Seewölfe Paket 30

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3.

Margarida zitterte wie Espenlaub. Hatten ihr die starken Arme und die beruhigenden Worte Felipes zunächst noch ein vages Gefühl von Sicherheit vermittelt, so wurde sie jetzt von Angst beherrscht.

Kaum war das schaurige Gelächter der unheimlichen Mönche verhallt, begannen sich die finsteren Gestalten zu bewegen. Der Kreis, der sich um das junge Liebespaar gebildet hatte, wurde enger und enger, und der Kuttenmann, der bereits einen Dolch in der Hand hielt, rief einen kurzen Befehl.

„Ruhig, ganz ruhig, Margarida“, flüsterte Felipe. „Ich werde nicht zulassen, daß dir etwas geschieht. Wenn sie noch einige Schritte näher heran sind, läufst du los, und zwar nach rechts. Dort klafft die größte Lücke in ihrem Kreis. Lauf, so schnell du kannst, zum Dorf, ich werde inzwischen versuchen, die Kerle aufzuhalten.“

Margarida klammerte sich noch enger an ihn.

„Nein, Felipe, ich bleibe bei dir, was auch immer geschehen mag.“

Der junge Fischer versuchte ihre Arme mit sanfter Gewalt von seinem Nacken zu lösen.

„Sei vernünftig, Margarida. Wir müssen es versuchen, auch um unserer Familien willen. Es geht nicht nur um unsere Sicherheit, auch das Dorf muß gewarnt werden.“

„Schon gut, Felipe“, flüsterte das Mädchen. „Ich werde alles tun, was du sagst. Möge die heilige Jungfrau dich beschützen.“

Felipe hauchte einen raschen Kuß auf ihre Lippen, dann sagte er: „Jetzt, Margarida – jetzt lauf los!“

Das Mädchen gehorchte. Ihre Hände glitten von seinen Schultern, dann fuhr die schlanke Gestalt herum und eilte leichtfüßig wie ein Reh über das Geröll.

Felipe versuchte, die Mönche abzulenken. Er bückte sich blitzschnell und griff nach einigen faustgroßen Steinen.

„Wenn ihr keine Männer Gottes seid, dann geht zum Teufel!“ rief er mit lauter Stimme. Fast gleichzeitig holte er weit aus und schleuderte den ersten Stein.

Der Kerl mit dem Dolch versuchte dem Wurfgeschoß auszuweichen, aber da er offensichtlich nicht mit dieser Reaktion gerechnet hatte, schaffte er es nur teilweise.

Der Steinbrocken erwischte ihn an der rechten Schulter und riß ihn ein Stück um die eigene Achse. Hätten ihn nicht zwei seiner Kumpane aufgefangen, wäre er unweigerlich zu Boden gegangen.

Während ein ächzender Laut über seine Lippen drang, löste sich der Dolch aus seiner Hand und fiel auf die Erde. Gleich darauf bedachte der Kapuzenträger den jungen Fischer mit einem wütenden Fluch.

Felipe warf bereits den nächsten Stein. Er kämpfte den Kampf des Verzweifelten und war sich darüber im klaren, daß er sich diese teuflischen Männer nicht auf Dauer vom Leib halten konnte. Seine ganze Sorge galt jedoch Margarida. Er war bereit zu sterben, wenn nur das Mädchen es schaffte, ins Dorf zu fliehen.

Kraftvoll beugte er sich zurück und schleuderte den gespenstischen Gestalten den dritten Steinbrocken entgegen. Ein lauter Schmerzensschrei bestätigte ihm, daß er sein Ziel nicht verfehlt hatte. Noch während er sich bückte, um weitere Steine aufzuraffen, sah er, wie einige der Mönche mit langen Sätzen auf Margarida zueilten.

„Lauf, Margarida, lauf!“ schrie er.

Die ranke Gestalt des Mädchens flog wie ein heller Schatten durch die Nacht. Aber sie hatte dennoch keine Chance, den Kreis zu durchbrechen. Noch bevor sie durch die Lücke schlüpfen konnte, wurde sie von zwei Kapuzenmännern gepackt.

Das laute Schreien Margaridas ließ Felipe erschauern. Seine schwache Hoffnung, daß sie es schaffen würde, hatte sich nicht erfüllt. In einem letzten Aufbäumen warf er den heranstürmenden Gestalten die beiden Steinbrocken entgegen, die er noch aufgehoben hatte.

„Ihr Teufel!“ brüllte er. „Laßt das Mädchen los, sie hat euch nichts getan!“

Innerhalb von wenigen Augenblicken wurden seine Rufe ebenso erstickt wie die lauten Schreie Margaridas. Felipe spürte einen harten Schlag gegen das Kinn, dann torkelte er zwei Schritte zurück und prallte gegen eine unsichtbare Mauer aus Menschenleibern. Nachdem ihm ein weiterer kräftiger Fausthieb wie ein Geschoß in die Magengrube gefahren war, sackte er mit einem Aufstöhnen zu Boden.

Einen Augenblick kauerte er zusammengekrümmt und etwas benommen auf dem Geröll, dann wurde er von derb zupackenden Fäusten hochgerissen.

Ein Kapuzenmann hielt ihm ein Messer vor die Brust.

„Schluß jetzt, Freundchen!“ zischte er. „Wenn du noch ein einziges Mal muckst, bist du dran. Und deine hübsche Freundin ebenfalls.“

Trotz dieser Drohung versuchte sich Felipe loszureißen.

„Zur Hölle mit euch!“ stieß er hervor. „Was wollt ihr von uns? Laßt wenigstens Margarida in Ruhe …“

Ein schmerzhafter Fausthieb zwang ihn erneut in die Knie.

„Ein hübsches Vögelchen, deine Margarida“, höhnte der Kerl, der ihn niedergeschlagen hatte. „Wenn das Mädchen vernünftig ist, wird es noch eine große Zukunft vor sich haben.“ Er unterstrich seine Worte mit einem meckernden Lachen, in das seine Komplicen mit einstimmten.

Felipe sah ein, daß er nicht die geringste Chance gegen diese Burschen hatte. Es blieb ihm vorerst nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen und abzuwarten, was die vermeintlichen Mönche bezweckten.

Wie aber erging es Margarida? Ein rascher Blick nach rechts zeigte ihm, daß auch sie sich endgültig in der Gewalt dieser Männer befand. Schluchzend rief sie nach ihm, doch er konnte ihr nicht helfen. Erst als ihr einer der Kerle die Hand auf den Mund preßte, erstarb ihre Stimme.

Der Anführer zischte abermals einige knappe Befehle, und von da an ging alles ziemlich schnell. Felipe und Margarida wurden die Hände auf den Rücken gefesselt, dann brachen vier der Kapuzenmänner mit ihnen in die Richtung auf, aus der die finsteren Gestalten erschienen waren. Die übrigen Männer setzten ihren ursprünglichen Weg fort, der zu dem kleinen Fischerdorf führte.

Die Wolken verdichteten sich. Das Licht, mit dem der Mond die einsame Landschaft überschüttete, wurde immer spärlicher. Es wurde kühler. Die frische Brise, die vom Atlantik herüberwehte, roch nach Salz und Tang.

Nach einem kurzen Fußmarsch nahmen Felipe und Margarida die dunklen Umrisse eines Schiffes wahr, das nicht weit vom Strand entfernt vor Anker lag.

Piraten! schoß es Felipe durch den Kopf. Das sind Piraten, die sich als Mönche getarnt haben. Warum wohl waren sie nicht direkt in die kleine Bucht gesegelt, wenn sie das Dorf überfallen wollten?

Darauf fand der junge Fischer zunächst keine Antwort. Die Schnapphähne trieben ihre beiden Gefangenen über den Strand und stoppten ihre Schritte dicht am Wasser. Dann hantierte einer von ihnen mit Flint und Feuerstein, während ihn ein anderer mit seiner weiten Kutte gegen den Wind abschirmte. Bald brannte eine winzige Fackel, mit der er kreisende Bewegungen vollführte. Die Lichtzeichen wurden auf dem Schiff rasch beantwortet. Der Mönch warf daraufhin seine Fackel ins Wasser.

Kurze Zeit danach knirschte der Kiel eines Bootes im Sand. Es war mit einigen Gestalten besetzt, die nicht in Mönchskutten steckten. Sie gaben ihren Kumpanen am Strand durch Winkzeichen zu verstehen, daß sie an Bord kommen sollten.

„Was ist los?“ fragte ein bulliger Mann, nachdem man die Gefangenen ins Boot gebracht hatte. „Wo habt ihr denn die aufgegabelt?“

Der Kerl, der die Fackel entzündet hatte, winkte ab.

„Ein Liebespärchen, das wir beim Stelldichein am Strand überrascht haben“, erwiderte er. „Ist die Kleine nicht ein süßes Täubchen?“

Der Bullige, der auf der achteren Ducht hockte, nickte und warf der zitternden Margarida einen abschätzenden Blick zu.

„Sieht ganz danach aus“, meinte er. „Hoffentlich stellt sich bei Tageslicht nicht heraus, daß sie einen Buckel und Warzen hat.“

Die Kerle zeigten ein höhnisches Grinsen.

Niemand redete mehr, während das Boot zum Schiff zurückgepullt wurde. Es war mühsam, das Rauschen der Brandung mit der Stimme zu übertönen.

Felipes Gedanken wirbelten durcheinander. Er suchte immer noch fieberhaft nach einem Ausweg, der es ihm ermöglichte, mit Margarida zu fliehen. Doch das war reines Wunschdenken. Niemand konnte gefesselt und unter strenger Bewachung über Bord springen und davonschwimmen. Das wurde ihm um so klarer, je näher und bedrohlicher die Silhouette des Schiffes auf ihn zurückte.

Es handelte sich um eine Karavelle, die genauso schwarz war wie die Mönchskutten der Kerle.

Felipe und Margarida wurden an Bord gebracht und ohne Umschweife in die Vorpiek, den untersten und dunkelsten Raum des Schiffes, gesperrt. Quietschende Eisenriegel stellten klar, daß es aus diesem Gefängnis, in dem es nach Feuchtigkeit und Moder roch, kein Entrinnen gab.

Beim Betreten des Schiffes war Felipe aufgefallen, daß die Stückpforten geöffnet und auf jeder Seite vier Kanonen ausgerannt waren. Die Karavelle befand sich demnach im Zustand der Gefechtsbereitschaft. Zudem schienen es die Kapuzenmänner eilig zu haben. Kaum waren die Kerle mit ihren beiden Gefangenen an Bord, da wurde auch schon der Anker gehievt, und man setzte die Segel.

Das Schiff nahm bald Fahrt auf, das entging Felipe auch in der Vorpiek nicht. Und da der junge Fischer zwei und zwei zusammenzählen konnte, wurde ihm rasch klar, daß das nächtliche Treiben nur seinem Heimatdorf gelten konnte.

Die Kapuzenmänner gingen nach einer ganz bestimmten Taktik vor. Während sich ein Teil von ihnen auf dem Landweg an die kleine Fischersiedlung pirschte, würde die Karavelle in die Bucht segeln und das Feuer eröffnen.

Die Bewohner mußten sich in ihrem schwachen Widerstand logischerweise auf das fremde Schiff konzentrieren, und genau zu diesem Zeitpunkt würden ihnen die unheimlichen Mönche völlig überraschend von der Landseite her in den Rücken fallen.

 

Felipe wurde siedendheiß bei diesem Gedanken. Es gab niemanden, der die armen Fischer von Santa Maria warnen konnte. Sie waren dem heimtückischen Angriff dieser teuflischen Kerle wehrlos ausgeliefert. Reflexartig zerrte der junge Mann an seinen Fesseln, doch dann wurde ihm abermals die Aussichtslosigkeit seiner Lage bewußt.

Zunächst brauchte ihn Margarida. Sie hatte sich sofort, nachdem der Riegel vorgeschoben worden war, schutzsuchend an ihn gedrängt. Sie konnten sich in der Dunkelheit nicht sehen und wegen der Fesseln, die ihre Handgelenke umspannten, auch nicht ertasten. Dennoch vermittelte ihnen die körperliche Nähe zumindest ein bißchen das Gefühl der Geborgenheit.

„Was haben diese Männer mit uns vor, Felipe?“ fragte Margarida. Die erste Panik war verflogen, ihre Stimme klang zwar noch ängstlich, aber gefaßt.

Der junge Mann zuckte in der Dunkelheit mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht, Margarida“, sagte er dann offen. „Wir beide haben für den Augenblick wohl nichts zu befürchten, aber ich sorge mich um unser Dorf …“

„Um das Dorf?“ unterbrach sie ihn entsetzt. „Bei Gott – das darf nicht wahr sein! Hoffentlich täuschst du dich.“ In der Aufregung hatte sie völlig vergessen, daß die düstere Schar der Kuttenträger ihren lautlosen Marsch zur Bucht fortgesetzt hatte.

Das Gesicht des Mannes verzog sich in der Dunkelheit zu einem bitteren Lächeln, als er seine linke Wange an Margaridas Haar schmiegte. Er wußte, daß er sich nicht täuschte, aber er wollte das Mädchen nicht weiter beunruhigen, deshalb schwieg er.

Die Zeit verrann, Felipe verlor in der muffigen Finsternis der Vorpiek jegliches Gefühl dafür. Er wußte nicht, ob eine oder zwei Stunden vergangen waren, als plötzlich Stimmen laut wurden und die Kanonen der Karavelle zu wummern begannen.

Das Gebälk ächzte bedrohlich, und das Schiff wurde bis in die letzten Verbände erschüttert. Das Rumpeln der Geschütze, die auf den Holzlafetten zurückrollten, war in ihrem feuchten Gefängnis deutlich wahrzunehmen.

Felipe krampfte sich das Herz zusammen. Der heimtückische Überfall auf Santa Maria, sein Heimatdorf, hatte begonnen – davon war er fest überzeugt.

Margarida begann zu schluchzen. Sie dachte an ihren Vater, ihre Mutter und an ihre Brüder. Sie alle lebten in Santa Maria. Was sollte aus ihnen werden?

„Gott im Himmel – hilf ihnen in dieser schweren Stunde“, murmelte sie.

4.

Die Nebelschwaden, die Old Donegal als „Leichentücher“ bezeichnet hatte, hingen immer noch dicht über der Wasserfläche. Der Wind aus Südost war schwächer geworden, dennoch hielt die Schebecke ihren Kurs. Philip Hasard Killigrew und seine Mannen dachten nicht daran, die Luvposition aufzugeben, die für ein Gefecht immer von Vorteil war.

Und gerade damit mußten die Seewölfe rechnen, seit sie trotz des Nebels eine dickbauchige Galeone gesichtet hatten. Wie es schien, handelte es sich um ein spanisches Kriegsschiff.

Die Galeone segelte schon eine Weile auf Parallelkurs, ohne daß besondere Absichten zu erkennen waren. Kaum war sie hinter einer Nebelwand verschwunden, tauchte sie wieder auf, als hätte sie die Schebecke gar nicht zur Kenntnis genommen.

Edwin Carberry verfolgte das Spiel mit völligem Unverständnis und ballte unternehmungslustig die Hände.

„Wollen wir unter spanischem Geleit nach England segeln?“ fragte er.

„Das könnte diese plumpe Seekuh gar nicht durchhalten“, meinte Old Donegal. „Wenn wir noch ein bißchen in die Segel pusten, laufen wir ihr glatt davon.“

Die Arwenacks waren durchaus nicht scharf darauf, sich schon wieder mit den Spaniern anzulegen. Aber wenn es erforderlich werden sollte, würden sie den Dons abermals zeigen, was die wendige Schebecke hergab.

Das Schiff war klar zum Gefecht.

Das narbige Gesicht Carberrys war voller Grimm.

„Wenn die Dons nur einen einzigen kleinen Mucks von sich geben“, sagte er, „werden wir ihren Kahn in einen Trümmerhaufen verwandeln.“

Der Seewolf ließ die fremde Galeone nicht aus den Augen. So entgingen ihm auch nicht die leichten Kursänderungen, die das Schiff plötzlich vorgenommen hatte, als es wieder hinter dichten Nebelschwaden auftauchte. Es war unverkennbar nach Backbord abgefallen und schien den Kurs der Schebecke kreuzen zu wollen.

Hasard lächelte über dieses Vorhaben der Spanier.

„Dazu sind sie nicht schnell genug“, sagte er zu Ben Brighton, der neben ihm stand. „Wir werden ihnen davonsegeln, und wenn der Nebel noch länger anhält, können wir sie vielleicht ganz abschütteln. Sollten sie aber dreist werden, verpassen wir ihnen noch ein kleines Abschiedsgeschenk.“

Der ruhige und stets bedächtige Ben Brighton nickte zustimmend.

„Wir sollten sie so rasch wie möglich loswerden“, sagte er, „denn wir müssen damit rechnen, daß sie Verstärkung erhalten. Wenn das der Fall ist, haben wir gleich wieder eine ganze Meute am Hals.“

Die Arwenacks behielten stur ihren Kurs bei, um die Fahrt nicht zu verlangsamen. Der Seewolf wechselte einige kurze Worte mit Al Conroy und gab dann Pete Ballie, dem Rudergänger, die letzten Anweisungen. Die Mannen an den Geschützen bliesen in die Glut der Holzkohlenbecken, um die Ergiebigkeit ihrer Feuerquellen zu bewahren.

Hasard hob immer wieder das Spektiv ans Auge und blickte zu der Galeone hinüber.

„Es handelt sich unverkennbar um eine Kriegsgaleone“, sagte er, „da bin ich mir völlig sicher. Die Kanonen sind ausgerannt, es kann nicht schaden, wenn wir ihnen zuvorkommen.“

„Von mir aus kann das Tänzchen beginnen, Sir“, ließ sich Carberry vernehmen. „Ein Strauß Feuerblumen ist für diese Rübenschweine immer ein angemessenes Geschenk.“

Auch Old Donegal wurde kribbelig.

„Ed hat völlig recht“, erklärte er. „In meiner Drehbasse blühen lauter Vergißmeinicht, und er hat die dazugehörigen Sumpfdotterblumen im Rohr.“

Die Schebecke lief voller Fahrt, in Kürze würde sie an der schwerfälligen Galeone vorbeisegeln.

Das schienen die Spanier um jeden Preis verhindern zu wollen. Kaum waren sie auf Schußweite heran, und die Nebelfetzen gewährten wieder etwas Sicht – da stachen an der Backbordseite der Kriegsgaleone grelle Feuerzungen in die Nacht. Ein dumpfes Brüllen folgte, dann war nur noch das Aufschäumen von Wasserfontänen zu hören, und zwar noch ein ganzes Stück vor dem Bug der Schebecke.

„Sie waren etwas zu voreilig“, sagte Hasard. „Wahrscheinlich ist ihnen bewußt geworden, daß wir in der Lage sind, ihnen einfach davonzusegeln, und das wollten sie verhindern.“

„So ist es“, bestätigte Ben Brighton. „Aber mit dieser Art Hektik können sie keinen Kampf gewinnen.“

Der Seewolf warf einen letzten Blick durch das Spektiv.

„Und jetzt, Gentlemen, sind wir an der Reihe.“ Er wandte sich an den Stückmeister. „Al – Steuerbordgeschütz Feuer frei!“

Die brennenden Lunten senkten sich auf die Zündkanäle der Culverinen, und Sekunden später entluden sich die schweren Geschütze mit ungeheurem Donner. Sechs riesige Feuerblumen blühten an den Mündungen auf und stießen der spanischen Galeone die siebzehn Pfund schweren Eisenkugeln mit höllischer Wucht entgegen.

Die Schebecke bäumte sich wie von einer unsichtbaren Faust geschüttelt auf, dann fingen die Brooktaue die zurückgleitenden Kanonen auf.

Bei den Dons war im Handumdrehen der Teufel los. Das Splittern und Bersten von Holz war deutlich zu hören, und ebenso das nachfolgende Gebrüll.

Der Seewolf riß den Kieker ans Auge.

„Etwas Genaues ist nicht zu erkennen“, sagte er. „Aber der Wuhling nach haben wir ihnen einige prächtige Schrammen verpaßt.“

Sein nächster Befehl galt den Männern an den Drehbassen.

„Und jetzt die Vergißmeinicht und Sumpfdotterblumen!“ rief er.

Smoky, Jack Finnegan, Carberry und Old O’Flynn reagierten sofort.

Noch bevor sich weitere Nebelschwaden vor die Kriegsgaleone schoben, begannen die schwenkbaren Geschütze vorn und achtern zu dröhnen. Und mitten in das Wummern hinein ertönte der Kampfruf der Seewölfe.

Mehr war nicht nötig.

Die leichte und wendige Schebecke war jetzt platt vor dem Wind an der Galeone vorbeigesegelt, und wie es schien, hatten die Dons zur Zeit anderes zu tun, als an die Verfolgung fremder Schiffe zu denken.

„Sie suchen jetzt nach den passenden Vasen für unsere Blumensträuße“, spottete Al Conroy.

Kurze Zeit später verschwand die Schebecke hinter dem grauen Dunst der „Leichentücher“. Die Gefahr war gebannt, von seiten der Kriegsgaleone hatten die Arwenacks nichts mehr zu befürchten. Dennoch vergaßen sie keinen Augenblick, daß der Golf von Cádiz „ein heißes Pflaster“ für sie war.

Der Nebel begann sich bei Tagesanbruch aufzulösen. Die aufsteigende Sonne zerriß auch noch den letzten Rest des grauen Dunstes. Der Wind hatte gedreht und wehte aus südlicher Richtung.

Die Schebecke behielt ihren Kurs bei und segelte über Steuerbordbug liegend am Cabo de São Vicente, der weit in den Atlantik hineinragenden Südspitze Portugals, vorbei.

Die kabbelige Wasserfläche bot in der Morgensonne einen friedlichen Anblick. Philip und Hasard junior, die Zwillingssöhne des Seewolfs, waren in den Ausguck aufgeentert und behielten die Umgebung im Auge. Aber es gab nichts zu melden, weit und breit war kein fremdes Schiff zu sehen.

Die Arwenacks hatten nichts gegen einen ruhigen Morgen einzuwenden, zumal die Kojen während der vergangenen Nacht ohnehin meist leer geblieben waren.

Während der Kutscher und Mac Pellew noch in der Kombüse arbeiteten, um das Frühstück zuzubereiten, schlich sich Paddy Rogers nach achtern. Er fand den Seewolf bei Gary Andrews, der Pete Ballie als Rudergänger abgelöst hatte.

„Was ist, Paddy?“ fragte Hasard.

Der bullige Kerl starrte verlegen auf die Planken.

„Es – es ist jetzt hell genug, Sir“, sagte er. „Wenn ich vielleicht mal einen Blick in den Spiegel werfen könnte …“

„Dem steht nichts im Wege, Paddy“, erwiderte Hasard und bemühte sich, ein Lachen zu unterdrücken. „Das Glas liegt bei den Seekarten. Aber wenn du mich fragst – jetzt, bei Tageslicht, ist von Schlitzaugen nichts zu sehen. Der gute Ed hat bestimmt gewaltig übertrieben.“

Wenig später hielt Paddy den kleinen Spiegel in der Hand und starrte mit zusammengekniffenen Augen hinein.

„Ich – ich weiß nicht“, stotterte er, „wie ein Chinese sehe ich zwar nicht aus, aber meine Klüsen sind doch ganz schön langgezogen.“

Jetzt lachte Hasard.

„Kein Wunder, wenn du sie so zusammenkneifst, als würdest du in die Sonne sehen. Du mußt deine Gesichtszüge entspannen und ganz locker in den Spiegel schauen.“

Paddy gab sich große Mühe, schnitt zur Lockerung einige Grimassen, rümpfte die prächtige Knollennase und machte dann erneut die Probe aufs Exempel.

„Tatsächlich!“ rief er verblüfft. „Die Schlitzaugen sind verschwunden. Richtig schöne, runde Klüsen habe ich jetzt. Du hattest recht, Sir, man darf die Dinger nicht so eng zusammenkneifen.“ Paddy fühlte sich von drückenden Lasten befreit, als er Hasard den Spiegel zurückgab. „Und wenn Mister Carberry jetzt noch mal behauptet, ich hätte Schlitzaugen, dann flechte ich ihm einen Chinesenzopf.“

Als Paddy zum Vorschiff zurückkehrte, fühlte er sich wie neugeboren. Er rollte kräftig die Augen und versuchte immer wieder, durch Mund- und Nasenbewegungen die Gesichtszüge zu entspannen.

Das allein war Grund genug für den Profos, der auf einer Taurolle hockte und Sir John, dem Bordpapagei, den Kopf kraulte, seinerseits die Klüsen zusammenzukneifen.

„Was hast du denn für einen Blick drauf, he?“ fragte er Paddy.

„Auf jeden Fall keinen chinesischen“, erwiderte Paddy spitz. „Schau doch mal meine Klüsen an, Mister Carberry. Was du das siehst, sind prächtige runde Kulleraugen – so rund wie Kanonenkugeln. Und wenn du jetzt mal einen Blick in den Spiegel werfen würdest, könntest du leicht feststellen, wer von uns beiden Schlitzaugen hat.“

Paddy hob den Kopf und setzte seinen Weg fort. Dabei schien es ihn ungeheuer zu beflügeln, daß er sich bei den Gelbmännern im fernen Osten weder mit Schlitzaugen noch mit irgendwelchen Zöpfen angesteckt hatte.

Der Profos knurrte etwas von „Rundklüsen“ und „wilden Gesichtszuckungen“ und wandte sich erneut Sir John zu, der abwartend auf seinem rechten Knie saß.

 

„Soweit kommt’s noch“, sagte er zu dem karmesinroten Aracanga, „daß wir wie die feinen Ladys in den Spiegel schauen. Wir beide wissen auch so, daß wir schön sind, was, wie?“

Der Papagei hielt den Kopf schräg und äugte zu Carberry hoch.

„Pfeifen und Lunten aus!“ tönte es aus seinem imposanten Krummschnabel. „Hopp, hopp, du Affenarsch!“

Der Profos drohte dem Vogel mit erhobenem Zeigefinger.

„Was sind das für lockere Reden, Sir John? Mußt du alte Sumpfeule denn alles nachplappern?“

„Lur an, Gevatter!“ Sir John schlug mit den Flügeln und hielt dem Profos abermals den Kopf zum Kraulen hin.

Wenige Augenblicke später war die Stimme des Kutschers zu vernehmen: „Auf geht’s zum Backen und Banken!“

Der blonde, hagere Mann, der ein ebenso guter Koch wie Feldscher war, blinzelte in den Himmel. Die Sonne war bereits voll hinter der Kimm aufgetaucht, es schien trotz der nebligen Nacht ein schöner Tag bevorzustehen. Die Zeit war gerade richtig für das Frühstück.

„Was habt ihr denn in den Pfannen?“ wollte Stenmark, der blonde Schwede, wissen.

„Nur, was zufällig reingefallen ist“, erwiderte der Kutscher. „In der Vorratslast herrscht nämlich gähnende Leere. Wenn ihr nicht wißt, was ihr treiben sollt, könntet ihr ja mal ein paar Fische fangen.“

„Sind wir vielleicht Heringsjäger?“ schaltete sich Carberry ein. Er hob schnuppernd die Nase und fuhr sich mit der Zungenspitze genießerisch über die Lippen. „Hm – nicht schlecht, der Duft aus deiner Kombüse. Sag schon, was du da zusammengebraut hast, du alte Steckrübe.“

Der Kutscher grinste. „Für jeden eine gebratene Ente. Und für dich, mein lieber Ed, einen ganzen Pfingstochsen.“

Der Koch drehte sich um und kehrte in die Kombüse zurück.

Bald darauf wurden die Kummen der Arwenacks mit den bebebten Speckpfannkuchen gefüllt. Die Männer hieben rein, als handele es sich um die letzte Mahlzeit vor dem Eintreffen in England.

Auch Paddy hatte wieder einen prächtigen Appetit, aber trotz all der Speckpfannkuchen vergaß er nicht, was der Kapitän ihm gesagt hatte. Als ihm die Sonne ins Gesicht schien, vermied er es tunlichst, die Augen zusammenzukneifen. Lieber drehte er sich um und legte die Stirn in Falten, damit die Klüsen ja schön groß und rund blieben.

Soweit herrschte durchaus der Alltagszustand an Bord der Schebecke. Die nächsten Schwierigkeiten ließen jedoch nicht lange auf sich warten.

Diesmal war es der Kutscher, der sich an Hasard wandte. Nicht etwa, um in den Spiegel zu schauen – o nein, er hatte andere Sorgen.

„Gut, daß alle Bäuche gefüllt sind, Sir“, sagte er zum Kapitän. „Von jetzt an müssen wir kürzer treten, denn die Vorratslast gibt in der Tat nicht mehr viel her.“

Der Seewolf hatte mit einer solchen Meldung gerechnet, sie hatten in letzter Zeit durch die ständigen Querelen mit den Spaniern wenig Gelegenheit gehabt, sich ausreichend mit Proviant einzudecken.

„Wie lange reichen die Vorräte noch?“ fragte er.

Der Kutscher wiegte abschätzend den Kopf. „Höchstens noch bis morgen abend“, erwiderte er. „Nach England gelangen wir nicht damit, zumal wir außer Proviant auch dringend Frischwasser brauchen.“

Der Seewolf nickte. „Dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, als den Hafen von Lissabon anzulaufen. Das ist zwar nicht ungefährlich, weil die Dons den Portugiesen ebenfalls auf der Nase herumtanzen, aber bei der Betriebsamkeit, die dort herrscht, werden wir wohl nicht allzusehr auffallen.“

Die Männer waren mit diesem Vorschlag einverstanden. Schließlich waren sie längst gewohnt, mit schwierigen Situationen fertig zu werden. Die Proviantbeschaffung in einem Hafen, der von den Spaniern kontrolliert wurde, gehörte da noch zu den „kleineren Fischen“.

„Wir sollten aber nicht nur an Frischwasser denken, wenn wir in Lissabon sind“, erklärte Carberry, „sondern auch den ausgezeichneten portugiesischen Wein nicht vergessen.“

Hasard lächelte. „Wie ich dich kenne, Ed, wirst du schon dafür sorgen, daß ihn niemand vergißt.“

„Aye, Sir, ich werde mich bemühen. Der alte Carberry ist ja berühmt für sein ausgezeichnetes Gedächtnis.“

Die Arwenacks lachten schallend. Gleich darauf gab’s Arbeit für sie. Das Cabo de São Vicente lag hinter ihnen, und die Schebecke mußte auf Nordkurs gebracht werden, wenn sie Lissabon anlaufen sollte. Alle packten kräftig mit zu. Der wendige Segler fiel bald darauf hart nach Steuerbord ab und reckte die Nase nach Norden.