Seewölfe Paket 30

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1.

„Ein Schiff ohne Anker ist wie ein Teufel ohne Hörner“, sagte der Profos Edwin Carberry an diesem Morgen im Februar 1598, als die südliche Küste von Mallorca achteraus im morgendlichen Dunst versank.

Die Schebecke segelte, mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend, bei halbem Wind auf südwestlichem Kurs.

Der Seewolf lachte über diesen Vergleich.

„In etwa hast du recht, Ed. Ohne Anker sind wir schlecht dran, und der Ersatzanker ist nur eine Notlösung. Also müssen wir uns zwei neue Anker besorgen.“

Der Profos sah seinen Kapitän an und grinste unmerklich. Ansonsten war der „Sir“ immer glattrasiert, aber seit knapp vier Tagen traf das nicht mehr zu. Er hatte Stoppeln im Gesicht, kräftige schwarze Bartstoppeln, die zu beiden Seiten des Kinns mit feinen Silberfäden durchwirkt waren. Diese Silberfäden und die leicht angegrauten Schläfen ließen ihn noch kühner und verwegener erscheinen. Sie rundeten sein Bild sozusagen vollendet ab.

„Ist was?“ fragte Hasard, dem das Grinsen nicht entgangen war, auch wenn der Profos es zu verbergen suchte. „Du grinst über meinen Bartwuchs, oder täusche ich mich?“

„Ich doch nicht, Sir“, sagte der Profos, und er hatte wieder seinen unschuldigen Blick drauf. „Na ja“, gab er gleich darauf zu, „es ist einfach ungewohnt. Aber der Bart steht dir verdammt gut, Sir. Ich überlege gerade, ob ich mir nicht ebenfalls einen Bart wachsen lassen soll. Aber bei mir wird das nur wieder ein wildes Gestrüpp, und dann kennt mich keiner mehr, und jeder glaubt, ich wollte mich hinter dem Gebüsch verstecken. Willst du in England der königlichen Lissy mit Bart unter die erlauchten Augen treten?“

„Nicht unbedingt, es ist für mich auch eher so eine Art Versteckspiel. Wir haben an Steuerbord die spanische Küste und müssen wohl oder übel an ihr entlangsegeln, bis wir Gibraltar hinter uns haben und den Atlantik erreichen.“

„Ah, jetzt begreife ich“, sagte der Profos nachdenklich. „Fast jeder Don kennt dich hier und ist wild auf die Kopfprämie, die Seine Allerkatholischste Majestät ausgesetzt hat. Man soll dich nicht gleich erkennen, falls wir auf die ehrenwerten Señores stoßen.“

„Sehr richtig“, gab Hasard zu. „Man muß ihnen ja nicht auf die Nasen binden, daß El Lobo del Mar in ihren Gewässern kreuzt. Sie würden uns mit allen verfügbaren Schiffen jagen, wenn sie das wüßten. Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß wir mit einer ihrer Kriegsgaleonen zusammentreffen, oder daß sie Kontrollen vornehmen. Wenn sie mich erkennen, dann sind wir alle geliefert.“

„Man würde uns an den nächsten Galgen hängen, aber alle“, meinte der Profos stirnrunzelnd.

„Das ginge wenigstens noch schnell“, sagte Don Juan de Alcazar und lächelte dünn. „Viel wahrscheinlicher bringt man uns mit der Garotte um, jener kühlen Würgeschraube, mit der die Todesstrafe langsam durch Erdrosseln vollstreckt wird. Es soll ein sehr unangenehmer Tod sein.“

„Jedenfalls befinden wir uns in des Teufels Gewässern“, ließ sich Dan O’Flynn vernehmen. „Wir haben eine kritische Strecke vor uns, die wir am besten in einem Rutsch unter vollem Preß durchsegeln. Wir können unsere Schnelligkeit gegen die Dons ausspielen.“

„Falls es nicht gleich etliche Kriegsschiffe sind“, bemerkte Hasard trocken. „Dann nutzt uns das auch nicht mehr viel.“

„Wenn wir in einem Rutsch durchsegeln, brauchen wir auch keinen Anker“, tönte Carberry, „den besorgen wir uns dann woanders.“

„Vielleicht in Marokko an der Barbareskenküste, was?“ fragte Hasard lachend. „Da können wir uns mit der Schebecke noch weniger blicken lassen. Für die Kerle wären wir ein gefundenes Fressen. Die würden uns mit tausend Freuden die Haut abziehen.“

„In Streifen, von unseren Affenärschen“, mußte der Profos natürlich noch hinzufügen, weil er seinen Lieblingsspruch schon lange nicht mehr gebraucht hatte.

„Ja, so ähnlich ganz bestimmt.“

Der Seewolf schien heute glänzender Laune zu sein. Immer wieder erschien ein undeutbares Lächeln auf seinem Gesicht, das sich die anderen nicht erklären konnten. Auch tanzten winzige Punkte in seinen Pupillen. Er schien sich insgeheim über etwas zu amüsieren.

Carberry hätte das zu gern herausgefunden. In einem solchen Fall begann ihn die Neugier ganz erheblich zu plagen. Aber fragen wollte er dennoch nicht.

„Trotzdem brauchen wir zwei neue Anker“, sagte Hasard nach einer Weile.

Er blickte Don Juan de Alcazar an, und dann grinsten alle beide – Hasard und der hochgewachsene sehnige Spanier.

Carberry räusperte sich, und weil er das Grinsen der beiden immer noch nicht zu deuten wußte, schlug er etwas boshaft vor, doch einfach einen spanischen Hafen, anzulaufen und dort bei einem Schiffsausrüster zwei Anker zu kaufen. Notfalls könnten sie ja auch ein anderes Schiff aufbringen und zwei Anker „beschlagnahmen“.

„Dann hat das andere Schiff aber keine Anker mehr und befindet sich ebenfalls in einer üblen Lage“, sagte Hasard. „Da halte ich deine erste Idee schon für wesentlich besser, einen spanischen Hafen anzulaufen, um dort das Erforderliche zu besorgen.“

Der Profos lachte pflichtschuldigst, als sei das ein guter Witz. Aber das Lachen blieb ihm dann doch gleich im Hals stecken, als Hasard wieder das Wort ergriff.

„Mit dem Gedanken spiele ich schon seit gestern abend, als ich mir überlegte, woher wir die Anker kriegen. Gleichzeitig wäre das eine Gelegenheit, einmal zu prüfen, ob mich ein Don erkennt.“

„Es gibt genaue Beschreibungen von dir, Sir“, wandte der Profos entsetzt ein. „Der Vorschlag war nur als Spaß gedacht. Wir können doch nicht im Süden von Spanien einen Hafen anlaufen.“

„Die Beschreibung von mir ist schon ein paar Jahre alt“, erwiderte Hasard. „In der Höhle des Löwen ist man immer am sichersten aufgehoben. Ich glaube nicht, daß mich jemand erkennt. Wir müssen ja nicht unbedingt Cartagena oder Malaga anlaufen, wo die Kriegsschiffe liegen. Ein anderer kleiner Hafen tut es auch.“

Carberry betrachtete seinen Kapitän eingehend. Dann kratzte er sich mit der Hand über das Kinn.

„Die Señoritas werden dir nachlaufen, Sir. Du siehst mit den Silberstreifen unheimlich interessant aus.“

„Das ist meine geringste Sorge“, sagte Hasard lachend. „Hauptsache, die Schergen laufen mir nicht nach. Ich bin aber sicher, daß man mich mit dem Bart nicht erkennt. Es würde mir jedoch eine diebische Freude bereiten, das zu tun.“

Jetzt grinsten auch die anderen Kerle bis zu den Ohren.

Carberry stellte sich das ebenfalls vor, und dann sah er die Sache auch schon ganz anders.

„Direkt in die Höhle des Löwen, was, wie? Das wäre natürlich der absolute Hammer. Mit spanischen Uniformen?“

„Das nicht gerade, aber mit spanischer Kluft. Dazu gehören ja auch Kürbishosen. Haben wir doch alles an Bord. Wir können den Dons ein prächtiges Theater vorspielen.“

Don Juan begann schallend zu lachen. Einstmals hatte ihn die Casa de Contratación ausgeschickt – im Range eines Generalkapitäns und Sonderbeauftragten der spanischen Krone – den Seewolf zu fangen, um ihn der spanischen Gerichtsbarkeit zu überstellen. Jetzt waren El Lobo del Mar und Don Juan de Alcazar die besten Freunde.

„Cartagena und Malaga können wir ausklammern“, sagte er, „ebenso Alicante, das ehemals römische Lucentum. Dort treiben sich zu viele Kriegsgaleonen und Bewaffnete herum. Aber wir könnten Denia anlaufen, eine kleine Hafenstadt im Norden der Weißen Küste. Sie war einmal die Hauptstadt eines kleinen maurischen Königreiches. Dort wird ganz bestimmt niemand Spaniens Erzfeind Nummer eins vermuten.“

Der einzige, der ernsthafte Bedenken anmeldete, war der Kutscher. Er schüttelte besorgt den Kopf.

„Soll man das Glück wirklich herausfordern? Sich in die Höhle des Löwen zu begeben, heißt nicht unbedingt, dort auch sicher aufgehoben zu sein. Der Löwe könnte aus einem Schlummer erwachen und einen guten Bissen wittern.“

„Keine Sorge“, sagte Hasard. „Juan hat mir versichert, daß die Leute in dem Ort noch fast hinter dem Mond leben. Die wissen vermutlich nicht einmal, wer ich bin, wenn man es ihnen erklärt. Außerdem brauchen wir die Anker ganz dringend.“

„Und wenn zufällig doch eine Kriegsgaleone der Dons in jenem Hafen liegt, Sir?“

„Dann drehen wir ab und segeln sofort weiter. Bis die aus dem Hafen heraus sind, sind wir längst über alle Meere.“

Das beschwichtigte den Kutscher ein wenig, obwohl er das ganze Unternehmen doch für etwas leichtsinnig hielt.

Die anderen Arwenacks waren jedenfalls von diesem Gedanken geradezu begeistert.

„Wie weit ist es bis dahin?“ fragte Hasard.

„Wir brauchen nur auf Westkurs zu gehen und nördlich an Ibiza vorbeisegeln“, sagte Don Juan. „Dann stoßen wir schon fast darauf. Ich denke, es sind bestenfalls hundert Meilen, mehr nicht.“

„Kein Problem für uns. Wer hat nun noch wirkliche Bedenken gegen das Vorhaben?“

Der Kutscher wollte sich noch einmal melden, doch dann unterließ er es, weil sich die anderen offenbar einen ausgefallenen und tollen Spaß darunter vorstellten. Da wollte er kein Spielverderber sein, denn die Anker brauchten sie ja wirklich.

Als sich Hasard zu Old O’Flynn umdrehte, ob der vielleicht wieder mit dem erhobenen Zeigefinger wedelte, mußte er feststellen, daß der alte Haudegen über das ganze granitharte Gesicht grinste.

„Kriege ich dann eine spanische Halskrause?“ wollte er wissen.

 

„Selbstverständlich kriegst du die.“

„Damit sieht er bestimmt wie ein alter Geier aus“, flüsterte der Profos Mac Pellew zu. „Ich könnte mich jetzt schon kranklachen. Das ist doch mal ein Spaß, was, Mackileinchen?“

„Mackileinchen“ Pellew fand das auch sehr lustig. Daher setzte er sein fröhlichstes Gesicht auf – eine Trauermiene, als wolle er gleich losheulen.

„Gut, dann ändern wir den Kurs und laufen nördlich an Ibiza vorbei, wie Don Juan das vorgeschlagen hat“, sagte der Seewolf zu Batuti, der am Ruder stand. „Kurs West also.“

„Auf der ‚Isabella‘ hättet ihr jetzt kräftig brassen müssen, ihr faulen Säcke!“ tönte der Profos. „Aber hier zieht man bloß ein bißchen an den Schnupftüchern, und schon geht’s rund.“

Er motzte weiter, weil die Kerle alle grinsten.

Kurs West wurde angelegt.

Die Klamotten- oder Plünnenkiste auf der Schebecke gab eine ganze Menge her. Es war mehr eine kleine Kammer für sich, die mit Stoffen und Kleidung aller Art angefüllt war.

Auf ihren zahlreichen Raids hatten die Seewölfe auch spanische Kupferhelme, Uniformen, Brustpanzer und Waffen erbeutet. Das alles hegte und pflegte der alte Segelmacher Will Thorne, der Mann, der immer zurückgezogen und bescheiden im Hintergrund lebte und ohne dessen stilles Wirken die Mannschaft einfach nicht auskam.

Will Thorne nähte die Segel, faßte sie ins Liek, verstärkte sie mit Leder, nähte Hemden und Hosen für die Crew und fertigte Flaggen an wie jene mit den gekreuzten Degen auf schwarzem Tuch – die Flagge der Freiheit und des Bundes der Korsaren.

Der grauhaarige Segelmacher war wohl der unermüdlichste Mann an Bord, denn für ihn gab es immer etwas zu tun, und so war er der gute Geist der Mannschaft.

Heute staffierte er sozusagen als Requisiteur die Arwenacks aus und hörte sich vor der Kammer geduldig ihre Wünsche an.

„Ich möchte mal so richtig als spanischer Grande auftreten“, sagte Old O’Flynn, „aber mein verdammtes Holzbein paßt einfach nicht dazu.“

„Willst du etwa in Denia auf den Straßen als spanischer Grande herumstolzieren?“ fragte Ben Brighton.

„Absolut nicht“, wehrte Old Donegal ab. „Ich will nur so auf dem Achterdeck herumstehen, als spanischer Adliger, den Blick heroisch auf das Volk gerichtet, oder etwas hochmütig und naserümpfend, wie die Stiesel das immer tun.“

„Und du meinst, das wirkt nicht mit einem Holzbein?“

„Das sieht nicht echt genug aus.“

Ferris Tucker erschien grinsend neben ihnen. Er war kaum noch wiederzuerkennen. Seine roten Haare waren einer schwarzen Pracht gewichen. Mac Pellew hatte sie ihm und vielen anderen gefärbt.

„Keine Sorge“, sagte er, „ich werde dein Holzbein umpolstern. Du kriegst ein paar prächtige Kürbishosen, lange weiße Strümpfe und vornehme Schnallenschuhe. Und unter den Stumpf des Holzbeines nageln wir einen Schnallenschuh drunter. Das fällt gar nicht auf.“

„Aber eine große weiße Halskrause brauche ich auch. Das gehört zu einem vornehmen Adligen.“

Will Thorne suchte ihm eine prachtvolle Halskrause heraus. Sie war so groß wie ein Mühlstein.

„Die ist genau richtig“, meinte der alte Haudegen zufrieden.

Eine knappe halbe Stunde später stand er voll ausstaffiert an Deck, und da kriegten sich die Kerle nicht mehr ein. Old Donegal wirkte keinesfalls lächerlich, er wirkte absolut echt, nur etwas ungewohnt für die Kerle, die ihn in dieser Rolle noch nicht gesehen hatten.

Sein Holzbein war nicht mehr zu sehen. Es befand sich jetzt in einem vornehmen Schnallenschuh. Ferris Tucker hatte durch die Sohle einen Nagel getrieben, und der steckte jetzt im Holzbein. Eine einfache, aber wirkungsvolle Methode.

Old O’Flynn trug die typischen Kürbishosen, aus denen weiße Beinkleider hervorlugten. Sein Oberkörper war mit einem dunklen, reich bestickten Gewand bekleidet, an dessen oberen Teil sich die weiße Halskrause scharf vom dunklen Untergrund abhob. Natürlich fehlte auch nicht der Zierdegen an der Seite.

Will Thorne hatte ihm noch ein paar sehr protzige Ringe auf die Finger gesteckt und ihm eine goldene Halskette umgehängt. Er sah sehr würdevoll und gemessen aus und verstand es auch meisterhaft, diese Würde in seinem verwitterten Granitgesicht unterzubringen.

Als er dann noch ein kantiges Gesicht zog, die Mundwinkel herabbog und den Blick fast verächtlich über die Arwenacks streifen ließ, konnte sich selbst Don Juan das Lachen nicht mehr verkneifen.

„Ausgezeichnet!“ rief er. „Genau wie einer der überheblichen Kerle bei Hofe. In deinem Vornamen Donegal steckt ja schon der Don drin. Dann bist du jetzt eben Don Egalo Alvarez de Segovia.“

„Hört sich verdammt gut an“, sagte Donegal unter dem tosenden Gelächter der Arwenacks.

„Er sieht auch mit der Halskrause gar nicht wie ein Geier aus“, meinte der Profos. „Jetzt gleicht er mehr einem würdigen Kondor. Aber ich glaube, die gehören auch zur Familie der Geier.“

„Warte nur, wie du nachher aussiehst“, brummte Old O’Flynn. „Dein Achtersteven paßt doch in keine Kürbishose. Da wird Will wahrscheinlich zwei Hosen zusammennähen müssen.“

Nach und nach wurde jeder eingekleidet, und da nahm das Gelächter wieder einen schaurigen Anfang.

Da der Profos schlecht als Adliger durchging, mußte er als Mann vom Schiffsvolk fungieren. Den Adligen hatte Hasard abgelehnt, grinsend natürlich, denn mit dem Amboßkinn, den vielen Narben und seiner gewaltigen Statur, wäre er bestenfalls als adliger Henker durchgegangen. Sein Benehmen war leider auch nicht so geziert oder vornehm, außerdem hätte kein spanischer Grande mit „Affenärschen“, „Rübenschweinen“ oder „was, wie?“ herumgeworfen.

So trug der Profos denn über seiner Tonne von Brustkasten ein gewaltiges Wams, noch gewaltigere Kürbishosen und ein paar Kähne von Stiefeln, mit denen er bequem Waldbrände hätte austreten können.

Und weil er jetzt so grinste, hatte ihn Mac Pellew schlicht und ergreifend als „freundliches Rübenschwein“ bezeichnet.

Dabei sah Mac auch nicht viel besser aus. Seine Kürbishose hätte dem Profos bestenfalls als Handschuh gepaßt, und in den weißseidenen Strümpfen steckten ein paar recht dürre Beine.

„Darf ein freundliches Rübenschwein mal bescheiden anfragen, ob du mit einem Storch gewürfelt hast, Mackileinchen?“ fragte der Profos.

„Ich – mit einem Storch?“ fragte Mac mißmutig. „Was soll die blöde Frage?“

„Ich dächte nur, du hättest seine Beine gewonnen“, erwiderte der Profos genüßlich. „Du siehst mit deinen Kackstelzen tatsächlich wie ein krummer Storch aus. Oder wie ein eingeschnappter Marabu.“

„Pah!“ sagte Mac verächtlich. „Seit wann kann mich denn ein andalusischer Kürbisbauer beleidigen? Wenn mich jetzt eine feurige Señorita sehen könnte, dann würde sie …“

„… mit einem Schrei auf den Lippen entfleuchen“, vollendete der Profos trocken.

Es dauerte gar nicht lange, dann stolzierten etliche Arwenacks wie aufgeplusterte Gockel an Deck herum. Aber sie gefielen sich in der Rolle ausnehmend gut und lachten über sich selbst.

Am besten allerdings gefiel sich Old Donegal – Don Egalo Alvarez de Segovia. Geziert wie ein Pfau wirkte er unnahbar und sehr hochmütig, wenn er naserümpfend über das „gemeine Schiffsvolk“ hinwegsah. Der weiße Mühlstein um den Hals behinderte ihn zwar ein wenig, wenn er sich umdrehte, aber das focht den Alten nicht an. Er wirkte über alles erhaben.

„Kein Don würde merken, daß hier etwas nicht stimmt“, sagte Don Juan im Brustton der Überzeugung. „Außerdem sprechen die meisten ein ausgezeichnetes Spanisch, und falls da irgendwelche Schwierigkeiten auftreten sollten, dann können wir uns immer noch damit herausreden, daß einige von uns aus Asturien stammen. Die Sprache versteht hier im Süden ohnehin keiner. Die meisten wissen nicht einmal, wo Asturien überhaupt liegt.“

„Einen Bordgeistlichen brauchen wir noch“, meinte der Profos. „Der gehört auf spanischen Schiffen dazu. Ich hätte ja gern die Rolle übernommen, aber …“

„Ja, ja, geschenkt“, sagte der Kutscher. „Bei deinen Sprüchen würden die Dons geschlossen ausrücken. Das können wir uns nicht leisten, so aufzufallen.“

„Dann übernimmst du den Salbaderer“, schlug der Profos vor, „du sabbelst sowieso lateinisch von morgens bis abends und hast immer das kluge Maul vorn. Dir würde das stehen.“

Der Kutscher wehrte ab, ein salbadernder Geistlicher lag ihm nicht.

Big Old Shane war auch nicht dafür zu haben, als der Profos ihn vorschlug.

„Auch nichts für mich“, sagte er lachend. „Oder hast du schon mal einen Prediger mit solchen Pranken gesehen?“ Dabei hielt er dem Profos seine gewaltigen Fäuste unter die Nase.

Der Profos mußte verneinen, als er die schwieligen und verarbeiteten Hände sah.

Er blickte sich hoffnungsvoll nach weiteren Würdenträgern um, und schließlich blieb sein Blick auf dem etwas beleibten Paddy Rogers hängen, der freundlich und knubbelnasig in die Gegend grinste.

„Du bist genau der Richtige“, entschied Carberry. „Du brauchst nur hin und wieder einen Bibelspruch abzulassen, und schon ist alles geritzt. Du kennst doch genügend Bibelsprüche?“

„Ich soll Geistlicher werden?“ fragte Paddy verlegen. „Aber ich habe doch gar nicht studiert.“

„Himmel noch mal! Du sollst doch nur so tun als ob. Vielleicht ist es gar nicht nötig, daß du die Futterluke öffnest, aber wir wollen das alles perfekt spielen. Sieh mal, Paddy: Wir gehen in Denia an Land und kaufen zwei Anker, aber die Dons sollen nicht merken, daß wir Engländer sind.“

„Aber ich bin doch Engländer.“

„Heiliger Antonius“, murmelte der, „natürlich bist du Engländer, aber du hast inzwischen gut Spanisch gelernt. Ist das so schwer zu kapieren?“

„Dann soll ich spanischer Bordgeistlicher werden?“

„Ja, genau. Ein spanischsprechender Geistlicher, eine Padre. Du hast nur herumzustehen, weiter nichts.“

„Aber du sagtest doch, ich soll Bibelsprüche ablassen.“

„Ja“, erwiderte der Profos mit weinerlicher Stimme, „aber nur, wenn es nötig ist.“

„Ist es denn nötig?“

Der Profos raufte sich schier die Haare über diesen begriffsstutzigen Kerl, der ihn verunsichert ansah. Paddy war nun mal im Denken keiner von der schnellen Truppe.

„Das weiß ich noch nicht, Bruder Pastorius.“

Paddy Rogers sah sich verdattert um. Aber hinter ihm stand kein Bruder Pastorius.

„Hast du eben mich gemeint, Mister Profos, oder wen?“

Es war zum Verzweifeln. Paddy war zwar ein hervorragender Seemann und ein schneller und verläßlicher Kämpfer, aber wenn es ans Eingemachte ging, dann tat er sich furchtbar schwer.

„Ja, dich“, knirschte der Profos. „Verklar du ihm das doch bitte einmal, Jack.“

Jack Finnegan, Paddys bester Freund, verklarte ihm das auf seine ruhige, besonnene und eindringliche Art.

„Jetzt weiß ich, was los ist“, sagte Paddy strahlend. „Ich bin ein spanischer Heiliger aus England!“

„Ein Arsch mit Ohren bist du!“ brüllte der Profos außer sich. „Jack hat dir doch alles gesagt.“

Er war sehr verwundert, der Profos, als Paddy mit Grabesstimme sagte: „Warum schreist du denn jetzt so laut? Ist der König nicht bei dir, oder sind deine Ratgeber alle hinweg, daß dich also das Weh angekommen ist wie eine in Kindsnöten?“

„Hä? Was – was ist los?“ fragte der Profos verdutzt.

„Das ist Jeremias acht, Vers neunzehn“, sagte Paddy stolz.

„Na ja, klang gar nicht so übel und war fast passend. Na also, dann haut doch alles hin. Bei Bedarf kramst du einfach einen Spruch hervor und läßt ihn ab. Ich werde dir dann immer zuzwinkern, sobald es soweit ist. Alles kapiert?“

„Aye, Mister Profos. Ein verständiger Mann trägt nicht Klugheit zur Schau; aber das Herz der Narren ruft seine Narrheit aus. Das ist aus dem zwölften Kapitel der biblischen Sprüche.“

Der Profos kriegte schmale Augen, als er sah, daß der Kutscher wieder mal hinterhältig zu grinsen begann.

„Manchmal“, sagte er leise zu dem unschuldig grinsenden Paddy, „manchmal habe ich das Gefühl, daß du ein ganz verdammtes Schlitzohr bist, Mister Rogers. War das nun Zufall, oder willst du mich auf die ganz laue Tour verarschen?“

„Das sind doch Bibelsprüche“, sagte Paddy entrüstet. „Die habe ich schon als kleines Bübchen gelernt.“

„Hm“, der Profos war sich da nicht so ganz sicher, „Bibelsprüche kann man auch immer so anbringen, daß sich jeder einen Strick daraus drehen kann. Aber gut, Will wird dir jetzt die Kleidung geben.“

Carberry sah ihm nach und kratzte sich hinterm rechten Ohr.

 

„Sind diese Sprüche nun Zufall oder nicht?“ fragte er den Kutscher. „Da wäre ich dir für einen Rat dankbar.“

Aber mit der Antwort des Kutschers kam der Profos ebenfalls nicht klar, denn der sagte lächelnd: „Der Rat im Herzen eines Mannes ist wie tiefe Wasser, aber ein Verständiger kann’s merken, was er meint. Das ist aus den Sprüchen zwanzig über Spötterei.“

„Himmel, da habe ich mir was eingebrockt“, knirschte der Profos. „Jetzt lassen die Kerle nur noch Bibelzitate ab.“

„Du wolltest ja einen Bordgeistlichen haben. Dann mußt du dich auch mit frommen Sprüchen abfinden.“

Etwas später stand „Bruder Pastorius“ etwas linkisch an Deck, eingehüllt in ein talarähnliches Gewand mit einer Schärpe und einem nachdenklich-frommen Blick, wie ihn auch Carberry kaum besser hingekriegt hätte. Paddy hatte die Hände in liebenswerter Frömmigkeit über seinem Bäuchlein gefaltet und ließ die Sprüche ab, die er früher mal auswendig gelernt hatte.

Da war der Profos wieder am Grinsen – und die anderen auch.

Am Vormittag des nächsten Tages liefen sie in Denia ein.