Seewölfe Paket 8

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4.

So ganz unerecht hatte der Admiral nicht, als er erklärt hatte: „Wir sind bereits Herren der Lage.“ Denn auf der großen, äußeren Reede nordöstlich von Cadiz herrschte eine ziemliche Panik, die einen geschlossenen, massiven Widerstand gegen den englischen Überfall verhinderte – abgesehen von den todesmutigen Angriffen oder Kriegsgaleeren.

Aber deren Aktionen hatte das „Kindermädchen“ – wie sich Ed Carberry ausgedrückt hatte – unterbunden: Philip Hasard Killigrews „Isabela“. Und später hatten die Seewölfe mit Grimm beobachtet, wie die fettesten Brocken ankerauf gingen und fluchtartig die Reede verließen.

Deren Kapitäne mußten gewitzte Burschen sein, wenn sie sich nicht davon hatten einlullen lassen, daß der englische Kampfverband über Cadiz hergefallen war. Für viele hatte es wirklich so ausgesehen, als planten die Engländer, Cadiz im Sturm zu erobern. Hätten sie sonst die Stadt derart massiv unter Feuer genommen?

So traf jetzt das Verhängnis jene Kapitäne sowie deren Schiffe und Mannschaften, die geglaubt hatten, der Kelch ginge an ihnen vorüber. Da waren einige, die gehörten zu dem Typ Mensch, der bei einem Gewitter den unfrommen Wunsch hegt, der Blitz möge nicht sein Haus, sondern das des Nachbarn treffen. Daß sie Narren waren, erkannten sie zu spät.

Einige hatten auch aus Phlegma nicht die Reede verlassen oder sich damit getröstet, so schlimm würde es schon nicht werden.

Einer war allerdings unter den Handelsfahrern, ein siebenhundert Tonnen schwerer Brocken, der aus Genua stammte und für den Levantehandel gebaut und entsprechend armiert war. Er hatte die Heimreise antreten und nur auf günstigen Wind warten wollen. Beladen war er bis unter die Luken mit Koschenille, dem schönen, roten Farbstoff der Schildlaus, mit Kampescheholz, Häuten und Wolle für Italien.

Bei dem nach Süden tendierenden Südwestwind hatte der genuesische Kapitän es vorgezogen, sein Auslaufen noch zu verschieben. Aber seine gesamte Besatzung war an Bord – im Gegensatz zu vielen der anderen Schiffe auf Reede.

Dieser Kapitän hatte ebenfalls überlegt, ob es nicht besser sei, sich zu verziehen, als die Engländer vor der Bucht aufgetaucht und dann über Cadiz hergefallen waren. Aber er war geblieben – einmal aus der Überlegung heraus, daß Genua nicht mit England in Fehde lag und demnach als neutral zu betrachten war, und zum anderen vertrat er die persönliche Ansicht, daß es ihn weiß Gott nichts anging, wenn sich Spanier und Engländer aus welchen Gründen auch immer in die Haare gerieten.

Ihm war der eine so genehm wie der andere, und wenn Genua mit Spanien Handel trieb, dann konnte es das genausogut mit England tun, ohne daß gleich alle Welt schrie, Genua liebäugele mit der einen Seite mehr als mit der anderen.

Der Kapitän hatte nichts gegen England, und er hatte nichts gegen Spanien, allenfalls traten seiner Meinung nach die Spanier etwas zu hochnäsig auf. Und ein bißchen zu raffig waren sie wohl auch, wenn man bedachte, was sie alles aus der Neuen Welt heranschleppten. Konnte man es da den Engländern verübeln, daß sie sich ein Scheibchen von dem Kuchen abschneiden wollten? Nein, das konnte man nicht.

Kapitän Mauritio Sulla war kein Mensch mit komplizierten Gedankengängen, er hatte Verstand und Herz, und die Genueser Kaufmannschaft hatte sehr genau gewußt, wem sie den Siebenhundert-Tonner anvertraute, denn Sulla war Seemann aus Passion, und den nordafrikanischen Piraten hatte er noch immer und zu jeder Zeit die Zähne gezeigt.

Im übrigen war sein Schiff für derartige Überfälle bestens bestückt — mit je zwanzig schweren Messingkanonen auf jeder Seite. Daß der gewissenhafte Kapitän Sulla seine Männer auf den Umgang mit diesen Kanonen getrimmt hatte, versteht sich von selbst. Die algerischen Piraten wußten davon ein Liedchen zu singen, denn allemal hatten sie sich blutige Nasen geholt, wenn es sie nach diesem Brocken gelüstet hatte.

Am Vormittag dieses 29. April 1587 hatte Kapitän Sulla sein Schiff aus dem Pulk der vor Anker liegenden anderen Fahrzeuge gelöst und sich an den Außenrand der Reede verholt. Er wollte sofort lossegeln können, sobald der Wind günstiger stand. Das hatte den einfachen, seemännisch richtigen Grund, daß er es vermeiden wollte, sich bei einem drehenden Wind zwischen einer Masse hin und her schwojender Schiffe hindurchmogeln zu müssen.

Denn da war ein Gewirr der verschiedenartigsten Schiffe aus aller Herren Länder – von den Spaniern beschlagnahmte holländische Segler, Handelsschiffe aus dem Norden, Schiffe der spanischen Amerikaflotte, Handelsfrachter beladen mit edlen Sherry-Weinen, Mittelmeerschiffe wie der genuesische Siebenhundert-Tonner, Galeonen, Barken, Urcas, Karavellen, kurz ein Sammelsurium aller möglichen Typen.

Und wer aus einem solchen Pulk ankerauf ging, um auszulaufen, der mußte bei drehenden Winden verdammt aufpassen, wenn er klarfahren wollte.

Mit Gelassenheit hatte Kapitän Mauritio Sulla den englischen Überfall auf Cadiz betrachtet.

Aber dann, am späten Nachmittag, war seine Gelassenheit in Argwohn umgeschlagen. Das genau war der Zeitpunkt, als sich die Panik auszubreiten begann, weil der englische Verband plötzlich schwenkte und Kurs auf die Ankerlieger der großen Reede nahm.

Was da heranrückte, sah gar nicht gut aus, und als der Verband auseinanderfächerte und den weiten Bereich der Reede einkreiste, da ahnte Kapitän Sulla, was die Glocke geschlagen hatte. Unwillkürlich drängte sich ihm das Bild von hungrigen Wölfen auf, die um eine Schafherde ihren tödlichen Ring bilden.

Sulla verfluchte seinen Entschluß, nicht wie die anderen dicken Brokken das Weite gesucht zu haben, als die Engländer noch mit Cadiz beschäftigt waren.

Jetzt war es zu spät.

„Klar Schiff zum Gefecht!“ peitschte seine grimmige Stimme über die Decks.

Kaum hatte er das befohlen – und das gab ihm die Genugtuung, richtig zu handeln –, erschienen die ersten Mündungsfeuer vor den Rohren der englischen Schiffe, und der Kanonendonner rollte über die Reede.

Warnschüsse waren es, wie Kapitän Sulla feststellte.

Warnschüsse, um die Schafherde einzuschüchtern!

Bei den Schiffen, die am Südrand der großen Reede ankerten, sah es aus, als spucke das Wasser Fontänen hoch. Sulla kannte dieses Bild, und es war für ihn wieder genauso erregend wie vor sechzehn Jahren, als er unter Giovanni Andrea Doria, dem Führer der genuesischen Seestreitkräfte bei der Schlacht von Lepanto, an Bord der „Marquesa“ gegen die türkische Flotte gekämpft hatte.

Damals hatte er zum ersten Male die kalte Schönheit fontänengischtender Kugeleinschläge bewundert – ganz abgesehen von der erleichternden Gewißheit, daß jede Fontäne eine verschossene Kanonenkugel bedeutete, die ihr Ziel nicht erreicht hatte.

Später hatte er gelernt, wie man als Kanonier oder Stückmeister einen Gegner mittels der beobachteten Fontänen „eingabelt“, das heißt, die Weit- oder Kurzschüsse zu korrigieren und ebenso der Seite nach zu verbessern. Hinzu kam das Schießverfahren beim laufenden Gefecht, also mit dem Gegner parallel segelnden Kurs, und beim Passiergefecht, bei dem eigener und Gegnerkurs aneinander vorbeiführen.

Kapitän Sulla bewegte unruhig die breiten Schultern. Das hier war eine andere Situation, denn sein Schiff lag gewissermaßen an der Kette. Ankerauf gehen, Segel setzen und in den Atlantik steuern – dazu war es zu spät. Wenn sie es wollten, würden ihn die Engländer so oder so erwischen. Eine schwache Hoffnung flakkerte noch in ihm, daß sie seinen neutralen Status respektieren würden.

Aber unter Umständen festliegende Zielscheibe zu sein, dieser Gedanke behagte ihm ganz und gar nicht. Unter Segeln — und da war er erfahren genug – hatte man immer noch die Chance, auch einen stärkeren Gegner ausmanövrieren oder ihm davonsegeln zu können.

Aber diese Chance hatte er mit seinem Ausharren verspielt.

„Schiff ist gefechtsklar“, meldete sein erster Offizier.

Sulla nickte stumm.

„Die werden uns doch nicht angreifen“, sagte der Erste zweifelnd.

„Weiß man’s?“ Sulla zuckte mit den Schultern, kniff die Augen zusammen und beobachtete, wie auf fünf Schiffen am Südrand der Reede die Flagge gestrichen wurde. „Die ergeben sich“, murmelte er, „das eine Schiff ist die französische Karavelle, die südlich von unserem Ankerplatz gelegen und Sherry übernommen hatte.“ Sulla fluchte. „Auf neutrale Schiffe nehmen die Brüder offenbar, keine Rücksicht. Oder sind die auf Sherry scharf?“

„Im Saufen waren die Engländer schon immer gut“, sagte der Erste philosophisch. Er war ein schlanker, geschmeidiger Mann namens Silvio Carlone. Seit fünf Jahren fuhr er unter dem Kommando des Kapitäns, und er hatte es noch keine Minute bereut.

Kapitän Sulla hob das Spektiv ans rechte Auge und blickte hindurch.

„Sie entern die Karavelle“, sagte er verbissen. „Keiner wehrt sich, nicht einer, auch bei den anderen Schiffen nicht. Selbst bei den spanischen Amerikaseglern haben sie die Hosen voll und die Flagge gestrichen. Dabei sind sie weitaus besser bestückt als alle anderen. Feiges Pack!“

„Und was werden wir tun?“ fragte der Erste, obwohl er die Antwort seines Kapitäns bereits kannte.

„Kämpfen“, sagte Kapitän Sulla lakonisch, „mir nimmt keiner mein Schiff weg.“

Silvio Carlone nickte. Mit dieser Entscheidung war er durchaus einverstanden. Denn so hatten sie es immer gehalten, und warum sollte es jetzt anders sein?

Trotzdem sagte er: „Diese vier englischen Kriegsgaleonen werden uns ganz schön zum Tanzen bringen.“

„Wir sie auch“, knurrte Kapitän Sulla und schob das Spektiv zusammen. „Die erste dreht bereits auf uns zu.“

 

„Sollen wir sie ins Visier nehmen?“

„Abwarten. Mal sehen, wie weit er’s treibt“ Kapitän Sulla trat ans Backbordschanzkleid des Achterdecks und blickte der Galeone entgegen.

Die segelte bis auf Rufweite an den Siebenhundert-Tonner heran und ging in den Wind. Die Segel wurden ins Gei gehängt.

Ein betreßter Mensch, aufgetakelt wie ein Gockel, eine Lockenperücke auf dem Kopf, stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und schrie etwas zu dem Genuesen hinüber.

Sulla grinste und brüllte zurück: „Verstehe kein Englisch!“

Der betreßte Mensch winkte einen Mann heran und redete erregt auf ihn ein.

Der nickte, trat ans Schanzkleid und rief: „Kapitän Seymour, Kommandant Ihrer Majestät Schiff ‚Dreadnought‘, fordert Name und Heimathafen ihres Schiffes!“ Er rief es in spanischer Sprache.

Kapitän Sulla rief zurück: „Bestellen Sie Ihrem Kapitän, daß er gar nichts zu fordern hätte! Wir sind Genuesen und mir ist nicht bekannt, daß sich die Republik Genua mit England im Kriegszustand befindet. Folglich sollte Ihr Kapitän die seemännische Etikette wahren. Also kann er mich um eine Auskunft bitten, zu fordern, ich wiederhole es, hat er nichts.“

Mit Genugtuung bemerkte Kapitän Sulla, daß der englische Kapitän vor Wut platzte, als ihm der Dolmetscher die Antwort übersetzt hatte.

„Silvio“, sagte er leise zu seinem Ersten, „die Kanoniere sollen unsere Stükke auf das Achterdeck des Engländers und seine Masten richten.“

Der Erste nickte verstanden und sprang zur Kuhl hinunter.

Der Dolmetscher rief: „Was haben Sie geladen?“

„Eingepökelte Kakerlaken in Erdbeer-Sauce!“ schrie Kapitän Sulla. „Und was haben Sie geladen?“

Wüstes Palaver auf dem Achterdeck der englischen Kriegsgaleone. Der Kapitän mit der Lockenperücke brüllte den Dolmetscher an, und der brüllte zurück. Offenbar schien der englische Kapitän anzunehmen, sein Dolmetscher habe verkehrt übersetzt oder wolle ihn verulken. Aber da schaltete sich ein anderer Mann ein und schien die Übersetzung des Dolmetschers zu bestätigen. Auch er wurde von dem englischen Kapitän angebrüllt – wohl etwa in dem Sinne, er sei nicht gefragt worden und habe deshalb das Maul zu halten.

Kapitän Sulla begann sich zu amüsieren.

Nach einem erregten Disput schrie der Dolmetscher: „Kapitän Seymour fordert Sie auf, die Flagge zu streichen und ein Prisenkommando an Bord kommen zu lassen!“

„Ich habe vor nordafrikanischen Piraten nicht die Flagge gestrichen, und ich werde es auch nicht vor englischen Halsabschneidern tun!“ rief Kapitän Sulla. „Ein Prisenkommando hat nichts bei mir an Bord zu suchen. Sollte es wagen, zu entern, werden wir uns zur Wehr setzen. Sagen Sie das Ihrem Kapitän. Außerdem weise ich ihn darauf hin, daß ein Angriff auf mein Schiff ein Angriff auf die Republik Genua ist! Was Sie hier auf der Reede vor Cadiz mit den Schiffen anderer Länder tun, ist übelste Piraterie. Wenn die vor Ihnen den Schwanz einziehen, ist es deren Sache. Wir Genuesen jedenfalls sind es nicht gewohnt, uns von Piraten auf der Nase herumtanzen zu lassen. Wir sind friedliche Handelsfahrer, aber unsere Friedfertigkeit hat dort ihre Grenzen, wo wir angegriffen werden. Meine Kanonen sind gefechtsklar, um Ihnen eine Breitseite zu verpassen!“

Kapitän Sulla hob das Spektiv ans Auge, um die Wirkung seiner Worte auf den englischen Kapitän besser beobachten zu können. Er sah ein schwitzendes, blasiertes Gesicht, das sich von Satz zu Satz der Übersetzung mehr verzerrte. Was für ein widerlicher Kerl, dachte der Kapitän.

Beim letzten Satz des Dolmetschers zuckte der englische Kapitän zusammen, warf einen nervösen Blick auf das genuesische Schiff und verschwand hastig hinter der Dekkung des Besanmastes.

„So ein Feigling“, murmelte Kapitän Sulla voller Verachtung. Gleichzeitig gab ihm diese Erkenntnis die Hoffnung, daß seine Worte gewirkt hatten und den Engländer zum Rückzug veranlaßten. Vielleicht war ihm dieses Eisen zu heiß, um es anzufassen, vielleicht auch befürchtete er diplomatische Verwicklungen. Aber letztlich war das alles gleichgültig, Hauptsache, sein Schiff blieb ungeschoren.

Eine Weile passierte gar nichts, dann sah Kapitän Sulla an der Flaggleine des Besanmastes drei Signalflaggen hochsteigen, deren Bedeutung ihm natürlich fremd war. Gleichzeitig hantierten Kanoniere an einem Heckgeschütz und lösten hintereinander drei Böller.

Sulla spähte über die Reede. Ein paar Minuten später wurde ihm klar, was Böller und Signalflaggen zu bedeuten hatten, denn zwei der Kriegsgaleonen nahmen Kurs auf die „Dreadnought“. Eine dritte Kriegsgaleone dümpelte auf der Süd-Reede, offensichtlich dazu abgestellt, die Aktionen auf der Reede selbst gegen eventuelle Galeerenvorstöße aus der kleinen Reede, also der Bai von Puntales, zu sichern.

Und was war mit dieser merkwürdigen Dreimastgaleone, deren schlanke Formen und niedrige Aufbauten Kapitän Sulla bereits am Vormittag aufgefallen waren? Gehörte sie zu den Engländern oder nicht? Sie hatte die angreifenden spanischen Galeeren vertrieben. Und jetzt pirschte sie um die Reede herum, als habe sie mit alledem nichts zu tun, jedenfalls beteiligte sie sich nicht an der Aktion der Engländer, die einen Ankerlieger nach dem anderen zum Streichen der Flagge zwangen und dann besetzten.

Kapitän Sulla erschien es, als überwache diese schnittige Galeone die Aktionen und Bewegungen der vier Kriegsgaleonen. Aber was sollte das?

Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder den beiden heransegelnden Kriegsgaleonen zu. Eine lief westwärts, schwenkte dann nach Norden und verbaute damit seinem Schiff einen eventuellen Durchbruch seewärts.

Die andere geite die Segel auf und glitt langsam an der „Dreadnought“ vorbei. Von Bord zu Bord brüllten sich deren Kommandanten etwas zu – herrisch der spitzbärtige Mann auf dem Achterdeck der hinzugekommenen Galeone, verstört dieser Kapitän Seymour auf der „Dreadnought“.

Kapitän Sulla blickte durchs Spektiv auf den spitzbärtigen Mann – und dann stieß er einen wilden Fluch aus, denn selbst in Genua waren Bilder dieses Mannes aufgetaucht, der nach Magellan die Welt umsegelt hatte: Francis Drake, von den Spaniern als „El Draque“ gehaßt und gefürchtet.

„Der hat mir noch gefehlt“, murmelte er und biß die Zähne zusammen.

Die Galeone Drakes setzte wieder die Segel, lief ab, schwenkte und glitt von Steuerbord achtern auf Sullas Schiff zu.

Jetzt befand er sich in der Zange.

Der Spitzbart brauchte keinen Dolmetscher. Seine Stimme war so scharf wie eine Degenklinge.

„Streichen Sie die Flagge, oder wir schießen Sie zusammen!“ schrie er.

Für einen winzigen Augenblick fragte sich Kapitän Sulla, ob er angesichts dieser Übermacht aufgeben solle. Aber dann stieg der Trotz in ihm hoch. Das Recht war auf seiner Seite. Und für sein Recht hatte man zu kämpfen, oder man war ein Hundsfott.

Silvio Carlone starrte von der Kuhl aus zu ihm hoch, sein eigentlich hübsches Gesicht war hart und kantig – und auch trotzig. Ihre Augen trafen sich, und Carlone nickte unmerklich.

Kapitän Sulla straffte die Schultern, und jetzt war seine Stimme genauso scharf wie die des spitzbärtigen Mannes. Und er rief nur zwei Worte, die ein Befehl waren.

„Feuer frei!“

Dort, wo der genuesische Kauffahrer vor Anker lag, herrschte das, was man mit Inferno bezeichnete. Man hätte es auch Hölle nennen können.

Drei englische Kriegsgaleonen hatten sich um den Genuesen versammelt und schossen ihn systematisch zusammen.

Hinzugesellt hatten sich vier der kleineren englischen Kriegssegler, die aus ihren leichteren Stücken Feuer und Blei spuckten.

Und der Genuese feuerte nach allen Seiten zurück. Er kämpfte. Er wehrte sich, zerschossen, entmastet und eigentlich nur noch ein Trümmerhaufen. Und immer wieder flammte es bei ihm auf – Zeichen, das noch Leben in ihm war, auch wenn es dem Ende zuneigte.

So mochten die Spartaner gekämpft haben. Oder die letzten Goten, als sie, der Sage nach, am Vesuv ihren Verzweiflungskampf gegen die anstürmenden Krieger des Narses durchfochten und Teja, Nachfolger des gefallenen Totila, tödlich verletzt den Rückzug seiner Männer deckte.

Hier gab es keinen Rückzug. Wohin auch?

Aber am zerschossenen, nach Steuerbord gekippten Besanmast wehte immer noch die Flagge Genuas, zerfetzt, durchlöchert, angesengt.

Von Westen flammte die untergehende Sonne rotes Licht über die Reede.

Seit zwei Stunden wehrte sich der genuesische Kauffahrer gegen die Engländer wie ein umstellter, verwundeter Keiler gegen die Meute der zuschnappenden Jagdhunde.

Nördlich dieser Szenerie eines Todeskampfes stand die „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew.

Noch nie hatten die Seewölfe so etwas erlebt. Und sie hatten gedacht, die barbarische Furchtbarkeit des Krieges zur See bis in die letzten Winkel kennengelernt zu haben. Aber das hier war etwas anderes. Hier spürten sie plötzlich die Anklage, die der kämpfende Genuese England entgegenschleuderte. Diese Anklage war nicht nur seine stumme Erbitterung, als einzelner gegen eine Übermacht kämpfen zu müssen. Nein, es war die Anklage, daß hier Unrecht geschah, daß ein Friedfertiger mit brutaler Gewalt zusammengeknüppelt wurde. Ja, hier ging Gewalt vor Recht.

Hier wurde Recht vergewaltigt.

Da war keiner an Bord der „Isabella“, der nicht Scham empfunden hätte. Viel war an diesem Tage geschehen, sehr viel, aber was sich hier abspielte, war eine Eskalation alles dessen, was sie von Stunde zu Stunde mehr empört hatte.

Engländer, Männer ihrer eigenen Heimat, mißachteten die ungeschriebenen Gesetze der Menschlichkeit und wußten nicht mehr zwischen Freund und Feind, zwischen Sinn und Unsinn, zwischen berechtigter kriegerischer Aktion und wilder Zerstörungswut, zwischen Hilflosen und soldatischen Käpfern zu unterscheiden.

Mit einem Wort: Diese Engländer waren zu Wegelagerern geworden.

Kapitän Sulla hatte sie „Halsabschneider“ genannt. Aber das wußten die Seewölfe nicht.

Sonst herrschte das Lachen – nachmal auch ein wildes Lachen – an Bord der „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew. In den Stunden dieses Tages aber hatten sie es verlernt. Sie hätten weinen können. Ihre Gesichter hatten sich verändert – so verändert, daß sich Philip Hasard Killigrew fast betroffen fragte, ob er diese Männer wirklich kannte.

Aber ihre Mienen spiegelten ihre Erschütterung.

Und wie mochte er selbst aussehen? Seit zwei Stunden stand er nahezu unbeweglich, wie erstarrt, am Backbordschanzkleid des Achterdecks und blickte hinüber zu diesem ungleichen Kampf eines einzelnen gegen die Übermacht.

Und als er das dachte und versuchte, sein Gesicht zu entspannen, merkte er, wie verkrampft es war.

Nur lag die Ursache noch tiefer.

Er, Philip Hasard Killigrew, hatte dieses Massaker ausgelöst. Wie eherne Glockenschläge hallten die eigenen Worte durch seinen Kopf.

„Sir, wir haben noch zwei, drei Stunden bis zum Sonnenuntergang und sollten uns sofort die Schiffe auf der Reede vornehmen, bevor wir weitere Unternehmungen planen.“

Ja, das waren seine Worte gewesen – und der Admiral hatte sie in die furchtbare Tat umgesetzt, in eine Tat, die so nicht gemeint gewesen war.

Denn der Admiral war über alle hergefallen – nicht nur über die spanischen oder portugiesischen Ankerlieger, wie es Hasard zwar gemeint, aber nicht klar genug ausgedrückt hatte. Und er, Hasard, hatte vorausgesetzt, daß der Admiral verstanden hätte, was er empfohlen hatte.

Furchtbarer, tödlicher, konnte kein Mißverständnis sein. Und es war vor seinen Augen geschehen.

Hätte er noch eingreifen können?

Natürlich – aber dieses Mal unter Verlust der eigenen Männer und des eigenen Schiffes, das mit seiner Ladung für die Königin bestimmt war.

Dieser Philip Hasard Killigrew war ein ganzer Mann, und er ging mit sich selbst zu Gericht. Er war sein eigener Richter, und er verurteilte sich, weil er seine Worte nicht gewogen und später nicht gehandelt, sondern nur zugesehen hatte, wie das Verhängnis seinen Lauf nahm.

Das habe ich nicht gewollt – diese Entschuldigung galt für ihn nicht, und er verachtete sie, weil der Mann, der sie benutzte, damit bewies, daß er zu feige war, für die Folgen seiner Handlungsweise einzustehen. Und wenn er diese Folgen im voraus nicht bedacht hatte, dann war das ebenfalls keine Entschuldigung, sondern nichts weiter als sträfliche Dummheit.

Jeder Schuß aus den englischen Rohren verkündete den Urteilsspruch: Du bist schuldig, Philip Hasard Killigrew! Du hast Wind gesät und erntest Sturm, wie es in der Bibel steht!

 

Drüben auf der „Dreadnought“ des Kapitäns Seymour johlten die Kanoniere, als die Kettenkugel eines ihrer Geschütze die seitlich über die Bordwand ragende Besanstange des Siebenhundert-Tonners zerspellte und die genuesische Flagge im Wasser versank.

Sie johlten, als hätten sie einen Volltreffer gelandet und mit diesem einzigen Schuß den Gegner versenkt. Aber dieser Gegner sank noch nicht, auch wenn er bereits zum Wrack geschossen war und sein Vorschiff tiefer im Wasser lag als das Achterschiff.

Aber das Johlen schlug in Wutgeschrei um, als plötzlich zwei Männer auf dem zertrümmerten Achterdeck ganz hinten am Heck einen langen Bootshaken aufrichteten und verkeilten. Und an diesem Bootshaken entfaltete sich eine Ersatzflagge, wehte aus und zeigte, daß niemand auf diesem Wrack bereit war, sich zu ergeben.

Und wie zum Hohn auf das Johlen und das Wutgeschrei krachte eine der Messingkanonen an Bord des Handelsfahrers, spuckte ihr Eisen aus und zerhieb den Kranbalken vorn an der Steuerbordseite der „Dreadnought“, an dem der Anker waagerecht festgelascht war. Der Anker löste sich aus der Laschung, baumelte schwungvoll hin und her, zerschrammte die Bordwand – und dann rauschte die Ankertrosse aus, was nur passieren konnte, wenn sie aus Schlampigkeit nicht richtig belegt worden war. Der Anker ging wie ein Stein auf Tiefe und nahm die voll auslaufende Ankertrosse mit auf die Reise. Ihr letztes Ende flutschte wie eine geölte Schlange aus der Ankerklüse, peitschte Bruchteile von Sekunden zuckend durch die Luft und verschwand samt Anker auf Nimmerwiedersehen.

Kapitän Seymour brüllte seinen ersten Offizier an, der erste Offizier widmete die Kraft seiner Stimmbänder dem dritten Offizier, der für Vorschiff und Back zuständig war, der dritte Offizier fiel über den Bootsmann Vordeck her, der Bootsmann knallte den Headman der Ankergäste zusammen, und der Headman trat dem Sailor George Trigger in den Hintern, weil der für die Ankertrosse zuständig war. Den Tritt weitergeben, das konnte der Sailor George Trigger nicht, weil er der letzte in der Hackordnung an Bord der „Dreadnought“ war. Nach ihm gab’s nichts mehr zu treten.

Aber denken konnte der Sailor George Trigger, und er dachte voller Inbrunst; Rutscht mir doch alle den Buckel ’runter, ihr Viertel-, Halb- und Vollidioten. Denn das war seine Einteilung der Ränge an Bord der „Dreadnought“. Und der Vollidiot war Kapitän Robert Seymour.

Und wieder krachten die Stücke an Bord der englischen Kriegsgaleone, als müsse der ausgerauschte Anker gerächt werden – teuer genug war er ja samt der mehr als männerarmdikken Trosse aus geschlagenem Sisalhanf, die etwa sechsmal länger als die „Dreadnought“ war.

Solche und ähnliche Schäden hatte die „Dreadnought“ bereits seit ihrer „Schlacht“ gegen den Genuesen in jeder Menge, und allmählich summierte sich das, zumal sie es war, auf die der Genuese immer wieder sein Feuer richtete.

Kapitän Seymour fand das „empörend“. Und noch mehr ärgerte er sich, als der Admiral die „Elizabeth Bonaventura“, die „Rainbow“ sowie die vier kleineren Kriegssegler jetzt abzog, um sie mit dem Ausräumen des Beuteguts der auf Reede geenterten Schiffe zu beschäftigen, während er selbst den Befehl erhielt, den verdammten Genuesen zu versenken.

Versenken!

Damit entschwand dem Kapitän Seymour für immer die Hoffnung, nach all den Mühen reiche Frucht zu ernten und sieh ein bißchen die Taschen zu füllen. Denn bestimmt hatte dieser halsstarrige Genuese etwas Wertvolles an Bord, sonst würde er sich nicht so verbissen zur Wehr setzen. Jawohl, genau das war der Beweis. Dieser freche Kapitän wollte nicht, daß er, Kapitän Robert Seymour, Kommandant eines Kriegsschiffes Ihrer Königlichen Majestät, die Schätze, eroberte, die in den Laderäumen des Handelsfahrers verborgen waren.

Darum hatte er sich auch widersetzt, ein Prisenkommando an Bord kommen zu lassen.

Er hatte Edelsteine an Bord! Gold! Silber! Kostbare Perlen!

Der Adamsapfel des Kapitäns Seymour tanzte auf und nieder, weil er vor Erregung Schluckauf kriegte.

Kapitän Seymour unterlag dem Trugschluß, andere Kapitäne mußten die gleichen Motive haben wie er. Und hätte er gewußt, was die Laderäume des Siebenhundert-Tonners bargen, dann hätte er für die Tapferkeit Kapitän Sullas wohl nur ein Achselzucken übrig gehabt und ihn für verrückt erklärt.

Als das Flaggschiff des Admirals abgelaufen und hinter anderen Seglern verdeckt war, fuhr er zu seinem ersten Offizier herum und schnarrte: „Lassen Sie sofort die Pinaß aussetzen, Mister Cummings! Wir werden diesen genuesischen Tropf entern und ihm zeigen, was er für ein Zwerg gegen uns ist!“

Cummings war zusammengezuckt. „Entern? Aber der Admiral …“

„Interessiert mich nicht!“ pfiff ihn Kapitän Seymour an. „Hier befehle ich, und ich befehle, daß geentert wird, verstanden?“ Er reckte die Brust. „Ich selbst werde das Enterkommando gegen den Feind führen und den Sieg an unsere ruhmreiche Flagge heften.“

Er riß den Degen aus seiner Scheide, fuchtelte mit ihm in der Luft herum, und als er ihn nach hinten schwenkte, um ausholen zu demonstrieren, wie Holz gehackt wird, spießte er den Hut des Steuermanns auf – nicht den Kopf, denn der Steuermann hatte sich noch rechtzeitig abgeduckt.

Der Hut steckte auf dem Degen wie eine Manschette. Lächerlicher konnte ein Degen nicht aussehen.

„Lassen Sie diesen Unsinn!“ schrie Kapitän Seymour den Steuermann an.

„Entschuldigung, Sir“, sagte der Steuermann gelassen. „Es ist man gut, daß es nur der Hut und nicht mein Kopf ist.“

„Schweigen Sie!“

„Aye, aye, Sir, aber Sie sollten wirklich aufpassen, ob jemand hinter ihnen steht, wenn Sie zeigen, wie Sie den Sieg an unsere ruhmreiche Flagge zu heften gedenken.“

Kapitän Seymour lief krebsrot an. „Cummings, notieren Sie diesen Mann wegen unverschämter Reden gegenüber dem Kommandanten. Ich verurteile ihn zu drei Tagen verschärftem Bordarrest, verstanden?“

„Aye, aye, Sir. Steuermann Phipps drei Tage verschärfter Bordarrest wegen unverschämter Reden gegenüber dem Kommandanten. Soll Phipps die drei Tage sofort absitzen oder erst, wenn wir wieder in Plymouth sind?“

„Wie bitte?“

Cummings wiederholte seine Frage.

Und darauf sagte der Kapitän: „Ach lassen Sie mich doch mit solchen Lappalien zufrieden! Ich habe jetzt an Wichtigeres zu denken. Warum ist die Pinaß noch nicht ausgesetzt, Mister Cummings? Muß ich mich hier an Bord um alles kümmern?“

Edward Cummings, erster Offizier auf Ihrer Majestät Schiff „Dreadnought“, Dienstzeit in der Marine Ihrer Majestät fünfzehneinhalb Jahre, davon mindestens dreizehn Jahre Bordkommandos, dieser Edward Cummings war nahezu reif, einen Mord zu begehen.

Aber er spuckte nur nach Lee – symbolisch. Und er dachte, die Spukke könnte dieser verdammte Seymour sein, wenn er bei Nacht und schwerem Wetter außenbords geht – natürlich unterstützt von einem kräftigen Schubs.

Und später, als sein ehrenwerter Kapitän bereits unten in der Pinaß das Enterkommando anbrüllte, sagte er zu dem Steuermann: „Die drei Tage Verschärften kannst du vergessen, Phipps.“

„Geht klar“, sagte der Steuermann Phipps und grinste.