carberry war bereits auf eine der vorderen Duchten gewechselt und hatte Stenmark den Riemen übergeben, als oben über der Verschanzung der Kuhl die Silhouette eines Mannes auftauchte – wie ein Scherenschnitt vor dem hellen Hintergrund des Laternenlichts. Einen Augenblick verharrte der Kerl regungslos vor Schreck, das war zu erkennen.

Ed Carberry, brauchte nur diese Sekunde, um eine Muskete hochzubringen und anzuschlagen.

„Alarm!“ schrie der Spanier mit sich überschlagender Stimme. „Alarm! Zwei Boote längsseits! Alarm! Zwei Boote an Backbord! O Himmel, das sind unsere Boote.“ Bei den letzten Worten wurde er leiser, fast andächtig.

Carberry jagte ihm eine Kugel haarscharf über den Kopf hinweg. Aus der zweiten Jolle feuerte Nils Larsen. Beide hatten genügend geladene Musketen bereit, damit sie wenigstens einen kleinen Vorsprung herausholen konnten.

Auf der „San Jacinto“ pflanzte sich das Geschrei fort. Heisere Männerstimmen waren nun auch aus den Unterdecksräumen zu hören, sehr rasch erreichte es die Kuhl, und Schritte von harten Stiefeln dröhnten über die Planken der Kuhl.

Nur noch für Sekunden hielten sich Carberry und Larsen die Spanier auf Abstand. Dann peitschten die ersten Musketenschüsse von der Galeone.

In der Dunkelheit hatten sie beträchtliche Mühe, überhaupt ein Ziel zu erkennen. Doch immerhin – auch der Zufall konnte gefährlich werden. Das bekamen die Männer in den Jollen zu spüren, als kurz nacheinander zwei Kugeln ins Wasser klatschten – den Booten schon verteufelt nahe.

 

Die Jollen befanden sich jetzt etwa in Höhe der Galion.

An Bord der „San Jacinto“ begannen die Kerle, auf die Back zu eilen. Schon krachten die ersten Schüsse aus der für die Dons günstigeren Position.

Carberry und Nils Larsen gaben es auf. Alle Musketen waren leergeschossen, und zum Nachladen blieb jetzt ohnehin keine Zeit. Das beste war eindeutig, das Weite zu suchen. Carberry und Nils Larsen begaben sich zu ihren Gefährten auf die mittlere Ducht, und während sich die Mündungsblitze auf dem Vorschiff der „San Jacinto“ verdichteten, erhöhten die beiden Jollen ihre Fahrt.

Die Dunkelheit war ihr bester Schutz. Einmal schlug eine Kugel in die Achterducht der Carberry-Stenmark-Jolle. Doch alle anderen Geschosse peitschten nur das ohnehin aufgewühlte Wasser.

„Fackeln!“ ertönte eine gellende Stimme an Bord der Galeone. „Zündet Fackeln an und schleudert sie außenbords! Dann können wir die Hurensöhne besser aufs Korn nehmen!“

Begeistertes Gebrüll war die Reaktion.

Die Männer vom Bund der Korsaren erhöhten ihre Schlagzahl. Über sich erkannten sie die Trosse des Backbordankers – zu hoch jedoch, um sie gewissermaßen im Vorbeigehen doch noch zu kappen. Die Trosse des zweiten Ankers sahen sie schon nicht mehr, denn sie holten in einem weiten Bogen vor dem Bug der Galeone aus, um aus der Reichweite der Musketen zu gelangen.

Und dann half ihnen der Westwind, als sie auf Ostkurs gingen. Der Fackelplan der Spanier verfehlte seine Wirkung, denn sie konnten das Pechfeuer nicht weit genug schleudern, um die fliehenden Jollen damit noch aus der Dunkelheit zu holen. So blieben es auch jetzt nur etwaige Zufallstreffer, vor denen Ed Carberry und seine Gefährten sich fürchten mußten.

Sie blieben verschont.

Nach und nach verebbte das Knattern der Musketen auf der „San Jacinto“, während sie mit rauschender Fahrt in die Bucht stießen. Den Wind von achtern zu haben, erschien ihnen jetzt geradezu als ein Geschenk des Himmels.

Die Freunde am Strand konnten auf Heimlichtuerei verzichten und waren mit Laternen zur Stelle. Mit vereinten Kräften zogen sie die Jollen hoch an Land und bargen Waffen, Munition und Ausrüstung. Dann begaben sie sich hinter den hohen Uferfelsen, wo der Kutscher mit einem wohltuenden Punsch aufwartete.

Ed Carberry erstattete Bericht und endete mit einem Fluch, nachdem er erwähnt hatte, daß es ihnen nicht mehr gelungen war, die Ankertrossen zu kappen.

„Aber wenigstens habt ihr das Ruder blockiert“, sagte der Kutscher. „Und wenn die Dons nichts davon gemerkt haben, ist das schon eine ganze Menge.“

Old Donegal ordnete an, daß sich die Zwillinge für den weiteren Verlauf der Nacht im Vier-Stunden-Rhythmus ablösen sollten. Wenn nötig, konnte der jeweilige Ausguck die Männer innerhalb von Sekunden wecken. Doch es sah nicht so aus, als ob der Wind nachlassen würde. Die Spanier verfügten nach wie vor nur über ihr jämmerliches Floß. Es war also nicht damit zu rechnen, daß sie in dieser Nacht noch etwas unternehmen würden.