Seewölfe Paket 8

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

„Er will den Verband über das Schicksal der „Sao Sirio“ unterrichten“, sagte Josefe, der Decksmann. „Das ist nur recht und billig. Oder besser, es ist seine Pflicht.“

„Aber er begibt sich in des Teufels Küche.“

„Der Herr stehe ihm bei.“

Sie lauschten dem Wummern der Schiffsgeschütze. Reto gab die Zügel lokker, bewegte sie und schnalzte mit der Zunge. Die zwei Maultiere vor dem Karren zogen an, das Gefährt rollte schwerfällig in die Richtung zurück, aus der es herangefahren war.

Durch die Einfahrt der Bucht konnte Lucio do Velho nur zu gut mit ansehen, wie es der „Sao Joao“ und der „Santa Angela“ erging. Nach dem Feuer der vollen „Isabella“-Breitseite hatte die portugiesische Galeone mehrere Einschläge zu verzeichnen. Ihr Großmast war angeschlagen, das Rigg hing wirr und brannte, sie drohte gegen die Felsen zu laufen. An Deck herrschte die größte Wuhling. Schreie tönten zu der „Candia“ hinüber.

Die spanische „Santa Angela“, die im Kielwasser der „Sao Joao“ lief, war durch die Breitseite der „Isabella“ auch in Mitleidenschaft gezogen worden, außerdem ging jetzt, als die Galeone der Korsaren mit rauschender Fahrt nach Südwesten ablief, ein dichter Hagel von Pfeilen auf sie nieder. Das Teuflische an diesen Pfeilen war, daß sie mit größter Präzision abgeschossen wurden – und daß ihre Spitzen ausnahmslos brannten und im Handumdrehen ein loderndes Feuer im Rigg oder auf dem Deck der Zweimast-Karavelle säten.

Die „Candia“ hatte auf do Velhos Order hin nach Backbord angeluvt. Jetzt ging sie über Stag, es war die einzige Möglichkeit, in der nicht sonderlich großen Bucht zu manövrieren und gleichzeitig die Gewähr zu haben, ohne Probleme wieder in die Passage zurückzusegeln.

Bei einer Wende nach Steuerbord wäre die Viermast-Galeone zu weit nach Süden gedrückt worden. Noch mehr Zeit wäre verstrichen, bis sie das Versteck der Seewölfe wieder hätte verlassen können.

„Sie entwischen!“ schrie do Velho. „Herrgott, der Durchbruch gelingt ihnen! Das darf nicht wahr sein!“

„Senor“, sagte Ignazio. „Die ‚Sao Joao‘ und die ‚Santa Angela‘ luven in diesem Moment an. Sie nehmen den gleichen Kurs wie die verfluchte ‚Isabella‘ und stellen ihr nach!“

„Sie können sie nicht einholen!“

„Die Kapitäne tun, was sie können.“

„Sie sind zu langsam!“ brüllte der Kommandant. „Wir müssen ’raus aus dieser verdammten Bucht, weg von hier, damit wenigstens wir den Hundesohn von einem Seewolf hetzen können!“

„Senor“, sagte der Mann aus Porto, der mit seinem Herrn auf dem unversehrten Vordeck stand. „Die ‚Isabella‘ hat mehr Tiefgang als wir. Vielleicht läuft sie im Ebbstrom auf, Santa Maria, ich wünsche es ihr.“

„Nein“, keuchte Lucio do Velho. „Nein, nein. Wie ich den Bastard kenne, hat er sich ein Bild von den Verhältnissen verschafft und weiß, wo sich die Untiefen befinden. Er hat Glück, wie immer, er steht mit dem Teufel im Bund!“

Eine erstaunliche Duplizität war das: Lucio do Velho ahnte ja nicht, daß ein gewisser Donegal O’Flynn senior vor kurzem genau das gleiche von ihm behauptet hatte.

Der Vorsteven der „Candia“ wies auf den Durchlaß zwischen den schroffen Felsen. Auf ähnlichem Kurs wie vorher die „Isabella VIII.“ lief der Viermaster auf die offene See hinaus. Mehr Wind blähte die Segel, die „Candia“ beschleunigte und pflügte ihren Begleitschiffen nach.

Die Feuer waren gelöscht worden, und jetzt war die Mannschaft eilig dabei, die gröbsten Schäden am Achterkastell, an der Heckgalerie und am Schanzkleid zu beheben. Wo Segelfläche durch die Brandpfeile vernichtet worden war, wurden provisorische Ersatzsegel gesetzt. Zwei oder drei Männer hatten ihr Leben gelassen, mehrere waren verletzt worden, aber do Velho hatte die Situation in der Hand. Er regierte eisern über sein Schiff und ließ keine Panik oder Disziplinlosigkeit zu.

Der Feldscher verarztete die Verwundeten, der Profos kommandierte die Unverletzten. Alles lief plötzlich wieder wie am Schnürchen, denn die Portugiesen und Spanier, aus denen die Besatzung bestand, waren Meister der Improvisation und verstanden ihr Metier. So schnell wie möglich wurden auch die Gefechtsstationen wiederhergerichtet und die 17-Pfünder beider Batteriedecks nachgeladen.

Stille trat ein. Die „Isabella“ befand sich außerhalb der Reichweite sämtlicher Geschütze, und auch der Seewolf verzichtete jetzt darauf, den Verfolgern noch einen flammenden Gruß zu entbieten. Er hätte einen der chinesischen Brandsätze zu ihnen hinüberschicken können, aber den sparte er sich lieber auf.

Hoch oben auf den Klippfelsen der Bucht richteten sich die Abuela und die Mädchen langsam hinter den Felsquadern auf. Sie waren sicher, von ihren Landsleuten an Bord der „Candia“ nun nicht mehr gesehen zu werden. Die Aufmerksamkeit von do Velho und dessen Mannschaft richtete sich voll auf die Arbeiten zur Wiederherstellung des Schiffes und die Verfolgung des verhaßten Feindes.

Die Mädchen ließen ihren Gefühlen daher freien Lauf, keiner konnte sie zur Rechenschaft dafür ziehen, daß sie für den Feind des Landes Partei ergriffen hatten.

„Es ist vorbei“, sagte Segura aufatmend. „So ein Glück.“

Franca klatschte vor Begeisterung spontan in die Hände. „El Lobo del Mar hat es geschafft! Gegen drei Gegner! Was ist er doch für ein toller Kerl!“

„Ja“, versetzte die Großmutter mit leicht brüchiger Stimme. „Er segelt ihnen vor der Nase davon und lockt sie gleichzeitig von der Bucht fort. Sie werden also nicht landen. Der Kommandant des Verbandes verfällt nicht mehr auf die Idee, hier Nachforschungen anzustellen, die die Seewölfe betreffen. Keiner wird uns unangenehme Fragen stellen. Wir bleiben unbehelligt. Darauf kommt es an.“

„Nein“, stieß Josea heftig aus. „Darauf kommt es nicht an. Was mir passiert, ist mir ganz egal. Siehst du denn nicht, daß der Viermaster und seine Begleitschiffe sich an die Fersen unserer Freunde heften? Sie jagen sie erbarmungslos, sie geben nicht auf.“

Die Alte musterte ihre Enkelin, ihr Gesicht verzog sich zu einer galligen Grimasse. „Himmel, wie ist das nur furchtbar, wenn ihr jungen Dinger euch Hals über Kopf verliebt. Vergiß den Seewolf. Es bringt dir nichts ein, wenn du ihm nachweinst und dich um ihn sorgst.“

„Aber Abuela …“

„Er schüttelt seine Jäger ab. Alle.“

„Die ‚Isabella‘ hat schwer geladen.“

„Trotz ihres Tiefgangs ist sie das schnellere Schiff, Josea.“

Verzweifelt rief das hübsche Mädchen: „Aber was verstehst du denn von der Seefahrt!“

„Und du?“

„Ich – ich habe das schreckliche Gefühl, daß Hasard und seinen Männern etwas Grauenhaftes zustößt“, sagte Josea.

„Hör mich an“, entgegnete die alte Frau. „Diese Teufelskerle sind um die ganze Welt gesegelt, sie fürchten weder den Tod noch den Höllenfürst persönlich. Die lassen sich nicht pakken, die kennen tausend Möglichkeiten, ihre Haut zu retten. Sonst wären sie nämlich schon längst nicht mehr am Leben.“

Josea holte tief Luft. „Ja, Abuelita“, antwortete sie dann. „Das sehe ich ein. Da magst du wirklich recht haben.“

„Fein. Gehen wir jetzt nach Hause. Es wartet eine Menge Arbeit auf uns.“

„O ja, wir werden keine Langeweile haben“, sagte Franca und dachte dabei an den ausgehöhlten Ziegelstein und den Beutel mit den vielen kleinen Kostbarkeiten, den sie darin verstecken wollte.

Josea sandte der „Isabella“, die draußen auf See jetzt immer kleiner wurde, noch einen sehnsüchtigen Blick nach. Sie bemerkte nicht, daß Segura das gleiche tat. Segura hütete sich, mit einem einzigen Wort zu verstehen zu geben, wie sehr auch sie durch die Persönlichkeit des Seewolfs beeindruckt und überwältigt worden war.

„Adios“, sagte Josea. „Leb wohl, Lobo del Mar.“

Sie wandte sich um und gab sich Mühe, ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen. „In Ordnung, gehen wir nach Hause.“

5.

Der Geröllpfad, der in den Felsen hinunterführte, war steil und teilweise glitschig. Alvaro Monforte legte eine halsbrecherische Strecke voller Tücken zurück, und einmal glitt er aus und konnte sich nur deshalb gerade noch halten, weil er die Muskete und das Tromblon geistesgegenwärtig losließ. Die Waffen landeten klappernd auf dem Gestein und rutschten in die Tiefe. Der Kapitän fluchte.

Er rappelte sich wieder auf und setzte seinen Abstieg fort. Gut vierzig, fünfzig Schritte trennten ihn noch von seinem Ziel. Auf halber Strecke hob er die Muskete und das Tromblon wieder auf, hängte sie sich an den Lederriemen über die Schulter und achtete scharf auf gefährliche Stellen im Gelände.

Schließlich erreichte er das schmale Ufer, das teils mit grauschwarzem Kies übersät war, teils aus nacktem Gestein bestand.

Die Fischer hatten mit ihrer einmastigen Schaluppe festgemacht. Es war ihren Mienen abzulesen, wie argwöhnisch sie dem Geschehen gegenüberstanden. Monforte beschloß insgeheim, sie notfalls mit der vorgehaltenen Waffe dazu zu zwingen, seinem Befehl Folge zu leisten.

„Capitán Alvaro Monforte, Befehlshaber der gesunkenen Kriegsgaleone ‚Sao Sirio‘“, stellte er sich ihnen hastig vor. „Senores, die brennende Galeone und die Karavelle dort drüben gehören zu meinem Verband, ich muß unverzüglich zu ihnen stoßen. Sie bringen mich zu ihnen hinüber.“

Der ältere der beiden Männer wurde aschfahl im Gesicht. „Senor Capitán, wir riskieren Kopf und Kragen.“

„Ich übernehme die volle Verantwortung.“

„Sicher, aber hören Sie nicht, wie geschossen wird, wie erbittert die Gegner kämpfen? Was geht dort vor?“

„Das frage ich mich auch“, erwiderte Monforte. Er stieg in die Schaluppe, begab sich in die Gesellschaft von Fischen und Meeresfrüchten und ließ sich auf einer Ducht nieder. „Es ist zwecklos, daß Sie sich sträuben. Sie zwingen mich damit zu Maßnahmen, die ich selbst verabscheue. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

 

„Ja“, entgegenete der jüngere Mann. Zu dem zweiten Fischer gewandt sagte er: „Vater, tun wir, was der Capitán befiehlt.“

„Wir haben keine andere Wahl“, sagte der Vater leise.

„Wir legen ab, setzen das Segel und gehen hoch an den Wind“, ordnete Monforte an. „Wir nehmen Kurs auf die Galeone ‚Sao Joao‘, deren Kapitän und Besatzung ich am besten kenne. Ich werde alles tun, um Ihr Leben zu schützen, Senores.“

Er half mit, die schwankende Schaluppe von den Felsen fortzudrücken, und wenig später dümpelte das Fahrzeug in tieferes Wasser. Der Sohn des Fischers setzte das Großsegel und eine kleine Fock, dann glitten sie hart am Nordwest erstaunlich schnell auf die Stätte des Kampfes zu.

Staunend verfolgte Monforte, wie die letzten Brandpfeile auf die „Santa Angela“ niederhagelten und sich die Galeone des „Iren Drummond“ mit südwestlichem Kurs davonstahl.

Nur schwerfällig drehten auch die „Sao Joao“ und die „Santa Angela“ auf den neuen Kurs.

Monforte nahm den Blick nicht von der Galeone mit den überhohen Masten und den niedrigen Aufbauten. Was war das für ein seltsames Schiff, und was hatte es mit Drummond und seiner Mannschaft wirklich auf sich?

Das sollte ein harmloser Handelsfahrer sein? Monforte lächelte freudlos. Er begriff jetzt, daß er sich getäuscht und man ihn hinters Licht geführt haben mußte. Zu leichtfertig hatte er sich Drummond anvertraut.

Aber der Mann hatte ihm und den vier anderen der „Sao Sirio“ doch das Leben gerettet! Wie reimte sich das zusammen? Monforte wußte es nicht. Er war verwirrt.

Nur eines sagte er sich immer wieder. Kein normalbeschaffener Handelsfahrer hätte sich mit solcher Vehemenz ins Gefecht geworfen oder über die Mittel verfügt, die dieses Schiff besaß. Massives Kanonenfeuer, Brandpfeile – und auch eine Explosion glaubte Monforte vernommen zu haben. Nein, so konnte kein Kauffahrteischiff kämpfen.

Welche Flagge wehte jetzt im Großtopp der davonsegelnden Galeone? War das das irische Nationalitätszeichen? Ohne Spektiv konnte der Kapitän es nicht erkennen, aber er glaubte noch, ein rotes Kreuz auf weißem Grund zu erkennen.

Der White Ensign, die Flagge Englands!

„Senor“, stieß der junge Fischer plötzlich aufgeregt aus. „Da ist es ja wieder – das andere Schiff!“

„Welches andere Schiff?“ fragte Monforte, während er seinen Blick nach links wandte, in die Richtung, in die die Fischer spähten.

„Wir haben es vorhin an der Spitze des kleinen Verbandes in die Felsenbucht laufen sehen“, sprudelte der junge Mann hervor. Er stand im Bug der Schaluppe und hielt sich an den Wanten des Mastes fest. „Dann haben wir dicht unter Land verholt, um jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen. Die Viermast-Galeone muß schwer beschossen worden sein. Dios, wie die aussieht! Aber ihre Mannschaft scheint noch recht glimpflich davongekommen zu sein.“

„Die ‚Candia‘“, sagte Alvaro Monforte betroffen.

Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, sie hier und unter so dramatischen Umständen wiederzutreffen. Außer der „Sao Sirio“ fehlte dem Verband also nur die „Extremadura“.

Nur!

Jäh keimte in Monforte wieder die Wut auf, die er gegen den Kommandanten Lucio do Velho verspürte. Leichtfertig hatte do Velho seiner Ansicht nach das Leben seiner Männer in die Waagschale geworfen, als der Sturm in der vergangenen Nacht begonnen hatte.

Gewiß, sie waren hinter einem erbitterten Feind des Königreiches hergejagt – hinter diesem Philip Hasard Killigrew, den sie „El Lobo del Mar“ nannten. Aber hatte sich der Einsatz gelohnt? Nie und nimmer konnte do Velho seine Entscheidung damit rechtfertigen, daß Killigrews Vorsprung zu groß geworden wäre, hätte man das Wüten des Wetters irgendwo abgewartet. Keiner wußte genau, wo der Feind steckte, er konnte praktisch schon die Biskaya erreicht haben.

Aber mußte ein Seemann nicht täglich mit seinem Ende rechnen? Sicher, Monforte stritt dies nicht ab. Nur zürnte er darüber, daß man Männer grundlos und leichtsinnig in den Tod hetzte.

Deswegen hatte er vor seinen letzten vier Männern verkündet, daß er do Velho stellen und ein Disziplinarverfahren gegen ihn anstrengen würde. Zwei verlorene Schiffe, das war ein zu hoher Preis für ein wahnwitziges Unternehmen mit höchst vagen Erfolgschancen.

„Die „Candia“ glitt an der manövrierenden „Sao Joao“ vorbei, näherte sich der ebenfalls noch brennenden „Santa Angela“ und überholte schließlich auch sie.

Monforte vernahm die Rufe, die von Bord zu Bord hallten, aber er verstand sie nicht. Befehle wurden gegeben, wahrscheinlich war ihr Inhalt, daß man den Gegner um jeden Preis verfolgen solle.

Wieder blickte Monforte zu der Galeone der Iren. Ein neuer Verdacht reifte in ihm heran und drohte sich zu einer ungeheuerlichen Gewißheit zu verdichten.

Gestalten sah Monforte auf den Decks der Schiffe hin und her eilen, aber er konnte nicht sehen, welche Männer es waren. Lebte Lucio do Velho? Der Kapitän vermochte auch ihn unter den kleinen, dunklen, huschenden Gestalten nicht zu identifizieren.

Monforte kletterte über die Fischkörbe bis zum Bug der Schaluppe.

„Ich brauche eine Signalfahne“, sagte er zu dem Sohn des Fischers. „Ich muß dem Kapitän der ‚Sao Joao‘ ein Zeichen geben.“

„Zu Befehl, Senor Capitán“, antwortete der junge Mann. „Wir haben eine kleine Signalflagge an Bord.“ Bewunderung lag in seinem auf Monforte gerichteten Blick, denn er hatte keinen größeren Traum als den, das eintönige Dasein eines Fischers mit dem Dienst auf einem Kriegsschiff der Armada zu vertauschen.

Der Vater beobachtete voll Besorgnis, wie sein Sohn dem Kapitän zur Hand ging. Er konnte letztlich aber nur mit den Schultern zucken und sich den Dingen fügen.

Monforte richtete sich im Bug auf und schwenkte die Fahne. Eine Reihe geheimer Zeichen waren vereinbart worden, ehe der Verband den Hafen von Lissabon verlassen hatte, und dies kam Monforte nun zugute. Kein Außenstehender konnte über die besondere Art von Signalen unterrichtet sein. Als der Ausguck der „Sao Joao“ also die Schaluppe durchs Spektiv anpeilte und den gestikulierenden Mann in der Kapitänsuniform entdeckte, wußte er sofort, daß er ein Mitglied des Verbandes vor sich hatte.

Die Stimme des Ausgucks überschlug sich. „Deck! Schaluppe Backbord achteraus! Sie bringt einen der verschollenen Kapitäne! Ein Wunder ist geschehen!“

Der Kapitän der Galeone, ein Mann namens Joaquin Galardes, richtete sich mit schweißüberströmtem, rußbedecktem Gesicht vom Achterdeck auf. Er hatte selbst mitgeholfen, einen der verletzten Offiziere zu versorgen, während um ihn herum die fieberhafte Tätigkeit der Besatzung war. Mit Mühe löschten die Portugiesen das Feuer im Rigg und an Deck. Sie stützten den ramponierten Großmast ab und brachten in aller Eile Ordnung ins laufende und stehende Gut – sofern das unter diesen Bedingungen überhaupt möglich war.

Galardes glaubte an einen Irrtum des Ausgucks, ja, er zog sogar in Betracht, daß der Mann im Gefecht den Verstand verloren haben konnte. Schließlich hatte der „Vijía“, wie man den Ausguck auf spanischen und portugiesischen Schiffen zu bezeichnen pflegte, für einige entsetzliche Augenblicke in der Gefahr geschwebt, mit dem brechenden Oberteil des Großmastes an Deck zu stürzen. Daß der Mast samt seinem Mars doch gehalten hatte, war genauso ein Wunder wie das unvermittelte Auftauchen des Kapitäns in der Schaluppe.

Ja, der Mann war Wirklichkeit, und der Ausguck der „Sao Joao“ war immer noch geistig zurechnungsfähig. Galardes gewahrte durch sein Spektiv das Gesicht des Mannes, und er war mehr als erschüttert, als er ihn erkannte.

„Monforte – por Dios, das ist ja schier unglaublich!“ Galardes fuhr zu seinen Leuten herum. „Kurs halten, nicht weiter anluven! Wir lassen die Schaluppe heran und nehmen sie in Lee wahr!“

Die Männer gehorchten. Sie nahmen Segelfläche weg, und die Galeone dümpelte nur noch dahin, als die Schaluppe längsseits ging. Die „Sao Joao“ gewann mehr und mehr an Distanz zur „Candia“ und zur „Santa Angela“, aber: „Das ist mir scheißegal!“ rief Galardes seinen Offizieren und Soldaten zu. „Jetzt geht es mir darum, meinem Freund Monforte zu helfen.“

Die Schaluppe schor längsseits, Monforte streckte schon die Hände nach einer rasch ausgebrachten Jakobsleiter aus.

„Senor Capitán“, sagte der Sohn des Fischers. „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit meinen Fragen belästige – aber hat die Armada keinen Bedarf an tüchtigem Schiffsvolk?“

„Doch, das hat sie“, erwiderte Monforte, ehe er von Bord ging. Er fing den geradezu verzweifelten Blick des Vaters auf, besann sich und fügte hinzu: „Aber du bist zu jung und zu unerfahren, mein Junge, glaube es mir. Bleibe noch ein paar Jahre zu Hause, dort bist du vorläufig besser aufgehoben. Senores, ich danke euch.“

„Ich danke Ihnen, Capitán“, sagte der Vater.

Alvaro Monforte kletterte auf den Sprossen der Jakobsleiter hoch. Die Schaluppe löste sich von der Bordwand der Galeone und blieb zurück. Noch einmal blickte der Kapitän zu den Fischern und sah, daß sie ihm beide zuwinkten.

Dann enterte Monforte auf die Kuhl. Galardes eilte auf ihn zu, begrüßte ihn stürmisch und überschüttete ihn mit seinen Fragen.

„Die ‚Sao Sirio‘ ist aufs Riff gelaufen und gesunken“, sagte Monforte als erstes. „Ihr habt das Riff sicher bei ablaufendem Wasser sehen können.“

„Ja. Dann hatte do Velho ja recht mit seiner Annahme, daß die Wrackteile auf den Felsen die Überreste der ‚Sao Sirio‘ wären.“

„Richtig“, erwiderte Monforte. „Ich bin eben noch einmal daran vorbeigefahren, Amigo mio, und ich versichere dir, das ging mir nahe. So, do Velho lebt also noch?“

„Ja.“

„Das freut mich außerordentlich“, sagte Monforte grimmig. „Aber wieso habt ihr euch mit meinem Freund Philip Drummond herumgeschlagen?“

„Mit wem?“

„Mit dem Iren von der großen Galeone. Er hat mir und meinen letzten Männern aus einer tödlichen Falle geholfen. Er hat uns heute früh sogar noch unterstützt, als wir die Toten der ‚Sao Sirio‘ bestatteten.“

„Allmächtiger im Himmel“, stammelte Galardes. „Und du hast nicht die geringste Ahnung gehabt, wer das wirklich ist? Ein Ire? Das ist ja ein Witz! Do Velho hat es uns zugerufen, als er eben an uns vorbeisegelte, mit wem wir es da zu tun haben.“

„Mit El Lobo del Mar?“ flüsterte Monforte.

„Du sagst es. Du hättest ihn überwältigen können.“

„Wenn ich es gewußt hätte“, sagte der fassungslose Mann. „Ich habe mich wie ein Trottel benommen, das sehe ich jetzt ein. Aber etwas ist mir klargeworden. Ich werde diesen Killigrew, der mich genarrt und mir noch das Leben gerettet hat, niemals hassen können. Nach dem, was ich erlebt habe, kann ich nicht glauben, daß er die Bestie in Menschengestalt ist, als die do Velho ihn uns gegenüber hingestellt hat.“

„Aber er ist Spaniens Feind“, gab Galardes zu bedenken.

„Ja. Der Todfeind, auf dessen Ergreifung Philipp II. eine Belohnung ausgesetzt hat“, murmelte Alvaro Monforte. „Das dürfen wir nicht vergessen, das müssen wir uns immer vor Augen halten, verdammt noch mal.“