Seewölfe Paket 8

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6.

Ferris Tucker grinste breit und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er nahm Hasard gegenüber auf dem Achterdeck der „Isabella“ Haltung an und meldete: „Sir, ich habe meinen Rundgang durchs Schiff abgeschlossen. Wir haben keine Lecks unter der Wasserlinie, und wegen der Ratscher an Backbord brauchen wir uns keine großen Sorgen zu bereiten. Wir haben genug Holz an Bord, ich fange gleich damit an, die Bordwand und das Schanzkleid auszubessern.“

„Gut. Such dir acht Mann aus, die dir dabei helfen.“

„Aye, Sir. Ich schlage weiter vor, daß wir neue Höllenflaschen basteln. Ein paar leere Pullen bewahrt der Kutscher in der Kombüse auf. Al Conroy wäre bereit, sie mit Pulver, Eisen, Blei und Glassplittern zu füllen.“ Der rothaarige Schiffszimmermann wies achteraus. „Ich habe so das Gefühl, daß wir bald wieder jede Menge Munition brauchen. Es ist noch nicht zu Ende.“

„Al soll anfangen. Ferris, du weißt ja, was du zu tun hast. Profos!“

„Sir?“ antwortete Carberry, der gerade vom Quarterdeck heraufstieg.

„Daß mir die Kuhl und die Gefechtsstationen tipptopp aufgeklart werden. Ich will innerhalb der nächsten zwei Glasen wieder ein kampfbereites Schiff.“

„Aye, Sir.“ Carberry verharrte an der Balustrade und blickte zunächst seinen Kapitän an. Dann schaute er ebenfalls nach achtern und kniff die Augen zusammen. Seine Miene verzerrte sich.

An der nordöstlichen Kimm war die Silhouette des portugiesischen Viermasters zu sehen. Von den anderen beiden Schiffen war nichts mehr zu entdecken, aber die „Candia“ erschien wie ein Scherenschnitt unter dem morgendlichen Sonnenglast.

„Da haben wir den Hund also immer noch am Hals“, sagte der Profos. „Ich glaube nicht, daß wir ihn abschütteln können. Wir kennen sein Schiff ja allmählich und wissen, daß er schnell genug ist, um mit uns Schritt zu halten. Außerdem segelt er leer, und wir haben uns mit unseren Schätzen abzuschleppen.“

„Oh, dem wäre leicht Abhilfe zu schaffen“, entgegnete der Seewolf. Ein feines Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Wenn alle einverstanden sind, können wir einen Teil unseres Ballasts ja in die See kippen.“

Carberry hob abwehrend die Hände. „Um Himmels willen, nein! Das habe ich nicht damit sagen wollen. Wir haben unser aller Leben aufs Spiel gesetzt, um den Dons diese Kostbarkeiten abzunehmen. Lieber versenge ich mir an do Velhos Kanonenfeuer den Achtersteven, als auf nur eine Perle oder einen Goldbarren zu verzichten.“

„Richtig, Ed“, sagte Ben Brighton. „Da bin ich ganz deiner Meinung. Und ich glaube, ich spreche stellvertretend für alle anderen.“

„Worauf du Gift nehmen kannst“, brummelte der alte O’Flynn. „Der portugiesische Bastard wird uns zwar den ganzen Tag über wie die Zecke am Hintern einer Kuh auf den Fersen bleiben, aber deswegen lassen wir uns noch lange nicht zu unbedachten Handlungen hinreißen.“

„Gut“, sagte Hasard. „Das wollte ich nur von euch hören.“

Carberry dachte an Lucio do Velho. Allein das versetzte ihn dermaßen in Wut, daß er dunkel im Gesicht anlief und die Hände ballte.

„Sir!“ brüllte er. „Warum warten wir nicht auf dieses Rübenschwein? Warum verpassen wir ihm nicht endlich ein Ding, von dem er sich nicht wieder erholt? Ich melde mich hiermit freiwillig, diesen Sohn einer verlausten Hafenhure ein Dutzend Höllenflaschen und zwei chinesische Brandsätze in den Rachen zu stopfen. Und wenn ich selbst krepiere – ich will den Hund erledigen!“

„Nun beruhige dich doch erst mal; Ed“, sagte der Seewolf. „Wie willst du das denn bewerkstelligen?“

„Ganz einfach, unser Profos steigt aus und wartet, bis do Velho heran ist“, meinte Dan O’Flynn. „Er könnte sich beispielsweise in ein Beiboot setzen und sich von den Portugiesen auffischen lassen. Ich an seiner Stelle würde behaupten, ein Meuterer und vom Seewolf gnädigerweise ausgesetzt worden zu sein. Das schluckt do Velho garantiert und …“

„O’Flynn“, grollte der Profos. „Halt die Luke. Wenn du noch so einen idiotischen Vorschlag von dir gibst, ramme ich dich unangespitzt ins Kielschwein. Sir – selbstverständlich müssen wir die Dunkelheit abwarten. Ich sehe ja ein, daß es zu riskant ist, do Velho bei Tag herauszufordern, ganz gleich, welchen Plan wir fassen.“

Hasard erwiderte: „Allerdings. Wir dürfen nicht vergessen, daß er die bessere Armierung hat. Der Durchbruch ist uns gelungen, aber ich will es jetzt nicht auf ein neues Gefecht mit der ‚Candia‘ und den anderen beiden Kriegsseglern ankommen lassen, die zweifellos früher oder später nachrücken. Nein, wir werden ganz anders vorgehen.“

„Wie denn?“ erkundigte sich Big Old Shane. „Hast du schon einen Plan?“

„Fast.“

„Laß mich raten“, sagte Ben Brighton. „Vorläufig halten wir do Velho auf Distanz. Das dürfte uns nicht allzu schwerfallen. Er schafft es nicht, unseren Vorsprung aufzuholen – vorausgesetzt, wir behalten diesen Kurs bei.“

„Dazu sind wir gezwungen“, warf Carberry ein. „Um unsere alte Route einzuschlagen, müßten wir gegen den Mist-Nordwest kreuzen, anders gelangen wir ja nicht nach Norden. Aber mit jedem Kreuzschlag, den wir fahren, nähern wir uns natürlich der ‚Candia‘.“

„Viel zu riskant“, fuhr Ben fort. „Wie ich Hasard kenne, locken wir die ‚Candia‘ und ihre Begleitschiffe weit nach Südwesten auf die offene See hinaus, bis zum Einbruch der Dunkelheit. Erst dann führen wir wieder ein Manöver aus. Ist es so, Hasard?“

Der Seewolf lachte unwillkürlich auf. „Man sollte meinen, du kannst meine Gedanken lesen, Ben. Also schön, wie die Dinge stehen, wünsche ich mir, daß der Wind im Laufe des Tages nicht dreht. Er trägt wesentlich zum Gelingen meines Plans bei. Do Velho soll von mir aus denken, wir wollen uns zu den Azoren oder sonstwohin retten. Um so überraschender trifft ihn dann unser Schlag.“

„Ein Schlag“, echote Carberry. „Herrgott, du machst es aber spannend.“

„Wenn es richtig finster wird – was ich hoffe –, gehen wir über Stag, segeln ohne Licht nach Ostnordost und halten auf die ‚Candia‘ zu“, erklärte der Seewolf mit plötzlichem Ernst. „Wir müssen sie geentert haben, ehe die andere Galeone und die Karavelle heran sind. Heute nacht muß die ‚Candia‘ in unsere Hand fallen, koste es, was es wolle.“

Der Profos stieß zischend die Atemluft aus. „Alle Achtung, Sir, das ist ein Teufelsplan, sage ich. Einer, der ins Auge gehen kann. Aber, Kreuzdonnerwetter noch mal, er ist so richtig nach meinem Geschmack.“

Hasard verzog keine Miene. „Ihr werdet alle bis zum Äußersten gefordert, vergeßt das nicht. Aber wir müssen etwas Spektakuläres, Außergewöhnliches unternehmen, um uns dieses hartnäckigen Kerls ein für allemal zu entledigen.“

„Wir werden alles daransetzen, daß die Sache gelingt“, versprach Ben Brighton. „Darauf kannst du dich voll und ganz verlassen.“

„Kommt“, sagte der Seewolf. „Ich will jetzt der Crew auseinandersetzen, was ich vorhabe. Wir müssen alle Einzelheiten durchsprechen und jedes Detail festlegen.“

Old O’Flynn sah den davonschreitenden Männern nach.

„Wahnsinn“, murmelte er. „Der Feind wird uns zerfetzen und samt unseren Schätzen zu den Haifischen schicken. Ein Unstern steht über der ‚Isabella‘, das Schiff ist verflucht, es wird alles schiefgehen, alles.“ Plötzlich kicherte er jedoch und rieb sich die Hände. „Aber, beim Satan, mir juckt’s auch in den Fingern, wenn ich daran denke, daß wir dem Hundesohn do Velho endlich mal kräftig die Jacke vollhauen.“

Der Kutscher lächelte, als Hasard ihn auf der Kuhl ansprach.

„Keine Sorge, Sir“, sagte er. „Die Moral der Kerle ist hervorragend. Matt Davies hat beim Kampf in der Bucht eine halbe Planke gegen den Kopf gekriegt, aber er hat einen harten Schädel, und ich habe ihn nicht mal zu verbinden brauchen. Stenmark hat sich einen Kratzer am rechten Bein weggeholt, aber es ist eine reine Fleischwunde. Ich habe sie gereinigt und verbunden und dem Schweden einen Schluck Whisky genehmigt. Hoffentlich war das nicht zu eigenmächtig von mir …“

„Im Gegenteil.“ Hasard lächelte. „Hol sofort ein paar Flaschen aus der Kombüse herauf. Ich spendiere eine Sonderration. Ich glaube, die haben wir alle verdient.“

„Aye, Sir. Die Fässer mit dem portugiesischen Wein zapfen wir aber noch nicht an, oder?“

„Nein. Wir lassen den Wein lieber noch ein bißchen lagern, das tut ihm gut.“

„Und der Schlaftrunk in den drei gekennzeichneten Korbflaschen wird kräftiger“, sagte Blacky, der mitgehört hatte. „Damit können wir, wenn wir am Ziel sind, halb Cornwall ins Reich der Träume schicken – oder eine Hundertschaft Profose auf die Planken legen.“

„Kerl!“ schnaubte Carberry, der jetzt ebenfalls anrückte. „Noch so ein Spruch, und die Vorpiek ist dir sicher, das schwöre ich dir.“

Natürlich wußte Blacky, daß Ed seine Drohung nicht ausführte, aber er schwieg vorsichtshalber doch lieber. Immerhin war Carberry eine Respektsperson an Bord, und keiner wagte es, den Bogen zu überspannen oder es zu weit zu treiben, wenn mal gewitzelt wurde. Es war ein ungeschriebenes Gesetz auf der „Isabella“, daß die Autorität des Profos’ nicht untergraben werden durfte, und alle hielten sich daran.

Nachdem Whisky und Rum ausgeteilt worden waren, unterhielt sich der Seewolf lange mit seinen Männern.

Erst gegen Mittag suchte er das Vorschiff auf, um seine Söhne endlich von ihrer „Gefangenschaft“ zu befreien. Da erwiesenermaßen keine Gefahr bestand, daß im Laufe des Tages ein weiteres Gefecht mit dem Gegner stattfand – die „Candia“ segelte immer noch weit entfernt hinter der „Isabella“ –, konnten Philip und Hasard getrost das Oberdeck betreten.

Hasard stieg bis ins Mannschaftslogis und verhielt seinen Schritt in der Tür zu dem Raum. Ein Idyll ganz besonderer Art bot sich ihm dar. Er lächelte, schwieg und beobachtete nur. Noch hatte man ihn nicht bemerkt.

 

Philip und Hasard hockten nämlich auf dem Rand einer Koje und hatten sich dabei so gedreht, daß sie ihm den Rücken zuwandten. Rechts neben Hasard kauerte eine Gestalt, die man im Halbdunkel des Logis zunächst gut und gern für einen dritten Jungen halten konnte. Sie widmete sich irgend etwas Eßbarem mit größter Hingabe und gab durch lautes Schmatzen zu verstehen, daß es schmeckte.

Die Zwillinge futterten auch intensiv, taten dies aber geräuschlos – soviel gute Erziehung hatten sie immerhin.

Hasard trat langsam und ohne einen Laut zu verursachen hinter die drei und blickte ihnen über die Schultern. Philip hielt einen Beutel mit Rosinen. Er teilte von dem Inhalt aus, und Rosine um Rosine wanderte an Hasard und schließlich an den Dritten im Bunde weiter, der bereitwillig seine linke Pfote aufhielt, während er sich mit der rechten die süßen Leckerbissen zwischen die Zähne schob.

„Arwenack“, sagte Hasard.

Der Affe fuhr herum. Aus großen Augen sah er den Kapitän der „Isabella“ an, seine Stirn furchte sich, und seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem verlegenen „O“. Fast hätte er die Rosinen aus der Pfote verloren, aber Philip und Hasard schauten nun ebenfalls auf und ergriffen sofort die Verteidigung des haarigen Gesellen.

„Pa“, sagte Philip.

„Dad“, formulierte Hasard.

Sie hatten nun schon einigen Sprachunterricht erhalten und waren in der Lage, sich ganz gut mit ihrem Vater und der Besatzung zu unterhalten. Als der Seewolf sie in Tanger wiedergefunden und zu sich aufs Schiff geholt hatte, hatten sie nur türkisch und persisch gekonnt. Demzufolge hatten sich die Männer nur durch Zeichen mit ihnen zu verständigen vermocht. Immer, wenn er Zeit dazu gehabt hatte, hatte Hasard ihnen die Grundzüge der englischen Sprache beigebracht, und die Zwillinge hatten sich nach anfänglichem Bocken auch als gelehrige Schüler gezeigt.

Philip hob den Rosinenbeutel an. „Vom Kutscher, Pa. Ein Geschenk.“

„Ist das wirklich wahr?“

„Aye, aye, Sir.“

Der Seewolf musterte die drei drohend. „Ihr habt die Rosinen nicht aus der Kombüse geklaut?“

Hasard junior legte sich die rechte Hand aufs Herz. „Ehrenwort nicht, Dad. Frag den Kutscher.“

Der Seewolf mußte lachen. „Nein, es genügt mir, wenn ihr mir euer Ehrenwort gebt. Ich habe euch ja erklärt, daß kein richtiger Mann etwas feierlich schwören darf, das nicht der Wahrheit entspricht. Versteht ihr?“

Sie nickten ernst. Arwenack nickte vorsichtshalber gleich mit, man konnte ja nie wissen.

„Und ihr wollt doch richtige Männer werden, oder?“ fragte der Seewolf.

Wieder bejahten die beiden Siebenjährigen. Dann standen sie von der Koje auf und zeigten klar, wie sie es von der Crew der „Isabella“ gesehen hatten.

Hasard stellte sich in ihre Mitte, legte ihnen die Hände auf die Schultern und sagte: „In Ordnung, dann laßt uns jetzt an Oberdeck gehen. Die Sonne scheint, es ist herrlich warm, und der Kutscher ist dabei, ein vorzügliches Mittagessen zu bereiten, wenn ich mich nicht irre.“

Sie verließen das Logis. Arwenack sah ihnen nach und stieß einen Seufzer aus. Dann glätteten sich seine Züge, er begriff, daß er diesmal keinerlei Grund hatte, ein schlechtes Gewissen zu haben. Er rutschte von der Koje und trottete den „drei Männern“ nach.

Später, am Nachmittag, stand der Seewolf mit seinen Söhnen ganz achtern an der Heckreling seines Schiffes und zeigte ihnen, wie man mit dem Spektiv umging. Immer wieder spähten sie zu der mit prallen Segeln hoch am Wind segelnden „Candia“ hinüber.

„Was für ein Schiff sein das?“ fragte der kleine Hasard schließlich.

„Ist das“, berichtigte der Seewolf.

„Ein Pirat“, vermutete Philip junior und wurde dabei ganz aufgeregt.

Sein Vater schüttelte den Kopf. „Ein Portugiese. Ein Mann des Königs von Spanien, versteht ihr?“

Wieder nickten sie und taten so, als wüßten sie über alles bestens Bescheid. Der Seewolf nannte ihnen den Namen des stolzen Viermasters, teilte ihnen auch mit, wie der Kommandant hieß.

„Ein guter Mann?“ wollte Hasard wissen.

„Nein“, antwortete sein Vater. „Er ist unser Feind. Unser Todfeind.

„Was will er?“

„Mich. Er will mich gefangennehmen oder töten.“

„Nein“, hauchte Philip entsetzt. Dann schüttelte er seine kleine Faust gegen die „Candia“ und zischte außer sich vor Wut: „Verdammter portugiesischer Bastard, streich Flagge!“

„Holla“, sagte Ben Brighton, der sich ihnen genähert hatte. „Da hört man aber Carberrys Schule heraus. Er mußte den beiden ja unbedingt einige seiner Lieblingssprüche beibiegen.“

„Sir!“ schrie Philip. Er verlor fast das Spektiv, das er gerade hielt, um ein Haar wäre es in die See gefallen. Der Seewolf streckte im letzten Augenblick die Hand aus und nahm dem Dreikäsehoch das Rohr aus den Fingern.

„Sir, volle Breitseite!“ rief Philip.

Er sprang hinter eine der Drehbassen und traf Anstalten, das Rohr des Hinterladers auf die „Candia“ zu richten. Nur ließ sich das Geschütz zu schwer in seiner Gabellafette bewegen, Philip mangelte es an der nötigen Kraft. Das konnte ihn aber nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er winkte Hasard zu, und sein Bruder eilte ihm zu Hilfe. Gemeinsam stemmten sie sich gegen das Rohr der Basse und drückten es allmählich so herum, daß die Mündung tatsächlich auf den Bug der „Candia“ ausgerichtet war.

„Donnerwetter!“ rief Ben Brighton überrascht aus. „Da frag’ ich mich, wo haben die Burschen das überhaupt gelernt?“

„Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm, ich sag’s ja“, erklärte Old Donegal Daniel O’Flynn, der ebenfalls hinzugetreten war. „Unser Kapitän hat mit sieben Jahren ja auch schon ganz hübsche Töne gespuckt.“

„Bumm!“ rief Philip.

„Don kaputt!“ schrie Hasard.

Der Seewolf schritt zu ihnen und zeigte ihnen, wie sich der Hinterlader öffnen ließ und wo der Zündkanal saß. Wie man so eine Drehbasse lud, führte er ihnen allerdings nicht vor, es war ihm doch zu riskant. Kinder waren in gewisser Weise unberechenbar. Trotz aller Ermahnungen waren sie imstande und feuerten wirklich auf den „verdammten Don“, wenn ihnen gerade keiner zusah – und das konnte, wenn sich die Dunkelheit über die See senkte, Hasards ganzen Plan scheitern lassen.

Trotzdem, der typische Vaterstolz war seinen Zügen abzulesen. Die Zwillinge hatten ihn nun endgültig akzeptiert, sie verteidigten ihn, sie fühlten mit ihm. Und sie zeigten ein geradezu erstaunliches Interesse und Geschick, was die seemännischen Belange betraf.

Old O’Flynn fuhr sich mit der Hand über den Mund. Die Zwillinge hatten ihm gelegentlich Streiche gespielt, einmal sogar das Holzbein entwendet, aber er hatte trotzdem einen Narren an den „verdammten Teufelsbraten“ gefressen.

„Ho“, sagte er. „Noch ein paar Wochen, und die beiden geben die besten Schiffsjungen ab.“

„Vergiß nicht, daß sie erst sieben Jahre alt sind“, mischte sich nun auch Big Old Shane ein.

„Ach was, das spielt doch überhaupt keine Rolle“, meinte der Alte leichthin.

Hasard wandte sich zu ihm um. „Donegal, wie du dir die Zukunft der Zwillinge vorstellst, geht es nun wirklich nicht. Wir dürfen sie nicht dazu erziehen, Korsaren zu werden, wir dürfen sie bei aller Liebe nicht dazu zwingen, an Bord der ‚Isabella‘ zu bleiben. Dieses Recht haben wir nicht. Vielmehr ist es unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie in England eine Schule besuchen können. Hast du daran nie gedacht?“

Old O’Flynn schnitt eine säuerliche Grimasse. „Schule? Pfui Teufel. Was sind denn das für Sprüche? So kennt man dich ja gar nicht.“

„Hasard hat recht“, sagte Ben Brighton. „Es wäre sehr selbstsüchtig von uns, wenn wir Philip und Hasard daran hindern würden, sich ihre Zukunft selbst zu bauen. Außerdem sind die Gefahren an Bord der ‚Isabella‘ viel zu groß für sie. Was ist, wenn sie auch nur verletzt werden?“

„Ich mag gar nicht daran denken“, erwiderte Shane. „Je eher wir die beiden der Obhut einer Vertrauensperson übergeben, desto besser.“

„Finde ich auch“, pflichtete Ferris Tucker, der soeben auf dem Achterdeck erschien, ihnen bei.

„Die Gentlemen sind sich mal wieder einig“, giftete Old O’Flynn. „Wie üblich. Auf mich will keiner hören, aber ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Zur Hölle mit der Schule und der Stubenhockerei, zu meinen Zeiten war eben doch alles anders.“ Er stiefelte von dannen und stieg aufs Quarterdeck hinunter, um Pete Ballie im Ruderhaus zu besuchen und ihm etwas über Meeresdämonen und den Fluch der Finsternis zu erzählen.

Hasard richtete seinen Blick nach Nordwesten. Der Wind, der vom Atlantik auf Portugals Küste zustrich, brachte jetzt Wolken mit. Stück für Stück wurde der tiefblaue Nachmittagshimmel von den grauen Riesen zugedeckt.

„Gut so“, sagte Hasard. „Die Wolken kommen wie gerufen.“

„Ja, bislang läuft alles wie am Schnürchen“, meinte Ben Brighton.

Shane grinste unter seinem grauen Bartgestrüpp. „Ich glaube nicht, daß wir Sturm kriegen, es sei denn, der Wind frischt plötzlich auf. Das müßte aber schon mit dem Teufel zugehen. Nein, das da, das sind keine Sturmwolken.“

„Noch bleibt die See ruhig“, sagte der Seewolf. „Hoffen wir, daß sich das innerhalb der nächsten drei, vier Stunden nicht ändert. In dieser Zeit werden wir die ‚Candia‘ angreifen. Was danach geschieht, kann uns zwar nicht völlig egal sein, aber es beeinträchtigt unser Unternehmen nicht mehr.“

„Vorausgesetzt, wir haben Erfolg“, erwiderte Ferris Tucker. „Nun, wir können auch baden gehen, aber daran denken wir wohl lieber nicht.“

„Ferris, bist du Pessimist?“ erkundigte sich Hasard.

„Ganz und gar nicht, Sir.“

„Dann solltest du auch nicht unken. Das überlassen wir Old Donegal, der kann’s besser.“

„Aye, Sir. Ich habe wirklich keinen Grund zur Schwarzmalerei, denn wir haben die ‚Isabella‘ wieder so weit hergerichtet, daß man nicht mehr sieht, was mit ihrer Backbordseite los gewesen ist. Kurzum, sie ist wieder piekfein in Schuß.“

„Großartig, Ferris. Übrigens, ich brauche noch Männer für die ‚erste Linie‘ unseres Aktionstrupps. Ed hat sich bereits freiwillig gemeldet.“

„Da steh ich nicht zurück“, sagte der rothaarige Schiffszimmermann.

„Ich auch nicht“, ließ sich Shane vernehmen.

„Ich bin mit von der Partie“, sagte Ben Brighton.

Shane blickte zu den Wolkengebilden auf, die sich jetzt allmählich vor die Sonne schoben. „Eins steht fest, wir kriegen bald Regen, und das ist keineswegs schlecht für uns.“

„Je finsterer die Nacht und je schlechter die Sicht, desto besser“, entgegnete der Seewolf. „Lucio do Velho kann nur ahnen, wohin wir segeln, aber wir wissen mit ziemlicher Sicherheit, daß er den Südwest-Kurs hält, weil wir schon den ganzen Tag über diese Richtung halten.“ Er zog eine Karte aus dem Wams und rollte sie aus.

Ben Brighton rückte näher und hielt sie mit fest. Hasard deutete auf der Karte, die einen Teil Portugals und dessen Küstenregion zeigte, den Kurs der „Isabella“ und ihres Verfolgers an. Dann beschrieb er noch einmal das Manöver, das er plante.

„Wir luven nach Dunkelwerden an und gehen über Stag. Hart am Wind segeln wir dann eine Weile nach Ostnordost. Ich habe die Entfernung zwischen uns und der ‚Candia‘ berechnet und eine kleine Kalkulation aufgestellt. Ich weiß, wie lange wir auf Gegenkurs zur ‚Candia‘ fahren müssen, aber natürlich gibt es einige Unsicherheitsfaktoren, die wir nicht unbeachtet lassen dürfen. Nur ungefähr kann ich darum den Zeitpunkt bestimmen, zu dem wir mit unserer Lady wieder abfallen und in Luv auf die ‚Candia‘ zuhalten. Ich werde diesen Moment etwas länger hinausschieben, so daß wir uns wahrscheinlich Steuerbord achteraus von unserem geschätzten Freund placieren werden. Ich traue mir aber zu, ihn wieder einzuholen. Schlimmer wäre es, wenn wir ihm im Anschluß an die Halse voraus lägen.“

„Mann“, entfuhr es Ferris. „Sir, das ist so ziemlich das Tollkühnste, was wir seit langer Zeit in Angriff nehmen.“

„Na, nun übertreibe mal nicht. Hast du Cádiz vergessen?“

„Ach, das war doch nur Routinearbeit.“

„Angeber“, sagte Big Old Shane. „Sag uns lieber, wieweit Al mit dem Nachschub an Höllenflaschen ist.“

„Er hat schon über ein Dutzend gefüllt und zugekorkt. Es werden aber noch mehr.“

„Sehr gut“, sagte Hasard. „Mit Material dürfen wir nicht geizen. Wenn nötig, setzen wir alles ein, was wir zur Verfügung haben, auch die letzten Brandsätze. Ben, wir sehen uns gleich mal unsere Munitionsbestände an.“

 

„Aye, Sir.“