Seewölfe Paket 30

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6.





„Vielleicht sind sie von Cádiz hergesegelt“, meinte Ben Brighton. „Die haben wir dann später schon nicht mehr auf dem Pelz, wenn wir uns dort aufhalten.“



„Sollen wir auskneifen?“ erkundigte sich Dan. „Sie ein bißchen foppen, dichter aufschließen lassen und dann weiter in den Atlantik segeln. Das ärgert sie sehr, wenn man ihnen in ihren eigenen Gewässern auf der Nase herumtanzt.“



„Und ihnen später die englische Flagge zeigen“, murmelte Ben. „Das ärgert sie noch mehr.“



Es war klar, daß die Dons unbedingt erkunden wollten, was es mit der fremden Schebecke auf sich hatte, die in diesen Gewässern nun einmal gar nicht üblich war. Die Arwenacks hatten zwar ein gutes und prachtvolles schnelles Schiff, aber es erregte auch überall Aufsehen und Neugier, und das war dem Seewolf gar nicht recht.



„Natürlich kneifen wir aus“, sagte Hasard. „Es wäre totaler Unsinn, sich mit den Brocken anzulegen, zumal es um absolut gar nichts geht. Warum sollen wir Kopf und Kragen riskieren, nur weil ein paar Dons neugierig geworden sind?“



„Dann zeigen wir ihnen das Heck, und damit hat es sich“, meinte Dan.



Die Galeonen segelten schwerfällig und behäbig ihren Kurs, der ein paarmal geändert wurde. Auch sie hatten unter dem auflandigen Wind zu kämpfen, der die Schiffe unmerklich nach Osten versetzte, wo sich die spanische Küste befand.



Langsam drehte die Schebecke ab. Hasard beobachtete die Dons durch das Spektiv.



Al Conroy erschien und meldete: „Für alle Fälle sind die Geschütze geladen und kontrolliert, Sir. Kann sein, daß die Dons doch noch aufrücken.“



„Gut“, sagte Hasard, „aber die Befürchtung habe ich eigentlich nicht. Wir können unsere Schnelligkeit wieder mal ausspielen.“



Die schweren Brocken näherten sich nur langsam. Auch sie änderten gleich darauf den Kurs, als die Schebecke nach Westen segelte.



Eine der Kriegsgaleonen drehte scharf ab. Man wollte ihnen ganz offensichtlich den Weg verlegen.



„Ein zweites Mal passiert mir das nicht“, murmelte Hasard. „Die Falle vor Gibraltar war mir eine Lehre.“



Sie gingen auf einen langen Kreuzschlag.



„Hier ist das Brassen kein Kunststück“, sagte Carberry grinsend. „Aber die Kerle auf der Galeone müssen sich ganz schön plagen. Sie sollten auch lieber Gaffelruten mit Lateinersegeln fahren.“



„Dann wären es keine Galeonen mehr“, wandte Smoky ein.



Die Dons merkten sehr schnell, daß ihnen die Schebecke mühelos davonlief. Auch die Karavelle, die noch weiter östlich stand, konnte nicht mithalten. Sie ging hart an den Wind und segelte ebenfalls einen langen Kreuzschlag.



Auf der ersten Galeone befand sich offenbar ein sehr grantiger oder erboster Kapitän, dem es nicht paßte, daß die Schebecke ihnen lässig das Heck zeigte.



Er ließ feuern, um zumindest seine Macht zu demonstrieren.



Viermal hintereinander zuckten lange Feuerlanzen auf der Backbordseite auf. Pilzartige Rauchwolken stiegen aus den Geschützpforten.



Der Wind verblies sie innerhalb weniger Augenblicke zu Nichts. Dumpfer Donner war zu hören, der sich grollend über das Wasser legte.



„Bum-bum“, sagte Batuti höhnisch, als sich aus dem Meer wie hingezaubert ein paar riesige Fontänen erhoben. Vier Säulen wuchsen aus dem Wasser, prachtvoll anzusehen in der hochgehobenen Dünung. Doch dann sanken sie mit einem lauten Rauschen in sich zusammen.



„Schade, daß sie so schnell vergehen“, fügte er hinzu. „Sie sehen wirklich prächtig aus.“



Den Dons genügte diese eine Demonstration noch nicht. Sie feuerten noch einmal.



Diesmal spien sechs Geschütze gleichzeitig Feuer. Die Galeone hüllte sich in Rauch und Feuer. Aus den Stückpforten waberten lange Flammenzungen hervor. Schwarzer Qualm trieb zur Seite.



Sie konnten die Kugeln sehen, die auf flacher Bahn durch die Luft zogen, bevor sie sich senkten und ins Wasser schlugen.



Sechs Säulen stiegen aus dem Meer. Ein dichter Vorhang von Gischt stäubte über die See. Die Arwenacks freuten sich über die schönen, mitunter bunt schimmernden Säulen. Aber leider war die Pracht sehr schnell vorbei. Die Fontänen vergingen weit achteraus im Kielwasser und lösten sich auf.



„Die scheinen über unbegrenzte Mengen an Kugeln zu verfügen“, meinte Nils Larsen trocken. „Die Steinmetze müssen sehr beschäftigte Männer sein.“



Die Dons jagten ihnen weiter nach, doch es war vergebliche Mühe. Mit der Schebecke konnten sie auch auf Kreuzschlägen nicht mithalten. Sie war wendiger und schneller.



Selbst die Karavelle blieb immer weiter zurück. Aber die Meute gab trotzdem noch nicht auf. Zumindest wollten sie das fremde Schiff aus ihren Gewässern vertreiben, wenn sie schon nichts ausrichten konnten. Sie schienen auch sehr verärgert zu sein.



Die Wasser des Atlantiks wurden wilder. Wind pfiff durch das stehende und laufende Gut und erzeugte heulende Töne. Immer wieder donnerte Gischt über das Deck.



Zwei Stunden lang segelten sie in den Atlantik. Kurs Nordwest lag jetzt an. Auch die Dons segelten den Kurs nach, doch ihre Schiffe wurden in der hochgehenden See immer kleiner.



„Nichts mehr von ihnen zu sehen“, stellte Dan knapp zwei Stunden später fest. „Entweder haben sie aufgegeben, oder sie sind so weit achteraus, daß nichts mehr zu sehen ist.“



„Sie werden aufgegeben haben“, meinte Hasard. „Zähneknirschend, versteht sich, und sehr erbost. Vermutlich lauern sie jetzt irgendwo dicht unter der Küste. Uns kann es egal sein, wir laufen jetzt Cádiz an und bleiben so weit von der Küste entfernt, daß wir sie nur als schmalen Strich sehen.“



Weit und breit war kein Schiff mehr zu sehen.



Hasard ließ noch eine knappe Stunde auf dem Kurs weitersegeln. Danach wurde Nordkurs gesegelt. Die Schebecke lag hart über Steuerbordbug.



Don Juan hatte mit beträchtlichem Aufsehen gerechnet. Aber es kam alles ganz anders, als er gedacht hatte.



Die Kutsche fuhr in Cádiz direkt vor der Hafenfestung vor.



Don Pedro und sein Begleiter verschwanden, um mit dem Festungskommandanten zu sprechen. Juan blieb solange angekettet in der Kutsche hocken.



Jetzt hatte er noch Zeit, um sich einmal umzuschauen. Wahrscheinlich sah er das Tageslicht so schnell nicht mehr wieder.



Sein Blick wanderte über den Hafen. Etliche stark armierte Galeonen lagen dort, aber auch Karavellen und Schaluppen. Im Hafen selbst herrschte ein beängstigendes Gewimmel. Eine dickbauchige und tief abgeladene Galeone wurde gerade gelöscht. Über die Stelling hasteten Männer mit Kisten, Ballen und schweren Säcken. Ein breitschultriger Kerl trieb sie fluchend zur Eile an.



Aus Juans Blickwinkel befand sich weiter rechts der Fischereihafen, wo das Gewimmel fast noch größer war. Unzählige Fischerboote lagen da. Auf manchen flickten die Fischer ihre Netze, andere Netze hingen zum Trocknen an den Masten.



Versonnen blickte Don Juan auf das bunte Treiben. Eine schlankgebaute Karavelle lief gerade aus. Sie segelte noch sehr langsam und behäbig, weil der Wind noch nicht richtig pfiff.



Cádiz – schon lange um tausend vor Christi von den Phöniziern gegründet – hatte größte Bedeutung als Ausgangspunkt der Westindienfahrten erlangt. Der Betrieb war direkt atemberaubend.



Er beugte sich etwas vor und warf einen weiteren Blick auf die große Kathedrale. Dumpfes Glockengeläut war von dort zu hören.



Mehr als eine Stunde verging. Er spürte, wie Hunger und Durst übermächtig wurden. Die Reiter waren abgesessen und starrten lustlos und müde auf das Treiben am Hafen. Trotzdem ließen sie ihn nie aus den Augen. Sie hätten ihn ruhig unbeaufsichtigt lassen können. Er war so fest angekettet, daß an eine Flucht nicht zu denken war.



Nach einer weiteren halben Stunde kehrte Don Pedro zurück. In seinem Gesicht stand blanke Schadenfreude. Mit ihm erschienen acht behelmte Männer von der Festungsgarde. Das Tor zur Festung war weit geöffnet worden. Drei Kuttenträger marschierten mit über dem Bauch gefalteten Händen heraus. Die acht Kerle blickten grimmig in die Kutsche. Unter ihnen befand sich ein Comandante.



„Das ist der Verräter“, sagte Don Pedro. „Ein gefährlicher Mann. Aber mit solchen Halunken werdet ihr ja fertig.“



Der Comandante grinste nur abfällig.



„Löst seine Ketten!“ befahl er. „Und dann ab mit ihm.“ Er unterschrieb auf einem Pergament die Übergabe des Gefangenen und reichte es Don Pedro zurück, der es in den Aufschlag seiner Jacke schob.



Don Juan wurde für ein paar Augenblicke von seinen Fesseln erlöst. Dann wurden ihm die Hände erneut gefesselt und zwischen den Ellenbogen eine weitere Kette durchgeschoben, die weiter um seinen Hals gelegt wurde. Er konnte nur noch mit durchgedrückten Kreuz gehen.



„Na, dann viel Spaß“, wünschte Don Pedro höhnisch. „Ich habe mit einem der Richter gesprochen. Ihre Hinrichtung wird nicht lange auf sich warten lassen. Die Verurteilung ist nur eine reine Formsache, es wird ganz schnell gehen. Eigentlich bedauere ich, nicht dabeisein zu können.“



„Sie sind ja bei Ihrem eigenen Tod dabei, falls das ein Trost ist“, entgegnete Juan.



„Sterben Sie gut!“ empfahl der Erste Offizier.



Don Juan lächelte auf eine merkwürdige Art.



„Die Wege des Herrn sind unergründlich“, sagte er. „Mit Madrid hat es nicht geklappt. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“



„Im Himmel ganz sicher nicht.“



„Ich weiß. Man wird Ihnen den Zutritt verbieten.“



Don Pedro schnaufte empört. Er drehte sich um und ging zu der Kutsche zurück.



Die Soldaten stießen Juan vorwärts. Ein breiter Innenhof nahm sie auf. Dann ging es durch eine eisenbeschlagene Bohlentür in einen langen Gang.

 



Don Juan fand sich in einem holzgetäfelten hohen Raum wieder. Es war fast dunkel darin. An einem riesigen Tisch hockte ein Männchen unbestimmbaren Alters mit einem kurzen Bart. Das Männchen blickte sehr bösartig und verkniffen drein.



„Der Gefangene, Señor de Almedo“, meldete der Comandante. Er stieß Don Juan zwei Schritte vorwärts.



„Juan de Alcazar?“ fragte das Männchen mit erstaunlich tief klingender Stimme.



„So lautet mein Name“, sagte Don Juan.



Der Mann, offenbar einer der Richter, musterte ihn ausgiebig und schweigend. Auffallend lange betrachtete er ihn, wobei sich seine ohnehin dünnen Lippen zu einem schmalen Strich verzogen.



Als die Musterung beendet war, nickte de Almedo.



„Einzelhaft. Bringen Sie ihn ins Verlies, Comandante. Scharf bewachen!“



Mehr sagte das Männchen nicht. Es faltete die Hände über dem Bauch und blickte auf die Tischplatte.



Es ging wieder hinaus, durch endlose Gänge, dann ein paar Treppen hinunter, bis es immer finsterer wurde. Links, rechts, oben und unten waren dicke Quader zu sehen. In eisernen Halterungen steckten blakende Fackeln, die geisterhaft die Gänge erleuchteten.



An einem Kreuzgang standen mit Hellebarden bewaffnete Soldaten, die sich nicht rührten.



Ein weiterer hoher Gang, kühl und trocken. Don Juan hörte leise Stimmen und ein tiefes Seufzen. Hinter dicken Bohlentüren befanden sich weitere Gefangene.



Vor einer dicken Bohlentür blieb der Trupp stehen. Ein Schüssel wurde ins Schloß geschoben, die Tür aufgesperrt.



Don Juan blickte in einen viereckigen Raum aus behauenen dicken Quadern. In drei Yards Höhe befand sich ein schmaler handbreiter Spalt, durch den diffuses Halbdämmerlicht fiel. In einer Ecke lag ein dünner Haufen verfaultes Stroh. Es roch unangenehm in der Zelle. Weitere Einrichtungsgegenstände gab es nicht, nur noch zwei starke Ringe in der Wand, von denen schmiedeeiserne Ketten hingen.



Wortlos wurde er in den Raum gestoßen. Die Tür wurde zugedonnert, ein Schlüssel drehte sich kreischend im Schloß.



Don Juan war allein. Auf dem Gang verklangen die Schritte seiner Bewacher.



Ein paar Augenblicke blieb er stehen, den Blick auf die schmale Öffnung im Mauerwerk gerichtet. Dann trat er mit den Stiefeln das Stroh auseinander. Es schien schon wochenlang hier zu liegen und faulte langsam vor sich hin.



Eine Stunde verging. Geräusche drangen nur sehr leise und gedämpft in das modrige Verlies. Erst nach einer Ewigkeit vernahm er wieder Schritte, die vor seiner Tür hielten.



Zwei Soldaten öffneten vorsichtig. Einer hielt eine schußbereite Pistole in der Hand.



„An die Wand treten“, schnarrte der Mann. Don Juan gehorchte und trat an die kühle Quaderwand.



Eine Kumme mit einer undefinierbaren Brühe wurde auf den Boden gestellt. Ein steinharter Kanten Brot schwamm darin. Der Mann stellte noch einen Krug mit Wasser auf den Boden. Die beiden verschwanden, so wortlos, wie sie erschienen waren.



Der schlanke große Spanier zuckte zusammen, als er nach dem Krug mit Wasser griff.



Er hörte klatschende Schläge und dann eine Stimme, die in höchster Angst laut und gellend schrie: „Neiiin! Ich will nicht sterben, laßt mich leben!“



Die Stimme brach ab, ein Winseln war zu hören, weitere klatschende Schläge. Anscheinend schleiften sie den Mann, der geschrien hatte, jetzt aus seiner Zelle. Don Juan glaubte zu wissen, daß seine Hinrichtung unmittelbar bevorstand. Denn so schrie nur jemand, der genau wußte, daß er jetzt sterben würde.



Als es wieder ruhig war, trank er einen Schluck Wasser. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Das Brot in der Wassersuppe war mittlerweile aufgeweicht. Er aß sehr langsam und mit Bedacht.



Danach begann er in der Zelle umherzuwandern, und etwas später legte er sich auf den kalten Boden.



So verging der erste Tag in der Festung.







7.





Zwei Tage später wurde sein Urteil verlesen. Der Prozeß fand in einem düsteren hohen Raum statt. Männer in dunklen Talaren saßen halbkreisförmig um eine Empore herum. Zwei Priester standen etwas abseits und hörten schweigend zu. Acht Gardisten befanden sich ebenfalls in dem Raum.



Den Vorsitz führte das unscheinbare Männchen mit dem Namen de Almedo, das noch erhöhter als die anderen saß.



„Im Namen Seiner Allerkatholischsten Majestät“, sagte de Almedo mit seiner tiefen Stimme, „ergeht das Urteil gegen Juan de Alcazar, ehemals Bevollmächtigter der spanischen Krone im Range eines Generalkapitäns, Sonderbeauftragter der Casa de la Contratación. Sie sind des Hochverrates, der Kollaboration, Verrates an der spanischen Krone, Renegatentum und Insubordination für schuldig befunden worden. Das Urteil ist beglaubigt und besiegelt. Es lautet: Tod durch die Garotte. Der Gefangene wird dem Henker überantwortet.“



Einer der Priester sprach ein heuchlerisches Gebet.



Don Juan stand hochaufgerichtet da. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. Die schiefergrauen Augen waren auf de Almedo gerichtet, der ein gesiegeltes Schreiben neben sich auf den Tisch legte.



„Darf ich etwas zu meiner Verteidigung sagen?“ fragte er kühl.



„Abgelehnt“, entschied de Almedo. „Ein Hochverräter, der mit englischen Piraten paktiert, hat nicht das Recht, sich zu verteidigen. Die Sitzung ist geschlossen. Das Inquisitionsgericht tritt in einer halben Stunde zusammen.“



Das war alles. Das nächste Urteil würde gegen einen Ketzer ergehen, der sich wahrscheinlich auch nicht verteidigen durfte.



Noch ehe Don Juan etwas sagen konnte, führten ihn die Gardisten wieder hinaus.



Der Spanier schluckte hart – in der Annahme, daß man ihn sofort dem Henker ausliefern würde. Das war jedoch noch nicht der Fall. Wann seine Hinrichtung stattfinden sollte, wurde ihm nicht mitgeteilt.



Sie brachten ihn wieder in das modrige Verlies zurück.



Als die Bohlentür hinter ihm zuschlug, war er mit seinen Gedanken allein.



„Ausgerechnet an einem Freitag“, sagte Old O’Flynn düster. „Das ist sicherlich kein gutes Zeichen. Wir hätten erst morgen Cádiz anliegen sollen.“



„Für Juan kann jeder Tag der letzte sein“, erwiderte Hasard. „Da soll man sich nicht mit Aberglauben befassen.“



„Das gefällt mir trotzdem nicht“, sagte der Alte. „Freitag war schon immer ein Unglückstag.“



Sie befanden sich mit der Schebecke auf der Höhe von Cádiz. Die Küste war nur ein feiner dunstiger Strich am östlichen Horizont. Der Hafen ließ sich bestenfalls erahnen.



Die Dünung war lang und gleichmäßig. Die Schebecke wurde sanft angehoben und in das nächste Wellental gesetzt. Der Himmel war von kühler, hellblauer Färbung, die Sonne blaß und kraftlos.



Die Jolle war abgefiert worden und dümpelte in der Dünung. In ihr befand sich alles, was Hasard und der Kutscher für ihren Landgang brauchten.



„Es bleibt alles wie besprochen“, sagte der Seewolf zu Ben Brighton. „Du hast während unserer Abwesenheit das Kommando. Ihr haltet euch nördlich von Rota auf und verschwindet sofort, wenn spanische Schiffe auftauchen. Laßt euch auf keine Scharmützel ein, lauft in einem solchen Fall sofort nach Westen ab.“



„Aye, Sir“, sagte Ben. „Ich werde jeden Kontakt mit den Dons vermeiden. Hast du eine ungefähre Vorstellung, wie lange ihr brauchen werdet?“



„Nicht die geringste Ahnung. Es wird kein Spaziergang werden, denn wir müssen uns nach den besonderen Umständen der jeweiligen Situation richten.“



„Ja, natürlich. Dann bleibt nur noch, euch Mast- und Schotbruch zu wünschen. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.“



Es war eine sehr riskante Sache, die sie vorhatten, das wußte Hasard. Aber er sah keine andere Möglichkeit. Gewalt schied in jedem Falle aus, sie war in der gut bewachten Hafenstadt Cádiz nicht anwendbar. Sie hätten schon mit einer kleinen Flotte angreifen müssen.



Hasard und der Kutscher waren wie die spanischen Fischer gekleidet. Sie trugen grobe Leinenhemden und ebensolche Hosen. Später würden sie die Plünnen gegen die Kutten tauschen.



„Wir drücken euch die Daumen“, sagte Carberry. „Und wenn ihr in zwei bis drei Tagen nicht zurück seid, dann krempeln wir den lausigen Hafen um und stapeln die Rübenschweine übereinander.“



Hasard hob die Hand und grinste seinen Arwenacks verwegen zu.



„Wir werden den Dons schon was vorflunkern“, sagte er.



„Mundus vult decipi – ergo decipiatur“, verkündete der Kutscher, als er in die Jolle abenterte.



„Willst du das den Betbrüdern verklaren?“ fragte Carberry. „Was heißt das eigentlich?“



„Die Welt will getäuscht sein, also werde sie getäuscht“, erwiderte der Kutscher grinsend.



„Der Bursche hat immer was auf Lager“, murmelte der Profos. „Der bringt es sogar fertig, eine alte Nonne vom Nachttopf zu schubsen.“



Die Arwenacks grinsten bis an die Ohren. Der Profos hatte mitunter recht seltsame Vergleiche.



Der Kutscher heißte das Segel vor, während der Seewolf die Ruderpinne übernahm. Dann lösten sie die Leine.



Die Jolle legte ab und nahm Fahrt auf. Ein letztes Winken der Arwenacks. Hasard und der Kutscher segelten der fernen Küste entgegen.



Achteraus wurde die Schebecke schnell kleiner. Als Hasard einen Blick über die Schulter warf, sah er, daß die Segel wieder gesetzt wurden und das Schiff Fahrt aufnahm. Ben Brighton ging auf nördlichen Kurs.



„Zunächst werden wir uns im Fischereihafen ein paar kleine Netze zulegen“, sagte der Seewolf. „Damit unsere Identität als Fischer gewahrt bleibt. Dann sehen wir uns in Cádiz um und peilen die Lage. Später ziehen wir uns um und lustwandeln als fromme Betbrüder.“



„Wer von uns spielt den Padre espiritual?“ fragte der Kutscher.



„Den Beichtvater? Am besten du, Bruder Flavius. Dein Latein ist meisterhaft, da kann ich nicht mithalten.“



„Du siehst mit deinem Bart aber würdiger aus, Sir. Diese Silberfäden verleihen dir Seriosität und große Würde.“



„Dann sind wir eben zwei Beichtväter. In Cádiz laufen genügend herum, da bin ich ganz sicher.“



Hasard blickte zur Küste. Die große Kathedrale von Cádiz war bereits mit dem bloßen Auge zu erkennen.



Eine Meile vom Land entfernt sahen sie ein paar Fischerboote, die in der Dünung schaukelten. Hasard segelte in weitem Abstand an ihnen vorbei. Aber die Fischer schenkten ihnen keine Beachtung. Sie hievten gerade ein Netz an Bord, in dem sich zappelnde silbrige Fischleiber befanden.



„Sehr ruhig und beschaulich“, stellte der Kutscher fest. „Mit der Jolle werden wir ganz sicher kein Aufsehen erregen.“



Cádiz lag auf einem Kalkfelsen im gleichnamigen Golf und war durch eine schmale, aber sehr lange Landzunge mit dem Festland verbunden.



Im Hafen herrschte an diesem Vormittag ein unglaubliches Gewimmel. Die Fischerboote waren kaum zu zählen, aber auch Galeonen lagen dort, Schaluppen und eine größere Karavelle.



Über die Piers wurden Lasten geschleppt. Kleine Boote wurden beladen, die ihre Fracht hinüber nach Rota brachten. Hasard hörte leise Glockenschläge.



„Ein eigenartiges Gefühl, direkt in die Arme der Dons zu segeln“, sagte er leise.



„Wir waren zweimal in der Höhle des Löwen, und niemand hat uns gefressen“, meinte der Kutscher. „Aller guten Dinge sind drei.“



Bevor sie in den Hafen einliefen, warf Hasard einen langen Blick zurück. Von der Schebecke war nichts zu sehen, nicht einmal ein feiner Strich. Keiner ahnte, wer hier gerade in den Hafen einlief.



Mit der größten Selbstverständlichkeit segelte Hasard zu dem Fischerhafen hinüber. An den Piers waren genügend Plätze frei.



Sie fanden eine abgelegene Stelle, wo nur ein paar Boote lagen.



Dort vertäuten sie.



Hasard und der Kutscher gingen über die schmale Pier. Ihre Sachen hatten sie in der Achterducht der Jolle verborgen. Dort hatte Ferris Tucker ein „Geheimfach“ eingebaut, das sich getarnt hinter der kleinen Plicht befand.



Sie gingen zu zwei älteren Fischern hinüber. Einer hockte vor sich hindösend auf dem Dollbord, der andere, ein bärtiger Geselle, klaubte winzige Muscheltiere und Dreck aus einem Netz, in dem noch ein paar angetrocknete Seesterne hingen.



„Kann man euch ein Netz abkaufen?“ fragte Hasard. „Unseres hat sich so verfangen, daß wir es kappen mußten.“



„Ihr seid wohl nicht von hier?“ fragte der Bärtige.



„Drüben, von Rota“, log Hasard.



„Da vorn ist ein Schiffsausrüster“, sagte der Fischer und deutete mit dem Daumen zur anderen Seite hinüber. „Da könnt ihr neue Netze kaufen, aber neue Netze sind teuer.“

 



„Verkauf ihnen doch unser Netz“, sagte der andere, der vor sich hingedöst hatte, jetzt aber wieder munter wurde.



Man wurde schnell handelseinig, und es wurde nur wenig gefeilscht. Trotzdem war das Netz vermutlich teurer, als wenn sie ein neues gekauft hätten.



Die beiden Fischer grinsten sich an, als sie das Geld in Empfang genommen hatten.



„Darauf gehen wir einen trinken“, sagte der Bärtige zu dem anderen, und gleich darauf waren sie verschwunden.



„Für das Geld kriegen sie ein neues Netz und noch ein paar Buddeln Rotwein dazu“, meinte der Kutscher. „Aber was soll’s! Mit diesem alten Ding sehen wir glaubwürdiger aus.“



„Dann werden wir auch mal einen trinken gehen“, meinte der Seewolf. „Hier wird uns so schnell keiner behelligen.“



Die Fischer waren verschwunden und hockten jetzt vermutlich in einer Pinte, wo sie den Verkauf begossen.



Hasard und der Kutscher gingen in Richtung Festung hinüber. Das Kloster war nicht weit davon entfernt, und in den Straßen sahen sie viele Mönche.



„Hier fallen wir garantiert nicht auf“, raunte der Kutscher. „Sieh dir nur mal die vielen Brüder an.“



„Erstaunlich viele“, gab Hasard zu.



Sie gingen zur Festung hinüber und blickten sich unauffällig um.



„Hinter einer dieser Mauern sitzt Juan“, sagte Hasard leise. „Aber nur, wenn alles geklappt hat, so wie Donegal gesagt hat. Ich darf gar nicht daran denken, wenn etwas schiefgelaufen ist.“



Ein Leiterwagen rumpelte vorbei. An den Rungen waren zwei Strolche angebunden, unrasierte, abgerissene Gestalten mit ängstlichen Gesichtern. Vier Soldaten auf dem Leiterwagen traktierten sie mit Schlägen. Der Leiterwagen hielt vor dem offenen Tor der Festung.



Die beiden Kerle wurden losgebunden und an zwei Pfähle im Innenhof gekettet. Dort schlug ein Soldat mit einem Stock wahllos auf sie ein. Die beiden Kerle schrien sich die Kehlen heiser.



Hasard und der Kutscher gingen weiter und sahen sich alles an. Die Festung war so gut bewacht, daß es unmöglich war, ungehindert hineinzugelangen.



Vor der dicken Mauer stand eine neugierige Menschenschlange. Dort hing eine hölzerne Tafel an einem Haken.



„Das sehen wir uns mal an“, murmelte Hasard. Sie mischten sich unter die Neugierigen und blickten auf die Tafel.



„Der öffentlichen Schande preisgegeben und durch das Inquisitionstribunal hingerichtet“, stand dort. Dann folgten etliche Namen von denen, die man der Häresie und Ketzerei beschuldigt hatte und die jetzt nicht mehr am Leben waren.



Mit klopfendem Herzen ging Hasard die Namen durch. Aber Häresie und Ketzerei warf man Don Juan nicht vor. Sein Name war nicht darunter.



Ein weiterer Anschlag trug die Namen von Verurteilten, die noch in Haft waren, denen der Tod also erst bevorstand.



Zwei Kaufleute aus Huelva waren darunter, eine „Hexe“ aus Cádiz, ein Händler aus Cádiz, drei Plünderer, zwei Mörder aus Rota.



Hasard und der Kutscher studierten sorgfältig die Namen, und dann zuckten beide unmerklich zusammen.



Juan de Alcazar, stand dort, Hochverrat. Der Name war so unauffällig wie die anderen, denen man alles mögliche zur Last gelegt hatte.



Hasard schluckte den dicken Kloß in seinem Hals hinunter. Er suchte vergeblich nach dem Datum der Hinrichtung. Es war nicht angegeben.



„Also doch“, sagte er leise, als sie sich von den anderen etwas entfernt hatten. „Jetzt haben wir zumindest die Gewißheit, daß er hier ist und auch bereits verurteilt wurde. Wir müssen nur noch herausfinden, wann das der Fall sein wird.“



„Du meinst seine Hinrichtung?“



Hasard nickte nur und ging weiter. In seinem Innern wuchs die Angst, daß es zu spät sein könnte.



Sie fragten hier und dort unauffällig, aber niemand konnte ihnen etwas Genaues sagen. Die Termine würden nicht öffentlich bekanntgegeben, sagte ihnen ein älterer Mann, der durch die Inquisition einen Neffen verloren hatte.



„Die bringen ja die halbe Welt um“, murmelte der Kutscher. „Das ist ja noch schlimmer als bei uns, wo man auch nicht gerade zimperlich ist!“



„Viel schlimmer.“



Sie gingen in eine Pinte, tranken etwas und hörten sich weiter um. Aber viel war es nicht, was sie erfuhren.



„Wir gehen wieder zurück“, sagte Hasard, „und werden versuchen, mit den Mönchen Kontakt aufzunehmen. Das ist unsere einzige Möglichkeit. Auf der Jolle besprechen wir die näheren Einzelheiten.“



Dem Kutscher war sehr unbehaglich zumute, und das sagte er auch. „Die sind so verdammt schnell bei der Sache, daß es einen graust. Die können die Leute gar nicht schnell genug umbringen. Ich habe das erbärmliche Gefühl, als könnten wir nicht mehr viel für unseren Freund Juan tun.“



„Das Gefühl habe ich auch.“



Am späten Nachmittag desselben Tages gab es in Cádiz zwei fromme Betbrüder mehr.



Hasard und der Kutscher hatten sich umgezogen. Niemand hatte sie bei ihrem Tun beobachtet.



In einem Geschäft besorgten sie sich bei einem Händler ein sündhaft teures Geschenk. Es war die perfekte Nachbildung eines hölzernen Gnadenbildes der Nuestra Señora de la Esperanza, das reich verziert und geschmückt war. Das Original wurde in der Semana Santa, der heiligen Woche, in der Prozession von Sevilla mitgeführt.



Hasard und der Kutscher hatten sich einen glaubwürdig-frommen Blick zugelegt und führten Rosenkränze mit sich. Der Kutscher ließ den Rosenkranz ständig durch seine Finger gleiten und murmelte dabei lateinische Sprüche. Er schien ein sehr frommer Mann zu sein.



Das fand auch der Prior des Klosters, als die beiden Padres bei ihm untertänigst vorstellig wurden, und um ein Gespräch mit dem ehrwürdigen Vorsteher baten.



Der Prior war ein feister Mann mit Hängebacken und dem Gesicht eines zufriedenen Posaunenengels. Seine Augen blickten listig auf das Paket, das Hasard unter dem Arm trug.



„Pax est tranquillitas ordinis“, tönte der Kutscher, was so viel bedeutete, daß Friede die Ruhe der Ordnung sei.



Das fand der ehrwürdige Prior auch und schielte wieder recht neugierig auf das Paket.



„Der Herr hat zwei gottesfürchtige Brüder nach Cádiz gesandt“, erklärte der Kutscher, „damit sie Buße tun und als reuige Sünder heil nach Sevilla zurückkehren mögen.“



„Willkommen, Brüder im Herrn“, sagte der Prior, „ihr seid also aus Sevilla, wie ich vernehme.“



Hasard ließ den Kutscher reden, denn der konnte so herrlich überzeugend mit lateinischen Brocken herumwerfen, daß der Prior regelrecht entzückt war.



„Aus dem ehrwürdigen Kloster de le Merced“, sagte der Kutscher. „Der ehrwürdige Prior bittet um die Entgegennahme einer kleinen Aufmerksamkeit durch den ehrwürdigen Vorstand des hiesigen Klosters.“



Der Prior war begeistert und umarmte die beiden schnell.



Hasard überreichte ihm das Geschenk und hoffte inständig, daß dem ehrwürdigen Prior nichts auffiel.



„Sicher werdet ihr hungrig und durstig sein, Brüder. Ich werde euch sofort nach der anstrengenden Reise etwas herrichten lassen.“



So gelangten sie in das Kloster, und von dort aus weiter in das Heiligtum des gottesfürchtigen Priors, der auch weltliche Dinge nicht unbedingt verschmähte.



Bevor die Brüder im Herrn gespeist wurden, wickelte der Prior das Paket aus und blickte ungläubig auf den Pasos, die Heiligengestalt der Nuestra Señora de la Esperanza.



„Es möge einem guten Zweck dienen“, sagte der Kutscher doppeldeutig. Dann ließ er wieder seinen Rosenkranz murmelnd durch die Finger gleiten.



„Wie lange bleibt ihr in Cádiz?“ wollte der Posaunenengel wissen, nachdem er sich überschwenglich bedankt hatte.



„Wir sind vom ehrwürdigen Prior angehalten, etwa vierzehn Tage in Cádiz zu verbringen, die wir der Seelsorge widmen. Auch sollen wir uns um die Verurteilten kümmern, ihnen Trost spenden und die Beichte abnehmen, so haben wir es dem ehrwürdigen Vater versprochen.“



„Ja ja, es gibt viel zu tun.“ Der Dicke seufzte ergeben. „Ich werde euch den nötig