Seewölfe Paket 30

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„Dann empfehle ich dir, den Kurs zu ändern, mein Freund. Es sind immerhin Kriegskaravellen, und sie sind verdammt schnell. Es empfiehlt sich nicht unbedingt, sich beschnuppern zu lassen. Zu leicht könnte daraus ein gefährlicher Biß werden.“

„Hm, sehr richtig. Wir wollen ja auch nichts provozieren. Wir werden zur algerischen Küste hin abfallen.“

Nils Larsen stand am Ruder. Er wurde gerade von Pete Ballie abgelöst, dem besten Gefechtsrudergänger, den die Arwenacks hatten.

Die Schebecke fiel langsam ab, bis sie fast wieder auf Südkurs lag. Sie hielt jetzt auf die algerische Küste zu.

Das Manöver war auf den Karavellen nicht unbeobachtet geblieben. Offenbar wurden die Dons neugierig und wollten wissen, wer da vor ihnen so betont harmlos ablief.

Die nach Süden versetzte Karavelle fiel nach Steuerbord ab. Die andere schloß sich dem Kurs etwas später an, ließ aber den Abstand von Schiff zu Schiff noch weiter offen, der jetzt etwa vier Kabellängen betragen mochte. Es sah so aus, als wollten die Dons die Schebecke wie in eine geöffnete Schere laufen lassen, zumal die – von den Arwenacks aus gesehen – an Backbord segelnde Karavelle noch weiter abfiel.

„Wir machen gefechtsklar“, sagte der Seewolf nach einem schnellen Blick, „aber wir werden uns nicht unbedingt mit den Kerlen anlegen, und wir segeln auch nicht in die Schere hinein. Wir laufen direkt auf die algerische Küste zu und halten den Kurs.“

Gefechtsklar war die Schebecke in ganz kurzer Zeit. Dafür sorgte schon Al Conroy, der erfahrene Waffen- und Stückmeister.

Die sechs Culverinen auf jeder Seite mit ihrem Geschoßgewicht von 17,3 Pfund waren geladen, ebenso die beiden achtern und vorn montierten Drehbassen. Der Kutscher füllte bereits glühende Holzkohle in die Messing- und Kupferbecken für die Lunten.

„In einem haben sich die Dons verrechnet“, sagte der Seewolf lächelnd. „Die eine Karavelle, die an der nördlichen Seite segelt, können wir vergessen. Ihr Kapitän hat etwas zu großzügig gedacht oder angenommen, wir würden zwischen ihnen hindurchsegeln. Dadurch hat er viel Zeit verloren, und bis er die wieder aufgeholt hat, sind ihm graue Bartstoppeln gewachsen.“

„Die Gefahr ist trotzdem noch nicht vorüber“, sagte Ben gelassen. „Der andere Kapitän scheint dafür um so eifriger zu sein. Sollen wir ihm die spanische Flagge zeigen?“

„Nein“, sagte Hasard sarkastisch, „die kennt er ja. Außerdem haben wir der Karavelle gegenüber notfalls noch den Vorteil, daß wir einen Schlag zulegen können. Wir verfügen zusätzlich über Ruder, und wir haben noch einen weiteren Vorteil: Wir können mit unserer Rohrlänge von fast vier Yards etwas weiter feuern als die Kerle da drüben. Das ist eben das Gute an einem ehemaligen Piratenschiff. Die Schnapphähne haben schon gewußt, warum sie längere Rohre nahmen. Das ist immer ein Vorteil. Sollte uns der Kerl zu dicht auf den Pelz rücken, schicken wir ihm eine Breitseite hinüber.“

Vorerst sah es aber nicht danach aus. Die Schebecke erwies sich als das schnellere Schiff, auch wenn sie von der Lateinerkaravelle hart bedrängt wurde.

Fast eine Stunde lang segelten sie auf Südkurs, dann reckte sich Hasard und stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Es langt jetzt“, sagte er hart. „Ich habe nicht die geringste Lust, möglicherweise nach Oran zu segeln, wo wieder die Schnapphähne der anderen Couleur auf uns warten und ebenfalls nachsehen wollen, wer wir wohl sein mögen. Zeigt den Kerlen unsere Flagge, und wenn sie das nicht kapieren, dann empfangen sie eine Breitseite.“

„Endlich mal ein bißchen Abwechslung“, sagte der Profos händereibend. „Das war ja schon zum Einschlafen, war das. Jeder lausige Köter will an uns schnüffeln, als seien wir ein Dreckhaufen.“

Er sah zu, wie sich die Flagge entfaltete und im Wind wehte.

Da war sie, die Flagge des Bundes der Korsaren, die Flagge der Freiheit, wie sie auch von ihnen genannt wurde. Diese Flagge, einst von dem Segelmacher Will Thorne genäht, wehte jetzt in ihrer ganzen Länge aus. Es war ein schwarzes Tuch mit dem Symbol zweier gekreuzter goldener Säbel, das jetzt so im Wand flatterte, als seien die Säbel in ständiger Bewegung.

Durch den Kieker sah Hasard auf der Karavelle erstaunte und verblüffte Gesichter. Auf der anderen Karavelle waren die Gestalten durch das Spektiv nur undeutlich und verschwommen zu sehen.

Die Dons reagierten allerdings anders, als der Seewolf erwartet hatte. Vielleicht waren sie wütend darüber, daß sie diese Flagge noch nicht gesehen hatten oder fühlten sich von irgendwelchen Schnapphähnen auf den Arm genommen.

Eine kleine dunkle Rauchwolke war drüben zugleich mit einem lanzenartig hervorstechenden Blitz zu sehen. Die Rauchwolke zerrieb der Wind innerhalb weniger Sekunden.

Eine gute Kabellänge achteraus stieg eine kleine Säule aus Her See. Ein leichter Schlag war zu hören wie ein Klaps. Dann fiel das Wasser müde in sich zusammen.

„Aha, sie haben gehustet“, sagte Carberry. „Sollen wir uns unsere Lungen auch mal freihusten, Sir?“

„Anluven und Feuer frei nach eigenem Ermessen!“ rief Hasard.

Pete Ballie ging an den Wind, bis die Schebecke der Karavelle die Steuerbordseite zeigte.

Auf diesen Augenblick hatte Al Conroy gewartet. Er visierte und gab den anderen Männern ein Zeichen, die mit den Lunten in der Hand darauf warteten, sie auf die Zündlöcher zu pressen.

Das geschah nach dem Handzeichen.

Winzige, schlangengleiche Flammen fraßen sich durch die Zündkanäle.

Sechs Culverinen brüllten gleichzeitig auf und spien Feuerblitze und dunklen Rauch aus ihren zurückfahrenden Schlünden, die den Mäulern gefährlicher Drachen glichen.

Der Eisenhagel ging auf die Reise. Eine der Kugeln glühte deutlich sichtbar in der Luft. Wahrscheinlich hingen glimmende oder nachglutende Pulverreste an ihr.

Zwei Kugeln strichen dicht über das Deck der Karavelle, eine durchschlug ein Segel, zwei weitere donnerten dicht vor der Bordwand ins Wasser und warfen Fontänen auf, die das Deck näßten.

Die sechste Eisenkugel fraß sich mit einem hallenden Geräusch in den Rumpf der Karavelle und ließ in der Beplankung dicht an der Wasseroberfläche ein großes gezacktes Loch entstehen. Berstend flogen ein paar Holztrümmer ins Innere des Schiffes.

„Hat gerade so gereicht“, sagte Al Conroy. „Ein paar Yards dichter dran, und die Dons hätten von allen Seiten durch ihr Schiff linsen können. Sofort nachladen.“

Hasard sah sich wieder die Gesichter auf der Karavelle an. Die meisten Kerle standen verängstigt an Deck. Ein paar hatten sich hinter das Schanzkleid verkrochen und hielten die Köpfe unten.

Das Erschrecken war aber deutlich zu erkennen, und die Reaktion des Kapitäns der weiter entfernten Karavelle war eindeutig genug. Er drehte sofort ab und ging auf Westkurs.

„Jetzt zeigen wir ihm die andere Breitseite“, sagte der Seewolf hart. „Aber diesmal segeln wir weiter auf, damit er auch etwas davon hat.“

Als Pete Ballie Ruder legte, hatten die Dons da drüben kapiert, daß auf der Schebecke ein paar Kerle waren, die etwas gegen das Beschnüffeln hatten und entsprechend hart reagierten.

Das Segelmanöver war noch nicht zur Hälfte ausgeführt, da kniff der spanische Kapitän aus und ging ebenfalls auf Westkurs, ohne einen Schuß abzugeben. Er hatte es plötzlich sehr eilig.

Ferris Tucker sah der Karavelle sinnend nach.

„Da werden die Kerle wohl bald tüchtig Hand anlegen müssen“, meinte er, „das Loch in der Bordwand ist recht beachtlich. Sobald die See kabbelig wird, haben sie eine große Badewanne in den Stauräumen zur Verfügung.“

Hasard sagte nichts. Auch er sah den Schiffen nach. Der Hauptzweck war jedenfalls erreicht, die Verfolger hatten sich zurückgezogen. Aber es würde sich erst später zeigen, ob sie die Verfolgung tatsächlich aufgegeben hatten oder ihre Neugier so weit geweckt war, daß sie als Fühlungshalter an der Schebecke blieben.

Das war tatsächlich der Fall, als die Arwenacks auf den alten Kurs zurückgingen.

Die Karavellen lagen weit zurück, aber auch sie hatten den Kurs geändert. Offenbar dichteten sie gerade provisorisch das Leck ab, denn die eine hinkte ein wenig hinterher.

„Das gefällt mir überhaupt nicht“, sagte Hasard. „Ausgerechnet vor der spanischen Küste. Das Risiko ist mir zu groß. Wir werden jetzt den Spieß umdrehen und sie solange attackieren, bis ihnen die Lust auf uns endgültig vergeht.“

Die Verfolgung hielt nicht lange an. Anfangs mochten sich die Spanier etwas davon versprochen haben, doch dann lag die Schebecke ganz plötzlich auf Gegenkurs und segelte hoch am Winde nach Osten. Ihre zwölf Rohre waren ausgerannt, und sie segelte diesmal genau in die immer noch bestehende Schere hinein, die allerdings etwas auseinandergezogen war.

Das behagte den beiden spanischen Kapitänen absolut nicht, denn sie hatten erlebt, wie weit die Rohre trugen. Bei einem blitzschnell ausgeführten Passiergefecht, wenn die Schebecke genügend Abstand hielt, würden sie Feuer von beiden Seiten kriegen.

So wichtig war ihnen die Schebecke nun auch wieder nicht, daß sie zuviel riskieren wollten.

Offenbar verärgert drehten sie ab. Diesmal gingen sie auf Nordkurs, immer noch verfolgt von der Schebecke, die ihnen nachsetzte.

Hasard ging bis auf ein paar hundert Yards heran und jagte sie weiter zur spanischen Küste.

„Das dürfte reichen“, sagte er. „Jetzt schicken wir ihnen noch ein paar Grüße nach, damit sie uns besser in Erinnerung behalten.“

Im Abdrehen sprachen noch einmal die Culverinen.

Lange Flammenzungen jagten aus den Rohren, brüllender Donner fegte über die See, und die Schebecke hüllte sich in eine dunkle Rauchwolke. Sie krängte bei ihrer leichten Bauweise ein wenig über, als die Eisenkugeln die Rohre verließen.

 

Achteraus von den Karavellen blühten riesige Blumen auf, die im Sonnenlicht in allen Farben schillerten. Farbige Wassersäulen stiegen aus dem Wasser und vergingen in einem Regen aus Gischt und Schaumtropfen.

Es rauschte, als würde eine große Sense durch reifes Korn gezogen.

Den Dons stand das Grauen in den Gesichtern, als die Kugeln in unmittelbarer Nähe einschlugen. Sie richteten auf die Entfernung keinen Schaden an, aber dieses verdammte Schiff mit der schwarzen Flagge und den gekreuzten Säbeln auf dem Tuch hätte nur noch etwas dichter aufzusegeln brauchen, dann hätte es sie erwischt.

Von einer Verfolgung wollten sie nichts mehr wissen. Sie waren restlos bedient von den Kerlen, die so unerschrocken angriffen.

Sie klüsten unter vollem Preß nordwärts auf die rettende spanische Küste zu.

„Den wird das Fühlungshalten vergangen sein“, sagte der Seewolf grimmig. „Beim Schnuppern kann man sich verdammt hart die Nase verbrennen. Ich denke, die sind wir jetzt endgültig los.“

„Ganz bestimmt“, sagte Don Juan. „So wichtig sind wir ihnen jetzt nicht mehr. Wenn man einen Wolf ärgert, sollte man damit rechnen, daß er gefährlich wird.“

„Und den Fang nicht nur zeigt, sondern auch zubeißt“, fügte Hasard hinzu.

Als sie längst wieder auf ihrem alten Kurs lagen, war von den beiden Karavellen nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie die spanische Küste angelaufen, um ihre Wunden zu lecken.

5.

Tagelang segelten sie unbehelligt nach Westen. Zweimal hatten sie aus der Ferne spanische Schiffe gesichtet und waren ihnen in einem weiten Bogen ausgewichen.

Cartagena lag hinter ihnen, Almeria und Malaga.

Jetzt bewegten sie sich auf Gibraltar zu, den Dschebel al Tarik, die Felsen des Tarik, wie die Araber die Meerenge genannt hatten.

Einen Hafen hatten sie nicht mehr angelaufen, weder im Süden noch im Norden.

„Jetzt wird es langsam eng“, sagte Dan O’Flynn, „und hier müssen wir ganz besonders auf der Hut sein, denn diese Ecke haben die Dons völlig unter ihrer Kontrolle. Wenn die hier nur die englische Flagge riechen, sind sie schon aus dem Häuschen.“

„Müssen wir ja nicht unbedingt“, sagte Hasard trocken. „Wir können es ja zur Abwechslung mit der spanischen versuchen.“

In der Frühe des nächsten Tages wurde eine winzige Galeone gedichtet, eine „Zwerg-Galeone“, wie Stenmark aus dem Ausguck meldete.

Das Ding entpuppte sich dann aber weder als Galeone noch Karavelle.

„Vielleicht ist es aus den Trümmern von Galeone, Galeasse und Karavelle zusammengebaut“, sagte Ferris Tucker. „Seltsam genug ist das Gebilde schon.“

Das Schiffchen wurde gebührend bestaunt. Der Schiffszimmermann interessierte sich am meisten dafür und blickte durch den Kieker. Als er ihn absetzte, grinste er.

„Der Bauart nach ist das eine portugiesische Karavelle“, teilte er den anderen mit und grinste noch stärker. „Allerdings scheint Columbus die schon gesegelt zu haben, die ist nämlich uralt oder einfach neu aufgelegt und nachgebaut worden.“

Das Ding hatte drei lächerlich kleine Pfahlmasten mit Lateinerbesegelung und ein gefährlich hoch aus der See ragendes Achterkastell mit starker Vorneigung. Auf dem Achterdeck fand man sicher nur mit Not und Mühe Halt.

„Alle Achtung vor diesem Columbus“, sagte Carberry. „Auf so einem Nachttopf um die halbe Welt zu schippern, das ist schon eine beachtliche Leistung.“

„Und dabei wußte er nicht einmal, wohin er segelte“, meinte Ferris. Er zeigte zu dem lächerlichen Gebilde und schüttelte den Kopf. Das Ding hatte den Kurs gewechselt und hielt auf die Schebecke zu.

„Scheint ein Versorgungsboot, ein Bumboot zu sein“, sagte er. „Die haben da was an Deck herumliegen, das wie Gemüse aussieht.“

„Hör mir bloß mit Bumbooten auf“, sagte Hasard. „Wir haben gerade erst kürzlich unliebsame Bekanntschaft mit einem derartigen Ding geschlossen. Ich bin jetzt noch bedient.“

Was der Seewolf da ansprach, lag noch nicht lange zurück. Da waren sie auf Piraten und Schnapphähne gestoßen, die ihr räuberisches Handwerk mit einem Bumboot getarnt hatten.

Das Ding hatte ganz unauffällig ausgesehen, aber in einem eingezogenen Unterdeck hatten sich versteckte Kanonen befunden. Ein paar ebenfalls versteckte Schnapphähne pflegten diese Kanonen abzufeuern, sobald sie bei einem Schiff längsseits lagen. Sie hatten es buchstäblich erst im allerletzten Augenblick bemerkt, und waren durch Ferris Aufmerksamkeit der Versenkung gerade noch entgangen.

„Jedes Bumboot muß ja nicht ein Piratenschiff sein“, sagte der Kutscher, der ebenfalls auf dem Achterdeck stand. „Außerdem sind wir ja gewissermaßen vorgewarnt.“

„Heißt das, wir brauchen Proviant?“ fragte Hasard.

Der Kutscher sah zu dem heransegelnden Bumboot und nickte.

„Wir würden auch ohne eine Proviantaufnahme noch weit genug gelangen, Sir. Aber egal, ob wir nun nach England oder in die Karibik segeln, beides ist ein langer Weg. Segeln wir in die Karibik, haben wir den Atlantik zu überqueren, wobei wir unterwegs auf keinerlei Inseln stoßen. Segeln wir nach England, dann sieht es nicht viel besser aus. Einen spanischen Hafen können wir nicht anlaufen, oder bestenfalls ein kleines Nest, was jedesmal mit einem Risiko verbunden ist. Mit den Portugiesen trinken wir auch nur selten Brüderschaft, wie es zur Zeit gerade die Spanier tun.“

„Wenn du hier noch länger große Reden schwingst, ist das Bumboot an der Kimm verschwunden“, motzte der Profos. „Kannst du das nicht in einem Satz ausdrücken?“

„Ich gebe nur eine Empfehlung“, sagte der Kutscher würdevoll. „Da ziemt es sich nicht, einen Satz herunterzuknurren, wie es deiner etwas groben Art entspricht.“

„Meiner groben Art, was, wie? Hast du quergeriggter Bilgenfloh etwas von grober Art gesagt, wo ich sanft bin wie ein Lamm?“

Der Kutscher zog indigniert die rechte Augenbraue hoch.

„Ich höre immer Lamm. Vom Werdegang eines Lammes bis zu einem ausgewachsenen Hammel ist es nur ein kurzer schneller Weg.“

„Ich werde später noch einmal in aller Bescheidenheit anfragen, ob wir Proviant brauchen“, sagte Hasard, „nämlich dann, wenn eure wissenschaftliche Abhandlung über die Evolution beendet ist. Darf ich in etwa einer Stunde damit rechnen? Vielleicht wimmelt es hier ja auch nur so von Bumbooten.“

„Verzeihung, Sir“, sagte der Kutscher. „Aber dieser Mensch, der sich als das Salz der Erde bezeichnet, obwohl er eher das Salz der Meere ist, muß mich ständig unterbrechen. Ich schlage vor, wir übernehmen ein paar Viktualien.“

„Ich denke, wir brauchen Proviant“, knurrte Carberry den Kutscher an. „Was sollen wir da mit Viktoriadingsbums?“

„Lebensmittel, Eßwaren“, sagte der Kutscher süffisant grinsend.

„Eben, das brauchen wir, aber keine Viadukte oder so’n Scheiß, wie du das nennst. Andenken haben wir genug.“

„Von Viadukten habe ich auch nichts gesagt. Wir passen ohnehin nur sehr schlecht auf eine Schebecke und wirken an Land viel gefälliger. Aber damit du nicht ganz so dämlich stirbst: Viktualien sind Lebensmittel.“

Der Profos stemmte die Pranken in die Hüften und sah den schmalbrüstigen Kutscher lauernd an.

„So?“ fragte er höhnisch. „Und die Viktualienbrüder, was, wie? Störtebeker, der Freiherr von Alkun, hat der vielleicht nur Lebensmittel geklaut?“

Der Kutscher rang verzweifelt die Hände und schickte einen flehentlichen Blick zum heiteren Himmel.

„Oh, mein Gott“, sagte er inbrünstig, „dieser gelabsalbte Affenarsch – mit Verlaub – ist noch einmal der letzte Nagel zu meinem Sarg. Oder der letzte Stich in einer Leinenhülle, in der ich dereinst zum Meeresgrund hinabsinken werde. Diese Brüder waren keine Viktualienbrüder, mein Lieber, sondern nannten sich Vitalienbrüder, was ein kleiner, aber feiner Unterschied ist.“

„Sind nur ein paar lausige Buchstaben“, wehrte der Profos ab. „Da kann der Unterschied nicht allzu groß sein. Aber trotzdem behaupte ich noch immer, daß du das alles auch in einem Satz hättest sagen können.“

Die beiden stritten weiter miteinander herum.

Hasard gab inzwischen Dan O’Flynn ein Zeichen und lauschte weiter dem Disput Kutscher-Carberry, denn der wurde immer logischer, besonders von seiten des Profos, der wieder mal mit Argumenten glänzte, daß es einem die Stiefel auszog.

Dan O’Flynn hatte verstanden und winkte das Bumboot heran, sonst wäre es wirklich noch unter der Kimm verschwunden.

Sie luvten ein wenig an und gingen in den Wind, damit das kleine Versorgungsschiff mithalten konnte.

„In einem Satz läßt sich so etwas nicht sagen“, nahm der Kutscher den Faden wieder auf. „Das würde sonst kein Mensch kapieren.“

„Jedenfalls hättest du das mit den Lebensmitteln klarer ausdrücken können, dann hätte es keinen Streit mit den Proviantbrüdern gegeben.“

„Mit den Brüdern hat es ja auch keinen Streit gegeben, weil die schon lange nicht mehr leben. Störtebeker, der Freiherr von Alkun also, wurde bekanntlich vor rund zweihundert Jahren enthauptet. Und mit jemandem, der so lange tot ist, kann man wohl kaum streiten“, sagte der Kutscher spöttisch. „Das beweist mir nur wieder einmal, daß du nicht weiter denkst als bis ans nächste Schott.“

„Aber du denkst weiter, was?“ ereiferte sich der Profos. „Du feuerst mit Fremdwörtern rum, bläst deinen Wanst auf und spielst den Gelehrten, nur wen du den großen Macker raushängen willst. Wenn du einen Schluck Wasser trinkst, sagst du ja auch nicht: ‚Ich gestatte mir, meine Kehle mit einer Dosis Aqua anzufeuchten‘, oder?“

Die Kerle auf dem Achterdeck begannen zu grinsen.

Doch dann wurde der Disput unterbrochen, noch bevor der Kutscher etwas erwidern konnte.

Mac Pellew tänzelte heran. Er ging nicht, er tänzelte wahrhaftig, und das sah neckisch genug aus, wie er stehenblieb und ein essigsaures Grinsen auf sein Gesicht zauberte.

Er trug Kürbishosen, dazu ein rotes Wams, und auf den Kopf hatte er sich einen Hut mit einer langen wippenden Feder gesetzt. An seinen dürren Beinen trug er Schnallenschuhe.

„Spielst du hier den königlichen Hofnarren?“ fragte der Profos anzüglich. „Oder was soll dein dämliches Grinsen? Du siehst übrigens mit den Kürbishosen zum Schreien aus – wie ein Kürbis auf zwei Stelzen.“

„Da solltest du dich erst mal sehen“, schnappte Mac zurück. „In deinen Kürbishosen scheint ein Elefantenarsch zu stecken, der mit zwei dorischen Säulen herumtrampelt.“

Carberry grinste den Zweitkoch an.

„Deine Strümpfe schlagen auch Falten“, stellte er fest. „Du solltest deine Gräten vielleicht mal mit ein bißchen Werg auspolstern.“

„Heute sagen sich alle nur Artigkeiten“, erklärte der Kutscher. „Was ist los, Mac? Laß dich nur nicht vom Profos verbiestern, der hat heute offenbar seinen schlechten Tag.“

„Was los ist? Ha, der Profos kann mich mal, ich habe nämlich soeben etwas entdeckt. In dem Proviantboot befindet sich ein Frauenzimmer! Und was für eins!“ Mac drehte sich und deutete mit den Händen Kurven an, die beschreiben sollten, wie gut ausgestattet das Frauenzimmer mit allem war.

Augenblicklich war der Streit vergessen und die Köpfe aller fuhren herum. Augen stierten auf das Bumboot.

„Ihr braucht gar nicht so die Klüsen aufzureißen“, tönte Mac. „Ich habe die Lady zuerst entdeckt und lasse sie mir auch nicht so einfach wegnehmen. Außerdem hat sie ohnehin schon längst ein Auge auf mich geworfen.“

„Dann hat sie ja nur noch eins“, sagte der Profos grinsend. „Aber was heißt hier, du läßt dir nichts wegnehmen? Ist das vielleicht deine Lady, du verkorkster Spanier?“

„Sie wird meine“, verkündete Mac. „Ein feuriger Blick, und schon ist sie dahingeschmolzen wie Fett in der Pfanne. Ha, bei dem Anblick könnte ich glatt zur Harfe greifen und Verse schmieden.“

„Du kannst nicht mal Nägel schmieden, du lausiger Schürzenjäger“, brummte der Profos. „Kaum sieht diese angesengte Miesmuschel ein Weib, schon gehen ihr sämtliche Gäule durch.“

Der Profos mußte sich allerdings eingestehen, daß das Frauenzimmer wirklich Rasse hatte. Sie stand an Deck und blickte mit halboffenen Lippen auf die Schebecke. Sie hatte lange schwarze, bis auf die Schultern herabfallende Haare, eine schmale gerade Nase und einen verlockenden Kirschenmund. Ihre Augen waren dunkel, fast schwarz. Die Lady trug eine recht offenherzige rote Bluse, die an der Taille zusammengeknotet war. Ihr blaues Röckchen bedeckte gerade noch die Knie, und sie hatte schlanke, wohlgeformte Beine.

 

Alles in allem wirkte sie sehr „verkaufsfördernd“, denn Kerle, die auf dem Bumboot einkauften, starrten mehr die Señorita an, als daß sie auf die Preise achteten.

Fünf Männer befanden sich noch auf dem Boot. Einer stand am Ruder, zwei andere bargen gerade die kleinen Segel, als sie anlegten.

Mac Pellew pumpte seinen Brustkasten auf. Viel gab es da nicht zu pumpen, und damit er etwas breiter wurde, zog er auch den Hals noch etwas zwischen die Schultern.

Dann bombardierte er die Lady mit feurigen Blicken und stierte lüstern auf die Hügel, die sich unter der roten Bluse abzeichneten. Die war zwei Knöpfe weit geöffnet, was Mac Pellew veranlaßte, sich so weit übers Schanzkleid zu beugen, daß er fast frei in der Luft hing und beim nächsten Überholen über Stag gegangen wäre. Zu seinem Glück war die See aber ruhig.

Die Frau grüßte artig mit einem anmutigen Kopfnicken. Die Männer grüßten ebenfalls sehr höflich.

„Sie hat mir zugenickt“, erklärte Mac. „Sie hat sich sofort in mich verliebt.“

„Ausgerechnet dir“, grollte der Profos. „Sie hat allen zugenickt, und das hat weiter überhaupt nichts zu bedeuten. Das ist reine Höflichkeit.“

„Ich kenne die Frauen besser als du“, widersprach Mac. „Sieh nur, wie sie mich anschaut.“

Die Lady warf Mac tatsächlich einen Blick zu und musterte ihn. Dann verzogen sich ihre roten Lippen zu einem Lächeln.

Mac Pellew blies sich noch mehr auf und stolzierte wie ein Pfau auf dem Deck hin und her. Er hatte seinen schwärmerischen Blick drauf und lächelte zurück.

Der Profos mußte dieses Lächeln natürlich wieder anders deuten.

„Du grinst wie ein ausgestopfter Bilgenfrosch, der ’ne Zitrone im Maul hat“, lästerte er.

Damit konnte er Mac Pellew aber nicht treffen, denn der war beim Anblick der Lady über alles erhaben und sah hoheitsvoll über das Lästermaul hinweg.

Hasard beobachtete die Männer aus schmalen Augen. Auch das Schiff hatte er bereits einer gründlichen Musterung unterzogen. Es gab keine einzige Kanone an Deck, auch keine Drehbassen. Nicht einmal die Halterungen dafür waren zu erkennen.

Aus seiner erhöhten Position konnte er auch in den Stauraum blicken, wo sich alle möglichen Waren stapelten.

Er hielt nach einem eingezogenen Zwischendeck Ausschau, ähnlich jenem, wie die Piraten im Adriatischen Meer eins gehabt hatten.

Ferris sah den Blick des Seewolfs und schüttelte den Kopf.

„Keine doppelten Böden, Sir“, sagte er. „Ich habe schon überall hineingesehen. Es gibt nur noch drei kleine Kammern ganz achtern, und ich glaube nicht, daß sich da jemand versteckt hält.“

„Angeborenes Mißtrauen“, sagte Hasard. „Weiter nichts. Aber es ist ganz gut, wenn man auf Kleinigkeiten achtet. Sie haben uns schon mehr als einmal das Leben gerettet.“

„Das ist richtig.“

Inzwischen waren der Kutscher und ein paar Arwenacks übergestiegen, um einzukaufen. Der Anblick der Lady verführte buchstäblich zum Einkaufen. Fast alle hielten sich sehr unauffällig in ihrer Nähe auf und stierten Waren an, die sie ohnehin nicht kaufen wollten.

Mac Pellew, der immer noch mit durchgedrücktem Hohlkreuz an Deck stand und die Lady anpeilte, hatte jetzt auch nichts Eiligeres zu tun, als auf das Bumboot umzusteigen.

Er zog schon an Deck sein neckisches Hütchen mit der wippenden Feder und verneigte sich mit Grandezza. Den Hut hielt er mit einer weitausladenden Bewegung von sich. Das hatte er einmal bei Hofe gesehen, und es hatte ihm sehr imponiert.

Der Lady imponierte das offenbar ebenfalls, und sie erwiderte den verwegenen Gruß mit einem leichten Hofknicks, den Mac Pellew sofort mit einem Kratzfuß beantwortete. Er sah nicht die grinsenden Gesichter, und er sah auch nicht das wie zufällig hingestreckte Bein Edwin Carberrys, dem heute nichts besseres einfiel, als sein „Mackileinchen“ zu ärgern.

Mac hatte nur Augen für die Schöne, und so stolperte er prompt und fiel der Lady vor die hübschen Beine.

Das war ihm furchtbar peinlich, als er sich aufrappelte. Sein Kopf war knallrot angelaufen, doch die Lady ergriff seinen Arm und half ihm beim Aufstehen.

Mac schoß einen feurigen und zugleich dankbaren Blick ab und verneigte sich erneut.

„Was darf es denn sein?“ erkundigte sie sich mit lieblicher Stimme. „Welchen Wunsch haben Sie, Don …?“

„Don Mac … äh – Don Rafael“, murmelte Mac verlegen. „Ich – äh – ich dachte da an einen – einen …“

Er blickte sich hilfesuchend um und entdeckte zu seiner größten Freude ein paar herrliche Degen, die an einem Balken hingen.

„Einen Degen!“ rief er strahlend.

„Ah, Sie verstehen etwas davon, Don Rafael“, sagte die Schöne mit der lieblichen Stimme, „Sie sind ein wahrer Caballero. Ich werde Ihnen etwas zeigen, die besten Degen aus Toledo.“

Als sie sich umdrehte, zischte der Profos Mac zu: „Was willst du Spinner mit einem Degen – Käse schneiden oder die Kakerlaken damit pieksen?“

„Dir damit die Haut in Streifen von deinem Affenarsch schneiden“, gab Mac ruppig zurück, aber so, daß es die Lady nicht verstand.

„Haha! Paß lieber auf, daß du dir nicht selber was abschneidest!“

„Verpiß dich endlich“, fauchte Mac. „Du zerstörst mir nur das zarte Gespinst der Liebe, das soeben aufzublühen beginnt.“

„Dann bleibe bloß nicht mit dem Degen darin stecken“, spottete der Profos.

Die Schöne zeigte ihm den Degen, der wahrhaftig ein Meisterstück war.

Mac mußte ihn natürlich sofort ausprobieren. Er tänzelte ein paar Schritte auf den Planken herum, wie sich das für einen Caballero gehörte, und hieb dann aus dem Handgelenk zu.

Den Kürbis, den der Kutscher gerade zur Seite rollte, sah er zu spät.

Der Hieb mit der Toledoklinge spaltete den Kürbis in zwei Teile. Die eine Hälfte blieb liegen, die andere rollte zur Seite, ausgerechnet in dem Augenblick, als der Profos Kurs auf ein Regal nahm.

Edwin Carberry latschte mitten in die Kürbishälfte hinein. Er war so überrascht, in etwas Weiches zu treten, daß er einen leisen Schrei ausstieß.

Dann ging die Reise auch schon los.

Das Ding setzte sich in Bewegung, der Profos brüllte und ruderte verzweifelt mit den Armen, um Halt zu finden. Mit beiden Stiefeln stand er in dem Kürbis und schlitterte auf ein großes Regal zu. In dem Regal hingen Würste und Speckseiten, und die Schmalseite war mit frischen Hühnereiern aufgefüllt.

Mac Pellew schloß entsetzt die Augen, um das Bild verschwinden zu lassen. Aber seine Ohren konnte er nicht verschließen, als auch schon der entsetzliche Lärm zu hören war.

Carberry krachte mit seinem ganzen Gewicht in das Regal. Er streckte abwehrend die Hände aus, doch das half auch nichts mehr.

In einem Trümmerregen aus Würsten, Knoblauchkränzen und Speckseiten ging der Profos unter.

Das alles wäre gar nicht so schlimm gewesen, aber da waren noch die frischen Hühnereier, und die hielten der Belastung erst recht nicht stand. Die Schmalseite des Regals zerbrach unter dem Anprall, und nun prasselten die Eier auf den Profos nieder, der schützend die Hände über den Kopf hielt.

Auf dem Bumboot war alles starr vor Staunen, als sich der Profos aus der glitschigen Masse erhob. Er war gelb von oben bis unten.

Mac Pellew hätte ihn am liebsten mit einem chinesischen Riesenlümmel verglichen, aber das traute er sich nicht, und so sagte er nur jammernd: „Ohgottchen, ohgottchen.“

Auf dem Bumboot waren ein paar gotteslästerliche Flüche zu hören, als Carberry endlich auf den Beinen stand. Auf dem Kopf klebten ihm Eierschalen, auf dem Hemd, an der Kürbishose und den Stiefeln. Der halbe Kürbis war nur noch ein erbärmlicher Matschhaufen.

Mac Pellew sah nicht mehr hin. Er verneigte sich galant vor der staunenden Lady.

„Keine Sorge, verehrte Señorita. Für den Schaden kommen wir natürlich selbstverständlich auf. Es wäre mir eine Ehre, das kleine Erdbeben persönlich zu bezahlen.“