Seewölfe Paket 8

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6.

Admiral Francis Drake behauptete später, er habe in Cadiz „den Bart des Königs von Spanien versengt“. Tatsächlich waren auf der Reede und im Hafen an die vierzig Schiffe gekapert, verbrannt oder versenkt worden, darunter im inneren Hafen, also der Bai von Puntales, in einem gesonderten Angriff eine schwere Galeone, die dem Marquis von Santa Cruz gehörte und von den Spaniern insgeheim zum Flaggschiff ihrer geplanten Invasionsflotte gegen England vorgesehen gewesen war.

Das wurde alles erst später bekannt.

Immerhin waren – abgesehen von den neutralen Schiffen – viele der Schiffsladungen für Lissabon bestimmt, wo sie von der Armada übernommen werden sollten. Es war ja nicht leicht, derart viele Schiffe für ein Landungsunternehmen auszurüsten und deren Besatzungen zu verpflegen.

Der Überfall des Admirals auf Cadiz entsprach seiner freibeuterischen Praxis, wie er sie drüben in der Neuen Welt durchgeführt und erprobt hatte. Dieses Unternehmen war ein aggressiver Akt, aber man sagte, der Zweck heilige die Mittel, und jene, die später das Für und Wider dieser Aggression abwogen, meinten, der Admiral habe England eine Atempause verschafft. Denn nur ein Jahr später segelte die größte Flotte, die die Welt damals gesehen hatte, gegen das Inselreich, um sich für „den versengten Bart“ zu rächen und dem englischen – Zwerg das Fürchten beizubringen.

Das war nun wiederum ebenfalls ein aggressiver Akt, und so mag es eine Ironie der Geschichte sein, daß man den Überfall des Admirals auf Cadiz in einem milderen Licht sah oder sogar geneigt war, ihn als einen – wenn auch etwas fragwürdigen – Akt der Notwehr zu betrachten.

Der Admiral ging in die Geschichte ein.

Der Kapitän Philip Hasard Killigrew nicht. Taten der Menschlichkeit werden selten bekannt. Und wer sie ausübte, wurde sogar oft genug als Narr oder hoffnungsloser Weltverbesserer angesehen.

Die „Isabella“ segelte unter genuesischer Flagge südwärts. Sie hatte nach England zurückkehren sollen – nach einer vieljährigen Weltumseglung, aber die Würfel waren anders gefallen.

Das hing mit dem Entschluß und dem Versprechen des Kapitäns Killigrew zusammen, den Genuesen zu helfen. Und kein Mann seiner Besatzung murrte. Zu tief saß in ihnen die Scham über das wölfische Gebaren der Drakeschen Schiffe.

Auch Wut steckte noch in ihnen, denn Carberry, ihr Profos, hatte nicht geschwiegen. Er hatte berichtet, daß der verdammte Admiral versucht hätte, ihren Kapitän bei seinem Besuch auf dem Flaggschiff festsetzen zu lassen, um ihn dann vor ein Bordgericht stellen zu können.

Das war nun wirklich die Höhe der Undankbarkeit. Es war der Gipfel, zumal man diesen Admiral ja mehrmals aus den gefährlichsten Situationen herausgepaukt hatte.

Natürlich wußten sie nicht oder ahnten nicht, daß der Admiral mit seinem Verband vor Cadiz noch mehrfach in Situationen geriet, die nun wieder dem rebellischen Viceadmiral Borough die Haare zu Berge stehen ließen.

Da mußten die Engländer nachts einen Angriff spanischer Brander abwehren. Und am nächsten Tag fuhren die Spanier um das gefährdete Cadiz herum schwere Feldschlangen auf, die mit gar nicht mal so schlechten Weitschüssen die englischen Schiffe zwangen, sich etwas mehr zurückzuhalten.

Später kreuzte der Verband Drakes vor Kap Sankt Vicente und plünderte das Kastell, wo der sagenhafte Prinz Heinrich, „der Seefahrer“, eine reichhaltige und einmalig kostbare Bibliothek über Navigation, Astronomie und das Seewesen zusammengetragen hatte. Die englischen Barbaren zeigten auch in diesem Falle keine sonderliche Rücksichtname, wie das in Zeiten der Gewalt so üblich ist. Vieles wurde ein Raub der Flammen.

Ja, alles das wußten die Seewölfe nicht. Ihr Kapitän hatte den Genuesen versprochen, sie dorthin zu bringen, wohin sie es wünschten, und das war die Hafenstadt Cartagene an der spanischen Mittelmeerküste, wo die genuesischen Kaufleute ein festes Handelskontor errichtet hatten und Kapitän Sulla weitere Unterstützung erhalten würde.

Hasard hätte die tapferen Genuesen auch bis nach Genua gebracht, aber Kapitän Sulla hatte das als für Hasard unzumutbar abgelehnt.

Sie hatten sich angefreundet, die beiden Kapitäne. Und fast war es so, als seien die genuesischen Seeleute voll in die Crew der Seewölfe integriert. Der Kutscher hatte sich ihrer Blessuren angenommen, und die Seewölfe hatten alles getan, um den Genuesen über den Verlust ihres Schiffes hinwegzuhelfen.

Die Meerenge von Gibraltar hatte die „Isabella“ unangefochten bei Nacht passiert. Dann steuerte Hasard nach Weisung Kapitän Sullas entlang der spanischen Küste, getarnt als Genuese, denn das hatten sie so vereinbart, falls spanische Kriegssegler allzu neugierig werden sollten.

Jetzt erst hatte Hasard Zeit, um mit seinen beiden Söhnen das längst fällige Hühnchen zu rupfen, obwohl der Zorn in ihm bereits abgeklungen war. Nur beschäftigte ihn sehr stark die Frage, wie die beiden „Rübenschweinchen“ – wie Carberry sie nannte – es geschafft hatten, aus der Vorpiek auszubrechen, in die sie Old O’Flynn weisungsgemäß eingesperrt hatte.

In Begleitung Carberrys und Old O’Flynns wurde mit Hasard und Philip Junior eine Ortsbesichtigung vorgenommen.

Großvater, Vater und der Profos hatten todernste Mienen aufgesetzt, und den beiden Bürschchen schwante nichts Gutes, als man den Marsch zur Vorpiek antrat.

Einen Ausbruchsversuch verhinderte der Profos, als die beiden Kerlchen nach Passieren des Schotts zum Vordeck plötzlich wie auf Verabredung kehrtmachten und unter Carberry, der hinter ihnen ging, durchzuschlüpfen versuchten.

Indessen kannte Carberry bereits so einige Tricks seiner beiden kleinen „Rübenschweinchen“ und war vorbereitet. Er langte mit seinen Riesenpranken links und rechts zu, erwischte die Zwillinge jeweils am Schlafittchen, hob sie mühelos hoch und trug die beiden zappelnden Gestalten der Einfachheit halber gleich bis zur Vorpiek, wo er sie abstellte, aber am Kragen weiter festhielt.

„So“, sagte Hasard und musterte seine beiden Knaben mit strengem Blick, „da wären wir also.“ Er räusperte sich, weil er das versteckte Grinsen in den Augen Carberrys und Old O’Flynns sah, und fuhr fort: „Ich möchte jetzt wissen, auf welche Weise ihr die Vorpiek, in die euer Großvater euch eingesperrt hatte, verlassen habt.“

„Hm“, sagte Hasard Junior.

„Hm“, sagte auch Philip Junior.

Und dann herrschte wieder Schweigen.

„Ich höre nichts“, sagte Hasard, „und ‚Hm‘ ist auch keine Antwort.“

Die beiden Kerlchen verständigten sich mit einem Blick, und Hasard Junior sagte: „Gibt’s wieder Hiebe?“

„Man beantwortete eine Frage nicht mit einer Gegenfrage, Söhnchen“, erwiderte Hasard, „und ob’s wieder Hiebe gibt, hängt ganz davon ab, wie ihr euch verhaltet. Also, ich will meine Frage näher erklären, damit ihr kapiert, um was es hier geht. Diese Vorpiek ist ein Raum, in den wir unsere Gefangenen einsperren …“

„Philip und ich sind keine Gefangenen“, erklärte Hasard Junior selbstbewußt und mit Trotz in der Stimme. „Wer uns einsperrt, dem büxen wir wieder aus, das ist – äh – Ehrensäbel.“

Ehrensäbel! Wo hatten sie denn nun diesen Ausdruck wieder her? Hasard runzelte die Stirn. Dieses Pärchen schnappte aber auch jeden Ausdruck auf, einschließlich der wilden Flüche und wüsten Bezeichnungen des grimmigen Carberry.

Ehrensäbel hin – Ehrensäbel her, Hasard sagte: „Vielleicht läßt du mich erst einmal ausreden, Sohn. Ich mag nicht gern unterbrochen werden, wenn ich etwas erkläre. Also, die Vorpiek ist der Raum für unsere Gefangenen. Wenn ihr es schafft, aus diesem Raum auszubrechen, dann sollte das auch eventuellen Gefangenen möglich sein. Das bedeutet, daß es dann für die Besatzung und unsere ‚Isabella‘ gefährlich wird. Wir haben solche Situationen schon erlebt. Darum ist es für uns wichtig, von euch zu erfahren, wie ihr das angestellt habt. Nur dann können wir dafür sorgen, daß die Vorpiek entsprechend abgesichert wird. Ist das klar?“

„Klar“, sagte Hasard Junior.

„Klar“, sagte Philip Junior.

Sie nickten sich zu, grinsten sich an und marschierten in die Vorpiek.

„Zuriegeln!“ befahl Hasard Junior.

Vater Hasard, Old O’Flynn und Carberry blieben draußen vor dem Schott. Carberry schob die beiden schweren Riegel vor, die oben und unten des Schotts befestigt waren.

„Da bin ich aber gespannt“, brummte Old O’Flynn und starrte auf das Schott und die Riegel.

Da tat sich überhaupt nichts.

Sie warteten, und es passierte immer noch nichts.

Die drei Männer starrten sich an und warteten weiter. Hasard kaute auf seiner Unterlippe herum.

„Wollen die uns verkohlen?“ fragte Carberry.

Etwa fünf Minuten waren vergangen. Hasard trat an das Schott und entriegelte wieder. Er betrat als erster die Vorpiek, Old O’Flynn und Carberry drängten nach.

Die Vorpiek war leer.

„Das gibt’s doch gar nicht“, murmelte Carberry fassungslos. „Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“

Hasard und Old O’Flynn waren ebenfalls völlig perplex.

Und dann krachte hinter ihnen das Schott zu, und sie hörten, wie die beiden Riegel vorgeschoben werden. Sie hörten aber noch mehr, nämlich das Kichern der beiden „Rübenschweinchen“.

„Hölle und Teufel!“ tobte Carberry los. „Wenn ihr das verdammte Schott nicht sofort öffnet, bezieht ihr die Senge eures Lebens, das verspricht euch der alte Carberry!“

Die beiden Knaben hinter dem Schott lachten sich halbtot, dann wurde wieder entriegelt, und das Schott schwang auf.

Hasard war es seinerzeit nicht aufgefallen, aber jetzt sah er es – und er roch es. Hasard Junior und Philip Junior waren pitschnaß, und sie stanken. Sie stanken nach Bilgewasser. Und damit wurde Vater Hasard klar, wie sie es geschafft hatten, die Vorpiek zu verlassen – durch die Bilge unter den Innenplanken entlang, die den Boden des untersten Decks bildeten. Sie mußten sozusagen direkt auf dem Kiel entlanggekrochen sein, und das war eine ganz beachtliche Leistung, weil sie Geschmeidigkeit, Abgebrühtheit gegen den Bilgeunrat und Mut verlangte.

 

Es waren schon Satansbraten, diese beiden. Hasard begann schallend zu lachen.

„Da lacht der noch“, brummte Old O’Flynn unwillig. „Darf ich vielleicht auch mitlachen?“ Er hatte noch nicht begriffen, wie der Ausbruch von den Zwillingen bewerkstelligt worden war.

Hasard Junior demonstrierte es.

Er trat wieder in die Vorpiek, feixte Old O’Flynn an, zog ein Messer, bückte sich und hebelte eine Bodenplanke an. Darunter schwappte das Bilgewasser. Wie eine Schlange schlüpfte und zwängte er sich durch den Spalt, stieß das Messer von unten in die zur Seite geschobene Planke, rückte sie an die alte Stelle – und war weg.

Hasard verließ die Vorpiek und betrat den Gang, der zur Vorpiek führte. Gespannt schaute er dort auf die Bodenplanken. Eine Minute später wurde an einer Stelle eine Planke von unten hochgestemmt, und der schwarze Schopf seines Sohnes tauchte auf. Als er den Spalt verließ, brachte er eine tote Ratte mit. Die war noch nicht lange tot, weil sie blutete. Der Junior hielt sie am Schwanz fest und erklärte lakonisch, die sei ihnen vorhin „über den Weg gelaufen“.

Das Rätsel ihres Ausbruchs war also gelöst. Philip Junior hatte ebenfalls ein Messer. Damals hatten sie beide mit den Messern die betreffenden Bodenplanken in harter Arbeit gelockert und dann ausgehoben. Ferris Tucker würde die Nägel erneuern müssen, die faßten natürlich nicht mehr.

Aber eins war klar: Ein ausgewachsener Mann würde auf diesem Wege niemals ausbrechen können. Er würde in der Bilge steckenbleiben und vermutlich auch ersticken oder absaufen. Nur Jungen von der Größe, aber auch Verwegenheit der Zwillinge war es möglich, sich durch diesen Fluchtweg zu winden und zu schlängeln. Und Nerven gehörten dazu.

Das alles begriffen jetzt auch Old O’Flynn und Ed Carberry. Und sie staunten. Die angedrohte Senge war längst vergessen.

„Das – das ist das Tollste, was mir je untergekommen ist“, bekannte der Profos kopfschüttelnd. „Kriechen diese beiden Rübenschweinchen einfach durch die Bilge wie lausige Kakerlaken. Wenn das der alte Tucker hört, bringt er es glatt fertig und vernagelt auch noch die Bilge. Aber unsereiner würde auf diese Weise nie türmen können, was, wie?“

„Das dachte ich auch schon“, sagte Hasard. „Nehmen wir aber an, unter eventuellen Gefangenen befindet sich ein Junge, dann müssen wir damit rechnen, daß er auf diesem Wege seine Leute befreit, vorausgesetzt, sie haben irgendein Werkzeug wie die Messer meiner Söhne, um eine Planke zu lockern. Ed, denke daran, wir können Gefangene gar nicht scharf genug kontrollieren und untersuchen, ob sie Waffen oder Werkzeuge bei sich haben.“

Carberry nickte. „Geht klar, Sir.“ Er grinste die beiden Kerlchen an. „Schätze, ich stopfe euch jetzt in einen Zuber mit heißem Wasser. Ihr stinkt ja wie vergammelte Kanalratten. Marsch, ab mit euch! Der Kutscher soll heißes Wasser bereiten und Schmierseife herausrücken, verstanden?“

„Geht klar“, sagte Hasard Junior lässig.

„Geht klar“, sagte auch Philip Junior lässig.

Beide schoben ab. Hasard Junior schlenkerte die tote Ratte.

„He!“ rief Carberry. „Wo willst du mit dem Biest hin?“

„Zum Kutscher“, erklärte Hasard Junior über die Schulter.

„Wieso das denn?“

„Haben Vertrag mit dem Kutscher“, erwiderte Hasard Junior in einem Ton, als ginge das den Profos einen feuchten Dreck an.

„Was für einen Vertrag, verdammt?“ knurrte Ed Carberry.

„Na, eben ’n Vertrag, Himmelarsch!“

Carberry duckte sich und fauchte: „Ich will wissen, was das für ein Vertrag ist, Mann!“

Der „Mann“ grinste. „Für jede tote Ratte dürfen Philip und ich mal in die Kandisdose langen.“

„Aha“, sagte Carberry verdattert.

„Jawohl“, sagte Hasard Junior.

„Jawohl“, sagte auch Philip Junior und fügte hinzu: „Wir haben schon siebzehnmal in die Kandisdose gelangt.“ Und dann sagte er „Au!“, weil ihm sein Bruder auf die Zehen getreten war.

Carberry schob mißtrauisch den Kopf vor. „Was sollte das denn nun wieder? Schummelt ihr etwas? Betrügt ihr den Kutscher und klaut ihm die jeweils abgelieferte Ratte, was, wie? So viele Ratten gibt’s nämlich gar nicht auf unserer alten Tante.“

„Hast du sie denn gezählt, Mister Profos, Sir?“ fragte Hasard Junior schlagfertig.

Das hatte Carberry allerdings nicht, und er konnte es auch gar nicht, weil es ein Ding der Unmöglichkeit war. Da saß er also ganz schön in der Patsche.

Und daher sagte er nur: „Wenn ich mitkriege, daß ihr den Kutscher mit euren toten Ratten leimt und sie ihm zwei- oder gar dreimal andreht, dann gibt’s keinen Kandis mehr zu kosten, sondern das Tauende, klar?“

„Wir sind Männer von Ehre“, erklärte Hasard Junior.

„Jawohl, wir sind Männer von Ehre“, sagte auch Philip Junior, „das ist Ehrensäbel!“

Und damit schoben sie endgültig ab.

„Söhne hast du“, sagte Old O’Flynn kopfschüttelnd. „Ich weiß gar nicht, wo das noch hinführen soll.

Das wußte Philip Hasard Killigrews allerdings auch nicht.

„Die landen noch mal im Tower“, prophezeite Old O’Flynn düster.

„Quatsch“, sagte Edwin Carberry. „Und wenn schon. Die schaffen es auch, aus dem Tower wieder auszukneifen.“

„Glaub ich auch“, sagte Hasard.

Die Beute rissen die Seewölfe erst bei den Azoren. Da hatten sie die Genuesen unter Kapitän Sulla längst in Cartagena abgesetzt, und Hasard hatte – wie versprochen – Kapitän Sulla im Einverständnis mit seiner Crew eine kleine Truhe überreicht, deren Inhalt an Perlen und Schmuckstücken den Wert des gesunkenen Siebenhundert-Tonners bei weitem überstieg.

Unbemerkt hatten sie dann wieder Gibraltar passiert, aber nordwärts steuernd – weit abgesetzt von der spanischen Küste – waren sie in einen Sturm geraten, der aus Nordosten heranpfiff und drei Tage und drei Nächte dauerte.

Zähneknirschend war Hasard vor dem Sturm hergelaufen. England rückte wieder in weite Ferne.

Als der Sturm dann abflaute, stand die „Isabella“ bei den Azoren vor Sao Miguel, und es war der 18. Juni – ein Tag, der wieder Sonne und ein handiges Lüftchen brachte, also ein Wetterchen, das alles an Mühsal und Plackerei wieder vergessen ließ.

Und eine weitere Entschädigung segelte von Süden in Form einer überladenen, riesigen portugiesischen Karacke heran. Ja, sie war so überladen, daß sie ihre Güter sogar an Deck gestaut hatte. Und darum waren auch ihre Kanonen abmontiert worden – ein sträflicher Leichtsinn, wie Hasard meinte.

Dieser fette Happen war ebenfalls in den Sturm geraten und ziemlich zerzaust. Seine Besatzung war demoralisiert, und der portugiesische Kapitän strich ergeben die Flagge, als er von Hasard freundlich dazu aufgefordert wurde.

Die Karacke hieß „San Felipe“, und sie barg – wie das Enterkommando feststellte – eine hübsche Menge von Gold, Silber und randvolle Kisten mit Juwelen aus Indien sowie Pfeffer, Zimt, Nelken, Kaliko, Seide und Elfenbein.

Da war guter Rat teuer, denn die „Isabella“ war selbst knüppelvoll. Hasard überlegte ernsthaft, ob er diesen Brocken bis auf die Juwelen nicht wieder sausen lassen sollte. Irgend etwas störte ihn auch. Er hatte diese Karacke „so im Vorbeigehen“ erwischt und kampflos besetzt. Das war das eine.

Das andere war tatsächlich die nüchterne Überlegung, daß sie, die Seewölfe, satt an Beute bis zum Platzen waren. Sie gehörten nicht zu jenen, die den Hals nicht voll genug kriegen konnten und dennoch stopften und stopften, bis sie daran erstickten.

Das alles behagte Philip Hasard Killigrew überhaupt nicht, und er wurde wütend über sich selbst, weil er seine Unschlüssigkeit verdammte.

„Was ist los?“ fragte Ben Brighton, der Hasards Zaudern bemerkte.

„Mann“, sagte Hasard schroff, „wir sind bis zum Kragen voll. Kannst du mir mal erzählen, wo wir mit dem ganzen Kram hinsollen?“

„Ach so.“ Ben Brighton rieb sich den Nasenrücken. Dann grinste er. „Mal was anderes, wie? Erst halten wir den fetten Kahn an, schicken unser Enterkommando ’rüber, merken, daß wir uns an dem überfuttern – und lassen ihn wieder laufen.“

„So ähnlich.“ Hasard starrte zu der „San Felipe“, wo Carberry auf weitere Befehle wartete.

Es kam alles ganz anders, wie der Zufall so spielt.

Dieses Mal hatte Dan O’Flynn mal zur Abwechslung von seinen Navigationsaufgaben den Ausguck im Großmars übernommen. Seine Augen waren bekanntlich die schärfsten an Bord der „Isabella“.

„Deck!“ rief er scharf. „Schiffsverband im Osten! Segelt auf uns zu!“

Hasard wirbelte herum und setzte das Spektiv ans rechte Auge. An der östlichen Kimm standen feine Nadelspitzen. Er ließ das Spektiv wieder sinken, sprang an das Schanzkleid der Steuerbordseite und rief zur „San Felipe“ hinüber: „Ed! Zurück an Bord! Sofort! Dan hat einen Schiffsverband ostwärts gesichtet!“

Fünf Minuten später war das Enterkommando zurück.

„Deck!“ schrie Dan O’Flynn vom Hauptmars, Aufregung in der Stimme. „Voraus segelt die ‚Elizabeth Bonaventura‘! Ich erkenne sie genau. Es ist Admiral Drakes Verband!“

„Was will der denn hier?“ fragte Ben Brighton fassungslos. „Muß der uns überall hinterherrennen?“

Hasard zuckte mit den Schultern, und dann glitt plötzlich ein breites Lächeln über sein Gesicht. Er schlug die rechte Faust in die linke Handfläche.

„Das ist es, Ben, genau das ist es!“ sagte er.

„Was ist was?“

„Wir schenken dem Admiral die ‚San Felipe‘!“

„Bist du verrückt?“

„Nein! Mann, kapierst du nicht? Wir verpassen ihm damit eine Ohrfeige. Die ‚San Felipe‘ ist unsere Beute – aber wir sind ja so großzügig. Wir überlassen sie ihm, gnädig wie wir sind, verstehst du?“

Jetzt begann auch Ben Brighton zu grinsen. „Das ist gut, das ist sehr gut. Das beweist, daß wir es gar nicht nötig haben, noch fette Brocken zu schlucken. Ob er das kapiert?“

„Klar kapiert er das, Ed Carberry wird ihm nämlich allein entgegensegeln – mit der Jolle, so allein wie damals, nachdem ihn Doughty über Bord gestoßen hatte. Und Ed wird dem Admiral das Geschenk präsentieren!“ Hasard fuhr herum. „Ed! Laßt die Jolle noch unten. Komm ’rauf, ich hab dir was zu sagen!“

Der Profos enterte den Niedergang zum Achterdeck hoch, bereit zum Befehlsempfang. Als es ihm Hasard gesagt hatte, zeigte er sein wüstes Grinsen, vor dem es einen grausen konnte.

„Das wird ein Spaß“, sagte er und rieb sich die Pranken.

Fünf Minuten später segelte er mit der Jolle dem Flaggschiff des Admirals entgegen, mit nacktem, muskulösem Oberkörper, ein Mann aus Eisen und so grimmig wie der Tod. Dieses grimmige Grinsen blieb wie eingefroren in seinem wüsten, narbigen Gesicht.

Er kreuzte einfach den Kurs des Flaggschiffes, so daß es gezwungen wurde, in den Wind zu gehen und die Segel aufzugeien.

„Mann!“ brüllte Francis Drake von Achterdeck hinunter. Er hatte Carberry längst erkannt – und an der Kimm auch die „Isabella“. „Was spazieren Sie denn hier allein im Atlantik herum?“

„Sir!“ brüllte Carberry zurück. „Das brauche ich manchmal, seit ich damals im Stillen Ozean allein mit einem Boot der ‚Golden Hind‘ spazierengehen mußte. Erinnern Sie, Sir? Ich hab mich damals so daran gewöhnt, daß ich das jetzt jeden Monat einmal brauche, sonst drehe ich durch.“

„Sind Sie verrückt?“

„Nein, Sir, ich bitte an Bord kommen zu dürfen!“

„Wollen Sie wieder stänkern?“

„Aber Sir! Ich habe noch nie gestänkert. Mein Kapitän schickt mich. Er wäre gern selbst erschienen, aber er muß dahinten aufpassen wegen des Dingsda!“

„Was für ein Dingsda?“

„Das soll ich Ihnen ja gerade melden, Sir. Mein Genick wird allmählich steif, Sir!“ Daß Carberry dabei so höllisch grinste, bewies, daß sein Genick keinesfalls steif war.

Aber der Admiral ließ dennoch eine Jacobsleiter ausbringen. Carberry, er hatte das Segel gestrichen, wriggte die Jolle an die Jacobsleiter, vertäute sie dort und turnte die Sprossen hoch.

„Melde mich an Bord, Sir“, sagte er artig, als er vor dem Admiral stand. „Hatten Sie eine gute Zeit vor Spaniens Küsten?“

„Profos, Profos“, sagte der Admiral, „ich nehme nicht an, daß mich Ihr Kapitän das fragen wollte. Also?“

 

„Ich meine, Sir, mit meiner Frage, ob Sie den Dons viel haben wegschnappen können. Hat es sich gelohnt – so wie damals mit der ‚Cacafuego‘, die wir dann in ‚Silberkacker‘ umtauften, erinnern Sie noch, Sir?“

„Ja, ich erinnere mich“, erwiderte der Admiral etwas unwirsch. „Wenn Sie es genau wissen wollen, eine solche Beute ist mir noch nie wieder vor den Bug gelaufen – leider.“

Carberry grinste.

„Doch“, sagte er, „nämlich jetzt! Empfehlung von Kapitän Killigrew, Sir. Wir haben dort hinten bei Sao Miguel so einen fetten Brocken aufgebracht – eine Karacke. Sie hat Gold, Silber, Juwelen, Pfeffer, Zimt, Nelken, Kaliko, Seide und Elfenbein bis über die Luken geladen. Ich habe mich selbst davon überzeugen können, weil ich das Enterkommando führte, Sir.“

Der Admiral starrte den Profos mit offenem Mund an.

„Jawohl, Sir“, fuhr Carberry fort, „den Brocken haben wir also aufgebracht, und Kapitän Killigrew bewacht ihn solange, bis Sie da sind. Er möchte Ihnen die Karacke als Geschenk überreichen, Sir, denn wir können mit der Ladung nun wirklich nichts mehr anfangen, weil wir selbst bis zur Oberkante unserer Luken voll sind. Aber Sie freuen sich doch sicherlich, oder?“

Der Admiral sah ziemlich rot aus.

„Oder freuen Sie sich nicht, Sir?“ fragte Carberry freundlich und mit seinem wüsten Grinsen. „Aber Sie sollten sich freuen, denn wie Sie eben sagten, scheint Ihr Raid vor Spanien nicht allzuviel eingebracht zu haben, was, wie?“

Der Admiral schluckte, dann räusperte er sich die Kehle frei, schluckte wieder und quälte sich ein Lächeln ins Gesicht.

„Danke, Mister Carberry, vielen Dank! Meine Empfehlung an Kapitän Killigrew. Ich – äh – nehme sein Geschenk an.“

Carberry strahlte. „Ich bin entzückt, Sir. Habe ich nicht einen feinen Kapitän, Sir?“

„Äh – ja, das haben Sie, Mister Carberry“, quetschte der Admiral heraus, jetzt bereits sichtlich nervös. Er spähte voraus, wie um sich zu vergewissern, ob ihm die Beute auch nicht entginge.

„Ich melde mich von Bord, Sir“, sagte Carberry, „und freue mich, daß Sie so kampflos und ohne viel Mühe und Bedrängnis so eine andere Art ‚Silberkakker‘ einstreichen können. Das freut auch meinen Kapitän ganz besonders und alle Männer von der ‚Isabella‘, die jederzeit bereit sind, für Sie Ihr Leben in die Schanze zu schlagen. Aber das wissen Sie ja, nicht wahr, Sir?“

Der Admiral nickte nur stumm – und steckte den Hohn ein, der aus den Worten des Profos sprach.

Ed Carberry enterte ab.

Und der Admiral segelte einer Beute entgegen, die, wie sich später herausstellte, einen Wert von 114000 Pfund Sterling hatte. Und das war eine Summe, die den Wert aller gekaperten, versenkten oder verbrannten Schiffe und Ladungen in der Bucht von Cadiz um das Dreifache überstieg.

Der Kapitän Killigrew hatte dem Admiral Drake ein wahrhaft königliches Geschenk übergeben …