Seewölfe Paket 26

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4.

Der Kutscher, Nils und Sven enterten ab und pullten zur „Empress“ hinüber. Nachdem sie drüben angelegt hatten, kehrte Nils allein wieder zurück und brachte drei Schaufeln mit.

„Bevor wir die Toten zum Strand bringen“, sagte Carberry, „durchsuchen wir noch einmal schnell alle Räume, auch die Laderäume. Ich will mir später keine Vorwürfe machen, daß wir doch noch jemanden übersehen haben.“

Sie begannen, noch einmal das Schiff auf den Kopf zu stellen. Aber es wurde niemand mehr gefunden. In die Laderäume war ebenfalls Wasser eingedrungen. Ins Achterschiff konnte man ebenfalls nicht mehr hinein, weil dort alles unter Wasser stand.

Jetzt begann für sie die unangenehme Arbeit, die vier Toten ins Beiboot zu bringen.

„Geh du in die Jolle, Nils und nimm sie uns ab. Wir lassen sie an einem Tau hinunter.“

Carberry und Stenmark holten den ersten Toten, banden ihm ein Tau um den Leib und fierten ihn nach unten ab, wo Nils ihn zwischen die Duchten legte.

Dann wurde der zweite, dritte und schließlich der vierte Tote nach unten gebracht.

Die vier Leichen, die kreuz und quer zwischen den Duchten hingen, boten einen schaurigen Anblick. Bei jeder noch so kleinen Welle schien das Leben wieder in sie zurückzukehren. Einer von ihnen erweckte den Eindruck, als winke er zum Abschied mit der Hand zur „Empress“ hin.

Dann aber hatten sie die grausige Fracht endlich an Land.

Schweigend gingen sie daran, eine größere Grube zwischen den Felsen auszuheben. Die Sonne stach heiß vom Himmel. Es war jetzt Nachmittag, und die Hitze schien immer größer zu werden. Schon bald rann ihnen der Schweiß in Bächen über die Stirn.

„Christenpflicht kann manchmal ganz schön anstrengend sein“, sagte Stenmark. „Aber wir haben es gleich geschafft.“

Verbissen schaufelten sie weiter. Als der Profos einmal kurz verschnaufte, sah er dicht neben der „San Jacinto“ heftige Bewegungen im Wasser. Neben dem Schiffsrumpf schien das Wasser zu kochen und zu brodeln.

„Haie“, sagte Nils. „Die fallen jetzt über den Speck her.“

Die Grube war endlich fertig. Die vier Toten wurden hineingelegt. Dann schaufelten sie die Grube wieder zu und legten einen größeren Stein darauf.

In der Nähe des Wracks pfeilten die Haie weiter durchs Wasser und gebärdeten sich wie toll.

Der Profos empfahl die sündigen Seelen dem Herrn und kehrte zur Jolle zurück.

„Vergeßt nicht, was der Kutscher gesagt hat“, mahnte er. „Wir sollen uns ordentlich die Hände waschen, damit wir nichts von dem lausigen Gift abkriegen.“

Sie wuschen sich ausgiebig die Hände, wie der Kutscher empfohlen hatte, stiegen in die Jolle und kehrten zur „Empress“ zurück.

Old O’Flynn stand an Deck – mit roten Ohren und dickem Hals. Er war voll in Braß.

„Ich überlege gerade“, sagte er grimmig, „ob wir diesen Bastarden nicht doch hinterhersegeln sollen. Nach allem, was sie getan haben, sollte man ihnen einen Denkzettel verpassen. Wir schießen ihnen die Flöße zusammen und lassen sie an Land schwimmen. Dann sollen sie meinetwegen auf der nächstbesten Insel vergammeln. Die Halunken haben es nicht besser verdient.“

„Die Rachegefühle sind ja durchaus verständlich“, meinte der Kutscher, „doch inzwischen sind die Kerle längst über alle Berge. Sie stecken irgendwo südlich hinter den Inseln. Wenn wir denen folgen, können wir den ganzen Tag bis zur Nacht mit der Suche verbringen, wobei es immer noch fraglich bleibt, ob wir sie überhaupt finden.“

Old O’Flynn wollte wieder mal mit dem Schädel durch die Wand und bedauerte lebhaft, daß sie die Strolche überhaupt hatten abziehen lassen.

Aber schließlich siegte die Vernunft.

„Keine Sorge“, sagte der Kutscher. „Wir werden sie schon noch wiedersehen. Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, daß sie noch nicht aufgegeben haben. Warum sollen wir hinterhertörnen, wenn sie uns ohnehin einen Besuch abstatten werden? Wir werden auf der Hut sein und sie gebührend empfangen. Möglicherweise können wir schon für die heutige Nacht mit einem Überfall rechnen.“

Die Argumente des Kutschers überzeugten auch Old O’Flynn schließlich.

„Gut“, sagte er, immer noch zornerfüllt. „Dann verholen wir jetzt auf gleicher Höhe zu der Galeone und legen uns vor der Westküste auf die Lauer. Danach können wir uns aufs Ohr hauen, um später gerüstet zu sein. Eine Wache genügt.“

Da von der „San Jacinto“ absolut keine Gefahr mehr drohte, hievten sie den Anker, setzten die Segel und verholten.

Auf gleicher Höhe vor der aufgebrummten Galeone wurde dann erneut der Anker gesetzt.

„Ich werd’ glatt verrückt“, sagte Carberry, als die Karavelle ruhig vor Anker lag und sie Zeit hatten, sich umzusehen. „Schaut mal dort hinüber.“ Dabei wies er mit dem ausgestreckten Finger zu der Galeone hin.

Was sie sahen, schockierte sie doch.

Ganz in der Nähe, etwa zwanzig Yards von der „Empress“ entfernt, trieben zwei Haie. Sie hatten die Bäuche nach oben gedreht. Ihre aufgesperrten Mäuler schnappten haltlos ins Leere. Die großen Fische zuckten, als litten sie unter heftigen Krämpfen. Einer bewegte sich nur noch ruckartig durch das Wasser. Dann lag er wieder still da, zuckte erneut und raste im Zickzack hin und her. Das Spiel wiederholte sich ein paarmal hintereinander. Der große Fisch schoß danach bis auf den Grund, wühlte den Sand auf und kam schlingernd wie betrunken an die Oberfläche.

Nach einer Weile rührte er sich nicht mehr. Der zweite Hai schien ebenfalls tot zu sein. Die Wellen trieben ihn langsam dem Ufer zu.

„Die haben den durchwachsenen Speck gefressen“, sagte der Kutscher unbehaglich. „Das haben wir schon vorhin beobachtet.“

„Und der Speck war vergiftet“, fügte der Profos hinzu. „Dabei dachte ich, daß ihnen das nichts ausmacht. Jetzt stellt euch nur mal vor, daß wir von dem Zeug gemampft hätten! Dann würden wir uns jetzt ebenfalls in Zuckungen winden.“

Die Fische rührten sich nicht mehr. Mit ihren nach oben gerichteten hellen Bäuchen trieben sie immer näher ans Ufer.

Zwei weiteren kleinen Haien schien es ähnlich zu ergehen. Einer donnerte wie benommen an den Rumpf der Galeone, daß das Geräusch deutlich bis zur „Empress“ hinüber zu hören war. Der andere raste wild durchs Wasser und schoß auf die Riffe zu. Dort verschwand er etwas später, ohne daß sie ihn noch einmal sahen.

Nach einer weiteren halben Stunde hauchte auch der dritte Hai sein Leben aus. Auch er wand sich in wilden Zuckungen, bis er dicht vor die Bordwand der Karavelle trieb.

„Das will ich genau wissen“, sagte der Profos. „Wir hieven ihn an Bord und sehen mal nach, was er im Magen hat.“

„Speck“, sagte der Kutscher lakonisch. „Was sonst! Genau daran ist er eingegangen.“

Dem Profos aber ließ das keine Ruhe.

„Das muß ja ein fürchterliches Gift sein“, sagte er, „wenn schon Haie daran krepieren. Das hätte ich nie geglaubt.“

„Hievt den lieber nicht an Deck“, sagte Old O’Flynn schaudernd. „Nachher vergiftet er uns noch alle.“

„Da kann nichts passieren, Donegal. Wir sehen mal nach.“

Die Zwillinge waren wieder einmal voller Begeisterung bei der Sache. Sie brachten auch sogleich Taue herbei.

Carberry streifte das Auge eines Taues dem vor der Bordwand treibenden Hai über den Schädel. Sven und Nils verfuhren mit dem Schwanzende des Haies ebenso.

Dann packten alle mit an und hievten den Hai an Deck. Er war so lang wie ein ausgewachsener Mann und rührte sich nicht mehr.

Der Profos erlebte jedoch eine üble Überraschung, als er sich mit dem Entermesser in der Faust über den Hai beugte. Er setzte gerade zum Schnitt an, als der Hai ganz überraschend lebendig wurde.

Der große Fisch riß das Maul mit den gewaltigen Zähnen auf und schnappte zu. Gleichzeitig krümmte sich der Körper, und die Schwanzflosse holte zu einem gewaltigen Schlag aus.

Gedankenschnell sprang der Profos vor dem zuschnappenden Kiefer noch rechtzeitig zur Seite. Doch dem Schlag mit der Schwanzflosse vermochte er nicht mehr auszuweichen.

Ein gewaltiger Schlag säbelte ihm die Beine unter dem Leib weg.

Edwin Carberry sauste quer über die Planken, verlor das Entermesser und donnerte mit dem Schädel an die Unterkante des Schanzkleides.

Dort blieb er für ein paar Augenblicke liegen, als hätte ihn ein gewaltiger Schwinger von den Beinen gerissen.

Der Hai aber begann an Deck zu toben. Er wand sich wie ein Riesenaal. Sein fürchterliches Maul öffnete und schloß sich. Der Leib zuckte wie wild, der Schwanz teilte Schläge nach allen Richtungen aus.

Die Männer sprangen fluchend zur Seite. Old O’Flynn begann lautstark zu zetern.

„Das habe ich gleich gewußt. Das Biest zertrümmert uns noch das ganze Schiff.“

Carberry berappelte sich und kam wieder auf die Beine. Dabei schüttelte er ärgerlich den Kopf. Ein ganzer Bienenschwarm hatte sich dort eingenistet und summte in den höchsten Tönen.

Die Bordhündin Plymmie stürzte sich auf das zappelnde und um sich schlagende Monstrum. Sie knurrte heiser, hatte die Lefzen hochgezogen und versuchte, nach dem Hai zu schnappen. Wie wild stürzte sie sich darauf. Aber sie konnte keinen Biß anbringen, ihre Fänge schnappten jedesmal an der rauhen Haut vorbei und glitten ab.

Old O’Flynn raufte sich inzwischen fast die Haare. Übergangslos hatte sich die Karavelle in ein Tollhaus verwandelt.

Sir John schrie Zeter und Mordio, Plymmie schnappte nach dem Hai, und die anderen beeilten sich, den wilden Schwanzschlägen auszuweichen, die immer heftiger wurden.

Old O’Flynn schnappte sich eine Pistole, visierte kurz an und feuerte auf den Hai. Aber der Schuß ging in der Aufregung in die Planken und jaulte als plattgedrückter Querschläger schräg in den nachmittäglichen Himmel.

 

Fast hätte es dabei noch Sir John erwischt. Der Papagei flatterte fürchterlich schimpfend und zeternd hoch in die Luft.

Das wiederum brachte den Profos in Braß.

„Bist du verrückt, auf Sir John zu schießen!“ brüllte er.

Aber da war er bei Old Donegal an der richtigen Adresse. Der war jetzt auch geladen, weil das wilde Biest nicht zu bändigen war.

„Dein Scheißhai!“ schrie er zurück. „Du bist verrückt, so ein Mistvieh an Bord zu hieven. Außerdem habe ich nicht auf deinen dreimal verdammten Aasgeier geschossen!“

Den Profos überfiel wilde und jähe Wut. Er hatte sich von dem Hieb immer noch nicht so richtig erholt, und jetzt wurde er äußerst aggressiv und angriffslustig.

Er hob sein Entermesser auf, stürzte sich auf den zückenden Fisch, rammte ihm das Messer in die Seite und zog es wild durch.

Nils Larsen feuerte zugleich einen Schuß aus nächster Nähe in den Schädel des Haies ab.

Ein letztes wildes Zucken, ein Aufbäumen erfolgte. Dann schlug der Schwanz nur noch einmal matt über Deck.

Eine zweite Kugel, diesmal von Stenmark abgefeuert, gab dem Riesenfisch endgültig den Rest.

„Aus und vorbei“, sagte der Kutscher erleichtert, als der Hai ruhig und blutend auf den Planken lag.

Aber noch war gar nichts aus und vorbei, denn jetzt gerieten sich Old O’Flynn und der Profos wieder in die Haare.

Der Profos war dabei allerdings etwas ungerecht.

„Gar nichts ist vorbei!“ brüllte O’Flynn. „Jetzt haben wir die Sauerei an Deck, nur weil dieser Hornochse mal nachsehen wollte, was der Hai im Magen hat.“

„Und du Oberhornochse schießt auf unschuldige Vögel!“ röhrte Carberry. „Immer drauf, ohne Rücksicht auf Verluste!“

„Ich hab’ nicht auf deine Krachente geschossen“, verteidigte sich der Alte stocksauer. „Ich hab’ auf das Mistvieh gefeuert, aber das geht in deinen dösigen Schädel wieder mal nicht hinein. Der Hai hätte uns beinahe umgebracht.“

„Quatsch! Gar nichts hätte er! Ich hätte das Vieh schon erledigt!“

„Das hat man gesehen“, höhnte Old Donegal. „Der hat dir eins übergebraten, daß du fast über Stag gegangen wärst. Der Mist wird jetzt über Bord gefeuert. Noch bin ich der Kapitän.“

„Jetzt, nachdem er tot ist, hast du noch Angst vor ihm, was, wie? Du brauchst gar nicht dauernd zu betonen, daß du der Kapitän von diesem Geisterschlorren bist, das wissen wir längst.“

„Was heißt hier Geisterschlorren?“ empörte sich der Alte.

„Na, ist das etwa kein Geisterschlorren? Haut klammheimlich ab und kehrt klammheimlich zurück.“

„Wärmt nur den alten Kram wieder und streitet weiter“, sagte der Kutscher ruhig. „Etwas anderes könnt ihr ja nicht. Wir werfen das Vieh über Bord, reinigen das Deck, und damit ist der Vorfall erledigt. Und ihr beiden Streithähne gebt euch die Hand und vertragt euch wieder.“

„Ha, dem werde ich meine Hand geben“, wetterte Old O’Flynn. „Der kriegt es glatt fertig und gibt sie nicht mehr zurück. Der hat doch zuviel Wind auf der Mühle, hat der.“

Der Kutscher nahm einen neuen Anlauf, weil es nicht so aussah, als würden die beiden Kampfhähne ihren unsinnigen Streit beenden.

„Vielleicht tut’s ein kleiner Schluck Rum zur Versöhnung.“

„Sagtest du Rum?“ fragte Old Donegal. „Das wäre direkt zu überlegen.“

„Aber erst, wenn ich dem Vieh den Bauch aufgeschnitten habe“, sagte Carberry. Seine Stimme klang jetzt ein wenig gedämpfter, seit er etwas von einem Versöhnungsschluck gehört hatte.

Schließlich einigte man sich darauf, daß man „einmal nachsehen“ würde. Immerhin war der Hai jetzt ungefährlich. Er würde auch nicht mehr ganz überraschend zum Leben erwachen, denn sein Blut färbte bereits die Planken rot.

„Also gut“, sagte Old O’Flynn schließlich. „Dann fang endlich an, damit die Schweinerei ein Ende hat.“

Es gab keine sonderliche Überraschung, als der Mageninhalt des Hais auf den Planken lag. Er hatte große Teile der Speckseite aus dem Stück gesagt. Ansonsten fanden sie nur noch die vermatschten Überreste zweier kleinerer Tintenfische. Mehr enthielt der Haimagen nicht.

Der Profos war’s zufrieden, denn jetzt hatte er die Gewißheit, daß der große Fisch an dem vergifteten Speck eingegangen war.

„Und wo ist die Buddel mit Rum?“ fragte er.

„Die gibt es erst, wenn die Planken wieder sauber sind.“ In der Beziehung gab Old O’Flynn um keine Handbreite nach.

Speck und restlicher Mageninhalt wurden durch die Speigatten über Bord befördert. Dann hievten sie den Fisch hoch und warfen ihn ebenfalls ins Wasser.

Old O’Flynn paßte auf wie ein Luchs. Er selbst rührte keinen Finger, sondern sah nur zu.

Kurz danach war auch das Deck wieder sauber geschrubbt.

Old O’Flynn betrachtete kritisch die Planken und schaute peinlich genau nach, ob nicht noch irgendwelche Reste von dem „Schweinkram“ zu finden waren, bis das dem Profos wieder auf die Nerven ging:

„Was gibt’s denn da ständig zu glotzen – hast du noch keine Schiffsplanken gesehen?“

„Ich will mich nur vergewissern, ob alles sauber ist und der Kahn später nicht nach toten Fischen stinkt.“

„So sauber waren deine Planken noch nie“, behauptete Carberry, was ihm einen zornigen Blick des Alten eintrug.

Dann aber bequemte er sich doch, die Rumbuddel zu holen, und jeder setzte zu der üblichen Daumenbreite an. Hasard und Philip junior bedauerten dabei lebhaft, nicht so breite Daumen wie der Profos zu haben.

„Jetzt kontrollieren wir noch die Drehbassen und legen Musketen bereit“, sagte Old O’Flynn. „Und dann können diese Fleischvergifter antanzen. Sie werden ihre helle Freude haben. Daß man mich vergiften wollte, das vergißt ein O’Flynn nie im Leben. Da bin ich verdammt nachtragend.“

Da es immer noch sehr warm war, legten sich ein paar der Männer einfach auf die Planken, um auf Vorrat zu schlafen. Niemand zweifelte daran, daß sie in dieser Nacht noch recht unliebsamen Besuch erhalten würden.

Sie waren jedoch gewappnet und erwarteten ihre Gegner.

5.

Auf dem einen südwärts segelnden Floß hockte Acosta am Ruder und grinste verzerrt vor sich hin.

Seine fünf anderen Kerle grinsten ebenfalls etwas mühsam. Sie waren heilfroh, so glimpflich davongekommen zu sein, und darüber palaverten sie jetzt auch noch.

„Das sind vielleicht ein paar blöde Kerle“, sagte Dino, ein dickwanstiger Bursche mit plattgedrückter Nase. „Bei mir hätte es keinen Pardon gegeben. Ich hätte alle abgeknallt.“

Die anderen pflichteten ihm lebhaft bei. Auch der Stotterer, den sie wegen seiner Aussprache Tartamudo nannten, gab ihnen recht. Aber weil er immer so lange brauchte, um einen Satz herauszubringen, nahm ihn keiner für voll, und sie hörten ihm auch gar nicht erst zu.

Aber es war bezeichnend für sie, daß sie jetzt groß herumtönten, seit sie ihre Freiheit wieder hatten.

Beide Flöße segelten fast nebeneinander in Richtung Süden. Es war jetzt später Nachmittag, und eine laue Brise trieb die Flöße langsam über das Meer.

Acosta warf immer wieder einen Blick zurück. Er sah das Wrack der „San Jacinto“ und achteraus von ihr die Karavelle. Dort waren die Kerle gerade dabei, etwas weiter achteraus zu verholen.

Auch die fünf anderen sahen gespannt dem Manöver zu, konnten es sich allerdings nicht erklären.

Noch etwas später sahen sie, wie ein Beiboot zu der zerschossenen Galeone gepullt wurde.

„Einen Kieker hätten wir mitnehmen sollen“, sagte Acosta. Dann ließ er für einen kurzen Augenblick das Ruder los und rieb sich die Hände.

„Jetzt gehen sie an Bord und werden eine Überraschung erleben. Die zweite wird noch folgen.“

Mittlerweile wußten alle Schnapphähne, was Acosta und Prado mit dem Proviant angestellt hatten.

„Ich kenne doch die Kerle“, sagte Acosta. „Sobald sie in der Proviantlast stehen und den verlockenden Speck sehen, werden sie nicht widerstehen können und sich ein paar Scheiben absäbeln. Dann finden sie den Wein und den Rum, und aus lauter Freude werden sie sich das Zeug zu Gemüte führen. Ist doch überall das gleiche“, meinte er mit einer wegwerfenden und verächtlichen Handbewegung. „Ich würde es ja auch nicht anders halten. Aber die sind bald geliefert.“

Seine Begeisterung steckte die anderen jedoch nicht an. Sie hatten kein richtiges Vertrauen mehr zu ihm, weil alles, was er bisher angepackt hatte, schiefgegangen war.

„Vielleicht sind sie schlauer, als wir denken“, sagte Esposito, ein Glatzkopf mit wildem Schnurrbart, der ihn brutal und hinterhältig aussehen ließ.

„Was heißt hier: Schlauer als wir denken?“ fuhr Acosta den Kahlköpfigen an. „Wenn ich mir etwas überlege, dann überlege ich es richtig, weil ich Kerle von der Sorte genau kenne. Nach einer Weile kippen die aus den Latschen.“

Miguel, Dino und Esposito warfen Acosta einen Blick zu, der mehr als deutlich ausdrückte, was sie von ihm hielten.

„Deine Pläne sind ja immer ganz gut“, meinte Miguel, „aber sie gelangen meist nicht zur Ausführung.“

Auf Acostas Stirn schwoll eine Ader dick an. Sein Gesicht begann sich heftig zu röten.

„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst“, drohte er. „Ich kann auf dich ohne weiteres verzichten.“

„Wenn du auf einen nach dem anderen verzichtest, dann hast du bald niemanden mehr, und es dürfte dir im Alleingang sehr schwerfallen, noch das Gold zu ergattern.“

„Das sieht nicht nur Miguel so“, sagte Esposito, „das sehen wir anderen auch so. Bisher sind wir immer nur auf die Schnauze gefallen, mehr haben wir noch nicht erreicht.“

Acosta merkte selbst, daß seine Führungsrolle immer mehr abbröckelte. Aber er konnte es sich nicht leisten, noch einen seiner Kerle kaltblütig umzulegen. Auf dem Floß hätte es einen Aufstand gegeben, und außerdem wußte er nicht genau, wie Prado reagieren würde.

Acosta lenkte vorsichtig ein, denn auch die Kerle waren alle bewaffnet. Das Blatt konnte sich sehr schnell zu seinen Ungunsten wenden.

„Viel haben wir nicht erreicht, das ist schon richtig“, sagte er. „Aber es wird sich bald einiges ändern, dann nämlich, wenn wir richtig zuschlagen.“

„Wir haben schon oft zugeschlagen, aber leider immer ins Leere“, sagte Dino.

„Immer – immer – i – i – ins Lee – re“, wiederholte Tartamudo.

„Halt du lieber dein Maul!“ schrie Acosta den Stotterer an. „Bis du ein dämliches Wort gequasselt hast, haben wir längst das Gold.“

Die Entfernung zur „San Jacinto“ wurde immer größer. Jetzt waren auch an Deck des Wracks keine Einzelheiten mehr zu erkennen. Sie sahen nur noch ganz undeutlich und klein zwei oder drei Gestalten, die aber auch bald aus ihrem Gesichtskreis verschwanden.

Acosta versuchte sich weiterhin zu verteidigen, denn die gleichgültigen oder zweifelnden Blicke der Kerle ärgerten ihn maßlos. Sie taten so, als erzähle er Märchen, die sie schon hundertmal gehört hatten.

„Wir sind zwölf Mann, haben zwei Flöße und sind alle gut bewaffnet“, zählte er auf. „Außerdem sind wir aus der Reichweite dieser Bastarde. Wir werden nachher eine der kleinen Inseln anlaufen und die Dunkelheit abwarten. Bei Nacht ist die Karavelle dann fällig. Wenn wir Glück haben, lebt von den Kerlen bis dahin keiner mehr.“

Für Acosta war das alles immer sehr einfach – jedenfalls in seinen eigenen Vorstellungen. Er war stur entschlossen, sich das Gold doch noch mit Gewalt zu holen.

Aber schon etwas später erlebte er eine herbe Enttäuschung, obwohl seine eigenen Kerle fast schon wieder überzeugt waren, doch noch in den Besitz des Goldes zu gelangen.

Die Enttäuschung bereitete ihm Prado.

Auch auf seinem Floß befanden sich außer ihm fünf Kerle. Da waren Santos, Normando, Felipe, Senona und der listige Morro, letzter ein dürrer, aber zäher Kerl, der etwas mehr Verstand hatte als die anderen und auch immer überlegte, wenn er etwas tat.

Auch sie unterhielten sich, aber auf andere Weise, als Acosta sich das vorstellte.

Prado, der frühere Bootsmann der „Viento Este“, blickte aus schmalen Augen zu dem anderen Floß, wo Acosta an der Pinne hockte.

Acosta hatte offenbar wieder mal Schwierigkeiten mit seinen Kerlen, denn er brüllte herum und pfiff den Stotterer an. Da drüben regte sich offener Widerspruch.

Prado grinste sich eins. Seit sie abgesegelt waren, hatte er lange überlegt und längst einen Entschluß gefaßt. Er wollte das Gold natürlich auch, aber nicht auf Acostas Art mit der Brechstange. Das war ihm viel zu riskant, denn auch er hatte vor den Kerlen auf der Karavelle einen höllischen Respekt. Zudem war es mehr als fraglich, ob Acostas „Vergiftungsmethode“ überhaupt klappen würde.

 

Morro hockte neben ihm mit übergeschlagenen Beinen. Zwischen den Beinen hatte er einen geladenen Blunderbuss liegen, mit dem er hin und wieder spielte.

„Der hat wieder mal Ärger, der Versager“, sagte er. „Das dauert nicht mehr lange, dann gehen ihm die anderen an den Kragen. Ich bin jedenfalls von dem Kerl restlos bedient. Wir sind sechs Mann und können selbst bestimmen, was wir wollen. Oder siehst du das anders, Prado?“

„Du meinst – natürlich sehe ich das genauso. Mit anderen Worten: Ihr habt keine Lust mehr, euch Acosta unterzuordnen.“

Er sah die Kerle der Reihe nach lauernd an.

Santos schüttelte nur stumm den Kopf, ebenso Felipe. Normando sagte es gleich etwas drastischer.

„Ich auf keinen Fall. Wenn der mich noch einmal schief anglotzt, knall’ ich ihm was in den Wanst, und das wird ein schönes rundes Stück Blei sein.“

„Wie siehst du das, Senona?“

„Mit dem Idioten haben wir nur Ärger gehabt, weiter nichts. Vom Gold sind wir immer noch so weit weg wie vom Mond. Alles nur großkotzige Versprechungen, und dann legt der Mistkerl auch noch die eigenen Leute um, wenn sie etwas sagen.“

„Und du, Morro?“

„Hab’ ich doch schon gesagt, oder? Beinahe hätte mich der Drecksack auch abgemurkst. Das liegt jetzt natürlich auch an dir, Prado“, fügte er hinzu. „Du hattest ja selbst schon genug Ärger mit ihm. Ich will mit ihm jedenfalls nichts mehr zu tun haben. Er ist allein schuld daran, daß alle Aktionen gescheitert sind und unser Schiff jetzt ein Trümmerhaufen ist. Wenn wir ihn los sind, können wir auf eigene Faust weitermachen. Der sitzt uns doch nur wie eine dicke Laus im Pelz und weiß alles besser.“

Damit war Acosta schon ausgebootet. Er wußte es nur noch nicht.

Prado hatte sich schon länger mit dieser Aussicht befaßt. Sollte der Kerl seinen eigenen Weg gehen, sie würden ihren gehen und damit wesentlich besser fahren.

„Also sind wir alle einer Meinung“, sagte er. „Dann soll Acosta die Karavelle eben selbst entern. Daran werden sie sich sowieso die Zähne ausbeißen.“

„Ganz klar“, sagte Morro eifrig. „Er glaubt nämlich, daß die Kerle auf der Karavelle so dämlich sind und sich einfach entern lassen. Die ahnen doch längst, daß wir nicht aufgeben. Die sind viel gerissener, als wir denken. Das haben sie ja bewiesen.“

Prado nickte nachdenklich. Der dürre Bursche hatte recht, der fiel nicht auf jeden Schmus herein.

„Wir werden jedenfalls anders vorgehen, aber das werde ich euch nachher erklären.“

Der vorläufige Grund für Prados Schweigen war das andere Floß, das sich jetzt auf dem Törn nach Süden ihnen noch weiter näherte.

Der Abstand betrug nur noch knappe zehn Yards.

Acosta schien äußerst miese Laune zu haben, weil die Kerle nicht mehr so richtig nach seiner Pfeife tanzen wollten. Deshalb versuchte er jetzt, wieder alle unter einen Hut zu bringen.

Acosta segelte noch ein bißchen näher an Prados Floß heran. Dann zwang er sich zu einem überlegenen Grinsen, obwohl ihm die Galle hochstieg, als er die abweisenden Gesichter der anderen sah.

„Nur keine schlechte Laune!“ rief er hinüber. „Heute nacht haben alle unsere Sorgen ein Ende. Dann sind wir reich und haben Gold im Überfluß.“

„Ich kann den Scheiß von dem Kerl nicht mehr hören“, murmelte Morro. „Der ist nur am Rumtönen und schickt wieder die anderen vor.“

Den anderen erging es genauso. Auch sie konnten Acostas Wunschdenken nicht mehr hören. Es fiel ihnen auf die Nerven, weil es nur hohle Phrasen waren.

„He, verdammt, nun reißt euch mal zusammen!“ rief Acosta. „Denkt daran, daß wir bald in Samt und Seide gehen werden und viele schöne Jungfrauen uns begleiten, die uns aus der Hand fressen.“

Er grinste dreckig bei seinen Worten. Die anderen grinsten mehr abfällig, denn Acosta drosch wieder mal Stroh und sah sich in Glanz und Gloria mit einer Schar Jungfrauen umherziehen.

„Die Jungfrauen holt er sich aus den Kaschemmen in Havanna“, raunte Santos, „da gibt es ja genug.“

Aber Acosta tönte noch weiter, als seine Worte offenbar auf keinen fruchtbaren Boden fielen.

„Zieht nicht solche Gesichter, ihr Bastarde. Es ist doch wohl klar, daß wir eisern zusammenhalten und noch in dieser Nacht die kleine Karavelle entern werden. Ein Klacks wird das! Alles klar?“

Prado sah ihm grinsend ins Gesicht.

„Noch ist überhaupt nichts klar“, sagte er lässig. „Es ist nur klar, daß du bisher alles vermasselt hast.“

„Was, zum Teufel, soll das heißen?“ brüllte Acosta. Er ließ das Ruder fahren und starrte aus flammenden Augen zum anderen Floß.

Aber Prado ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte von dem Kerl endgültig und für alle Zeiten genug.

Auf dem anderen Floß spitzten sie überrascht die Ohren.

„Das bedeutet, daß du wirklich alles, aber auch alles vermasselt hast!“ rief Prado zurück. „Aber wenn du die Karavelle heute nacht entern willst, bitte sehr, das kannst du ja tun, aber ohne mich und die anderen, die auf meinem Floß sind.“

Acosta glaubte, sich verhört zu haben. Dann wurde er fuchsteufelswild und grob.

„Was hat das zu bedeuten, ihr verfluchten Hundesöhne? Wollt ihr etwa von der Fahne gehen?“

„Genau das haben wir vor. Frag’ doch die anderen bei mir, sie werden es dir bestätigen: Sie haben die Schnauze endgültig voll von deinen so erfolgreichen Unternehmungen.“

„Das gibt es bei mir nicht!“ brüllte Acosta. „Nicht mit mir. Du wirst das gleich als erster bereuen – und ihr anderen auch!“

Acosta hatte eine wilde Wut gepackt. Jetzt wurde sie noch größer. Er bückte sich, griff nach einer Muskete und wollte damit auf den kalt grinsenden Prado feuern.

Er hatte sie noch nicht richtig in der Hand, als er schluckend zu dem dürren Morro starrte.

Der hatte ein noch besseres Argument in der Faust, denn er zielte mit einem Blunderbuss genau auf Acosta. Dabei grinste er höhnisch und überlegen.

Acosta war sich darüber klar, daß ihn der Dürre bedenkenlos abknallen würde, sobald er die Muskete auch nur noch ein Stückchen höher hob.

„Leg’ sie wieder hin“, sagte er gehässig. „Und warte nicht zu lange damit. Greif lieber zum Ruder.“

Immer noch schluckend, starrte Acosta zu seinen ehemaligen Kumpanen. Jetzt hatte sich die Restmannschaft der „San Jacinto“ geteilt und war endgültig auseinandergefallen. Er konnte es einfach nicht begreifen.

„Du siehst also, daß sie von dir bedient sind“, sagte Prado, „und zwar restlos. Sie akzeptieren dich nicht mehr als Anführer.“

Die fünf Kerle nickten unisono und grinsten kalt. Morro hielt immer noch den Blunderbuss auf Acosta gerichtet.

Der selbsternannte Kapitän – jetzt weiß vor Wut im Gesicht – legte die Muskete wieder auf das Floß zurück.

„Ohne mich werdet ihr nie an das Gold gelangen“, drohte er mit vor Wut heiserer Stimme. „Ihr habt es auch noch nicht.“

„Aber du hast es, was?“

„Ich kriege es, das weiß ich.“

„So, wie du alles bisher gekriegt hast“, höhnte Morro. „Du hast nur Sand in den Stiefeln vom vielen Herumlatschen, mehr nicht. Und mehr wirst du auch nicht kriegen.“

Von Acostas Kerlen muckste sich kein einziger. Sie hockten nur da und starrten abwechselnd von einem zum anderen.

„Überlegt es euch noch einmal“, sagte Acosta mit erzwungener Ruhe. „Wenn wir nicht zusammenhalten, dann läuft auch nichts. Aber ich werde euch zu dem Gold führen.“

Von Prados Floß erklang Gelächter, erst leise, dann lauter werdend, was Acosta zur wilden Verzweiflung trieb.

Obwohl der Blunderbuss auf ihn gerichtet war, bückte er sich erneut und wollte nach der Muskete greifen.

„Er will unbedingt ein Loch in seinem verdammten Schädel haben“, sagte Morro mit gellendem Lachen.

Acosta ließ die Muskete fallen, als sei sie aus glühendem Eisen.

Der Dürre war auch schon drauf und dran, abzudrücken und hätte sicher keinen Augenblick gezögert.