Seewölfe Paket 8

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3.

Do Velho stand immer noch am Backbordschanzkleid auf dem Achterdeck seines Viermasters und suchte mit dem Spektiv die Küste ab. Seine Haltung versteifte sich plötzlich, als er etwas weiter südlich die Lücke entdeckte, die im grauschwarzen Gestein der Steilküste klaffte. Diese Öffnung konnte man leicht übersehen, denn in ihrem Hintergrund erstreckte sich der gleiche schroffe, zerklüftete Fels mit derselben Farbe, so daß sich die Passage selbst im Fernrohr kaum von dem eintönigen Einerlei der ganzen unwirtlichen Uferregion abhob.

Do Velho hatte jedoch festgestellt, daß die Öffnung in eine Bucht führte. Ohne das Spektiv sinken zu lassen, erteilte er seinen Befehl. „Bootsmann, sofort abfallen und Kurs auf die Einfahrt der Bucht nehmen.“ Er streckte die rechte Hand aus und wies auf seine Entdeckung, damit auch Ignazio darauf aufmerksam wurde.

„Das scheint nur eine kleine Bahia zu sein, Senor“, sagte der Mann aus Porto. „Und bei der geringen Wassertiefe werden wir ohnehin Schwierigkeiten haben, die Einfahrt zu durchsegeln.“

„Wir pirschen uns ganz vorsichtig heran“, sagte do Velho. „Gib den Kapitänen der ‚Santa Angela‘ und der ‚Sao Joao‘ ein Signal, daß sie in Kiellinie hinter uns hersegeln.“

„Si, Senor.“

„Ich will wissen, was es mit dieser Bucht auf sich hat. Vielleicht haben sich Schiffbrüchige der ‚Sao Sirio‘ dort hinein retten können. Vielleicht warten sie auf uns.“

„Senor“, sagte Ignazio. „Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber was ist, wenn nicht die Männer der Galeone, sondern jemand anders dort auf uns wartet?“

„Zum Beispiel?“

„Ich will nicht sagen, der Seewolf, Senor, aber es gibt genug andere Freibeuter, die diesen Küstenstrich verunsichern. Darauf wurden wir doch auch in Lissabon hingewiesen, wenn ich mich nicht irre.“

Do Velho beschrieb eine fast joviale Geste zu seinem Bootsmann hin. „Donnerwetter, Ignazio, das nenne ich einen Geistesblitz. Ausnahmsweise muß ich einmal eingestehen, daß du recht haben könntest. Himmel, es wäre schon ein ungeheuerlicher Zufall, wenn wir hier tatsächlich Killigrew und seinen Bastarden begegnen würden. Ich glaube einfach nicht daran. Aber wir müssen für den Ernstfall gerüstet sein, selbst wenn nur eine lächerliche Seeräuber-Schaluppe versucht, uns aufzulauern.“

„Also rüsten wir zum Kampf?“

„Schiff klar zum Gefecht“, sagte do Velho.

Ignazio eilte zunächst zum Rudergänger und gab ihm den neuen Kurs an, dann teilte er den Offizieren, dem Profos und dem Schiffsvolk die Order des Kommandanten mit. Die Rahen der „Candia“ wurden geradegestellt, das Schiff legte sich platt vor den Wind, aus den Toppen wurde der „Santa Angela“ und der „Sao Joao“ signalisiert, wie sie sich zu verhalten hatten.

Dann trappelten Schritte über Deck, bewegte sich ein Wirrwarr von Gestalten auf der Kuhl auf und ab. Über die Niedergänge hasteten die Seeleute und die Soldaten auch zum unteren Batteriedeck, und kurz darauf wurden die Stückpforten hochgezogen. Rumpelnd rollten die Kanonen aus. Die Stückmeister, Geschützführer und Gehilfen nahmen an ihren genau vorgeschriebenen Plätzen Aufstellung. Pützen und Kübel mit Seewasser zum Befeuchten der Wischer wurden bereitgestellt, Kellen, Kratzer, Ansetzer, Borstenschwämme und anderes Ladegerät wurden rasch verteilt. Im Nu breitete sich eine fiebrige Atmosphäre aus.

Lucio do Velho war an die vordere Schmuckbalustrade des Achterdecks getreten und wohnte diesem Schauspiel bei. Er, der studierte Mann, der Mime aus Passion, konnte sich immer wieder an dieser großartigen Szenerie begeistern. Gab es eine überzeugendere Demonstration von Macht, etwas Überwältigenderes als ein schwimmendes Meisterwerk der Baukunst, aus dessen offenen Stückpforten drohend die Kanonenmündungen hervorlugten?

Zwanzig bronzene 17-Pfünder-Culverinen befanden sich auf der Kuhl der „Candia“, auf dem darunter befindlichen Batteriedeck stand noch einmal die gleiche Zahl von Geschützen desselben Kalibers bereit. Eine Armierung, mit der die „Candia“ fast jedem anderen Schiff haushoch überlegen war.

Die Klippfelsen schienen auf den Viermaster zuzugleiten. Do Velho erteilte wieder seine Kommandos. Er ließ mehr Zeug wegnehmen und schickte einen Mann auf die Galionsplattform, der auf dem Bauch liegend fortwährend die Wassertiefe ausloten und aussingen mußte.

Untiefen, Felsenriffe mit messerscharfen Auswüchsen – davor hatten do Velho und seine Mannschaft sich im Augenblick am meisten zu fürchten. Aber der Kommandant ging das Risiko ein. Eine merkwürdige Unruhe hatte ihn erfaßt, er folgte einem schwer zu erklärenden inneren Antrieb und wußte, daß seine Anspannung erst wieder nachließ, wenn er die Felsbucht erkundet hatte.

Keine Kabellänge trennte die „Candia“ jetzt mehr von der Einfahrt zur Bucht. Do Velho blickte wie gebannt voraus. Nur noch mit Großsegel und Blinde näherte sich die „Candia“ ihrem Ziel.

„Fünf Faden“, sang der Mann auf der Galionsplattform aus.

„Ignazio“, sagte do Velho.

Der Bootsmann fuhr zu ihm herum, do Velho winkte ihm zu, und sie stiegen beide auf die Kuhl hinunter, überquerten sie, klommen die Back hoch und gingen bis nach vorn an die Balustrade, von wo aus sie den besseren Ausblick hatten.

„Die Wassertiefe!“ rief der Kommandant.

„Fünf Faden, Senor“, erwiderte der Mann, der das Senkblei bediente.

„Gleichbleibende Tiefe“, sagte Lucio do Velho. „Ausgezeichnet. Wir dürfen hoffen, daß wir bis in die Bucht gelangen. Wir befinden uns jetzt direkt vor der Passage und können in die Bucht spähen. Was siehst du?“

Der Mann aus Porto hob das Spektiv ans Auge, hielt angestrengt Ausschau und verkündete dann: „Felsen, nichts als Felsen, Senor Comandante.“

„Was schließt du daraus?“

„Daß sich niemand in der Bucht befindet.“

„Aber es könnte einen toten Winkel geben, den wir von hier aus nicht einsehen. Wir werden auch den erkunden. Ignazio, ist auch auf den Felsen kein menschliches Wesen zu sehen?“

„Nein, Senor.“

Do Velho blickte selbst durchs Rohr und befand, daß die Landschaft rund um die Bucht tatsächlich trostlos und verlassen erschien.

„Al diablo“, murmelte er. „Wie ist das nun eigentlich – sind sämtliche Männer der ‚Sao Sirio‘ ertrunken, oder haben sie Angst, sich uns zu zeigen?“

Nördlich der Buchteinfahrt erhoben sich die mächtigsten Klippfelsen, und genau dahinter hatte der Seewolf seine „Isabella“ jetzt gesteuert, sonst hätten do Velho und seine Leute mittlerweile zumindest die Mastspitzen der Galeone gesichtet.

So aber lag die „Isabella“ für eine Weile völlig versteckt. Sie dümpelte nahe der Felsenmauer, die die Bucht zur See hin abschirmte, und lief nur ganz wenig Fahrt. Weder Bill noch sonst jemand an Bord konnte den Gegner in diesen Minuten sehen, das war der Nachteil des Manövers, jedoch im Vergleich zu allen Widrigkeiten, die noch eintreten konnten, ein Handikap, das man verkraften konnte.

Hasard stand auf dem Achterdeck unweit des Besanmastes. Ben Brighton, Ferris Tucker und die beiden O’Flynns befanden sich in seiner Nähe. Big Old Shane war mit Pfeil und Bogen in den Großmars zu Bill aufgeentert, Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, hatte den Vormars erklommen.

Smoky und Al Conroy hatten auf Hasards Anweisung hin auf der Back an den beiden vorderen Drehbassen Position bezogen. Carberry und der Rest der Crew hielten sich auf der Kuhl zum Einsatz bereit. Rudergänger Pete Ballies Hände verkrampften sich ein wenig um das Ruderrad der „Isabella“. Er wußte, daß er, wenn es hart auf hart ging, eine Meisterleistung zu vollbringen hatte.

„Sie kommen“, sagte Hasard. „Daran besteht kein Zweifel mehr. Als wir sie zum letztenmal gesehen haben, haben sie Direktkurs auf die Bucht genommen. Die ‚Candia‘ segelt ihren beiden Begleitern voran.“

„Das gibt ein Wiedersehen“, versetzte Ben Brighton grimmig. „Ich möchte wirklich wissen, wie der Hundesohn do Velho es fertiggebracht hat, sein Fell zu retten. Nach menschlichem Ermessen hätte er bei dem Kampf in der Walfisch-Bucht krepieren müssen.“

„Und mit ihm sein verdammter Bootsmann“, sagte Ferris Tucker. „Haben die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, daß sie immer wieder mit einem blauen Auge davonkommen, oder was ist los?“

„Vielleicht sind sie wirklich mit Satan und den Dämonen der Hölle im Bund“, orakelte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Ich habe ja stets gesagt, es geht nicht mit rechten Dingen zu, daß diese Himmelhunde es schaffen, sich immer wieder an unsere Fersen zu heften. Seit Formosa sind sie jetzt hinter uns her, um den halben Erdball sind sie uns gefolgt. Die müssen magische Kräfte haben, Männer, und …“

„Hör doch auf“, fiel sein Sohn ihm ins Wort. „Selbstverständlich gibt es für alles eine vernünftige Erklärung. Ich begreife nicht, wieso du immer wieder deine Spukgeschichten auspacken mußt, Dad, das ist doch nun wirklich nicht angebracht.“

„Was?“ zischte der Alte. „Fängst du jetzt auch schon an, mich zu kritisieren? Habt ihr Halunken denn alle keinen Respekt mehr vor einem weisen, erfahrenen Seemann?“

„Ich finde, es ist richtig, frei von der Leber weg zu reden“, entgegnete sein Sohn. „Keiner kann deine Gruselmärchen verkraften, Dad. Du solltest wirklich endlich damit aufhören, dieses Zeug zu verbreiten.“

„Also, das schlägt doch dem Faß den Boden aus“, ächzte Old Donegal.

„Ich hätte am besten gar nicht erst vom Teufel gesprochen“, meinte Ferris.

„Schluß jetzt“, sagte der Seewolf. „Ihr könnt das von mir aus später erörtern. Ben, es ist klar, daß wir unter normalen Umständen kreuzen würden, um die Bucht zu verlassen und auf die offene See hinauszugelangen. Wir haben den Wind ungünstig von Nordwesten, und deshalb gibt es nur eine Möglichkeit, dem Feind ein Schnippchen zu schlagen. Rammen können wir ihn nicht, es wäre das Dümmste, was wir tun könnten. Nein, wir lassen ihn lieber passieren und rauschen dann mit Kurs Südwesten hart am Wind aus der Bucht, klar?“

 

„Aye, Sir. Hauptsache, auch do Velho geht auf dieses Spielchen ein“, entgegnete Ben trocken.

„Er liegt mit seinem Schiff platt vor dem Wind, und auch mit wenig Zeug hat er noch immer so viel Fahrt drauf, daß er mit vier, fünf Knoten Geschwindigkeit in die Bucht eindringt.“

„Und wir?“

„Wir nutzen zuerst das bißchen Wind aus, das über den Klippfelsen wegstreicht. Dann, in der Passage, setzen wir jeden Fetzen, meinetwegen auch dein Hemd und deine Hose, Ben Brighton.“

Ben grinste. „In Ordnung, Sir. Wird schon schiefgehen, das Ganze.“

Die „Isabella“ dümpelte weiter. Stille breitete sich an Bord aus, das Rauschen des Wassers an den Bordwänden, das leise Knarren der Blökke und Rahen klang überlaut.

Bill, der Moses, hockte im Großmars neben Big Old Shane und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß doch alles klappen möge. Im Logis saßen Philip und Hasard, die Söhne des Seewolfs, nebeneinander auf einer der Kojen und kneteten die Hände, denn auch sie hatten begriffen, daß etwas außerordentlich Schwerwiegendes bevorstand. Bei Sturm oder vor einem Gefecht schickte ihr Vater sie grundsätzlich ins Vorschiff, und von dort rührten sie sich auch nicht fort, denn jüngst vor Cadiz hatten sie erfahren, was es hieß, zu naseweis zu sein.

Hoch oben auf den Klippfelsen kauerten immer noch die Abuela Brancate sowie die Mädchen Josea, Segura und Franca hinter den mächtigen Steinquadern. Sie hielten in diesem Augenblick alle vier den Atem an, denn die „Candia“ schickte sich gerade an, die Buchteinfahrt zu durchqueren. Natürlich war auch der Alten und den Mädchen klar, was ihren Freunden, den „Corsarios ingléses“, jetzt blühte.

Hasard blickte zur Einfahrt. Zu seiner Rechten ragten die Felsen wie drohende Giganten auf.

Der Bugspriet des Viermasters erschien, er brachte eine prall geblähte Blinde mit, zog eine rauschende Bugwelle schräg unter sich nach, den Bug und Vorsteven, die Galion, die Galionsplattform mit der Gestalt eines liegenden Mannes darauf, und danach erschien der Namenszug des feindlichen Seglers im Blickfeld der Seewölfe: „Candia“.

Hasards Hand flog hoch. Auf sein Zeichen hin lösten die Männer das Vormars- und Großmarssegel aus dem Gei. Genug Wind strich flach über die Klippfelsen, um diese Segel zu füllen. Die „Isabella“ beschleunigte, krängte ein wenig nach Backbord und lief genau auf die „Candia“ zu, die nun in ihrer ganzen Größe und Pracht aus der Felsenöffnung auftauchte.

Lucio do Velho und sein Bootsmann Ignazio standen auf der Back des Schiffes, Hasard und seine Männer konnten sie in aller Deutlichkeit erkennen.

Do Velhos Kopf flog herum, er erstarrte und war fassungslos. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte er sich auszumalen gewagt, daß er den verhaßten Gegner ausgerechnet in dieser Bucht antreffen würde. Er war geschockt – und genau dieser Umstand zögerte alles, seine Entscheidung, sein Handeln, die offene Auseinandersetzung, um Augenblicke hinaus.

Schneller lief die „Isabella“ auf die Passage zu. Die Steinbarriere glitt an ihr vorbei, die Einfahrt öffnete sich mehr und mehr, der Wind nahm zu – Hasard gab seinen Männern durch eine Gebärde zu verstehen, sie sollten Vollzeug setzen.

Fast war die „Candia“ an der „Isabella“ vorbei, da hatte Lucio do Velho sich gefaßt und brüllte: „Feuer!“

Die Geschützführer auf der Backbordseite senkten ihre Luntenstöcke auf die Bodenstücke der Culverinen. Nur die achteren vier Kanonen des oberen und unteren Batteriedecks wurden gezündet, alle übrigen konnten auch durch einen raschen Schwenk nicht mehr in Zielposition auf die „Isabella“ gebracht werden.

„Feuer!“ tönte nun auch der Ruf des Profos’ der „Candia“. Die Kanonen spien ihre tödliche Ladung aus und ruckten auf ihren Lafetten zurück, bis die Brooktaue den Rückstoß abfingen. Achtfaches Feuer orgelte auf die „Isabella“ zu und sprang sie mit Urgewalt an.

Hasard und seine Männer lagen in dieser Sekunde bereits flach an Deck und deckten die Köpfe mit den Händen ab. Der Abstand zwischen beiden Schiffen vergrößerte sich noch, als die Kugeln auf die „Isabella“ zurasten. Dann waren sie heran und jagten den Seewölfen allein durch ihr Pfeifen und Heulen kalte Schauer über den Rücken.

Sechs Kugeln aus den weiter vorn gelagerten Geschützen der „Candia“ strichen wirkungslos hart an Backbord der „Isabella“ vorbei. Zwei trafen. Sie rasierten an der Bordwand entlang und über das Schanzkleid weg und spell-ten die hölzerne Haut der Galeone auf. Es krachte, barst und splitterte, und ein feiner Ruck lief durch das ganze Schiff.

Carberry brüllte nicht, Carberry sprach nicht – Carberry flüsterte.

„Zum Teufel mit dir und deiner Bande von Bastarden, do Velho“, raunte er, während er sich zwei Yards vom Großmast entfernt hinter die Lafette eines 17-Pfünders duckte und darauf wartete, daß die Trümmer auf ihn und die anderen Männer niederprasselten.

Dann war es vorbei.

Schaden hatten die zwei Kugeln der „Candia“ angerichtet, aber sie hatten keinen der Männer getötet, nicht einmal Verletzungen durch ihre Eisensplitter hervorgerufen, als sie zersprungen waren.

Hasard war auf den Beinen und schrie: „Feuer!“

Carberry sprang wie ein Tiger auf, war neben Jeff Bowie und entriß diesem die Lunte für eine der Backbord-Culverinen.

Ferris Tucker war hinter seine „Höllenflaschenabschußkanone“ gekrochen, hob jetzt den Kopf und zündete die erste Flasche, die fix und fertig in der hölzernen Pfanne der Schleudervorrichtung ruhte.

Im Groß- und Vormars züngelten Feuerlanzen auf. Sie wurden durch die mit ölgetränkten Lappen umwikkelten Pfeilspitzen verursacht, die Big Old Shane und der Gambia-Mann in Brand gesetzt hatten.

Hasard und Ben stürzten an die achteren Drehbassen. Sie schwenkten die Hinterlader auf ihren Gabellafetten herum und zielten auf das Schiff des Erzfeindes.

Edwin Carberry hielt die glimmende Lunte an die Öffnung des Zündkanals im Bodenstück der Culverine. Knisternd fraß sich die Glut bis zum Zündkraut durch. Der Profos kniete immer noch hinter dem Geschütz und justierte es mit größtmöglicher Präzision – auf die Gefahr hin, daß es losdonnerte und ihn im Zurückrollen überfuhr und zerquetschte.

Buchstäblich im letzten Augenblick wich der Profos zur Seite. Die Culverine spuckte brüllend ihre Ladung aus, dann wummerten auch zwei andere Geschütze der Backbordseite los, die von Matt Davies und Blacky gezündet worden waren.

Es hatte keinen Zweck, mit den weiter vorn befindlichen 17-Pfündern noch auf Lucio do Velhos Flaggschiff zu feuern. Der Viermaster segelte bereits außerhalb der Reichweite dieser Kanonen.

Die „Isabella“ drang in die Passage zwischen den turmhohen Felsen ein und hatte mit einemmal die anderen beiden Gegner vor sich: die „Santa Angela“ und die „Sao Joao“.

„Feuer!“ schrie der Seewolf erneut.

Im selben Moment hieben die Kugeln der „Isabella“-Geschütze in die Heckpartie des feindlichen Viermasters. Carberrys Kugel war die erste. Sie zertrümmerte dem Portugiesen einen Teil der Heckpartie, ein Weiteres besorgten den Bruchteil einer Sekunde später die beiden anderen Geschosse. Fast die gesamte Heckpartie brach der „Candia“ weg, und dann zerklirrten auch ihre Heckfenster, knackten ein paar Yards Schanzkleid weg, wirbelte eine der drei Achterlaternen durch die Luft. In hohem Bogen segelte sie über den Abschluß des Achterkastells und klatschte schließlich ins Wasser.

Hasard und Ben zündeten die Ladungen der achteren Drehbassen. Zweimal rasch hintereinander krachte es, weiße Qualmwolken pufften hoch – und dann jubelten die Seewölfe, denn auch diese beiden Kugeln fanden ihr Ziel. Sie hieben der „Candia“ in die Besanrüsten der Backbordseite. Das Holz knickte weg, die Wanten lösten sich.

Nicht nur das stehende Gut, auch das Rigg der „Candia“ geriet in Unordnung, denn Shane und Batuti ließen ihre Brandpfeile von den Bogensehnen schwirren. Flackernd senkten sich die Feuerzungen auf die Segel des Gegners, und hier, im trockenen Tuch, fanden die Flammen reichliche Nahrung. Sofort schossen sie bis über die Toppen des Viermasters hinaus.

Schreie gellten zur „Isabella“ hinüber. Do Velho brüllte seine Befehle, Männer seines Schiffes enterten in den Wanten auf, bewaffneten sich mit wassergefüllten Pützen und Kübeln, um das Feuer im Rigg zu löschen.

Ferris Tucker sandte die Höllenflaschen zur „Candia“ hinüber, dann war die „Isabella“ aus der Passage heraus. Hoch am Wind segelte sie mit südwestlichem Kurs in Schrägrichtung zur Küste aus der Bucht davon und krängte weit nach Backbord.

Carberry hastete zu den Kanonen der Steuerbordseite hinüber und konnte gerade noch „Achtung, es gibt Zunder!“ rufen.

In diesem Moment eröffnete die Kriegsgaleone „Sao Joao“, die vor der Karavelle „Santa Angela“ lief, das Feuer. Zwei Buggeschütze spuckten ihr Eisen gegen die Galeone der Seewölfe aus.

Ferris Tuckers Explosionsflasche landete unterdessen auf dem Achterdeck der „Candia“, rollte bis zum Steuerbordschanzkleid und drohte dort durch eins der Speigatten zu rutschen. Dann aber verfing sie sich doch. Mit einem gelbroten Blitz ging sie hoch, als Carberry auf der „Isabella“ gerade wieder „Feuer!“ schrie.

Planken und Balken wirbelten. Die Abuela und die drei Mädchen konnten von ihrem erhöhten Platz aus erkennen, daß eine beachtliche Bresche im Achterkastell der „Candia“ klaffte. Man konnte fast bis in die Kapitänskammer sehen, es hätte wirklich nicht viel gefehlt, und auch do Velhos Allerheiligstes wäre in Schutt und Asche gelegt worden.

Der Kommandant tobte. Er versuchte, sein Schiff herumzumanövrieren, aber in der Felsenbucht hatte der Wind nicht genug Macht, es dauerte eine Ewigkeit, bis die „Candia“ wendete.

Eine Kugel der „Sao Joao“ heulte flach über die Kuhl der „Isabella“ weg, die andere lag zu kurz und trieb eine Fontäne vor der Bordwand hoch, die rauschend wieder in sich zusammenfiel.

Carberry hatte den Befehl gegeben, die komplette Breitseite auf den Gegner abzufeuern. Als die acht Culverinen der Steuerbordseite losdonnerten, stieß er ein wildes, grimmiges Lachen aus.

4.

Reto, der erste Offizier der „Sao Sirio“, zerrte auf einen Wink seines Kapitäns hin an den Zügeln und brachte das Maultiergespann zum Stehen. Mit einem Ruck stoppte der hohe zweirädrige Karren, und Kapitän Alvaro Monforte blickte sich betroffen nach Süden um.

Von dorther wälzte sich der Kanonendonner über Land, von dort drang das Schreien von Männern herüber.

„Allmächtiger“, sagte Monforte. „Das kann nur beim Riff oder in der Bucht sein. Sollten unsere irischen Freunde Schwierigkeiten gekriegt haben?“

Der Seewolf hatte sich in Portugal als der „irische Kapitän Philip Drummond“ ausgegeben, denn Irland, das dem englischen Königreich nicht botmäßig war, stand in einem guten Verhältnis zu Spanien-Portugal. Nur den Mädchen Josea, Segura und Franca hatte Hasard mittlerweile anvertraut, daß er alles andere als ein irischer Handelsfahrer war, der Getreide geladen hatte.

„Senor“, entgegnete der Erste. „Wir sind erst schätzungsweise eineinhalb bis zwei Meilen von dem Haus der Brancates entfernt. Wir könnten in schnurgerader Richtung zur Küste fahren und von dort aus feststellen, was geschehen ist.“

„Sie halten es nicht für ratsam, die Bucht aufzusuchen?“

„Das würde zweifellos mehr Zeit in Anspruch nehmen.“

Monforte konnte sich diesem Argument nicht verschließen. Er wandte sich zu den übrigen Insassen des Gefährts um.

Während der Kapitän und der erste Offizier der gesunkenen Kriegsgaleone „Sao Sirio“ auf dem Kutschbock des geräumigen Karrens Platz genommen hatten, saßen die vier Brancates auf der Ladefläche zusammengepfercht: der bärtige Pinho, ein Riese von einem Mann, seine stämmig gebaute Frau Emilia, die beiden Söhne Charutao und Iporá. Bewacht wurden die gefesselten Verbrecher von Tarquinho, dem Decksältesten der „Sao Sirio“, Josefe, dem Decksmann, und dem Soldaten Tulio, dem fünften Überlebenden des Schiffsunglücks.

„Pinho Brancate“, sagte Monforte zu dem Bärtigen. „Gibt es einen Pfad zur Küste? Antworte!“

„Es gibt ihn, und ich wünsche dir und uns, daß wir an seinem Ende von den Klippen geradewegs in die See stürzen“, sagte der Kopf der Brancate-Sippe bissig. „Fahr noch ein paar Schritt weiter, Capitán, und biege dann nach links ab.“

 

Monforte gab seinem Ersten durch ein Kopfnicken zu verstehen, daß er dem Hinweis folgen sollte. Wenig später hatten sie tatsächlich die Abzweigung erreicht und bogen auf den geradewegs zur Küste verlaufenden schmalen Weg ab.

Monforte war mit seinen Gefangenen in die nächste Stadt unterwegs, um sie dort dem Stadtkommandanten und der Gerichtsbarkeit zu übergeben. Diese Übereinkunft hatte er mit „Captain Philip Drummond“ getroffen, bevor dieser seine Reise fortgesetzt hatte. Monforte hatte ihn nicht zur Bucht begleitet, denn vordringlicher schien die Aufgabe zu sein, die vier verbrecherischen Herbergsleute ihrem gerechten Schicksal auszuliefern.

Jetzt aber konnte Monforte nicht umhin, nach dem Rechten zu sehen. Wenn der Ire in Bedrängnis geraten war, dann wollte er wenigstens versuchen, ihm zu helfen.

Monforte stellte die verschiedensten Überlegungen darüber an, was Drummond und seiner Crew wohl passiert sein könnte. Nach wie vor grollte der Kanonendonner, und der erfahrene Kapitän hörte heraus, daß mehr als zwei Schiffe im Gefecht miteinander liegen mußten.

Das bedeutete: Drummond war dem Gegner unterlegen.

„Schneller“, drängte Monforte seinen Ersten. „Himmel, was ist denn nur mit den Tieren los?“

„Es liegt nicht an den Tieren, Senor“, antwortete der Erste. „Aber ich kann nicht schneller fahren, denn auf dem holprigen, felsigen Untergrund drohen wir umzukippen.“

Es stimmte. Schon jetzt schaukelte der Karren bedrohlich hin und her, der Weg wurde immer schlechter. Monforte nahm eine Muskete zur Hand, die er in einem der vielen Verstecke entdeckt hatte, die der durchtriebene Pinho Brancate in seinem Haus eingerichtet hatte. Er spannte den Hahn und war unausgesetzt auf der Hut, denn er rechnete mit einem Trick des bärtigen Wirtes.

Gab es irgendwo eine Falle? Ein Felsenloch, in das man geraten konnte? Eine unvorhersehbare Tükke, dank derer die Brancates sich zu befreien vermochten?

Monfortes düstere Ahnungen erfüllten sich nicht. Die See war in Sicht, und außer dem miserablen Zustand des Weges hoch oben auf den Klippen gab es keinerlei Widrigkeit. Brancates Hoffnung, seine Verwünschungen gegen die fünf Männer der „Sao Sirio“ könnten früher oder später doch in Erfüllung gehen, war wirklich die einzige „Waffe“, die er in der Hand hielt.

Reto, der Erste, stoppte das Maultiergefährt wieder. Alvaro Monforte glitt vom Kutschbock und lief mit der Muskete in den Händen zum nahen Abbruch der Felsen.

„Lauf!“ rief Emilia Brancate ihm nach. „Warum hältst du an? Es geht noch ein paar Schritte weiter! So lauf doch, du Bastard von einem Capitán, du wirst sehen, was für einen großartigen Aussichtspunkt du erreichst!“

Monforte verharrte.

Die Frau bedachte ihn mit den übelsten Flüchen. Immer neue Verwünschungen ließ sie sich einfallen, ihr Register schien unerschöpflich zu sein.

„Nun hör dir das an“, sagte Tarquinho grinsend zu seinem Kameraden. „Da wird ja selbst noch eine in Ehren ergraute, hartgesottene Hafenhure rot.“

„Ja, du!“ zischte die Frau. „Spotte du nur. Die Pest wünsche ich dir an den Leib.“

„Die Blattern sollen dich bei lebendigem Leib verfaulen lassen“, sagte Charutao, der ältere der Brüder.

„Dich und alle deine Leute“, fügte Iporá hinzu.

Reto drehte sich auf dem Bock um. Sein Gesicht war maskengleich und von wächserner Färbung. Nicht sonderlich laut sagte er: „Noch ein Wort von euch, ihr Mistkerle, und ich stopfe euch Knebel zwischen die Zähne und ziehe euch Säcke über die Köpfe.“

Alvaro Monforte spähte unterdessen nach Süden. Er trug kein Spektiv bei sich, aber er konnte auch ohnedem gut erkennen, was dort, vor der Bucht, gerade seinen Lauf nahm.

Eine Dreimast-Galeone mit sehr hohen Masten, viel Segelfläche und auffallend niedrigen Aufbauten hatte soeben die Bucht verlassen. Den Beschreibungen nach, die „Philip Drummond“ ihm, Monforte, gegeben hatte, konnte es sich nur um das Schiff der Iren handeln, dessen Name dem Portugiesen allerdings nicht bekannt war.

Feuerspeiend segelte die Galeone zwei auf die Buchteinfahrt zulaufenden Schiffen davon, die Monforte in diesem Augenblick deutlich wiedererkannte.

„Die ‚Sao Joao‘“, murmelte er. „Im Sturm hat sie ihren Besanmast eingebüßt, aber sonst scheint sie das Wetter recht glimpflich überstanden zu haben. Und die ‚Santa Angela‘ – mein Gott! Aber wo sind die anderen Schiffe, die ‚Candia‘ und die ‚Extremadura‘?“

Er stellte keine Erwägungen in dieser Richtung an, das Geschehen dort vor der Bucht nahm ihn völlig in Anspruch. Warum feuerten die beiden Kriegsschiffe des Verbandes, zu dem auch die ‚Sao Sirio‘ gehört hatte, auf Drummond? Weshalb mußte sich der Ire mit ihnen herumschlagen? Hatte er sich ihnen nicht zu erkennen gegeben? Verwechselten sie ihn mit jemandem, hielten sie ihn etwa für einen Piraten?

Monfortes Blick senkte sich, denn er hatte zu seinen Füßen eine Bewegung registriert.

Tief unter ihm spiegelte sich das Sonnenlicht in den glitzernden Fluten des Atlantiks, eine schwache Brandung leckte gegen die Uferfelsen an. Dicht unter Land segelte mit raumem Kurs eine einmastige Schaluppe, in der der Kapitän die Gestalten von zwei Männern erkannte.

Er sah auch die Netze, die sie an Bord gezogen hatten, und entdeckte zappelnde Beute in Körben, die fast den gesamten Innenraum des Fahrzeugs in Anspruch nahmen.

Ein Fischerboot. Mit gemischten Gefühlen verfolgten seine Inhaber den Verlauf des Gefechts. Zweifellos hatten sie so dicht unter Land verholt, weil sie nicht gesehen werden wollten. Sie fürchteten sich und hatten kein Verlangen danach, auf irgendeine Weise mit in die Angelegenheit verwickelt zu werden.

Monforte faßte augenblicklich seinen Entschluß. Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen gellenden Pfiff vernehmen. Die Köpfe der Männer in der Schaluppe flogen hoch und schauten zu ihm auf. Monforte gab ihnen ein Zeichen, sie sollten am Ufer anlegen und ihn an Bord nehmen.

Da er nach wie vor die zwar etwas lädierte, aber noch vollständige Uniform eines portugiesischen Kriegsschiff-Kapitäns trug, mußten sie ihn als Respektsperson erkennen. Jeder Bürger des Landes hatte die Pflicht, einem Offizier der Armada nach Kräften beizustehen. Weigerte er sich, hatte er mit ernsten Konsequenzen zu rechnen.

Die Fischer wußten das natürlich. Sie beschatteten ihre Augen mit den Händen, betrachteten Alvaro Monforte und trafen dann Anstalten, zwischen den Felsen im flachen Uferwasser zu vertäuen.

Monforte hatte eine Spalte in den Klippfelsen entdeckt. Er ging hin und stellte fest, daß er mit einigem Geschick in diesem Einschnitt absteigen konnte.

Er kehrte zum Maultierkarren zurück und sagte zu seinen Männern: „Ihr bringt die vier Brancates allein in die Stadt und tragt der Obrigkeit dort alles vor, was wir besprochen haben. Reto, man wird auch Ihnen dort genügend Gehör schenken, ich habe keinerlei Zweifel daran.“

„Aber – was haben Sie vor, Capitán?“ erkundigte sich der Erste überrascht.

„Ich fahre unseren Schiffen entgegen und stoße zu unserem alten Verband. Vielleicht gibt es ein Mißverständnis zu klären, ich werde alles tun, um Drummond zu helfen.“ Er setzte seinen Leuten kurz auseinander, was er gesehen hatte.

Danach gab er seinem Ersten und seinem Decksältesten noch ein paar knappe Anweisungen, nahm zusätzlich zu der Muskete noch ein Tromblon von der Ladefläche des Wagens, das man bei Brancate gefunden hatte, und begab sich zu dem Einschnitt in den Felsen.

Reto, Tarquinho, Josefe und Tulio sahen ziemlich entgeistert zu, wie Monfortes Gestalt sich ihren Blicken entzog.

„Por Dios“, sagte der Decksälteste. „Können wir ihn denn nicht begleiten?“

„Er will es nicht, und Befehl ist Befehl“, erwiderte Reto. „Fahren wir also.“

„Capitán“, murmelte Tulio, der Soldat. „Hoffentlich begehen Sie da keinen Fehler. Was versprechen Sie sich denn bloß davon?“