Seewölfe Paket 30

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6.

In der langgezogenen Mündung des Rio Tejo beherrschten zahlreiche Kleinsegler und Fischerboote das Bild. Von der Schebecke der Seewölfe nahm kaum jemand Notiz. Man war hier an fremde Schiffe gewöhnt, zumal an solche, die die spanische Flagge führten.

Der schlanke Dreimaster segelte über Backbordbug liegend auf den Hafen von Lissabon zu. Eine Schar hungriger Möwen flatterte mit lautem Geschrei über die Masttoppen und stürzte sich auf die Küchenabfälle, die der Kutscher über Bord gegeben hatte.

„Den armen Vögelchen ist wohl auch der Proviant ausgegangen“, meinte Carberry. „Hört’s euch nur gut an. So jämmerlich schreit man, wenn man richtigen Kohldampf hat.“

Der Profos hatte eine mitleidige Miene aufgesetzt, während er mit der rechten Hand liebevoll seinen Magen tätschelte.

Der Kutscher, der die leere Abfallpütz in der Hand hielt, lächelte verhalten.

„Man schreit nicht nur jämmerlich, wenn man vom Hunger geplagt wird“, sagte er, „sondern man wird auch ganz bescheiden. Schau dir die lieben Vögelchen nur an, Ed – unsere Abfälle scheinen ein wahres Festmahl für sie zu sein.“

„Pfui Teufel“, entfuhr es dem Profos. „So was könnte mir nicht mal der schlimmste Hunger reintreiben. Kein gesitteter Christenmensch würde deine Kombüsenabfälle anrühren. Nicht mal mit dem kleinen Finger.“

Der Kutscher winkte ab.

„Wenn man wirklich Hunger hat, kann man fast alles essen“, erklärte er. „Und was der eine verabscheut, ist für den anderen vielleicht eine Delikatesse. Oder könntest du dir vorstellen, einen schönen fetten Hirschkäfer zu verspeisen?“

Carberrys Gesicht wirkte angewidert.

„So ein Schweinkram!“ stieß er hervor. „Da wird man ja grün im Gesicht, wenn man nur daran denkt.“

„Na bitte“, fuhr der Kutscher fort. „Du wirst grün im Gesicht, und den alten Römern lief schon beim Gedanken an das köstliche Mahl das Wasser im Munde zusammen. Die haben die niedlichen Käfer nämlich mit Weizenmehl gemästet, sie dann geröstet und als Delikatesse verkauft. Doch vielleicht hätte das wilde Reitervolk der Hunnen etwas für deinen Geschmack zu bieten. Diese verwegenen Burschen ritten rohes Fleisch unter ihren Pferdesätteln mürbe und verspeisten es dann mit Kräutern und Gewürzen.“

Der Profos rollte mit den Augen und preßte beide Pranken gegen den Magen. „Hör sofort auf, du Zwiebelhacker! Ich nehme alles, was ich gegen deine Kombüsenabfälle gesagt habe, zurück. Und bevor du eine Suppe davon kochst, schauen wir uns doch lieber ein bißchen auf den Märkten von Lissabon um.“

Die Arwenacks grinsten und bemühten sich, den Speisezettel der Römer und Hunnen schnell wieder zu vergessen. Noch hatte der Vorrat des Kutschers ausgereicht, um alle Mann satt zu kriegen. Und was die Portugiesen für die Kombüse zu bieten hatten, würde man ja bald sehen.

Hasards Blicke waren auf das Dächergewirr gerichtet, das Backbord voraus auftauchte.

„Lissabon ist eine schone Stadt“, sagte er. „Sie baut sich von der Uferfront her fast wie ein Amphitheater auf.“

„Du hast recht“, pflichtete ihm Big Old Shane bei, der sich mit nachdenklichem Gesicht durch den grauen Bart strich. „Die Stadt wirkt majestätisch und ist ein bedeutender Handelsplatz. Man kann sich nicht so recht erklären, warum sich die Portugiesen jetzt schon achtzehn Jahre lang vom spanischen König herumkommandieren lassen, ohne dem Burschen mal auf die Finger zu klopfen.“

Hasard zuckte mit den Schultern. „Das ist Politik, Shane, und da ist manches schwer zu verstehen. Manchmal gleichen ganze Länder und Völker den Figuren auf einem Spielbrett. Die Mächtigen schieben sie nach Belieben hin und her, je nachdem, was sie sich davon versprechen.“

Der Seewolf spielte damit auf Ereignisse im Jahre 1580 an. Der Kardinal-König Henrique, ein Sohn Manuels I., war gestorben, und mit ihm die Dynastie Aviz. Portugal fiel damit an den spanischen König Philipp II., der ein Enkel Manuels I. war. Auf diese Weise sorgte die Erbfolge wieder einmal dafür, daß alles „in der Familie“ blieb.

„Im übrigen sollten wir den Einfluß der Dons nicht vergessen, wenn wir in Lissabon an Land gehen“, fügte Hasard hinzu. „Es kann nicht schaden, wenn wir ab jetzt wieder in unsere vielgeübte Rolle schlüpfen und uns als Spanier ausgeben. Außer dem Kutscher sollten die ausgesprochenen Blondschöpfe unter uns besser an Bord bleiben.“

Der Seewolf dachte dabei in erster Linie an Bob Grey, Roger Brighton, Stenmark, Piet Straaten, Jan Ranse sowie Nils Larsen und Dan O’Flynn. Die anderen Arwenacks würden im Gewimmel einer großen Hafenstadt nicht sonderlich auffallen, zumal auch die spanische Sprache, die von vielen Portugiesen verstanden wurde, kein Problem für sie war.

Hasard ließ einen Teil der Segel bergen, das Schiff verlangsamte seine Fahrt. Besonderes Aufsehen erregte es nicht, da außer den Franzosen und Spaniern auch die Portugiesen Schebecken als Handelsschiffe benutzten.

Im Hafen von Lissabon herrschte ein buntes Leben und Treiben. Viele Masten ragten in den tiefblauen Himmel – Galeonen, Karavellen, Schaluppen, Karacken und Schebecken lagen vor Anker. In ihrem Schatten dümpelten kleinere Wasserfahrzeuge, bis hin zu kleinsten Nußschalen.

Von Pete Ballie, der vor einigen Stunden erneut seinen Platz am Ruder eingenommen hatte, erforderte es einiges Geschick, den Segler an einen freien Liegeplatz zu manövrieren.

Auf vielen Piers und Stegen herrschte reger Betrieb. Waren wurden an Bord gehievt, die Landungen fremder Handelsschiffe mußten gelöscht werden. Dazwischen lungerten – wie in allen Häfen der Welt – Faulenzer, Neugierige und Abstauber herum, die insbesondere einlaufende Schiffe genau taxierten. Nicht weit von ihnen entfernt brüllten Straßenhändler ihre Angebote durch die Gegend, Diebe, Räuber und Schlitzohren waren eifrig dabei. Beutegut zu verhökern.

Carberry schnalzte genüßlich mit der Zunge.

„Wo so viel Betrieb herrscht, kann die Luft nicht allzu trocken sein“, sagte er mit Kennermiene. Dann überdachte er die Augen mit der Hand und blickte aufmerksam zu den Kais hinüber.

Hasard lächelte.

„Bist du schon dabei, die Luftfeuchtigkeit zu überprüfen, Ed?“

„Klar, Sir. Einer von uns muß doch dafür sorgen, daß das Wichtigste nicht vergessen wird, sonst haben wir später womöglich nur lauwarmes portugiesisches Wasser an Bord. Kein Wunder, wenn man dann ständig an Bauchgrimmen leidet.“

„Du hast es erfaßt, Ed. Ich wette, daß die ersten Kneipen nicht weit von den Kaimauern entfernt sind. Wie ich dich kenne, wirst du bestimmt die Preise und vor allem die Qualität der portugiesischen Weine gründlich prüfen, nicht wahr?“

Der Profos zog ein Gesicht, als sei ihm Unangenehmes auf getragen worden. „Einer muß es ja tun, Sir. Und bevor es Streit darum gibt, stelle ich mich freiwillig zur Verfügung. Auch Wein will geprüft werden, bevor man einige Fässer davon kauft, sonst erwischt man am Ende noch irgend so ein süßes Gesöff, das einem beim Trinken die Stiefel auszieht. Deshalb sage ich immer: Herb muß er sein. Herb und spritzig, wie zum Beispiel der Vinho verde aus Nordportugal. Doch trotz der vielen Arbeit, die mir der Wein bereitet, darf ich den Rum nicht vergessen. Gerade ein solches Getränk muß ausgiebig auf sein Aroma hin untersucht werden …“

„Jetzt aber genug“, fiel ihm der Kutscher ins Wort. „Man meint ja, wir wären nach Lissabon gesegelt, um ein Saufgelage zu veranstalten. Was wir dringend brauchen, ist Proviant. Ich betone dieses Wort noch einmal speziell für dich, mein lieber Ed: Pro-vi-ant!“ Und mit einem süffisanten Grinsen fügte er hinzu: „Wenn wir den nämlich vergessen, muß ich doch noch einige Hirschkäfer für dich mästen.“

Die Schebecke legte an einem langgezogenen Steg an und wurde an den Pollern vertäut. Dann erst sichtete der Seewolf das Boot des Hafenkapitäns. In seiner Person nahte sich die erste Bewährungsprobe für die Arwenacks.

Der kleine, kugelrunde Mann, der in einer malerischen Uniform steckte, wurde von vier Soldaten herangepullt. Sein gerötetes Gesicht und die bläulich verfärbte Nase verrieten auf Anhieb, daß er den Vinho verde regelmäßig und ausgiebig auf seine Qualität hin zu überprüfen pflegte. Um diese Tätigkeit nicht zu lange unterbrechen zu müssen, kam er ohne jegliche Umschweife zur Sache.

„Wo ist der Capitán?“ rief er in spanischer Sprache. Offensichtlich hatte er sich an der spanischen Flagge orientiert. Das Boot schor an Backbord längsseits.

Hasard beugte sich über das Schanzkleid.

„Hier bin ich, Señor.“

„Name?“

„Alfredo Garcia. Ich bin als Kaufmann unterwegs nach Barcelona und einigen anderen Städten. Der Heimathafen ist Bilbao.“

Der Hafenkapitän schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. „Was haben Sie geladen?“

„Nichts, Señor“, antwortete der Seewolf. „Ich befinde mich auf Einkaufsfahrt und möchte hier nur meine Proviantvorräte etwas ergänzen.“

Der Hafenkapitän war zufrieden und fing die Flasche Rum, die ihm Hasard zuwarf, geschickt auf.

„Ich wünsche gute Geschäfte, Señor Garcia!“ rief er noch, dann wurde sein Boot von der Bordwand der Schebecke abgestoßen.

„Das hätten wir hinter uns“, sagte Hasard. „Es hätte nicht problemloser gehen können.“

Der Profos nickte bekümmert.

„Schade um den guten Rum“, sagte er verdrossen, dann brummelte er noch etwas von „trunksüchtigen Rübenschweinen“ und „abgetakelten iberischen Saufeulen“ vor sich hin.

Die kräftige Stimme des Mönches übertönte immer wieder das laute Geschrei der anderen Händler.

„Vergeßt nicht, Brüder im Herrn“, rief Rodrigo, der „Sensenmann“, „daß für einen Christenmenschen nicht nur das Seelenheil wichtig ist, sondern auch die körperliche Gesundheit! Aus diesem Grunde hat der Herr Jesus, als er auf Erden wandelte, Blinde sehend und Lahme gehend gemacht. Ja, er hat sogar manch einen vom Aussatz befreit. Glaubt mir – es sind viele üble Krankheiten und Gebrechen, die auf dem Weg, der durch dieses irdische Jammertal führt, wie Räuber auf uns lauern, um uns zu überfallen und zu töten …“

 

Old Donegal lauschte gebannt den Worten des spindeldürren Mannes in der schwarzen Kutte.

„Recht hat er“, sagte er zu Paddy Rogers und Bill, der einst als Schiffsjunge zu den Seewölfen gestoßen war. „Es gibt eine Menge heimtückischer Krankheiten. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen von der Pestilenz dahingerafft oder vom Zipperlein gar arg geplagt werden, kann man dem Mönch nur beipflichten.“

Der alte O’Flynn hatte sich mit verschränkten Armen auf die Krücke gestützt, die ihm beim Gehen mit dem Holzbein gute Dienste erwies. Seit der fromme Mann am Reden war, hatte er alles, was um ihn herum auf dem Marktplatz geschah, vergessen – selbst den Kutscher, der höchstens zwanzig Schritte von ihm entfernt mit einem Händler heftig um die Gemüsepreise feilschte.

„Dabei ist es so einfach, etwas für seine Gesundheit zu tun“, fuhr der Mönch mit lauter und beschwörender Stimme fort. Er hielt dabei eine Flasche hoch. „Wenn ihr morgens und abends einen einzigen Schluck von diesem Lebenselixier trinkt, werdet ihr strotzen vor Gesundheit und Wohlbefinden. Und was immer für ein Leiden euch plagt, es wird sich in Nichts auflösen, denn auf diesem heiligen Kräutertrank ruht der Segen des Herrn. Kommt her und greift zu! Der Preis ist niedrig!“ Er deutete auf einige Weidenkörbe, die hinter ihm standen und mit Flaschen gefüllt waren. Auf den erwünschten Zulauf brauchte er nicht lange zu warten.

Old Donegal seufzte tief und gottergeben.

„Vielleicht sollte man dieses Lebenselixier einmal versuchen“, sagte er. „Es ist bestimmt aus vielen seltenen Heilkräutern zubereitet worden, und zwar nach ganz bestimmten geheimnisvollen Rezepten.“

Während Paddy Rogers ihn unschlüssig ansah, zuckte Bill mit den Schultern.

„Ich weiß nicht“, sagte er mit skeptischem Gesicht. „Eigentlich fühle ich mich putzmunter. Ich wüßte nicht, für was ich dieses Zeug trinken sollte. Außerdem – wer garantiert mir, daß dieser Mönch die Wahrheit sagt? Schließlich gibt es viele Quacksalber und Scharlatane, die mit der Gutgläubigkeit einfacher Menschen ihre Geschäfte betreiben.“

„Pah!“ Old Donegal winkte ab. „Grüne Jungs wie du können da noch gar nicht mitreden. In deinem Alter hat man noch keine Ahnung, welch wundersame Dinge es zwischen Himmel und Erde gibt.“

Der dürre Mönch schien die Unschlüssigkeit der drei Männer zu bemerken. Er deutete jetzt mit ausgestrecktem Arm auf Old O’Flynn.

„He, Bruder in Christo!“ rief er. „Warum hast du kein Vertrauen in den Herrn? Du bist nicht mehr der Jüngste und mußt deinen kranken und schmerzenden Körper mühsam auf eine Krücke stützend weil irgendein heimtückisches Leiden dir eines deiner Beine geraubt hat. Komm her und hole dir dieses köstliche Lebenselixier. Wenn du nur eine Flasche davon eingenommen hast, wirst du wieder springen können wie ein junger Ziegenbock.“

Old Donegal lauschte hingerissen.

„Ich werde die Probe aufs Exempel machen“, murmelte er.

Bill schüttelte den Kopf. „Aber du bist doch gar nicht krank, und Schmerzen hast du auch nicht. Ich habe noch nie gesehen, daß du deinen Körper mühsam auf die Krücke stützen mußtest, und ein heimtückisches Leiden war es ja wohl auch nicht, daß dir ein Bein geraubt hat. Merkst du nicht, daß dir der Kerl nur etwas andrehen will? Der ist imstande und redet dir noch irgendwelche Krankheiten ein.“

„Wirst du wohl jetzt deine Luke halten, du Hirsch?“ Old Donegal war nicht mehr zu bremsen. „Schließlich handelt es sich um einen frommen und weisen Mann. So ein Mönch darf gar nicht lügen. Schau nur, wie die anderen Leute das Lebenselixier kaufen. Glaubst du, ich warte, bis die letzte Flasche weg ist?“

Old Donegal bahnte sich einen Weg durch die Schar der Käufer, und Paddy folgte ihm. Wenn der alte O’Flynn was von dem Gebräu hielt, dann mußte an der Sache was dran sein, so folgerte er. Schließlich konnte Old Donegal sogar hinter die Kimm blicken.

Vor dem Kuttenmann verhielten die beiden.

„Glaubst du wirklich, ich – äh – ich könnte springen wie ein junger Ziegenbock, wenn ich das Zeug trinke?“ fragte Old Donegal.

Rodrigo, der Sensenmann, legte die rechte Hand aufs Herz. „Ich glaube es nicht, mein lieber Bruder – ich weiß es. Vertraue auf mich, und du wirst ein Wunder erleben. Selbst die tiefen Furchen, die die Krankheit in dein Gesicht gezeichnet hat, werden verschwinden.“

Für einen Augenblick war Old Donegal irritiert.

„Ich bin aber nicht krank“, sagte er. „Und meine Falten, die stammen vorn rauhen Wetter auf See.“

Der Mönch hob den Zeigefinger. „Täusche dich nicht selber, mein Sohn. Unternehme einen Versuch mit diesem heilsamen Kräutertrank. Sobald die Flasche geleert ist, wirst du dem Allmächtigen auf den Knien danken, ja, du wirst herbeieilen, um weitere Flaschen zu kaufen.“

Jetzt war Old Donegal völlig überzeugt. „Was kostet eine Flasche?“

„Für dich nur zehn Silbermünzen“, erwiderte der Mönch.

„Das ist aber ganz schön teuer“, beschwerte sich Old Donegal. Dann fingerte er jedoch die Geldstücke aus seinem prallgefüllten Gürtel und zählte sie dem Mönch in die aufgehaltene Hand. Danach konnte er das heißbegehrte Lebenselixier in Empfang nehmen.

Paddy trat einen weiteren Schritt auf den Mönch zu. Er beugte sich vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Dabei wirkte er ziemlich verlegen.

„Hilft das Lebenselixier auch zur Vorbeugung gegen Krankheiten?“ fragte er mit gedämpfter Stimme.

„Aber natürlich, mein Sohn“, entgegnete Rodrigo. „Vorbeugen ist sogar leichter als Heilen.“

Die Stimme Paddys wurde noch leiser. „Auch zur Vorbeugung gegen – äh – gegen Schlitzaugen und Chinesenzöpfe?“

Der Mönch warf ihm einen verwunderten Blick zu und zuckte dann mit den Schultern.

„Auch gegen solch seltene Erkrankungen wirst du geschützt sein.“

Paddy war zufrieden und nahm gleich darauf ebenfalls seine Flasche entgegen.

Bill grinste hinterhältig.

„Am besten, ihr nehmt das Zeug am Abend mit in die Kneipe. Während wir dort dem Wein zusprechen, könnt ihr euch dann an dieser lausigen Gemüsebrühe laben.“

Old Donegal bedachte ihn mit einem strafenden Blick. Und als der Kutscher, nachdem er sich mit dem Gemüsehändler über den Preis geeinigt hatte, ebenfalls noch eine spitze Bemerkung vom Stapel ließ, hob Old Donegal würdevoll das ergraute Haupt.

„O ihr Unwissenden und Kleingläubigen“, sagte er, „wenn ihr schon diesen Gesundbrunnen verschmäht, dann gönnt ihn wenigstens den Einsichtigen.“

„Jetzt aber nichts wie weg hier“, schlug der Kutscher vor, „sonst schlüpft Mister O’Flynn noch in eine Mönchskutte und schrubbt als Bruder Donegal von morgens bis abends die schwarzen Seelen der Uneinsichtigen.“

Der Koch und Feldscher der Arwenacks hatte mit dem Händler vereinbart, daß die Berge von frischem Obst und Gemüse, die er bestellt hatte, mit einem Karren zum Liegeplatz der Schebecke gebracht werden sollten. Schließlich gab es noch eine ganze Menge anderer Lebensmittel einzukaufen.

Suchend blickte er sich nach Blacky, Sam Roskill und den Zwillingen um, die sich noch irgendwo in der Nähe zwischen den unzähligen Karren und Ständen der Händler aufhielten.

Es gab alle Hände voll zu tun für die Arwenacks. Deshalb fiel ihnen auch nicht auf, daß der spindeldürre Mönch rasch damit aufhörte, das wundersame Lebenselixier anzupreisen und statt dessen einem seiner „Brüder im Herrn“ den Auftrag gab, jeden Schritt, den die Fremden taten, sorgsam zu überwachen.

7.

Der Sensenmann betrat das Deck der „São Pedro“, die in einem abgelegenen Teil des Hafens gemächlich an der Ankertrosse schwoite. Hier herrschte weniger Betriebsamkeit, und kaum jemand nahm von der Zweimastkaravelle und ihrer Crew Notiz.

Die Schnapphähne waren schon vor Tagesanbruch von ihrem zwielichtigen Kloster aus nach Lissabon gesegelt, um Einkäufe zu erledigen und ihren einträglichen Nebengeschäften nachzugehen.

„Ich muß dringend Antonio sprechen“, sagte der dürre Rodrigo zu Miguel Fernandez. „Ist er an Bord?“

Der kleine, stämmige Mann deutete mit dem Daumen nach achtern.

„Er sitzt in seiner Kammer und säuft“, lautete die lapidare Antwort.

„Da weiß ich Besseres für ihn zu tun“, sagte der Sensenmann und verschwand gleich darauf mit wehender Kutte in den Aufbauten des Achterdecks.

Antonio Gonzales hockte in der Tat vor einem Tonkrug, der mit Rotwein gefüllt war. Daneben lag eine zusammengerollte Seekarte auf der rissigen Platte des schweren Eichentisches. Eine blakende Tranlampe warf bizarre Schatten gegen die Wände der Kapitänskammer, die mehr einer schmuddeligen Räuberhöhle glich.

„Du bist schon zurück, Rodrigo?“ fragte er verwundert. „Habt ihr das ganze Zeug schon verkauft, oder gibt es irgendwelche Neuigkeiten?“

Der Sensenmann lächelte vielsagend.

„Wie man’s nimmt“, erwiderte er. „Die Geschäfte laufen bestens. Außerdem habe ich auf dem Marktplatz etwas beobachtet, das sich vielleicht recht gut für uns auszahlen könnte.“

Antonio Gonzales begriff. „Nimm dir einen Becher aus dem Schapp und setz dich zu mir, Rodrigo.“

Der Sensenmann gehorchte nur zu gern und goß sich den Rotwein, den Gonzales ihm einschenkte, gierig in die Kehle.

„Und jetzt schieß los“, sagte Gonzales. „Was hast du beobachtet?“ Sein Blick wurde lauernd wie der einer hungrigen Raubkatze.

Rodrigo räusperte sich.

„Die Sache ist so“, begann er. „Mir sind auf dem Marktplatz acht Kerle aufgefallen, die damit beschäftigt waren, größere Mengen Lebensmittel einzukaufen. Daraus schloß ich, daß sie zu einer Schiffsbesatzung gehörten, die ihren Proviant ergänzte …“

„Weiter!“ unterbrach Antonio Gonzales ungeduldig. „Das ist nichts Besonderes.“

„Nur langsam, Antonio, ich bin noch nicht am Ende.“ Der Sensenmann redete jetzt etwas schneller. „Zwei von den Kerlen lauschten hingerissen meiner Rede und kauften schließlich das Lebenselixier. Einer von ihnen war ein alter grauhaariger Bursche mit einem Holzbein, der andere ein etwas grobschlächtiger, bulliger Kerl. Ich habe von jedem zehn Silbermünzen für die Brühe verlangt, und wider Erwarten haben sie den hohen Preis anstandslos bezahlt. Doch nicht nur das hat mich in Erstaunen versetzt, sondern es waren vielmehr die raffiniert gearbeiteten Gürtel, die die Kerle umgeschnallt hatten. Ich sage dir, mir gingen fast die Augen über, als ich sah, wie prall diese Gürtel mit Gold- und Silbermünzen gefüllt waren, obwohl es sich meiner Meinung nach bei den Burschen nur um einfache Decksleute handelte. Also: Da ist garantiert was zu holen. Wenn die alle so gut bestückt sind, muß ihr Kapitän regelrecht in Gold schwimmen. Vielleicht ist er ein reicher Kaufmann, oder aber die Burschen sind von der anderen Seite und haben einen ergiebigen Beutezug hinter sich gebracht.“

Gonzales leerte seinen Becher.

„Das klingt nicht schlecht“, sagte er. „Was hast du in der Sache noch unternommen?“

„Ich habe Manuel losgeschickt. Es war kein Problem, ihnen bis zu ihrem Schiff zu folgen. Sie gehören zu einer großen dreimastigen Schebecke, die an einem Steg vertäut hat und die spanische Flagge führt. Die Kerle sind in der Tat voll damit beschäftigt, Proviant und Wasser zu fassen.“

„Sehr gut.“ Gonzales nickte zufrieden. „Hat Manuel herausfinden können, wer der Kapitän ist?“

„Noch nicht“, erwiderte Rodrigo, „aber das dürfte nicht besonders schwierig werden. Wenn die Burschen ihre Arbeit getan haben, werden sie bestimmt die Kneipen aufsuchen. Dabei wird sich rasch herausstellen, wer das Sagen hat.“

Antonio Gonzales füllte erneut die Rotweinbecher.

„Wir werden uns diese Goldfasane schnappen“, entschied er. „Wenn wir erst den Kapitän am Kragen haben und ihm ein bißchen Feuer unterm Hintern entfacht haben, werden die Kerle schnell die prallgefüllten Gürtel abschnallen und auch sonst alles zusammenkratzen, um ein ordentliches Lösegeld zahlen zu können.“ Er griff nach dem Becher. „Zum Wohl, Rodrigo, trinken wir auf ein gutes Gelingen!“

Nachdem er zusammen mit dem geschäftstüchtigen Rodrigo den Tonkrug geleert hatte, wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund.

 

„Hol Miguel her“, sagte er. „Wir haben noch einiges zu besprechen. Wer ein gutes Geschäft tätigen will, darf die gründliche Planung nicht vergessen.“

„La Bodega“ hieß die Kneipe, die Carberry zur Weinprobe auserkoren hatte. Sie lag in einer schmalen Gasse in der Nähe des Hafens und bestand in der Hauptsache aus einem langgestreckten Kellergewölbe mit zahlreichen Nischen und Winkeln.

Der kleine, kugelrunde Wirt, der selbst wie ein Weinfaß aussah, verstand sich nicht nur hervorragend aufs Einschenken, sondern unterhielt zudem noch ein umfangreiches Verkaufslager.

Es war Spätnachmittag, und die Sonne stand noch immer hoch am Himmel. Die Arwenacks hatten mächtig geschwitzt, bis die eingekauften Vorräte samt den schweren Wasserfässern an Bord gebracht und unter Deck verstaut waren.

Natürlich hatte der Kutscher darauf bestanden, daß zuerst die dringend benötigten Lebensmittel eingekauft wurden. Für „Wein und anderes Gesöff“ war seiner Meinung nach hinterher noch genug Zeit.

In dem Kellergewölbe herrschte im Gegensatz zu draußen eine düstere Atmosphäre. Die Öllampen, die teils in den Nischen aufgestellt waren und teils an der Decke hingen, waren die einzigen Lichtquellen. Dennoch waren die rohgezimmerten Holzbänke gut besetzt.

Die Luft war stickig und warm. Der Geruch von Wein, Rum und Schweiß vermischte sich mit dem Dunst von gebratenen Fischen und geräuchertem Fleisch, der der angrenzenden Küche entströmte.

„So richtig gemütlich ist das hier“, sagte Carberry und streichelte beinahe liebevoll den riesigen Weinkrug, den der Wirt auf den Tisch gestellt hatte.

Es war bereits der dritte.

Die anderen Arwenacks, die ihren Profos bei der verantwortungsvollen Tätigkeit des „Vorkostens“ nach Kräften unterstützten, nickten zustimmend.

„Es hat schon seine Vorteile, wenn man kein Blondschopf ist“, meinte Blacky mit philosophischem Blick. „Die armen Teufel hocken jetzt an Bord und langweilen sich, während wir uns hier im Vorhof zum Paradies befinden und an dem herrlichen Vinho verde laben.“

Der schwarzhaarige, dunkeläugige Bursche spielte damit auf den Befehl des Seewolfs an, gemäß dem alle auffallend blonden Männer der Crew die Schebecke nicht verlassen sollten. Dafür gab es ja genug gute Gründe, wie sie alle wußten.

Der Profos teilte Blackys Mitleid mit den „Blondies“ und hatte auch gleich eine Erklärung für deren hartes Schicksal bereit.

„Die Rübenschweine können einem schon leid tun“, sagte er. „Es muß schlimm sein, wenn man statt Haaren Stroh auf dem Kopf hat. Wahrscheinlich sind sie schon als Windelpisser von ihren Müttern zu lange in die Sonne gelegt worden. Da muß man ja schließlich ausbleichen. Oder aber ihre Eierköpfe sind zu häufig geschrubbt worden. Es ist doch völlig klar, daß da alle Farbe abgehen muß.“

Also tranken die Arwenacks auch einen Becher auf das Wohl der „Blondies“. Da ihr Kapitän und Don Juan de Alcazar aus Sicherheitsgründen ebenfalls an Bord geblieben waren, obwohl sie schwarzhaarig waren, wurde der nächste Becher zu ihrem Wohl geleert. Diesem folgte je ein Becher für den freiwillig an Bord gebliebenen Ben Brighton, den rothaarigen Ferris Tucker und für Batuti, der wie seine Stammesgenossen in Gambia am ganzen Körper schwarz war.

O ja, die Arwenacks verstanden es schon, die Qualitätsprüfung für den herben und spritzigen Vinho verde mit dem mitleidigen Gedenken an jene zu verbinden, die auf die Gemütlichkeit dieser Kneipe verzichten mußten.

Nur – die Gemütlichkeit hatte einen Haken. Sie hielt nicht lange vor.

Während Carberry im Geiste durchrechnete, wie viele Weinfässer sie wohl im Stauraum der Schebecke unterbringen könnten, wurde er bei seiner verantwortungsvollen Tätigkeit empfindlich gestört.

Ein schmuddeliger und etwas angesäuselter Kerl von der Sorte, die auf den Piers und Stegen herumzulungern pflegte, törnte von einem der Nachbartische herüber und ließ sich unaufgefordert auf dem freien Platz neben Carberry nieder. Der Kerl stank nach Rum, Schweiß und Knoblauch, außerdem hielt er einen leeren Becher in der Hand.

„Die Señores haben doch nichts dagegen?“ fragte er mit einem unverschämten Grinsen und stellte seinen leeren Becher auf den Tisch. „Der Wein schmeckt gut, nicht wahr?“

Der Profos warf ihm einen kritischen Blick zu.

„Das haben wir schon selber festgestellt“, erwiderte er. Dann griff er zu der riesigen Kruke, um die Becher nachzufüllen.

„Wenn die Señores nichts dagegen haben, trinke ich gern einen Schluck mit“, ließ sich der schmierige Kerl vernehmen, als der Profos die Kruke wieder auf den Tisch setzte.

„Die Señores haben aber was dagegen“, knurrte der Profos. „Außerdem könntest du ruhig ein Stück von mir abrücken, ich brauche nämlich viel frische Luft.“

„Oh, der Señor ist ein Geizhals“, sagte der Kerl frech. „Und ich dachte schon, man würde einem armen Mann wie mir einen Becher Wein nicht abschlagen.“

Auf dem narbigen Gesicht Carberrys zogen Gewitterwolken auf. „Dann solltest du nicht soviel denken. Davon kriegt man nämlich rasch einen Sprung in die Schüssel. Außerdem, du abgetakelte Filzlaus: Wenn du mich noch mal als Geizhals bezeichnest, zeige ich dir mal, wie freigebig ich bin.“

Er gebrauchte den Ellbogen und schob den Schnorrer einfach ein Stück von sich weg. Das schien dem Kerl jedoch nicht zu passen.

„Nur langsam, du Geizkragen!“ rief er. „Ich möchte wenigstens meinen leeren Becher mitnehmen.“

Er sprang von der Bank hoch, kehrte zum Tisch zurück und griff nach seinem Weinbecher. Dabei stieß er blitzschnell gegen die Kruke. Sie stürzte um, zerbrach, und der restliche Rotwein floß über den Tisch. Die Arwenacks mußten aufpassen, daß ihre Kleidung nicht bekleckert wurde.

„Wohl bekomm’s“, sagte der Kerl grinsend und wollte sich mit dem leeren Becher in der Hand verziehen.

Doch da packte ihn eine riesige Pranke am dreckigen Hemdkragen.

„Diese Tour zieht bei uns nicht, du blaukarierter Mäusemelker“, stieß Carberry grollend hervor. Dann hob er den Kerl ein Stück an, um ihn wie ein Bündel Lumpen zum Ausgang zu befördern.

Das wollte sich der Schnorrer nicht gefallen lassen. Noch während ihn der Profos unter dem lauten Gegröle der anderen Zecher durch den Schankraum trug, blitzte plötzlich ein Messer in seiner Hand auf.

Der Profos erkannte die Gefahr und stieß den Kerl, um Abstand zu gewinnen, einfach ein Stück von sich.

Der Schnorrer hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Er prallte gegen den wuchtigen Schanktisch, fing sich jedoch wieder und stellte sich Carberry mit dem Messer entgegen.

„Geizhälse steche ich besonders gern ab!“ rief er mit keifender Stimme. Seine kleinen Schweinsaugen funkelten mordlüstern.

Doch damit konnte er den Profos nicht beeindrucken. „Pieksen willst du auch noch, was?“

Gleichzeitig glitt der Profos mit einer Behendigkeit, die dem bulligen Mann niemand zugetraut hätte, auf den Kerl zu. Er wich der Hand mit dem Messer, die ihm entgegenzuckte, geschickt aus, dann schlug er übergangslos zu.

Der Radaubruder empfing einen gewaltigen Fausthieb unters Kinn, ächzte wie ein vom Sturm gebeuteltes Schiff und krachte rücklings gegen eine der mächtigen Steinsäulen, die das Gewölbe abstützten. Während er wie ein schlaffer Mehlsack daran zu Boden rutschte, klirrte sein Messer auf die Steinfliesen.

Der Profos aber war noch nicht fertig mit ihm. Er packte den Kerl jetzt am Hemdkragen und Hosenboden und wuchtete ihn hoch.

„Und jetzt sorgen wir für Reinschiff“, versprach er. „Du darfst sogar im Wein baden, du Rübenschwein, und dann wollen wir mal sehen, ob du mich immer noch einen Geizhals nennst.“

Er marschierte mit dem zuckenden Bündel in den riesigen Pranken zum Tisch der Arwenacks zurück.

Diese hatten bereits in weiser Voraussicht ihre Becher und die Scherben des Weinkrugs von der Tischplatte genommen, so daß einem erfrischenden Bad des Schnorrers nichts mehr im Wege stand.